Hakazit

Es war rauhes Land. Der Planet, für den es als Laborvorlage diente, muß höllisch gewesen sein, dachte Marquoz. Das Gelände war eine verbrannte, abstoßende, hartgestampfte Wüste mit schroffen, wild aussehenden Vulkanerhebungen. Ab und zu lösten schwache Erdbeben Geröllawinen aus, und die sehr seltenen, aber ungeheuer heftigen Gewitter verwandelten trockene, staubige Rinnen manchmal in tödlich reißende Ströme, die tiefe Furchen in die Landschaft schnitten.

Da es an der Oberfläche fast kein Wasser gab und das Meer im Norden nur aus Salzwasser bestand, waren die Bewohner dort, wo es Frischwasser gab — unter dem Boden, auf dem Gestein des Grundwasserspiegels, in riesigen, von jahrtausendealter Erosion im Kalkstein und Marmor darunter ausgeschürften Höhlen. Es hatte auch Raubwesen gegeben: entsetzliche wilde Bestien mit einer Haut wie Fels und unstillbarem Hunger nach Hakazit-Fleisch.

Und so waren die Hakazit natürlich auf Kampf und Abwehr eingerichtet. Wie Granit aussehend, waren ihre wilden Dämonengesichter zu einem ergrimmten, schreckenerregenden Ausdruck erstarrt; breite Münder, die beim Öffnen gewaltige Eckzähne zeigten, fähig, das Fleisch ihrer wilden, natürlichen Feinde zu zerreißen. Ihre Augen waren totenschädelartige Höhlen, die in der Dunkelheit grellrot glühten. Es war keine gängige Sehmethode, nicht Augen in dem Sinn, wie er sie stets gekannt hatte, aber seinem Gehirn dienten sie auf dieselbe Weise, vernachlässigten Weitsicht zugunsten einer außerordentlichen Tiefenschärfe und veränderten vielleicht (Gewißheit erlangte er nie) den Farbensinn ganz beträchtlich, um Kontraste stärker hervorzuheben. Über den Augenhöhlen ragten Knochenwülste wie Hörner hervor.

Der gewaltige, muskulöse, stahlgraue Körper war humanoider Art, eine Masse von Sehnen mit Armen, die mittelgroße Bäume entwurzeln und sie auseinanderbrechen konnten. Die fünffingrigen Hände liefen in tödliche, stahlartige Krallen aus, die ebenfalls zum Zerreißen und Zerfetzen von Fleisch geeignet waren, und die dicken Beine liefen aus in Reptilfüße, die den schweren Körper über fast jedes Hindernis hinwegziehen, -krallen und -schieben konnten. Nachgezogen wurde ein langer Schwanz von gleichem Stahlgrau, der auslief in zwei enorme spitze Knochen, die vom Greifschwanz als zusätzliche Waffen gebraucht werden konnten. Der Leib selbst war so stark gepanzert, so undurchdringlich und dickhäutig, daß Pfeile davon abprallten und sogar ein konventionelles Explosivgeschoß nur wenig Schaden anrichten konnte. Die Steuerung des Nervensystems erfolgte bei den Hakazit uneingeschränkt und automatisch; zum Beispiel konnten Schmerzzentren in einem umgrenzten Bereich bewußt stillgelegt werden.

Es war die gewaltigste lebende Waffe, der er je begegnet war, dachte das ehemalige kleine Dinosaurier-Geschöpf. Die Männer erreichten eine Größe von über drei Metern und besaßen neun Meter lange Schwänze, die Frauen waren kleiner und schwächer: im Durchschnitt nur zweieinhalb Meter hoch und gerade noch fähig, mit bloßen Händen einen großen Steinblock zu zerdrücken.

Jetzt wurde er jedoch als einer von ihnen zu einer riesengroßen unterirdischen Stadt hinuntergebracht, offenbar war er ein Gefangener der örtlichen Behörden. Die Stadt selbst war eindrucksvoll, ein Wunderland von farbigen Lichtern und laufenden Gehbändern, im Maßstab den Giganten angemessen, die dort lebten. Zu alledem noch eine Hochtech-Zivilisation, stellte er verblüfft fest. Keine Benachteiligungen wie in manchen Sechsecken hier, wo Technologie nur bis zur Dampfmaschine zulässig war oder nichts in Betracht kam, was nicht durch mechanische Energie funktionierte. Die Welt, die von den Markoviern für die Rasse der Hakazit vorgesehen war, mußte wahrlich eine Hölle gewesen sein.

Jedermann schien einen Leder- oder Wollpullover mit irgendeinem Rang- oder Amtsabzeichen zu tragen. Er konnte weder sie noch die Schilder oder die Schrift verstehen, aber das Ganze machte einen streng hierarchischen Eindruck, beinahe so, als befänden sich alle beim Militär. Das war ein strenger, disziplinierter Ort, wo jedermann in verzweifelter, dringender Sache unterwegs zu sein schien, ohne Zeit für Aufenthalt oder Privates zu haben. Man benötigte kein geübtes Auge, um zu erkennen, daß manche der Wesen den Auftrag hatten, andere im Auge zu behalten. Besonders eine Gruppe, die Lederwämse mit zielscheibenartigen Mustern trug, war mit Handfeuerwaffen unbekannter Art ausgerüstet. Für Marquoz gab es keinen Zweifel daran, daß diese Pistolen zu den lebenswichtigen Organen eines Hakazit durchdringen konnten.

Commander Zhart, sein Begleiter, genoß es, Harmonie-City vorzuführen, wie sie genannt wurde. Er wies auf den Springbrunnen der Demokratie, den Volks-Kongreß, die Promenade ›Frieden und Freiheit‹ und dergleichen mehr. Marquoz nickte nur und schaute sich um. Auf irgendeine Weise kam ihm das alles nur zu vertraut vor, als ein Widerhall jeder Diktatur, in der er sich schon aufgehalten hatte. Von einer Welt kommend, die nicht einmal eine Zentralregierung besaß und trotzdem seit Jahrtausenden keinen größeren Krieg erlebt hatte, mußte man das als krassen Gegensatz empfinden. Dabei hatte er lange Jahre im ›menschlichen‹ Kom-Bereich verbracht, wo Diktatur die Regel war und die Dinge nicht viel anders zu stehen schienen.

Sie machten sich schließlich auf den Weg zu einem riesigen palastartigen Bauwerk in der Höhlenwand, die Höhle und Stadtsilhouette beherrschte. Der Sitz der Regierung, vermutete er, wahrscheinlich für das ganze Hex. Schließlich hielt er es nicht länger aus.

»Wo ist der Feind?« fragte er Zhart.

Der andere blieb stehen, drehte sich herum und sah ihn ein wenig verwirrt an. »Was meinen Sie damit?« fragte er, nicht argwöhnisch, sondern nur verwirrt.

Marquoz umfaßte mit einer Geste des mächtigen Armes die ganze Stadt.

»Das alles hier. Die Militarisierung des Volkes, die Wildheit der Rasse. Das deutet doch alles auf einen wahrhaft bösartigen Feind hin. Ich wollte nur wissen, wer oder was.«

»Es gibt keinen Feind«, erwiderte Zhart ein wenig sehnsüchtig. »Überhaupt keinen Feind. Früher, ja — vor langer, langer Zeit, vielleicht vor Tausenden von Jahren. Sie können einmal das Museum der Hakazit-Kultur besuchen und die Dioramas und Schaustücke darüber besichtigen. Aber jetzt gibt es nicht mehr viel. Niemand aus den Hexagons der Umgebung könnte die Strahlung am Tag überleben, und die Leute wären nicht imstande, sich mit uns anzulegen, selbst wenn es einen Grund gäbe.« Er zuckte mit den Achseln, als sie zum Palast weitergingen.

Das war es natürlich, wie Marquoz begriff: ein Kriegervolk, geschaffen für einen Alptraum-Planeten, den es hier besiegt hatte, womit bewiesen war, daß man es draußen im wirklichen Universum schaffen konnte. Aber das war während des Experiments der Markovier gewesen; niemand wußte, vor wie vielen Jahrmillionen, jetzt dahin und verschwunden, die Nachkommen gezüchtet für den Kampf, aber ohne einen Gegner.

Das mußte zu einer fremdartigen, auf der Stelle tretenden Kultur führen, entschied er. Er begriff jetzt zum Beispiel, was für Vorführungen etwa im Volksstadion gezeigt werden mochten. Es war also eine starre Art von Diktatur notwendig geworden, um eine Bevölkerung im Zaum zu halten, die aus derart kraftvollen Todesmaschinen bestand — obwohl er sich fragte, wie irgendein Regime sich lange halten konnte, wenn das Volk wirklich einmal die Geduld verlor. Vielleicht waren die Bewohner an die Situation so gewöhnt, daß sie über die Alternativen nie nachdachten, überlegte er. Oder vielleicht wußten sie im Innersten, daß es nur einen Weg gab, um zu verhindern, daß alles in Blutbädern und Barbarei auseinanderfiel — wie es eines Tages unweigerlich doch geschehen mußte. Die Diktatur lebte von geborgter Zeit, aber das war die beste Rechtfertigung für eine Diktatur, an die er sich erinnern konnte.

Der Palast wies überraschend wenige Bewohner auf. Er war von den Kom-Welten her darauf vorbereitet, eine riesige Bürokratie vorzufinden, aber in der Eingangshalle traten nur drei Beamte in Erscheinung, und er hatte den Eindruck, daß zwei von ihnen darauf warteten, zu irgend jemandem vorgelassen zu werden. Commander Zhart stellte ihn dem einen vor, der hierherzugehören schien, und wünschte ihm zum Abschied viel Glück.

Der Beamte sah ihn eher kritisch an.

»Neuzugang?« fragte er schließlich.

Marquoz nickte.

»Ja. In Ihrem schönen Land neu eingetroffen.«

Der Beamte beachtete die Schmeichelei nicht.

»Was sind Sie vorher gewesen?«

»Ein Chugach«, erwiderte Marquoz. »Das besagt hier sehr wenig.«

»Mehr, als Sie glauben«, gab der andere zurück. »Obwohl wir beide Hakazit sprechen, trage ich eine Dolmetscheranlage, die mir chirurgisch ins Gehirn eingepflanzt worden ist. Sie hat Ihren Ausdruck in einen mir bekannteren übertragen. Es ist da auch Telepathie beteiligt oder dergleichen, allerdings wäre es leichter, wenn Sie auch ein solches Gerät hätten. Ich habe einen Eindruck von dem Äußeren Ihres Volkes erhalten und erkenne es. Hier auf der Sechseck-Welt heißen diese Wesen die Ghlmonesen.«

»Ghlmonesen«, wiederholte Marquoz fasziniert. Seine Rassenvorfahren… Aus irgendeinem Grund war ihm der Gedanke nie gekommen. Er entschied, daß er dort eines Tages gern einen Besuch machen würde.

»Sie haben Commander Zhart mitgeteilt, daß Sie in Ihrem früheren Leben in der Hauptsache auf Fremdwelten tätig gewesen sind«, fuhr der Beamte fort. »In erster Linie bei Glathrieliten und Dillianern. Nackte Affen und Zentauren. Ihrer eigenen Art ganz unähnlich. Sie sind Spion gewesen, sagten Sie?«

Marquoz war verblüfft und begriff plötzlich, daß er, seitdem ihn eine Militärstreife auf der Oberfläche entdeckt hatte, auf irgendeine Weise abgehört worden war. Das erklärte Zharts kameradschaftliche Art im Gegensatz zur Kälte der anderen — aber es war nicht wirklich von Bedeutung. Worauf es ankam, war, daß er das hätte voraussehen sollen und es nicht getan hatte. Er hoffte, daß er nicht alt und senil zu werden begann.

»Spion, ja«, gab er zu. Es war ihm auch klar, daß sein Gesprächspartner eine Art Psychologe war, möglicherweise für die unvermeidliche Geheimpolizei. »Sie werden begriffen haben, daß mein Volk von den anderen entdeckt wurde. Das waren aggressive, kriegerische Leute mit einem starken Gefühl kultureller Überlegenheit, das ihrer echten technologischen Überlegenheit entsprang. Wir hatten keine Raumfahrt entwickelt, und die meisten unserer Waffen waren museumsreif, selbst für uns. Sie hatten natürlich einen großen Weltenrat, aber uns stand nur ein Sitz und eine Stimme zu, weil wir eine Ein-Welt-Kultur waren — kaum eine einflußreiche Position. Sie brauchten draußen jemanden, der herumreiste, Entwicklungen, Haltungen, Bedrohlichkeiten und Möglichkeiten beobachtete und darüber Bericht erstattete. Das machten natürlich viele, aber ich war der einzige, der wirklich Erfolg dabei hatte.«

Der Psychologe zeigte sich interessiert.

»Warum gerade Sie? Und warum hatten Sie Erfolg, wenn er bei anderen Ihrer Art ausblieb?«

Marquoz zuckte mit den Schultern.

»Ich bin mir nicht sicher. Was die Frage anging, an die richtigen Stellen zu gelangen, nun, die dominierenden Rassen haben psychologische Eigenheiten, die sie dazu veranlassen, unterlegene Rassen zu vernichten, sie aufzusaugen oder mit einer seltsamen und perversen Neigung alles Denkbare zu tun, um zu zeigen, daß sie deine Rasse nicht für unterlegen halten, selbst wenn das in Wirklichkeit der Fall ist. Ich hatte immer eine Art Talent, da aufzutauchen, wo sich etwas zusammenbraute, sogar auf meiner Heimatwelt. Wenn es einen großen Orkan gab, einen Brand oder ein ähnlich bedeutsames Ereignis, war ich auf irgendeine Weise zur Stelle. Nehmen Sie es als eine Art sonderbaren Vorauswissens. Ich geriet zufällig in die Lage, Pläne für eine kleine, aber gefährliche Rebellion zu entdecken, und benützte die Gelegenheit, das zu melden. Die Kom-Polizei unterdrückte den Aufstand natürlich, und ich wurde für sie zu einer kleinen Berühmtheit. Von da an war es leicht, in die Kom-Polizei selbst einzudringen, nicht nur, weil ich sozusagen die benötigte Ware lieferte, sondern auch, weil ich als Chugach als ein Symbol für ihre liberale Haltung gelten konnte. Ich vermute, da hat sich allerhand an schlechtem Gewissen angesammelt. Das war unschätzbar nützlich. Und je stärker ich mich festsetzte, desto leichter fiel es, alles in Erfahrung zu bringen, vom Handel bis zu geheimen technologischen Informationen, und es an meine Leute weiterzugeben.«

Der Psychologe wirkte beunruhigt.

»Glauben Sie, die Tatsache, daß Sie als Hakazit wiedergeboren wurden, bedeutet, daß wir in besonders großen Schwierigkeiten stecken?«

Der Mund dieser Rasse war nicht für Ausdrucksfähigkeit geschaffen, so daß Marquoz’ spöttisches Lächeln dem anderen verborgen blieb.

»O ja, das nehme ich an. Ich würde sagen, daß eine Katastrophe von großen Ausmaßen jeden Augenblick nicht nur die Hakazit, sondern die ganze Sechseck-Welt treffen wird. Ich fürchte aber, daß ich diesmal mit dafür verantwortlich bin. Ich bin nämlich in einer Mission hier.« Er gab sich Mühe, besonders verschwörerisch zu wirken.

»Mission?« wiederholte der Psychologe, der immer unruhiger zu werden schien.

Marquoz nickte ernsthaft.

»Ja. Sehen Sie, ich bin hier, um im Namen von Wahrheit, Reinheit und Gerechtigkeit das Universum zu retten.«


* * *

Man ließ ihn ziemlich lange warten. Er langweilte sich sehr. Es gab nicht viele Leute, mit denen man reden konnte, und diejenigen, die ein und aus gingen, waren kaum von der gesprächigen Sorte. Er wußte, daß man irgendwo in diesem Gebäude verhandelte, diskutierte, über sein Schicksal entschied, und daß er wenig dagegen tun konnte, jedenfalls so lange, bis man selbst Schritte unternahm. Er wünschte sich inbrünstig eine Zigarre. Es hieß, daß einen die Sechseck-Welt veränderte und man sich in seiner neuen Gestalt sogar wohl fühlte — und so war es auch. Eine Wiedergeburt ist nur eine Wiedergeburt, dachte er düster, aber eine gute Zigarre was zum Rauchen.

Er probierte einige seiner alten Tanzschritte aus, stellte aber rasch fest, daß auch diese endgültig verschwunden waren. Ballett paßte schlecht für gepanzerte Tanks.

Endlich erschien jemand — nicht derselbe, der ihn befragt hatte, erkannte er. Es fiel ihm jetzt leichter, Individuen auseinanderzuhalten, obwohl er wußte, daß Nicht-Hakazit in dieser Beziehung Schwierigkeiten haben mochten.

»Danke für Ihre Geduld«, sagte der Neue freundlich, so, als hätte es Marquoz freigestanden, sich zu entfernen. »Der Höchste Lord empfängt Sie jetzt. Folgen Sie mir.«

Marquoz zuckte zusammen und wiederholte den Titel beinahe laut. Der Höchste Lord? Nun, es ist wenig sinnvoll, sich zu früh zu freuen, Marquoz, ermahnte er sich selbst. Hier kann das auch der Ausdruck für den Oberhausmeister des Palastes sein. Die Leute machen den Eindruck, titelsüchtig zu sein.

Es ergab sich jedoch rasch, daß es sich um eine Persönlichkeit von beträchtlichem Rang handelte. Dafür sprachen nicht nur die schneidig uniformierten Posten entlang des Korridors, sondern es bezeugten auch die versteckten Fallen, Feuerstellungen und andere üble Dinge, die nur sein geübtes Auge zu erkennen vermochte, hohen Rang und Bedeutsamkeit. Schließlich schritt er durch eine riesige, reichverzierte Doppel-Stahltür und stand in einem nackten Vorraum. Argwöhnisch schaute er sich um. Ja, Fernsehkameras, ganz eindeutig, und noch sehr viel mehr — aber keine Leute. Das Stahlgitter, das er unter dem Bodenbelag undeutlich wahrnehmen konnte, deutete wohl auf die Möglichkeiten augenblicklicher Tötung durch elektrischen Strom hin, sollte er nicht die Billigung des unsichtbaren Beobachters finden. Er sah sich die mächtigen Türflügel genauer an, die sich hinter ihm zusammenschoben. Auch dort ein Erkennungssystem, stellte er fest. Vermutlich Röntgenstrahlen, Fluoroskop, Metalldetektor — alles Denkbare. Über die Macht dieses Höchsten Lords hinaus stand eines fest: Wer und was er auch sein mochte, Marquoz schwebte in ständiger Todesangst.

Endlich hörte Marquoz ein Knacken, als wäre ein Lautsprecher zugeschaltet worden, und eine elektronisch gefärbte Stimme teilte mit:»Sie gehen in die Mitte des Raumes, treten unter den großen Lüster und bewegen sich nicht.« Die Stimme klang nicht drohend, nur ein wenig argwöhnisch. Er tat wie befohlen und wurde aufgefordert, seinen Schwanz ein wenig hierhin oder dorthin zu bewegen, sich hier und dort ein bißchen zu verschieben, bis er sich fragte, ob er für ein Magazin abgelichtet werden sollte. Schließlich sagte die Stimme:»Ausgezeichnet. Bewegen Sie sich jetzt nicht. Es geschieht Ihnen nichts.«

Plötzlich wurde er von einer Reihe farbiger Strahlen erfaßt, von denen manche seltsam heiß und aufdringlich wirkten. Das dauerte nur einige Sekunden, war aber verdammt unbehaglich. Es prickelte an seinem ganzen Körper noch immer unliebsam, als sie abgeschaltet wurden.

»Gehen Sie jetzt zur Tür und betreten Sie den Audienzraum«, wies ihn die Stimme an. Er schaute sich um und bemerkte zum erstenmal, daß eine ganze Wand lautlos davonglitt. Er zog die Schultern hoch und betrat den kleineren Raum, der nur mit einigen Tischen und Gläsern relativ spartanisch eingerichtet war. Die Wand schloß sich hinter ihm, und er blickte kurz über die Schulter: Wachen, Stolperfallen, Stahltüren, Abhörräume, Schiebewände — was noch?

Was noch erwies sich als ein Flackern in der Luft vor ihm und als rasches Einblenden einer Gestalt ganz in seiner Art, unterschieden hauptsächlich nur dadurch, daß sie Tunika und Mütze in Scharlachrot trug, beides gesäumt von teuer aussehenden exotischen Pelzen. Der Höchste Lord erschien als eine Art Hologramm, begriff Marquoz. Was für eine Art von Verfolgungswahn sterilisierte andere gegen Erreger, wenn die Besucher nur einer Projektion begegneten?

Der Höchste Lord betrachtete ihn prüfend.

»Na, man sieht, daß Sie wirklich ein Neuzugang sind«, schnaubte der Hakazit-Führer. »Nichts von Verbeugen und Kratzfuß und angeborenen Demutsgesten.«

»Für ein Solidogramm?« gab Marquoz zurück.

Der andere lachte.

»Einer meiner Vorgänger ließ die Leute seine Fotografie grüßen, die überall hing«, erklärte er. »Selbstredend hielt er sich nicht lange auf.«

Marquoz betrachtete das Abbild und dachte angestrengt nach.

»Das ist also der Grund für diese vielen Vorsichtsmaßnahmen? Alle haben es darauf abgesehen, Sie aus dem Weg zu räumen?«

Der Höchste Lord lachte brüllend.

»Jetzt weiß ich, daß Sie ein Neuzugang sind«, meinte er, noch immer lachend. »So eine Frage! Sagen Sie, wie sind Sie zu diesem Schluß gekommen?«

»Die meisten Diktatoren fürchten Attentate«, erwiderte Marquoz. »Das ist nicht ungewöhnlich, weil sie sich dadurch an der Macht halten, daß alle anderen sie fürchten.«

Der Höchste Lord hörte auf zu lachen und betrachtete den Neuling mit Interesse.

»Sie wissen also, daß das in der Tat eine Diktatur ist? Sie haben wenig Ähnlichkeit mit irgendeinem anderen Neuzugang, von dem ich je gehört habe. Kein ›Wo bin ich? Was mache ich hier?‹ und dergleichen. Das ist das Interessante an Ihnen, Marquoz.«

Der Neuzugang schaute sich um.

»Deshalb so viele Sicherheitsmaßnahmen? Weil Sie glauben, mit mir stimme etwas nicht?«

»Hm, nein, eigentlich nicht. Jedenfalls nicht allein«, antwortete der Höchste Lord. »Ah, Sie nennen Hakazit eine Diktatur. Im reinsten Wortsinn trifft das wohl zu. Ich drücke auf eine Taste des Sprechgeräts, diktiere einen Befehl, und er wird unweigerlich ausgeführt, selbst wenn er noch so idiotisch sein sollte. Und trotzdem — nun, Hakazit ist auch die demokratischste Nation auf der Sechseck-Welt.«

Marquoz’ Kopf zuckte hoch.

»Wie? Wie war das?«

»Ich bin siebenundfünfzig Jahre alt«, erklärte der Diktator. »Siebenundfünfzig. Und wissen Sie, wie viele Höchste Lords es in meiner Lebenszeit gegeben hat? Siebenundsechzig. Und mindestens einer davon herrschte fast vier Jahre lang. Der Rekord laut unserer neuesten Geschichte ist neun Jahre, drei Monate, sechzehn Tage, fünf Stunden und einundvierzig Minuten. In einer Geschichte, die über tausend Jahre zurückreicht.«

Marquoz seufzte.

»Liegt nahe«, murmelte er. »Und das trotz all dieser Schutzmaßnahmen, dieser Apparaturen, der modernsten Elektronik, die es gibt. Für jeden Zauber gibt es wohl ein Gegenmittel.«

»Genau«, bestätigte der Höchste Lord. »In diesem Augenblick versuchen Hunderte von Offizieren eine Möglichkeit zu finden, wie sie an mich herankommen können. Einem wird es irgendwann in nächster Zeit gelingen, dann lande ich auch in den Geschichtsbüchern.«

»Es wundert mich, daß Sie nicht wissen, wer sie sind, und mit ihnen kurzen Prozeß machen lassen«, meinte der Neuzugang praktisch. »Ich weiß, daß ich das tun würde.«

Der Herrscher kicherte spöttisch.

»Marquoz, Sie begreifen das Problem nicht. Jeder Hakazit macht das. Schulkinder tun es aus Spaß oder zur geistigen Übung. Ladenbesitzer, Barmixer; nennen Sie, wen Sie wollen. Alle. Man kann nicht mit allen kurzen Prozeß machen — dann wäre niemand mehr da, dem man diktieren kann.«

»Das ist freilich ein Problem«, bestätigte Marquoz. »Ein Wunder, daß Sie diesen Posten haben wollten — oder daß ihn unter diesen Bedingungen überhaupt jemand haben will.«

Der Höchste Lord wirkte betroffen.

»Aber worin besteht der Sinn des Lebens, wenn nicht darin, Höchster Lord zu werden? Das ist das einzige, wofür man leben kann!«

Das brachte Marquoz für einen Augenblick zum Schweigen, während er das Gehörte zu verdauen versuchte. Eine kriegerische Rasse ohne Kriege. Was ist das Ergebnis von Eroberung? Die Fähigkeit, alle herumzukommandieren, zu tun, was man will, alles zu bekommen, was man möchte. Der Gipfel aller Gedankenspiele. Und dieser Posten war hier vorhanden, stand offen, war von jedem erreichbar, ohne Rücksicht auf Rang, Geschlecht, soziale Stellung oder Autorität, dem es gelang, die herrschende Person zu beseitigen. Das war so verrückt wie nur irgend etwas, das er je gehört hatte, ein so unsinniges Gesellschaftssystem, wie er es sich je vorgestellt hatte — und es ergab absoluten, logischen Sinn. Das war der Haken. Es ergab Sinn.

Er wechselte das Thema.

»Tja, eines hat mich neugierig gemacht. Warum sagten Sie, Sie hätten nur tausend Jahre geschriebener Geschichte? Land und Rasse hier sind doch gewiß viel älter.«

»Richtig«, bestätigte der andere. »Aber der Kampf ist uns angeboren, sehen Sie. Wir sind die aggressivste Rasse auf der Sechseck-Welt und umgeben von Hexagons solcher Art, daß es unmöglich ist, sie zu erobern oder auch nur auf vernünftige Weise zu bekämpfen. Strahlungsformen, die tödlich nur für uns sind, Gifte dieser Art, und so weiter. Wir vermieten Leute von uns als Söldner, Wachen — sogar als Piraten — und dergleichen mehr an andere, aber das System hat uns an der Gurgel. Wir sind zu vernünftig, um bis zur Ausrottung zu kämpfen oder vielleicht einen Krieg zu führen, wenn überhaupt nichts zu gewinnen ist, weil wir nicht halten können, was wir erobern. Nach einiger Zeit bricht also das System, das wir schaffen, um die Dinge hier zusammenzuhalten, natürlicherweise zusammen. Jedes System würde das tun. Bürgerkrieg, Anarchie, ein Rückfall in die Barbarei, wenn alle Hemmungen fallen. Die Zivilisation wird zerstört und muß neu aufgebaut werden. Bei uns hier sagt man, jedes Gesellschaftssystem halte im Durchschnitt zweitausend Jahre lang, und wir befinden uns jetzt in der Mitte einer solchen Periode. Sie können sich nicht vorstellen, wie heftig diese gesellschaftlichen Zusammenbrüche sein können. Und wir auch nicht. Sie sind zuletzt so schlimm, daß vom vorherigen Zeitalter fast nichts übrigbleibt als verfallende Ruinen und einige andere Überreste.«

Marquoz nickte. Er konnte sich vorstellen, wie diese Wesen sich in einem totalen Krieg verhalten würden, in dem keine Gnade gewährt oder erwartet wurde und Kapitulation undenkbar war. Ein Wunder, daß überhaupt noch jemand übrig ist, dachte er. Aber nein, solange ein einziges Paar übrigblieb, Mann und Frau, würde der Schacht die Bevölkerung langsam wieder aufbauen; so hatte er das System jedenfalls begriffen. Dieser Gedanke war aber beunruhigend. Eine Verwüstung, wie der Höchste Lord sie andeutete, wies darauf hin, daß solche Kriege buchstäblich Kriege des völkischen Selbstmords waren; vermutlich waren es nur jene, die sich außerhalb von Hex und Heimat befanden, die zurückkehrten und neu aufbauten. Die Sackgasse, dachte er düster. Die Übriggebliebenen vom markovischen Traum in der ewigen Wiederholung von Aufstieg und Untergang der Zivilisation. Verdammt deprimierend, eigentlich.

»Ich kann das Interesse Eurer Lordschaft an mir verstehen«, sagte er bedächtig. »Ich tauche hier aus dem Nichts auf, Neuzugang oder Exilant, ganz gleich, aber ohne eines der psychologischen Probleme oder die Bestrebungen, die Sie kennen. Sie vermuten, daß ich derjenige bin, der Sie beseitigen soll — ja?«

Der Höchste Lord hob die Schultern ein wenig.

»Sind Sie es?«

Marquoz seufzte.

»Nein… nein, Euer Lordschaft, keineswegs. Das letzte, was ich will, ist Ihr Posten. Das mag unter diesen Umständen schwer zu glauben sein, aber Sie sind ein sehr kluger Mann, sonst wären Sie nicht da, wo Sie sind. Ich bin sicher, Ihre Lügendetektoren teilen Ihnen jetzt mit, daß ich aufrichtig bin.«

Der andere warf ihm einen Blick widerwilliger Bewunderung zu.

»Ein schlauer Bursche, wie? Aber bei einem Psychopathen wäre das Ergebnis dasselbe.«

»Euer Lordschaft, gebrauchen Sie jetzt die Lügendetektoren und glauben Sie mir, was ich sage. Innerhalb von wenigen Wochen, wenn es nicht schon angefangen hat, werden Sie mit Neuzugängen überflutet werden, und keiner davon wird typisch sein. Und ich meine nicht zehn, zwanzig oder hundert. Ich meine so viele, daß Ihre Bevölkerung sich rasch verdoppeln wird. Verdoppeln

Die rot leuchtenden, hohlen Augen der Projektion richteten sich auf einen Punkt außerhalb des Bildes, so, als prüfe sie etwas nach — auf einem Diagramm-Gerät wohl, vermutete Marquoz.

»Hakazit könnte sie nicht alle aufnehmen«, sagte der Höchste Lord mit dünner, sorgenvoller Stimme. »Wir würden sie töten müssen.«

»So leicht werden sie nicht zu töten sein«, warnte Marquoz. »Und außerdem kommen sie nicht her, um Ihnen Haus, und Hof wegzunehmen. Sie kommen her, um eine Aufgabe zu erfüllen und eine vorgegebene Funktion zu übernehmen.« Er erklärte rasch die Zusammenhänge mit Brazil und dem Schacht der Seelen; daß dieser beschädigt sei und repariert werden müsse.

»Was bieten Sie an?« fragte der Höchste Lord argwöhnisch.

»Einen Kampf. Einen kompletten Krieg. Einen Krieg, der von Stellvertretern, ausgebildet von Ihren Leuten, oder von einer Kombination aus beiden ausgefochten werden könnte. Ein Ventil für diese ganze Aggression, für diese angestaute Zivilisation. Und natürlich auf der Siegerseite, sollte Brazil in den Schacht gelangen. Und er wird es schaffen, verlassen Sie sich darauf. Ob ich sterbe, ob Hakazit sich auf meine Seite schlägt oder gegen uns antritt, was auch sein mag, er wird Sieger bleiben. Und sobald er im Schacht ist, könnte er auf die Situation, in der Sie sich befinden, einwirken. Überlegen Sie das auch von einem anderen Blickwinkel aus. Dieses Ventil, diese Erlösung — das wird unglaublich populär sein. Sie haben ein Volk, das den Krieg liebt und keinen hat. Jetzt wird es einen bekommen, und Absichten und Ziele dafür. Das könnte das Ventil sein, das Ihnen fehlt, könnte den Zusammenbruch um viele tausend Jahre hinausschieben — vielleicht so lange, daß diesmal ein beständigeres System ausgearbeitet werden kann. Und Sie werden überdies ein Held sein, weil Sie das dem Volk gegeben haben. Wie lange sind Sie schon Höchster Lord?«

Der Führer überlegte.

»Wie? Ach, knapp über drei Jahre.«

»Möchten Sie nicht weitermachen und vielleicht den Rekord überbieten? Mann, selbst wenn der Drang durch den Krieg nicht nachläßt, bedenken Sie folgendes: Ihre gefährlichsten Gegner werden bei Planung und Führung dieses Unternehmens im Vordergrund stehen — nicht nur zu beschäftigt, um ernsthaft gegen Sie vorzugehen, sondern ganz vorne an der Spitze, wo Sie sehen können, wer wirklich eine Chance hat.«

»Das Volk… es wird darauf langsam vorbereitet werden müssen, wie Ihnen klar sein muß«, murmelte der Hakazit-Führer. »Das Ganze muß sorgfältig geplant und aufgebaut werden.«

Marquoz nickte.

»Deshalb bin ich hierher, ausdrücklich hierher nach Hakazit, geschickt worden«, erklärte er dem anderen, als er zum erstenmal selbst die Wahrheit begriff. »Äh, sagen Sie, Sie haben natürlich eine Geheimpolizei?«

»Eine sehr gute«, bestätigte der Höchste Lord stolz.

»Aha. Und wie kommt man an die Spitze dieser Organisation?«

Der Führer wirkte ein wenig verlegen.

»Nun ja… wissen Sie…«

»Oh«, entfuhr es Marquoz. »Ihr Chef der Geheimpolizei hört doch nicht auch diesen Raum ab, oder?«

Der Höchste Lord wirkte entsetzt.

»Natürlich nicht! Nur ich bestimme hier. Der Beweis dafür ist, daß ich noch da bin.«

Das erschien Marquoz plausibel.

»Hmmmm… dieser Chef, ist er an sich ein netter Bursche? Liebevolles Eheweib und Kinderchen?«

»General Yutz? Ha!« gluckste der Diktator. »Er ist ein niederträchtiger Dreckskerl, der niederträchtigste, den ich je gesehen habe. Seine letzte Ehefrau und seinen ältesten Sohn hat er erdrosselt, weil er glaubte, sie planten etwas gegen ihn.«

»Freut mich aber sehr, das zu hören«, erwiderte Marquoz aufrichtig. »Ich hätte sonst Schuldgefühle, wenn ich ihn beseitige.«

Der Führer sah ihn erstaunt an.

»Beseitigen? Leichter gesagt als getan, mein Freund.«

Marquoz lachte trocken in sich hinein.

»Ach, hören Sie, Euer Lordschaft, wenn Sie ihn nicht jederzeit, sobald Sie Lust dazu hätten, töten könnten, hätte er inzwischen schon Ihren Posten. Sein Tod sollte leicht zu arrangieren sein.«

Der Höchste Lord von Hakazit sah Marquoz an, als sähe er ihn zum erstenmal, und schüttelte mit unverhüllter Bewunderung und Faszination den Kopf.

»Wissen Sie, Marquoz«, sagte er nach einer Pause, »ich glaube, das könnte der Anfang einer wunderschönen Freundschaft sein.«

»Könnte sein, Euer Lordschaft«, erwiderte Marquoz und erzwang auf seinem steifen, grimmigen Gesicht ein schwaches Lächeln. »Könnte durchaus sein. Ich würde viel lieber mit Ihnen zusammenarbeiten, als Sie stürzen. Dadurch wird meine Arbeit viel angenehmer.«

Sehr viel angenehmer, dachte er für sich, und auch viel leichter. Viel leichter als bei dem Alternativplan, der vorgesehen hätte, das ganze verdammte System aus den Angeln zu heben.

»Das machen wir«, sagte der Höchste Lord schließlich.

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