Erster Teil. DIE ERSTEN TAGE AUF DER ERDE

DER GÄRTNER URFIN JUICE

Urfin ließ der eigenartige rotleuchtende Stern keine Ruhe. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu ihm zurück, und abends saß er lange vor dem Teleskop, doch so sehr er sich auch mühte, er konnte ihn nirgendwo entdecken. Der Stern war spurlos verschwunden. Allerdings bemerkte er einmal, wie eine dunkle Wolke am Himmel dahinzog, doch er maß dem keine Bedeutung bei.

Mit den Einwohnern des Zauberlandes war Urfin jetzt gut Freund, doch er erzählte ihnen vorläufig nichts über den Stern, denn er konnte sich ja selbst diese seltsame Erscheinung nicht erklären.

Vor langer Zeit hatte der Dreimalweise Scheuch Urfin angeboten, in die Smaragdenstadt zu ziehen, um unter Menschen zu leben. Urfin hatte damals nicht gedacht, daß ihn dieses Angebot so erfreuen würde.

Doch er hatte schon zu viele Jahre am Fuße der Weltumspannenden Berge gelebt, sich an das idyllische Tal mit dem klaren Bach gewöhnt und mochte nicht mehr von seinem kleinen Anwesen fort.

Allein zu leben war für ihn genauso selbstverständlich wie essen und trinken. Nach wie vor wollte er nicht anderen Menschen gleichen und trug deshalb Kleider von anderer Farbe: keine blauen und keine violetten, sondern grüne. Er tat das nicht aus böser Absicht, er hatte einfach einen ungeselligen Charakter. Seine einzige Gesellschafterin war die Eule Guamokolatokint, mit der er täglich ein paar Worte wechselte.

„Na, liebe Freundin Guakomo", pflegte Urfin des morgens zu fragen, „sind auf den Schwingen der Elstern neue Nachrichten eingetroffen?"

Und gemächlich diskutierten sie alle Neuigkeiten, die die kluge Eule von anderen Vögeln erfahren hatte. Guamokolatokint erzählte beispielsweise:

„Der Eiserne Holzfäller hat dem Dreimalweisen Scheuch einen Besuch abgestattet. Der Tapfere Löwe ist auch unterwegs. Aber er ist schon alt. Er kommt auf seinen müden Tatzen nur langsam voran und muß häufig rasten."

„Und was macht unser Dreimalweiser?" wollte Urfin wissen.

„Der hat sich wieder etwas ausgedacht. Will irgendeine Bibliothek einrichten und liest ernsthafte Bücher." „Das ist seine Sache", seufzte Urfin.

Urfin war stets ein geschickter Tischler gewesen. Es hatte zwar Zeiten gegeben, das läßt sich nicht bestreiten, als die Tische, Stühle und anderen Gegenstände, die er aus Holz fertigte, den griesgrämigen Charakter ihres Meisters annahmen und es darauf abgesehen hatten, die Käufer zu stoßen oder zu treten. Kurz, sie bereiteten den Menschen Ungemach. Deshalb kaufte keiner mehr diese widerspenstigen Gegenstände, und Urin mußte sich wohl oder übel auf die Gemüsezucht verlegen. Wovon hätte er sich sonst ernähren sollen?

Urfin wurde also Gärtner, er arbeitete flink, aber irgendwie lustlos. Die Arbeit machte ihm keine Freude. Doch dann begann Urfin über sich und seine Taten nachzudenken und war miteins wie neugeboren. Rundum schien sich alles zu verändern. Seltsame Dinge trugen sich zu. Ihm ging alles so hurtig von der Hand, daß es ihn selbst erstaunte. Er renovierte ein kleines Häuschen im Tal und strich es mit den lustigen Farben, die sich in seiner Wirtschaft fanden. Er fühlte direkt, wie die Gärtnerei begann, ihm Spaß zu machen.

Von dem Tage an, da ihm der Scheuch angeboten hatte, in die Smaragdenstadt zu ziehen, wußte er, daß die Einwohner des Zauberlandes ihm nicht mehr zürnten. Da erwachte in ihm der Wunsch, ständig etwas für sie zu erfinden. Mut und Geduld besaß Urfin reichlich, so daß er in seinem Anwesen so ungewöhnliche Früchte züchtete, daß selbst die Eule Guakomo, die anfangs Urfins Unternehmungen mißtrauisch betrachtet hatte, von grenzenloser Hochachtung zu ihm erfaßt wurde. „So ein Wunder!" krächzte sie und spreizte die Flügel. „Unglaublich! Du scheinst immer noch zaubern zu können!"

In Urfins Garten gediehen goldene Mohrrüben, blaue Gurken, dunkelrot leuchtende Pflaumen, die an Granatfrüchte erinnerten, und Äpfel, sonnenfarben wie reife Apfelsinen. Die Früchte sahen herrlich aus. Aber sie prangten nicht nur in leuchtenden Farben, sondern waren auch außergewöhnlich süß, groß und schmackhaft. Urfin hatte es wohl nicht von ungefähr zur Gärtnerei gezogen. Es machte ihm Spaß, Obst und Gemüse für andere zu züchten, und so gelang ihm auch alles. Wenn die herrlichen Früchte reiften, lud sie Urfin auf einen Schubkarren und brachte sie in die Smaragdenstadt.

Dort fand ein richtiges Schmausefest statt. Alle, die es sich einrichten konnten, kamen aus allen Enden und Ekken des Zauberlandes zu Gast.

Urfin wollte keinen kränken, sondern alle Einwohner und Gäste reichlich beschenken. So belud er immer wieder seinen Schubkarren mit Früchten und eilte mehrmals in die Stadt. Der Weg war jedoch weit und beschwerlich. Da schickten die Einwohner des Zauberlandes Urfin einen hölzernen Läufer zu Hilfe. Der wurde niemals müde und beförderte Urfins Gaben mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit in die Stadt. Urfin erntete beizeiten Obst und Gemüse, wusch alles im klaren Quellwasser, und die liebe Sonne trocknete es im Handumdrehen. Dann sortierte er die Früchte sorgfältig im Schubkarren. Die Einwohner der Smaragdenstadt wiederum ließen den Gärtner erst heimziehen, wenn er einen ganzen Berg Piroggen verzehrt hatte, schmackhaft, wie sie allein die Einwohnerinnen der wunderbaren Stadt zu bakken verstanden.

DAS GELBE FEUER

Diese Schmausefeste fanden alljährlich statt, und jedermann erwartete sie voll Ungeduld, wie man auf seinen Geburtstag wartet. Denn so herrlich das Leben im Zauberland auch sein mochte, glich dennoch ein Tag dem anderen. Morgens stieg die Sonne am Himmel auf und versank, wenn die täglichen Wunder vollbracht waren, am Abend wieder hinter den Bergen.

Unmittelbar vor Beginn des Schmausefestes trug sich folgendes zu. Das Fest war wie stets unbemerkt herangekommen und dauerte einige Tage, damit alle in die Smaragdenstadt zurecht kämen und der Gärtner genügend Zeit hätte, das Obst und Gemüse heranzuschaffen. In diesem Jahr fiel die Ernte besonders reich aus, so daß Urfin fürchtete, nicht alles bis zum Beginn des Festes in die Smaragdenstadt befördern zu können. Vor dem Palast des Scheuchs wurden in langen Reihen Tische aufgestellt, die die Einwohner, aus ihren Häusern herbeischleppten.

Urin und der hölzerne Läufer, der ihm eifrig zur Hand ging, liefen rastlos zischen den Weltumspannenden Bergen und der Smaragdenstadt hin und her.

Als sie mit vollen Schubkarren durch das Land der Käuer kamen, verbreitete sich ein herrlicher Duft von sonnengereiften Früchten. Wie hätten die Käuer da das prächtige Obst und Gemüse im Schubkarren ruhig ansehen können?

Sie lehnten sich fast bis zum Bauch aus den runden Fenstern ihrer Häuser. Daß sie nicht hinausfielen, lag einfach daran, daß sie sich mit den Beinen an den Fensterbrettern festklammerten. Außer sich vor Begeisterung unterhielten sie sich miteinander.

„Ei-ei-ei", sagte ein Käuer, „wieder diese blauen Gurken. Hervorragend!"

„Ach was, die Gurken! Die gelben Nüsse sind ein Wunder! Ich hab's selbst gesehen, es war eine ganze Fuhre!" rief ein anderer. „Mir läuft schon jetzt das Wasser im Munde zusammen."

Ein zartes Frauenstimmchen mischte sich ein:

„Und ich liebe die Äpfel und die Apfelsinen. Die Äpfel von unserem Urfin leuchten wie Apfelsinensonnen. Und die Apfelsinen sind rotbackig wie Äpfel."

„Ach werd' ich mich diesmal vollschlagen", verkündete ein Käuerknabe mit heller Stimme.

Bergeweis häuften sich die prachtvollen duftenden Früchte auf den Tischen der Smaragdenstadt. Doch in Urfins Garten schienen sie nicht weniger zu werden. Die Käuer bürsteten sorgfältig ihre Anzüge und verzierten sie mit festlichen Kragen, die Frauen zogen Röcke an, die an Glockenblumen erinnerten, und nähten sich neue Glöcklein an ihre Hüte. Kurz, man rüstete sich zum Schmausefest, als ginge es zu einem Ball. Auch in allen anderen Gegenden des Zauberlandes liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren.

Ein kleines Mädchen prahlte:

„Ich werde die allerschönste sein. Meine Mutter hat gesagt, daß ich einen hübschen neuen Spitzenkragen bekomme."

„Nein, der Allerschönste bin ich", widersprach ein Käuer. „Die Glocken an meinem Hut glänzen ganz besonders strahlend. Und wie sie läuten! Ich kann das ganze Fest über zu meiner eigenen Melodie tanzen. Ich brauche keine andere Musik." Ein dritter Käuer meinte besorgt:

„Ich muß noch meinen Hut fertig nähen. Wenn ich es bloß schaffe."

„Wenn wir es bloß schaffen, wenn wir es bloß schaffen", riefen die Käuer aufgeregt durcheinander.

Die Glöcklein an ihren Hüten zitterten, und aus den Häusern war ununterbrochen ihr Läuten zu hören. Für die Käuer war es wirklich an der Zeit, in die Smaragdenstadt zu ziehen.

Dank der technischen Kenntnisse des Scheuchs hatte sich einiges im Zauberland verändert. Das Großartigste blieb natürlich die Umwandlung der Smaragdenstadt in eine Insel. Doch trotz des Kanals, der die Hauptstadt jetzt umgab, nannten die Einwohner sie aus alter Gewohnheit nicht Insel, sondern weiterhin die Smaragdenstadt. Die Neuerungen des Dreimalweisen Scheuchs betrafen auch andere Orte im Zauberland. So brauchten die Bewohner nicht mehr zu überlegen, wie sie über den Großen Fluß kämen, man hatte einfach eine Brücke gebaut. Durch den düsteren Wald konnte man jetzt auch des nachts laufen, denn die Gelbe Backsteinstraße säumten Laternen, die leise in der Dunkelheit schaukelten. Dieses Schaukeln und das rötliche Licht schreckten die wilden Tiere ab.

Doch wenn sie sich nicht verspäten wollten, mußten sich die Käuer bald aufmachen, denn sie konnten nur kleine Schritte nehmen, der Weg aber war weit.

Selbstverständlich schliefen sie in dieser Nacht sehr unruhig, wie die Kinder vor einem Festtag. Deshalb erwachten sie sofort, als sie das Läuten der Glöcklein an ihren Hüten vernahmen. Sie hatten die Hüte zur Nacht auf den Fußboden gestellt, damit die Glöcklein verstummten. Wer also hatte da geläutet? Vielleicht die Mäuse? Die Käuer blickten unter die Hüte, konnten jedoch nichts Verdächtiges entdecken. Von der Straße ertönte ein lautes Heulen, das sich ständig verstärkte. Aufgeregt eilten die Käuer aus den Häusern.

Ein riesiger Feuerball flog tosend auf die Weltumspannenden Berge zu. Prem Kokus fragte verblüfft: „Ein Meteor?"

Aber ein Meteor heult nicht, beantwortete er selbst seine Frage. Er streckte die Hände zum Himmel: „Schaut nur!"

Die Kugel löste sich auf und wurde zu einem irrisierenden gelben Feuer, das in der Form an mehrere, miteinander befestigte Königskronen oder an einige umgestülpte Getreidegarben erinnerte.

Die Käuer bekamen Angst. Sie begannen zu zittern. „Klinge-ling-ling", klingelten die Glöcklein an ihren Hüten.

Das Heulen verstärkte sich. Von den Weltumspannenden Bergen zogen gelbweiße Rauchschwaden auf. Ein Wirbelwind brach los. Die Bäume bogen sich.

Das Feuer verlosch. Statt des Heulens drang nun von den Bergen ein Donnerrollen, das mehrmals vom Echo gebrochen wurde.

Kokus trieb die Käuer an:

„Schnell, schnell in die Smaragdenstadt! Es ist zu gruselig. Gruselig und unheimlich. Vielleicht wird unser Gebieter... "

„Der Weise Scheuch findet's heraus", beschlossen die Käuer, noch immer zitternd, und die Glöcklein an ihren Hüten klingelten im Takt zu ihren Worten.

DIE LANDUNG

Die Fremdlinge wollten vor dem Morgengrauen landen. Sie vermuteten, daß nachts auf Belliora ebenso wie auf Rameria alles schlief, und ihre Ankunft deshalb unbemerkt bliebe.

Woher konnten sie wissen, daß die Einwohner des Zauberlandes just in dieser Nacht keine Ruhe fanden!

Nach der letzten Erdumkreisung ging das Raumschiff zur Landung in eine gleitende Umlaufbahn über. Der Pilot Kau-Ruck saß am Steuerpult. Seine Bewegungen waren ruhig und präzise. Aufmerksam blickte er auf den Schirm des Ortungsgeräts für Nachtsicht, auf dem sich die Umrisse der unbekannten Gegend abzeichneten. Er durfte jetzt nicht den Ring der Berge übersehen oder, besser gesagt, jene Stelle am Fuß der Berge, wo die Außerirdischen ein Riesenschloß mit schwarzen Fensterhöhlen und einem halbverfallenen Dach entdeckt hatten. Offensichtlich war dieses Schloß unbewohnt, so daß es zunächst als Unterkunft dienen konnte. Kommandant Baan-Nu war bereit, sich in all seiner Pracht auf dem neuen Planeten zu zeigen. Ilsor hatte schon lange seinen Bart Härchen um Härchen geschoren und gekämmt. Jetzt half der Diener dem General beim Anlegen der Paradeuniform. Als Paradekleidung dienten den Menviten leuchtende Overalls aus festem Seidengewebe.

Die leuchtenden Farben schienen die fahlen starren Gesichter der Menviten zu beleben. Die Orden wurden an den Overalls nicht angesteckt, sondern mit Gold-, Silber- und schwarzen Fäden aufgestickt.

Sie hatten die Form der Sonne, des Mondes oder der Sterne; einfache Orden wurden durch Ordensspangen symbolisiert. In der Mitte jedes Ordens waren die Nachbargestirne und -planeten von Rameria dargestellt. Grundregel für die Auszeichnung bei den Menviten war: Je höher der Posten, den einer bekleidete, desto mehr schöne Orden besaß er. Zum Parade-Overall gehörten Knöpfstiefel aus weichem, leichtem Leder. Kaum zeichneten sich auf dem Schirm der Ortungsgeräte die Umrisse des Schlosses ab, da wendete Kau-Ruck das Raumschiff geschickt mit den Triebwerken zur Erde. Er stellte gern seine Gewandtheit unter Beweis, um die Zuschauer in Erstaunen zu versetzen. Am Himmel gab es nur leider keinen, der sich für seine Landungsmanöver interessiert hätte. Äußerlich schien der Pilot völlig kaltblütig. Langsam setzte das Raumschiff zur Landung an. Unmittelbar vor dem Schloß hing es, gestützt auf irrisierende gelbe Flammen, die wie kronenförmige Feuermasten wirkten, einen Augenblick in der Luft und sank dann zur Erde. Sofort glitten aus dem Raumschiff schwenkbare Stützen in Form eines riesigen Dreifußes.

Als sich die Rauchwolken und der aufgewirbelte Staub verzogen hatten, entnahmen die Menviten der Atmosphäre zum letzten Mal Proben und öffneten, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß ihnen keine Gefahr drohte, die Ausstiegsluke. Die frische Nachtluft, der Duft der Gräser und Blumen drang in das Sternschiff und machte die Außerirdischen ganz benommen.

Die Gangway wurde herabgelassen. General Baan-Nu setzte als erster seinen Fuß auf die Erde. Seine neue rote Aktentasche hielt er fest an den Körper gepreßt. Für alle Fälle hatte er sie mit einem Kettchen am Handgelenk befestigt. In der Aktentasche befand sich sein Manuskript. Das war der größte Schatz des Generals. Er beabsichtigte, die Geschichte der Bezwingung von Belliora zu verfassen. Während des Fluges hatte er sie bereits begonnen. Mit diesem Werk wollte der General die Militärkunst der Menviten verherrlichen, vor allem aber träumte er davon, sich selbst ein ewiges Denkmal zu setzen.

Das Raumschiff stand am Fuße der Großartigen Berge, deren verschneite Gipfel in den Sternenhimmel aufragten. Ganz in der Nähe rauschten die Wälder, und das einschläfernde Zwitschern der Vögel tönte durch die Nacht. Als der Kommandant über den feuchten weichen Grasteppich schritt, empfand er die Genugtuung des Eroberers, das Herz stockte ihm, um dann umso rascher zu pochen. Baan-Nu mußte den Reißverschluß seines Kragens öffnen.

An diesem Ort werden die Würdigsten unter den Menviten leben, dachte er. Sklaven gibt es überall genug.

Als er sich zum Raumschiff umwandte, sah er, daß fast alle ausgestiegen waren. Stolz schritten die Menviten in ihrer ordensbestickten Kleidung auf und ab und starrten bisweilen einem Arsaken, der unnütz gesäumt hatte, strafend in die Augen. „Nun aber schneller", befahl dieser Blick. Und der Arsake bewegte sich flink wie ein aufgezogenes Spielzeug.

Die Arsaken machten sich an ihre gewohnte Arbeit: Sie schufen den Menviten komfortable Lebensbedingungen.

Sie stellten ein Luftzelt auf und legten den Boden mit Luftmatratzen aus. Andere bereiteten das Abendbrot und brachten Getränke. Die dritten schleppten Zweige aus

dem Wald herbei, um das Zelt zu tarnen. Außerdem breiteten sie über das Sternschiff ein riesiges Netz mit aufgedruckten Blättern und Zweigen, das wie ein prächtiger Teppich wirkte.

Eine Gruppe Menviten trug vorsichtig ein Riesenporträt Guan-Los aus dem Raumschiff und stellte es auf einem Hügel auf.

Der General trat vor die versammelten Menviten, hob seinen Blick zur fernen Rameria und sprach feierlich

„ Im Namen des Obersten Gebieters von Rameria, des Würdigsten unter den Würdigen, Guan-Lo, erkläre ich Belliora auf ewige Zeiten zu einem Bestandteil seiner Besitzungen Gorr-au!"

„Gorr-au ! Gorr-au ! !" riefen die Menviten.

Die Arsaken schwiegen. Verstohlen blickten auch sie zu dem Teil des Himmels auf, wo sich ihre Heimat befand.

Kurz wandte sich der General an Kau-Ruck:

„Pilot!" Er war zwar guter Laune, konnte sich jedoch nicht überwinden, freundlicher zu Kau-Ruck zu sein. Er mochte den fähigen Flieger nicht, der nach seiner Ansicht zu häufig überflüssige Selbständigkeit bewies. „Im Morgengrauen ziehen Sie auf Kundschafterdienst." Bei sich dachte der General: Der erste Kundschafterdienst ist der gefährlichste. Sieh man zu, wie du mit diesem Auftrag fertig wirst, denkst ja immer, du bist besonders klug.

„Sie beobachten alles mit größter Sorgfalt! Doch seien Sie schon heute auf der Hut!" befahl er.

„In Ordnung, mein General", erwiderte Kau-Ruck mit einer Lässigkeit, die keineswegs den militärischen Vorschriften auf Rameria entsprach. Aber der Pilot machte ja sowieso grundsätzlich alles anders. Er verfügte über ein profundes Wissen, deshalb griff er auch niemals zur Zauberei wie die anderen Menviten.

„Ich begebe mich jetzt zur Ruhe", verkündete der General und streckte sich wohlig. „Ich finde, auf Belliora sind die Nächte doch reichlich kühl."

Einer der Sklaven bot Baan-Nu auf einem Tablett Früchte an, die sie im Hain gepflückt hatten.

Genüßlich kauend, wandte sich der General an seinen Diener:

„Na, Ilsor, ist alles zum Schlafen vorbereitet?" „Jawohl, mein General", Ilsor machte so eine tiefe Verneigung, daß es schien, als hänge sein Körper an Scharnieren. Als der General diese unelegante Haltung des Dieners sah, brach er in Lachen aus „Du spürst wohl deine Beine nicht vor Glück, daß du auf einem so herrlichen Planeten stehst, was, Ilsor?" „Jawohl, mein General." Ilsor nickte. „Mir muß doch gefallen, was Ihnen gefällt."

„Eben, eben!" Baan-Nu klopfte Ilsor leutselig auf die Schulter und ging ins Zelt. Mit seinem Feldstecher trat er der Reihe nach an alle Fenster des Zelts, ließ seinen Blick gelangweilt über die Berge gleiten und betrachtete gründlich die Bäume am Waldesrand. Vielleicht hatte sich dort der Feind in den Hinterhalt gelegt. Doch da er nichts sah, außer den Schatten der Vögel, streckte er sich wohlig auf dem Matratzenberg aus, den Ilsor mit weichen, weißen Fellen bedeckt hatte, die an das Fell von Schneeleoparden erinnerten. Ein riesiger Bettvorhang, ebenfalls aus weißen Fellen, trennte die Bettstatt des Generals vom übrigen Teil des Zelts, das für die anderen Menviten bestimmt war.

Baan-Nu schob die Aktentasche unter das Fellkissen, das Ilsor diensteifrig anhob. Wenn er schlief, verschloß der General Dokumente, die für ihn wichtig waren, niemals im Safe. Für jeden Safe fanden sich Schlüssel; er wußte kein besseres Versteck, als das eigene Kopfkissen.

Als der Kommandant der Menviten eingeschlafen war, nahm Ilsor den Feldstecher, räumte ihn jedoch nicht fort, sondern betrachtete ebenfalls aufmerksam durch das Glas die Umgegend. Dann trat er zu den Arsaken, die ihr Nachtlager unter offenem Himmel aufschlugen. Verschwörerisch flüsterte er ihnen zu:

„Freunde, verliert nicht die Hoffnung", um mit lauter strenger Stimme im Befehlston hinzuzufügen

„Morgen früh beginnen wir mit der Montage der Helikopter."

Keiner der Auserwählten ahnte, welche Doppelrolle Ilsor spielte.

Der diensteifrigste aller Diener versteht sich hervorragend auf die Technik, das war es, was jeder Menvite von ihm wußte.

Doch sie wußten etwas anderes nicht Ilsor war widerstandsfähiger gegen die hypnotischen Blicke und Befehle der Menviten gewesen als die anderen Arsaken. Er besaß einen stärkeren Willen. So war es ihm seinerzeit gelungen, bevor der Zauber Macht über ihn gewinnen konnte, das Aussehen eines ergebenen Sklaven anzunehmen. Er belauschte fortan die geheimen Unterredungen der Menviten, die vor ihm keine Vorsicht übten, denn sie glaubten, er sei völlig verzaubert und demzufolge auch .gehorsam und ihnen untertan. Aus den Gesprächen der Auserwählten wußte Ilsor über 'alles Bescheid, was auf Rameria vor sich ging. Die Arsaken glaubten fest, daß Ilsor ihnen helfen werde, daß einzig er ihre Befreiung ermöglichen könne, und wählten ihn vertrauensvoll zu ihrem Anführer. Der Gedanke, die Arsaken zu befreien, ließ Ilsor fortan keine Ruhe mehr, weder bei Tag noch bei Nacht.

Jetzt kam die Sorge um die Erdenbewohner hinzu. Nach den Fotos zu urteilen, die selbstverständlich auch dem Arsakenführer zu Augen kamen, bewohnten vernunftbegabte Wesen Belliora. Sie ahnten nicht, welche Gefahr der Blick der Menviten in sich barg. Sie davor zu warnen, war die Pflicht Ilsors, obwohl er noch nicht recht wußte, wie er das anstellen sollte.

AUF KUNDSCHAFTERDIENST

Am Morgengrauen begab sich Kau-Ruck mit einer Gruppe von Fliegern auf Kundschafterdienst. Ruhig gingen sie an den Wachposten vorbei, denen ausschließlich Menviten angehörten, und die hellwach ihren Dienst versahen. Der Pilot mochte unter allen Militärs die Flieger am meisten. Wenn ihre Staffel nur nicht Mon-So, ein treuer Untertan des Generals, befehligt hätte. Die Flieger, die einige arsakische Sklaven mit sich genommen hatten, gingen munter drauflos. Ihr Kundschafterdienst erschien ihnen wie ein fröhlicher Spaziergang.

Vor allem wollten sie das Schloß besichtigen. Sie ahnten nicht, daß dies die ehemalige Wohnstätte des Zauberers Hurrikap war.

Nachdem sie einmal um die Ruine herumgegangen waren, blieben die Fremdlinge vor der verschlossenen Riesentür stehen. Fröhlich scherzten sie miteinander.

„Das ist ja ein Prachtbau! So etwas wird nur für einen hohen Herrn oder für Gespenster erbaut!"

„Na, wollen wir's mal mit der Schulter versuchen! Nochmal... Nein, allein mit unseren Schultern schaffen wir's nicht!"

Die Türangeln waren verrostet, so daß die Sklaven helfen mußten, die Tür aufzustoßen. Als die Menviten den Raum betraten, flogen aus den leeren Fensterhöhlen Dutzende Uhus und Eulen auf, und ein Fledermausschwarm stob den Außerirdischen entgegen. Die Bewohner von Rameria waren von der Größe des Schlosses, von den hohen Gemächern und den Riesensälen aufrichtig verblüfft.

„Wenn man sich in solchen Räumen für ein paar Tage niederläßt, merkt man sicher kaum, wie man selbst zu einem hohen Herrn wird!" scherzten die Flieger. Viel Interessantes fand sich in den Schloßgemächern. Die Menviten erblickten Schränke, hoch wie ein vierstöckiges Haus, mit Töpfen und Schüsseln, die an Schwimmbecken erinnerten, Riesenmesser und Bücher, auf denen ganze Waldwiesen Platz gefunden hätten.

Die Fremdlinge begriffen nicht, wozu lebende Geschöpfe ein so riesiges Gebäude errichtet haben mochten. Unwillkürlich krochen sie vor Überraschung in sich zusammen. In der Kindheit hatten sie natürlich Märchen gelesen. Deshalb war das erste, was ihnen in den Sinn kam, die Vermutung:

„Vielleicht hat hier ein Menschenfresser gehaust?" Mit Hilfe der Sklaven schlugen die Menviten eines der Bücher von Hurrikap auf, denn sie hofften, darin eine Erklärung zu finden.

Doch so sorgfältig die Fremdlinge auch die Seiten umblättern mochten, sie fanden nichts außer sauberem Papier, denn der Text war von den Bogen verschwunden. Wie konnten die Menviten ahnen, daß das in der Absicht des guten Zauberers gelegen hatte: Wenn sich Feinde näherten, zeigten die Bücher nicht mehr, was in ihnen geschrieben stand. So verloren die Menviten rasch jedes Interesse an ihnen. Bei der Besichtigung der Gemächer, der Möbel und der Haushaltsgeräte staunte KauRuck:

„Ob auf Belliora wirklich Riesen leben, die all diese Gegenstände benutzen können?" Er versuchte sogar, sich in Hurrikaps Sessel zu setzen. Dafür mußten die Arsaken allerdings einander auf die Schulter klettern und eine lebendige Treppe bilden, über die der Pilot in den Sessel gelangte. An die steinharte Lehne gedrückt, fühlte er sich ebenso unglücklich, wie vor dem riesigen steinernen Standbild eines Fabeltiers. Auf Rameria gab es viele solche Skulpturen. Sie waren ein Teil der uralten arsakischen Kultur. Nachdenklich sagte der Pilot zu den Fliegern, die ihn erwartungsvoll anstarrten: „Wenn die Erdenbewohner von so einem Riesenwuchs sind, daß sie in dem Sessel hier Platz finden, sind wir Menviten einfach Zwerge im Vergleich zu ihnen." KauRuck empfand miteins die Komik der Situation.

Er dachte bei sich: Ich werde Baan-Nu erfreuen. Hier müßte eigentlich noch ein Gespenst her, als Zuschuß zum Schloß. Doch als der Pilot an die kleinen Häuschen dachte, die er auf dem Bildschirm des Sternschiffs gesehen hatte, fand er, daß man den General wohl kaum mit einer Schloßruine schrecken könne.

Die Kundschafter setzten ihren Weg fort. Unter dem Eindruck des Geschauten wurden sie immer verzagter.

Ihre Stimmung besserte sich erst wieder, als sie den finsteren Wald verließen und auf eine freundliche Waldwiese traten, der sich eine zweite und eine dritte anschlossen.

Rundum breiteten sich grüne Wiesen aus mit riesigen rosa, weißen und blauen Blumen, die an Glockenblumen erinnerten. Winzige Vögel flatterten durch die Lüfte, sie waren kaum größer als Hummeln und besaßen ein ungewöhnlich buntes Gefieder. Sie jagten Insekten.

Zottige Hummeln in ihren braungelb gestreiften Fellchen summten ihr ewiges, eintöniges Hummellied. Rotbrüstige und goldgrüne Papageien verkündeten mit kehligen Stimmen das Nahen des Morgens. Sie blickten die Außerirdischen mit klugen Augen an. Wenn die Menviten gewußt hätten, daß die Papageien tatsächlich miteinander sprachen, hätte ihre Verwunderung keine Grenzen gekannt.

Die Papageien riefen nämlich einander zu:

„Wacht auf, wacht auf, was für ein herrlicher Morgen!"

„Was sehe ich da, was sind das für Menschen?" fragten die anderen verblüfft. In den klaren Bächen tummelten, sich Schwärme flinker, silbernglänzender Fische.

Die Außerirdischen waren begeistert: „Wenn ganz Belliora so ist, wie das, was wir hier sehen, wäre es herrlich!"

DIE VOGELSTAFETTE

Die Fremdlinge, die zur Nachtzeit in der Nähe des verlassenen Schlosses gelandet waren, wo sich im Umkreis von vielen Meilen keine einzige menschliche Wohnstätte befand, fühlten sich völlig in Sicherheit, so als seien sie nicht auf Belliora, sondern bei sich daheim auf Rameria. Ihr Lager in der Nähe der Wohnstätte von Hurrikap hatten sie nicht von ungefähr Ranavir genannt, was in der Sprache der Menviten sichere Wohnstatt bedeutete. Die menvitischen Zauberer, die die Menschen zu Sklaven machten, glaubten so fest an ihre Macht, daß sie überzeugt waren, die Ereignisse könnten sich nur so entwickeln, wie sie selbst es wünschten. Sie ahnten dabei nicht, daß sich die Ereignisse im Zauberland bereits entwickelten, aber ganz und gar nicht so, wie das die Fremdlinge wünschten.

Auf vieles hatte kein anderer wesentlichen Einfluß genommen, als der Herr dieses gigantischen Schlosses. Der Zauberer Hurrikap war zwar verschwunden, doch Zauberei geht niemals spurlos verloren. Allein die menschliche Sprache, die Hurrikap den Vögeln geschenkt hatte! Sie hörten den Menschen aufmerksam zu, waren über alle Geschehnisse unterrichtet und trugen mit Liedern und Gezwitscher die Neuigkeiten in alle Winkel des Zauberlandes. Da sie einander verstanden, waren Vögel und Menschen gute Freunde. Die Menschen rührten die Bewohner der Felder und Wälder nicht an, und jene erwiesen ihnen ihrerseits unschätzbare Dienste. Sie brachten ihnen im rechten Augenblick wichtige Nachrichten und warnten sie stets vor Gefahren. Auch jetzt interessierten sich vor allem die Vögel für die Außerirdischen. Während sich die menvitischen Kundschafter an den Naturschönheiten von Belliora erfreuten, flatterten die gefiederten Waldbewohner von Baum zu Baum, und das nicht nur deshalb, weil sie sich von Würmern und Käferchen ernährten.

Dem Piloten Kau-Ruck erschien der Gedanke absurd, dennoch war ihm, als ob die Vögel sie beobachteten. Er bemerkte, daß sie nicht ziellos umherflatterten. Sie schienen vielmehr in irgendeine allgemeine Bewegung einbezogen, als handelten sie nach einem bestimmten Plan. Sie bezeigten Interesse für die Fremdlinge und flogen um sie herum, als suchten sie etwas auszukundschaften. Die Außerirdischen dachten zunächst, daß das

Einbildung sei. Doch aus den Schnäbeln der Vögel erklangen einzelne seltsame Wörter wie Katschi-Katschi, Kaggi-Karr, Scheuch.

Die Menviten hatten, obgleich sie Zauberer waren, keine Vorstellung von der Vogelpost. Doch schon am ersten Morgen nach ihrer Ankunft auf der Erde verbreitete sich durch die schattigen Wälder eine alarmierende Kunde. Hier und dort wippten die Zweige. Von Baum zu Baum, von Nest zu Nest flogen und hüpften die aufgeregten lauten Boten.

„Steht auf! Steht auf!" Laut weckten sie alle, die noch nicht erwacht waren. „In unserem Land sind Unbekannte erschienen", pfiffen und zwitscherten Lerchen und Spottdrosseln in vielstimmigem Chor, hastig die einen, gemächlich die anderen. „Sie steigen aus einer riesigen Maschine. Sie machen sich am alten Schloß zu schaffen. Sie haben eine Kiste gebaut, aus der sie Wasser holen."

Die Fremdlinge erinnerten so stark an die Landsleute von Elli, daß die Vögel sie zuerst für Menschen von jenseits der Berge hielten.

„Grüßt euch! Seid ihr aus Kansas?" fragten die Vögel, doch die Fremdlinge antworteten nicht.

Als der Morgen graute, machten sich die Außerirdischen an die Arbeit. Die Astronomen errichteten auf einem Hügel ein großes Teleskop, die Botaniker untersuchten die Pflanzen und die Geologen den Boden. In Wirklichkeit machten die ganze Arbeit natürlich die Arsaken. Die Menviten trieben sie nur mit Rufen und Befehlen an. Auf Anordnung von Baan-Nu begannen die Arsaken mit der Renovierung des unbewohnten Schlosses. Der Zauberer Hurrikap hatte seinen Palast in einem einzigen Augenblick errichtet. Doch seine Zauberkunst hatte der Prüfung durch die Jahrhunderte standgehalten, und es brauchte nur wenig instandgesetzt zu werden. Fensterglas mußte eingesetzt, das Dach repariert, hier und dort der Fußboden ausgebessert, die Wände und die Decke mußten frisch gestrichen werden.

Plaste stellten die Außerirdischen sofort aus den mitgebrachten Mischungen her. Sie kochten sie in Bottichen. Sie gaben sich mit dem wenigen zufrieden, was sie vorfanden. Lehm, den sie der Mischung beigaben, hatten sie an den Weltumspannenden Bergen gefünden, und die Gefäße nahmen sie von Hurrikap.

Die aufgelöste zähe Masse wurde in den Fensterrahmen verteilt, sie erstarrte im Nu und bildete durchsichtiges Glas von zartblauer, gelblicher oder rosa Farbe. Durch dieses Glas, das in riesigen Kesseln gekocht wurde, konnte man, befand man sich in den Schloßräumen, alles sehen, blickte man von der Straße herein, sah man hingegen nichts. Selbsttätige Formmaschinen stanzten Platten, die an rote Dachziegel erinnerten. Mit ihnen wurde das Dach gedeckt.

Verputzer und Maler arbeiteten mit Zerstäubern, die zunächst Risse, abgeschlagene Stellen und Löcher mit Kitt verschmierten. Nach einiger Zeit trocknete der Kitt. Dann wurde er mit grauer Farbe überstrichen und war nicht mehr von Stein oder Felsen zu unterscheiden. Die Fremdlinge wollten das Schloß nämlich nicht reparieren, sondern ihm auch ein Aussehen verleihen, daß sie wenigstens teilweise an Rameria erinnerte. Auf Rameria hatten alle Häuser die Form von Felsbrocken mit bunten Fenstern. Die Arsaken arbeiteten schnell, doch die menvitischen Aufseher trieben sie zu noch größerer Eile an.

Ilsor leitete die Montage der Helikopter, deren Einzelteile in der „Diavona" lagen. Sie hatten einen kleinen Kerosinvorrat mitgebracht, doch die Geologen gedachten

Brennstoffvorräte auf Belliora zu erkunden und hatten die Arbeit bereits aufgenommen. Mehrmals schon hatten sie Proben gebracht, aber Ilsor hatte sie jedesmal abgelehnt. „Die Qualität muß besser sein", erklärte er den Geologen. In Wahrheit hatte Ilsor keine Eile, den Menviten zu helfen, denn er wußte, daß das mitgebrachte Kerosin nicht lange reichen würde. Er war bereits in der Nähe der Dörfer der Erzgräber und der Käuer gewesen und hatte gesehen, was für harmlose Menschen dort lebten. Die Vögel beobachteten tief in den Baumkronen verborgen die Außerirdischen, welche sich nach ihrer Ansicht unerklärlich benahmen. Die einen, von hohem Wuchs, mit stolz erhobenen Köpfen, herrischen Gesten und lauten Stimmen, deren Kleidung mit Orden bestickt war, befehligten die anderen, die in grüne, lose fallende Overalls aus grobem Gewebe, welches an Jutestoff erinnerte, gekleidet waren. In Größe und Kraft waren die Leute in den groben Overalls denen mit den Orden unterlegen. Sie hatten freundliche Augen und schienen den Vögeln sehr schutzlos.

Die Vögel lauschten den Unterhaltungen der Außerirdischen, konnten sie jedoch nicht verstehen. Sie dachten bei sich: Wie seltsam sie murmeln. So bemühten sie sich denn, herauszufinden, was in dem verlassenen Schloß vor sich ging. Ihre Aufmerksamkeit erregte ein Riesenungetüm, das an ein großes Haus mit runden Fenstern erinnerte und unter einem Netzteppich versteckt war. Einige Schwalben und Zaunkönige flogen, alle Vorsicht außer Acht lassend, nahe an das Sternschiff heran und mußten diesen Leichtsinn mit dem Leben büßen. Einer der hochgewachsenen Fremdlinge nahm einen Gegenstand zur Hand, der in der Form an eine längliche Taschenlampe erinnerte, wie die Vögel sie zwischen dem Feuerzeug, der Pistole und den anderen Sachen des Seemanns Charlie gesehen hatten. Der Fremdling drückte auf einen Knopf, und ein unerträglich heller Strahl flammte auf, der im selben Moment die Vögel verbrannte.. Die Schwalben fielen tot zur Erde, ohne ihre Nester in den Bergschluchten zu erreichen. Die Zaunkönige, die besser laufen als fliegen können, hüpften flink ins Gebüsch, doch das schreckliche Licht verbrannte sie zusammen mit dem grünen Laubwerk. Die schnellen Vögel konnten nur noch einen letzten Schrei ausstoßen, der dem Ton einer Flöte oder dem Lied eines Menschengeschöpfes ähnelte. Es war jenes Lied, für das die Zaunkönige seit Jahrhunderten auch Orgelspieler genannt werden. Die gefiederten Kundschafter wußten zwar nicht, daß sie eine Strahlpistole gesehen hatten, doch sie wußten nun immerhin, was sie von den ungebetenen Gästen zu erwarten hatten. Fortan verbargen sie sich im Wald, ließen sich nicht mehr blicken und machten ihre Beobachtungen in der Nähe des Schlosses mit größter Vorsicht. Wie auf Verabredung fanden sich die Vögel schließlich auf den Zweigen einer weitausladenden Eiche ein und hielten Rat, was sie weiter unternehmen sollten. Sie beschlossen, umgehend eine Meldung in die Smaragdenstadt weiterzugeben. Der im Laufe der Jahre immer weiser gewordene Papagei Katschi schrieb in dieser Meldung: „Hochverehrter Gebieter Scheuch! Ich melde ein Ereignis von außerordentlicher Bedeutung. Vielleicht bin ich im Alter über die Maße vorsichtig geworden, doch ich habe den Eindruck, daß uns gegenwärtig eine viel größere Gefahr droht, als seinerzeit durch den Krieg mit der Riesin Arachna. Fremdlinge sind in unser Land eingedrungen und haben sich in der Nähe des Schlosses von Hurrikap niedergelassen. Sie besitzen eine riesengroße Maschine mit runden Fenstern, in die sie aus- und einsteigen. Das wichtigste aber ist, sie haben Stablampen, die nicht leuchten, sondern töten, denn sie verbrennen alles.

Unsere mutigsten Kundschafter, die Schwalben und Zaunkönige, sind ihnen bereits zum Opfer gefallen. Laß Dir dies alles durch den Kopf gehen, oh Gebieter. Wenn Gefahr droht, muß man etwas unternehmen!"

Der Goldspecht lernte den Text auswendig und flog nach Nordosten zur Smaragdenstadt. Er flog so rasch es seine Kräfte erlaubten. Sein goldenes Gefieder lohte am blauen Himmel wie eine Feuerflamme. Nach ein paar Meilen übermittelte er dem Eichelhäher Wort für Wort den Text. Der breitete mit frischer Kraft seine Schwingen wie ein Segel aus, gab die Worte des weisen Katschi einem anderen Vogel weiter und so setzte sich die gefiederte Stafette fort.

Die Verdienste der berühmten Kaggi-Karr, die die Vogelstafette erfunden hatte, waren im Lande Hurrikaps allgemein bekannt. Der Strohscheuch, der ihre Ratschläge befolgt hatte, hatte seinerzeit vom Zauberer Goodwin, dem Großen und Schrecklichen, ein Gehirn erhalten und war zum Gebieter über die Smaragdenstadt bestellt worden. So hatte es der falsche Zauberer Goodwin angeordnet, bevor er das Zauberland verließ. Der Scheuch hatte die Krähe für ihre vielen nützlichen Vorschläge mit einem Orden ausgezeichnet, auf den sie sehr stolz war und weshalb sie sich für den wichtigsten Vogel im Staate, für die Königin der Krähen hielt.

Es war nur wenig Zeit vergangen, und die Haubenlerche, die ihren Namen wegen der zwei langen schwarzen Federn erhalten hatte, die ihr Köpfchen schmückten, langte am Tor der Smaragdenstadt an.

EIN WICHTIGER BESCHLUSS

Faramant, der am Tor Wache hielt, konnte gar nicht so schnell die grünen Brillen verteilen, wie sie gefordert wurden. Sie reichten zu dem auch nicht aus, obwohl mehrere Körbe bereit standen. Zu groß war die Zahl der Besucher, die in die Smaragdenstadt drängten.

Die ersten Nachrichten über die ungewöhnlichen Ereignisse, die sich in den Bergen abspielten, hatte der Läufer überbracht, der Urfin bei der Ernte half. Dann kam die Lerche, und als letzte marschierten die Käuer an. Zu diesem Zeitpunkt erschienen auch andere Einwohner aus allen Gegenden des Zauberlandes. Allgemeine Unruhe machte sich breit.

Die Haubenlerche übermittelte der Krähe Kaggi-Karr die Nachricht des weisen Katschi. Verängstigt berichteten die Käuer vom Heulen in den Bergen und vom gelben Feuer. Aufgeregt riefen sie durcheinander „Es war eine rote Kugel!" „Nein, eher ein Meteor!" „Das war doch kein Meteor! Er hat so scheußlich geheult!"

Nachdem Kaggi-Karr aufgeregt alle angehört hatte, machte sie sich umgehend auf zum Scheuch. Sie fand den Gebieter im Thronsaal, der jetzt Bibliothek hieß. Die Bibliothek war ebenfalls eine Erfindung des Scheuchs. Von Elli hatte er seinerzeit gehört, daß es einen Ort gibt, an dem Bücher aufbewahrt und gelesen werden. Später hatte der Scheuch in Goodwins Schatzkammer hinter dem Thronsaal zwischen Märchenvögeln, -fischen, -tieren, neben der Seejungfrau und anderen Wundertieren, die der große Betrüger benutzte, wenn er sich verwandelte, ein paar Bücher entdeckt. Etliche Bücher fanden sich auch in Ellis Wohnwagen. Natürlich waren es zu wenige für eine richtige Bibliothek. Aber sie fanden Platz auf zwei Borden, die der Scheuch selbst mit Nägeln an der Wand befestigte.

Da kamen ihm die Zwerge zu Hilfe. Sie brachten ihre . vielbändige Chronik, die alle Bücherborde in der Schatzkammer hinter dem Thronsaal füllte. Die Bücher im Zauberland erwiesen sich als echte Schätze.

Ihre geringe Anzahl wurde durch jene Leidenschaft aufgewogen, mit der der Gebieter der Smaragdenstadt las.

Als interessanteste unter den aufgefundenen Schätzen erwies sich die „Enzyklopädie". Dort stand viel Interessantes über die Dinge geschrieben, die die Bewohner des Zauberlandes umgaben und über alle möglichen Gegenstände, darunter über Sachen, die der Scheuch niemals gesehen hatte, wie Autobus, Leuchtfeuer, Theater. Der ausdauernde, fleißige Gebieter bildete sich stundenlang weiter. Zeit dafür besaß er genug, denn er brauchte weder zu essen noch zu trinken oder zu schlafen. Gerade diese Dinge aber bereiten den Menschen in der Großen Welt so viele Scherereien. Das Gehirn aus Sägespänen, vermischt mit Näh- und Stecknadeln, diente seinem Herrn schon viele Jahre getreulich. Es gab ihm kluge Gedanken ein und regte ihn zu weisen Taten an, weshalb die Untertanen ihm den Titel Dreimalweiser Scheuch verliehen hatten.

Seitdem dem Dreimalweisen die Enzyklopädie in die Hände gefallen war, wurde der Kopf des Scheuchs regelrecht zu einem Sammelbecken aller möglichen Kenntnisse, und er nannte sich selbst voller Stolz En-zy-klo-pä-dist. Er hatte eine Schwäche für lange gelehrte Wörter und sprach sie, um ihre Bedeutung zu unterstreichen, gern silbenweise aus.

Wer, wenn nicht der Scheuch, mußte eine Erklärung geben können für die Ereignisse jener rätselhaften Nacht. Nachdem der Scheuch die Meldung der Krähe entgegengenommen hatte, erfaßte ihn eine große Unruhe, und er beschloß, umgehend in der Bibliothek den Kriegsrat einzuberufen. Außer dem Gebieter gehörten ihm der Langbärtige Soldat Din Gior an, in Kriegszeiten Feldmarschall, der Hüter des Tors Faramant, der Eiserne Ritter Tilli-Willi und die oberste Leiterin des Nachrichtenwesens Kaggi-Karr. Am Rat nahm auch der Gebieter des Violetten Landes, der Eiserne Holzfäller, teil, der gerade bei seinem Freund zu Gast weilte.

Tilli-Willi, der sich eigentlich in den Saal hätte zwängen können, blieb lieber auf der Erde vor dem Schloß sitzen; sein Kopf reichte gerade bis ans geöffnete Fenster im ersten Stock.

Der Eiserne Ritter war nach menschlicher Rechnung erst ein paar Jahre alt - das reinste Kleinkind. Doch die wunderbaren Schöpfungen des Zauberlandes entwickeln sich wesentlich schneller. Deshalb stand Tilli-Willi mit seiner Auffassungsgabe hinter keinem Schüler der zweiten Klasse zurück. In der Technik kannte er sich nicht schlechter aus als Lestar persönlich, der hervorragende Meister des Zauberlandes. Der kleine Tilli-Willi erinnerte sich so deutlich seines Schöpfers, des Seemanns Charlie, daß er immerfort Sehnsucht nach ihm empfand. Deshalb war ihm jeder Anlaß recht, um über den Seemann zu sprechen. Er wurde dann gleich fröhlicher, denn es kam ihm vor, als habe er Vater Charlie persönlich getroffen.

Ehrlich gesagt, hatte der Einbeinige Seemann, als er Tilli-Willi für den Kampf gegen die Zauberin Arachna schuf, ein Ungeheuer gebaut. Er hatte dem Eisernen Ritter ein ungewöhnlich bösartiges Antlitz gegeben, wie es nur der kleine Gott von der Kuru-Kussu-Insel besaß. Doch wenn der Riese auch schreckliche Hauer aufwies und seine Augen fürchterlich schielten, so besaß er ein freundliches Lächeln und blickte ganz und gar nicht feindlich. Der Riese hatte ein gütiges Herz, weshalb ihn keiner fürchtete. Er

trieb Späße mit den kleinen Kindern, ließ sie auf seinen Schultern reiten, und sie quietschten vor Vergnügen. Die Kinder liebten Tilli-Willi und beachteten deshalb nicht seine riesigen weißen Hauer, so wie man bei Angehörigen und Freunden, bei allen, die man gern hat, über manche äußeren Mängel hinwegsieht. Tilli-Willi betrachtete die Ratsmitglieder freundlich durch das offene Fenster. Am meisten erschreckte alle die Nachricht vom Tode der Vögel durch einen einzigen Feuerstrahl, der lautlos aus einer Stablampe gekommen war. Das war ein unerklärliches Phänomen, von dem bislang keiner gehört hatte. Der Scheuch sprach

„Mit den Besitzern dieser schrecklichen Waffe müssen wir ganz besonders vorsichtig sein."

Der Eiserne Holzfäller fragte:

„Was ist bloß geschehen? Woher kommen diese Leute?"

„Gelbes Feuer, das heult", krächzte Kaggi-Karr. Der Gebieter winkte ab „Wartet, wartet mal!" Er begann in seiner geliebten Enzyklopädie zu blättern: „Meteor, Kugel, Feuer, Heulen, Donner". Halblaut las er die Stichwörter.

„Vielleicht sind sie zufällig herbeigeflogen wie seinerzeit Elli mit ihrem Häuschen? Vielleicht hat sie ein Sturmwind hierher geweht?" mutmaßte der Eiserne Holzfäller.

„Sturmwind, Haus", las der Scheuch. Er sah unter den Worten „Vulkan" und „Erdbeben" nach. Dann schüttelte er den Kopf „Nein, das paßt alles nicht."

Der Torhüter hatte eine Idee: „Man müßte sich diese Maschine mit aller Vorsicht genauer ansehen."

„Das will ich gerade tun", erwiderte der Scheuch gewichtig und ging zu dem Zauberkasten, dem Fernseher, den ihm einstmals die Fee Stella geschenkt hatte. „Ich glaube, dieser Kasten wird uns jetzt den größten Dienst erweisen." Das Fernsehgerät stand im Thronsaal auf einem besonderen Tischchen, rechts und links von ihm waren auf Borden die Bücher angeordnet.

„Birelija-turelija, buridakl-furidakl, es röte sich der Himmel, es grüne das Gras. Kästchen, Kästchen, zeig uns das: Was geht an Hurrikaps Schloß vor?" Der Bildschirm leuchtete auf. Vor den verblüfften Zuschauern erschienen die Fremdlinge. Sie sahen genauso aus, wie die Lerche gemeldet hatte. Mit überheblichen Gesichtern schritten sie auf und ab und erteilten mit scharfen Stimmen den sich untertänigst vor ihnen verneigenden Menschen mit sympathischen Gesichtszügen Anordnungen. Die Versammelten hätten gern die Unterhaltung der Fremdlinge belauscht, doch sie unterhielten sich in einer fremden Sprache. Der Scheuch und seine Freunde bemerkten auf dem Bildschirm ein buntes durchsichtiges Netz. Als sie es genauer betrachteten, erkannten sie unter dem Netz ein dunkles Ungetüm mit einer runden Tür an der Seite, zu der eine lange Treppe führte. Faramant wollte wissen:

„Wie ist dieses Ungetüm bloß in unser Land gekommen? Auf keinen Fall vom Himmel. Vom Himmel konnte es nicht fallen", fügte er überzeugt hinzu, „dazu ist es zu schwer." „Was ist dann aber geflogen und hat so laut geheult?" fragte Din Gior. „Laßt mich nachdenken", bat der Scheuch, „ich werde dieses Rätsel lösen." Der Scheuch begann gründlich zu überlegen, und wieder traten durch diese Anstrengung die Nähnadeln und die Stecknadeln aus seinem Kopf; in solchen Augen-blicken zeichnete sich der weise Gebieter durch eine ungewöhnliche Klarsicht aus. Nach langem Sinnen sagte der Scheuch:

„Ein seltsamer Gegenstand. Es ist kein Wagen, denn ihm fehlen die Räder. Es ist kein Boot, denn in der Nähe von Hurrikaps Schloß gibt es keinen Fluß. Es ist kein Meteor, denn der fliegt, heult aber nicht. Ich glaube, es ist ein fliegendes Schiff. Mit ihm sind diese seltsamen Leute hier gelandet!"

„Ruhm dem Dreimalweisen Scheuch! Ich schwöre bei allen Sturmwinden der südlichen Meere!" sprach TilliWilli ganz leise, doch das genügte, damit alle Glasscheiben in den Schloßsälen klirrten. Keiner wunderte sich, aus dem Munde des Eisernen Buben das Seemannswort, das in dieser Zaubergegend so ungewöhnlich war, zu vernehmen. Tilli-Willi hatte zwar niemals das Meer gesehen, aber er hatte die Aussprüche von seinem Schöpfer, dem Seemann, gehört, damals, als der Einbeinige Charlie das Ungetüm baute. Sie hatten sich in Tilli-Willis Riesenkopf festgesetzt, und er benutzte sie des öfteren. „Ich schwöre bei allen Zauberinnen und Hexen! Maste und Segel! Wind und Wellen! Möge mein Schiff im ersten Sturm zerschellen! Treffe mich der Donner!", kam es stets von den Lippen des Eisernen Ritters, sobald er seinen Mund öffnete. Der Scheuch fuhr fort:

„Woher die Fremdlinge stammen, das weiß ich nicht. Keinesfalls aus Kansas. Wenn es in Kansas solche Menschen gäbe, hätte uns Elli von ihnen erzählt." „Wir müssen zunächst alles sehr gründlich auskundschaften", sagte die Krähe, „dann können wir beschließen, was wir tun."

„Dieser Kundschafterdienst ist gefährlich", warnte der Eiserne Holzfäller. „Die Fremdlinge sind auf der Hut. Nicht von ungefähr töten sie harmlose Vögel." „Unsere Kundschafter müssen klug und geschickt sein und dürfen vom Feind auf keinen Fall bemerkt werden", stimmte ihr der Scheuch zu. Kaggi-Karr meinte „Ich kenne keinen, der so hervorragend dafür geeignet wäre, wie die Zwerge." Der Scheuch hatte ein übriges Mal Gelegenheit, den Verstand der Krähe zu bewundern. Alle stimmten ihm zu. „Wir müssen umgehend die Zwerge benachrichtigen. Ich will zu ihnen in die Schlucht fliegen." Kaum hatte Kaggi-Karr ausgesprochen, da klirrten wieder die Fensterscheiben.

„Tausend Teufel!" ließ sich Tilli-Willi vernehmen. „Wir machen's so: Ich gehe zu den winzigen Zwergen, packe so viele wie gebraucht werden ein und bringe sie zum Schloß. Dafür brauche ich sehr wenig Zeit. Ich schwöre es bei den Kuru-Kussu-Riffen und dem Anker!"

Die Ratsmitglieder billigten den Vorschlag des Riesen ohne Einwände: Man hätte kaum etwas Besseres ersinnen können. Der Eiserne Ritter schritt mit einer Geschwindigkeit von vierzig Meilen in der Stunde aus. Außerdem brauchte er ebenso wenig wie der Scheuch und der Eiserne Holzfäller Rast und Schlaf. Er konnte also pausenlos laufen. Die Reisevorbereitungen nahmen nicht viel Zeit in Anspruch: Tilli-Willi suchte sich einen Korb mit weichem Moos und ließ sich für alle Fälle gründlich die Gelenke ölen. Dafür wurde eine ganze Tonne Maschinenöl verbraucht. Dann machte sich der Eiserne Ritter über die gelbe Backsteinstraße auf den Weg.

DER GEKRÄNKTE URFIN

Das Schmausefest wurde in diesem Jahr wegen der J außergewöhnlichen Ereignisse abgesagt. Seit sich die Fremdlinge im Zauberland niedergelassen hatten, war das so

idyllische Leben der Einwohner gestört. Die Zwinkerer fingen an schlecht zu schlafen, weil sie vor Aufregung so häufig zwinkerten, daß ihnen die Augen vor dem Einschlafen überhaupt nicht mehr zufielen.

Die Käuer hörten auf zu essen. Sie kauten nur noch und vergaßen, das Essen zu schlucken. Was wäre das für ein Schmausefest geworden! Keiner hatte mehr Sinn dafür. Urfin kränkte das natürlich furchtbar. Er glaubte, alle hätten den guten alten Urfin Juice vergessen.

So eilte er heimwärts, um sich in aller Ruhe anzusehen, was in den Bergen so grauenerregend heulte. Im Schatten der Nacht betrachtete er das Schiff der Außerirdischen, das an ein Riesenhaus mit runden Fenstern erinnerte. Dann gab er sich wieder seinen traurigen Gedanken hin. Kaum sind irgendwelche Leute von einem anderen Stern gekommen, da interessiert sich keiner mehr für einen einfachen Gärtner, dachte Urin beleidigt. Dann esse ich eben allein all mein Obst. „Bring mal die Dattelmelone her", wandte er sich an Guamoko. „Sollen die sich doch untereinander bekriegen, wir feiern jetzt unser Fest!"

Die weise Eule rollte die Wundermelone herbei. Sie war fünfmal größer als die arme Guamoko. Urfin schleppte einen Tisch aus dem Haus und hob die Wunderfrucht unter Aufbietung all seiner Kräfte darauf.

Als Urfin die Melone mit einem großen Messer zerteilte, rann der aromatische Saft in großen Tropfen an den Scheiben entlang, und Guamoko lief das Wasser im Schnabel zusammen.

Sie setzten sich an den Tisch und machten sich über die zuckersüße, saftige Frucht her. „In diesem Jahr hast du dir ganz besonders Mühe gegeben", lobte die Eule schließlich, als sie die Melone verzehrt hatten. „So eine süße Melone habe ich noch nie gegessen!" Diese Worte klangen wie Musik in Urfins Ohren, doch er antwortete nicht. Kaum war er unter seine Bettdecke geschlüpft, da schlief er auch schon ein. Was träumte er bloß alles in dieser Nacht: Ganze Heere von Außerirdischen bedrängten von allen Seiten sein Haus mit dem Garten, streckten ihre langen abscheulichen Fangarme nach ihm aus und kreischten

„Wo steckt dieser Urfin, wir wollen ein Schmausefest!"

Um den Fremdlingen nichts abgeben zu müssen, begann Urfin eine Melone nach der anderen zu verschlingen. Die treue Guamokolatokint rollte immer neue herbei. Urfin hatte bereits so viele in sich hineingestopft, daß er sich nicht mehr rühren konnte. Da zerteilte die Eule selbst eine Melone und schoß ihm die Scheiben in den Mund. „Ich platze doch!" schrie Urfin und erwachte.

Der Gärtner lief in den Hof, doch dort war alles still. Weit und breit waren keine Außerirdischen zu sehen, und auf dem Tisch lagen friedlich die Reste der Wundermelone. Guamoko saß neben den Melonenschalen auf dem Tisch. Das eine Auge hatte sie schon geöffnet. Als sie ihren Herrn sah, stellte sie sich jedoch sofort schlafend. Denn Urfin zwang sie stets am Morgen zu irgendwelchen Handreichungen. Sie mußte die Raupen aufpicken oder die Vögel aus dem Garten verscheuchen. Doch jetzt hatte der Gärtner keinen Blick für die Eule. Er richtete seinen Schubkarren her, reparierte ihn an verschiedenen Stellen, wischte ihn aus und belud ihn mit Obst. „He, Guamoko, hör auf, dich zu verstellen", brabbelte er verdrossen. „Ich sehe doch, daß du ein Auge offenhältst." Die Eule antwortete beleidigt: „Das hat gar nichts zu sagen, ich schlafe."

„Wie du willst, dann gehe ich halt allein." Und Urfin schob den Schubkarren an. „Eilst dich umsonst, lieber Herr, das Fest zu Ehren deiner Früchte findet sowieso nicht statt. Die Zeiten sind nicht danach", rief ihm Guamoko nach, ohne die Augen zu öffnen. Urfin wußte, wohin er seine Schritte richten mußte. Allen Einwohnern des Zauberlandes vom Norden bis zum Süden und vom Westen bis zum Osten war bekannt, daß sich die Fremdlinge in Hurrikaps Schloß niedergelassen hatten.

DIE ZWERGE ALS KUNDSCHAFTER

Ein Tag folgte dem anderen, die Arsaken hatten bereits aufgehört, sie zu zählen. Sie werkten unermüdlich und rechneten die Zeit nach der Anzahl der vermauerten Ziegelsteine, der Tiefe der angelegten Brunnen und der Zahl der gefällten Bäume. Von früh bis spät leitete Ilsor die Bauarbeiten und bediente zwischendurch noch seinen General.

Die Reparaturwerkstätten waren errichtet, die Montage der Wetterwarte und die Montage der Flugmaschinen ging ihrem Ende entgegen.

Die kleinen aber schnellen Helikopter sollten nur nachts eingesetzt werden. Dank einer neuen geräuschlosen Konstruktion vernahm man, wenn sie flogen, nur ein leises Surren, wie Insekten es von sich geben, wenn sie ihre Flügel ausbreiten. Wer würde in der Dunkelheit schon undeutliche, geflügelte Silhouetten beachten, die surrend zwischen den Wolken am Himmel dahinglitten? Schlimmstenfalls würde man sie für Nachtvögel halten, die auf Jagd ziehen...

Bisweilen kontrollierte Baan-Nu persönlich die Arbeiten. Dann folgte Ilsor unhörbar wie ein Schatten seinem Herrn, reichte ihm dienstbeflissen Notizbuch und Bleistift und berichtete untertänig vom Verlauf der Arbeiten. Er erklärte, warum einige Korrekturen an den ursprünglichen Plänen vorgenommen werden mußten. Auf Ilsors Weisung wurden Startplätze für die Helikopter angelegt. Es waren denkbar einfache und deshalb zuverlässige Anlagen. Eigentlich gar keine Anlagen, sondern gerodete runde Waldwiesen. Der Wald wurde einfach kahlgeschlagen. In der Mitte so eines Kahlschlags stand der Helikopter. Er wurde mit einem Tarnfilm zugedeckt, einer riesigen Farbfotografie, die von der Gegend angefertigt worden war, bevor man Bäume und Sträucher gefällt hatte. Dieser Tarnfilm hob und senkte sich bei der leisesten Windbewegung, was ihn dem Walddickicht täuschend ähnlich machte. Wenn man an einer Schnur zog, wurde der Tarnfilm abgeworfen, und der Helikopter kam zum Vorschein.

Der Tarnfilm diente aber nicht nur zur Tarnung. Er schützte den Helikopter auch vor den glühendheißen Sonnenstrahlen und bei schlechtem Wetter gegen Regen. Neben jeder Startwiese war ein Zelt für die Piloten aufgestellt, wo sie sich in den Ruhepausen zwischen den Flügen bei einer Tasse Tee erfrischen konnten. Baan-Nu war mit Ilsor zufrieden. Die Arbeiten unter Leitung des klügsten und gehorsamsten der Arsaken lief wie am Schnürchen. Die Arbeiter vollbrachten wahre Wunder.

Außer der Aufsicht über die Arsaken hatten die Menviten noch eine andere Aufgabe. Sie begannen jeden Tag mit sportlichen Übungen. Sie übten sich im Laufen und Springen, sie turnten am Reck und veranstalteten Ballspiele auf den Wiesen, wobei sie das seidige Gras von Hurrikap und die weißen, rosa und blauen Zauberblumen achtlos niedertraten. Sie führten auch Wettkämpfe durch, während sie sich zum Kampf gegen

die Erdbewohner rüsteten. Ein Wettkampf, den die Außerirdischen besonders liebten, war der Muskelwettstreit. Als Sieger gingen diejenigen aus ihm hervor, die am besten trainiert waren: Ihre Muskeln mußten wie Bälle unter der Haut spielen, sie mußten sich überhaupt durch erstklassige Körperbeherrschung auszeichnen. Baan-Nu verbrachte seine Zeit hauptsächlich im Schloß. Die Renovierung von Hurrikaps Wohnstätte ging dem Ende entgegen. Die Privatgemächer des Generals und sein Arbeitszimmer sowie die Wohnzimmer für die übrigen Menviten waren längst fertig. Man hatte Kamine aufgestellt, so daß es nachts in den Räumen genau so warm war wie in den Häusern auf Rameria. Die Menviten brauchten nun nicht mehr zu frieren.

Der General zog sich gern mit seiner roten Aktentasche, die er nach wie vor nicht aus der Hand gab, in sein Arbeitszimmer zurück.

„Nun, da ich auf dem von Dir gewiesenen Wege wandle, oh Großer Guan-Lo..." Das waren die Worte, mit denen Baan-Nu Tag für Tag die Arbeit an dem historischen Werk „Die Eroberung der Belliora" fortzusetzen pflegte. „Wie viele Tage wird Belliora nun schon das große Glück zuteil, daß die besten Vertreter von Rameria unter Führung des würdigsten aller Generale, Baan-Nu, auf ihr weilen!"

Wenn der General so bemerkenswerte Worte niederschrieb, geriet er nicht einmal ins Schwitzen. Nachdem er die letzte Zeile noch einmal gelesen hatte, richtete er sich auf und nahm die Lieblingshaltung des Allerwürdigsten an: Er stützte das Kinn in die Hand und hob den Blick gen Himmel. Dann wischte sich Baan-Nu mit einem zarten Spitzentüchlein die Stirn, griff aufs neue zum Kugelschreiber und kam zum Bedeutsamsten: Wie er nämlich den fremden Planeten erobert hatte. In diesem Zusammenhang vergaß er übrigens nicht, auf die Beschreibung der Natur einzugehen.

Er schrieb über Belliora: „Ein duftender, blühender Garten, der paradiesischste Winkel, den man sich nur vorstellen kann."

Dann begann er mit seinen Gruselgeschichten. So finstere Wälder wie auf der Erde hatte er nämlich noch nie gesehen.

„Die Unterwerfung der Belliora muß mit der Vernichtung des Urwalddickichts, mit der Ausrottung der Wildtiere begonnen werden. Sie treiben sich haufenweise in den Wäldern herum, heulen, trompeten, miauen und bellen fürchterlich", schrieb Baan-Nu, überwältigt von seiner eigenen Phantasie. „Das Ganze hört sich an wie eine Sinfonie wilder Schreie. Und erst die Augen dieser Tiere! Sie wirken wie ganze Heere leuchtender grüner Feuer, die heller glänzen als die Smaragde auf den Türmen der wunderbaren Stadt. Solche Smaragde kennen wir bei uns nur von den Zeichnungen unserer Kinder."

Baan-Nu ließ seiner Phantasie ungehemmt ihren Lauf und beschrieb schreckliche Ungeheuer mit Riesenhauern und zottigen Tatzen, die ihm furchtbare Kämpfe lieferten. Selbstverständlich ging er stets als Sieger daraus hervor.

Kanonen, Kriegsschiffe und Befestigungen, so wie der General sie aus dem Sternschiff gesehen hatte, erwähnte er wohlweislich nicht. Dann hätte er schließlich auch von den militärischen Operationen berichten müssen, die er mit seinen tapferen Fliegern durchführte. Hier aber mußte er bei der Wahrheit bleiben und durfte nicht phantasieren. Über die Einwohner von Hurrikaps Land berichtete der General auch nichts, außer daß das Land von Riesen bewacht wurde. Den Kampf gegen einen dieser Riesen, dessen Wohnstatt die Menviten erobert hatten, begann Baan-Nu heute zu beschreiben. Er ließ sich gerade darüber aus, was dieser Riese für Töpfe besessen hatte, - jeder so groß wie ein Schwimmbad und was für Schränke - hoch wie ein vierstöckiges Haus, als jemand auf unverschämteste Weise ihm den Bogen Papier mit der Beschreibung dieses bedeutenden historischen Ereignisses aus der Hand riß und durchs offene Fenster verschwand. Der General war so frappiert über diesen frechen Diebstahl, daß er erst im letzten Moment das schwarze Vogelgefieder bemerkte. Vor seinen Augen hatten Ringe, mit Edelsteinen besetzt, gefunkelt, und der General hätte schwören mögen, daß er sie auf Vogelkrallen gesehen hatte. Aber er war sich dessen nicht so ganz sicher. Er war nicht einmal dazu gekommen, die Strahlpistole aus dem Tischkasten zu ziehen. Statt dessen nahm er nun einen sauberen Bogen Papier aus der Aktentasche, und sein Kugelschreiber glitt geschwind über das Papier: Baan-Nu schilderte seinen Kampf gegen einen furchtbaren Drachen, an dessen Krallen edelsteinbesetzte Ringe funkelten. Diese Episode mit dem Vogel dämpfte jedoch keineswegs das Triumphgefühl, das Baan-Nu erfüllte. Es war, als habe der General bereits alles auf Belliora erreicht, was zu erreichen er beabsichtigte, und alle Lebewesen besiegt.

Eine nicht unwichtige Rolle dabei spielte Baan-Nus übermäßig entwickelte Phantasie. Der neue Planet gefiel ihm immer besser, mit seinem Manuskript kam er gut voran, und so wuchs auch seine Selbstsicherheit zusehends. Der Menvite konnte sie beim besten Willen nicht verbergen, selbst wenn Ilsor mit Limonade oder Kaffee auf dem Tablett im Arbeitszimmer erschien. Immer herablassender klopfte der General seinem Diener auf die Schulter und fragte selbstzufrieden:

„Na, Ilsor, haben wir nicht gut daran getan, daß wir auf Belliora gelandet sind?" Beflissen entgegnete der Sklave:

„Die Meinung meines Herrn ist auch meine Meinung." Und er verneigte sich ehrfurchtsvoll.

Baan-Nu lächelte:

„Ja, Ilsor, ich weiß, du bist mir der treueste Diener." Der Anführer der Arsaken verbeugte sich erneut, um sein spöttisches Lächeln zu verbergen. Auch Ilsor machte sich Gedanken, doch nicht über die Verherrlichung des Rameria-Generals. Mehrmals schon hatte er die Grenzen von Ranavir verlassen, kaum daß Baan-Nu in den sorglosen Schlaf des Siegers gesunken war. Sieger schlafen nämlich früh ein. Eines Tages gelangte Ilsor auf seiner Wanderung bis in ein Dorf der Erzgräber. Auf leisen Sohlen näherte er sich einem Häuschen und blickte durchs Fenster. Er vernahm das Klappern des Webstuhls, das wie zarte Musik an sein Ohr drang, und erblickte den Weber, einen kräftigen, beweglichen Greis. Der Weber trat zu einem Hutzelweiblein, anscheinend seiner Frau, und reichte ihr einen leeren Topf. Er sagte etwas, offenbar ging es ums Nachtmahl. Wahrscheinlich liebte er seinen Webstuhl, doch das Essen vergaß er darüber nicht. Aufmerksam lauschte der Arsake der Unterhaltung der beiden Alten.

Der Weber sagte:

„Koch uns ein Hühnchen, Elvina, wir haben ja so viele." Elvina entgegnete:

„Es ist noch zu früh, sie zu schlachten. Sie sind doch so klein."

Wenn Ilsor wenigstens etwas von ihrer Unterhaltung verstanden hätte! Die Worte, die er vernahm, erschienen ihm nur wie leises Murmeln. Ähnlich empfanden die Vögel die Unterhaltungen der Außerirdischen. Der Anführer der Arsaken erkannte, was für eine hohe Barriere zwischen ihm und den Erdbewohnern aufragte. Wie soll man sich ohne Kenntnis der fremden Sprache miteinander verständigen? Heute nun verließ Ilsor das Schloß in einer anderen Richtung. Er ging zu den Weltumspannenden Bergen und gelangte zu Urfins Wohnstatt. Auch hier verstand er kein Wort von der Unterhaltung, die der Erdbewohner mit einer Eule führte. Doch er machte dafür eine andere erstaunliche Entdeckung: Der Erdbewohner und die Eule sprachen miteinander!

Verwundert überlegte der Anführer der Arsaken: Ob das ein abgerichteter Vogel war? Doch er schien nicht wie ein Papagei auswendig gelernte Wörter nachzuplappern. Der Vogel sprach. Der Vogel dachte also.

Tilli-Willi hatte inzwischen die Schlucht der Zwerge erreicht, die nach dem Tod der Zauberin Arachna als freie Menschen im Zauberland lebten. Ihre einzige Pflicht, die sie als angenehm empfanden, war, im Auftrag des Scheuchs die Chronik zu führen. Der Eiserne Ritter streckte sich in seiner ganzen Länge auf dem Erdboden aus. Er war zwar schwer, doch die Federn, die ihm der Seemann Charlie und die Meister aus dem Volke der Zwinkerer eingezogen hatten, funktionierten tadellos, Tilli-Willi konnte sich ohne Schwierigkeiten rasch hinlegen und genauso rasch wieder aufstehen, und keine Feder quietschte dabei.

So leise, wie er nur konnte, rief der Eiserne Ritter nach dem ältesten der Chronikschreiber:

„He, Kastaglio! Alter Freund! Donner und Blitz! Zwerge! Kommt aus eurer Höhle! Ich muß mit euch reden, freß mich der Hai!"

Die Zwerge ließen nicht auf sich warten. Sie umringten den Riesen, dessen Augen so gefährlich hin und her rollten, von allen Seiten. Tilli-Willi sprach zu den Zwergen

„Man erwartet von euch in der Smaragdenstadt einen wichtigen Dienst. Der Scheuch hält euch für die besten Kundschafter. Ihr sollt die Wahrheit über die Fremdlinge herausfinden."

„Der Wunsch des Dreimalweisen Scheuchs ist uns Befehl", ließ sich Kastaglio vernehmen. „Wir erfüllen diesen Auftrag aus freien Stücken. Wie können wir abseits stehen, wenn der Smaragdenstadt Gefahr droht?"

Im Handumdrehen waren die Gnome bereit. Sie nahmen keine Rucksäcke mit Kleidern und Fallen mit sich, um Hasen zu erlegen. Das alles würden sie kaum gebrauchen können. Sie wollten schließlich nicht auf Wanderung gehen, sondern sollten einen besonders wichtigen Auftrag erfüllen. Alles, was ihnen bei so einem Kundschafterdienst hinderlich sein konnte, mußten sie also daheim lassen. Sie beschlossen sogar, ihre Kleider unterwegs in den Bächen zu waschen. Selbst in friedlichen Zeiten ernähren sich die Zwerge bekanntlich am liebsten von Nüssen und Beeren. Die würden sie in den Wäldern sammeln. Nur Zahnbürste und Seife steckten die kleinen Kundschafter ein, denn sie waren sehr eigen. Vor allem aber vergaßen sie nicht, ihre grauen Kapuzenumhänge anzulegen. Wenn sich ein Zwerg von Kopf bis Fuß in so einen Umhang wickelte und sich zusammengerollt in eine Grube legte oder wie ein Pflock am Wegesrand aufragte, war er kaum von einem Schwefelstein zu unterscheiden, wie es sie so viele in den Hainen des Wunderlandes gab. Nicht von ungefähr pflegte Kastaglio zu wiederholen:

„Wir sind einfach unübertrefflich in der Tarnung." Mehrere hundert Zwerge, so viele, wie Platz fanden, kletterten in den mit weichem Moos ausgelegten Korb. Kastaglio hatte wie stets den Befehl übernommen. Der langbeinige Ritter legte in wenigen Minuten die große Entfernung zurück und brachte das scharfäugige Heer in den Wald zum verlassenen Schloß. Die Zwerge zerstreuten sich in alle Richtungen und drangen bald an verschiedenen Stellen auf das Territorium der Außerirdischen vor. Die Fremdlinge wußten es nicht, doch was auch immer die von den Menviten befehligten Arsaken tun mochten - ob sie Startplätze für die Helikopter bauten, Brunnen ausschachteten oder Essen zubereiteten -, überall beobachteten sie fortan aufmerksame Knopfaugen. Die Zwerge lugten aus dem Strauchwerk hinter den Steinen hervor, sie kletterten auf die verschiedensten Aggregate, die aus der „Diavona" ausgeladen wurden. Besonders mutige schlichen sich unter Leitung von Kastaglio sogar in das Raumschiff und untersuchten gründlich die gesamte Ausrüstung, ohne allerdings etwas von der Technik zu verstehen.

Mitunter hörten die Fremdlinge schlurfende Laute in ihrem Lager, doch selbst der aufmerksamste Menvite, der auf Posten stand, dachte bei sich, daß da irgendein Insekt mit den Flügeln surrte oder ein Käfer raschelnd vorüberkroch. Auf einen anderen Gedanken kam keiner.

Die Zwerge schrieben ihre Beobachtungen fein säuberlich auf winzige Papierstückchen nieder. Auch ihre Bleistifte waren winzig klein. Keiner außer den Besitzern hätte sie benutzen können.

Die Meldungen der Zwerge waren für die Vögel sehr leicht zu befördern. Umgehend brachten sie sie in die Smaragdenstadt. Kastaglio wickelte sie nämlich zu kleinen Rollen auf und befestigte sie mit Gräsern an den Pfoten der Spottdrossel, des Seidenschwanzes und des Goldspechtes, die die Botenflüge übernahmen. Doch wäre es sicher sehr schwierig gewesen, die Nachrichten zu entziffern, wenn der Erfinder, Meister Lestar, und Rushero nicht ein Mikroskop aus mehreren Vergrößerungsgläsern und einigen Wassertropfen konstruiert hätten. Der Scheuch hätte sie sonst selbst bei größter Konzentration, wenn alle Nadeln aus seinem Kopf stachen und abstanden wie bei einem Igel, kaum lesen können.

Tilli-Willi fand eine Stelle, wo er sich im tiefsten Wald, weit fort vom Schloß versteckte. Dort hatte Hurrikap in längst vergangenen Zeiten einen Pavillon erbaut, in dem er auf seinen Spaziergängen rastete. Tilli-Willi, der die Depeschen des Scheuchs zustellte, ließ sich nun in diesem Pavillon nieder und beobachtete aufmerksam den Weg, damit ihn kein Außerirdischer, der sich zufällig hierher verirrte, entdecken könnte. Schlimmstenfalls sollte der Ritter den Fremdling gefangennehmen, ihn fesseln und in den Smaragdenpalast bringen. Nach wie vor verfaßten der Feldmarschall oder der Torhüter für den Gebieter die Befehle. Der Scheuch las zwar gut, das Schreiben aber hatte er doch nicht erlernen können. Das passiert mitunter im Zauberland.

Der Scheuch und seine Freunde waren über alles informiert, was sich vor Hurrikaps Schloß abspielte. Nur konnten sie nicht begreifen, weshalb die Außerirdischen ausgerechnet in diese einsame Gegend vorgedrungen waren. Häufig saßen der Scheuch und der Eiserne Holzfäller vor dem Bildschirm des Zauberkastens und beobachteten aufmerksam die arbeitenden und die befehlenden Fremdlinge. Doch das brachte sie keiner Erklärung näher.

Inzwischen hatten die Zwerge die Außerirdischen überall unter Beobachtung gestellt. In den Gesprächen der Fremden wiederholten sich besonders häufig zwei Wörter: Menviten und Arsaken. Der weise Kastaglio brauchte nur wenig Zeit, um herauszufinden, daß die Herren als Menviten und die Sklaven als Arsaken bezeichnet wurden. Oft wiederholte sich auch das Wort Rameria, wobei der Sprechende meist zum Himmel aufschaute. Kastaglio versuchte dem Blick des Außerirdischen zu folgen, sah ebenfalls zum Himmel, und da dies auch des Nachts geschah, erblickte er wiederholt den Mond. Deshalb dachte der weiseste der Zwerge, daß Rameria in der Sprache der Fremdlinge Mond bedeute. Von dort waren sie nach Kastaglios Ansicht zur Erde geflogen.

DIE ENTFÜHRUNG DES MENTACHO

Es gab eine Zeit, da tief unter dem Wunderland in einer großen Höhle Menschen lebten. Sie hießen Erzgräber, weil sie in den Schächten Metall und Edelsteine abbauten. Man nannte sie auch die Unterirdischen, weil sie im Erdinnern lebten und arbeiteten. Viele Jahrhunderte arbeiteten die Unterirdischen Erzgräber im Schweiße ihres Angesichts, fristeten jedoch ein kärgliches Leben. Sie wurden nämlich von sieben faulen Königen regiert, die selbst nichts taten, dafür aber ein Leben voller Prunk führten und auch ihre ganze Armee von Bediensteten zu Nichtstuern erzogen hatten. Zum Glück für die Erzgräber kamen eines Tages Elli und ihr Cousin Fred in die Höhle, denn sie wurden auf dem Ausflug zu einer Höhle verschüttert und dann von einem unterirdischen Fluß zu den Erzgräbern getragen.

Damals nahm die Macht der sieben Könige ein Ende. Der Weise Scheuch hatte einen klugen Einfall gehabt: Er brachte die Erzgräber auf den Gedanken, den Herrschern Schlafwasser zum Trinken zu reichen. Als sie aus dem Schlaf erwachten, hatten die Könige alles vergessen, so daß man ihnen einreden konnte, sie hätten früher das einfache Leben von Handwerkern geführt: Der eine sei Weber, der andere Hufschmied, der dritte Ackerbauer gewesen...

Die Erzgräber verließen die Höhle und errichteten in der Nachbarschaft der Käuer unter der heißen Sonne des Zauberlandes ihre Dörfer. Sie trieben so wie die anderen Einwohner in Hurrikaps Land Ackerbau. Reihum zogen sie in Brigaden in die Schächte, um Kupfer, Eisen und andere Metalle abzubauen, ohne die kein einziger Staat auszukommen vermag.

Mentacho war einstmals der hochmütigste unterirdische König gewesen, der besonders stolz auf seine hohe Abkunft war. Der ehemalige König, der jetzt Weber war, und seine Frau, die alte Elvina, bewohnten ein kleines schmuckes Häuschen im Dorf der Erzgräber. Sie hatten sich gut eingelebt. Diese beiden nun hatte Ilsor auf seinem Kundschaftergang entdeckt.

Tagsüber arbeitete Mentacho an seinem Webstuhl. Wenn er einmal nichts tat, so sehnte er sich nach dem Klappern, denn er fand, daß es nichts Schöneres gab als den Webstuhl. Abends trat er vor sein Häuschen, um mit den Nachbarn zu schwatzen. Elvina machte sich in der Wirtschaft zu schaffen, arbeitete im Garten und züchtete Hühner und Enten. Beide waren mit ihrem Schicksal zufrieden und hatten völlig vergessen, daß sie einstmals Königsmäntel getragen und Hunderte von Menschen regiert hatten. Eines Morgens, als Mentacho und Elvina beim Frühstück saßen, wurde plötzlich die Haustür aufgerissen. Ein Unbekannter in ledernem Overall trat gebückt in die Stube, denn er war von sehr hohem Wuchs. Er blickte sie mit gebieterischem Auge an; Mentacho und Elvina vermochten es nicht, sich diesem Blick zu widersetzen. Sie hoben die Augen zu dem Unbekannten und blickten ihn starr vor Schreck an. Nicht einmal zu einem Aufschrei reichte ihnen die Kraft.

Der Fremde, es war Mon-So, packte mit einer Hand den an sich nicht kleinen Mentacho, hob mit der anderen Elvina wie ein Federchen in die Luft und schubste beide vor sich her auf die Straße. An der Vortreppe erblickten der Weber und seine Frau eine unbekannte Maschine, doch der Fremde ließ ihnen keine Zeit, sie genauer zu betrachten. Er stieß die alten Leutchen in die Kabine, klappte die Tür zu, und die Maschine stieg in die Lüfte auf. Elvina war zu Tode erschrocken, auch Mentacho war unruhig. Alles Ungewisse schreckte ihn.

Nach einiger Zeit begann Mentacho zu überlegen. Er war früher häufig auf Drachen geflogen, und ihm schien, daß das, was er jetzt mit Elvina erlebte, einem Flug gleiche.

Mentacho redete also begütigend auf seine Frau ein: „Hab keine Angst, Altchen, dieses Ding, dieses Tier, das uns jetzt trägt, ist wahrscheinlich eine Art Drachen. Sein Besitzer wird uns kaum Böses tun. Weshalb sollte er das am Himmel machen? Wir sind einfach gefangen genommen, wenngleich ich nicht recht verstehe, wozu man uns brauchen sollte."

Die Worte ihres Mannes beruhigten Elvina ein wenig. Verstohlen blickte die Alte sogar aus dem Fenster, auf Felder und Wälder, die undeutlich unter ihnen in der Tiefe dahin glitten.

Sie flogen eine Stunde oder etwas länger, jedenfalls gelangte der Helikopter, den Mon-So lenkte, nach Ranavir.

Die Maschine glitt langsam zur Erde, und Mentacho erblickte ein Schloß. Das konnte nur die Wohnstatt von Hurrikap sein, wo sich die Außerirdischen niedergelassen hatten. Mentacho und Elvina wurden in das Arbeitszimmer des Generals geführt. Ein Lichtstrahl, der durch die rosa Glasscheiben fiel, erhellte die schlanke Gestalt des Menviten und glitt über seine gold- und silbergestickten Orden. Vielleicht erschien Mentacho und Elvina der Außerirdische aus diesem Grunde so strahlend. Es kam ihnen vor, als ginge von seinem Antlitz, seinem Haar und seinem Bart ein ganz besonderes Leuchten aus. Der Flieger meldete:

„Unternehmen erfolgreich abgeschlossen, mein General." „Schon gut, Mon-So, führe sie näher heran."

Als die Gefangenen näher traten, wurde Baan-Nu unsicher. Er hegte sogar den Verdacht, daß man ihm keine gefangenen Bellioren vorführte, sondern verkleidete Arsaken. Sie waren nur von anderer Hautfarbe, glichen sonst aber den Sklaven der Menviten wie Brüder.

Doch ein Fehler war ausgeschlossen. Den Auftrag hatte der getreue Mon-So ausgeführt. Die verblüffende Ähnlichkeit von Bellioren und Arsaken verwirrte den General allerdings.

Mentacho fühlte den aufmerksamen Blick von Baan-Nu auf sich gerichtet, fürchtete jedoch, ihn anzublicken. Aber er wußte: Man muß der Gefahr ins Auge blicken, nur dann wird sie weniger gefährlich. Mit großer Überwindung hob er also den Kopf. Das war Mentachos entscheidender Fehler, lag doch die größte Gefahr für alle Geschöpfe im Blick der Menviten. Nun vermochte der Weber nicht mehr seine Augen vom Gesicht des Generals abzuwenden. Eine geheimnisvolle Kraft schien ihn zu fesseln, und entgegen seinem eigenen Willen blickte er den Außerirdischen an, als erwarte er einen Befehl, den auszuführen er sofort bereit war.

Mentacho dachte: Was ist nur mit mir, warum wird mir so seltsam? Ich scheine nicht mehr zu sehen und zu hören. Und es ist, als versage mein Wille. Ich scheine gar einzuschlafen. Bei diesem Gedanken mußte er tatsächlich gähnen. Das geht doch nicht, das geht ja einfach nicht, dachte Mentacho und kämpfte mit letzter Kraft gegen den Schlaf an, der ihn zu übermannen drohte.

Doch der Menvite hatte gar nicht daran gedacht, dem Weber Befehle zu erteilen. Er überlegte, und sein nachdenklicher Blick blieb zufällig auf Mentachos Gesicht haften. Der General grübelte noch immer über die verblüffende Ähnlichkeit zwischen den Arsaken und seinen Gefangenen hier nach. Ob ihre Vorfahren in fernen Zeiten vielleicht von einem Planeten zum anderen übergesiedelt waren?

Endlich riß sich Baan-Nu zusammen: Ich muß anfangen zu handeln, dachte er. Wir müssen die Erdenbürger so rasch wie möglich unterwerfen. Sonst erkennen die Arsaken in ihnen am Ende Verwandte und schlagen sich auf ihre Seite! Aber das dürfte eigentlich ausgeschlossen sein. Die Arsaken sind schließlich unsere Sklaven und äußerst gehorsam. Das Gesicht des Generals verfinsterte sich. Eiskalt befahl er Mon-So, die Gefangenen abzuführen. Mentacho und Elvina wurden in einen Raum gesperrt, der aussah wie ein Schuppen. Hier lagen Einzelteile von einer Maschine herum, und die beiden Alten seufzten leise vor sich hin und grübelten darüber nach, welches Los sie erwartete.

DIE SPRECHMASCHINE

Mentacho erwachte in einer kleinen Stube. Sie war zweckmäßig eingerichtet. An den Wänden standen zwei Betten, in der Mitte ein Tisch und ein paar Stühle, und die gegenüberliegende Wand nahm ein kleiner Geschirrschrank ein, Das war alles. Nein... Als Mentacho sich umschaute, gewahrte er hinter sich in der Ecke einen seltsamen Gegenstand, der an einen kleinen Konzertflügel erinnerte und aus dem ein undeutliches Rauschen und leises Quäken ertönte. Ohne lange zu überlegen, setzte sich der Weber an den reichgedeckten Tisch, denn er verspürte großen Hunger. Als Elvina Platz nahm, konnte sie sich nicht enthalten zu fragen „Wo sind wir bloß, mein Gott?"

„Wo sind wir bloß, mein Gott?" wiederholte irgend jemand, und Elvina und Mentacho blickten sich um. Doch außer ihnen war keine Menschenseele im Raum.

Sie frühstückten schweigend. Als Mentacho fertig war, besserte sich seine Stimmung wie immer nach einem schmackhaften Essen, besonders wenn es Kuchen und Schlagsahne gab wie heute. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sagte befriedigt:

„Hab keine Angst, Altchen, wir machen's schon noch ein Weilchen."

Wieder blinkte die Maschine, die an einen Konzertflügel erinnerte, und knackte, und aus ihr drang eine Stimme, die Mentachos glich „Hab keine Angst, Altchen, wir machen's schon noch ein Weilchen."

„Mein Gott, was ist das bloß?" rief Elvina erschrokken.

Und auch die Maschine rief mit zartem Stimmchen: „Mein Gott, was ist das bloß?" Mentacho überlegte und begriff plötzlich: „Ich hab's: Das ist eine Sprechmaschine." Sofort wiederholte die Maschine seine Worte. Mentacho trat ans Fenster. Es war mit einem feinen Metallnetz bespannt. Nun gab es keinen Zweifel mehr, sie waren gefangen.

Es knackte erneut in der Maschine, blinkte dreimal auf, und mehrstimmig ertönten die Worte

„Keine Angst, mein Gott, ich hab's, Altchen. Wir machen noch ein Weilchen, Sprechmaschine... Mein Gott, wo..."

Die Maschine baute die Sätze in der Sprache der Erdbewohner auf, verwendete dabei die gehörten Worte und stellte sie um wie Kinder ihre Würfel auf dem Fußboden. Einige Sätze ergaben nichts Gescheites, andere hatten einen Sinn. Der ehemalige König und seine Frau merkten schließlich, weshalb man sie entführt hatte. Mit ihrer Hilfe wollten die Fremdlinge offensichtlich die Sprache der Erdbewohner erlernen. Der findige Mentacho wurde unruhig. Wenn die Fremdlinge die Sprache der Einwohner des Zauberlandes erlernen wollten, so bedeutete das, daß sie sich hier für längere Zeit niederzulassen gedachten. Mentacho erinnerte sich des Blickes dieses Anführers der Außerirdischen, dem er und Elvina vorgeführt worden waren. Den Weber überlief eine Gänsehaut. Vor so einem Blick gab es keine Rettung. Mentacho dachte bei sich: Ich werde versuchen, ihm einmal nicht in die Augen zu blicken. Ich muß alles herausfinden, so wahr ich Mentacho heiße. „Mich führt man nicht hinters Licht", sagte der ehemalige König laut. „Mich führt man nicht hinters Licht", wurde seine Stimme wiederholt. „Was hänselst du mich?" Mentacho verlor die Geduld. „Was hänselst du mich?" echote die Maschine. Mentacho winkte ab: „Na schön, mit dir werden wir auch fertig." Die Maschine wiederholte auch diese Worte, und dann trat Schweigen ein. Die Sprechmaschine hatte bislang nur wenig Wörter der Erdbewohner gespeichert, und sie wartete, daß die Gefangenen wieder anhöben zu sprechen. Mentacho wollte jedoch seinen Entführern keinen Dienst erweisen. Er hätte am liebsten bis in alle Ewigkeit geschwiegen. Aber ob er wollte oder nicht, er mußte sich schließlich mit seiner Frau unterhalten. Die Außerirdischen hatten sehr schlau gehandelt, als sie ein Ehepaar entführten.

Doch nicht nur die Sprechmaschine wartete. Auch General Baan-Nu wartete auf neue Meldungen über die Gefangenen. Wie immer war er mit seinem Lieblingswerk beschäftigt, er schrieb an dem historischen Buch „Die Eroberung der Belliora". Der General begann eine neue Seite: „Ich fahre also in meiner Beschreibung fort. Nachdem mich der Drachen besucht hatte...", hier wurde Baan-Nu nachdenklich. Heute bewegten ihn die Meldungen über die Sprechmaschine und die Gefangenen mehr als die eigene Phantasie. Doch sie wäre unerschöpflich gewesen, wenn der General nur gewußt hätte, wie nahe er der Wahrheit war: In Hurrikaps Land gab es in der Tat Drachen. Hungrig verschlang die Maschine alle Wörter der Erdbewohner. Gegen Abend hatte sie bereits mehrere hundert gespeichert. Nun begann sie den Sinn einiger Wörter zu erraten. So sprach sie beispielsweise das Wort „Brot" aus, wonach man sofort hörte: „Nobar." Nach dem Wort „Wasser" hieß es plötzlich „Essor". Mentacho hörte zu und behielt unwillkürlich die Wörter in Erinnerung. „Brot heißt also Nobar", brummte er, „und Wasser - Essor."

Das Gedächtnis des Webers wurde um immer neue menvitische Wörter bereichert. Da erkannte er, daß er im Begriff war, Dolmetscher zu werden.

Innerlich widersetzte er sich jedoch: Dienen werde ich den Fremden nicht. Dabei prägte er sich weitere Wörter ein. Und wenn ich diesen Quatschapparat zerschlage? Mentacho drehte den Tisch bereits um, besann sich jedoch im letzten Moment. Er war immerhin ein Gefangener der Fremdlinge. Wenn er sich ihnen nicht unterwarf, so würden sie unweigerlich etwas gegen ihn unternehmen. Vor allem aber fürchtete Mentacho für Elvina. Er liebte seine Frau von Herzen.

„Na schön, wenn es denn sein muß, so werde ich ihre verfluchte Sprache erlernen!" rief der Weber zornig aus. „Vielleicht wird sie mir nützen."

Der Riegel knackte, die Tür öffnete sich, und ein Mann trat ein. Er stellte Erfrischungsgetränke und belegte Brote auf den Tisch, wies dann mit dem Finger auf

sich und stellte sich vor:

„Ilsor."

„Ilsor", wiederholte die Maschine in der Ecke. Wenn nicht Ilsors bleiche Hautfarbe gewesen wäre, so hätten Mentacho und Elvina ihn sicher für einen Einwohner des Zauberlandes gehalten: Er hatte ein offenes Gesicht, gütige Augen und wirkte vertrauenerweckend.

Mentacho stellte Elvina und dann sich selbst vor. Ilsor öffnete die Tür, blickte sich hastig um und gab Mentacho ein Zeichen, ihm zu folgen. Elvina wollte gern mitgehen, doch Ilsor schüttelte schweigend den Kopf. Der Cheftechniker der Arsaken führte Mentacho in das Dikkicht in der Nähe des Schlosses und wies auf einen Haufen grauer Steine, die dort ordentlich gestapelt lagen. „Verzage nicht, Mentacho. Halte durch", vernahm er ein Flüstern, das aus dem Erdboden zu kommen schien. Mentacho, der den Ausspruch des Riesen von jenseits der Berge erkannt hatte, betrachtete die Steine genauer. Ein Stapel bewegte sich leise, und der Weber erblickte zu seinen Füßen einen winzigen Greis mit langem schlohweißem Bart. Der Alte stellte sich vor:

„Ich bin Kastaglio, der Älteste unter den Zwergen. Ich habe dir Nachricht vom Scheuch gebracht. Dir, Mentacho, ist die Ehre zuteil geworden; zum Auge und Ohr der Erdbewohner im feindlichen Lager zu werden."

Der verblüffte Mentacho schwieg. Der Zwerg indes fuhr fort „Versuche, die Sprache der Fremdlinge zu erlernen. Wir müssen ihre Absichten erfahren."

Ilsor winkte Mentacho und führte ihn zu Elvina zurück.

Der Weber hätte sich gern bei Ilsor bedankt, wußte aber nicht, wie das auf Menvitisch hieß. Deshalb wies er mit der Hand auf das Tablett mit Erfrischungsgetränken und belegten Broten und rief: „Nobar! Essor!"

Am selben Tag verbreitete sich unter den Außerirdischen das Gerücht, der gefangene Belliore würde gute Fortschritte beim Erlernen der menvitischen Sprache machen.

DIE AUFSTELLUNG DER RADARANLAGEN

Nachdem Mentacho und seine Frau verschwunden waren, begannen sich die Erzgräber und die Käuer des Nachts in ihren Häuschen in den kleinen Dörfern einzuriegeln. Es war zwar ein ziemlich unzuverlässiger Schutz, aber man fühlte sich sicherer. Ganz ängstliche Einwohner siedelten sogar in die unterirdische Höhle um. Die Außerirdischen erkannten, daß ihr Aufenthalt in Ranavir den Erdenbürgern kein Geheimnis mehr war. Schließlich streiften ja nicht vereinzelt Leute durch die Wälder, sondern die Besatzung eines riesigen Raumschiffes. Waren die Arsaken an der Arbeit, so sprühten zudem die Funken, und das Klopfen, Dröhnen und Tosen in den Bergen wurde vom Echo weitergetragen. Die Fremdlinge versteckten sich deshalb bald überhaupt nicht mehr. Ihre zirpenden Helikopter tauchten auch tagsüber am Himmel auf, die Besatzungen fotografierten das Land und fertigten eine Karte an.

Die Smaragdenstadt zog die Außerirdischen wie ein Magnet an. Bisweilen hing ein Helikopter stundenlang über der Stadt. Die Menviten konnten sich nicht sattsehen an ihrer Schönheit. Auf dem Planeten Rameria gab es keine ähnliche Pracht. Geologische Expeditionen zogen von Ranavir in die Berge, denn die Helikopter brauchten Kerosin. Aus den Weltumspannenden Bergen wurden immer neue Proben herbeigeschafft, doch Ilsor blieb nach wie vor unzufrieden: „Zu schlechte Qualität. Unmöglich!" Baan-Nu erklärte er:

„Aus etwas Schlechtem läßt sich nichts Gutes machen, mein General. Weshalb sollen wir die Helikopter aufs Spiel setzen? Die Zeit drängt uns ja nicht. Das Volk hier ist äußerst friedfertig."

An den westlichen Ausläufern der Weltumspannenden Berge entdeckten die Geologen zwei stillgelegte Schächte und Halden. Sie bestanden aus dem Gestein, das seinerzeit in den Schächten abgebaut worden war. In ihm entdeckten die Geologen durchsichtige grüne Körnchen von jenem Mineral, das der herrlichen Stadt der Erdbewohner den Namen gegeben hatte.

Von dem wertvollen Fund wurde Baan-Nu Meldung erstattet. Man hätte sehen müssen, wie seine Augen aufleuchteten, als er diese Neuigkeit erfuhr.

Mit dem Säubern der Schächte und dem Abstützen der unterirdischen Galerien wurde umgehend begonnen. Zwei Dutzend Arsaken förderten unter Aufsicht eines menviti-schen Geologen bereits zwei Tage später die ersten Smaragde. Einige waren walnußgroß. Der General mißtraute zunächst sogar diesen Funden, standen doch auf Rameria Smaragde genauso hoch im Wert wie Diamanten. Deshalb verschwanden die abgebauten Edelsteine sofort in des Generals Safe. Wenn sich Baan-Nu abends an ihrem Glanz erfreute, dachte er über die unzählbaren Schätze der Smaragdenstadt nach. Er wußte nicht, daß der listenreiche Goodwin neben echten Smaragden auch einfaches grünes Glas verwendet hatte.

Wenn ich alle Schätze von hier mit mir nehme, werde ich zu einem der reichsten Männer auf Rameria, dachte Baan-Nu verträumt, und seine Augen glänzten. Mentacho und Ilsor sahen sich jeden Tag. Wenn Ilsor die Kammer der Gefangenen betrat, lächelte er ihnen freundlich zu „Teru, Merui !"

Von der Sprechmaschine wußte Mentacho bereits, daß das hieß „Guten Tag, Freunde!" Der Weber erwiderte:

„Teru, teru, em noto Carossi!" Das bedeutete: „Guten Tag, guten Tag, ich freue mich, dich zu sehen!"

Der Anführer der Arsaken und der ehemalige König hegten bereits aufrichtige freundschaftliche Gefühle füreinander. Doch kamen sie nur schwer ins Gespräch. Ilsor meldete dem General, daß die Sprechmaschine ihre Aufgabe zu langsam bewältigte, und bot seine Dienste an.

Er sagte:

„Ein Belliore muß ununterbrochen menvitisch sprechen. Dafür sind neue Eindrücke erforderlich, sonst kommt es zu keinen anregenden Gesprächen." Baan-Nu billigte Ilsors Plan und gestattete ihm, selbständig zu handeln. Der gehorsame Diener brachte schnell in Erfahrung, wofür sich Mentacho interessierte. Am selben Tag noch saß der Weber an seinem Webstuhl. Der Webstuhl klapperte vor Freude, und Mentacho summte ein Liedchen vor sich hin.

Mentacho machte sofort Fortschritte beim Erlernen der fremden Sprache. Er war fleißig, und die Sprechmaschine gab ihm für seine Antworten die Noten zehn, elf, zwölf. Das waren die besten Zensuren bei den Menviten. Der General sagte: „Du hattest recht, Ilsor, es stimmt. Viele Eindrücke ergeben viele Worte." Beflissen stimmte ihm der Diener zu:

„Und viele Worte bringen Sie Ihrem Ziel näher, der Errichtung Ihres Staates." Selbstsicher verkündete Baan-Nu:

„Ich kenne noch eine Methode, um die Leute anzuspornen. Diese Methode ist einwandfrei und bringt beste Ergebnisse."

Der General holte zwei durchsichtige Smaragde aus seiner Schatulle und nahm sie mit in die Stube, in der Mentacho wohnte.

Ungeduldig schob Baan-Nu dem Weber die Edelsteine über den Tisch zu.

„Hier, schau mal!" Die Maschine übersetzte.

Der Weber betrachtete die Steine und meinte gleichgültig

„Hm!" Die Maschine schwieg. „Gefallen sie dir?" fragte der General. Mentacho nickte: „Hm!"

Die Maschine konnte dieses „Hm!" nicht übersetzen. Der Weber aber sagte nichts weiter. Baan-Nu war bestürzt. Als er Mentachos gelangweilten Blick bemerkte, wußte er:

Seine Steinchen hatten ihre Wirkung verfehlt. Das erboste ihn. Er fragte Mentacho „Was betrachtest du die Smaragde so uninteressiert?" „Hm", entgegnete der Weber.

Der General dachte, daß dieses „Hm!" wohl das wichtigste, wenn auch unübersetzbare Wort der Erdbewohner sei.

Der ehemalige König beherrschte derweilen das menvitische Alphabet, hatte die Fibel gelesen und das Lehrbuch der menvitischen Literatur zu studieren begonnen. Mit Ilsors Hilfe erlernte er in kurzer Zeit die Sprache der Fremdlinge. Ilsor bediente die Sprechmaschine und zwang sie, mit unfaßbarer Geschwindigkeit alle neuen Worte der Erdbewohner zu speichern und ins Menvitische zu übersetzen.

Elvina indes war hoffnungslos zurückgeblieben, denn die alte Frau hatte nicht den geringsten Wunsch, die Sprache der ungebetenen Gäste zu erlernen.

Als der Gefangene nach Baan-Nus Meinung die menvitische Sprache gut genug beherrschte, und die Sprechmaschine störungsfrei Übersetzungen anfertigen konnte (so viele Informationen hatte sie bereits gespeichert), betrat der General, begleitet von Ilsor, die Stube der Gefangenen, um sich mit Mentacho zu unterhalten.

Als erstes erkundigte sich Baan-Nu nach dem Land der Gefangenen. Mentacho war vorsichtig: Er hatte bereits Anweisungen vom Scheuch erhalten, was er erzählen durfte und was nicht. Beispielsweise durfte er nicht sagen, daß sie in einem Zauberland lebten.

Streng verboten war es, die gütigen Feen Stella und Willina zu erwähnen. Er durfte nicht erzählen, daß Vögel und Tiere die Sprache der Menschen beherrschten. Auch die Existenz des Scheuchs und des Eisernen Holzfällers mußte geheimbleiben. Der General fragte „Mentacho, wie heißt das Land, in dem wir uns befinden?"

Die Maschine krächzte, blinkte, quäkte und übersetzte von einer Sprache in die andere. Der Weber erwiderte auf menvitisch: „Goodwinien, Herr General." „Und warum?" lautete die nächste Frage.

„Nach Goodwin, der berühmt war für seine Kriegstaten", sagte Mentacho, ohne mit der Wimper zu zucken. Jetzt bediente er sich allerdings seiner Muttersprache, da es ihm noch schwerfiel, in einer fremden Sprache zu flunkern.

Der General fragte „Ist Goodwin ein König?"

Als Mentacho nickte, wollte Baan-Nu wissen: „Ihr habt also auch Kriege geführt?" Mentacho prahlte „Und was für welche: Goodwins Armee ist für ihre ungewöhnliche Tapferkeit berühmt.

Sie hat die mächtigen Staaten Gingemien und Bastindien besiegt."

Der Weber log, was das Zeug hielt, doch er bediente sich der richtigen Namen, um später nicht in Widersprüche verwickelt zu werden.

Der Anführer der Außerirdischen setzte das Verhör fort

„Habt ihr Kanonen?" Ehrlich bekannte Mentacho:

„Wir haben zwar nur eine einzige Kanone, doch wir können mit einem Schuß eine ganze Armee Holzsoldaten umlegen."

„Was für Soldaten?" Der General verstand nicht. Mentacho merkte, daß er schon zuviel gesagt hatte und verstummte. Doch Baan-Nu glaubte, die Sprechmaschine habe falsch übersetzt.

Dem Außerirdischen begann die Unterhaltung zu mißfallen. Er fragte:

„Regiert Goodwin noch immer dieses Land?" „Nein, Herr General, er ist zur Sonne geflogen." „Was heißt geflogen?"

„Na, mit diesem Luft..." „Schiff?" fragte der General. „Jaja", nickte der Weber. Die Nachricht von Goodwins Weltraumreise (gerade so hatte Baan-Nu den Flug aufgefaßt) wirkte auf den General niederschmetternd. Sein Gesicht verfinsterte sich, doch er setzte das Verhör fort.

„Sage mir, Freund Mentacho, wer hat in Ranavir früher gewohnt?" Unvermittelt nannte Baan-Nu den Weber „Freund". Ein Zeichen dafür, wie tief beunruhigt er war. „Dieses große Schloß..."

Mentacho erriet, daß man ihn nach dem Besitzer des Schlosses fragte. Aber er wußte nichts von Hurrikap. Dennoch verlor er nicht seine Geistesgegenwart.

„Ach ... so", er machte eine vage Handbewegung, „der Erbauer des Schlosses ist Hurrikap."

„Gibt es in Goodwinien Riesen?" Klopfenden Herzens stellte Baan-Nu die Frage, die ihn am meisten beschäftigte.

„Wo sollten sie bleiben? Natürlich gibt es sie noch......sagte Mentacho, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt.

Dem Ramerier brach der kalte Schweiß aus. Dennoch setzte er die Unterhaltung fort. „Besitzen die Riesen ein eigenes Königreich?" fragte er so kaltblütig, wie er vermochte. Mentacho erwiderte

„Nein, jeder Riese lebt für sich allein. Sie sind nämlich so ungebärdig, daß sie nicht miteinander auskommen würden. Wenn sie einander treffen, beginnen sie sofort eine große Schlacht. Sie bewerfen sich mit Steinbrocken, die so groß sind wie das Haus, in dem wir uns jetzt befinden." Wenn König Mentacho sich unter dem Einfluß des Schlafwassers auch in einen Weber verwandelt hatte, so hatte sich sein Charakter nicht allzu sehr verändert. Er log mit Begeisterung das Blaue vom Himmel und blickte dabei seinem Gesprächspartner fest in die finsteren, schlitzförmigen Augen, die unter dem Eindruck der Erzählung kugelrund vor Verwunderung wurden. Mentacho log eben königlich!

Der Menvitenführer schwieg. In seiner Verblüffung vergaß er völlig die Zaubergewalt seines Blicks. Denn er hätte Mentacho ja auch befehlen können, die reine Wahrheit zu sagen.

Als Baan-Nu am nächsten Tag wieder mit Mentacho sprach, stellte er ihm die selben Fragen wie am Vortag, nur in einer anderen Reihenfolge. Doch der Weber nannte ausnahmslos Namen, die Baan-Nu bereits kannte.

Der General überlegte: Nein, unmöglich, daß dieser leichtfertige Kerl, dieser Windbeutel lügt. Er übertreibt natürlich, er ist ein Angeber. Aber ich glaube, er übertreibt nicht mal allzu stark.

Seit der Landung dachte Baan-Nu ständig daran, daß der Oberste Gebieter von Rameria, Guan-Lo darauf wartete, die Nachricht von der völligen Unterwerfung der Bellioren zu erhalten. Baan-Nu mußte sich sputen.

Die Außerirdischen hatten inzwischen begonnen, Goodwinien mit einer Kette von Radaranlagen zu umschließen.

Baan-Nu befahl, diese Anlagen in Abständen von 50 Kilometern aufzustellen. Das gewährleistete seiner Auffassung nach die absolute Sicherheit der Grenzen zwischen Goodwinien und der Großen Welt.

Während die Radaranlagen montiert wurden, wurden die Kanonen, die ebenfalls zum Grenzschutz bestimmt waren, aus der „Diavona" ausgeladen.

Die Arsaken montierten die Anlagen, die Menviten flogen mit ihren Helikoptern zu den höchsten Gipfeln der Weltumspannenden Berge, richteten Plattformen her und stellten die Drehscheiben für die Kanonen auf. Die Drehantenne der Radaranlagen würde das Näherkommen jedes Lebewesens sofort signalisieren, die Elektronenanlage entsprechende Funksignale nach Ranavir aussenden und automatisch die Selbstladekanone auf jedes Ziel richten, das sich bewegte.

Als die Montagearbeiten beendet waren, wurden die Radaranlagen jedoch nicht sofort eingeschaltet. Sie blieben noch eine Stunde lang gesperrt, damit die Helikopter ungehindert ins Lager zurückfliegen konnten.

Einem Flieger war es beschieden, die Zuverlässigkeit des Systems am eigenen Leibe auszuprobieren. Eine Tür seines Helikopters hing plötzlich schief in den Angeln, und er brauchte über eine Stunde, um den Schaden zu beheben. Der Pilot schaute nicht auf die Uhr, vergaß die Sperrzeit, und als er den anderen nachjagen wollte, erdröhnte in seinem Rücken ein Schuß. Glücklicherweise wurde der Flieger nur leicht verwundet und landete mühsam mit seinem Helikopter in der Schlucht. Als er dann verbunden im Zelt lag, erschien zu seiner größten Verwunderung ein Abgesandter Baan-Nus -selbstverständlich war das Ilsor - und überbrachte ihm statt eines Verweises den Mondorden für bewiesene Tapferkeit.

Baan-Nu lag nichts ferner, als die Fahrlässigkeit des Piloten zu belohnen. Aber sie beruhigte ihn. Er wußte nun zumindest, daß keiner unbemerkt in das Land, in dem sich die Abgesandten von Rameria niedergelassen hatten, eindringen konnte, ebenso wie keiner aus Goodwinien über die Grenze in die Große Welt entkommen würde, um von dort Hilfe für die Einwohner von Goodwinien zu holen.

GORIEKS ZWEIKAMPF

Mentacho, der die Anordnungen des Weisen Scheuchs und dessen Freunde gehorsam befolgte, konnte die Fremdlinge für sich einnehmen. Ilsor half ihm dabei nach Kräften. Sooft sich Gelegenheit bot, lobte er vor Baan-Nu den gefangenen Bellioren über alle Maßen:

„Das ist eine aufnahmefähige, vernünftige Kreatur", sagte er: „Mentacho ist sehr vertrauensselig und erweist uns große Dienste." Die Menviten gestatteten dem ehemaligen König und Elvina sogar, ohne jede Bewachung in der Nähe des Häuschens spazieren zu gehen. Auch wurde ihre Tür nicht mehr verschlossen. Diese relative Freiheit kam Mentacho wie gerufen. Er konnte sich nun ungehindert mit Kastaglio treffen. Die häufigen Waldspaziergänge des Webers und seiner Frau erregten keinen Verdacht. Die alten Leutchen gingen halt Pilze sammeln. Mentacho machte kein Geheimnis daraus, daß er gern und gut aß. Die ordentliche Elvina mit ihrem stets sauberen Schürzchen vergaß nie, ein Körbchen für Pilze mitzunehmen.

Bekanntlich sehen vier Augen mehr als zwei. Mentacho war schlau, und Ilsor war klug. Eines Tages riet Ilsor Mentacho zu einem Unternehmen, das die Ramerier arg entmutigte, jedoch bewies, daß Ilsor ein aufrichtiger Freund der Erdbewohner war. Es war eine ausgesprochene Kriegslist, und Kastaglio schrieb darüber dem Scheuch. Der war so begeistert, daß er wie in alten Zeiten sogar zu tanzen begann und sich ein Liedchen sang:

„Heiho! Heiho! Wir haben einen herrlichen Freund! Heiho ! Heiho ! Heiho !" Ilsor war schon lange auf den Eisernen Ritter TilliWilli aufmerksam geworden. Da er selbst Erfinder war, verblüffte ihn, wie tadellos dieser eiserne Mensch konstruiert war und wie störungsfrei sein Mechanismus funktionierte. Ilsors Vorschlag war denkbar einfach. Tilli-Willi erschien unvermittelt auf den Straßen des Landes und suchte den Fliegern von Rameria so oft wie möglich unter die Augen zu kommen. Er tauchte an den verschiedensten Orten auf, denn mit seinen langen Beinen fiel es ihm nicht schwer, große Entfernungen zu bewältigen. Vor allem aber veränderte er stets sein Äußeres: Mal war er von stahlgrauer Farbe, dann bronzegelb, dann wieder grün und schwarzgefleckt wie eine riesige Eidechse, oder er warf sich einen bunten Umhang um, der ihm bis zu den Füßen reichte. Die Flieger waren überzeugt, daß sie jedes Mal einen anderen Riesen vor sich hatten. Sie brachten dem General immer neue Fotos von diesen riesigen Rittern. Die Verwandlungen aber waren leicht bewerkstelligt. In Tilli-Willis Kabine, in der bequem ein Mensch Platz fand, saß Lestar, nicht nur der geschickteste Meister im Lande der Zwinkerer, sondern auch der beste Freund des Eisernen Ritters. Er hatte eine ganze Batterie von Farbbüchsen und einen Zerstäuber bei sich. Tilli-Willi erschien einem Flieger, versteckte sich dann hinter den Bäumen in einem Hain, und Lestar übermalte ihn schnell mit einer anderen Farbe. Dank dieser List glaubten Baan-Nu und seine Untergebenen, daß in der Nachbarschaft von Goodwinien Riesenmenschen lebten. Mentacho bestätigte, daß gerade diese Recken König Goodwin bei seinen hervorragenden Siegen geholfen hätten. Baan-Nu, der nun endgültig von der Existenz der Riesen überzeugt war, befahl den Außerirdischen, sich vorerst vorsichtiger zu verhalten als bislang. Er wollte um keinen Preis die Riesen verärgern, denn es paßte nicht in die Pläne der Fremdlinge, Streit anzufangen, solange sie nicht zum Krieg gerüstet waren.

Dennoch registrierten die Erdbewohner einen feindlichen Schritt gegenüber Goodwinien. In den Weltumspannenden Bergen, in ihrem Nordteil, gab es einen Ort, den Riesenadler bewohnten. Diese einsame Gegend hieß Adlerstal. Nach jahrhundertealtem Brauch beschränkten die Adler die Anzahl ihres Stammes auf hundert. Ein Jungvogel wurde erst ausgebrütet, wenn ein alter gestorben war. Die Adlerweibchen mußten sich also beim Brüten streng an die Reihenfolge halten. Dafür gab es ernste Gründe. Die Adler ernähren sich vom Fleisch der Gebirgsziegen und Steinböcke. Und da sich diese Tiere nicht rasch vermehren, hätten die Riesenvögel sie leicht ausrotten können.

Einstmals war das Stammesoberhaupt der Adler ein gewisser Arraches gewesen. Er wollte einen anderen Adler namens Karfax um die Reihenfolge beim Ausbrüten eines Adlerjungen betrügen. Doch der edle Karfax besiegte den Hinterlistigen und wurde zum Anführer des Stammes. Sein Sohn war der Jungadler Goriek. In Größe und Kraft stand er kaum hinter dem Vater zurück; weil er jung war, neigte er jedoch zu übermäßiger Selbstsicherheit.

Die Adler haben von Natur ungewöhnlich scharfe Augen. Sie erkennen aus großer Höhe sogar kleinste Gegenstände in weitem Umkreis auf der Erde. So blieben ihren Blicken natürlich auch nicht die Kanonen auf den Felsen verborgen. Doch Goriek mangelte es an Aufmerksamkeit und an Vorsicht. Einmal, als er einen schnellen Steinbock verfolgte, wurde er von so einer Jagdleidenschaft erfaßt, daß er darüber alles andere vergaß. Der Steinbock flüchtete durch die Schluchten, setzte leichtfüßig über Abgründe und sprang von Fels zu Fels. Der junge Adler blieb kaum hinter dem kräftigen Tier zurück. Selbst als unvermittelt blankes Metall vor ihm auf einem Felsen aufblitzte, hemmte er nicht seinen Flug.

Die Radaranlage wurde ausgelöst. Die Kanone beschrieb einen Kreis. Zu Gorieks Glück fiel der unsichtbare Strahl auf den Steinbock, der gerade einen ungeschützten Felsgrat erklomm. Tödlich getroffen, stürzte das Tier in den Abgrund. Goriek, der just in diesem Augenblick den Steinbock eingeholt hatte, wurde verletzt - eine Schwinge war ihm gebrochen. Blind vor Rachgier, Schmerz und Wut erklomm der Adler in langen Sprüngen den Gipfel. Bevor sich die Kanone erneut aufladen konnte, stürzte er sich mit voller Kraft auf sie.

Nun verfügen die Riesenadler schon in frühester Jugend über eine ungeheure Kraft. Goriek rammte die Kanone zusammen mit der Drehscheibe. Polternd stürzte beides in die Tiefe. Die Kanone barst in Stücke. Drauf fiel Goriek mit seinem scharfen Schnabel über die Radaranlage her und hackte das hochempfindliche Gerät in kleinste Teile. Nach langem Suchen fanden die Adlereltern ihren Goriek auf dem Felsen und schleppten ihn mit Mühe und Not durch die Gebirgsschluchten heim.

WIEDER AN DEN SCHWARZEN STEINEN VON GINGEMA

Zweimal täglich wurden in Ranavir Signale über die Funktionstüchtigkeit der Radaranlagen empfangen. Als sie eines Tages ausblieben, machte sich Staffelkommandeur Mon-So auf, um den Grund herauszufinden. Er fand eine völlig zerstörte Anlage vor. Von dem Radar waren lediglich zerbrochene Details geblieben, während die Kanone einfach verschwunden war. Auf dem Gebirgshang fand der Flieger zwei Adlerfedern, die ihn Gruseln machten. War doch jede Feder so groß wie ein erwachsener Mensch. Klar war eins: Diese Havarie war nicht ohne Zutun der Vögel ausgelöst worden.

Schon früher, als die Plattformen für die Radaranlagen gesäubert wurden und die Flieger über die Berge geflogen waren, hatten sie wiederholt die Riesenadler aus der Ferne gesehen. Aus unmittelbarer Nähe jedoch hatte sie noch keiner beobachtet. Wenn sich ein Helikopter den seltsamen Vögeln näherte, flogen sie blitzschnell davon. KauRuck hatte noch das größte Glück gehabt: Er konnte sich den Vögeln auf die geringste Distanz nähern. Das war aber auch alles. Mehrmals wiederholte er seine Erkundungsflüge, hing mit seinem Helikopter über dem Adlerstal, beobachtete, wie die Vögel zu ihren Nistplätzen aufstiegen und sah aus der Ferne, wie sie Steinböcke und Gebirgszie-gen jagten.

Mon-Sos Meldung wirkte auf die Menviten niederschmetternd. Ihr Grenzschutz hatte sich also nicht als so zuverlässig erwiesen, wie die Schöpfer behauptet hatten. In Baan-Nus Pläne paßten keinerlei unangenehme Nachrichten. „Ich bin empört über eure Leichtfertigkeit", brüllte der General die Flieger und Ingenieure an. Seine Schlitzaugen wurden vor Zorn kugelrund wie Knöpfe. „Heute ist eine Radaranlage ausgefallen. Wo gibt es die Garantie, daß morgen nicht eine zweite und eine dritte ausfällt?" schrie er.

Flieger und Ingenieure schwiegen betreten. Schließlich ließ sich der Pilot des Sternschiffs, Kau-Ruck, vernehmen, der angestrengt über etwas nachgedacht hatte: „In den Bergen wohnen eben ungewöhnliche Adler", meinte er. „Na, und?" Baan-Nu hatte nicht begriffen.

„Sie jagen dort, wo unsere Radaranlagen stehen. Unsere Kanonen müssen ja einfach reagieren, wenn diese Riesenvögel auftauchen." „Was schert uns das", brabbelte der General.

„Die Kanonen werden schießen, und die Adler werden sie in den Abgrund schleudern", prophezeite Kau-Ruck. „Ein verwundeter Riesenadler verfügt wahrscheinlich über verblüffende Kraft."

„Sie mögen recht haben." Nur ungern stimmte Baan-Nu dem Piloten zu. „Aber was gibt es für einen Ausweg?"

„Einen einzigen", verkündete Kau-Ruck. „Das System muß aus Goodwinien hinaus verlegt werden. Bei unseren Kundschafterflügen haben wir festgestellt, daß das Land von einer Kette großer Schwarzer Steine umgeben ist. Sie befinden sich in gleichmäßiger Entfernung voneinander. Wozu diese Steine aufgestellt wurden, wissen wir nicht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es sich um Straßenzeichen handelt oder um Opfertische, auf denen die Bellioren in alten Zeiten den Göttern ihre Opfer darbrachten... "

Kau-Ruck sprach von den Steinen der Gingema. Die Außerirdischen ahnten natürlich nicht, daß es Zaubersteine waren. Die böse Hexe hatte sie vor Jahrhunderten in der Wüste aufgestellt, um Wanderern und Reitern aus der Großen Welt den Weg ins Zauberland zu versperren. Nur die Bewohner des Zauberlandes konnten sich an ihnen vorbei zwängen oder über sie hinwegfliegen. Die Hexe hatte allerdings damals nicht geahnt, daß es einmal Helikopter geben werde, die die Steinbarrieren überfliegen können.

„Wir sollten unsere Radaranlagen auf diesen Riesensteinen installieren", schlug der Pilot vor. Seine Idee fand Zustimmung, und man beschloß, sie zu verwirklichen. Unverzüglich machten sich die Außerirdischen an die Arbeit. Der General ernannte Mon-So zum Verantwortlichen.

Es flogen so viele Helikopter los, wie Kanonen vorhanden waren. Außerdem wurde ein Sonderhelikopter für den Staffelkommandeur zur Verfügung gestellt, damit er rasch zwischen den einzelnen Punkten hin und her fliegen konnte. Arsaken wurden nicht mitgenommen. In jedem Helikopter saßen zwei Menviten, ein Pilot und ein Ingenieur. Vor dem Abflug wurde jedem Menviten eine Kanone zugeteilt, für deren Umbau er verantwortlich war. Emsig wie Bienen aus ihren Bienenstöcken schwärmten die Helikopter kurz darauf aus zu ihrem jeweiligen Ziel.

Die Sonne stieg höher, sie verblaßte allmählich, und wenn sie hinter den Wolken verschwand, schien sie noch fahler als sonst. Unter ihren Strahlen löste sich der Nebel auf, nur hie und da im Flachland lagen noch blasse Schwaden im Grund. Jetzt blitzten auch die Kanonen im Tageslicht. Tau funkelte auf ihren Rohren. Unbeweglich standen die Radaranlagen, sie wirkten wie geflügelte Pferde, bereit, jeden Augenblick ihre Reiterkunststücke zu vollführen. Es war, als würde die Sonne sie mit ihren Strahlen erwecken. Aber sie schliefen nicht Sie machten auch keine Anstalten zu erwachen. Sie waren einfach abgeschaltet.

Die Helikopter hingen über den Anlagen in der Luft. Die Ingenieure ließen sich an Strickleitern hinab und befestigten die Trosse an den Bügeln der Radaranlagen; nun mußten sie nur noch vorsichtig angehoben und zu den Schwarzen Steinen befördert werden. Man hatte zwischen den Steinen der Gingema die höchsten mit einer glatten Oberfläche ausgewählt.

Die Heckschrauben der Helikopter schienen sich geräuschlos in die Luft zu bohren. Das Unternehmen versprach erfolgreich zu verlaufen. Der Verantwortliche konnte sich nicht enthalten, kurz nach Ranavir zu fliegen, um dem General zu melden, daß der Auftrag in schnellem, sportlichem Tempo ausgeführt werde. Er wollte Baan-Nu erfreuen. Der General beendete gerade seinen Frühsport. Er boxte mit einem imaginären Gegner und sprang auf dem Boden hin und her. So würde vielleicht sein nächster Zweikampf mit dem Ungeheuer verlaufen, den er noch nicht in dem Werk „Die Eroberung der Belliora" beschrieben hatte.

Der Staffelkommandeur salutierte vor dem General, beschrieb die Situation in leuchtendsten Farben und flog, angespornt von Baan-Nus Lob zurück, um den weiteren Verlauf der Arbeiten zu leiten.

Als Mon-So hoch über den Schwarzen Steinen dahinschwebte, sah er, daß alle Kanonen aufgestellt waren. Die Helikopter, die über den Steinen hingen, strafften gerade die Trosse. Die Ingenieure kletterten an den Strickleitern in die Maschinen zurück. Bald würden sie im Lager sein und die Glückwünsche der Kameraden entgegennehmen.

„Großartig! Wundervoll!" Mon-So hätte vor Freude fast gesungen. Heute würden der Staffelkommandeur und seine Flieger ganz bestimmt als gefeierte Helden die Ehrenplätze an der Festtafel einnehmen wie in vergangenen Zeiten auf Rameria, wenn sie eine Operation erfolgreich beendet hatten. Bedienen aber würde Ilsor. Das hatte Baan-Nu zur Belohnung versprochen. Mon-So beschloß, rasch das Festessen zu bestellen und hatte schon seinen Helikopter gewendet. Da tönten miteins wild durcheinander Rufe aus seiner Funkanlage. Die Piloten von den anderen Maschinen, die ihren Kommandeur hoch in den Wolken entdeckt hatten, riefen um Hilfe. „Die Steine sind wie Magneten", schrien sie. Mon-So blickte aus dem Seitenfenster. Etwas Seltsames war geschehen. Einige Helikopter hüpften zwischen den Steinen auf und nieder, andere drehten sich wild im Kreis. Mehrere Helikopter hingen unbeweglich wie Luftballons über den Steinen, während die Menviten wie Zirkusartisten über die Maschinen sprangen und dann in die Kabinen hopsten, aus denen sie jedoch eine unsichtbare Kraft hinauszustoßen schien. Dieses Spiel wiederholte sich, bis die Menviten halb besinnungslos vor Erschöpfung in den Türen hängenblieben. Ein paar Helikopter waren leer. Die Ingenieure und Piloten schossen derweilen Purzelbäume auf den Strickleitern.

Mon-So erschreckte dieser Anblick dermaßen, daß er lange ratlos vor sich hinstarrte. Endlich beschloß er herauszufinden, was es mit den Helikoptern und deren Besatzungen auf sich hatte. Erzürnt schwor er, die Schuldigen streng zu bestrafen. Er flog zu einem Helikopter, in dem Pilot und Ingenieur nach wilden Sprüngen über dem Stein Atem schöpften. Der Pilot meldete:

„Mon-So, mein Oberst, höre, was ich dir sagen will. Mein Kamerad hat auf dem Schwarzen Stein unsere Anlage montiert und wollte gerade zurück in den Helikopter. Da geschah etwas Eigenartiges. Er war die Strickleiter knapp bis zur Hälfte emporgeklommen, als er wieder hinabstürzte. Das wiederholte sich mehrere Male. Irgend etwas schien ihn immerfort in die Tiefe zu ziehen. Ich wollte ihm helfen und begann den Ingenieur an der Strickleiter hochzuziehen. Doch in halber Höhe ließ mein Kamerad plötzlich los und purzelte auf den Stein."

Weiter geschah folgendes: Der Pilot landete den Helikopter auf dem Stein und zog den Ingenieur in die Kabine. Er riß den Steuerknüppel herum, und der Helikopter stieg auf. Doch kaum flogen die beiden über den Schwarzen Stein, als der Pilot den Steuerknüppel fahren ließ. Der Helikopter beschrieb einen Bogen, hüpfte über den Stein und landete auf der anderen Seite.

Mon-So lachte den Flieger derb aus und warf ihm das Ende seiner Trosse zu, um den widerspenstigen Helikopter ins Schlepptau zu nehmen. Ungehindert stiegen beide Maschinen auf. Miteins verspürte Mon-So einen harten Ruck. Die Trosse hatte sich gespannt, und der zweite Helikopter baumelte wie ein Stein an ihr. Wahrscheinlich hatte der Flieger wieder den Steuerknüppel losgelassen. Mon-So zog die Geschwindigkeitspedale durch. Die Luftschraube routierte wie wild, der Helikopter drehte sich um die eigene Achse, diesmal aber in die entgegengesetzte Richtung. Schließlich gelang es ihnen, die geheimnisvolle Anziehungskraft zu überwinden, sie stiegen auf, doch der unglückselige Pilot konnte nicht zu sich kommen. Mon-So, der den zweiten Helikopter enger an der Trosse zu sich heranzog, landete mühsam beide Maschinen unweit des Steins. Er zerrte den Piloten und den Ingenieur aus der Kabine, schimpfte fürchterlich und ohrfeigte sie. Endlich brachte er die beiden Pechvögel zur Besinnung.

„Mon-So, mein Oberst", sagte der Flieger und öffnete die Augen. „Von dem Augenblick an, da ich den Steuerknüppel fahren ließ, kann ich mich mit meinem Kameraden an nichts mehr erinnern. Wir wissen nur eins: Eine außergewöhnliche Kraft drückte uns in den Sitz zurück. Das ist alles."

So wie den ersten Helikopter befreite Mon-So nacheinander alle Menviten mit ihren Maschinen. Keiner wollte schließlich für ewige Zeiten auf den Schwarzen Steinen bleiben.

Als Baan-Nu von den Ereignissen erfuhr, überlegte er: Unter den Piloten war offenbar eine Erdepidemie ausgebrochen. Kurzerhand befahl er, alle in die Krankenstube zu legen. Doch, nachdem die Flieger sich von dem Schreck und ihren unfreiwilligen Sprüngen erholt hatten, wiesen sie keinerlei Krankheitssymptome mehr auf. Der General dachte bei sich: Das ist also nicht schlimm. Sie haben einfach einen Sonnenstich gehabt. Bedauerlich ist nur, daß die Anlage nicht funktioniert. Mon-So hatte, als er die Flieger befreite, in der Eile vergessen, die Radaranlagen und die Kanonen wieder ans Stromnetz anzuschließen.

Keiner der Piloten, die an den Schwarzen Steinen gewesen waren, hatte Lust, noch einmal an den gefährlichen Ort zurückzukehren. Unter den anderen Fliegern meldete sich auch kein Freiwilliger.

Mon-So wollte es sich nicht eingestehen, aber auch er fürchtete sich, dorthin zu fliegen. Es war zu gefährlich, steckenzubleiben und allein in der Wüste zwischen den Steinen zu hängen. Er, der stets zuverlässig alle Befehle des Generals ausführte, war bei den Fliegern nicht sehr beliebt. Deshalb glaubte er nicht, daß irgendein Pilot ihm zu Hilfe eilen würde. Und Baan-Nu würde ihn schon gar nicht retten! Der General überlegte, was weiter mit den Anlagen geschehen sollte. Vorläufig aber, bis dieses Problem gelöst wurde, blieb das Radarsystem erst einmal abgeschaltet.

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