»Ich fliege morgen sehr früh nach London, Howard.«
»Geschäftlich?« fragte Keller.
»Lord Macintosh hat mich eingeladen, um mir ein Objekt zu zeigen, für das er sich interessiert. Er will mich als Partnerin dafür.«
Brian Macintosh war einer der reichsten Bauträger Großbritanniens.
»Wann müssen wir los?« erkundigte Keller sich.
»Diesmal fliege ich allein.«
»Oh?«
»Ich möchte, daß du hier die Stellung hältst.«
Howard Keller nickte. »Gut, wird gemacht.«
»Das weiß ich. Auf dich ist immer Verlaß.«
Der Flug verlief glatt. Laras private Boeing 727 landete auf dem Flughafen Luton bei London und rollte vor dem Magec Terminal aus. Als Lara von Bord ging, ahnte sie noch nicht, wie sehr ihr Leben sich verändern würde.
In der Halle des Hotels Claridge wurde Lara von Direktor Ronald Jones empfangen. »Wie schön, Sie wieder bei uns zu haben, Miss Cameron! Ich begleite Sie gleich in Ihre Suite hinauf. Übrigens haben wir einige Nachrichten für Sie.« Es waren mehr als zwei Dutzend.
Ihre Suite war zauberhaft. Brian Macintosh und Paul Martin hatten Blumen geschickt; die Direktion ließ Hors d'reuvres und Champagner servieren. Sobald Lara die Tür hinter sich geschlossen hatte, begann das Telefon zu klingeln. Die Anrufe kamen aus allen Teilen Amerikas.
»Der Architekt schlägt plötzlich Änderungen vor, die ein Vermögen kosten würden ...«
»Die Zementlieferungen sind ins Stocken geraten ...«
»Die First National Savings and Loan möchte an der Finanzierung unseres nächsten Projektes beteiligt werden .«
»Der Oberbürgermeister läßt fragen, ob Sie zur Eröffnung nach L. A. kommen. Er will eine Riesenfeier ausrichten .«
»Die Toiletten sind nicht gekommen .«
»Das schlechte Wetter hält uns auf. Der Fertigstellungstermin ist wahrscheinlich nicht zu halten .«
Jedes Problem erforderte eine Entscheidung, und als Lara endlich das letzte Gespräch geführt hatte, war sie erschöpft. Sie aß in ihrer Suite zu Abend. Als sie dann aus dem Fenster die vor dem Hotelportal vorfahrenden Limousinen beobachtete, konnte sie ein gewisses Triumphgefühl nicht unterdrücken. Das kleine Mädchen aus Glace Bay hat es weit gebracht, Daddy, dachte sie.
Am nächsten Vormittag war Lara mit Brian Macintosh unterwegs, um das Objekt zu besichtigen: ein über drei Quadratkilometer großes Areal mit alten Gebäuden und Lagerschuppen direkt an der Themse.
»Bei diesem Projekt können wir mit großzügiger staatlicher Förderung rechnen«, erklärte Brian Macintosh ihr, »weil dadurch ein ganzer Stadtteil aufgewertet wird.«
»Ich würde gern noch mal darüber nachdenken«, sagte Lara. In Wirklichkeit stand ihre Entscheidung bereits fest.
»Natürlich.« Macintosh wechselte das Thema. »Übrigens habe ich für heute abend Konzertkarten - und meine Frau muß zu einer Komiteeversammlung. Mögen Sie klassische Musik?«
Lara interessierte sich nicht für klassische Musik. »Ja.«
»Philip Adler spielt Rachmaninow.« Macintosh sah Lara an, als erwarte er irgendeine Reaktion. Aber sie hatte diesen Namen noch nie gehört.
»Wundervoll!« sagte Lara und heuchelte Begeisterung.
»Dann freue ich mich schon auf Sie. Nach dem Konzert essen wir bei Scotts. Ich hole Sie um sieben ab.«
Warum habe ich behauptet, klassische Musik zu mögen? fragte Lara sich. Nun stand ihr ein langweiliger Abend bevor. Dabei hätte sie lieber ein heißes Bad genommen und wäre früh zu Bett gegangen. Gut, ein Abend mit Macintosh kann nicht schaden, dachte sie. Aber morgen fliege ich nach New York zurück!
In der Royal Festival Hall drängten sich Musikliebhaber: die Herren im Smoking, die Damen in eleganten Abendkleidern. Bei dieser Gala herrschte in dem riesigen Konzertsaal eine Atmosphäre gespannter Erwartung.
Nachdem Brian Macintosh zwei Programme gekauft hatte, nahmen sie ihre Plätze ein. Er gab eines der Programme Lara, die eher gelangweilt darin blätterte. London Philharmonie Orchestra ... Schubert: Symphonie No. 9, C-dur, D 944 ... Pause ... Rachmaninow: Klavierkonzert No. 3 in d-moll, Opus 30 ... Solist: Philip Adler, Klavier.
Nach der Schubert-Symphonie und der Pause, in der Macintosh zum Glück nicht versuchte, sie in ein Gespräch über Musik zu verwickeln, herrschte im Publikum erwartungsvolle Stille. Nur Lara war in Gedanken anderswo.
Ich muß Howard anrufen und ihn daran erinnern, die Finanzierung unseres Projektes in der Fifth Avenue den geänderten Kostenvoranschlägen anzupassen, überlegte sie.
Der Dirigent kam wieder aufs Podium und wurde mit Beifall empfangen. Lara achtete nicht auf ihn. Der Baufortschritt in Boston ist unbefriedigend. Unser Vertragspartner braucht einen zusätzlichen Anreiz. Ich werde Howard anweisen, ihn mit einem Bonus zu ködern.
Dann rauschte wieder Beifall auf. Der Solist erschien und nahm seinen Platz am Flügel ein. Der Dirigent gab den Einsatz.
Die Musik begann.
Philip Adlers Hände glitten über die Tasten.
Eine hinter Lara sitzende Konzertbesucherin flüsterte mit texanischem Akzent: »Ist er nicht fantastisch? Ich hab's dir gesagt, Agnes!«
Lara versuchte, sich wieder zu konzentrieren. Dieses Londoner Projekt ist gestorben, sagte sie sich. Dort will später kein Mensch wohnen. Lage. Lage. Lage. Sie dachte an ein Objekt am Columbus Circle, das ihr vor kurzem angeboten worden war. Damit war eher etwas anzufangen.
Die Frau hinter Lara flüsterte: »Dieser Ausdruck . einfach fabelhaft! Er ist einer der besten .«
Lara versuchte, ihre Kommentare zu überhören.
Ein Bürogebäude in dieser Lage durfte höchstens viertausend Dollar pro Quadratmeter Mietfläche kosten. Bei Grundstückskosten von einhundertfünfundzwanzig Millionen, Baukosten von rund einhundertfünfzig Millionen und Finanzierungskosten von .
»Herrlich!« flüsterte die Texanerin hinter ihr.
Lara schrak aus ihren Träumen auf.
»Wirklich brillant!«
Nach einem Paukenwirbel spielte der Pianist die nächsten vier Takte solo; danach steigerte sich das bis dahin schon schnelle Tempo noch mehr.
»Hör dir das an!« flüsterte die Frau hinter Lara. »Dieser unglaubliche Tempowechsel! Hast du schon mal so was Aufregendes gehört?«
Lara biß die Zähne zusammen.
Die Rentabilitätsschwelle müßte sicher zu erreichen sein, überlegte sie. Zu Herstellungskosten von dreihundertfünfzig Millionen kamen bei einem Zinssatz von zehn Prozent fünfunddreißig Millionen und zehn Millionen Betriebskosten .
Sie wurde erneut abrupt unterbrochen, als der Beifallssturm losbrach. Bravorufe mischten sich hinein. Der Pianist war
aufgestanden und verbeugte sich.
Lara klatschte anstandshalber mit. Zieht man noch etwa sechs Millionen Steuern ab, dachte sie, bleiben 58 Millionen, die .
»Er ist unglaublich, nicht wahr?« fragte Brian Macintosh.
»Ja.« Lara ärgerte sich über die abrupte Unterbrechung ihrer Gedanken.
»Kommen Sie, wir besuchen ihn in seiner Garderobe. Ich bin mit Philip befreundet.«
»Aber ich möchte Sie nicht .«
Aber er zog sie bereits hinter sich her zu einem der Ausgänge.
In New York war es jetzt fünf Uhr, dachte Lara. Sie konnte Howard noch anrufen, damit er ihr eine Option sicherte.
»Er ist einmalig, nicht wahr?«
Einmal reicht mir, dachte sie. »Ja.«
Vor dem Bühneneingang hatte sich eine große Menge versammelt. Brian Macintosh klopfte an die Tür. Ein livrierter Portier machte ihm auf.
»Ja, Sir?«
»Lord Macintosh für Mr. Adler.«
»Gewiß, Mylord. Treten Sie bitte ein.« Er öffnete die Tür gerade so weit, daß Lara und Macintosh eintreten konnten, und drückte sie hinter ihnen sofort wieder ins Schloß.
»Was wollen alle diese Leute?« fragte Lara.
Macintosh sah sie überrascht an. »Sie warten auf Philip Adler.«
Weshalb? fragte Lara sich.
»Der Empfang findet im Wintergarten statt, Mylord«, sagte der Portier.
»Danke.«
Fünf Minuten, nahm Lara sich vor, dann sage ich, daß ich Kopfschmerzen habe.
Im Wintergarten drängten die Gäste sich um einen Mann, den
Lara zunächst nicht deutlich sehen konnte. Dann entstand eine Lücke in der Menge, so daß er sekundenlang klar zu erkennen war. Lara blieb wie angenagelt stehen und hatte das Gefühl, ihr Herzschlag setzte aus. Das vage, schemenhafte Bild, das sie von Jugend an in ihrem Unterbewußtsein bewahrt hatte, war plötzlich lebendig geworden. Lochinvar, ihr Ritter in schimmernder Wehr, stand leibhaftig vor ihr!
Der Mann im Mittelpunkt der Menge war groß und blond, sah blendend aus und hatte feine, sensible Gesichtszüge. Er trug einen Frack, bei dessen Anblick Lara das Gefühl hatte, eine vertraute Szene wiederzuerleben: Sie stand in der Küche des Fremdenheims am Ausguß, und der gutaussehende junge Mann im Frack trat von hinten an sie heran, umarmte sie und flüsterte: »Kann ich dir helfen?«
Brian Macintosh starrte Lara besorgt an. »Ist Ihnen nicht gut?«
»Doch, doch ... danke, mir fehlt nichts«, versicherte sie ihm hastig.
Philip Adler kam auf sie zu. Sein warmes Lächeln entsprach genau dem Bild, das sie sich immer von ihm gemacht hatte. Er streckte die Hand aus. »Wie schön, daß Sie im Konzert gewesen sind, Brian.«
»Das wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen«, antwortete Macintosh. »Sie haben wundervoll gespielt.«
»Vielen Dank.«
»Oh, Philip, ich möchte Sie mit Miss Lara Cameron bekannt machen.«
Lara starrte ihn an und murmelte wie in Trance: »Helfen Sie mir abtrocknen?«
»Wie bitte?«
Lara wurde rot. »Nichts. Ich ...« Sie hatte Mühe, sich ein paar höfliche Floskeln abzuringen.
Andere Gäste drängten sich um Philip Adler und überhäuften ihn mit Komplimenten.
»Sie haben nie besser gespielt .«
»Bestimmt ist Rachmaninow heute abend an Ihrer Seite gewesen .«
Die Komplimente nahmen kein Ende. Besonders die Frauen drängten sich um den Pianisten und versuchten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Lara beobachtete ihn wie hypnotisiert. Ihr Jugendtraum war wahr geworden. Ihr Ritter stand vor ihr.
»Sollen wir gehen?»fragte Brian Macintosh irgendwann.
Nein! Lara wünschte sich nichts mehr, als noch bleiben zu können. Sie wollte erneut mit dieser Traumgestalt reden, sie berühren und sich davon überzeugen, daß sie tatsächlich existierte. »Ja«, antwortete sie widerstrebend.
Am nächsten Morgen befand Lara sich auf dem Rückflug nach New York. Sie fragte sich, ob sie Philip Adler je wiedersehen würde.
Sie konnte ihn nicht mehr vergessen. Sie versuchte sich einzureden, es sei lächerlich, einen Jugendtraum wiederbeleben zu wollen, aber es half nichts. Sie hatte ständig sein Gesicht vor sich, bildete sich ein, seine Stimme zu hören. Ich muß ihn wiedersehen, dachte Lara.
Am Tag darauf rief Paul Martin früher an als sonst.
»Hi, Baby. Du hast mir gefehlt. Wie war's in London?«
»Schön«, antwortete Lara vorsichtig. »Sehr schön.« Als das Gespräch beendet war, blieb Lara an ihrem Schreibtisch sitzen und dachte an Philip Adler.
»Sie werden im Konferenzraum erwartet, Miss Cameron.«
»Unser Projekt in Queens können wir vergessen«, sagte Keller.
»Wieso? Ich dachte, wir hätten es im Kasten.«
»Das hab' ich auch gedacht, aber der Bezirksausschuß weigert sich, der beantragten Änderung des Bebauungsplans zuzustimmen.«
Laras Blick glitt über die Männer und Frauen am Konferenztisch hinweg. Architekten, Anwälte, PR-Leute und Bauingenieure.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Lara. »Die Mieter dort haben ein durchschnittliches Jahreseinkommen von neuntausend Dollar und zahlen weniger als zweihundert Dollar Monatsmiete. Wir wollen ihre Wohnungen renovieren, ohne die Mieten zu erhöhen, und darüber hinaus zusätzlichen Wohnraum für weitere Bewohner des Stadtbezirks schaffen. Wir machen ein großzügiges Angebot, und sie lehnen ab! Wo liegt das Problem?«
»Weniger beim Bezirksausschuß. Eigentlich bei seiner Vorsitzenden - einer Mrs. Edith Benson.«
»Vereinbaren Sie einen Termin mit ihr. Ich muß selbst mit ihr reden.«
Zu dieser Besprechung nahm Lara ihren Bauleiter Bill Whit-man mit.
»Ehrlich gesagt, ich bin sprachlos gewesen, als ich gehört habe, daß Ihr Ausschuß unser Angebot abgelehnt hat«, begann Lara. »Wir wollen über hundert Millionen Dollar ausgeben, um die hiesigen Wohnverhältnisse zu verbessern, aber Sie weigern sich, uns .«
Edith Benson unterbrach sie. »Machen wir uns nichts vor, Miss Cameron. Sie geben kein Geld aus, um hier Wohnverhältnisse zu verbessern. Sie geben Geld aus, damit die Firma Cameron Enterprises weitere Gewinne erzielt.«
»Natürlich wollen wir Gewinne machen«, gab Lara zu. »Aber indem wir das tun, können wir gleichzeitig den Leuten hier helfen. Wir werden ihre Lebensbedingungen verbessern, und .«
»Tut mir leid, da bin ich anderer Meinung. Vorläufig ist dieses Gebiet noch eine ruhige Wohngegend. Lassen wir Sie zum Zug kommen, wird die Bebauung erheblich verdichtet - und das bedeutet mehr Autos, mehr Verkehr, mehr Umweltbelastung. Genau das wollen wir nicht.«
»Das wollen wir auch nicht«, versicherte Lara. »Wir haben nicht vor, billige Bruchbuden hinzustellen. Uns interessieren keine Entwürfe, die den Lärmpegel erhöhen, viel Licht schlukken oder das ganze Stadtviertel verändern. Ich habe Stanton Fielding, einen der besten Architekten, den Sie bekommen können, mit der Planung beauftragt, und Andrew Burton aus Washington ist für die Gestaltung der Außenanlagen zuständig.«
Edith Benson zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, aber da ist nichts zu machen. Weitere Diskussionen erübrigen sich also.« Sie schien aufstehen zu wollen.
Diese Sache darf nicht schief gehen! dachte Lara verzweifelt. Merkt sie denn nicht, daß ich ihren Leuten wirklich helfen will? Für uns bedeutet das Ganze einen ungeheuren Prestigegewinn. Und plötzlich hatte sie eine verrückte Idee.
»Augenblick, Mrs. Benson«, sagte Lara. »Soviel ich gehört habe, sind die übrigen Ausschußmitglieder für dieses Projekt, das im wesentlichen von Ihnen blockiert wird.«
»Ja, das stimmt.«
Lara holte tief Luft. »Es gibt noch einen weiteren Punkt, der angesprochen werden sollte.« Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: »Sie glauben, daß mir die zusätzlichen Belastungen, die unser Projekt bewirken könnte, gleichgültig sind? Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen, das Sie hoffentlich für sich behalten werden. Ich habe eine zehnjährige Tochter, die mit ihrem Vater in die neue Wohnanlage einziehen wird. Er hat das Sorgerecht für sie.«
Edith Benson starrte sie überrascht an. »Ich ... ich wußte gar nicht, daß Sie eine Tochter haben.«
»Das weiß niemand«, erklärte Lara ihr. »Ich bin nie verheiratet gewesen. Deshalb bitte ich Sie, meine Mitteilung streng vertraulich zu behandeln. Sollte diese Tatsache bekannt wer-den, könnte sie mir sehr schaden. Das verstehen Sie sicher.«
»Ja, ich verstehe.«
»Ich liebe meine Tochter sehr und kann Ihnen versichern, daß ich alles für sie tun würde. Deshalb werde ich mir auch größte Mühe geben, um dieses Projekt für alle Bewohner optimal zu gestalten. Schließlich baue ich es auch für meine Tochter.«
Die Ausschußvorsitzende schwieg. »Das läßt die Sache natürlich in ganz anderem Licht erscheinen, Miss Cameron«, sagte sie schließlich. »Ich hätte gern etwas Bedenkzeit, aber ich bin sicher, daß sich ein Weg finden läßt.«
»Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.« Hätte ich eine Tochter, dachte Lara, könnte ich sie mit gutem Gewissen hier wohnen lassen.
Drei Wochen später erhielt die Firma Cameron Enterprises von der städtischen Planungskommission die Genehmigung für das Projekt in Queens.
»Schön«, sagte Lara. »Jetzt müssen wir schnellstens Stanton Fielding und Andrew Burton fragen, ob sie Interesse daran haben, das Vorhaben gemeinsam mit uns zu verwirklichen.«
Howard Keller wollte seinen Ohren nicht trauen. »Ich hab' gehört, was passiert ist«, sagte er. »Du hast sie reingelegt! Unglaublich! Du hast gar keine Tochter!«
»Sie haben dieses Projekt gebraucht, genauso wie wir«, stellte Lara gelassen fest. »Und mir ist nichts anderes eingefallen, um einen Meinungsumschwung zu bewirken.«
Bill Whitman, der zugehört hatte, schüttelte besorgt den Kopf. »Wenn das rauskommt, ist der Teufel los!«
Im Januar wurde ein fünfundvierzigstöckiges Apartmentgebäude auf der East Side in der dreiundsechzigsten Straße fertiggestellt. Lara hatte das Duplex-Penthouse für sich selbst reserviert. Alle Räume waren sehr großzügig geschnitten, und die Dachterrassen nahmen beinahe einen halben Straßenblock ein. Ausgestattet und eingerichtet wurde Laras Wohnung von der bekanntesten Innenarchitektin New Yorks. Zur Einweihungsparty kamen über hundert Gäste.
»Hier fehlt bloß noch ein Mann«, meinte eine der Eingeladenen boshaft.
Und Lara dachte an Philip Adler und fragte sich, wo er gerade sein und was er tun mochte.
Lara Cameron saß mit Howard Keller in einer Besprechung, als Bill Whitman in ihr Büro kam.
»Hi, Boss. Haben Sie 'ne Minute Zeit für mich?«
Lara sah von ihren Unterlagen auf. »Wo liegt das Problem?«
»Bei meiner Frau.«
»Wenn's in Ihrer Ehe kriselt ...«
»Nein, nein, darum geht's nicht. Sie findet, wir sollten eine Zeitlang Urlaub machen. Vielleicht ein paar Wochen nach Paris fliegen.«
Lara runzelte die Stirn. »Nach Paris? Ausgerechnet jetzt, wo wir mitten in einem halben Dutzend Projekte stecken?«
»Ich weiß, aber ich hab' in letzter Zeit oft Überstunden gemacht und meine Frau kaum noch zu Gesicht bekommen. Wissen Sie, was sie heute morgen zu mir gesagt hast? >Bill<, hat sie gesagt, >wenn du befördert würdest und eine hübsche Gehaltserhöhung bekämst, könntest du's langsamer angehen lassen.<« Er lächelte gewinnend.
Lara lehnte sich in ihren Sessel zurück und musterte ihn prüfend. »Eine Gehaltserhöhung steht Ihnen eigentlich erst nächstes Jahr zu.«
Er zuckte mit den Schultern. »Wer weiß, was bis dahin alles passiert? Zum Beispiel könnte es mit unserem Bauvorhaben in Queens Probleme geben. Die alte Edith Benson könnte etwas erfahren und daraufhin ihre Meinung ändern. Nicht wahr?«
Lara verzog keine Miene. »Ja, ich verstehe.«
Bill Whitman stand auf. »Denken Sie darüber nach, und lassen Sie mich wissen, wofür Sie sich entschieden haben.«
Lara rang sich ein Lächeln ab. »Wird gemacht.«
Sie starrte ihm grimmig nach, als er das Büro verließ.
»Jesus!« sagte Keller. »Was war das denn?«
»Eine Erpressung, Howard.«
Am nächsten Tag traf Lara sich mit Paul Martin zum Lunch.
»Paul, ich habe ein Problem«, vertraute sie sich ihm an. »Ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll.« Sie erzählte ihm von ihrem Gespräch mit Bill Whitman.
»Glaubst du wirklich, daß er damit zu der alten Dame gehen würde?« fragte Paul Martin.
»Keine Ahnung. Aber falls er's tut, macht die Baukommission mir bestimmt größte Schwierigkeiten.«
Paul zuckte mit den Schultern. »Mach' dir seinetwegen keine Sorgen. Wahrscheinlich blufft er nur.«
Lara seufzte. »Hoffentlich!«
»Was hältst du davon, mit nach Reno zu kommen?« fragte er.
»Ich würde gern, aber ich habe wirklich keine Zeit!«
»Ich rede nicht von einer Urlaubsreise. Ich frage dich, ob du Lust hättest, dort ein Hotel mit Spielkasino zu kaufen.«
Lara starrte ihn an. »Ist das dein Ernst?«
»Ich habe erfahren, daß eines der Hotels seine Lizenz verlieren wird. Das Spielkasino ist die reinste Goldmine. Sobald das bekannt wird, sind alle dahinter her. Das Hotel soll versteigert werden, aber ich denke, daß ich dir den Zugschlag verschaffen kann.«
Lara zögerte. »Ach, ich weiß nicht recht. Ich habe meinen Kreditrahmen ziemlich ausgeschöpft. Howard sagt, daß die Banken uns kein Geld mehr leihen, bevor wir nicht einige Darlehen zurückgezahlt haben.«
»Dazu brauchst du keine Bank.«
»Aber woher soll ich ...?«
»Den Kauf finanzierst du ganz einfach mit Junk Bonds, wie sie von vielen Wall-Street-Firmen angeboten werden. Du hast fünf Prozent Eigenkapital, und eine Sparbank gibt hochverzinsliche Schuldverschreibungen für weitere fünfundsechzig Prozent aus. Danach fehlen dir noch dreißig Prozent, die du von einer ausländischen Bank bekommst, die in Spielkasinos investiert. Du hast sogar die Wahl zwischen der Schweiz, Deutschland und Japan. Dort gibt es ein halbes Dutzend auf Spielkasinos spezialisierte Banken, die dir diese restlichen dreißig Prozent finanzieren.«
»Das klingt großartig!« sagte Lara aufgeregt. »Glaubst du wirklich, daß du mir das Hotel verschaffen kannst?«
Paul nickte grinsend. »Das wird dein Weihnachtsgeschenk.«
»Du bist wunderbar. Warum bist du so gut zu mir?«
»Keine Ahnung«, behauptete er neckend. Aber er wußte genau, daß er ihr verfallen war. Durch sie fühlte er sich wieder jung; sie hatte sein Leben wieder aufregend gemacht. Ich will dich nie verlieren, dachte er.
Keller wartete auf Lara, als sie ins Büro zurückkam.
»Wo hast du gesteckt?« fragte er vorwurfsvoll. »Um vierzehn Uhr war eine Besprechung angesetzt, zu der ...«
»Erzähl' mir was über Junk Bonds, Howard. Damit haben wir noch nie gearbeitet. Wie werden Schuldverschreibungen bewertet?«
»Ganz oben stehen Schuldverschreibungen erster Adressen -AT & T, DuPont, General Motors und dergleichen -, die mit AAA bewertet werden. Darunter gibt's AA, A, BAA und so weiter bis hinunter zu BB - das sind Junk Bonds. Für mit AAA bewertete Schuldverschreibungen gibt es neun Prozent Zinsen; Junk Bonds bringen vierzehn Prozent. Warum interessiert dich das?«
Lara sagte es ihm.
»Ein Spielkasino, Lara?« fragte Keller entgeistert. »Dahinter
steckt Paul Martin, stimmt's?«
»Nein, Howard. Falls ich mich dazu entschließe, stehe ich dahinter.« Sie wechselte das Thema. »Was ist mit unserem Angebot für das Objekt am Battery Park? Hast du schon eine Antwort bekommen?«
»Ja. Sie will nicht an uns verkaufen.«
»Aber das Objekt ist zu verkaufen?«
»In gewisser Weise schon.«
»Kannst du dich nicht deutlicher ausdrücken?«
»Es gehört einer Arztwitwe namens Eleanor Royce. Sämtliche Bauträger New Yorks haben ihr schon Angebote unterbreitet.«
»Sind wir überboten worden?«
»Daran liegt's nicht. Die alte Dame hat kein Interesse an Geld. Sie ist stinkreich.«
»Woran hat sie dann Interesse?«
»An einer Art Denkmal für ihren Mann. Sie bildet sich anscheinend ein, mit Albert Schweitzer verheiratet gewesen zu sein. Sein Andenken soll bewahrt werden. Deshalb will sie nicht, daß ihr Objekt kommerziell verwertet wird. Angeblich soll Steve Murchison versucht haben, ihr das Grundstück abzuschwatzen.«
»Oh?« Lara saß etwa eine Minute lang nachdenklich schweigend da. Dann fragte sie: Wer ist dein Arzt, Howard?«
»Wie bitte?«
»Wer ist dein Arzt?«
»Seymor Bennett, der Chefarzt vom Midtown Hospital.«
Am nächsten Morgen saß Terry Hill, Laras Anwalt, in Dr. Bennetts Sprechzimmer.
»Meine Sprechstundenhilfe sagt mir, daß Sie kein medizinisches Problem haben, mich aber trotzdem dringend sprechen wollen.«
»In gewisser Beziehung ist es doch ein medizinisches Pro-blem, Dr. Bennett«, antwortete Terry Hill. »Ich vertrete eine Investorengruppe, die eine Sozialklinik errichten möchte. Uns geht es darum, den vielen Armen, die sich keine Behandlung leisten können, wirkungsvoll zu helfen.«
»Eine ausgezeichnete Idee!« sagte Dr. Bennett. »Was kann ich tun, um Ihnen zu helfen?«
Terry Hill sagte es ihm.
Am übernächsten Nachmittag war Dr. Bennett bei Eleanor Royce zum Tee eingeladen.
»Ich bin gebeten worden, im Auftrag einer Investorengruppe an Sie heranzutreten, Mrs. Royce. Die Geldgeber wollen eine Klinik bauen und nach Ihrem verstorbenen Gatten benennen. Sie stellen sich diese Klinik als eine Art Denkmal für ihn vor.«
Die Arztwitwe lächelte entzückt. »Tatsächlich?«
Sie sprachen lang über das geplante Bauvorhaben. Danach sagte Mrs. Royce: »Davon wäre George sicher begeistert gewesen. Sie können Ihren Leuten sagen, daß das Geschäft perfekt ist.«
Ein halbes Jahr später wurde mit dem Bau begonnen. Der fertiggestellte Gebäudekomplex war gigantisch. Ein ganzer Straßenblock war mit einem riesigen Apartmentgebäude, einer weitläufigen Ladenpassage und einem Theater bebaut. In einer Ecke des Grundstücks stand ein bescheidener einstöckiger Klinkerbau, über dessen Eingang ein schlichtes Schild verkündete: GEORGE ROYCE MEDICAL CLINIC.
Am ersten Weihnachtsfeiertag blieb Lara zu Hause. Sie war zu einem Dutzend Parties eingeladen, aber Paul wollte vorbeikommen. »Ich muß heute bei Nina und den Kindern bleiben«, hatte er ihr erklärt, »aber ich möchte vorbeikommen, um dich wenigstens kurz zu sehen.«
Lara fragte sich, was Philip Adler an diesem ersten Weihnachtstag tun mochte.
Draußen herrschte Weihnachtswetter wie auf einer Ansichtskarte. Ganz New York lag bei strahlendem Sonnenschein unter einer glitzernden Neuschneedecke. Als Paul Martin kam, brachte er eine ganze Tragetasche mit Geschenken für Lara mit.
»Ich mußte im Büro vorbeifahren, um sie abzuholen«, sagte er entschuldigend. Damit seine Frau nichts merkt, dachte sie.
»Du bedeutest mir so viel, Paul. Du brauchst mir nichts zu schenken.«
»Es macht mir aber Freude. Komm, mach' sie auf!«
Lara fand seine Vorfreude auf ihre Freude rührend.
Die Geschenke waren teuer und geschmackvoll: Ein Armband von Cartier, ein Seidentuch von Hermes, ein schwerer Bildband über Schottland, eine kostbare alte Uhr und ein kleiner weißer Umschlag. Lara riß ihn auf. Er enthielt ein Kärtchen, auf dem in Druckschrift lediglich stand: cameron reno hotel & casino. Sie blickte überrascht zu Paul auf. »Ich habe das Hotel?«
Er nickte zuversichtlich. »Du bekommst es. Die Versteigerung findet nächste Woche statt. Viel Vergnügen damit!«
»Aber ich verstehe nichts von der Leitung eines Spielkasinos«, wandte Lara ein.
»Mach' dir deswegen keine Sorgen. Ich stelle ein paar Profis ein, die es für dich managen. Das Hotel kannst du selbst führen.«
»Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Du tust so viel für mich!«
Paul Martin nahm ihre Hände in seine. »Es gibt nichts, was ich nicht für dich täte. Daran mußt du immer denken.«
»Das tue ich«, versprach Lara ihm ernst.
Er sah auf seine Uhr. »Tut mir leid, ich muß nach Hause. Ich wollte, ich ...« Er zögerte.
»Ja?«
»Schon gut. Fröhliche Weihnachten, Lara.«
»Fröhliche Weihnachten, Paul.«
Als er gegangen war, trat sie ans Fenster. Der Himmel hatte sich mit grauen Wolken überzogen, aus denen es leicht zu schneien begann. Lara stellte ruhelos das Radio an und hörte die Stimme eines Ansagers: »... und nun als Festtagsprogramm das Boston Symphony Orchestra mit Beethovens Klavierkonzert Nummer fünf in E-Dur. Der Solist ist Philip Adler, Klavier.«
Lara hörte mit geschlossenen Augen zu und stellte sich ihn am Klavier vor, konzentriert und souverän. Als der Schlußak-kord verklungen war, dachte sie: Ich muß ihn wiedersehen.
Bill Whitman war ein ausgezeichneter, sehr gesuchter Bauleiter. Er hatte sich vom Maurer hochgearbeitet, arbeitete fleißig und verdiente gutes Geld. Trotzdem war er unzufrieden. Er beobachtete seit Jahren, wie die Unternehmer Millionen scheffelten, während er mit seinem Gehalt abgespeist wurde. In gewisser Weise verdienen sie an mir, sagte er sich. Der Kuchen für die Unternehmer; die Krümel für mich ...
Aber seit jenem Tag, an dem Lara Cameron der Bezirksausschußvorsitzenden die rührende Geschichte von ihrer Tochter erzählt hatte, war alles anders. Sie hatte gelogen, um Mrs.
Benson für ihr Vorhaben zu gewinnen - und diese Lüge konnte ihr das Genick brechen. Würde ich jetzt hingehen und auspakken, könnte sie ihren Laden zumachen, dachte er.
Genau das hatte Bill Whitman jedoch nicht vor. Er hatte einen besseren Plan. Er wollte die Sache zu seinem eigenen Vorteil nutzen. Lara Cameron würde ihm alles geben, was er verlangte. Schon ihr erstes Gespräch, bei dem er eine Beförderung und eine Gehaltserhöhung verlangt hatte, hatte ihm gezeigt, daß sie nachgeben würde. Ihr blieb gar nichts anderes übrig. Ich fange klein an, dachte er zufrieden, und setze sie allmählich unter Druck.
In der letzten Dezemberwoche begannen die Aushubarbeiten für das neue Eastside Plaza. Whitman sah sich auf der riesigen Baustelle um und dachte: Hier wird eines Tages 'ne Menge Geld verdient. Aber diesmal bin ich auch daran beteiligt.
Überall auf dem Gelände waren schwere Baumaschinen im Einsatz. Riesige Schaufelbagger gruben das Erdreich auf, drehten sich und kippten ihre tonnenschwere Ladung in bereitstehende Muldenkipper. Einer der Bagger schien jedoch irgendein technisches Problem zu haben: Seine Schaufel hing unbeweglich in halber Höhe fest. Whitman ging hinüber und stellte sich unter den Schürfkübel, um sich die Sache genauer anzusehen.
»He, Jesse«, rief er laut, um den Motorenlärm zu übertönen, »was ist los dort oben?«
Der Baggerführer murmelte etwas Unverständliches.
Whitman trat näher heran. »Was sagst du?«
Dann passierte alles blitzschnell. Der schwere Schürfkübel krachte auf Whitman herab und zerschmetterte ihn. Männer kamen herbeigerannt, aber der Verunglückte konnte nur noch tot geborgen werden.
»Die Hydraulik ist ausgefallen«, erklärte der Baggerführer später. »Gott, ich fühle mich schrecklich. Ich hab' Bill echt gerngehabt.«
Als Lara von dem Unglück hörte, rief sie sofort Paul Martin an. »Hast du von Bill Whitman gehört?«
»Ja. Das Fernsehen hat über den Unfall berichtet.«
»Paul, hast du etwa ...?«
»Komm ja nicht auf verrückte Ideen!« wehrte er lachend ab. »Du hast anscheinend zu viele Filme gesehen. Du weißt doch -zuletzt siegen immer die Guten.«
Und Lara fragte sich, ob sie zu den Guten gehörte.
Für das Hotel in Reno wurden über ein Dutzend Gebote abgegeben.
»Wann biete ich?« wollte Lara von Paul wissen.
»Erst mal gar nicht. Du wartest, bis ich's dir sage. Laß den anderen den Vortritt.«
Die Gebote mußten im verschlossenen Umschlag abgegeben werden und sollten am kommenden Freitag eröffnet werden. Am Mittwoch hatte Lara noch immer kein Gebot abgegeben. Sie rief nochmals Paul Martin an.
»Immer mit der Ruhe«, sagte er. »Ich melde mich rechtzeitig.«
Sie telefonierten jeden Tag mehrmals miteinander.
Freitag um siebzehn Uhr, eine Stunde vor Ablauf der Gebotsfrist, bekam Lara einen Anruf.
»Jetzt! Das Höchstgebot sind hundertzwanzig Millionen. Ich möchte, daß du drei Millionen mehr bietest.«
Lara holte erschrocken Luft. »Aber soviel ist das Hotel nie wert!«
»Keine Angst«, beruhigte Paul sie, »bei der vorgeschriebenen Renovierung gibt's tausend Möglichkeiten, Geld zu sparen. Du brauchst nur einen Baukontrolleur, der dir alles abzeichnet. Dadurch kannst du mindestens fünf Millionen rausholen.«
Am nächsten Tag erhielt Lara die Mitteilung, ihr Höchstgebot sei akzeptiert worden.
Jetzt war sie mit Howard Keller nach Reno unterwegs.
Das Hotel Reno Palace hatte eintausendfünfhundert luxuriös eingerichtete Zimmer und ein riesiges glitzerndes Spielkasino, das jetzt menschenleer war. Ein gewisser Tony Wilkie, der das leerstehende Haus verwaltete, führte die Besucher aus New York.
»Der vorige Besitzer hat verdammtes Pech gehabt«, behauptete er unterwegs.
»Wieso Pech?« fragte Howard Keller.
»Nun, offenbar haben einige der Jungens etwas Geld für sich selbst abgezweigt .«
»Den Rahm abgeschöpft«, warf Keller ein.
»Yeah. Der Besitzer hat natürlich nichts davon gewußt.«
»Natürlich nicht.«
»Aber irgend jemand hat ihn angezeigt, und die Kontrollkommission hat ihm prompt die Lizenz entzogen. Wirklich schade! Dabei hat das Kasino schöne Gewinne abgeworfen.«
»Ja, ich weiß.« Keller hatte die Bilanzen bereits eingesehen.
Als Lara nach ihrem Rundgang wieder mit Howard allein war, sagte sie zufrieden: »Paul hat recht gehabt. Dieser Laden ist eine Goldgrube!« Sie bemerkte Kellers Gesichtsausdruck. »Was hast du?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ach, ich weiß nicht. Mir gefällt nicht, daß wir uns auf so was einlassen.«
»Was willst du damit sagen? Damit ist viel Geld zu verdienen, Howard!«
»Aber wer soll das Kasino führen?«
»Dafür finden wir schon die richtigen Leute«, antwortete Lara ausweichend.
»Wo denn? Bei den Pfadfindern? Ein Spielkasino können nur Profis führen. Kennst du etwa Berufsspieler? Ich nicht!«
Lara blieb stumm.
»Aber ich möchte wetten, daß Paul Martin welche kennt.«
»Laß Paul da bitte raus!« verlangte Lara.
»Das täte ich gern - und mir war's lieber, wenn du auch
nichts damit zu schaffen hättest. Ich halte das alles für keine allzu gute Idee.«
»Das Projekt in Queens hast du auch abgelehnt. Und das Einkaufszentrum in der Houston Street. Aber mit beiden verdienen wir Geld, nicht wahr?«
»Lara, ich habe nie behauptet, das seien unrentable Projekte. Trotzdem finde ich unser Expansionstempo beängstigend hoch. Wir verschlingen alles, was wir kriegen können - aber wir haben noch nichts davon verdaut.«
Lara tätschelte seine Wange. »Schon gut, Howard.«
Die Mitglieder der für Lizenzen zuständigen Kontrollkommission empfingen Lara Cameron ausgesucht höflich.
»Wir bekommen nicht oft Besuch von attraktiven jungen Damen«, stellte der Vorsitzende fest. »Ihr Besuch verschönt uns den ganzen Tag.«
Lara sah blendend aus. Sie trug ein beiges Wollkostüm von Donna Karan, eine cremefarbene Seidenbluse und als Talisman das Hermes-Tuch, das Paul ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. »Danke«, sagte sie lächelnd.
»Was können wir für Sie tun?« fragte ein Kommissionsmitglied. Dabei wußten sie alle recht gut, was sie für sie tun konnten.
»Ich bin hier, weil ich etwas für Reno tun möchte«, sagte Lara ernsthaft. »Ich möchte, daß es das größte und schönste Hotel Nevadas bekommt. Ich möchte das Reno Palace um fünf Geschosse aufstocken und um ein Kongreßzentrum erweitern, das zusätzliche Gäste anlocken wird, von denen viele hier spielen werden.«
Die Kommissionsmitglieder sahen sich an. »Etwas in dieser Art könnte unserer Stadt nur nützen, glaube ich«, sagte der Vorsitzende. »Wir haben natürlich den Auftrag, dafür zu sorgen, daß die geltenden Bestimmungen strikt eingehalten würden.« »Ich verfüge nicht gerade über ein langes Vorstrafenregister«, stellte Lara lächelnd fest.
Sie schmunzelten über ihren kleinen Scherz. »Ihre bisherigen Leistungen sind bekannt, Miss Cameron, und in der Tat bewundernswert. Aber Sie verstehen nichts von der Führung eines Spielkasinos.«
»Ja, das stimmt«, gab Lara zu. »Andererseits ist es sicher einfach, qualifizierte Angestellte zu finden, mit denen Ihre Kommission einverstanden wäre. Für Ihre Unterstützung in dieser Sache wäre ich Ihnen natürlich dankbar.«
Ein Kommissionsmitglied meldete sich zu Wort. »Eine Frage zur Finanzierung: Können Sie garantieren, daß ...?«
Der Vorsitzende unterbrach ihn. »Schon gut, Tom. Miss Cameron hat die finanzielle Seite eingehend schriftlich dargelegt. Ich sorge dafür, daß jeder von euch eine Fotokopie bekommt.«
Lara saß wartend da.
»Ich kann Ihnen vorerst natürlich nichts versprechen, Miss Cameron«, sagte der Vorsitzende, »aber aus meiner Sicht spricht eigentlich nichts dagegen, Ihnen die Lizenz zu erteilen.«
Lara lächelte strahlend. »Wundervoll! Ich möchte so rasch wie möglich mit der Renovierung beginnen.«
»Bei uns geht so etwas nicht ganz so schnell, fürchte ich. Sie
müssen einen Monat warten, bevor wir Ihnen eine definitive Antwort geben können.«
»Einen Monat?« fragte Lara enttäuscht. »Ja. Wir müssen ein paar Erkundigungen einziehen.« »Natürlich«, sagte Lara. »Das verstehe ich gut.« Eines der Geschäfte in der Ladenpassage ihres Hotels war ein Schallplattenladen. Im Schaufenster hing ein großes Plakat von Philip Adler, das für seine neueste CD warb.
Die Musik interessierte Lara nicht. Sie kaufte die CD wegen Philips Bild auf dem Umschlag.
Auf dem Rückflug nach New York erkundigte Lara sich: »Howard, was weißt du über Philip Adler?«
»Ungefähr das, was alle wissen. Er spielt mit den berühmtesten Dirigenten und Orchestern und ist unbestreitbar einer der besten Pianisten der Gegenwart. Neulich habe ich irgendwo gelesen, daß er eine Stiftung zur Förderung junger Musiker in Großstädten gegründet hat - vor allem für Angehörige benachteiligter Minderheiten.« »Wie heißt die Stiftung?« »Philip Adler Foundation, glaube ich.« »Ich möchte etwas spenden«, sagte Lara. »Schick' ihnen morgen in meinem Namen einen Scheck über zehntausend Dollar.«
Keller starrte sie überrascht an. »Ich dachte, du hättest nichts übrig für klassische Musik?« »Allmählich interessiert sie mich«, sagte Lara.
Die Schlagzeile lautete:
staatsanwaltschaft ermittelt gegen paul martin rechtsanwalt soll verbindungen zur mafia haben
Lara las die Meldung und griff erschrocken nach dem Telefonhörer.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte sie Paul. »Nichts«, antwortete er lachend. »Der Staatsanwalt fischt nur mal wieder im trüben. Seine Leute bemühen sich seit Jahren, mir Verbindungen zur Mafia anzuhängen - immer ohne Erfolg. Vor jeder Wahl versuchen sie, mich als Prügelknaben zu benützen. Aber mach' dir deswegen keine Sorgen. Gehst du heute abend mit mir essen?« »Gern«, sagte Lara.
»Ich kenne ein kleines Restaurant in der Mulberry Street, in dem wir ganz ungestört sind.«
Beim Abendessen sagte Paul Martin: »Wie ich höre, ist das Gespräch mit der Kontrollkommission in Reno gut verlaufen.«
»Ja, das glaube ich auch. Alle sind sehr freundlich gewesen, aber ich habe natürlich keiner Erfahrung auf diesem Gebiet.«
»Da sehe ich eigentlich keine Probleme auf dich zukommen. Für das Kasino besorge ich dir ein paar gute Leute. Der Vorbesitzer ist einfach zu geldgierig geworden.« Er wechselte das Thema. »Wie steht's mit deinen Bauvorhaben?«
»Alles bestens. Wir arbeiten an drei Projekten gleichzeitig, Paul.«
»Mutest du dir nicht ein bißchen viel zu, Lara?«
Er redete schon fast wie Howard Keller. »Nein. Meine Vorhaben liegen zeitlich und finanziell genau im Plan.«
»Das freut mich, Baby. Ich möchte nicht erleben, daß dir irgendwas mißglückt.«
»Nein, mir glückt alles.« Sie legte ihre Hand auf seine. »Du bist mein Sicherheitsnetz.«
»Ich bin immer für dich da.« Er drückte ihre Hand.
Zwei Wochen vergingen, ohne daß Philip Adler etwas von sich hören ließ. Bei einer Besprechung mit Keller fragte Lara ihn: »Hast du der Adler Foundation einen Scheck über zehntausend Dollar geschickt?«
»Ja, gleich am nächsten Morgen.«
»Eigenartig. Ich hätte gedacht, daß er mal anrufen würde.« Keller zuckte mit den Schultern. »Vermutlich ist er gerade auf Tournee.«
»Wahrscheinlich.« Sie bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Reden wir lieber über den Neubau in Queens.«
»Der wird uns eine schöne Stange Geld kosten«, sagte Keller.
»Aber nur als unvermietetes Objekt. Am liebsten würde ich einen Vertrag mit einem einzigen Mieter abschließen.«
»Hast du schon einen im Visier?«
»Ja, eine Versicherungsgesellschaft - die Mutual Security Insurance. Ihr Präsident ist ein gewisser Horace Guttman. Ich habe gehört, daß sie auf der Suche nach einem neuen Verwaltungsgebäude sind. Warum sollten sie nicht unseren Neubau mieten?«
»Okay, ich kümmere mich darum«, sagte Keller.
Lara fiel auf, daß er sich keine Notizen machte. »Ich bewundere dein Gedächtnis. Du vergißt nie was, stimmt's?«
Keller nickte grinsend. »Ich habe ein fotografisches Gedächtnis. Früher habe ich mir vor allem Baseball-Statistiken gemerkt.« Wie lange das schon zurückliegt! dachte er. Howard Keller, das große Talent . der zukünftige Star der Chicago Cubs. Ein anderer Mensch in einer anderen Zeit. »Aber manchmal ist das ein Fluch. In meinem Leben gibt's ein paar Dinge, die ich lieber vergessen würde.«
»Die Architekten sollen schon mal mit der Planung für den Neubau anfangen, Howard. Und du stellst fest, welchen Raumbedarf die Mutual Security hätte.«
Zwei Tage später kam Keller in Laras Büro. »Tut mir leid, ich habe schlechte Nachrichten.«
»Oh?«
»Ich hab' mich umgehört. Das mit der Mutual Security Insurance stimmt. Sie sind wirklich auf der Suche nach einem Verwaltungsgebäude - aber Guttman denkt an ein Gebäude am Union Square. Es gehört unserem alten Freund Steve Murchi-son.«
Schon wieder Murchison! Lara war überzeugt, daß er ihr die Schachtel Friedhofserde geschickt hatte. Von dem würde sie sich nicht bluffen lassen!
»Hat Guttman schon unterschrieben?«
»Noch nicht.«
»Okay, ich nehme die Sache selbst in die Hand.«
An diesem Nachmittag führte Lara über ein Dutzend Tele-fongespräche, bevor sie endlich bei ihrer Freundin Barbara Roswell fündig wurde.
»Horace Guttman? Klar kenne ich den, Lara. Warum interessiert er dich?«
»Ich möchte ihn bloß mal kennenlernen. Tust du mir einen großen Gefallen, Barbara? Lädst du ihn für kommenden Samstag zum Abendessen ein? Ganz zwanglos?«
»Wird gemacht.«
Zu ihrer Abendgesellschaft konnten die Roswells zwölf Gäste begrüßen. Da Alice Guttman sich an diesem Abend nicht sonderlich fühlte, kam Horace Guttman allein - und erhielt Lara als Tischdame. Obwohl Guttman erst Anfang sechzig war, wirkte er mit seinem von Runzeln und Falten durchzogenen Gesicht viel älter. Lara sah bezaubernd aus. Zu ihrem tief ausgeschnittenen schwarzen Abendkleid von Halston trug sie als einzigen Schmuck eine mattglänzende Perlenkette.
»Ich habe mir schon lange gewünscht, Sie kennenzulernen«, gestand Lara ihrem Tischherrn. »Ich habe schon viel über Sie gehört.«
»Und ich über Sie, junge Dame. Sie haben hier großen Eindruck gemacht, muß ich sagen.«
»Ich hoffe, daß ich dazu beitragen kann, diese Stadt lebenswerter zu machen«, sagte Lara bescheiden. »Ich liebe New York!«
»Woher stammen Sie?«
»Gary, Indiana.«
»Tatsächlich?« Er starrte sie überrascht an. »Das ist nämlich auch meine Heimatstadt. Dann sind wir also Landsleute, was?«
Lara nickte lächelnd. »Ganz recht. Ich habe so schöne Erinnerungen an Gary. Mein Vater ist dort bei der Post-Tribune gewesen. Ich habe die Roosevelt High-School besucht. Am Wochenende sind wir zu Picknicks und Konzerten im Gleason Park gewesen - oder zum Bowling ins Twelve and Twenty
gefahren. Ich bin wirklich ungern von dort fortgegangen.«
»Sie haben's weit gebracht, Miss Cameron.«
»Lara.«
»Lara. Woran arbeiten Sie im Augenblick?«
»Mein Lieblingsprojekt ist unser Neubau drüben in Queens«, berichtete Lara. »Mehr als zwanzigtausend Quadratmeter Bürofläche in dreißig Stockwerken.«
»Interessant«, meinte Guttman nachdenklich.
»Oh?« fragte Lara unschuldig. »Weshalb?«
»Wir sind zufällig auf der Suche nach einem Gebäude etwa in dieser Größe für unsere neue Zentrale.«
»Tatsächlich? Haben Sie sich schon für eines entschieden?«
»Noch nicht definitiv, aber ...«
»Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen die Pläne unseres Neubaus zeigen. Sie sind schon fertig.«
Er musterte sie einen Augenblick. »Ja, ich würde sie mir gern ansehen.«
»Dann bringe ich sie Ihnen am Montagmorgen vorbei.«
»Gut, ich erwarte Sie.«
Der Rest des Abends verlief in harmonischer Atmosphäre.
Als Horace Guttman nach Hause kam, ging er ins Schlafzimmer seiner Frau.
»Na, wie fühlst du dich?« fragte er.
»Besser, Darling. Wie war die Party?«
Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante. »Alle haben bedauert, daß du nicht mitkommen konntest, aber ich habe einen interessanten Abend erlebt. Hast du schon mal von Lara Cameron gehört?«
»Natürlich. Lara Cameron kennt jeder.«
»Eine sehenswerte Erscheinung. Aber ein bißchen merkwürdig. Angeblich stammt sie aus Gary, Indiana - genau wie ich. Sie kennt sich dort aus und hat mir von Gleason Park und dem Twelve and Twenty erzählt.«
»Was ist daran merkwürdig?«
Horace Guttman grinste. »In Wirklichkeit stammt die kleine Lady aus Neu-Schottland.«
Am Montagmorgen erschien Lara Cameron in aller Frühe mit den Plänen für das neue Bürogebäude in Queens unter dem Arm in Guttmans Vorzimmer. Der Präsident der Mutual Security Insurance nahm sich sofort Zeit für sie.
»Freut mich, Sie zu sehen, Lara. Nehmen Sie bitte Platz.« Sie legte die Baupläne auf seinen Schreibtisch und sank in den Besuchersessel.
»Bevor Sie sich die Pläne ansehen«, begann Lara, »muß ich Ihnen etwas gestehen, Horace.«
Guttman lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Ja?«
»Die Geschichte über Gary, Indiana, die ich Ihnen am Samstagabend erzählt habe .«
»Ja?«
»Ich bin noch nie in Gary, Indiana, gewesen. Damit wollte ich mich bei Ihnen einschmeicheln.«
Er lachte. »Jetzt haben Sie's geschafft, mich zu verblüffen! Ich bin gespannt, ob ich mit Ihnen Schritt halten kann, junge Dame. Schön, sehen wir uns die Pläne mal an.«
Eine halbe Stunde später hatte er sie eingehend begutachtet.
»Wissen Sie«, meinte Guttman nachdenklich, »an sich hatte ich schon ein anderes Gebäude im Auge.«
»Wirklich?«
»Warum sollte ich mir die Sache anders überlegen und bei Ihnen einziehen?«
»Weil Sie dort zufriedener sein werden. Ich sorge persönlich dafür, daß Sie alles bekommen, was Sie brauchen.« Lara machte eine Pause. »Außerdem ist die Miete dort zehn Prozent niedriger.«
»Tatsächlich? Sie wissen doch gar nicht, was ich anderswo zahlen müßte!«
»Das spielt keine Rolle. Ihr Wort genügt mir.«
»So spricht man in Gary, Indiana!« sagte Guttman erfreut. »Abgemacht!«
Als Lara ins Büro zurückkam, hörte sie, daß Philip Adler sie zu erreichen versucht hatte und nochmals anrufen würde.
Im Ballsaal des Waldorf-Astoria drängten sich Musikliebhaber, die sonst die Carnegie Hall bevölkerten. Lara war mitten im Gedränge auf der Suche nach Philip. Sie erinnerte sich an ihr Telefongespräch vor einigen Tagen.
»Miss Cameron, hier ist Philip Adler.«
Ihre Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet.
»Tut mir leid, daß ich Ihnen nicht schon früher für Ihre großzügige Spende für meine Stiftung danken konnte. Ich komme gerade aus Europa zurück und habe erst heute davon erfahren.«
»Es war mir ein Vergnügen«, sagte Lara. Sie mußte irgendwie erreichen, daß er nicht gleich wieder auflegte. »Ich ... ich wüßte gern mehr über die Stiftung. Vielleicht können wir uns mal treffen, um darüber zu reden.«
Am anderen Ende entstand eine Pause. »Am Freitagabend gebe ich im Waldorf ein Benefizkonzert mit anschließendem Empfang. Das wäre eine Gelegenheit. Hätten Sie zufällig Zeit?«
Lara warf einen raschen Blick in ihren Terminkalender. An diesem Freitag sollte sie mit einem texanischen Bankier zum Abendessen ausgehen.
Sie entschied sich rasch. »Ja. Ich komme gern.«
»Wunderbar! Ich lasse Ihnen eine Einladung schicken.«
Als Lara den Hörer auflegte, strahlte sie.
Philip Adler war nirgends zu sehen. Nach seinem Konzert ging Lara durch den riesigen Ballsaal und fing nichts als einzelne Gesprächsfetzen auf.
»... daraufhin sagt der Tenor ganz ruhig: >Dr. Klemperer, mir bleiben nur noch zwei hohe Cs. Wollen Sie die jetzt hören -oder heute abend in der Vorstellung?< ...«
»... oh, ich gebe zu, daß seine Stabführung gut ist. Sie ist dynamisch und ausdrucksvoll - aber die tempi! Du lieber Himmel, seine tempi! ...«
»... du spinnst wohl? Strawinsky ist viel zu konstruiert. Seine Musik könnte von einem Roboter stammen. Er hält seine Gefühle viel zu sehr zurück. Aber Bartok öffnet alle Schleusen und überflutet uns mit Gefühlen .«
»... ich halt's einfach nicht aus, sie spielen zu hören. Ihr Chopin ist ein Gemenge aus gequältem Rubato, mißverstandenen Strukturen und rosaroter Gefühlssauce ...«
Lara, die von diesen Fachsimpeleien nichts verstand, begann sich zu langweilen. Aber dann sah sie plötzlich Philip, der von Verehrerinnen umschwärmt wurde, und drängte sich zu ihm vor. Eine attraktive junge Frau himmelte ihn an: »Bei Ihrer Interpretation der B-Moll-Sonate habe ich das Gefühl gehabt, Rachmaninow lächle Ihnen zu. Diese Ausdruckskraft ... wundervoll!«
Philip erkannte Lara. »Ah! Bitte entschuldigen Sie mich«, sagte er hastig.
Er bahnte sich einen Weg zu ihr und ergriff ihre Hand. Von der bloßen Berührung bekam sie eine Gänsehaut. »Hallo. Ich freue mich, daß Sie kommen konnten, Miss Cameron.«
»Danke.« Lara sah sich um. »Die Veranstaltung scheint ein voller Erfolg zu sein.«
Er nickte. »Ja. Sie sind wohl auch eine Anhängerin klassischer Musik?«
Lara dachte an die Musik, mit der sie aufgewachsen war -»Annie Laurie«, »Comin' through the Rye«, »The Hills of Home« .
»O ja!« sagte Laura. »Mein Vater hat mich mit klassischer Musik aufgezogen.«
»Ich möchte Ihnen nochmals für Ihre Spende danken. Damit
haben Sie uns sehr geholfen.«
»Ihre Stiftung klingt so interessant. Ich würde gern mehr darüber hören. Sollten Sie .«
»Philip, Darling! Mir fehlen die Worte! Himmlisch, einfach himmlisch!« Schon war er wieder von Verehrerinnen umringt.
Lara verschaffte sich noch einmal Gehör. »Sollten Sie sich nächste Woche einen Abend freimachen können .«
Philip schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber ich fliege morgen nach Rom.«
»Oh«, sagte Lara enttäuscht.
»Aber in drei Wochen bin ich wieder da. Vielleicht können wir uns dann .«
»Wunderbar!« strahlte Lara.
»... einen Abend lang über Musik unterhalten.«
Sie nickte lächelnd. »Gern. Ich freue mich schon darauf.«
Im nächsten Augenblick wurden sie von zwei Männern mittleren Alters unterbrochen. Der eine trug eine Pferdeschwanz-frisur; der andere hatte einen Silberring im rechten Ohr.
»Philip! Du mußt eine Streitfrage schlichten. Was ist deiner Auffassung nach hilfreicher, wenn du Liszt spielst - ein Flügel mit schwerem Anschlag, der einen volleren Ton erzeugt, oder ein Instrument mit leichtem Anschlag, der farbigere Phrasie-rung zuläßt?«
Lara hatte keine Ahnung, wovon die beiden redeten. Aus ihrer Frage entwickelte sich eine Diskussion über neutrale Sonorität, Klangfarben und Transparenz. Als Lara sah, wie lebhaft Philip mitdiskutierte, dachte sie: Dies ist seine Welt. Ich muß irgendwie Zugang dazu bekommen.
Am Montagmorgen erschien Lara in der Manhattan School of Music. Der Empfangsdame erklärte sie: »Ich möchte bitte einen Ihrer Professoren sprechen.«
»Welchen denn?«
»Irgendeinen.« »Augenblick, bitte.« Sie verschwand nach nebenan.
Einige Minuten später kam ein kleiner grauhaariger Mann auf Lara zu.
»Guten Morgen. Ich bin Leonard Myers. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich interessiere mich für klassische Musik.«
»Ah, Sie möchten sich hier einschreiben. Welches Instrument spielen Sie denn?«
»Keines. Ich möchte nur möglichst viel über klassische Musik erfahren.«
»Da sind Sie hier am falschen Ort, fürchte ich. Dies ist keine Schule für Anfänger.«
»Ich zahle Ihnen fünftausend Dollar für zwei Wochen Privatunterricht.«
Professor Myers blinzelte. »Augenblick, Miss ... entschuldigen Sie, aber ich habe Ihren Namen nicht verstanden.«
»Cameron, Lara Cameron.«
»Sie wollen fünftausend Dollar dafür zahlen, daß ich zwei Wochen lang mit Ihnen über klassische Musik diskutiere?« Er brachte die Worte nur mühsam heraus.
»Richtig. Ich kann das Geld auch der Schule spenden, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Nein, nein, das ist nicht nötig!« versicherte der Professor hastig. »Eine private Vereinbarung genügt völlig.«
»Gut, einverstanden.«
»Wann ... äh ... möchten Sie anfangen?«
»Sofort.«
»Ich habe gerade Unterricht, aber wenn Sie mir fünf Minuten Zeit lassen .«
Lara Cameron und Professor Myers saßen allein in einem Unterrichtsraum.
»Am besten fangen wir ganz von vorn an. Was wissen Sie über klassische Musik?«
»Sehr wenig.«
»Aha«, sagte Myers. »Nun, es gibt zwei Möglichkeiten, Musik zu verstehen. Emotional und intellektuell. Irgend jemand hat einmal gesagt, Musik enthülle dem Menschen seine verborgene Seele. Die großen Komponisten sind alle imstande gewesen, diese Wirkung zu erzielen.«
Lara hörte aufmerksam zu.
»Kennen Sie irgendwelche Komponisten, Miss Cameron?«
Sie lächelte. »Nicht allzu viele.«
Der Professor runzelte die Stirn. »Entschuldigen Sie, ich verstehe wirklich nicht, welches Interesse Sie an .«
»Ich möchte soviel lernen, daß ich mich mit einem Berufsmusiker über klassische Musik unterhalten kann. Dabei interessiert mich vor allem Klaviermusik.«
»Ich verstehe.« Myers dachte kurz nach. »Am besten beginnen wir mit praktischen Beispielen. Ich gebe Ihnen einige CDs mit, die Sie sich zu Hause anhören können.«
Lara beobachtete, wie er an einen CD-Ständer trat und mit mehreren Kassetten in der Hand zurückkam.
»Mit diesen hier fangen wir an. Ich möchte, daß Sie sich folgende Stücke aufmerksam anhören: das Allegro in Mozarts Klavierkonzert Nummer einundzwanzig, das Adagio in Brahms' Klavierkonzert Nummer eins, das Moderato in Rach-maninows Klavierkonzert Nummer zwei und die Romanze in Chopins Klavierkonzert Nummer eins. Alle Stücke sind gekennzeichnet.«
»Danke, Professor.«
»Wenn Sie sich diese Stücke anhören und in ein paar Tagen wiederkommen wollen .«
»Ich bin morgen früh wieder da.«
Am nächsten Morgen erschien Lara mit einem ganzen Stapel von Konzertmitschnitten Philip Adlers auf CDs.
»Ah, wunderbar!« sagte Professor Myers. »Nichts geht über
Maestro Adler. Seine Aufnahmen interessieren Sie wohl besonders?«
»Ja.«
»Der Maestro hat viele schöne Sonaten eingespielt.«
»Sonaten?«
Er seufzte. »Sie wissen nicht, was eine Sonate ist?«
»Leider nein«, gab Lara zu.
»Unter Sonate versteht man eine im allgemeinen mehrsätzige Instrumentalkomposition in kleiner oder solistischer Besetzung - zum Beispiel für Klavier oder Violine. Ihr Schema hat sich auch für Ouvertüren, Symphonien und kammermusikalische Werke durchgesetzt. Eine Symphonie ist eigentlich eine Sonate für Orchester.«
»Ja, ich verstehe.« Das müßte sich zwanglos in irgendein Gespräch einflechten lassen, dachte sie.
Die nächsten Tage verbrachten sie damit, Philips Aufnahmen zu besprechen: Beethoven, Liszt, Bartok, Mozart, Chopin, Schubert .
Lara hörte aufmerksam zu, nahm jedes Wort in sich auf und merkte sich alles.
»Er mag Liszt. Erzählen Sie mir von ihm.«
»Aus dem Wunderknaben Franz Liszt wurde ein allgemein bewunderter Komponist. Die Aristokratie hat ihn jedoch wie ein Schoßhündchen behandelt, so daß er später klagte, er stehe auf einer Stufe mit Jongleuren oder dressierten Hunden ...«
»Erzählen Sie mir von Beethoven.«
»Ein unglücklicher, schwieriger Mensch. Auf dem Höhepunkt seiner großen Erfolge fand er keinen Gefallen mehr an seinen bisherigen Werken. Danach schrieb er emotionalere Kompositionen wie die Eroica und die Pathetique ...«
»Chopin?«
»Chopin wurde kritisiert, weil er nur fürs Klavier komponierte. Zeitgenössische Kritiker haben ihm sogar vorgeworfen, beschränkt zu sein .«
Und später: »Liszt konnte Chopin besser spielen als Chopin selbst .«
Ein andermal: »Es gibt Unterschiede zwischen französischen und amerikanischen Pianisten. Die Franzosen bevorzugen Klarheit und Eleganz. Ihre Ausbildung basiert traditionellerweise auf dem jeu perle - der perlend gleichmäßigen Artikulation mit relativ festem Handgelenk ...«
Sie spielten jeden Tag eine Aufnahme von Philip Adler und diskutierten darüber.
Nach den zwei Wochen sagte Professor Myers: »Ich gestehe, ich bin beeindruckt, Miss Cameron. Sie sind eine ausnehmend fleißige Schülerin gewesen. Vielleicht sollten Sie daran denken, selbst ein Instrument zu lernen.«
Lara schüttelte lachend den Kopf. »Das wäre des Guten zu-viel!« Sie legte ihm den Scheck hin. »Bitte sehr!«
Sie konnte es kaum noch erwarten, daß Philip zurückkam.
Der Tag begann mit einer guten Nachricht. Terry Hill meldete sich telefonisch.
»Lara?«
»Ja?«
»Wir haben eben von der Kontrollkommission in Reno gehört. Sie hat Ihnen die Lizenz erteilt.«
»Das ist wunderbar, Terry!«
»Die Einzelheiten können wir später besprechen, aber damit haben Sie erst mal grünes Licht. Sie scheinen die alten Knaben ganz schön beeindruckt zu haben.«
»Ich lasse sofort alles anlaufen«, sagte Lara. »Danke.«
Sie erzählte Keller, was sie erfahren hatte.
»Großartig. Die Spielbankeinnahmen können uns vor finanziellen Engpässen bewahren, die sonst ...«
Lara blätterte in ihrem Terminkalender. »Am besten fliegen wir gleich übermorgen hin und sorgen dafür, daß alles in Gang kommt.«
Aus der Gegensprechanlage kam Kathys Stimme. »Am Apparat zwei ist ein Mr. Adler. Soll ich ihm sagen, daß Sie ...?«
Lara war plötzlich nervös. »Nein, geben Sie ihn mir.« Sie nahm den Hörer ab. »Philip?«
»Hallo. Ich bin wieder da.«
»Das freut mich.« Du hast mir gefehlt, dachte sie.
»Ich weiß, daß das sehr kurzfristig ist, aber ich wollte fragen, ob Sie zufällig Zeit hätten, heute abend mit mir essen zu gehen.«
Sie hatte Paul Martin versprochen, mit ihm zu Abend zu essen. »Ja, ich habe Zeit.«
»Wunderbar! Wo möchten Sie essen?« »Das überlasse ich ganz Ihnen.« »Vielleicht im La Cöte Basque?« »Gern.«
»Sollen wir uns gleich dort treffen? Um zwanzig Uhr?«
»Einverstanden.«
»Gut, dann bis heute abend.«
Als Lara auflegte, lächelte sie.
»Ist das Philip Adler gewesen?« fragte Keller.
»Mhm. Ich werde ihn heiraten.«
Keller starrte sie verblüfft an. »Ist das dein Ernst?«
»Ja.«
Das war ein Schock. Ich werde sie verlieren, dachte Keller. Und dann: Mach' dir nichts vor. Du hättest sie nie bekommen. »Lara, du . du kennst ihn doch kaum!« Ich habe ihn mein Leben lang gekannt, dachte sie. »Ich möchte nicht, daß du einen Fehler machst.« »Ich mache keinen! Ich weiß genau, was .« Dann klingelte das Telefon, dessen Nummer nur Paul Martin kannte. Lara nahm den Hörer ab. »Hallo, Paul.« »Hallo, Lara. Wann treffen wir uns heute abend? Um acht?« Sie hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen. »Ich ... tut mir leid, Paul, aber ich kann heute abend nicht. Mir ist was dazwischengekommen. Ich wollte dich gerade anrufen.« »Oh? Sonst alles in Ordnung?«
»Ja. Aber aus Rom sind Leute gekommen« - zumindest das war nicht gelogen - »mit denen ich mich treffen muß.« »Pech für mich. Schön, dann ein andermal.« »Natürlich.«
»Wie ich hörte, hast du die Lizenz für dein Hotel in Reno bekommen.« »Ja.«
»Das wird uns noch viel Spaß machen.«
»Ich freue mich schon darauf. Tut mir leid, daß es heute
abend nicht klappt. Ich rufe dich morgen wieder an.« Am anderen Ende wurde aufgelegt. Lara ließ langsam den Hörer sinken.
Keller beobachtete sie. Aus seiner Miene sprach deutliche Mißbilligung. »Stört dich irgendwas?«
»Yeah. Das ganze moderne Zeug in deinem Büro.« »Was soll das heißen?«
»Auf deinem Schreibtisch stehen zu viele Telefone, finde ich. Dieser Kerl ist gefährlich, Lara.«
Lara setzte sich ruckartig auf. »Der >Kerl< hat uns schon ein paar mal gerettet, Howard. Sonst noch was?« Keller schüttelte den Kopf. »Nein.« »Gut, dann an die Arbeit!«
Philip war schon da, als Lara ins La Cöte Basque kam. Viele Gäste sahen sich nach ihr um, als sie das Restaurant betrat. Als Philip aufstand, um sie zu begrüßen, hatte Lara schon wieder das Gefühl, ihr Herz setze einen Schlag aus. »Ich komme hoffentlich nicht zu spät«, sagte sie. »Nein, keineswegs.« Aus Philips Blick sprach Bewunderung. »Sie sehen wundervoll aus.«
Lara hatte sich fünf- oder sechsmal umgezogen. Sie hatte sich nicht entscheiden können - schlicht, elegant oder sexy? Zuletzt hatte sie sich für ein einfaches Dior-Kleid entschieden. »Danke, Philip.«
Als sie saßen, fuhr er fort: »Ich komme mir wie ein Idiot vor, Lara.« »Oh? Warum denn?«
»Ich habe Ihren Namen nie damit in Verbindung gebracht. Dabei sind Sie die Cameron.« Sie lachte. »Ich bekenne mich schuldig.« »Großer Gott! Ihnen gehören Hotelketten, Wohnanlagen und Verwaltungskomplexe. Auf Reisen sehe ich in ganz Amerika
Ihren Namen.«
»Um so besser«, sagte Lara lächelnd. »Dann erinnert er Sie an mich.«
Philip schüttelte den Kopf. »Das wäre überflüssig. Hören Sie überhaupt noch hin, wenn Männer Ihnen sagen, daß Sie sehr schön sind?«
»Ich freue mich, daß Sie es mir sagen«, wollte Lara sagen, aber statt dessen fragte sie: »Sind Sie verheiratet?« Am liebsten hätte sie sich die Zunge abgebissen.
»Nein«, antwortete er lächelnd. »Ich könnte unmöglich heiraten.«
»Warum nicht?« Sie hielt einen Augenblick den Atem an. Er war doch nicht etwa .?
»Weil ich fast das ganze Jahr auf Tournee bin. Eine Nacht in Budapest, die nächste in London, Paris oder Tokio.«
Sie atmete erleichtert auf. »Ah. Erzählen Sie mir mehr von sich, Philip.«
»Was möchten Sie wissen?«
»Alles!«
Er lachte. »Das würde mindestens fünf Minuten dauern.«
»Nein, das ist mein Ernst. Ich möchte wirklich alles über Sie wissen.«
Er holte tief Luft. »Nun, meine Eltern stammen aus Wien. Mein Vater war Dirigent, meine Mutter Klavierlehrerin. Sie mußten vor den Nazis aus. Wien flüchten und sind nach Boston ausgewandert. Ich bin dort geboren.«
»Wollten Sie schon immer Pianist werden?«
»Ja.«
Er war sechs Jahre alt. Während er Klavier übte, kam sein Vater hereingestürmt. »Nein, nein, nein! Kannst du keinen Durakkord von einem Mollakkord unterscheiden?« Sein plumper behaarter Finger tippte aufs Notenblatt, »Das ist ein Mollakkord. Moll! Hast du verstanden?«
»Vater, darf ich bitte zum Spielen rausgehen? Meine Freun-de warten auf mich.«
»Nein! Du übst weiter, bis du's kannst.«
Er war acht Jahre alt. Er hatte an diesem Vormittag schon vier Stunden lang geübt und sich deswegen mit seinen Eltern gestritten. »Ich hasse mein Klavier!« rief er weinend. »Ich will nie wieder darauf spielen!«
»Schön«, sagte seine Mutter. »Jetzt will ich noch mal das Andante hören.«
Er war zehn Jahre alt. In der Wohnung drängten sich Gäste, hauptsächlich Freunde seiner Eltern. Alle waren Musiker.
»Philip spielt jetzt etwas für uns«, kündigte seine Mutter an.
»Ja, wir würden gern hören, wie der kleine Philip spielt«, sagten sie gönnerhaft.
»Spiel den Mozart, Philip.«
Philip starrte in ihre gelangweilten Gesichter und setzte sich ärgerlich ans Klavier. Ihre angeregte Unterhaltung ging in unverminderter Lautstärke weiter.
Er begann zu spielen. Plötzlich verstummten die Gespräche. Er spielte eine Mozart-Sonate, und die Musik erwachte zum Leben. In diesem Augenblick war er Mozart und erfüllte den Raum mit dem Zauber des Meisters.
Nach dem letzten Ton herrschte ehrfürchtiges Schweigen. Dann drängten die Freunde seiner Eltern sich ums Klavier, um ihn aufgeregt und überschwenglich zu beglückwünschen. Während er den Beifall und ihre Bewunderung genoß, erlebte er eine Erleuchtung: In diesem Augenblick wußte er, wer er war und was er sein Leben lang tun wollte.
»Ja, ich habe schon immer gewußt, daß ich Pianist werden wollte«, wiederholte Philip.
»Wo haben Sie Ihre Ausbildung bekommen?« fragte Lara.
»Bis ich vierzehn war, hat meine Mutter mich unterrichtet. Dann habe ich einen Studienplatz am Curtis Institute in Philadelphia bekommen.«
»Hat es Ihnen gefallen?«
»Ja, sehr.«
Er war mit vierzehn Jahren allein in einer fremden Stadt, in der er keine Freunde hatte. Das Curtis Institute of Music befand sich in vier um die Jahrhundertwende erbauten Villen und lag nur wenige Straßen vom Rittenhouse Square in Philadelphia entfernt. Es war eine Art amerikanisches Gegenstück zum Moskauer Konservatorium mit Viardo, Eqorow und Toradse. Zu seinen Absolventen gehörten Samuel Barber, Leonard Bernstein, Gian Carlo Menotti, Peter Serkin und Dutzende von weiteren international bekannten Künstlern.
»Sind Sie dort nicht einsam gewesen?«
»Nein, gar nicht.«
Er war krank vor Heimweh, denn er war noch nie von daheim fort gewesen. Als das Curtis Institute ihn nach dem Vorspielen aufnahm, wurde ihm bewußt, daß damit ein neuer Lebensabschnitt begann - und daß er nie wieder bei seinen Eltern leben würde. Die Lehrer erkannten das Talent des Jungen sofort. Seine Klavierlehrer waren Isabelle Wengerowa und Rudolf Serkin. Daneben studierte Philip Komposition und Dirigieren. Außerhalb des Unterrichts spielte er mit anderen Studenten Kammermusik. Das Klavier, auf dem er schon als Dreijähriger hatte üben müssen, war jetzt der Mittelpunkt seines Lebens, für ihn war es zu einem Zauberinstrument geworden, dem seine Finger zarte Gefühle, Gewitter und Leidenschaft entlocken konnten.
»Mein erstes großes Konzert habe ich als Achtzehnjähriger mit dem Detroit Symphony Orchestra gegeben.«
»Hatten Sie nicht schreckliches Lampenfieber?«
Er hatte vor Angst weiche Knie. Dieser riesige Saal, das erwartungsvolle Publikum, das Eintritt bezahlt hatte, um ihn zu hören! Er lief nervös in seiner Garderobe auf und ab, als an die Tür geklopft wurde. »Ihr Auftritt, Mr. Adler!« sagte eine Männerstimme. Das Gefühl, aufs Podium zu kommen und mit Beifall begrüßt zu werden, würde er nie vergessen. Und sobald er sich ans Klavier setzte, verschwand seine Nervosität schlagartig.
Danach wurde sein Leben zu einem regelrechten Konzertmarathon. Er war in Europa, Asien und Australien auf Tournee, und sein Ruf vermehrte sich mit jeder dieser Konzertreisen. William Ellerbee, ein bedeutender Agent, erklärte sich bereit, ihn unter seine Fittiche zu nehmen. Nach nur zwei Jahren war Philip Adler bereits ein gefragter Star.
Philip nickte lächelnd. »Natürlich. Das habe ich noch heute vor jedem Konzert.«
»Auf Ihren Reisen erleben Sie wohl viel?«
»Langweilig sind sie nie. Ich erinnere mich an eine Tournee mit dem Philadelphia Symphony Orchestra. Wir sollten von Brüssel aus zu einem Konzert in London fliegen. Da der Flughafen wegen Nebels geschlossen war, wurden wir mit einem Bus zum Amsterdamer Flughafen Schiphol gebracht. Die dort bereitstehende Chartermaschine war jedoch so klein, daß die Musiker nur ihr Gepäck oder ihre Instrumente mitnehmen konnten. Natürlich haben sie sich für die Instrumente entschieden. Wir sind gerade noch rechtzeitig angekommen und haben das Konzert in Jeans und Tennisschuhen gegeben.«
Sie lachte. »Mal etwas anderes ...«
»Richtig. Ein andermal sollte ich ein Konzert in Indianapolis geben, aber der Flügel stand in einem Nebenraum, zu dem niemand den Schlüssel hatte. Zuletzt mußten wir die Tür aufbrechen.«
Lara kicherte.
»Voriges Jahr sollte ich in Rom einen Beethovenabend geben, über den ein Musikkritiker danach berichtete: >Adlers Spiel war schwerfällig, seine Phrasierung im Finale völlig verfehlt. Wegen seines allzu breit angelegten Tempos wurde der jugendliche Elan dieses Stücks nie spürbar.««
»Wie schrecklich!« sagte Lara mitfühlend.
»Schrecklich war nur, daß ich das Konzert überhaupt nicht
gegeben hatte. Ich hatte mein Flugzeug verpaßt!«
Lara beugte sich nach vorn. »Erzählen Sie mir mehr.«
»Nun, in Sao Paulo sind mal mitten in einem Chopinkonzert die Pedale vom Flügel abgefallen.«
»Was haben Sie da gemacht?«
»Ich habe das Konzert ohne Pedale zu Ende gespielt. In einem anderen Saal ist mir der Flügel quer übers Podium davon gerollt.«
Mit hörbarer Begeisterung in der Stimme sprach Philip Adler über seine Arbeit.
»Ich habe wirklich Glück mit meinem Beruf. Es ist wundervoll, Menschen anrühren und in eine andere Welt versetzen zu können. Die Musik schenkt jedem von ihnen einen Traum. Manchmal glaube ich, daß Musik das einzig Gesunde in unserer verrückten Welt ist.« Er lachte verlegen. »Entschuldigung, das sollte nicht eingebildet klingen.«
»Aber das tut es nicht, Philip. Sie machen Millionen von Menschen glücklich. Ich kenne nichts Schöneres, als Sie spielen zu hören.« Sie holte tief Luft. »Wenn Sie Debussys Voiles spielen, stehe ich an einem einsamen Strand und sehe in der Ferne die Masten eines vorbeisegelnden Schiffs ...«
Er lächelte. »Ja, die sehe ich auch.«
»Und wenn Sie Scarlatti spielen, flaniere ich durch Neapel, höre die Hufe von Droschkenpferden klappern und sehe die Menschen auf den Straßen ...«
Lara merkte, daß Philip ihr mit aufrichtigem Vergnügen zuhörte, und rief sich alles ins Gedächtnis zurück, was sie bei Professor Myers über Komponisten gehört hatte.
»Mit Bela Bartoks Musik entführen Sie mich in ungarische Bauerndörfer. Sie malen mit Tönen Bilder, in denen ich mich verliere.«
»Sie schmeicheln mir«, wehrte Philip ab.
»Nein, das ist mein Ernst!«
Das Dinner wurde serviert: Terrine beaujolaise, Selleriesalat und Buttertoast, Basilikumschaumsuppe mit Lachsstreifen, Chateaubriand mit Kartoffelkroketten und jungem Gemüse, frische Heidelbeeren auf Eis. Sie tranken französische Weine.
»Wir reden immer nur über mich, Lara«, sagte Philip, während sie aßen. »Erzählen Sie mir etwas über sich. Wie ist es, in ganz Amerika riesige Gebäude zu errichten?«
Lara schwieg einen Augenblick. »Das ist gar nicht leicht zu erklären. Sie sind schöpferisch mit den Händen tätig. Ich schöpfe auch etwas, zunächst in meinem Kopf. Ich baue nicht selbst, aber ich mache es möglich, daß Gebäude entstehen. Ich träume einen Traum aus Ziegeln, Beton und Stahl - und verwirkliche ihn. Ich schaffe Arbeitsplätze für Hunderte von Menschen: Architekten und Maurer und Designer und Kranführer und Installateure. Weil ich ihnen Arbeit gebe, können sie ihre Familien ernähren. Ich sorge dafür, daß Menschen angenehm und behaglich wohnen können. Ich baue attraktive Einkaufszentren, in denen sie ihren täglichen Bedarf decken können. Damit investiere ich in die Zukunft.« Diesmal lächelte Lara etwas verlegen. »Tut mir leid, ich wollte keine Rede halten.«
»Sie sind eine bemerkenswerte Frau, wissen Sie das?«
»Ich möchte, daß Sie das von mir denken.«
Es war ein zauberhafter Abend, und als er zu Ende ging, wußte Lara, daß sie zum ersten Mal in ihrem Leben verliebt war. Dabei hatte sie Angst gehabt, sie könnte enttäuscht werden, weil kein Mann an ihre Traumgestalt heranreichen würde. Aber ihr Lochinvar lebte, und diese Begegnung ließ ihr das Herz im Halse schlagen.
Als Lara nach Hause kam, war sie zu aufgeregt, um gleich schlafen zu können. Statt dessen dachte sie an den Abend zurück und erinnerte sich wieder und wieder an alles, worüber sie gesprochen hatten. Philip Adler war der faszinierendste Mann, den sie jemals kennengelernt hatte. Dann klingelte ihr
Telefon. Lara griff lächelnd nach dem Hörer. Aber bevor sie »Philip!« sagen konnte, hörte sie Paul Martins Stimme: »Ich wollte bloß hören, ob du gut nach Hause gekommen bist.« »Ja«, antwortete Lara. »Wie hat die Besprechung geklappt?« »Gut.«
»Schön. Gehst du morgen abend mit mir essen?« Lara zögerte kaum merklich. »Gern«, antwortete sie dann. Sie fühlte sich nicht ganz wohl in ihrer Haut.
Am nächsten Morgen brachte ihr ein Bote ein Dutzend rote Rosen in die Wohnung. Also hat er unseren Abend auch genossen, dachte Lara glücklich. Sie zog hastig die beiliegende Karte aus dem Umschlag. Der Text lautete: »Baby, ich freue mich auf unser Dinner heute abend - Paul.«
Lara war maßlos enttäuscht. Sie wartete den ganzen Vormittag auf einen Anruf von Philip. Obwohl sie einen übervollen Terminkalender hatte, war sie kaum imstande, sich auf die Arbeit zu konzentrieren.
Um zehn Uhr meldete Kathy: »Die neuen Sekretärinnen sind zum Einstellungsgespräch da.«
»Gut, schicken Sie sie nacheinander rein.«
An diesem Morgen stellten sich fünf hochqualifizierte Bewerberinnen vor. Das Rennen machte eine Frau Anfang dreißig namens Gertrude Meeks. Sie wirkte lebhaft und intelligent -und hatte offenbar großen Respekt vor Lara Cameron.
Lara überflog ihren Lebenslauf. »Wie ich sehe, bringen Sie schon Erfahrungen aus der Bauträgerbranche mit.«
»Ja, Ma'am. Aber für jemanden wie Sie habe ich noch nie gearbeitet. Ganz ehrlich, hier würde ich auch ohne Gehalt anfangen!«
Lara lächelte. »Das wird nicht nötig sein. Sie haben erstklassige Referenzen. Gut, ich will's mit Ihnen versuchen.«
»Oh, vielen Dank!« Die neue Sekretärin strahlte.
»Bei uns müssen Sie sich schriftlich verpflichten, keine Interviews zu geben und keine Informationen aus der Firma an Außenstehende gelangen zu lassen. Sind Sie damit einverstanden?«
»Natürlich.«
»Gut, dann zeigt Kathy Ihnen jetzt Ihren Schreibtisch.«
Um vierzehn Uhr hatte Lara eine kurze Besprechung mit ihrem PR-Mann Jerry Townsend.
»Wie geht's Ihrem Vater?« fragte sie danach.
»Er ist in der Schweizer Klinik. Der Arzt sagt, daß er unter Umständen eine Chance hat.« Seine Stimme klang plötzlich heiser. »Aber dann nur Ihretwegen!«
»Jeder hat eine Chance verdient, Jerry. Ich wünsche Ihrem Vater gute Besserung.«
»Danke.« Er räusperte sich. »Ich ... ich weiß nicht, wie ich Ihnen sagen soll, wie dankbar ich ...«
Lara stand auf. »Tut mir leid, ich muß zu einem Termin.«
Und sie ging hinaus und ließ den verdutzten Townsend stehen.
Lara Cameron befand sich in einer Besprechung, in der es um ein Neubauprojekt in New Jersey ging. »Sie haben gute Arbeit geleistet«, lobte sie die Architekten, »aber ich hätte gern ein paar Änderungen. Mir schwebt eine elliptische Marmorarkade vor, die zu drei Vierteln von Ausstellungsräumen umgeben ist. Und das Dach sollte eine Kupferpyramide mit aufgesetztem Leuchtfeuer werden. Irgendwelche Probleme damit?«
»Ich sehe keine, Miss Cameron.«
Die Besprechung war eben zu Ende, als die Gegensprechanlage summte.
»Miss Cameron, Raymond Duffy ruft an und möchte Sie dringend sprechen. Auf Apparat eins.«
Lara nahm den Hörer ab. »Hallo, Raymond.«
»Wir haben ein Problem, Miss Cameron«, berichtete der Bauleiter eines ihrer New Yorker Projekte.
»Ja?«
»Wir haben eben eine Lieferung Betonpfeiler für die Gründungsarbeiten bekommen. Diese Pfeiler sind nicht in Ordnung - sie haben Risse. Ich schicke sie zurück, aber ich wollte Ihnen vorher Bescheid sagen.«
Lara überlegte kurz. »Wie schlimm sind die Risse?«
»Schlimm genug. Die Pfeiler entsprechen nicht unseren Anforderungen und .«
»Könnten Sie sie auf der Baustelle instandsetzen?«
»Ja, aber das wäre verdammt teuer.«
»Tun Sie's«, entschied Lara.
Am anderen Ende entstand eine Pause.
»Okay. Sie sind der Boss.«
Lara legte auf. In ganz New York gab es nur zwei Firmen, die solche Fertigteile lieferten, und es wäre Selbstmord gewesen, sie zu verärgern.
Als Philip um siebzehn Uhr noch immer nicht angerufen hatte, wählte Lara die Nummer der Philip Adler Foundation. »Philip Adler, bitte.«
»Mr. Adler ist auf Konzertreise. Kann ich ihm irgend etwas ausrichten?«
Er hatte mit keinem Wort erwähnt, daß er wieder verreisen würde. »Nein, vielen Dank.«
Das war's also, dachte Lara. Vorläufig jedenfalls.
Ihr Arbeitstag endete mit einem Besuch von Steve Murchison, der wie ein gereizter Stier in Laras Büro stürmte, obwohl Kathy ihn zurückzuhalten versuchte.
»Was kann ich für Sie tun, Mr. Murchison?« fragte Lara.
»Sie können aufhören, Ihre verdammte Nase in meine Angelegenheiten zu stecken!« schnaubte Murchison.
Lara zog die Augenbrauen hoch. »Wo liegt das Problem?«
»Sie sind mein Problem! Ich kann's nicht leiden, wenn andere Leute mir Geschäfte verderben.«
»Falls Sie auf unseren Vertrag mit Mr. Guttman anspielen ...«
»Allerdings tue ich das.«
»... mein Gebäude hat ihm einfach besser gefallen als Ihres.«
»Sie haben ihn irgendwie bequatscht, Lady. Das lasse ich mir nicht noch mal bieten! Ich hab' Sie schon in Chicago gewarnt. Kommen Sie mir bloß nicht noch mal in die Quere, sonst mach' ich Hackfleisch aus Ihnen!« Er stürmte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
Das Abendessen mit Paul in ihrem Penthouse fand in gespannter Atmosphäre statt.
»Du bist geistesabwesend, Baby«, stellte Paul fest. »Irgendwelche Probleme?«
Lara rang sich ein Lächeln ab. »Nein, nein, alles in bester Ordnung.«
Warum hatte Philip ihr nicht gesagt, daß er auf Tournee gehen würde?
»Wann fängst du mit dem Umbau in Reno an?«
»Howard und ich fliegen nächste Woche wieder hin. Die Eröffnung müßte in etwa neun Monaten stattfinden können.«
»In neun Monaten könntest du ein Baby kriegen.«
Lara starrte ihn verblüfft an. »Was?«
Paul Martin ergriff ihre Hand. »Du weißt, daß ich verrückt nach dir bin, Lara. Du hast mein ganzes Leben verändert. Ich wollte, manches wäre anders gekommen. Ich wollte, wir hätten Kinder haben können.«
Lara schwieg. Was hätte sie dazu sagen sollen?
»Ich habe eine kleine Überraschung für dich.« Er zog ein blaues Etui aus der Jackentasche.
»Mach's auf.«
»Paul, du hast mir schon soviel geschenkt .«
»Mach's auf.«
Das Etui enthielt ein prachtvolles Brillanthalsband.
»Paul!«
Er stand auf, und Lara fühlte seine Hände auf ihrer Haut, als er ihr das Halsband umlegte. Dann glitten die Hände tiefer und umfaßten ihre Brüste, während er heiser sagte: »Mal sehen, wie's dir steht, wenn du nackt bist.«
Laras Gefühle befanden sich in wildem Aufruhr, als er sie ins Schlafzimmer führte. Sie hatte ihn nie geliebt, aber mit ihm ins Bett zu gehen, war ihr leichtgefallen - als Belohnung für alles, was er für sie getan hatte. Doch jetzt war alles anders. Sie war verliebt. Du bist ein Dummkopf, sagte Lara sich. Wahrscheinlich sah sie Philip nie wieder.
Sie zog sich langsam und widerstrebend aus. Dann waren sie im Bett, und Paul lag auf ihr, war in ihr und keuchte: »Baby, ich bin verrückt nach dir!« Und sie sah auf und bildete sich ein, Philips Gesicht über sich zu sehen.
Alles klappte planmäßig. Der Hotelumbau in Reno kam rasch voran, der Zeitplan für die Cameron Towers wurde eingehalten, und Laras Ruf in der Branche festigte sich weiter. Sie hatte in den vergangenen Monaten mehrmals versucht, Philip Adler telefonisch zu erreichen, aber er war ständig auf Konzertreisen.
»Mr. Adler ist in Peking .«
»Mr. Adler ist in Paris .«
»Mr. Adler ist in Sydney .«
Zum Teufel mit ihm, dachte Lara.
Im folgenden halben Jahr gelang es Lara Cameron dreimal, Steve Murchison lohnende Objekte vor der Nase wegzuschnappen.
Keller kam deswegen besorgt zu ihr. »Ich habe von mehreren Seiten gehört, daß Murchison Drohungen gegen dich ausstößt. Vielleicht solltest du dich ein bißchen zurückhalten. Er ist ein gefährlicher Feind, Lara.«
»Das bin ich auch«, stellte sie fest. »Vielleicht sollte er lieber die Branche wechseln.«
»Nimm die Sache nicht auf die leichte Schulter, Lara. Mur-chison ist .« »Schon gut, Howard. Ich hab' gerade einen Tip wegen eines Objekts in Los Angeles bekommen, das noch nicht auf dem Markt ist. Wenn wir uns beeilen, können wir's der Konkurrenz wegschnappen. Wir fliegen morgen früh hin.«
Das Objekt in Los Angeles war der ehemalige Standort des abgebrochenen Hotels Biltmore. Ein Immobilienmakler führte Lara und Howard über das zwei Hektar große Grundstück.
»Die Lage ist erstklassig«, versicherte er ihnen. »Ein Filetstück, bei dem nichts schiefgehen kann. Auf diesem Gelände können Sie eine richtige kleine Stadt bauen ... Apartmenthäuser, Einkaufszentrum, Filmtheater, Einkaufspassagen ...«
»Nein.«
Er starrte Lara überrascht an. »Wie bitte?«
»Dieses Grundstück interessiert mich nicht.«
»Nein? Und warum nicht?«
»Es liegt falsch«, sagte Lara. »Ich glaube nicht, daß man Leute dazu bringen kann, in diese Gegend zu ziehen. Los Angeles strebt nach Westen. Die Menschen sind wie Lemmin-ge. Ihre Zugrichtung kann niemand umkehren.«
»Aber .«
»Ich will Ihnen sagen, woran ich interessiert bin. Eigentumswohnungen. Suchen Sie mir Grundstücke in guter Lage.«
Lara wandte sich an Howard. »Tut mir leid, daß ich deine Zeit vergeudet habe. Wir fliegen heute nachmittag zurück.«
Bei ihrer Rückkehr ins Hotel kaufte Keller eine Zeitung. »Mal sehen, was sich an der Börse tut.«
Sie blätterten die Zeitung gemeinsam durch. Im Veranstaltungsteil fiel Lara eine Großanzeige auf: heute abend in der hollywood bowl - philip adler. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung.
»Vielleicht fliegen wir doch lieber erst morgen«, meinte sie.
Keller musterte sie prüfend. »Interessiert dich die Musik oder der Musiker?«
»Besorg' uns zwei Karten.«
Lara war noch nie in der Hollywood Bowl gewesen. Die achtzehntausend Sitzplätze dieses größten natürlichen Amphitheaters waren ausverkauft, und Lara glaubte, die Vorfreude des Publikums fast körperlich zu spüren. Schon die aufs Podium kommenden Musiker wurden mit erwartungsvollem Beifall empfangen. Dieser Applaus steigerte sich, als der Dirigent Andre Previn erschien, und wurde zu einem Beifallssturm, als Philip Adler - groß und elegant im Frack - das Podium betrat.
Lara stieß Keller an. »Sieht er nicht blendend aus?« flüsterte sie.
Keller gab keine Antwort.
Philip setzte sich an den Flügel, und der Dirigent gab den Einsatz. Der Zauber seiner Musik und der geheimnisvolle Reiz dieser Nacht schlugen das Publikum sofort in ihren Bann. Die dunklen Hügel, von denen die Hollywood Bowl eingerahmt war, lagen im Sternenschein. Viele tausend Menschen saßen, von der Majestät der Musik überwältigt, schweigend da. Aber sowie der letzte Ton des Konzerts verhallt war, sprangen die Menschen begeistert auf, um jubelnd zu applaudieren. Vorn auf dem Podium stand Philip neben dem Flügel und verbeugte sich immer wieder.
»Komm, wir besuchen ihn in der Garderobe«, sagte Lara.
Keller musterte sie erstaunt. Hatte ihre Stimme wirklich vor Aufregung gezittert?
Der Bühneneingang befand sich an der Seite des muschel-förmig überdachten Podiums. An der Tür stand ein Wachmann, um zu verhindern, daß Autogrammjäger sich Zutritt verschafften. »Miss Cameron ist hier für Mr. Adler«, erklärte Keller ihm.
»Erwartet er Sie?« fragte der Uniformierte.
»Ja«, sagte Lara.
»Augenblick, ich frage nach.« Eine Minute später war der Mann wieder da und hielt ihr die Tür auf. »Bitte sehr, Miss
Cameron.«
Lara und Keller betraten den Salon, von dem die Künstlergarderoben abgingen. Philip stand im Mittelpunkt der Menge, die ihm gratulierte.
Dann sah er auf, erkannte Lara und lächelte ihr zu. »Entschuldigung«, sagte er hastig und drängte sich durch die Menschen. »Ich habe nicht gewußt, daß Sie in Los Angeles sind.«
»Wir sind erst heute morgen angekommen. Das hier ist mein Mitarbeiter, Howard Keller.«
»Hallo«, sagte Keller knapp.
Philip drehte sich nach einem kleinen, stämmigen Mann um, der ihm gefolgt war. »Das ist William Ellerbee, mein Agent.« Sie nickten einander zu.
»Heute abend geben wir im Beverly Hilton eine Party«, fuhr Philip fort. Er warf Lara einen fragenden Blick zu. »Wenn Sie Lust hätten .«
»Wir kommen gern«, versicherte sie ihm.
Als Lara und Keller den Ballsaal im Beverly Hilton betraten, drängten sich dort wieder einmal Musiker und Musikfreunde, die über nichts als Musik sprachen.
». auffällig ist übrigens auch, daß das Publikum um so heißblütiger und enthusiastischer wird, je mehr man sich dem Äquator nähert ...«
»... wenn Franz Liszt spielte, wurde ihm das Klavier zum Orchester .«
». nein, da bin ich anderer Meinung! De Grootes Stärke liegt nicht bei Werken der Wiener Klassik, sondern ganz eindeutig bei Schumann .«
». es kommt darauf an, die emotionale Landschaft eines Konzerts zu dominieren .«
Musiker, die in Zungen sprechen, dachte Lara.
Auch hier war Philip von Bewunderern umringt, die ihn an-himmelten. Allein ihn zu sehen, machte Lara Freude.
Philip Adler begrüßte sie lächelnd. »Ich freue mich sehr, daß Sie kommen konnten.«
»Diese Gelegenheit hätte ich mir um keinen Preis der Welt entgehen lassen.«
Howard Keller beobachtete, wie die beiden sich unterhielten und dachte: Vielleicht hätte ich Klavierunterricht nehmen sollen. Oder vielleicht sollte ich endlich der Realität ins Auge sehen. Seine erste Begegnung mit dem intelligenten, lernbegierigen, ehrgeizigen Mädchen von damals schien endlos lange zurückzuliegen. Die Zeit hatte es gut mit ihr gemeint - und für ihn hatte sie stillgestanden.
»Ich muß morgen nach New York zurück«, sagte Lara gerade, »aber vielleicht können wir miteinander frühstücken.«
»Das wäre schön, aber ich muß leider sehr früh zum Flughafen. Ich fliege nach Tokio.«
Sie machte ein enttäuschtes Gesicht. »Weshalb?«
Er lachte. »Weil das mein Beruf ist, Lara. Ich gebe einhundertfünfzig Konzerte im Jahr. Manchmal fast zweihundert.«
»Wie lange sind Sie diesmal fort?«
»Acht Wochen.«
»Sie werden mir fehlen«, sagte Lara leise. Du ahnst nicht, wie sehr, dachte sie.
In den folgenden Wochen flogen Lara und Keller nach Atlanta, um zwei Grundstücke in Ainsley Park und Dunwoody zu besichtigen.
»Dunwoody ist interessant«, entschied Lara. »Dort könnten wir Eigentumswohnungen bauen.«
Von Atlanta aus flogen sie nach New Orleans weiter. Dort verbrachten sie zwei Tage damit, das Geschäftsviertel zu erkunden, bevor sie am dritten Tag zum Lake Pontchartrain hinausfuhren. Lara fand zwei Objekte, die ihr zusagten.
Am Tag nach ihrer Rückkehr kam Keller in Laras Büro. »Das Projekt in Atlanta können wir vergessen«, sagte er.
»Was soll das heißen?«
»Irgend jemand ist uns zuvorgekommen.«
Lara starrte ihn überrascht an. »Wie ist das möglich? Die Grundstücke sind noch gar nicht auf dem Markt gewesen!«
»Ja, ich weiß. Trotzdem muß jemand davon erfahren haben.«
Lara zuckte mit den Schultern. »Na ja, man kann nicht alles haben.«
Nachmittags brachte Keller erneut schlechte Nachrichten. »Aus unserem Vorhaben am Lake Pontchartrain wird leider auch nichts.«
Am nächsten Tag flogen sie nach Seattle und sahen sich in Kirkland und auf Mercer Island um. Ein Objekt interessierte Lara besonders, und als sie wieder in New York waren, sagte sie zu Keller: »Dieses Objekt in Kirkland sollten wir uns sichern.«
»Wird gemacht.«
Als sie sich am nächsten Tag sahen, fragte Lara: »Hast du ein
Gebot für Kirkland abgegeben?«
Keller schüttelte den Kopf. »Irgend jemand ist uns zuvorgekommen.«
Lara zog die Augenbrauen hoch. »Schon wieder? Howard, stell bitte fest, wer uns dauernd ausbootet.«
Dafür brauchte er keine vierundzwanzig Stunden. »Steve Murchison.«
»In jedem dieser Fälle?«
»Ja.«
»Dann muß es hier im Büro eine undichte Stelle geben.«
»Sieht so aus.«
Lara Cameron nickte grimmig. Am nächsten Morgen engagierte sie einen Privatdetektiv, um der Sache auf den Grund zu gehen. Aber die Ermittlungen blieben erfolglos.
»Soweit sich feststellen läßt, ist keiner Ihrer Angestellten verdächtig, Miss Cameron. In Ihrem Büro gibt es keine Abhöranlagen, und auch Ihr Telefon ist nicht angezapft worden.«
Sie waren in eine Sackgasse geraten.
Vielleicht sind das alles Zufälle gewesen, dachte Lara. Aber sie glaubte selbst nicht daran.
Ihr Wohnturm in Queens war im Rohbau fertig, und Lara lud Vertreter der an der Finanzierung beteiligten Banken zur Besichtigung ein. Je höher die Etagennummer, desto teurer die Wohnung. In Wirklichkeit hatte Laras achtundsechzigstöckiger Bau nur neunundfünfzig Geschosse. Diesen Trick hatte sie von Paul Martin gelernt.
»So machen's alle«, hatte Paul ihr lachend erklärt. »Dazu brauchst du nur die Etagennummern zu ändern.«
»Wie macht man das?«
»Ganz einfach! Die ersten Aufzüge fahren vom Erdgeschoß in den vierundzwanzigsten Stock. Und die zweiten Aufzüge verkehren vom vierunddreißigsten bis zum achtundsechzigsten Stock. Mit diesem Trick arbeiten viele.«
Um die Gewerkschaften zufriedenzustellen, standen auf jeder Baustelle ein halbes Dutzend Phantome auf den Lohnlisten -Leute, die gar nicht existieren. Es gab einen Sicherheitsbeauftragten, einen Baukoordinator, einen Materialüberwacher und noch ein paar andere imposant klingende Titel. Anfangs hatte Lara sich nicht darauf einlassen wollen.
»Mach' dir nichts daraus, Baby«, hatte Paul ihr geraten. »Das sind einfach Betriebsausgaben.«
Howard Keller hatte ursprünglich in einem winzigen Apartment am Washington Square gehaust - bis Lara ihn einmal dort besucht hatte. Sie hatte sich umgesehen und energisch festgestellt: »In diesem Loch kannst du keinen Tag länger bleiben! Versprich mir, daß du schnellstens ausziehst!« Auf ihr Drängen war er in eine hübsche kleine Wohnanlage umgezogen.
Eines Abends arbeiteten Lara und er bis tief in die Nacht hinein, und als sie endlich fertig waren, meinte Lara: »Du siehst völlig erschossen aus. Willst du nicht heimfahren und dich ausschlafen, Howard?«
»Gute Idee«, sagte Keller gähnend. »Schön, dann bis heute früh.«
»Komm lieber etwas später«, forderte sie ihn auf.
Keller setzte sich in seinen Wagen und fuhr nach Hause. Unterwegs dachte er an das Geschäft, das sie vorhin abgeschlossen hatten, und bewunderte wieder einmal Laras Verhandlungsgeschick. Es war aufregend, mit ihr zusammenzuarbeiten. Aufregend und frustrierend. Wider besseres Wissen hoffte er noch immer, eines Tages werde ein Wunder geschehen. Verzeih mir, ich muß blind gewesen sein, Darling. Paul Martin oder Philip Adler interessieren mich nicht. Ich hab' immer nur dich geliebt!
Verdammt unwahrscheinlich.
Vor der Wohnungstür holte Keller seinen Schlüssel heraus und wollte aufsperren. Aber der Schlüssel paßte nicht ins Schloß. Als er leicht verwirrt einen zweiten Versuch unternahm, wurde plötzlich die Tür von innen aufgerissen. Vor ihm auf der Schwelle stand ein Unbekannter. »Was machen Sie da, verdammt noch mal?« knurrte der Mann.
Keller starrte ihn verständnislos an. »Ich wohne hier.«
»Erzählen Sie keine Märchen!«
»Aber ich ...« Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Ich ... oh, entschuldigen Sie!« stammelte er und wurde rot. »Ich habe hier gewohnt. Ich .«
Der Mann knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Keller wandte sich verwirrt ab. Wie konnte er vergessen, daß er umgezogen war? Er hatte in letzter Zeit zuviel gearbeitet.
Lara Cameron war in einer Besprechung, als ihr Privattelefon klingelte. »Du bist in letzter Zeit sehr beschäftigt, Baby. Du fehlst mir sehr.«
»Ich bin ziemlich viel unterwegs, Paul.« Lara brachte es nicht über sich, ihm zu versichern, daß er ihr ebenfalls gefehlt habe.
»Gehst du heute mittag mit mir essen?«
Lara dachte an alles, was er für sie getan hatte.
»Gern«, sagte sie, denn sie wollte Paul auf keinen Fall verletzen.
Sie trafen sich zum Mittagessen in Mr. Chow's Restaurant.
»Du siehst wundervoll aus«, sagte Paul. »Was immer du getan hast, bekommt dir gut. Wie läuft der Umbau in Reno?«
»Viel besser als erwartet«, antwortete Lara. Sie verbrachte die nächste Viertelstunde damit, ihm den Baufortschritt zu schildern. »Voraussichtlich können wir schon in zwei Monaten eröffnen.«
An einem der anderen Tische stand ein Paar auf, um zu ge-hen. Obwohl der Mann Lara den Rücken zukehrte, kam er ihr irgendwie bekannt vor. Dann sah sie flüchtig sein Gesicht. Steve Murchison! Auch die Frau kam ihr bekannt vor. Als sie sich jetzt nach vorn beugte, um ihre Handtasche aufzuheben, bekam Lara plötzlich große Augen. Gertrude Meeks, ihre Sekretärin!
»Aha!« sagte sie leise.
»Irgendwas nicht in Ordnung?« fragte Paul.
»Nein, nein. Ganz im Gegenteil!«
Lara erzählte weiter von ihrem Hotel in Reno.
Sobald Lara wieder in ihrem Büro war, bat sie Keller zu sich. »Erinnerst du dich an das Grundstück in Phoenix, das wir vor ein paar Monaten besichtigt haben?«
»Yeah, wir haben's abgelehnt. Du hast gesagt, es sei maßlos überteuert.«
»Ich hab's mir anders überlegt.« Sie drückte eine Sprechtaste der Gegensprechanlage. »Gertrude, kommen Sie bitte zu mir?«
»Ja, Miss Cameron.«
Gertrude Meeks kam herein.
»Ich möchte Ihnen einen Brief diktieren«, sagte Lara. »An die Baron Brothers in Phoenix.«
Gertrude klappte ihren Stenoblock auf.
»>Gentlemen, ich habe mir die Sache mit dem Grundstück in Scottsdale anders überlegt und habe mich entschlossen, es sofort zu kaufen. Ich glaube, daß es das Potential hat, eines meiner wertvollsten Grundstücke zu werden.«« Lara ignorierte alle Versuche Kellers, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. »>Was den Kaufpreis betrifft, setze ich mich nächste Woche wieder mit Ihnen in Verbindung. Mit freundlichen Grüßen .. .< Bringen Sie mir den Brief bitte gleich zur Unterschrift.«
»Ja, Miss Cameron.«
Keller wartete, bis die Sekretärin gegangen war, bevor er sich aufgebracht an Lara wandte. »Was soll der Unsinn, Lara? Wir
haben das Grundstück begutachten lassen. Es ist wertlos! Wenn du .« »Beruhig' dich, Howard. Wir kaufen es nicht.« »Aber warum .«
»Wenn mich nicht alles täuscht, schnappt Steve Murchison es uns vor der Nase weg. Ich habe ihn heute mittag mit Gertru-de in einem Restaurant gesehen.« Keller starrte sie verblüfft an. »Unglaublich!« »Ich möchte, daß du bis übermorgen wartest, bevor du Baron anrufst, um ihn nach dem Grundstück zu fragen.«
Zwei Tage später kam Keller übers ganze Gesicht grinsend herein. »Du hast recht gehabt!« bestätigte er. »Murchison hat prompt angebissen. Er ist jetzt stolzer Besitzer von zwanzig Hektar Ödland.«
Lara bestellte Gertrude Meeks zu sich. »Ja, Miss Cameron?« »Sie sind entlassen«, sagte Lara.
Gertrude starrte sie überrascht an. »Entlassen? Warum?« »Mir gefällt Ihr Umgang nicht. Das können Sie Steve Murchison von mir ausrichten.« Gertrude wurde blaß. »Aber ich ...« »Danke, das war's. Ich lasse Sie hinausbegleiten.«
Gegen Mitternacht klingelte Lara nach Max, ihrem Chauffeur. »Fahren Sie den Wagen vor«, wies sie ihn an. »Ja, Miss Cameron.« Der Wagen stand für sie bereit. »Wohin, Miss Cameron?« fragte Max.
»Wir machen eine Rundfahrt durch Manhattan. Ich möchte sehen, was ich geleistet habe.« Er starrte sie an. »Wie bitte?« »Ich möchte mir meine Gebäude ansehen.« Sie fuhren durch die nächtliche Stadt und hielten vor allen
Gebäuden, die Lara errichtet hatte: Cameron Square, Cameron Plaza, Cameron Center, die noch nicht fertiggestellten Came-ron Towers. Lara saß in ihrer Limousine, starrte auf die Fassaden und dachte an die Menschen, die dort wohnten und arbeiteten. Sie hatte ihrer aller Leben verändert.
Ich habe diese Stadt besser gemacht, dachte sie. Ich habe alles erreicht, was ich wollte. Warum bin ich trotzdem so ruhelos? Was fehlt mir? Aber sie wußte es genau.
Am nächsten Morgen rief sie William Ellerbee an, der Philips Agent war.
»Guten Morgen, Mr. Ellerbee.«
»Guten Morgen, Miss Cameron. Was kann ich für Sie tun?« »Ich wüßte gern, wo Philip Adler diese Woche spielt.« »Philip ist auf Europatournee. Morgen abend spielt er in Amsterdam, dann reist er nach Mailand, Venedig und . Wollen Sie das wirklich alles genau hören?«
»Nein, nein, das genügt mir. Ich wollte nur wissen, wo er gerade ist. Vielen Dank.« »Kein Problem.«
Lara erschien in Kellers Büro. »Howard, ich muß nach Amsterdam.«
Er sah überrascht auf. »Wo haben wir uns dort engagiert?«
»Vorläufig noch gar nicht«, antwortete Lara ausweichend. »Sollte etwas daraus werden, erfährst du's rechtzeitig. Läßt du den Jet für mich bereitstellen?«
»Damit hast du Bert nach London geschickt. Aber ich kann die Maschine zurückbeordern, damit du morgen .«
»Nein, ich möchte noch heute abreisen.« Auf für sie selbst unerklärliche Weise stand Lara wie unter einem inneren Zwang. »Ich fliege mit einer Linienmaschine.« Sie ging in ihr Büro zurück und sagte zu Kathy: »Reservieren Sie mir einen Platz in der nächsten KLM-Maschine nach Amsterdam.«
»Ja, Miss Cameron.«
»Bleibst du lange fort?« fragte Keller, der Lara gefolgt war.
»In nächster Zeit finden ein paar wichtige Besprechungen statt, die ...«
»Ich bin in zwei, drei Tagen wieder da.«
»Soll ich mitkommen?«
»Danke, Howard. Diesmal nicht.«
»Ich habe mit einem Freund gesprochen, der in Washington Senator ist. Er hält es für möglich, daß ein Gesetz zur Abschaffung der steuerlichen Hauptanreize im Wohnungsbau verabschiedet wird. Sollte es wie geplant durchkommen, würde die Kapitalertragsteuer erhöht und die höhere Abschreibung gestrichen.«
»Das wäre dumm«, stellte Lara fest. »Das würde die gesamte Immobilienbranche lahmlegen.«
»Das weiß er auch. Deshalb ist er gegen dieses Gesetz.«
»Dagegen werden viele sein«, sagte Lara. »Ich möchte wetten, daß es nicht durchkommt. Erstens ...«
Das private Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Lara starrte es an. Es klingelte erneut.
»Willst du nicht drangehen?« fragte Keller.
Lara schüttelte den Kopf. »Nein.«
Paul Martin ließ es zehn-, zwölfmal klingeln, bevor er langsam den Hörer auflegte. Er blieb in seinem Sessel zurückgelehnt sitzen und dachte über Lara nach. In letzter Zeit hatte er den Eindruck, sie sei zurückhaltender, manchmal fast abweisend. Ob sie einen anderen hatte? Nein, dachte Paul Martin, sie gehört mir! Sie würde immer ihm gehören.
Der Flug mit der KLM war angenehm. Die Sessel in der ersten Klasse der Boeing 747 waren breit und bequem, und das Kabinenpersonal sehr aufmerksam.
Lara Cameron war zu nervös, um einen Bissen herunterbringen zu können. Was tust du bloß? fragte sie sich. Du fliegst uneingeladen nach Amsterdam, und er hat wahrscheinlich überhaupt keine Zeit für dich. Indem du ihm nachrennst, bringst du dich um deine einzige Chance.
Aber es war zu spät, ihre Entscheidung noch zu ändern.
Sie wohnte im Grand Hotel am Oudezijds Voorburgwal, einem der schönsten Hotels Amsterdams.
»Wir haben eine ganz entzückende Suite für Sie, Miss Came-ron«, sagte der Empfangschef.
»Danke. Wie ich höre, gibt Philip Adler heute abend hier in Amsterdam ein Konzert. Wissen Sie zufällig, wo er spielt?«
»Natürlich, Miss Cameron - im Concertgebouw.«
»Könnten Sie mir eine Karte besorgen?«
»Mit Vergnügen, Miss Cameron.«
Als Lara ihre Suite betrat, klingelte das Telefon. Am Apparat war Howard Keller.
»Hast du einen angenehmen Flug gehabt?«
»Ja, danke.«
»Ich wollte dir nur sagen, daß ich mit zwei Banken wegen der Finanzierung des Neubaus auf der Seventh Avenue gesprochen habe.«
»Und?«
Seine Stimme klang triumphierend. »Sie machen beide mit!«
»Siehst du, ich hab's dir gesagt!« rief Lara aus. »Howard, das ist ein Riesenerfolg. Ich möchte, daß du sofort anfängst, ein Team für die Planung zusammenzustellen.«
»Wird gemacht. Ich rufe dich morgen wieder an«, sagte Keller und legte auf.
Nachdem Lara aufgelegt hatte, dachte sie über Howard Keller nach. Er war ein lieber Kerl. Ein Glück, daß sie ihn hatte! Er war immer für sie da. Sie mußte versuchen, eine nette Frau für ihn zu finden.
Philip Adler war vor jedem Konzert nervös. Nach einer Probe mit dem Orchester hatte er eine Kleinigkeit zu Mittag gegessen
und war danach in ein Kino gegangen, um sich abzulenken. Auch während der Vorstellung ließ die Musik, die er abends spielen würde, ihn nicht los. Philip merkte erst, daß er mit den Fingern auf seine Armlehne trommelte, als sein Sitznachbar ihn aufforderte: »Lassen Sie bitte dieses gräßliche Getrommel!«
»Oh, Entschuldigung!« sagte Philip höflich.
Er stand auf, verließ das Kino und wanderte ziellos durch die Straßen Amsterdams. Nach einem Abstecher ins Rijksmuseum schlenderte er durch den botanischen Garten der Freien Universität und schaute zerstreut in die Schaufenster entlang der P. C. Hooftstraat. Gegen vier Uhr nachmittags kehrte er in sein Hotel zurück, um ein Nickerchen zu machen - und ohne zu ahnen, daß Lara Cameron die Suite direkt über ihm hatte.
Kurz nach neunzehn Uhr stieg Philip Adler vor dem Bühneneingang des altehrwürdigen Concertgebouw aus einem Taxi. In der Eingangshalle drängten sich bereits erwartungsvolle Konzertbesucher.
Philip war eben dabei, seine Frackschleife zu binden, als der Direktor geschäftig in seine Garderobe kam.
»Wir sind restlos ausverkauft, Mr. Adler! Wir haben massenhaft Leute abweisen müssen. Wenn Sie noch ein, zwei Tage bleiben könnten, würden wir . Ich weiß, daß Sie völlig ausgebucht sind ... Ich rede mit Mr. Ellerbee über Ihr Engagement im kommenden Jahr, um vielleicht .«
Aber Philip hörte kaum, was er sagte. Er war in Gedanken schon mitten im Konzert. Der Direktor zuckte endlich verlegen mit den Schultern und ging mit einer knappen Verbeugung. Philip spielte in Gedanken seine Musik weiter, bis ein Page an die Garderobentür klopfte.
»Das Orchester wartet auf Sie, Mr. Adler.«
»Danke.«
Es war soweit. Philip stand auf und betrachtete kurz seine Hände, deren gespreizte Finger leicht zitterten. Die Nervosität vor dem Spielen legte sich niemals. Alle großen Pianisten hatten darunter gelitten - Horowitz, Rubinstein, Serkin. Philips Magennerven waren verkrampft, und sein Herz hämmerte. Warum tue ich mir das immer wieder an? fragte er sich. Aber er kannte die Antwort.
Nach einem letzten Blick in den Spiegel verließ er seine Garderobe, ging den Korridor entlang und stieg die dreiunddreißig Stufen zur Bühne hinunter. Beifall rauschte auf und begleitete ihn, bis er sich am Flügel stehend verbeugte. Als er Platz nahm, war seine Nervosität auf wunderbare Weise wie weggeblasen. Er begann zu spielen.
Lara Cameron, die im Parkett saß, starrte Philip wie gebannt an. Sein Auftreten hatte etwas beinahe Hypnotisches an sich. Ich werde ihn heiraten, dachte Lara. Das weiß ich genau! Sie lehnte sich in ihren Sessel zurück und ließ sich von seinem Spiel verzaubern.
Nach dem Konzert war der Künstlersalon wie immer überfüllt. Philip hatte längst gelernt, die zu solchen Empfängen geladenen Gäste in zwei Gruppen zu unterteilen: in Fans und Musikerkollegen. Seine Fans waren immer begeistert. Und was die zweite Gruppe betraf - hatte man gut gespielt, gratulierten die Musikerkollegen einem herzlich. Hatte man schlecht gespielt, waren ihre Gratulationen sehr herzlich.
In Amsterdam hatte Philip Adler eine große Gemeinde, die an diesem Abend zahlreich vertreten war. Er stand mitten im Salon, lächelte, gab Autogramme und war zu hundert Unbekannten höflich. Dabei konnte es nicht ausbleiben, daß irgend jemand fragte: »Erinnern Sie sich an mich?« Und dann mußte Philip vorgeben, sich zu erinnern. »Ihr Gesicht kommt mir so bekannt vor .«
Er dachte an Sir Thomas Beecham, der sein miserables Personengedächtnis zu kaschieren pflegte. Auf die Frage »Erinnern Sie sich an mich?« antwortete der große Dirigent immer: »Natürlich! Wie geht es Ihnen, und wie geht es Ihrem Herrn
Vater, und was macht er?« Dieser Trick funktionierte, bis Sir Thomas auf einem Empfang nach einem Konzert in London von einer jungen Dame angesprochen wurde: »Sie haben wunderbar dirigiert, Maestro. Erinnern Sie sich an mich?« Beecham antwortete ritterlich: »Gewiß, meine Liebe. Wie geht es Ihrem Herrn Vater, und was macht er?« Worauf die junge Dame sagte: »Danke, Vater geht es gut. Und er ist immer noch König von England.«
Philip war damit beschäftigt, die ständig gleichen Komplimente freundlich nickend zu quittieren, als irgend etwas ihn dazu veranlaßte, den Kopf zu heben. Am Eingang stand Lara und beobachtete ihn. Er starrte sie sekundenlang verwundert an. »Pardon«, sagte er abwesend.
Er bahnte sich einen Weg durch die Menge, um zu ihr zu gelangen, und ergriff ihre Hand. »Was für eine wunderbare Überraschung! Was tun Sie in Amsterdam?«
Vorsicht, Lara, dachte sie. »Ich bin geschäftlich hier, und als ich gesehen habe, daß Sie ein Konzert geben, mußte ich kommen.« Das war unverfänglich. »Sie haben herrlich gespielt, Philip.«
»Danke . ich . « Er machte eine Pause, um ein weiteres Autogramm zu geben. »Wenn Sie Zeit hätten, mit mir zu Abend zu essen .«
»Ich habe Zeit«, versicherte Lara ihm rasch.
Sie fuhren ins Bali-Restaurant in der Leidsestraat. Als sie das Restaurant betraten, standen die Gäste auf und klatschten. In den Vereinigten Staaten, dachte Lara, wäre die Aufregung meinetwegen entstanden. Aber sie genoß das Glück, an Philips Seite zu sein.
»Ihr Besuch ist eine große Ehre für uns, Mr. Adler«, sagte der Geschäftsführer, während er sie zu ihrem Tisch geleitete.
Als sie Platz genommen hatten, nickte Lara zu einigen Gästen hinüber, die Philip bewundernd anstarrten. »Diese Leute
lieben Sie wirklich, nicht wahr?«
Er schüttelte den Kopf. »In Wahrheit lieben sie die Musik. Ich bin nur der Vermittler. Das habe ich frühzeitig gelernt. Als junger, vielleicht etwas arroganter Pianist habe ich mich einmal nach einem Konzert viel zu lange verbeugt. Daraufhin hat der Dirigent sich umgedreht und die Partitur hochgehalten, um daran zu erinnern, daß der Beifall eigentlich Mozart galt. Diese Lektion werde ich mein Leben lang nicht vergessen.«
»Wird es nicht irgendwann langweilig, Abend für Abend dieselbe Musik zu spielen?«
»Nein, denn jedes Konzert ist anders. Die Musik mag sich wiederholen, aber der Dirigent, das Orchester und nicht zuletzt das Publikum sind völlig verschieden.«
Nachdem sie bestellt hatten, fuhr Philip fort: »Wir bemühen uns bei jedem Konzert um Perfektion, aber keines kann ganz erfolgreich sein, denn wir gehen mit Musik um, die immer besser ist als wir selbst. Um den Klang des Komponisten zu treffen, müssen wir die Komposition jedesmal nachvollziehen.«
»Sie sind nie zufrieden?«
»Niemals. Jeder Komponist hat seinen unverwechselbaren charakteristischen Klang. Ob wir Debussy, Brahms, Haydn, Reger oder Beethoven spielen . unser Ziel ist immer, seinen Klang zu reproduzieren.«
Ihr Essen wurde serviert. Die Reistafel war eine indonesische Spezialität mit einundzwanzig Gängen, zu denen Fleisch, Fisch, Huhn, Nudeln und zwei Nachspeisen gehörten.
»Wie kann jemand das alles essen?« fragte Lara lachend.
»Die Holländer haben einen herzhaften Appetit.«
Philip fiel es schwer, Lara nicht dauernd anzustarren. Mit ihr zusammen zu sein, bereitete ihm ungeahntes Vergnügen. Er war stets von schönen Frauen umgeben gewesen - aber Lara war anders als alle anderen. Sie war stark, trotzdem sehr feminin und weit davon entfernt, mit ihrer Schönheit zu koket-tieren. Besonders gut gefiel ihm ihre leicht rauchige Stimme, die so sexy klang. Eigentlich gefällt mir alles an ihr, gestand Philip sich ein.
»Wohin reisen Sie von hier aus?« fragte Lara ihn.
»Morgen bin ich in Mailand. Danach spiele ich in Venedig, Wien, Paris und London, bevor ich nach New York zurückkomme.«
»Das klingt so romantisch ...«
Philip lachte. »Ich weiß nicht, ob romantisch das richtige Wort ist. Ich muß mich mit unpünktlichen Flugverbindungen, schlechten Hotels und Abendessen in fremden Restaurants abfinden. Aber das ertrage ich alles, weil das Spielen so wundervoll ist. Es ist nur manchmal verdammt lästig, dauernd grinsen zu müssen.«
»Warum müssen Sie das?«
»Weil ich ständig angegafft werde, wildfremden Leuten zulächeln muß, die mir nichts bedeuten, und den größten Teil meines Lebens unter Fremden verbringe.«
»Ich weiß, wie das ist«, sagte Lara langsam.
Als sie beim Kaffee waren, sagte Philip: »Nach einem Konzert bin ich immer zu aufgedreht, um schlafen zu können. Wie wär's mit einer nächtlichen Kanalrundfahrt?«
»Gern.«
Sie bestiegen einen der Kanalbusse, die auf der Amstel verkehrten. Die Nacht war mondlos, aber die Lichter der Großstadt leuchteten um sie her. Die Kanalrundfahrt verzauberte sie, trotz der Informationen, die in vier Sprachen aus den Lautsprechern drangen:
»Wir passieren jetzt einige jahrhundertealte Kaufmannshäuser mit reichverzierten Giebeln. Zwölfhundert Brücken überspannen die Kanäle, die alle im Schatten herrlicher Ulmen liegen .«
Sie bestaunten das Smalste Huis - das schmälste Haus Am-sterdams -, das gerade so breit wie die Haustür war, fuhren an der Westerkerk mit der Krone des Habsburger Kaisers Maximilian vorbei, glitten unter einer hölzernen Hebebrücke hindurch, passierten die Magere Brug und sahen unzählige Hausboote, auf denen ganze Familien lebten.
»Eine wunderschöne Stadt«, sagte Lara.
»Sind Sie schon einmal hier gewesen?«
»Nein.«
»Und Sie haben hier geschäftlich zu tun?«
Lara holte tief Luft. »Nein.«
Philip zog die Augenbrauen hoch. »Ich dachte, Sie hätten gesagt .«
»Ich bin nach Amsterdam gekommen, um Sie wiederzusehen.«
Sein Herz schlug rascher. »Ich . ich fühle mich sehr geschmeichelt.«
»Und ich muß Ihnen noch etwas gestehen. Ich habe vorgegeben, mich für klassische Musik zu interessieren. Aber das stimmt nicht.«
Philip lächelte kaum merklich. »Ja, ich weiß.«
Lara starrte ihn überrascht an. »Das wissen Sie?«
»Professor Myers ist ein alter Freund von mir«, antwortete er behutsam. »Er hat mich angerufen, um mir zu sagen, daß Sie bei ihm einen Schnellkurs über Philip Adler nehmen. Er befürchtete, Sie könnten es auf mich abgesehen haben.«
»Da hat er recht gehabt«, bestätigte Lara. »Sind Sie etwa schon vergeben?«
»Sie meinen, ob ich in festen Händen bin?«
Lara war plötzlich verlegen. »Wenn es Ihnen lieber ist, reise ich ab und .«
Er griff nach ihrer Hand. »Kommen Sie, wir steigen an der nächsten Anlegestelle aus.«
Als sie ins Hotel zurückkamen, lagen am Empfang mehrere Faxe von Howard Keller. Lara stopfte sie achtlos in ihre Handtasche. Im Augenblick erschien ihr das alles unwichtig.
»Dein Zimmer oder meines?« fragte Philip leichthin.
»Deines.«
Lara konnte ihre Ungeduld kaum noch bezähmen.
Sie hatte das Gefühl, ihr ganzes Leben lang auf diesen Augenblick gewartet zu haben. Endlich hatte sie den Unbekannten gefunden, den sie liebte! Auch Philip konnte es kaum noch erwarten, bis die Tür seines Zimmers hinter ihnen ins Schloß fiel. Er nahm Lara in die Arme und küßte sie sanft und zärtlich, bevor sie begannen, einander auszuziehen.
Die Stille des Hotelzimmers wurde durch einen plötzlichen Donnerschlag durchbrochen. Der wolkenverhangene Nachthimmel öffnete seine Schleusen, und es begann zu regnen -erst nur leicht, sanft und sinnlich, bis das Tempo sich steigerte und der Regen zu einer wahren Sintflut wurde, die in stetigem, wilden Rhythmus herabprasselte, bis sie ihren Höhepunkt mit einem Finale aus Blitzen und Donnerschlägen erreichte. Dann war das Gewitter so plötzlich vorbei, wie es begonnen hatte.
Lara und Philip hielten sich erschöpft in den Armen. Philip drückte Lara an sich. Er konnte ihren Herzschlag fühlen. Wäre sie Musik, dachte Philip, wäre sie Chopins Barcarolle oder Schumanns Phantasie.
Er fühlte die sanften Kurven des Körpers, der sich an ihn schmiegte, und spürte eine neue Erregung.
»Philip ...« Ihre Stimme klang heiser.
»Ja?«
»Möchtest du, daß ich nach Mailand mitkomme?«
Er richtete sich auf den Ellbogen auf. »Ja, natürlich!«
»Gut«, murmelte Lara. Sie beugte sich über Philip, und ihr weiches Haar fiel über seinen schlanken, muskulösen Körper.
Es begann wieder zu regnen.
Als Lara endlich in ihre Suite zurückkam, rief sie Keller an. »Habe ich dich geweckt, Howard?«
»Nein.« Seine Stimme klang schlaftrunken. »Um vier Uhr bin ich immer schon wach. Was ist los dort drüben?«
Lara hätte es ihm am liebsten erzählt, aber statt dessen sagte sie nur: »Nichts. Ich fliege nach Mailand weiter.«
»Wie bitte? Dort haben wir keine Interessen.«
Doch, doch, wir haben welche! dachte Lara glücklich.
»Hast du meine Faxe gelesen?«
Die hatte sie ganz vergessen. »Noch nicht«, antwortete Lara schuldbewußt.
»Ich habe Gerüchte gehört, was das Kasino betrifft.«
»Wo gibt's Probleme?«
»Es scheint einige Beschwerden wegen des Ablaufs der Versteigerung gegeben zu haben.«
»Mach' dir deswegen keine Sorgen. Das bringt Paul Martin wieder in Ordnung.«
»Du bist der Boß.«
»Hör zu, Howard, ich möchte, daß du den Jet nach Mailand schickst. Die Piloten sollen dort auf mich warten. Ich möchte, daß sie auf dem Flughafen erreichbar sind.«
»Okay, aber .«
Um vier Uhr morgens war Paul Martin hellwach. Er hatte mehrmals auf Laras Anrufbeantworter in ihrem Penthouse gesprochen, aber sie hatte nicht zurückgerufen. Bisher hatte sie ihn stets informiert, wenn sie für ein paar Tage verreiste. Was hatte dieses plötzliche Schweigen zu bedeuten? Irgend etwas stimmte nicht. »Sei vorsichtig, Darling«, flüsterte er. »Sei ja vorsichtig!«
In Mailand quartierten Lara und Philip sich in der Antica Locanda Solferino ein, einem bezaubernden Hotel mit nur zwölf Zimmern, und verbrachten den Rest des Vormittags damit, sich leidenschaftlich zu lieben. Danach fuhren sie nach Cernobbia hinaus und aßen am Comersee in der Villa d'Este zu Mittag.
Das Konzert an diesem Abend war ein triumphaler Erfolg, und im Künstlersalon in der Scala drängten sich ausgesuchte Gäste, um Philip zu beglückwünschen.
Lara beobachtete aus dem Hintergrund, wie sie Philip umringten, ihm Komplimente machten, ihn um Autogramme baten, ihm kleine Geschenke überreichten. Es fiel ihr schwer, ihre Eifersucht zu beherrschen. Viele der Frauen waren jung und schön, und Lara hatte den Eindruck, daß ihm alle Avancen machten. Gerade sagte eine Amerikanerin in einem eleganten Fendi-Abendkleid lächelnd: »Falls Sie Lust haben, Mr. Adler, ich gebe morgen in meiner Villa ein intimes kleines Essen. Ein sehr intimes Dinner.«
Lara hätte die Schlampe am liebsten erwürgt.
Philip lächelte höflich. »Äh ... vielen Dank, aber ich habe leider keine Zeit.«
Eine andere versuchte, ihm ihren Hotelschlüssel zuzustecken. Er schüttelte den Kopf.
Philip sah zu Lara hinüber und grinste. Die eleganten Damen umdrängten ihn weiter.
»Lei era magnifico, maestro!«
»Molto gentile da parte sua«, antwortete Philip.
»L'ho sentita suonare il anno scorso. Bravo!«
»Grazie«, antwortete Philip lächelnd.
Lara hatte das Gefühl, schon endlos lange gewartet zu haben. Zuletzt drängte Philip sich durch die Schar seiner Bewunderer und flüsterte Lara zu: »Komm, wir verschwinden!«
»Si!« antwortete sie lächelnd.
Zum Abendessen gingen sie ins Biffy, das Restaurant im Opernhaus. Als sie hereinkamen, erhoben sich die Gäste - die meisten von ihnen nach dem Konzert in Abendkleidung - und begannen zu applaudieren. Der Maitre d'hötel führte Philip und Lara zu einem Tisch in der Mitte des Restaurants. »Wir freuen uns, daß Sie uns die Ehre geben, Mr. Adler.«
Ein Ober servierte eine Flasche Champagner auf Kosten des Hauses, und die beiden stießen miteinander an.
»Auf uns«, sagte Philip liebevoll.
»Auf uns!«
Philip bestellte Osso buco und Penne all'arrabbiata, zwei der Spezialitäten des Hauses. Während sie aßen, unterhielten sie sich angeregt. Es war, als hätten sie sich schon immer gekannt.
Dabei wurden sie ständig von Leuten unterbrochen, die an ihren Tisch kamen, um Philip zu beglückwünschen oder um ein Autogramm zu bitten.
»So ist es immer, nicht wahr?« fragte Lara.
Philip zuckte mit den Schultern. »Das sind unvermeidliche Begleiterscheinungen. Auf je zwei Stunden auf dem Konzertpodium kommen unzählige weitere, in denen man Autogramme gibt, Bücher signiert oder Interviews gibt.«
Wie zur Illustration des Gesagten machte er eine Pause, um eine weitere Unterschrift zu leisten.
»Durch dich ist diese Tournee wundervoll geworden«, sagte Philip seufzend. »Aber das Schlimme ist, daß ich morgen nach Venedig muß. Du wirst mir sehr fehlen.«
»Ich bin noch nie in Venedig gewesen«, sagte Lara leise.
Lara Camerons Boeing 727 stand auf dem Flughafen Linate für sie bereit. Als sie dort ankamen, starrte Philip die riesige Maschine erstaunt an.
»Das ist dein Flugzeug?«
»Ja. Es bringt uns nach Venedig.«
»Du verwöhnst mich, Lady!«
»Genau das habe ich vor«, sagte sie lächelnd.
Nach einem halbstündigen Flug landeten sie auf dem Flughafen Marco Polo in Venedig. Von dort fuhren sie mit einem Motorboot auf die Insel La Giudecca, auf der das Hotel Cipria-ni stand.
»Ich habe zwei Suiten für uns bestellt«, sagte Lara. »Das ist diskreter, finde ich.«
Auf der Bootsfahrt ins Hotel fragte Lara: »Wie lange bleiben wir übrigens hier?«
»Leider nur eine Nacht. Ich gebe ein Konzert im Teatro Fe-nice, und dann reisen wir nach Wien weiter.«
Das »wir« jagte Lara einen wohligen kleinen Schauder über den Rücken. Diese Frage hatten sie am Abend zuvor besprochen. »Ich möchte natürlich, daß du mich so lange wie möglich begleitest«, hatte Philip gesagt. »Aber weißt du bestimmt, daß ich dich nicht von wichtigeren Dingen abhalte?«
»Du bist mir wichtiger als alles andere.«
»Heute nachmittag kommst du wohl allein zurecht? Ich muß nämlich zur Probe.«
»Keine Angst, ich langweile mich bestimmt nicht«.
Nachdem sie ihre Suiten bezogen hatten, nahm Philip Lara in die Arme. »Ich muß jetzt ins Fenice, aber hier gibt es genug zu besichtigen. Venedig wird dir gefallen! Am Spätnachmittag bin ich wieder da.« Sie küßten sich. Der kurze Abschiedskuß wurde lang und leidenschaftlich. »Jetzt verschwinde ich lieber«, murmelte Philip, »sonst fällt meine Probe noch ins Wasser.«
»Viel Spaß!« wünschte Lara ihm lachend.
Philip lief hinaus.
Lara rief Howard Keller an.
»Wo steckst du?« wollte er wissen. »Ich habe dauernd versucht, dich zu erreichen.«
»Ich bin in Venedig.«
Am anderen Ende entstand eine Pause. »Kaufen wir jetzt einen Kanal?«
Lara mußte lachen. »Vielleicht«, sagte sie.
»Du wirst hier gebraucht«, stellte er vorwurfsvoll fest. »Wir stecken bis über beide Ohren in Arbeit. Der junge Frank Rose hat die neuen Pläne abgeliefert. Sie gefallen mir, aber ich brauche dein Einverständnis, damit wir .«
»Wenn du sie gut findest«, unterbrach Lara ihn, »bin ich auch einverstanden.«
»Du willst sie nicht sehen?« fragte Keller überrascht.
»Nicht im Augenblick, Howard.«
»Na gut. Was die Kaufverhandlungen wegen des Objektes auf der West Side betrifft, brauche ich deine Zustimmung, um .«
»Die hast du.«
»Lara . bist du etwa krank?«
»Ich habe mich noch nie besser gefühlt.«
»Wann kommst du zurück?«
»Keine Ahnung. Ich melde mich mal wieder. Mach's gut, Howard.«
Venedig schlug sie in Bann. Lara spazierte über den Markusplatz, besichtigte den Campanile und den Dogenpalast und schlenderte das belebte Riva degli Schiavoni entlang. Wo sie auch ging und stand, dachte sie an Philip. Als sie bei einem Juwelier vorbeikam, betrat sie impulsiv das Geschäft, um Philip eine Piaget mit goldenem Armband zu kaufen.
»Gravieren Sie bitte die Widmung >Für Philip in Liebe von Lara< ein?« Allein die Nennung seines Namens genügte, um
wieder Sehnsucht nach ihm zu bekommen.
Nach Philips Rückkehr tranken sie im parkartigen Garten des Hotels Tee.
Lara sah zu Philip hinüber und dachte: für Flitterwochen wäre dies der ideale Ort.
»Ich habe ein Geschenk für dich«, sagte sie und legte ihm das Etui mit der Armbanduhr hin.
Er klappte es auf und bekam große Augen. »Mein Gott, die muß ein Vermögen gekostet haben! Soviel Geld hättest du nicht ausgeben dürfen, Lara.«
»Gefällt sie dir nicht?«
»Natürlich gefällt sie mir. Sie ist wunderschön, aber ...«
»Pst! Trag sie und denk dabei an mich.«
»Ich brauche dafür keine Gedächtnisstütze, aber trotzdem vielen Dank.«
»Wann müssen wir aufbrechen?« erkundigte Lara sich.
»Gegen sieben Uhr.«
Sie warf einen Blick auf Philips neue Uhr und bemerkte unschuldig: »Dann bleiben uns noch zwei Stunden.«
Das Teatro Fenice war ausverkauft. Das Publikum ging begeistert mit und klatschte und jubelte nach jedem Satz.
Nach dem Konzert ging Lara in den Salon hinter der Bühne, wo Philip Hof hielt. Was sie schon in London, Amsterdam und Mailand beobachtet hatte, spielte sich auch hier wieder ab -nur daß die Venezianerinnen ihn noch feuriger umwarben. Lara beobachtete ein halbes Dutzend Schönheiten, die den Star des Abends umschwärmten, und fragte sich, mit welcher Philip die Nacht verbracht hätte, wenn sie nicht hier wäre.
Zum Essen gingen sie in Harry's Bar, wo Arrigo Cipriani, der liebenswürdige Besitzer, sie herzlich begrüßte.
»Welch Vergnügen, Sie zu sehen, Signore! Und Sie, Signori-na. Bitte!«
Er führte sie zu einem Ecktisch. Sie bestellten Bellinis, eine
Spezialität des Hauses. »Am besten fängst du mit Pasta e fagoli an«, empfahl Philip Lara. »Hier gibt's die beste Pasta der Welt.«
Später wußte Philip nicht mehr, was er an diesem Abend gegessen hatte. Lara hatte ihn verzaubert. Er wußte, daß er dabei war, sich in sie zu verlieben, und diese Vorstellung erschreckte ihn. Ich darf mich auf keine feste Beziehung einlassen, dachte er. Das ist unmöglich! Ich führe ein Nomadenleben. Andererseits mochte er nicht an den Augenblick denken, in dem sie ihn verlassen würde, um nach New York zurückzukehren. Er wollte diesen Abend so lange wie irgend möglich genießen.
»Draußen am Lido gibt es eine Spielbank«, sagte Philip nach dem Essen. »Spielst du gern?«
Lara mußte laut lachen.
»Was findest du so komisch?«
Lara dachte an die Hunderte von Millionen Dollar, die sie bei ihren Bauvorhaben aufs Spiel setzte. »Nichts«, sagte sie. »Eine gute Idee.«
Sie fuhren mit einem Motorboot zum Lido hinaus, schlenderten Hand in Hand am Hotel Excelsior vorbei und betraten den weißen Palast der Spielbank, in deren Sälen sich Glücksspieler drängten.
»Träumer«, sagte Philip.
Philip spielte Roulette und gewann in einer halben Stunde fast zweitausend Dollar. Er lächelte Lara zu. »Soviel habe ich noch nie gewonnen! Du bringst mir Glück.«
Sie spielten bis kurz nach drei Uhr und waren dann wieder hungrig.
Ein Motorboot brachte sie zum Markusplatz, von wo aus sie durch enge Gassen zur Cantina da Mori schlenderten.
»Das vermutlich beste bacaro Venedigs«, sagte Philip, bevor sie das Lokal betraten.
»Das glaube ich dir«, antwortete Lara. »Aber was ist ein
bacaro?«
»Eine Weinbar, in der cicchetti serviert werden - kleine einheimische Leckereien.«
Eine Tür mit Butzenscheiben führte in einen langen halbdunklen Raum, in dem Kupferkessel an der Decke hingen und die Schalen auf der Theke im Lampenlicht glänzten.
Es wurde schon hell, als sie ins Hotel zurückkamen. Als sie sich auszogen, sagte Lara: »Wo wir gerade von Leckereien reden .«
Am späten Vormittag flogen Lara und Philip nach Wien weiter.
»Eine Reise nach Wien gleicht einer Reise in die Vergangenheit«, erklärte Philip Lara. »Vor der Landung sagen die Flugkapitäne angeblich: >Meine Damen und Herrn, wir befinden uns im Anflug auf Wien-Schwechat. Stellen Sie bitte Ihre Lehnen senkrecht, klappen Sie die Tische hoch, rauchen Sie nicht mehr, und stellen Sie Ihre Uhren hundert Jahre zurück.<«
Lara mußte lachen.
»Meine Eltern stammen von hier«, fuhr er fort. »Sie haben oft von der guten alten Zeit gesprochen und mich damit neidisch gemacht.«
Als sie die Ringstraße entlang fuhren, war Philip aufgeregt wie ein kleiner Junge.
»Wien ist die Stadt von Haydn, Mozart, Beethoven und Brahms.« Er sah zu Lara hinüber und grinste. »Oh, das hätte ich beinahe vergessen - du bist schließlich die Expertin für Wiener Klassik!«
Sie wohnten im Hotel Imperial.
»Ich muß zur Probe«, sagte Philip, »aber dafür nehme ich mir morgen den ganzen Tag frei, um dir Wien zu zeigen.«
»Darauf freue ich mich jetzt schon.«
Er schloß sie in die Arme. »Ich wollte, wir hätten mehr Zeit«, murmelte er bedauernd.
»Ja, das wäre schön.«
Philip küßte sie leicht auf die Stirn. »Heute abend holen wir alles nach.«
Sie hielt ihn an sich gedrückt. »Versprechungen, Versprechungen!«
Der Klavierabend fand im Saal des Musikvereins statt. Philip Adler, der Chopin, Schumann und Prokofjew spielte, wurde erneut begeistert gefeiert.
Der Künstlersalon war wieder überfüllt, aber diesmal wurde Deutsch gesprochen.
»Sie waren wunderbar, Herr Adler!«
Philip lächelte geschmeichelt. »Vielen Dank, sehr freundlich von Ihnen.«
»Ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Kunst.«
Philip lächelte erneut. »Danke, das freut mich.«
Obwohl er mit vielen Menschen sprach, konnte er den Blick nicht von Lara wenden.
Nach dem Empfang fuhren Philip und Lara zu einem späten Souper ins Imperial, wo der Maitre d'hotel sie überschweng-lich begrüßte.
»Ah, diese Ehre!« rief er aus. »Ich bin heut' abend auch im Konzert gewesen. Herrlich, einfach herrlich!«
»Vielen Dank«, sagte Philip bescheiden.
Das Souper war ausgezeichnet, aber Philip und Lara fanden einander zu erregend, um wahrzunehmen, was sie aßen. Als der Ober fragte: »Wünschen die Herrschaften ein Dessert?«, antwortete Philip hastig: »Ja.« Aber er sah dabei Lara an.
Sein Instinkt sagte ihm, daß hier irgend etwas nicht in Ordnung war. Sie war noch nie so lange auf Reisen gewesen, ohne ihm mitzuteilen, wo sie war. Wich sie ihm bewußt aus? Dafür konnte es nur eine Erklärung geben. Und das werde ich nicht zulassen, dachte Paul Martin.
Am nächsten Morgen sagte Philip: »Wir haben einen ganzen Tag und den Abend in Wien. Ich habe dir viel zu zeigen!«
Nach dem Frühstück begannen sie den Tag mit einem Spaziergang durch die Kärntnerstraße mit ihren eleganten Boutiquen, Juwelieren und Antiquitätengeschäften.
Philip nahm einen Fiaker, mit dem sie eine langsame Rundfahrt durch den ersten Bezirk machten. Dann besuchten sie Schloß Schönbrunn. Nachmittags kauften sie Karten für die Spanische Reitschule und bewunderten die Vorführungen der Lippizaner. Nachdem sie mit dem Riesenrad im Prater gefahren waren, kündigte Philip an: »So, jetzt wird gesündigt!«
»Ohhh!«
»Nein, nein«, wehrte Philip ab. »Ich habe an etwas anderes gedacht.«
Er führte Lara ins Demel, wo es den besten Kaffee und die unvergleichlich gute Sachertorte gab.
Lara war von der Wiener Mischung aus Altem und Neuem fasziniert: prachtvolle Barockpalais standen unmittelbar neben postmodernen Zweckbauten.
Philips Interesse galt den Komponisten. »Hast du gewußt, daß Franz Schubert hier als Chorknabe angefangen hat, Lara? Er hat im Knabenchor der Hofkapelle gesungen und ist natürlich rausgeflogen, als er in den Stimmbruch kam. Daraufhin beschloß er, Komponist zu werden.«
Nach dem Abendessen besuchten sie ein Heurigenlokal in Grinzing. Danach fragte Philip: »Hättest du Lust zu einer Rundfahrt auf der Donau?«
»Oh, das wäre schön!«
Es war eine Bilderbuchnacht mit Vollmond und lauer Sommerbrise. Über der im Mondschein silbern glänzenden Donau leuchteten die Sterne. Sie leuchten für uns, dachte Lara, weil wir so glücklich sind. In der Ferne sahen sie eine Sternschnuppe fallen.
»Schnell!« rief Philip. »Wünsch dir etwas!«
Lara schloß die Augen.
»Hast du dir etwas gewünscht?«
»Ja.«
»Was denn?«
Lara sah zu ihm auf. »Das darf ich nicht verraten«, sagte sie ernsthaft, »sonst geht es nicht in Erfüllung.« Ich werde dafür sorgen, daß es in Erfüllung geht, dachte sie dabei.
Philip lächelte sie an. »Herrlich, nicht wahr?«
»So schön könnte es immer sein, Philip.«
»Wie meinst du das?«
»Wir könnten heiraten.«
Nun war es heraus! Philip Adler hatte schon seit Tagen an nichts anderes mehr denken können. Er liebte Lara - aber er war sich zugleich bewußt, daß er keine feste Bindung eingehen durfte.
»Lara, das ist unmöglich!«
»Unmöglich? Warum?«
»Das habe ich dir schon erklärt, Liebling. Ich bin das ganze Jahr über auf Konzertreisen. Du könntest mich nicht ständig begleiten, oder?«
»Nein«, sagte Lara, »aber ...«
»Da hast du's! Es würde niemals klappen. Morgen in Paris zeige ich dir .«
»Ich komme nicht mit nach Paris.«
Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Wie bitte?«
Sie holte tief Luft. »Wir sehen uns nicht wieder, Philip.«
Das traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. »Aber warum nicht? Ich liebe dich, Lara! Ich .«
»Und ich liebe dich. Aber ich bin kein Groupie. Ich habe keine Lust, nur eine deiner zahlreichen Anbeterinnen zu sein, die dir nachstellen. Von denen kannst du Dutzende haben.«
»Lara, ich will nur dich. Aber du mußt einsehen, Liebling, daß unsere Ehe nie funktionieren würde. Wir haben beide einen
Beruf, der uns ausfüllt. Ich würde mir wünschen, ständig mit dir zusammen zu sein, aber das wäre unmöglich.«
»Schön, das war's dann also«, sagte Lara mit gepreßter Stimme. »Wir sehen uns nicht wieder, Philip.«
»Nicht so schnell! Bitte! Laß uns vernünftig miteinander reden, anstatt .«
»Nein, Philip. Ich liebe dich sehr, aber so kann es nicht weitergehen. Wir sehen uns nicht wieder.«
»Ich will dich aber wiedersehen«, beteuerte Philip. »Das kann nicht dein letztes Wort sein!«
»Es geht nicht anders. Ich will alles oder nichts.«
Bis das Schiff wieder anlegte und später auf der Rückfahrt ins Hotel sprachen sie kaum ein Wort miteinander. In der Hotelhalle schlug Philip vor: »Soll ich nicht noch mit hinaufkommen? Wir könnten über alles reden und .«
»Nein, mein Liebling. Wir haben nichts mehr zu besprechen.«
Er sah ihr nach, als sie in den Aufzug trat und verschwand.
Als Lara die Tür zu ihrer Suite aufschloß, klingelte das Telefon. Sie griff hastig nach dem Hörer. »Philip ...«
»Hier ist Howard. Ich habe schon den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen.«
Sie bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
»Nein, ich wollte mich bloß mal wieder melden. Hier ist ziemlich viel los. Wann kommst du voraussichtlich zurück?«
»Morgen«, antwortete Lara. »Ich bin morgen wieder in New York.« Sie legte langsam auf.
Lara saß da und starrte das Telefon an, als könnte sie es durch reine Willenskraft dazu bewegen, noch einmal zu klingeln. Zwei Stunden später war es noch immer stumm. Ich habe einen Fehler gemacht, sagte sie sich verzweifelt. Ich habe ihm ein Ultimatum gestellt und ihn dadurch verloren. Hätte ich bloß gewartet . Wäre ich nur mit ihm nach Paris gereist . Sie versuchte, sich ein Leben ohne Philip vorzustellen. Aber der Gedanke war zu schmerzhaft. Trotzdem könnte es nicht so weitergehen, überlegte sie. Ich möchte, daß wir zusammengehören. Morgen würde sie nach New York zurückfliegen.
Lara streckte sich auf dem Sofa aus - vollständig angezogen, das Telefon neben sich. Sie fühlte sich ausgelaugt. Sie wußte, daß sie auch für den Rest der Nacht kein Auge zutun würde.
Sie schlief ein.
In seiner Suite lief Philip wie ein gefangenes Raubtier auf und ab. Er war wütend auf Lara, wütend auf sich selbst. Die Vorstellung, sie nie wiederzusehen, sie nie wieder in den Armen halten zu können, war ihm unerträglich. Zum Teufel mit den Frauen! Seine Eltern hatten ihn gewarnt: Die Musik ist dein Leben. Wenn du der Beste sein willst, darf es keine Ablenkungen geben. Und bis er Lara begegnet war, hatte er sich daran gehalten. Aber jetzt war alles anders. Verdammt noch mal! Ihre Beziehung war wunderbar und verheißungsvoll. Warum hatte Lara alles zerstören müssen? Er liebte sie, aber er war sich darüber im klaren, daß er sie niemals heiraten konnte.
Das leise Klingeln des Telefons weckte Lara. Sie setzte sich schlaftrunken auf und sah auf ihre Uhr. Es war kurz vor fünf. Sie griff verschlafen nach dem Telefonhörer.
»Howard?«
Aber sie hörte Philips Stimme. »Würde es dir gefallen, in Paris zu heiraten?«
Die Hochzeit Lara Camerons mit Philip Adler machte weltweit Schlagzeilen. Als Howard Keller davon hörte, zog er los und betrank sich zum ersten Mal in seinem Leben. Er hatte sich unablässig eingeredet, Laras Verliebtheit in diesen Pianisten werde sich wieder legen. Lara und er waren ein Team. Sie gehörten zusammen. Niemand konnte sich zwischen sie drängen. Als er wieder nüchtern war, rief er Lara in Paris an.
»Wenn wahr ist, was die Zeitungen schreiben«, sagte er, »kannst du Philip bestellen, daß er der größte Glückspilz der Welt ist.«
»Es ist wahr!« versicherte Lara ihm fröhlich.
»Deine Stimme klingt glücklich.«
»Ich bin niemals glücklicher gewesen!«
»Ich ... das freut mich für dich, Lara. Wann kommst du zurück?«
»Philip spielt morgen abend in London, und danach fliegen wir zurück.«
»Hast du vor der Hochzeit mit Paul Martin gesprochen?«
Sie zögerte. »Nein.«
»Findest du nicht, daß du es jetzt besser tun solltest?«
»Ja, natürlich.« Dieses Gespräch, das sich nicht vermeiden ließ, hatte ihr mehr Sorgen gemacht, als sie sich eingestehen wollte. Sie wußte nicht, wie er die Tatsache, daß sie geheiratet hatte, aufnehmen würde. »Ich rede mit ihm, sobald ich zurück bin.«
»Ich freue mich, dich wiederzusehen. Du hast mir gefehlt.«
»Du mir auch, Howard.« Und das stimmte. Sie hatte ihn sehr gern. Er war immer ein guter und loyaler Freund gewesen. Ich weiß nicht, wie ich es ohne ihn hätte schaffen sollen, dachte Lara.
Als Laras Boeing 727 auf dem New Yorker Flughafen La Guardia vor dem Butler Aviation Terminal ausrollte, hatten sich dort Dutzende von Reportern und Fernsehteams eingefunden.
Der Flughafendirektor holte Lara und Philip auf dem Rollfeld ab. »Ich könnte Sie ungesehen wegbringen lassen«, sagte er, »oder .«
Lara wandte sich an Philip. »Am besten bringen wir's sofort hinter uns, Liebling. Sonst haben wir niemals Ruhe.«
»Wahrscheinlich hast du recht.«
Ihre Pressekonferenz dauerte fast zwei Stunden.
»Wo haben Sie sich kennengelernt ...?«
»Haben Sie sich schon immer für klassische Musik interessiert, Mrs. Adler?«
»Wie lange kennen Sie sich schon ...?«
»Werden Sie in New York leben ...?«
»Verzichten Sie in Zukunft auf Tourneen, Mr. Adler ...?«
Dann war endlich auch die letzte Frage beantwortet.
Vor dem Terminal standen zwei Limousinen für sie bereit. Die zweite beförderte das Gepäck.
»Solchen Aufwand auf Reisen bin ich nicht gewöhnt«, stellte Philip fest.
»Du wirst dich daran gewöhnen!« versicherte Lara ihm lachend.
»Wohin fahren wir?« fragte Philip, als der Wagen anrollte.
»Ich habe ein Apartment in der siebenundfünfzigsten Straße .«
»Ich glaube, daß es bei mir gemütlicher wäre, Liebling. Sieh dir die Wohnung mal an - und wenn's dir gefällt, lassen wir deine Sachen holen.«
Die Limousinen hielten vor dem Cameron Plaza. Philip sah
zu dem riesigen Gebäude auf.
»Das gehört dir?«
»Ein paar Banken und mir.«
»Ich bin beeindruckt!«
Lara drückte seinen Arm. »Um so besser. Das gefällt mir.«
Die Eingangshalle war ein Blumenmeer. Ein halbes Dutzend von Laras Angestellten hatte sich zum Empfang aufgebaut.
»Willkommen daheim, Mrs. Adler, Mr. Adler.«
Philip sah sich um. »Großer Gott, das gehört alles dir?«
»Uns, mein Liebling.«
Der Aufzug brachte sie zum Penthouse hinauf. Der Butler öffnete die Tür.
»Willkommen daheim, Mrs. Adler ... Mr. Adler.«
»Danke, Simms.«
Lara stellte Philip das übrige Hauspersonal vor und führte ihn dann durch ihr Duplex-Penthouse. Sie besichtigten die Dachterrassen, das Speisezimmer, die vier Schlafzimmer - jedes mit eigenem Bad -, die Bibliothek, Laras Arbeitszimmer und den mit kostbaren Antiquitäten eingerichteten riesigen Wohnraum, die Küche und die drei Personalzimmer.
»Glaubst du, daß du dich hier wohl fühlen wirst, Liebling?« fragte Lara.
Philip grinste. »Etwas beengt - aber ich komme schon zurecht.«
Mitten im Wohnraum stand ein glänzend schwarzer Bech-stein-Flügel. Philip blieb davor stehen und schlug einige Töne an.
»Ein wundervolles Instrument!« sagte er.
Lara trat neben ihn. »Das ist dein Hochzeitsgeschenk.«
»Wirklich?« fragte Philip gerührt. Er setzte sich an den Flügel und begann zu spielen.
»Ich habe ihn heute stimmen lassen.« Lara wartete eine Pause ab. »Gefällt er dir?«
»Und wie! Ich danke dir, Lara.« »Hier kannst du spielen, soviel du willst.«
Philip stand von der Klavierbank auf. »Ich müßte Ellerbee anrufen«, sagte er. »Er hat bestimmt schon versucht, mich zu erreichen.«
»In der Bibliothek steht ein Telefon, Darling.«
Lara ging in ihr Arbeitszimmer und hörte den Anrufbeantworter ab. Auf dem Tonband waren mehrere Anrufe von Paul Martin. »Lara, wo bist du? Du fehlst mir, Baby.« ... »Lara, ich nehme an, daß du im Ausland bist, sonst hättest du mich bestimmt angerufen.« ... »Ich mache mir Sorgen um dich, Lara. Ruf mich bitte an!« ... Dann änderte sich der Tonfall. »Ich habe gerade von deiner Hochzeit gehört. Stimmt das? Wir müssen unbedingt miteinander reden.«
Philip war unbemerkt hereingekommen. »Wer ist der geheimnisvolle Anrufer?« fragte er.
Lara drehte sich nach ihm um. »Ein ... ein alter Freund.«
Er umarmte Lara. »Habe ich Grund, auf ihn eifersüchtig zu sein?«
»Du brauchst auf niemanden eifersüchtig zu sein«, antwortete sie leise. »Du bist der einzige Mann, den ich je geliebt habe.«
Philip drückte sie an sich. »Und du bist die einzige Frau, die ich je geliebt habe.«
Als Philip spätnachmittags am Flügel saß, ging Lara in ihr Arbeitszimmer, um endlich Paul Martin anzurufen.
Er meldete sich fast augenblicklich. »Du bist wieder da?« Seine Stimme klang gepreßt.
»Ja.« Sie hatte sich vor diesem Gespräch gefürchtet.
»Ich will dir nicht verheimlichen, daß die Nachricht von deiner Hochzeit ein ziemlicher Schock gewesen ist, Lara.«
»Tut mir leid, Paul . ich . alles hat sich ganz plötzlich ergeben.«
»Offenbar.« »Ja.« Sie versuchte, seine Stimmung zu erraten.
»Ich dachte, wir hätten eine ziemlich gute Beziehung. Ich dachte, wir hätten ein besonderes Verhältnis zueinander.«
»Das stimmt auch, Paul, aber .«
»Darüber sollten wir reden, finde ich.«
»Nun, ich .«
»Wir treffen uns morgen zum Mittagessen - um dreizehn Uhr bei Vitello.« Das war ein Befehl.
Lara zögerte kurz. Aber es wäre töricht gewesen, ihn noch weiter zu reizen. »Gut, Paul, ich komme.«
Er legte wortlos auf. Lara starrte sorgenvoll das Telefon an. Wie wütend war Paul? Und wozu würde er sich in seinem Zorn hinreißen lassen?
Als Lara am nächsten Morgen in die Firma kam, warteten sämtliche Angestellten darauf, ihr gratulieren zu können.
»Was für eine Überraschung!«
»Wie romantisch!«
»Wir sind alle völlig verblüfft gewesen ...!«
»Sie sind bestimmt überglücklich ...«
Und so ging es weiter.
Howard Keller erwartete sie in ihrem Büro. Er umarmte sie. »Für eine Lady, die nichts für klassische Musik übrig hat, hast du dich ganz schön reingehängt!«
Sie lächelte. »Ja, das stimmt.«
»Ich muß mich erst daran gewöhnen, daß du jetzt Mrs. Adler heißt.«
Ihr Lächeln verblaßte. »Wahrscheinlich ist's besser, wenn ich im Geschäftsleben weiter den Namen Cameron benütze, oder?«
»Wie du meinst. Jedenfalls bin ich froh, daß du wieder da bist. Hier hat sich einiges angehäuft.«
Lara ließ sich in ihren Schreibtischsessel fallen. »Okay, was gibt's Neues?«
»Nun, das Hotel auf der West Side dürfte ein Verlustgeschäft werden. Wir haben einen Interessenten aus Texas dafür gefunden, aber ich habe mir das Hotel gestern angesehen. Es ist völlig heruntergewirtschaftet. Es muß von Grund auf renoviert werden - und das dürfte fünf bis sechs Millionen kosten.«
»Hat der Käufer es schon besichtigt?«
»Nein. Wir haben vereinbart, daß ich es ihm morgen zeige.«
»Zeig's ihm nächste Woche. Laß es bis dahin frisch streichen und gründlich putzen. Und sorg' dafür, daß die Hotelhalle voll
ist, wenn ihr kommt.«
Keller nickte grinsend. »Wird gemacht. Frank Rose ist mit neuen Entwürfen da. Er wartet in meinem Büro.«
»Gut, ich sehe sie mir gleich an.«
»Die Mutual Security Insurance, die nach Queens ziehen wollte .«
»Ja?«
»Sie haben den Mietvertrag noch immer nicht unterschrieben. Hoffentlich bedeutet das keinen Rückzieher!«
Lara machte sich eine Notiz. »Darüber muß ich mit Guttman persönlich reden. Sonst noch was?«
»Die fünfundsiebzig Millionen, die wir bei der Gotham Bank für das neue Projekt aufnehmen wollten .«
»Ja?«
»Die Bank hat ihre Kreditzusage zurückgezogen. Sie glaubt, daß unsere Eigenkapitaldecke zu dünn wird.«
»Wie hoch war der vereinbarte Zinssatz?«
»Siebzehn Prozent.«
»Ich weiß, was wir machen, Howard: Wir bieten ihnen zwanzig Prozent.«
Keller starrte sie entgeistert an. »Zwanzig Prozent? Mein Gott, Lara, kein Mensch zahlt zwanzig Prozent!«
»Lieber lebendig mit zwanzig Prozent als tot mit siebzehn Prozent. Tu's einfach, Howard.«
»Schön, wie du meinst.«
Der Vormittag verging rasch. Um halb eins sagte Lara: »Ich bin mit Paul Martin zum Mittagessen verabredet.«
Keller machte ein besorgtes Gesicht. »Paß bloß auf, daß du nicht auf der Speisekarte stehst!«
»Wie meinst du das?«
»Nun, schließlich ist er Sizilianer. Die vergeben und vergessen nicht.«
»Sei nicht so melodramatisch! Paul würde mir niemals schaden.«
»Hoffentlich hast du recht.«
Paul Martin saß bereits im Restaurant, als sie hereinkam. Er wirkte hager und sorgenvoll und hatte dunkle Ringe unter den Augen, als schlafe er in letzter Zeit schlecht.
»Hallo, Lara.« Er stand nicht auf.
»Paul.« Sie setzte sich ihm gegenüber.
»Ich habe ein paar dumme Mitteilungen auf deinem Anrufbeantworter hinterlassen. Tut mir leid. Ich konnte nicht ahnen, daß du ...« Er zuckte mit den Schultern.
»Ich hätte mit dir reden sollen, Paul, aber alles ist so schnell passiert.«
»Yeah.« Er musterte sie prüfend. »Du siehst blendend aus.«
»Danke, Paul.«
»Wo hast du Adler kennengelernt?«
»In London.«
»Und du hast dich einfach so in ihn verliebt?« fragte er hörbar verbittert.
»Paul, wir beide haben uns wundervoll verstanden, aber das hat mir nicht genügt. Ich brauche mehr. Ich brauche jemanden, zu dem ich jeden Abend nach Hause kommen kann.«
Er äußerte sich nicht dazu.
»Ich würde nie etwas tun, das dich verletzen könnte, aber diese Sache ist ... einfach passiert.«
Wieder nur Schweigen.
»Das mußt du bitte verstehen.«
»Yeah.« Er lächelte frostig. »Mir bleibt gar nichts anderes übrig, stimmt's? Daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Aber es ist ein Schock gewesen, die Nachricht in der Zeitung zu lesen und aus dem Fernsehen zu erfahren. Ich habe mir eingebildet, wir stünden uns doch etwas näher.«
»Du hast recht«, gab Lara zu. »Ich hätte es dir sagen sollen.«
Er streckte eine Hand aus und tätschelte ihre Wange. »Ich bin verrückt nach dir gewesen, Lara. Wahrscheinlich bin ich's noch immer. Du bist mein miracolo gewesen. Ich hätte dir jeden Wunsch erfüllen können; ich hätte dir alles auf der Welt schenken können - nur keinen Ehering wie er. Ich liebe dich genug, um dir zu wünschen, daß du glücklich wirst.«
Lara fühlte eine Woge der Erleichterung über sich hinwegfluten. »Danke, Paul.«
»Wann lerne ich deinen Mann kennen?«
»Nächste Woche geben wir eine Party für unsere Freunde«, antwortete sie. »Kommst du auch?«
»Ja, ich komme. Deinem Mann kannst du von mir ausrichten, daß er dich gut behandeln soll - sonst bekommt er's mit mir zu tun!«
Sie lächelte. »Gut, ich werd's ihm ausrichten.«
Als Lara ins Büro zurückkam, wartete Howard Keller dort auf sie. »Na, wie war's beim Lunch?« fragte er nervös.
»Kein Problem. Du hast Paul völlig falsch eingeschätzt. Er hat sich wunderbar verhalten.«
»Gut! Freut mich, daß ich mich getäuscht habe. Für morgen sind einige Besprechungen angesetzt, bei denen du .«
»Die kannst du gleich absagen«, unterbrach Lara ihn. »Morgen bleibe ich mit meinem Mann zu Hause. In den nächsten Tagen holen wir unsere Flitterwochen nach.«
»Ich freue mich, daß du so glücklich bist«, murmelte Keller.
»Howard, ich bin so glücklich, daß es mich ängstigt. Ich fürchte manchmal, ich könnte aufwachen und erkennen, daß alles nur ein Traum gewesen ist. Ich habe nie geahnt, daß man so glücklich sein kann!«
Er lächelte. »Okay, ich sage dir dann, was bei den Besprechungen rausgekommen ist.«
»Danke.« Sie küßte ihn auf die Wange. »Philip und ich geben nächste Woche eine Party. Wir rechnen natürlich mit dir.«
Die Party fand am Samstag der folgenden Woche in Laras Penthouse statt - mit einem üppigen kalten Büfett und über hundert Gästen. Lara hatte die Männer und Frauen eingeladen, mit denen sie zusammenarbeitete: Bankiers, Architekten, Bauunternehmer, Stadtplaner und Gewerkschaftsbosse. Philip hatte befreundete Musiker, Kritiker, Musikfreunde und Sponsoren eingeladen. Die Kombination erwies sich als katastrophal.
Das lag keineswegs daran, daß beide Gruppen nicht versucht hätten, mit der jeweils anderen ins Gespräch zu kommen. Das Problem war vielmehr, daß sie absolut nichts gemeinsam hatten. Die Leute vom Bau redeten über Architektur, Immobiliengeschäfte und Finanzierungsprobleme; die Musiker kannten dagegen nur ein Thema - ihre Musik.
Lara machte einen Stadtplaner mit einer Gruppe von Musikern bekannt. Der städtische Beamte stand da und hatte Mühe, der Unterhaltung zu folgen.
»Wissen Sie, was Rossini von Wagners Musik gehalten hat? Eines Tages hat er sich mit dem Hintern auf die Klaviertastatur gesetzt und dabei gesagt: >So klingt Wagner für mich.<«
Der Stadtplaner ging hastig weiter.
Lara stellte ein paar von Philips Freunden einer Gruppe von Männern aus der Immobilienbranche vor.
»Das große Problem ist eben«, sagte einer von ihnen, »daß fünfunddreißig Prozent der Mieter unterschrieben haben müssen, bevor man mit der Umwandlung in Eigentumswohnungen anfangen kann.«
»Eine unsinnige Bestimmung, finde ich.«
»Allerdings. Ich investiere jetzt mehr in Hotels. Ist Ihnen klar, daß der Durchschnittspreis pro Zimmer und Nacht in Manhattan schon bei knapp zweihundert Dollar liegt? Nächstes Jahr dürfte er .«
Die Musiker zogen weiter.
Die Unterhaltungen schienen in zwei verschiedenen Sprachen stattzufinden.
»Das Problem bei den Wienern ist, daß sie nur tote Komponisten lieben .«
»Zwischen der siebenundvierzigsten und achtundvierzigsten Straße entsteht in zwei Bauabschnitten ein neues Hotel. Die Finanzierung hat die Chase Manhattan übernommen .«
»Er ist vielleicht nicht der beste Dirigent der Welt, aber seine Stabführung ist unnachahmlich präzise .«
»... denn eigentlich hat der Börsenkrach des Jahres 1929 auch Vorteile gehabt. Er hat die Investoren gelehrt, ihr Geld in wertbeständigen Immobilien anzulegen .«
». daraufhin hat Horowitz jahrelang nicht mehr gespielt, weil er sich einbildete, seine Finger könnten wie Glas brechen .«
». ich habe die Pläne gesehen. Der klassische Sockelbau ragt drei Geschosse hoch über der Eight Avenue auf und enthält eine elliptische Säulenhalle mit radial angeordneten Ladenpassagen .«
». als Geiger hatte Einstein eine Vorliebe für Duos. Eines Tages hat er wieder mit Rubinstein musiziert und ist dabei ständig aus dem Takt geraten. Schließlich hat Rubinstein das nicht mehr aushalten können und ihn angebrüllt: >Albert, kannst du nicht zählen?< ...«
». der Kongreß muß betrunken gewesen sein, als er die Steuerreform verabschiedet hat. Damit hat er die Immobilienbranche praktisch abgewürgt .«
»... und beim Abschied nach einer Gesellschaft hat Brahms gesagt: > Sollte noch jemand hier sein, den ich zu beleidigen vergessen habe, bitte ich um Entschuldigung.<« Eine babylonische Sprachverwirrung.
Paul Martin kam allein, und Lara beeilte sich, ihn zu begrüßen. »Ich freue mich sehr, daß du kommen konntest, Paul.«
»Diese Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen.« Er sah sich suchend um. »Ich möchte Philip kennenlernen.«
Lara begleitete ihn zu Philip hinüber, der sich mit einigen Gästen unterhielt. »Philip, das hier ist mein guter alter Freund Paul Martin.«
Philip streckte ihm die Hand hin. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Die beiden Männer schüttelten einander die Hand.
»Meinen Glückwunsch, Mr. Adler. Lara ist eine bemerkenswerte Frau.«
»Das sage ich ihm auch immer!« warf sie lächelnd ein.
»Das braucht mir niemand zu sagen«, wehrte Philip ab. »Ich weiß selbst, wieviel Glück ich gehabt habe.«
Paul musterte ihn prüfend. »Tatsächlich?«
Lara fühlte die plötzlich in der Luft liegende Spannung. »Wie war's mit einem Cocktail, Paul?«
»Nein, danke. Ich trinke keinen Alkohol. Hast du das vergessen?«
Lara biß sich auf die Unterlippe. »Entschuldigung. Komm, ich will dich ein paar Leuten vorstellen.« Sie hakte sich bei Paul ein, begleitete ihn durch den Raum und machte ihn mit den interessantesten Gästen bekannt.
Einer der Musiker sagte gerade: »Morgen abend gibt Leon Fleisher ein Konzert. Da muß man hin!« Er wandte sich an Paul Martin, der neben Howard Keller stand. »Haben Sie ihn schon spielen hören?«
»Nein.«
»Ein bemerkenswerter Pianist. Er spielt natürlich nur mit der linken Hand.«
Paul Martin zog die Augenbrauen hoch. »Warum denn das?«
»Fleishers rechte Hand ist seit ungefähr zehn Jahren fast gelähmt.«
»Aber wie kann er mit einer Hand ein Konzert geben?«
»Mindestens ein halbes Dutzend Komponisten haben Konzerte für die linke Hand geschrieben. Beispielsweise Demuth, Franz Schmidt, Korngold und Ravel. Das von Ravel gefällt mir besonders gut.«
Einige der Gäste baten Philip, etwas zu spielen.
»Gut, dann spiele ich für meine Frau.« Er setzte sich an den
Bechstein und begann, ein Thema aus einem Klavierkonzert von Rachmaninow zu spielen. Die Gäste hörten wie gebannt zu. Alle schienen von den Melodien, die das Penthouse erfüllten, wie hypnotisiert zu sein. Als Philip aufstand, bekam er lauten Beifall.
Eine Stunde später gingen die ersten. Als sie den letzten Gast verabschiedet hatten, meinte Philip aufatmend: »So, das wäre geschafft!«
»Du haßt große Parties, nicht wahr?« fragte Lara.
Philip schloß sie lächelnd in die Arme. »Hat man mir das angemerkt?«
»Wir geben nur alle zehn Jahre eine«, versprach Lara ihm. »Philip, hast du auch das Gefühl gehabt, unsere Gäste stammten von zwei verschiedenen Planeten?«
Seine Lippen berührten ihre Wange. »Was kümmert uns das? Wir haben unseren eigenen Planeten. Der gehört uns ganz allein ...«
Lara beschloß, in Zukunft vormittags zu Hause zu arbeiten.
»Ich möchte möglichst viel mit dir zusammen sein«, erklärte sie Philip.
Auf Laras Wunsch schickte Kathy ihr einige Sekretärinnen, die auf Stellungssuche waren, in ihr Penthouse. Als vierte oder fünfte Bewerberin kam Marian Bell herein. Sie war hübsch, blond, Mitte Zwanzig und von angenehm freundlichem Wesen.
»Nehmen Sie Platz«, forderte Lara sie auf.
»Danke.«
Lara überflog ihren Lebenslauf. »Sie haben das Wellesley College absolviert?«
»Ja.«
»Und Sie haben Ihr Studium bis zum Bachelor of Arts fortgeführt. Warum wollen Sie als Sekretärin arbeiten?«
»Ich glaube, daß ich bei Ihnen viel lernen könnte. Selbst wenn ich diesen Job nicht bekomme, bleibe ich ein großer Fan von Ihnen, Miss Cameron.«
»Tatsächlich? Weshalb?«
»Sie sind mein Vorbild. Sie haben viel erreicht - und alles aus eigener Kraft.«
Lara starrte die junge Frau forschend an. »Bei mir gibt es keinen Achtstundentag. Ich stehe recht früh auf. Wir würden hier in meiner Wohnung arbeiten. Sie müßten um sechs Uhr anfangen.«
»Das wäre kein Problem. Ich arbeite gern.«
Lara nickte lächelnd. Marian gefiel ihr. »Gut. Sie haben eine Woche Probezeit«, sagte sie.
Nach Ablauf dieser Woche wußte Lara, daß sie ein Juwel
gefunden hatte. Marian war tüchtig, intelligent und immer freundlich. Nach einiger Zeit bildete sich eine Routine heraus. Falls nichts Besonderes vorlag, arbeitete Lara morgens zu Hause. Erst nachmittags fuhr sie ins Büro.
Lara und Philip frühstückten jeden Morgen miteinander. Danach setzte Philip sich in T-Shirt und Jeans an den Bechstein und übte zwei bis drei Stunden lang, während Lara in ihr Arbeitszimmer ging und Marian diktierte. Gelegentlich spielte Philip zwischendurch alte schottische Weisen für Lara: »Annie Laurie«, »Comin' Through the Rye« oder »The Hills of Home«. Das rührte sie. Mittags aßen sie zusammen.
»Erzähl' mir von deinem Leben in Glace Bay«, forderte Philip sie auf.
»Das würde mindestens fünf Minuten dauern«, sagte sie lächelnd.
»Nein, es ist mein Ernst! Es interessiert mich wirklich.« Lara schilderte ihre Kindheit und Jugend, aber sie brachte es nicht über sich, ihren Vater mehr als nur flüchtig zu erwähnen. Als sie dann von Charles Cohn erzählte, sagte Philip: »Das war sehr anständig von ihm. Ich möchte ihn mal kennenlernen.« »Dazu hast du bestimmt Gelegenheit.«
Lara verschwieg auch ihre schlimmen Erfahrungen mit Sean MacAllister nicht. »Dieses Schwein!« rief Philip empört aus. »Ich könnte ihn umbringen!« Er drückte Lara an sich und sagte: »Niemand wird dir jemals wieder weh tun.«
In der ersten Zeit kam Lara oft ins Wohnzimmer, wenn Philip übte, und unterbrach ihn.
»Darling, wir sind übers Wochenende nach Long Island eingeladen. Möchtest du hinfahren?«
Oder: »Ich habe Karten für das neue Theaterstück von Neil Simon.«
Oder: »Howard Keller möchte am Samstagabend mit uns
essen gehen.«
Philip bemühte sich, Geduld zu haben, aber zuletzt sagte er doch: »Lara, bitte unterbrich mich nicht, wenn ich spiele. Das stört meine Konzentration.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich. »Aber ich verstehe nicht, warum du jeden Tag üben mußt, als ob du morgen ein Konzert geben wolltest.«
»Ich übe täglich, damit ich jederzeit ein Konzert geben könnte. Macht ihr auf dem Bau irgendeinen Fehler, läßt er sich korrigieren. Ihr könnt die Pläne ändern, Zwischenwände einreißen, Leitungen neu verlegen und so weiter. Aber auf dem Konzertpodium bekommt man keine zweite Chance. Tritt man vor Publikum auf, muß jeder Ton sitzen.«
»Entschuldigung«, murmelte Lara. »Daran habe ich nicht gedacht.«
Philip schloß sie in die Arme. »Es gibt einen alten Witz, in dem ein Mann mit einem Geigenkasten in New York unterwegs ist. Da er sich verlaufen hat, hält er einen Unbekannten an und fragt ihn: >Wie komme ich in die Carnegie Hall?< >Üben<, antwortet der Unbekannte, >üben.<«
Sie mußte lachen. »Zurück ans Klavier! Ich laß dich jetzt in Ruhe.«
Dann saß sie in ihrem Arbeitszimmer, hörte ihn im Hintergrund spielen und dachte: Ich habe wirklich Glück. Tausende von Frauen würden mich darum beneiden, hier sitzen und Philip Adler zuhören zu können.
Wenn er nur nicht soviel üben müßte!
Beide spielten leidenschaftlich gern Backgammon, und so saßen sie abends am Kamin und lieferten sich erbitterte Gefechte. Lara genoß diese Augenblicke, in denen sie Philip ganz für sich allein hatte.
Das Spielkasino in Reno stand kurz vor der Eröffnung. Sechs Monate zuvor hatte Lara mit Jerry Townsend die Einzelheiten der großen Eröffnungsparty besprochen.
»Ich will, daß noch in Timbuktu über unsere Eröffnung berichtet wird«, hatte sie gesagt. »Ich lasse eigens für diesen Abend den Chefkoch aus dem Pariser Maxim einfliegen. Und Sie engagieren von Frank Sinatra abwärts die besten Entertainer, die Sie kriegen können. Ich will, daß auf der Gästeliste die größten Namen aus Hollywood,
New York und Washington stehen. Die Leute sollen sich darum raufen, auf diese Liste zu kommen.«
Während Lara jetzt in der Gästeliste blätterte, sagte sie anerkennend: »Gute Arbeit, Jerry! Wie viele Absagen sind gekommen?«
»Ein paar Dutzend«, antwortete Townsend. »Nicht schlecht bei über sechshundert Einladungen.«
»Durchaus nicht schlecht«, stimmte Lara zu.
Keller rief sie vormittags an. »Gute Nachrichten!« sagte er. »Die Schweizer Bankiers kommen nach New York und wollen morgen mit dir über das neue Projekt verhandeln.«
»Großartig«, sagte Lara. »Um neun Uhr in meinem Büro.«
Beim Abendessen erklärte Philip ihr: »Lara, ich bin morgen im Tonstudio. Du hast noch nie erlebt, wie solche Aufnahmen gemacht werden, stimmt's?«
»Nein.«
»Hättest du Lust, mitzukommen und zuzusehen?«
Lara zögerte, weil sie an die Besprechung mit den Schweizern dachte. »Natürlich«, sagte sie.
Morgens telefonierte sie mit Keller. »Fangt schon mal ohne mich an. Ich komme, sobald ich kann.«
Das Tonstudio auf der West Side in der vierunddreißigsten Straße war ein mit elektronischen Geräten vollgestopftes ehemaliges Lagerhaus. Fast siebzig Musiker saßen vor dem großen Glaskasten, in dem die Toningenieure arbeiteten. Lara hatte den Eindruck, als gehe die Aufnahme nur sehr stockend voran. Einige Stellen wurden mehrmals wiederholt. In einer Pause rief sie Keller an.
»Wo bleibst du so lange?« fragte er. »Ich halte sie hin, aber sie wollen mit dir reden.«
»Ich komme in ein, zwei Stunden«, antwortete sie. »Laß dir was einfallen, um sie zu beschäftigen.«
Zwei Stunden später war die Aufzeichnung noch immer nicht beendet.
Lara telefonierte erneut mit Keller.
»Tut mir leid, Howard, aber ich kann jetzt nicht weg. Sie sollen morgen wiederkommen.«
»Was ist denn so wichtig?« fragte Keller. »Mein Mann«, sagte Lara und hängte ein.
Auf der Heimfahrt aus dem Tonstudio kündigte Lara an: »Nächste Woche fliegen wir nach Reno.«
»Wozu das?«
»Die Eröffnung meines Hotels mit Spielkasino. Wir fliegen am Mittwoch hin.«
»Verdammter Mist!« sagte Philip enttäuscht.
»Was hast du?«
»Tut mir leid, Liebling, aber ich kann nicht mitkommen.«
Sie starrte ihn an. »Was soll das heißen?«
»Ich dachte wirklich, ich hätte es dir erzählt. Am Montag beginnt meine neue Tournee.«
»Wovon redest du eigentlich?«
»Ellerbee hat eine sechswöchige Konzertreise für mich zusammengestellt. Sie fängt in Australien an und ...«
»Australien?«
»Richtig. Von dort aus geht's nach Japan und Hongkong.«
»Philip, das kannst du nicht tun! Ich meine . wozu? Du brauchst nicht mehr zu reisen. Ich möchte mit dir Zusammen-sein.«
»Willst du nicht einfach mitkommen, Lara? Das wäre herrlich!«
»Du weißt, daß ich das nicht kann. Nicht gerade jetzt. Im Augenblick werde ich hier gebraucht«, erwiderte sie bedrückt. »Ich will nicht, daß du mich verläßt.«
»Das will ich auch nicht. Aber ich habe dich vor unserer Hochzeit ausdrücklich gewarnt, mein Schatz, daß das mein Beruf, mein Leben ist.«
»Ja, ich weiß«, sagte Lara, »aber das ist früher gewesen. Jetzt ist alles anders. Alles hat sich geändert.«
»Nichts hat sich geändert«, widersprach Philip lächelnd, »außer daß ich verrückt nach dir bin und schreckliche Sehnsucht nach dir haben werde, wenn ich fort bin.«
Was hätte Lara darauf antworten können?
Philip war auf Tournee, und Lara fühlte sich einsam wie noch nie in ihrem Leben. Manchmal dachte sie mitten in einer Besprechung an ihn und fühlte ihr Herz dahinschmelzen.
Sie wollte, daß er seine Karriere fortsetzte, aber sie brauchte ihn in ihrer Nähe. Sie dachte an die herrlichen Tage mit ihm, stellte sich vor, wie es war, in seinen Armen zu liegen, und erinnerte sich an seine sanfte Zärtlichkeit. Sie hatte nie geahnt, daß sie einen Menschen so lieben konnte. Philip rief jeden Tag an, aber das machte die Einsamkeit irgendwie nur noch schlimmer.
»Wo bist du, mein Liebling?«
»Noch immer in Tokio.«
»Bist du mit deinem Erfolg zufrieden?«
»Ja, sehr. Du fehlst mir schrecklich.«
»Du mir auch.« Lara konnte ihm nicht sagen, wie sehr er ihr fehlte.
»Morgen fliege ich nach Hongkong, und danach .«
»Ich wollte, du kämst nach Hause.« Lara bereute sofort, das
gesagt zu haben.
»Du weißt, daß ich das nicht kann.«
»Natürlich nicht«, sagte sie nach kurzer Pause.
Sie redeten fast eine halbe Stunde miteinander, aber als Lara auflegte, fühlte sie sich einsamer als zuvor. Die Zeitunterschiede waren ärgerlich. Manchmal war ihr Dienstag sein Mittwoch, und er rief mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden an.
»Wie geht es Philip?« fragte Howard.
»Gut. Warum tut er das, Howard?«
»Warum tut er was?«
»Warum macht er eine Konzertreise? Das hätte er nicht nötig! Ich meine, er ist doch nicht auf das Geld angewiesen.«
»Langsam! Philip ist bestimmt nicht wegen des Geldes unterwegs. Das ist einfach sein Beruf, Lara.«
Genau das hatte Philip auch gesagt. Ihr Kopf verstand es, aber ihr Herz wehrte sich dagegen.
»Lara«, sagte Keller mahnend, »du hast den Mann nur geheiratet - du besitzt ihn nicht.«
»Ich will ihn nicht besitzen. Ich hatte bloß gehofft, ich wäre ihm wichtiger als seine ...« Sie brach ab und schüttelte den Kopf. »Schon gut. Ich weiß, daß das ein törichter Gedanke ist.«
Lara rief William Ellerbee an.
»Hätten Sie vielleicht Zeit, heute mittag mit mir essen zu gehen?« fragte sie ihn.
»Ich kann mir die Zeit nehmen«, antwortete Ellerbee. »Ist irgendwas nicht in Ordnung?«
»Nein, nein. Ich wollte bloß mal mit Ihnen reden.«
Sie trafen sich im Le Cirque.
»Haben Sie in letzter Zeit mit Philip gesprochen?« erkundigte Ellerbee sich.
»Wir telefonieren jeden Tag miteinander.«
»Seine Tournee ist sehr erfolgreich.«
»Ja.«
»Ehrlich gesagt«, fuhr Ellerbee fort, »ich hätte nie geglaubt, daß Philip jemals heiraten würde. Er hat eigentlich immer nur für seine Kunst gelebt.«
»Ja, ich weiß ...« Lara zögerte, bevor sie fragte: »Finden Sie nicht, daß er zuviel auf Reisen ist?«
»Wie meinen Sie das?«
»Philip hat jetzt ein Zuhause. Er braucht nicht mehr die ganze Welt zu bereisen.« Sie sah Ellerbees mißbilligenden Gesichtsausdruck. »Oh, das heißt keineswegs, daß er in Zukunft in New York herumsitzen soll. Aber ich bin sicher, daß Sie für ihn Termine in Boston, Chicago oder Los Angeles arrangieren könnten. Sie wissen schon . einfach nicht so weit von zu Hause entfernt.«
»Haben Sie darüber mit Philip gesprochen?« erkundigte Ellerbee sich zurückhaltend.
»Nein, ich wollte erst mit Ihnen reden. Das wäre möglich, nicht wahr? Ich meine, Philip braucht das Geld nicht - jetzt nicht mehr.«
»Mrs. Adler. Philip bekommt für jeden Konzertabend fünf-unddreißigtausend Dollar. Letztes Jahr ist er vierzig Wochen auf Tournee gewesen.«
»Das verstehe ich, aber .«
»Haben Sie eine Ahnung, wie wenige Pianisten den Sprung in die Weltspitze schaffen - und wie schwer sie sich diesen Platz erkämpfen müssen? Mittelmäßige Pianisten gibt es zu Tausenden, aber die Superstars können Sie an zwei Händen abzählen. Ihr Mann ist einer von ihnen. Ich weiß, daß Sie nicht viel vom Musikleben verstehen, Mrs. Adler, aber glauben Sie mir: Der Konkurrenzkampf ist mörderisch! Philip hat lange gebraucht, um ein Pianist von Weltklasse zu werden. Und Sie muten mir jetzt zu, ihn um die Früchte seiner Arbeit zu bringen?«
»Nein, das tue ich nicht. Ich schlage nur vor, ihm .«
»Was Sie vorschlagen, würde seine Karriere ruinieren. Das wollen Sie nicht wirklich, oder?«
»Natürlich nicht«, antwortete Lara. Sie zögerte einen Augenblick. »Soviel ich weiß, sind Sie mit fünfzehn Prozent an Philips Einnahmen beteiligt?«
»Ganz recht.«
»Falls Philip weniger Konzerte gibt, möchte ich natürlich nicht, daß Ihnen deswegen ein Verlust entsteht«, sagte Lara vorsichtig. »Ich wäre gern bereit, Ihnen den Differenzbetrag zu ersetzen und .«
»Mrs. Adler, darüber sollten Sie mit Philip reden, glaube ich. Wollen wir jetzt bestellen?«
Liz Smith schrieb in ihrer Klatschspalte: »dem eisernen
schmetterling werden die flügel gestutzt ... Welche schöne Immobilienmillionärin dürfte an die Decke ihres Penthou-ses gehen, wenn sie hört, daß im Verlag Candlelight Press ein von einer ehemaligen Mitarbeiterin geschriebenes Buch über sie erscheinen wird? Nach unseren Informationen ist es brandheiß!«
Lara warf wütend die Zeitung auf ihren Schreibtisch. Dieses Buch konnte nur Gertrude Meeks, ihre fristlos entlassene Sekretärin, geschrieben haben! Sie ließ Jerry Townsend kommen. »Haben Sie schon gelesen, was Liz Smith heute morgen in ihrer Klatschspalte schreibt?«
»Ja, ich hab's vorhin gelesen. Dagegen ist nicht viel zu machen, Boß. Wenn Sie ...«
»Natürlich können wir etwas dagegen tun! Meine Angestellten verpflichten sich schriftlich, keine Interviews zu geben und nichts über mich zu schreiben - und das gilt selbstverständlich auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. Gertrude Meeks hat kein Recht, in aller Öffentlichkeit schmutzige Wäsche zu waschen. Dem Verleger hänge ich eine Schmerzensgeldklage in Millionenhöhe an!«
Jerry Townsend schüttelte den Kopf. »Das würde ich an Ihrer Stelle bleiben lassen.«
»Weshalb?«
»Weil Ihnen das eine ausgesprochen schlechte Publicity einbringen würde. Ignorieren Sie das Machwerk, bleibt's bei einem Sturm im Wasserglas, der sich rasch wieder legt. Versuchen Sie jedoch, sein Erscheinen zu verhindern, kann daraus ein Hurrikan werden.«
Aber Lara ließ sich nicht überzeugen. »Stellen Sie fest, wem der Verlag gehört«, wies sie Townsend an.
Eine Stunde später telefonierte Lara mit Henry Seinfeld, dem Inhaber und Verleger von Candlelight Press.
»Hier ist Lara Cameron. Wie ich höre, wollen Sie ein Buch über mich herausbringen.«
»Sie haben wohl gelesen, was Liz Smith darüber geschrieben hat? Ja, das stimmt, Miss Cameron.«
»Ich will Sie nur warnen: Sollte dieses Buch in Ihrem Verlag erscheinen, klage ich wegen Verletzung meiner Privatsphäre auf Schmerzensgeld.«
Henry Seinfeld blieb gelassen. »Darüber sollten Sie erst mal mit Ihrem Anwalt reden. Sie sind eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, Miss Cameron. Als solche haben Sie keinen Anspruch auf Schutz Ihrer Privatsphäre. Und wie Gertrude Meeks Sie charakterisiert, sind Sie eine ziemlich schillernde Gestalt.«
»Gertrude Meeks hat sich schriftlich verpflichtet, nichts über mich zu schreiben.«
»Das ist eine Sache, die nur Sie und Gertrude angeht. Sie können sie ja verklagen .«
Aber dann ist das Buch längst erschienen, dachte sie.
»Ich will nicht, daß dieses Buch erscheint. Ich wäre bereit, Ihnen den Gewinnausfall zu ersetzen, wenn Sie .«
»Halt! Ich glaube, daß Sie sich auf sehr unsicherem Boden bewegen, Miss Cameron. Am besten brechen wir dieses Gespräch jetzt ab.« Seinfeld legte auf.
Der Teufel soll ihn holen! Lara starrte nachdenklich vor sich hin. Dann bat sie Howard Keller zu sich.
»Was weißt du über Candlelight Press?«
Keller zuckte mit den Schultern. »Ein auf skandalträchtige Biographien spezialisierter Kleinverlag. Er verdient sein Geld mit Enthüllungsstories über Cher, Madonna, Prince ...«
»Danke. Mehr wollte ich nicht wissen.«
Howard Keller hatte Kopfschmerzen. In letzter Zeit schien er häufig unter Kopfschmerzen zu leiden. Vermutlich aus Schlafmangel. Er stand unter Druck und hatte das Gefühl, alles gehe viel zu schnell. Irgendwie mußte er versuchen, Lara etwas zu bremsen. Vielleicht habe ich vor Hunger Kopfschmerzen, dachte er. Er drückte auf die Sprechtaste seiner Gegensprechanlage.
»Bess, lassen Sie mir bitte eine Kleinigkeit zum Lunch bringen, ja?«
Keine Antwort.
»Bess?«
»Soll das ein Scherz sein, Mr. Keller?«
»Ein Scherz? Nein, warum?«
»Sie haben vorhin zu Mittag gegessen.«
Keller fühlte, wie er eine Gänsehaut bekam.
»Aber wenn Sie noch Hunger haben ...«
»Nein, nein.« Jetzt wußte er's wieder. Er hatte einen Salat und ein Roastbeefsandwich gegessen . Mein Gott, dachte Keller erschrocken, was ist bloß mit mir los?
»Nur ein Scherz, Bess«, sagte er.
Die Eröffnung des Cameron Palace in Reno wurde ein Triumph. Das Hotel war ausgebucht, und im Kasino drängten sich die Spieler. Lara hatte keine Kosten gescheut, um dafür zu sorgen, daß ihre prominenten Ehrengäste es behaglich hatten. Eigentlich fehlt nur einer, dachte sie. Philip. Er hatte ihr einen großen Blumenstrauß geschickt und dazugeschrieben: Du bist die Musik meines Lebens. Ich bete Dich an und habe Sehnsucht nach Dir - Philip.
Paul Martin traf ein. Er trat zu Lara. »Meinen Glückwunsch! Du hast dich selbst übertroffen.«
»Nur dank deiner Hilfe, Paul. Ohne dich hätte ich das alles nicht geschafft.«
Er sah sich um. »Wo ist Philip?« »Er konnte leider nicht hier sein. Er ist auf Tournee.«
»Dein Mann ist irgendwo unterwegs und spielt Klavier? Dies ist ein großer Abend für dich, Lara. Er müßte an deiner Seite sein.«
Sie lächelte. »Er wäre wirklich gern hier, Paul.«
Der Geschäftsführer des Hotels kam zu Lara. »Ein phantastischer Erfolg, Miss Cameron! Wir sind fürs kommende Vierteljahr ausgebucht!«
»Und so geht's hoffentlich weiter, Donald.«
Lara hatte Agenturen in Japan und Südamerika mit der Werbung für das neue Cameron Palace beauftragt. Jede der Luxussuiten hatte sie fast eine Million Dollar gekostet, aber die Investition würde sich lohnen.
»Das Hotel ist die reinste Goldgrube, Miss Cameron«, versicherte der Geschäftsführer ihr. Er sah sich suchend um. »Wo ist übrigens Ihr Mann? Ich hätte ihn gern mal persönlich kennengelernt.«
»Er konnte nicht kommen«, sagte Lara. Er ist irgendwo unterwegs und spielt Klavier.
Die Eröffnung war ein Medienspektakel. Lara mußte zahlreiche Rundfunk-, Fernseh- und Zeitungsinterviews geben. Alles ging gut, bis die taktlosen Interviewer fragten: »Wo ist Ihr Mann heute abend?« Und Laras Verbitterung wuchs. Er hätte an meiner Seite sein müssen, dachte sie. Das dumme Konzert hätte er doch verschieben können! Aber sie behauptete lächelnd: »Philip war sehr enttäuscht, daß er nicht dabei sein konnte.«
Nach dem Dinner wurde getanzt. Paul Martin kam an Laras Tisch. »Sollen wir?«
Lara stand auf und schmiegte sich in seine Arme.
»Wie fühlt man sich, wenn einem das alles gehört?« fragte Paul.
»Wundervoll! Nochmals danke für deine Hilfe.«
»Schließlich sind wir Freunde, nicht wahr? Übrigens fällt mir auf, daß du ein paar sehr reiche Spieler hier hast. Mit denen mußt du behutsam umgehen, Lara. Manche von ihnen werden hoch verlieren, und du mußt dafür sorgen, daß sie sich trotzdem als Gewinner fühlen. Sorg' dafür, daß sie einen neuen Wagen oder hübsche Mädchen oder irgendwas bekommen, das ihnen das Gefühl gibt, wichtig zu sein.«
»Ich werd's mir merken«, versprach Lara ihm.
»Es ist schön, dich wieder in den Armen zu halten«, sagte Paul.
»Paul .«
»Ja, ich weiß. Erinnerst du dich daran, daß ich gesagt habe, dein Mann solle sich gut um dich kümmern?«
»Ja.«
»Er scheint seine Sache nicht allzugut zu machen.«
»Philip wäre gern hier gewesen«, verteidigte Lara ihn. Und während sie das sagte, fragte sie sich: Stimmt das wirklich?
Er rief spät nachts an, und der Klang seiner Stimme machte sie noch viel einsamer.
»Lara, Liebling, ich hab' den ganzen Tag an dich denken müssen. Wie hat die Eröffnung geklappt?«
»Wunderbar. Ich wollte, du hättest dabei sein können, Philip.«
»Ich wäre gern gekommen. Du fehlst mir schrecklich.«
Warum war er dann nicht hier? »Du fehlst mir auch. Komm bald wieder heim!«
Howard Keller kam mit einem dicken wattierten Umschlag unter dem Arm in Laras Büro.
»Das wird dir nicht gefallen«, sagte er.
»Was hast du da?«
Er legte den Umschlag auf ihren Schreibtisch. »Eine Fotokopie von Gertrude Meeks' Manuskript. Aber frag' mich lieber nicht, wo ich es her habe. Das könnte uns beide hinter Gitter bringen.«
»Hast du das Manuskript gelesen?«
Keller nickte wortlos.
»Und?«
»Am besten liest du's selbst. Ein paar dieser Sachen sind passiert, bevor sie hier angefangen hat. Sie muß sehr gründlich recherchiert haben.«
»Danke, Howard.«
Lara wartete, bis er den Raum verlassen hatte; dann drückte sie auf die Sprechtaste der Gegensprechanlage »Keine Anrufe.«
Sie schlug das Manuskript auf und begann zu lesen.
Das Buch war vernichtend. Es zeichnete das Bild einer gerissenen, machthungrigen Frau, der zur Durchsetzung ihrer Interessen jedes Mittel recht gewesen war. Es schilderte ihre Launenhaftigkeit, ihre Wutanfälle und ihre Herrschsucht im Umgang mit Angestellten. Es war boshaft geschrieben und voller häßlicher kleiner Anekdoten. Und es enthielt kein Wort über Laras gute Eigenschaften: Wagemut, Selbständigkeit, Weitblick und Großzügigkeit. Sie las weiter.
»Einer ihrer raffiniertesten Tricks war es, geschäftliche Besprechungen am ersten Tag sehr früh anzusetzen, damit ihre Gesprächspartner mit der Zeitverschiebung zu kämpfen hatten, während Lara Cameron frisch und munter war ...«
»Bei Verhandlungen mit japanischen Gästen wurde diesen Tee mit Valium serviert, während Lara Cameron Kaffee mit dem Aufputschmittel Ritalin trank .«
»Als ein Neubauprojekt in Queens am Widerstand des zuständigen Bezirksausschusses zu scheitern drohte, gelang es Lara Cameron, den Ausschuß umzustimmen, indem sie eine Tochter erfand, die angeblich in einem der Häuser wohnen sollte .«
»Als die Mieter der Dorchester Apartments sich weigerten, das Gebäude zu räumen, ließ Lara Cameron dort Obdachlose einquartieren ...«
Nichts war ausgelassen. Nachdem Lara das Manuskript überflogen hatte, blieb sie lange unbeweglich an ihrem Schreibtisch sitzen. Dann rief sie Howard Keller zu sich.
»Ich möchte, daß du bei unserer Auskunftei die Kreditwürdigkeit von Henry Seinfeld überprüfen läßt. Ihm gehört der Verlag Candlelight Press.«
»Wird gemacht.«
Eine Viertelstunde später war er zurück. »Dieser Seinfeld wird mit D-C bewertet.«
»Was bedeutet das?«
»Weniger kreditwürdig kann man praktisch nicht sein. Mit D werden schlechte Risiken bewertet - und er liegt noch drei Stufen darunter. Ein kräftiger Windstoß könnte ihn umwerfen. Er lebt von einem Buch zum nächsten. Ein Flop, und er müßte den Laden dichtmachen.«
»Danke, Howard.«
Sie rief ihren Anwalt Terry Hill an.
»Terry, wolltest du nicht schon immer einen Verlag besitzen?«
»Was hast du vor, Lara?«
»Ich möchte, daß du Candlelight Press in deinem Namen kaufst. Der Verlag gehört einem gewissen Henry Seinfeld.«
»Das müßte sich machen lassen. Wieviel ist er dir wert?«
»Versuch's mal mit fünfhunderttausend. Notfalls kannst du bis zu einer Million gehen. Entscheidend ist, daß du sämtliche Rechte des Verlags mitkaufst - und daß mein Name nicht erwähnt wird.«
Die Räume von Candlelight Press befanden sich in einem heruntergekommenen Gebäude in der vierunddreißigsten Straße. Henry Seinfelds Büro bestand aus einem kleinen Vorzimmer und einem etwas größeren Raum für ihn selbst.
»Ein Mr. Hill möchte Sie sprechen, Mr. Seinfeld«, meldete die Sekretärin.
»Soll reinkommen!«
Terry Hill hatte schon früher an diesem Vormittag angerufen.
Er betrat das schäbige kleine Büro. Seinfeld blieb hinter dem Schreibtisch sitzen.
»Nehmen Sie Platz, Mr. Hill. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich vertrete ein deutsches Verlagshaus, das unter Umständen daran interessiert wäre, Ihren Verlag zu kaufen.«
Seinfeld zündete sich in aller Ruhe eine dicke Zigarre an. »Mein Verlag ist nicht zu verkaufen«, sagte er.
»Oh, das ist schade. Wir versuchen, auf dem amerikanischen Markt Fuß zu fassen, und Ihr Verlag wäre eine gute Ergänzung für unser sonstiges Programm.«
»Ich habe den Verlag mit eigenen Händen aufgebaut«, sagte Seinfeld. »Ich liebe ihn wie mein eigenes Kind. Ich könnte mich nie von ihm trennen.«
»Ich verstehe, wie Ihnen zumute ist«, versicherte der Anwalt. »Wir sind bereit, Ihnen fünfhunderttausend Dollar zu zahlen.«
Seinfeld erstickte fast an seiner Zigarre. »Fünfhunderttausend? Mann, ich bin dabei, ein Buch zu machen, das allein 'ne Million wert ist. Nein, Sir! Ihr Angebot ist 'ne Beleidigung!«
»Mein Angebot ist ein Geschenk. Sie haben so gut wie keine Vermögenswerte, aber über einhunderttausend Dollar Schulden. Ich habe Erkundigungen eingezogen.« Hill machte eine Pause. »Okay, ich erhöhe mein Angebot auf sechshunderttausend. Aber das ist mein letztes Wort!«
»Wollen Sie meinen Verlag etwa geschenkt haben? Unter siebenhunderttausend .«
Terry Hill stand auf. »Leben Sie wohl, Mr. Seinfeld. Ich finde bestimmt einen anderen Verlag.«
Er ging zur Tür.
»Augenblick!« sagte der Verleger. »Wissen Sie, meine Frau liegt mir dauernd damit in den Ohren, daß ich mich zur Ruhe setzen soll. Vielleicht wäre dies kein schlechter Zeitpunkt.«
Hill trat an den Schreibtisch und legte ihm den vorbereiteten
Vertrag hin. »Ich habe einen Scheck über sechshunderttausend Dollar in der Tasche. Sie brauchen nur zu unterschreiben.«
Lara bat Keller zu sich. »Wir haben gerade Candlelight Press gekauft.« »Großartig. Was willst du damit anfangen?« »Vor allem Gertrude Meeks' Buch abwürgen. Du sorgst dafür, daß es nicht erscheint. Es gibt viele Möglichkeiten, Zeit zu schinden. Falls sie auf Rückgabe der Rechte klagt, können wir sie in einen jahrelangen Rechtsstreit verwickeln.« »Willst du den Verlag liquidieren?«
»Natürlich nicht. Sieh zu, daß du einen neuen Verlagsleiter findest. Den Betriebsverlust setzen wir steuerlich ab.«
Als Keller in sein Büro zurückkam, sagte er zu seiner Sekretärin: »Bess, nehmen Sie bitte ein Diktat auf. Jack Hellman, Hellman Realty. Lieber Jack, ich habe mit Miss Cameron über Ihr Angebot gesprochen, und wir sind beide der Ansicht, daß es unklug wäre, uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt an Ihrem neuen Projekt zu beteiligen. Ich darf Ihnen jedoch versichern, daß wir an zukünftigen .. .<« Seine Sekretärin hatte zu schreiben aufgehört. Keller sah auf. »Haben Sie das?« Sie starrte ihn an. »Mr. Keller ...« »Ja, Bess?«
»Diesen Brief haben Sie mir gestern diktiert.« Keller schluckte trocken. »Wie bitte?« »Er ist bereits in der Post.«
Howard Keller versuchte zu lächeln. »Ich glaube, ich habe in letzter Zeit ein bißchen zuviel gearbeitet.«
Um 16 Uhr an diesem Nachmittag wurde Keller von Dr. Seymour Bennett untersucht. »Körperlich sind Sie in ausgezeichneter Verfassung«, sagte
Dr. Bennett. »Organisch fehlt Ihnen überhaupt nichts.«
»Aber woher kommen diese Gedächtnisstörungen?«
»Wann haben Sie zum letzten Mal Urlaub gemacht, Howard?«
Keller versuchte sich zu erinnern. »Das muß schon etliche Jahre her sein«, gab er zu. »Ich bin immer zu beschäftigt gewesen, um an Urlaub zu denken.«
Dr. Bennett lächelte. »Da haben wir's! Sie leiden an Überarbeitung. Eine typische Managerkrankheit. Reisen Sie irgendwo hin, wo Sie ein, zwei Wochen ausspannen können. Denken Sie eine Zeitlang überhaupt nicht mehr an die Firma. Wenn Sie zurückkommen, fühlen Sie sich wie neugeboren.« Keller stand erleichtert auf.
Howard Keller kam in Laras Büro. »Kannst du mich eine Woche lang entbehren?«
»Ungefähr so gut wie meinen rechten Arm. Was hast du vor, Howard?«
»Mein Arzt hat mir geraten, Urlaub zu machen, Lara. Um es ganz ehrlich zu sagen: Ich habe in letzter Zeit Probleme mit meinem Gedächtnis.«
Sie starrte ihn besorgt an. »Ernsthafte Probleme?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber sie sind lästig. Ich fliege ein paar Tage nach Hawaii, denke ich.«
»Nimm den Jet.«
»Nein, nein, den brauchst du selbst. Ich fliege ganz normal mit Linie.«
»Dann zahlst du wenigstens alles mit der Firmenkreditkarte.«
»Danke. Ich melde mich jeden Tag und .«
»Das tust du nicht, Howard! Du sollst überhaupt nicht an die Arbeit, sondern nur an dich denken. Ich will, daß du wieder ganz gesund wirst.«
Hoffentlich fehlt ihm nichts Ernstliches, dachte Lara besorgt. Er ist unersetzlich. Howard muß wieder gesund werden!
Als Marian Bell sagte: »Mr. Adler ruft aus Taipeh an«, nahm Lara hastig den Hörer ab.
»Philip ...?«
»Hallo, mein Liebling. Hier streikt das Personal der Telefongesellschaft. Ich habe stundenlang gebraucht, um dich zu erreichen. Wie geht's dir?«
Ich fühle mich einsam, dachte sie. »Nicht schlecht. Wie läuft deine Tournee?«
»Gut wie immer. Du fehlst mir, Darling.«
Im Hintergrund waren Stimmen und Musik zu hören.
»Wo bist du jetzt?« fragte Lara.
»Oh, hier findet gerade eine kleine Party für mich statt. Du weißt ja, wie das ist.«
Sie hörte das Lachen einer Frau. »Natürlich. Ich weiß, wie das ist.«
»Ich komme am Mittwoch heim.«
»Philip?«
»Ja?«
»Nichts, mein Liebster. Ich freue mich auf dich.«
»Und ich mich auf dich. Also dann bis Mittwoch!«
Sie legte den Hörer auf. Was würde er nach der Party tun? Wer war diese Frau? Ihre Eifersucht war plötzlich so stark, daß sie ihr fast den Atem nahm. Dabei war sie ihr Leben lang nie eifersüchtig gewesen.
Alles ist so perfekt, dachte Lara. Ich will es nicht verlieren. Ich darf es nicht verlieren.
An diesem Abend konnte sie nicht einschlafen. Sie lag im Bett, dachte an Philip und fragte sich, was er gerade tat.
Howard Keller aalte sich in Kona Beach auf Hawaii am Strand eines kleinen Luxushotels. Das Wetter war die ganze Woche über herrlich gewesen. Er war jeden Tag geschwommen, hatte in der Sonne gelegen, etwas Golf gespielt und zwei Massagen bekommen. Er war völlig entspannt und hatte sich nie im
Leben besser gefühlt. Dr. Bennett hat recht gehabt, dachte er. Überarbeitung. In Zukunft muß ich etwas kürzertreten. Tatsächlich hatten diese sporadisch auftretenden Gedächtnislücken ihn mehr erschreckt, als er sich eingestehen wollte. Schließlich wurde es Zeit, nach New York zurückzufliegen. Er nahm die Mitternachtsmaschine und war am frühen Nachmittag wieder in Manhattan. Dort fuhr Keller sofort ins Büro. Seine Sekretärin begrüßte ihn lächelnd. »Schön, daß Sie wieder da sind, Mr. Keller. Sie sehen richtig erholt aus.«
»Danke ...« Er stand da und wurde kreidebleich.
Er konnte sich nicht an ihren Namen erinnern.
Philip Adler kam am Mittwochvormittag zurück, und Lara ließ sich mit der Limousine zum Flughafen fahren, um ihn abzuholen. Als Philip durch den Zoll kam, mußte sie sofort wieder an ihren Ritter Lochinvar denken. Sie warf sich in seine Arme. »Du hast mir gefehlt«, sagte sie und drückte ihn an sich.
»Und du mir, mein Liebling.«
»Wie sehr?«
Er hielt Daumen und Zeigefinger ungefähr einen Zentimeter auseinander. »So sehr.«
»Du Biest!« sagte sie lachend. »Wo ist dein Gepäck?«
Eine Stunde später waren sie zu Hause. Marian Bell öffnete ihnen die Tür. »Willkommen daheim, Mr. Adler.«
»Danke, Marian.« Philip sah sich um. »Mir kommt's vor, als wäre ich ein Jahr fortgewesen.«
»Zwei Jahre«, sagte Lara. Sie wollte hinzufügen: »Laß mich nie wieder allein« - aber sie biß sich noch rechtzeitig auf die Unterlippe.
»Kann ich noch irgend etwas für Sie tun, Mrs. Adler?« erkundigte Marian sich.
»Nein, danke. Ich brauche Sie heute nicht mehr. Wir sehen uns morgen zur gewohnten Zeit. Ich gehe heute nicht mehr ins Büro.«
»Gut, dann bis morgen«, sagte Marian und ging.
»Nettes Mädchen«, meinte Philip.
»Ja, nicht wahr?« Lara schmiegte sich in seine Arme. »So, jetzt zeig' mir, wie sehr ich dir gefehlt habe!«
Lara fuhr drei Tage lang nicht mehr ins Büro. Sie wollte mit Philip zusammen sein, mit ihm reden, seine Nähe spüren und sich vergewissern, daß er wirklich existierte. Morgens frühstückten sie miteinander, und während Lara mit Marian arbeitete, saß Philip am Klavier und übte.
Beim Mittagessen am dritten Tag erzählte Lara Philip von der Eröffnung des Spielkasinos in Reno. »Ich wollte, du hättest dabei sein können, Liebster. Es war phantastisch!«
»Tut mir wirklich leid, daß ich das verpaßt habe.«
Er ist irgendwo unterwegs und spielt Klavier. »Aber heute in vier Wochen hast du wieder eine Chance. Der Oberbürgermeister überreicht mir die Stadtschlüssel.«
Philip schüttelte bedauernd den Kopf. »Schatz, da muß ich leider auch passen, fürchte ich.«
Lara erstarrte. »Was soll das heißen?«
»Ellerbee hat die nächste Tournee für mich zusammengestellt. In drei Wochen fliege ich nach Deutschland.«
»Das kannst du nicht!« protestierte Lara.
»Die Verträge sind bereits unterzeichnet. Daran ist nichts mehr zu ändern.«
»Du bist doch eben erst zurückgekommen! Wie kannst du sofort wieder verreisen?«
»Das ist eine wichtige Tournee, Darling.«
»Und unsere Ehe ist wohl unwichtig?«
»Lara ...«
»Du mußt nicht schon wieder verreisen«, stellte Lara aufgebracht fest. »Ich will einen Ehemann, keinen Teilzeit .«
Marian Bell kam mit einigen Briefen herein. »Oh, Entschuldigung! Ich wollte nicht stören. Hier sind die Briefe zur Unterschrift.«
»Danke, Marian«, sagte Lara kühl. »Ich rufe Sie, wenn ich Sie brauche.«
»Ja, Miss Cameron.«
Sie warteten, bis Marian gegangen war.
»Ich weiß, daß du Konzerte geben mußt«, sagte Lara, »aber doch nicht so oft! Du bist schließlich kein Handelsvertreter.« »Freut mich, daß du das merkst«, antwortete Philip gekränkt.
»Warum bleibst du nicht hier, um die Zeremonie mitzuerleben, und gehst dann auf Tournee?«
»Lara, ich weiß, daß dir diese Sache wichtig ist, aber du mußt verstehen, daß mir Konzertreisen nicht weniger wichtig sind. Ich bin sehr stolz auf dich und deine Erfolge, aber du sollst auch stolz auf mich sein können.«
»Das bin ich auch«, sagte Lara. »Entschuldige, Philip, ich möchte nur .« Sie gab sich alle Mühe, nicht zu weinen.
»Ich weiß, Liebling.« Er nahm sie in die Arme. »Wir finden schon eine Lösung. Wenn ich zurückkomme, machen wir ausgiebig Urlaub.«
Wie soll ich Urlaub machen? fragte Lara sich. Was würde inzwischen aus ihren Bauvorhaben?
»Wo konzertierst du diesmal, Philip?«
»In vier Ländern: Deutschland, Dänemark, Norwegen und England.«
Lara holte tief Luft. »Eine lange Reise, nicht wahr?«
»Ich wollte, du könntest mitkommen, Lara. Ohne dich ist es unterwegs verdammt langweilig.«
Sie dachte an die lachende Frau. »Wirklich?« Dann gab sie sich einen Ruck und brachte ein Lächeln zustande. »Ich mache dir einen Vorschlag: Willst du nicht den Jet nehmen? Das wäre viel bequemer für dich.«
»Weißt du bestimmt, daß du ihn nicht selbst ...?«
»Nein, nein, ich brauche ihn nicht. Ich komme auch so zurecht, bis du wieder da bist.«
»Du bist die tollste Frau der Welt!« sagte Philip bewundernd.
Lara fuhr ihm langsam mit einem Zeigefinger über die Wange. »Hoffentlich vergißt du das nie.«
Philip Adlers Tournee glich einem Triumphzug. In Berlin wurde er begeistert gefeiert und bekam überschwengliche Kritiken.
Und er war umschwärmt wie eh und je.
»Ich bin über vierhundert Kilometer weit gefahren, um Sie spielen zu hören .«
»Ich habe nicht weit von hier einen Landsitz, auf den ich Sie gern einladen möchte .«
»Ich habe ein Mitternachts-Souper anrichten lassen .«
Manche dieser Frauen waren reich und schön, und viele hätten sich bereitwillig verführen lassen. Aber Philip war verliebt. Nach seinem Konzert in Kopenhagen rief er Lara an. »Du fehlst mir sehr.«
»Du fehlst mir auch, Philip. Wie ist der Abend gewesen?«
»Na ja, wenigstens ist niemand aufgestanden und hat unter Protest den Saal verlassen.«
Sie lachte. »Immerhin ein gutes Zeichen. Hör zu, ich bin gerade mitten in einer Besprechung, Liebster. Ich rufe dich in einer Stunde in deinem Hotel an.«
»Ich fahre nicht direkt ins Hotel, Lara«, sagte er. »Mein Agent hier gibt eine Party für mich, und ich .«
»Oh? Wirklich? Hat er eine schöne Tochter?«
»Wie bitte?«
»Nichts. Entschuldige, ich kann die anderen nicht länger warten lassen. Ich rufe später zurück.«
Sie legte auf und wandte sich wieder dem Konferenztisch zu. Keller musterte sie besorgt. »Alles in Ordnung?«
»Natürlich«, sagte sie leichthin. Aber es fiel ihr schwer, sich auf die Besprechung zu konzentrieren. Sie stellte sich Philip auf der Party vor, wo ihm schöne Frauen ihre Hotelschlüssel zusteckten. Sie verzehrte sich vor Eifersucht und haßte sich dafür.
Bei der Ehrung Lara Camerons durch den New Yorker Oberbürgermeister herrschte solcher Andrang, daß es nur Stehplätze gab. Auch die Medien waren vollzählig vertreten.
»Wie wär's jetzt noch mit einer Aufnahme gemeinsam mit
Ihrem Mann?«
Und Lara mußte entschuldigend sagen: »Er wäre so gern gekommen ...«
Paul Martin war da.
»Er ist wieder unterwegs, was?«
»Philip wäre wirklich gern dabeigewesen, Paul.«
»Unsinn! Das hier ist eine große Ehre für dich. Er hätte unbedingt mitkommen müssen. Was für ein rücksichtsloser Kerl ist dein Mann eigentlich? Es wird Zeit, daß mal jemand Klartext mit ihm redet!«
Nachts lag sie allein im Bett und fand keinen Schlaf. Philip war Tausende von Kilometern weit weg. Was Paul Martin gesagt hatte, ging Lara nicht mehr aus dem Kopf. Was für ein rücksichtsloser Kerl ist dein Mann eigentlich? Es wird Zeit, daß mal jemand Klartext mit ihm redet!
Als Philip aus Europa zurückkam, schien er über seine Heimkehr nur glücklich und erleichtert zu sein. Er brachte Lara einen ganzen Armvoll Geschenke mit: eine exquisite Porzellanfigur aus Dänemark, wunderhübsche Puppen aus Deutschland, Seidenblusen und eine goldfarbene Abendtasche aus England. In der Abendtasche lag ein mit Brillanten besetztes Armband.
»Oh, wie schön!« rief Lara aus. »Ich danke dir, Philip.«
Am nächsten Morgen sagte sie zu Marian: »Ich arbeite heute den ganzen Tag zu Hause.«
Später saß Lara in ihrem Arbeitszimmer, diktierte Marian und hörte Philip im Wohnzimmer spielen. So wäre unser Leben perfekt, dachte sie. Warum will Philip alles verderben?
William Ellerbee rief Philip an. »Herzlichen Glückwunsch!« sagte er. »Wie ich höre, ist deine Tournee ein großer Erfolg gewesen.«
»Ja, das stimmt. Die Europäer sind ein gutes Publikum.«
»Ich habe vorhin einen Anruf von der Direktion der Carnegie Hall bekommen. Für Freitag in einer Woche - das wäre der Siebzehnte - ist ein Klavierabend angekündigt. Pollini mußte wegen Krankheit absagen. Wärst du bereit, für ihn einzuspringen?«
Philip überlegte nicht lange. »Ja, gern.«
»Wunderbar! Ich schicke dir den Vertrag zur Unterschrift. Übrigens noch was«, sagte Ellerbee. »Denkst du daran, deine Konzerttätigkeit einzuschränken?«
»Einschränken?« fragte Philip betroffen. »Nein. Warum?«
»Als ich neulich mit Lara sprach, hat sie angedeutet, du dächtest daran, nur noch in den Vereinigten Staaten zu spielen. Am besten redest du selbst mit ihr und .«
»Wird gemacht«, unterbrach Philip ihn. »Danke.« Philip legte auf und ging in Laras Arbeitszimmer, wo sie Marian diktierte.
»Lassen Sie uns bitte einen Augenblick allein?« bat er die Sekretärin.
Marian lächelte. »Natürlich.« Sie ging hinaus.
Er wandte sich an Lara. »Eben hat William Ellerbee angerufen. Hast du mit ihm darüber gesprochen, ob ich meine Auslandstourneen einschränken könnte?«
»Schon möglich, daß ich dieses Thema angeschnitten habe, Philip. Ich dachte, es wäre für uns beide besser, wenn .«
»Tu das bitte nicht wieder«, unterbrach er sie. »Du weißt, wie sehr ich dich liebe - aber außerhalb unseres gemeinsamen Lebens habe ich eine Karriere, und du hast eine Karriere. Am besten einigen wir uns auf folgendes: Ich mische mich nicht in deine ein, und du mischst dich nicht in meine ein. Abgemacht?«
»Natürlich«, sagte Lara. »Bitte entschuldige, Philip. Alles kommt nur daher, daß du mir so sehr fehlst, wenn du fort bist.« Sie schmiegte sich an ihn. »Verzeihst du mir?«
»Längst vergeben und vergessen.«
Howard Keller kam ins Penthouse, um Lara einige Verträge zur Unterschrift vorzulegen. »Na, wie geht's dir so?«
»Wundervoll«, antwortete Lara.
»Der fahrende Sänger ist zu Hause?«
»Ja.«
»Die Musik ist jetzt dein Leben, was?«
»Der Musiker ist mein Leben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wunderbar er ist, Howard.«
»Wann kommst du mal wieder ins Büro? Wir brauchen dich.«
»In ein paar Tagen.«
Keller nickte. »Okay.«
Sie machten sich daran, die Verträge durchzusehen.
Am nächsten Tag rief Terry Hill an. »Lara, ich habe eben einen Anruf von der Kontrollkommission in Reno bekommen«, sagte der Anwalt. »Die Erteilung deiner Spielbanklizenz wird Gegenstand einer Anhörung.«
»Weshalb?« fragte sie.
»Angeblich ist bei der Versteigerung des Hotels nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Du sollst am Siebzehnten vor der Kommission aussagen.«
»Wie ernst ist diese Sache?« wollte Lara wissen.
Ihr Anwalt zögerte. »Weißt du von irgendwelchen Unregelmäßigkeiten bei der Abgabe deines Gebots?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Dann hast du auch nichts zu befürchten. Ich begleite dich nach Reno.«
»Was passiert, wenn ich nicht hinfliege?«
»Dann wirst du unter Strafandrohung vorgeladen. Dein freiwilliges Erscheinen würde erheblich besser wirken.«
»Okay, dann muß ich wohl hin.«
Nachdem Hill aufgelegt hatte, wählte sie Paul Martins Pri-vatnummer in seinem Büro. Er hob sofort ab. »Lara?« »Ja, Paul.«
»Diese Nummer hast du lange nicht mehr angerufen.« »Ja, ich weiß. Es geht um Reno ...« »Davon habe ich schon gehört.« »Gibt es ein wirkliches Problem?«
Paul lachte. »Nein, nein! Die Verlierer sind bloß sauer, weil du den Zuschlag bekommen hast.«
»Weißt du bestimmt, daß die Sache in Ordnung ist, Paul?« Sie zögerte. »Immerhin haben wir über die Gebote der anderen gesprochen .«
»Glaub' mir, so was passiert dauernd. Außerdem können sie dir nicht das geringste nachweisen. Mach' dir deswegen keine Sorgen.« »Gut, wie du meinst.«
Sie legte auf, saß da und machte sich Sorgen.
Beim Mittagessen sagte Philip: »Übrigens habe ich ein Angebot bekommen, in der Carnegie Hall zu spielen. Ich werde es annehmen.«
»Wie schön!« rief Lara aus. »Dafür kaufe ich mir ein neues Kleid. Wann ist das?« »Am Siebzehnten.« Ihr Lächeln verschwand. »Oh.« »Was ist los?«
»Da kann ich leider nicht kommen, Philip. Ich muß dringend nach Reno. Tut mir wirklich leid.«
Philip bedeckte ihre Hand mit seiner. »Unsere Terminpläne passen nicht sehr gut zusammen, was? Aber laß dir deshalb keine grauen Haare wachsen - ich gebe noch viele Konzerte!«
Lara war in ihrem Büro im Cameron Center. Howard Keller hatte sie an diesem Morgen zu Hause angerufen.
»Du solltest lieber mal reinkommen«, hatte er ihr geraten. »Wir haben ein paar Probleme.«
Jetzt saßen die beiden zusammen. »Leider sind mehrere Geschäfte geplatzt«, berichtete Keller. »Die Versicherungsgesellschaft, die unser neues Gebäude in Houston beziehen wollte, hat Konkurs anmelden müssen. Sie wäre unser einziger Mieter gewesen.«
»Dann finden wir einen anderen«, sagte Lara.
»Das ist nicht so einfach. Die Steuerreform tut nicht nur uns weh - sie tut allen weh! Der Kongreß hat die Möglichkeit zur Bildung stiller Reserven drastisch eingeschränkt und die meisten Abschreibungen gestrichen. Ich glaube, daß wir auf eine gottverdammte Rezession zusteuern! Die Lage der meisten Sparbanken, mit denen wir zusammenarbeiten, ist sehr kritisch. Drexel Burnham Lambert stehen vor dem Konkurs. Junk Bonds werden zu Landminen. Wir haben Probleme mit sechs unserer Immobilien. Zwei davon sind erst zur Hälfte fertig. Ohne Anschlußfinanzierung fressen die Kosten für diese Bauruinen uns auf!«
Lara saß da und überlegte. »Auch damit werden wir fertig, Howard. Wenn's nicht anders geht, müssen wir eben Vermögenswerte verkaufen, um die Hypotheken zahlen zu können.«
»Einen Lichtblick gibt's allerdings«, sagte Keller. »Zum Glück haben wir den Cash Flow aus Reno, der uns im Jahr fast fünfzig Millionen Dollar in die Kasse bringt.«
Lara äußerte sich nicht dazu.
Am Siebzehnten flog Lara nach Reno. Philip begleitete sie zum Flughafen, wo Terry Hill auf sie wartete.
»Wann kommst du wieder?« fragte Philip.
»Vielleicht schon morgen. Ich glaube nicht, daß ich lange aufgehalten werde.«
»Du wirst mir fehlen«, sagte Philip.
»Du mir auch, Liebster.«
Philip sah noch zu, wie ihre Maschine startete. Sie fehlt mir schon jetzt, dachte er. Sie ist die phantastischste Frau der Welt.
Im Konferenzraum der Kontrollkommission saß Lara wieder vor den Männern, denen sie schon bei ihrer Bewerbung um die Lizenz für das Kasino Rede und Antwort gestanden hatte.
Lara wurde vereidigt, und eine Stenographin nahm ihre Aussage zu Protokoll.
»Miss Cameron«, begann der Vorsitzende, »im Zusammenhang mit der Lizenzierung Ihres Kasinos sind Vorwürfe laut geworden, die uns sehr beunruhigen.«
»Was für Vorwürfe?« fragte Terry Hill.
»Zu denen kommen wir gleich.« Der Vorsitzende wandte sich wieder an Lara. »Unseres Wissens haben Sie damals Ihr allererstes Gebot für ein Spielkasino abgegeben.«
»Ja, das stimmt. Das habe ich Ihnen bei dieser ersten Anhörung auch gesagt.«
»Wie sind Sie dann auf das von Ihnen abgegebene Gebot gekommen? Ich meine, wie sind Sie gerade auf diese Zahl gekommen?«
Terry Hill unterbrach erneut. »Darf ich den Grund für diese Frage erfahren?«
»Gleich, Mr. Hill. Gestatten Sie Ihrer Mandantin die Frage zu beantworten?«
Terry Hill sah zu Lara hinüber und nickte.
»Ich habe meinen Finanzdirektor gebeten, mir zu sagen, wie hoch wir gehen könnten«, antwortete Lara, »und genau das ist dann mein Gebot gewesen.«
Der Vorsitzende blätterte in seinen Unterlagen. »Ihr Gebot ist damals drei Millionen höher gewesen als das nächsthöchste Gebot.«
»Tatsächlich?«
»Davon haben Sie nichts gewußt, als Sie Ihr Gebot abgegeben haben?«
»Nein. Natürlich nicht.«
»Miss Cameron, kennen Sie einen gewissen Paul Martin?«
Terry Hill erhob Einspruch. »Ich verstehe nicht, was Sie mit Ihren Fragen bezwecken.«
»Dazu kommen wir gleich. Aber zuerst sollte Miss Cameron diese Frage beantworten.«
»Ich habe nichts dagegen«, sagte Lara. »Ja, ich kenne Paul Martin.«
»Haben Sie jemals geschäftlich mit ihm zu tun gehabt?«
Lara zögerte. »Nein. Wir sind nur befreundet.«
»Miss Cameron, ist Ihnen bewußt, daß Paul Martin Verbindungen zur Mafia nachgesagt werden, daß er .«
»Einspruch! Das sind alles nur Vermutungen, die nicht ins Protokoll gehören.«
»Gut, Mr. Hill, ich ziehe meine Frage zurück. Miss Cameron, wann haben Sie Paul Martin zum letzten Mal gesehen oder mit ihm telefoniert?«
Lara zögerte erneut. »Tut mir leid, das weiß ich nicht so genau. Um es ganz offen zu sagen: Seit ich verheiratet bin, habe ich Mr. Martin kaum noch gesehen. Wir treffen uns manchmal zufällig auf Parties, aber das ist alles.«
»Aber haben Sie nicht sehr häufig mit Paul Martin telefoniert?«
»Nein, nach meiner Hochzeit nicht mehr.«
»Haben Sie jemals mit Paul Martin über dieses Spielkasino gesprochen?«
Lara sah zu Terry Hill hinüber. Der Anwalt nickte ihr zu. »Ja, nachdem ich das Hotel ersteigert hatte, hat er mich angerufen, um mir zu gratulieren. Und später noch einmal, als ich die Lizenz fürs Spielkasino erhalten hatte.«
»Aber sonst haben Sie nie mit ihm darüber gesprochen?«
»Nein.«
»Ich möchte Sie daran erinnern, daß Sie unter Eid aussagen, Miss Cameron.«
»Ja.«
»Sie wissen, daß Meineid strafbar ist?« »Ja.«
Der Vorsitzende hielt einen Computerausdruck hoch. »Dies ist eine Aufstellung von fünfzehn Telefongesprächen zwischen Ihnen und Paul Martin während der Woche, in der Gebote für das Spielkasino abgegeben werden konnten.«
Die meisten Solisten kommen sich angesichts der riesigen Carnegie Hall mit ihren zweitausendachthundert Sitzplätzen klein und unbedeutend vor. Es gibt nicht viele Musiker, die den berühmten Saal füllen können, aber an diesem Freitagabend war er ausverkauft. Als Philip Adler die große Bühne betrat, empfing ihn donnernder Applaus. Er nahm am Flügel Platz, sammelte sich kurz und begann seinen Beethovenabend mit der Mondscheinsonate.
Im Lauf der Jahre hatte Philip gelernt, sich während eines Konzerts ausschließlich auf die Musik zu konzentrieren. Aber an diesem Abend war er in Gedanken immer wieder bei Lara und den Problemen, vor denen sie gemeinsam standen. Für Bruchteile einer Sekunde war er abgelenkt, so daß seine Finger ihm nicht recht gehorchen wollten. Ihm brach der kalte Schweiß aus, aber zum Glück fing er sich so rasch, daß das Publikum nichts merkte.
Zur Pause nach den beiden ersten Sonaten wurde Philip mit großem Beifall verabschiedet. Er verließ rasch die Bühne und zog sich in seine Garderobe zurück.
»Wunderbar, ganz wunderbar, Philip!« lobte der Manager der Carnegie Hall begeistert. »Die Leute sind fasziniert. Haben Sie irgendeinen Wunsch?«
»Nein, danke.« Philip schloß die Tür. Wenn das Konzert nur schon vorüber wäre! Seine schwierige Beziehung zu Lara machte ihm große Sorgen. Er liebte sie sehr und wußte, daß Lara ihn liebte, aber sie kamen irgendwie nicht weiter. Bevor Lara nach Reno abgereist war, hatte es starke Spannungen zwischen ihnen gegeben. Dagegen muß ich etwas tun, nahm
Philip sich vor. Aber was? Wie sollen wir zu einem Kompro-miß gelangen? Er dachte noch darüber nach, als an die Tür geklopft wurde.
»Noch fünf Minuten, Mr. Adler«, sagte eine Stimme.
»Ja, danke.«
Nach der Pause gab er noch die Hammerklaviersonate. Kaum waren die letzten Töne verhallt, als das Publikum wild klatschend aufsprang und dem Pianisten applaudierte. Philip verbeugte sich neben dem Flügel stehend, aber er war in Gedanken bereits anderswo. Ich muß nach Hause und mich mit Lara aussprechen, dachte er. Dann fiel ihm ein, daß sie in Reno war. Sofort nach ihrer Rückkehr müssen wir eine Lösung finden, nahm er sich vor. So kann es nicht weitergehen!
Der Beifall steigerte sich noch, und einzelne Konzertbesucher riefen »Bravo!« oder »Encore!« Normalerweise hätte Philip noch eine oder mehrere Zugaben gespielt, aber an diesem Abend war ihm nicht danach zumute. Er atmete auf, als er wieder in seiner Garderobe war, und zog sich langsam um. Irgendwo in der Ferne hörte er Donner grollen. In der Zeitung hatte gestanden, daß es regnen würde, aber davon hatte sein Publikum sich nicht abschrecken lassen.
Im Vorraum drängten sich Bewunderer, um ihn zu beglückwünschen. Oft machte es Spaß, ihre Komplimente zu hören und ihre Bewunderung fast körperlich zu fühlen, aber diesmal war Philip nicht dazu aufgelegt. Er blieb in seiner Garderobe, bis die Menge sich verlaufen hatte. So war es fast Mitternacht, bevor er die Carnegie Hall durch den Bühnenausgang verließ. Wider Erwarten stand die Limousine nicht dort. Ich nehme ein Taxi, entschied Philip.
Er trat in den strömenden Regen hinaus. Durch die menschenleere siebenundfünfzigste Straße wehte ein kalter Wind. Als Philip in Richtung Sixth Avenue ging, tauchte aus einer Einfahrt ein bulliger Mann in einem Trenchcoat auf.
»Entschuldigung«, sagte der Mann, »wie komme ich zur
Carnegie Hall?«
Philip dachte an den alten Witz, den er Lara erzählt hatte, und war versucht »üben!« zu sagen. Aber dann deutete er doch nur auf das Gebäude hinter sich. »Sie stehen davor.«
Als Philip weitergehen wollte, stieß der Mann ihn mit einer Hand rückwärts gegen die Mauer. In der anderen Hand hatte er plötzlich ein gefährlich aussehendes Klappmesser. »Her mit dem Geld!«
Philip schlug das Herz bis zum Hals. Er sah sich verzweifelt nach Hilfe um, aber die regennasse Straße war menschenleer. »Schon gut«, sagte er mit zitternder Stimme. »Nur keine Aufregung! Mein Geld können Sie haben.«
Dann spürte er das Messer an seiner Kehle.
»Hören Sie, das ist wirklich nicht ...«
»Maul halten! Her mit dem Geld!«
Philip steckte eine Hand unter den Mantel und zog langsam seine Geldbörse heraus. Der Mann griff hastig danach und steckte sie ein. Dabei fiel sein Blick auf Philips teure Armbanduhr. Er griff danach und riß ihm die Piaget vom Handgelenk. Im nächsten Augenblick hielt er Philips linke Hand fest, zog ihm die rasiermesserscharfe Klinge übers Handgelenk und zerschnitt es bis auf den Knochen. Philip stieß einen gellenden Schrei aus. Aus der Wunde quoll ein Blutstrom. Der Täter rannte davon.
Philip stand vor Schock wie gelähmt und beobachtete, wie sein Blut mit Regenwasser vermischt auf den nassen Asphalt tropfte.
Dann brach er ohnmächtig zusammen.