Lara erhielt die Schreckensnachricht über Philip in Reno; Marian Bell rief sie hysterisch schluchzend an.
»Ist er schwer verletzt?« fragte Lara besorgt.
»Wir wissen noch nichts genaues. Er ist im Roosevelt Hospital in der Notaufnahme.«
»Ich komme sofort zurück.«
Als Lara im Krankenhaus eintraf, wartete dort Howard Keller auf sie. Er sah blaß und mitgenommen aus. »Was ist passiert?« fragte sie.
»Philip scheint überfallen worden zu sein, als er aus der Carnegie Hall kam. Er ist bewußtlos auf der Straße aufgefunden worden.«
»Wie schlimm ist er verletzt?«
»Er hat einen tiefen Schnitt im linken Handgelenk. Er bekommt schmerzstillende Mittel, aber er ist bei Bewußtsein.«
Sie betraten das Krankenzimmer. Philip lag mit geschlossenen Augen im Bett und erhielt durch zwei Schläuche Tropfinfusionen.
»Philip . Philip . « Das war Laras Stimme, die ihn aus weiter Ferne rief. Er öffnete langsam die Augen. Vor seinem Bett standen Howard Keller und Lara, die sich über ihn beugte. Beide schienen doppelt vorhanden zu sein. Seine Kehle war wie ausgedörrt, und er fühlte sich benommen.
»Was'n passiert?« murmelte Philip.
»Du bist verletzt«, sagte Lara. »Aber du wirst bald wieder gesund.«
Er blickte an sich herab und stellte fest, daß sein linkes
Handgelenk dick bandagiert war. Das erinnerte ihn wieder an den Raubüberfall. »Ich bin ... Wie schwer ist meine Verletzung?«
»Das weiß ich nicht, Liebster«, sagte Lara. »Aber es kommt bestimmt wieder in Ordnung. Der Arzt will später selbst mit dir darüber sprechen.«
»Die Ärzte können heutzutage fast alles«, warf Keller beruhigend ein.
Philip konnte sich nicht länger wachhalten. »Ich hab' ihm gesagt, daß er alles haben kann«, murmelte er noch. »Er hätte mir die Hand nicht zerschneiden dürfen. Er hätte mir die Hand nicht .«
Zwei Stunden später kam Dr. Dennis Stanton in Philips Krankenzimmer. Schon der Gesichtsausdruck des Arztes verriet, was er sagen würde.
Philip holte tief Luft. »Wie steht es, Doktor?«
Dr. Stanton seufzte. »Ich habe leider schlechte Nachrichten für Sie, Mr. Adler.«
»Wie schwer ist meine Verletzung?«
»Die Sehnen Ihres linken Handgelenks sind durchtrennt, so daß Sie die Hand nicht mehr bewegen können und ein ständiges Gefühl der Taubheit zurückbehalten werden. Außerdem sind der Mittelarmnerv und der Ellbogennerv schwer geschädigt.« Stanton zeigte an seiner Hand, was er meinte. »Der Mittelarmnerv steuert die Bewegungen des Daumens und der drei ersten Finger. Der Ellbogennerv verzweigt sich zu allen Fingern hin.«
Philip schloß die Augen vor einer Woge jäher Verzweiflung, die ihn zu verschlingen drohte. »Soll das heißen, daß ich ... daß ich meine linke Hand nie wieder gebrauchen kann?«
»Ja, das stimmt leider. Tatsächlich können Sie von Glück sagen, daß Sie noch leben. Der Schnitt hat auch die Schlagader durchtrennt. Daß Sie nicht verblutet sind, grenzt an ein Wun-der. Wir haben sechzig Stiche gebraucht, um Ihr Handgelenk wieder zusammenzunähen.«
»Mein Gott, können Sie denn nicht noch irgendwas für mich tun?« fragte Philip verzweifelt.
»Ja. Wir können die Sehnen durch Implantate ersetzen, um Ihnen etwas Bewegungsfreiheit zurückzugeben. Aber davon dürfen Sie sich nicht allzuviel versprechen.«
Der Kerl hätte mich ebensogut ermorden können! dachte Philip deprimiert.
»Während Ihre Verletzung heilt, werden Sie starke Schmerzen haben. Wir geben Ihnen natürlich schmerzstillende Mittel, aber ich kann Ihnen versichern, daß die Schmerzen nachlassen werden.«
Nicht der wirkliche Schmerz, dachte Philip. Nicht der eigentliche Schmerz. Er war in einem Alptraum gefangen, aus dem es kein Entrinnen gab.
Ein Kriminalbeamter stand neben Philips Bett. Er war ein Ermittler der alten Schule: Anfang sechzig, abgekämpft und ausgelaugt, mit müden Augen, die schon alles gesehen hatten.
»Ich bin Lieutenant Mancini. Tut mir leid, daß Ihnen das passiert ist, Mr. Adler«, sagte er. »Zu schade, daß der Kerl Ihnen nicht lieber das Bein gebrochen hat. Ich meine, wenn's schon hat passieren müssen .«
»Ich weiß, was Sie meinen«, wehrte Philip ab.
Howard Keller kam herein. »Ich bin auf der Suche nach Lara. Sie wollte um ...« Er sah den Besucher. »Oh, Entschuldigung!«
Mancini starrte ihn an. »Sie kommen mir bekannt vor. Kennen wir uns von irgendwoher?«
»Nein, das glaube ich nicht.«
Mancini lächelte plötzlich. »Keller! Mein Gott, Sie haben früher in Chicago Baseball gespielt.«
»Richtig. Woher ...?«
»Ich bin einen Sommer lang als Talentsucher für die Cubs unterwegs gewesen. An Sie erinnere ich mich noch gut! Sie hätten als Baseballspieler Karriere machen können.«
»Yeah. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen ...« Keller nickte Philip zu. »Ich warte draußen auf Lara.«
Lieutenant Mancini wandte sich an Philip. »Können Sie mir den Mann beschreiben, der Sie überfallen hat?«
»Der Täter ist ein Weißer gewesen. Ein großer, kräftiger Kerl ... mindestens einsfünfundachtzig. Ende vierzig bis Anfang fünfzig.«
»Könnten Sie ihn identifizieren, wenn Sie ihm wiederbegegnen würden?«
»Ja.« Das Gesicht würde er sein Leben lang nicht mehr vergessen.
»Mr. Adler, ich könnte Sie bitten, sich einen Haufen Fahndungsfotos anzusehen, aber damit würden Sie offen gesagt Ihre Zeit verschwenden. Ich meine, hier liegt nicht gerade ein außergewöhnliches Verbrechen vor. Bei uns in New York gibt's Tausende von Straßenräubern. Wird einer nicht auf frischer Tat gefaßt, ist eine Fahndung so gut wie aussichtslos.« Er zog sein Notizbuch heraus. »Was ist Ihnen geraubt worden?«
»Meine Geldbörse und meine Armbanduhr.«
»Was für eine Uhr?«
»Eine goldene Piaget.«
»Irgendwelche besonderen Merkmale? Zum Beispiel eine Gravur?«
Diese Armbanduhr hatte Lara ihm in Venedig geschenkt. »Ja. Auf der Rückseite ist >Für Philip in Liebe von Lara< eingraviert.«
Mancini schrieb sich die Widmung auf. »Mr. Adler, ich muß Sie etwas fragen ... Hatten Sie diesen Mann jemals zuvor gesehen?«
Philip sah ihn erstaunt an. »Gesehen? Nein. Warum?«
»War bloß so ein Gedanke.« Mancini steckte sein Notizbuch ein. »Mal sehen, was sich tun läßt. Sie können sich glücklich schätzen, Mr. Adler.«
»Wirklich?« Philips Stimme klang verbittert.
»Yeah. Uns werden jedes Jahr Zehntausende von Raubüberfällen gemeldet, und wir können nicht viel Zeit für jeden einzelnen aufwenden, aber unser Boß gehört zu Ihren Bewunderern. Er sammelt alle Ihre Platten. Deshalb läßt er nichts unversucht, um den Kerl zu fassen, der Ihnen das angetan hat. Wir schicken sofort eine Beschreibung Ihrer Uhr an sämtliche Pfandleiher Amerikas.«
»Glauben Sie etwa, daß er mir meine Hand zurückgeben kann, falls Sie ihn schnappen?« murmelte Philip.
»Wie bitte?«
»Nichts.«
»Sie hören dann von uns. Schönen Tag noch.«
Auf dem Korridor warteten Lara und Keller auf den Kriminalbeamten.
»Sie wollten mich sprechen?« fragte Lara.
»Richtig. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen«, sagte Lieutenant Mancini. »Mrs. Adler, wissen Sie, ob Ihr Mann irgendwelche Feinde hat?«
Lara runzelte die Stirn. »Feinde? Nein. Warum?«
»Sie kennen niemanden, der neidisch oder eifersüchtig auf ihn ist? Vielleicht ein anderer Musiker? Irgend jemand, der ihm schaden möchte?«
»Worauf wollen Sie hinaus? Philip ist das Opfer eines Straßenraubs geworden, nicht wahr?«
»Der Tathergang spricht offen gesagt nicht für einen gewöhnlichen Straßenraub. Dieser Kerl hat Ihrem Mann das Handgelenk zerschnitten, nachdem er ihm Geldbörse und Uhr abgenommen hatte.«
»Ich verstehe nicht, welchen Unterschied das .«
»Das wäre reichlich sinnlos gewesen, wenn er's nicht absichtlich getan hätte. Schließlich hat Ihr Mann sich vernünftigerweise nicht gewehrt. Nun, einem Jugendlichen im Drogenrausch wäre so was zuzutrauen, aber .« Der Lieutenant zuckte mit den Schultern. »Ich melde mich, sobald wir mehr wissen.«
Sie sahen ihm nach, als er davonging.
»Jesus!« sagte Keller leise. »Er glaubt, daß der Überfall geplant war!«
Lara war blaß geworden.
Keller starrte sie an. »Mein Gott!« flüsterte er. »Einer von Paul Martins Gangstern! Aber warum hätte er das tun sollen?«
Lara konnte kaum sprechen. »Er . er hat vielleicht geglaubt, mir damit einen Gefallen zu tun. Philip ist ... er war viel unterwegs gewesen, und Paul hat gesagt, das . das sei nicht recht und irgend jemand müsse mal mit Philip reden. Oh, Howard!« Sie vergrub den Kopf an seiner Schulter und bemühte sich, nicht in Tränen auszubrechen.
»Dieser Dreckskerl! Ich hab' dich immer vor ihm gewarnt!«
Lara holte tief Luft. »Philip wird wieder ganz gesund. Er muß einfach!«
Zwei Wochen später brachte Lara Philip aus dem Roosevelt Hospital nach Hause. Er war bleich und schwach auf den Beinen. Marian Bell empfing die beiden an der Tür. Sie war jeden Tag ins Krankenhaus gefahren, um Philip zu besuchen und ihm seine Post zu bringen. Von Bewunderern war eine Woge der Sympathie mit Karten, Briefen und Anrufen über Philip hereingebrochen. Die Medien hatten den Überfall hochgespielt und die zunehmende Gewalt auf den Straßen New Yorks angeprangert.
Lara war in der Bibliothek, als das Telefon klingelte.
»Der Anruf ist für Sie«, sagte Marian Bell. »Ein Mr. Paul Martin.«
»Ich ... ich kann jetzt nicht mit ihm reden«, wehrte Lara ab. Und es fiel ihr sehr schwer, sich nicht anmerken zu lassen, daß sie am ganzen Leib zitterte.
Ihr gemeinsames Leben hatte sich über Nacht verändert.
»In Zukunft arbeite ich zu Hause«, sagte Lara zu Keller. »Philip braucht mich.«
»Natürlich. Das verstehe ich.«
Als die Flut der Briefe und Anrufe eher noch zunahm, erwies Marian Bell sich als wahrer Segen. Sie arbeitete fleißig und unaufdringlich. »Um die Post brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Miss Cameron. Die erledige ich, wenn Sie wünschen.«
»Danke, Marian.«
Vor allem William Ellerbee rief mehrmals an, aber Philip weigerte sich, Anrufe entgegenzunehmen. »Ich will mit niemandem reden«, erklärte er Lara.
Dr. Stanton behielt recht, was die Schmerzen betraf. Sie waren unerträglich. Philip versuchte, möglichst lange ohne schmerzstillende Mittel auszukommen, bis er sie schließlich doch nehmen mußte.
Lara war stets an seiner Seite. »Wir gehen zu den besten Ärzten der Welt, Liebster. Es muß jemanden geben, der deine Hand wieder beweglich machen kann. Ich habe von einer Spezialklinik in der Schweiz gehört, die .«
Philip schüttelte den Kopf. »Nein, das hat keinen Zweck.« Er betrachtete seine verbundene Hand. »Ich bin und bleibe ein Krüppel.«
»Das darfst du nicht sagen!« wies Lara ihn energisch zurecht. »Es gibt noch tausenderlei Dinge, die du tun kannst. Ich mache mir solche Vorwürfe, weißt du. Wäre ich an diesem Tag nicht nach Reno geflogen, sondern ins Konzert gegangen, wäre das
nicht passiert. Dann hätte .«
Philip lächelte sarkastisch. »Du wolltest, daß ich mehr zu Hause bin. Schön, jetzt bin ich dauernd hier.«
»Irgend jemand hat mal gesagt: >Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, denn sie könnten in Erfüllung gehen<«, sagte Lara mit gepreßter Stimme. »Ich wollte, daß du mehr zu Hause bist - aber doch nicht so! Ich kann's nicht ertragen, dich leiden zu sehen.«
»Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, wehrte Philip ab. »Ich muß nur erst mit dieser neuen Situation klarkommen. Alles ist so plötzlich passiert. Ich . ich glaube, daß ich das wahre Ausmaß meiner persönlichen Katastrophe noch gar nicht begriffen habe.«
Howard Keller kam ins Penthouse, um Lara einige Verträge zur Unterschrift vorzulegen. »Hallo, Philip. Na, wie geht's?«
»Wunderbar«, knurrte Philip. »Mir geht's wunderbar!«
»Entschuldige, das war eine dumme Frage.«
»Nimm's bitte nicht persönlich, Howard«, sagte Philip verlegen. »Ich reagiere in letzter Zeit nicht mehr normal.« Er schlug mit seiner rechten Hand auf die Sessellehne. »Wenn der Dreckskerl mir bloß das rechte Handgelenk zerschnitten hätte! Es gibt über ein Dutzend Konzerte für die linke Hand, die ich dann spielen könnte.«
Keller erinnerte sich an ein Gespräch, das er auf der Party hier im Penthouse mitbekommen hatte. Mindestens ein halbes Dutzend Komponisten haben Konzerte für die linke Hand geschrieben. Beispielsweise Demuth, Franz Schmidt, Korngold und Ravel .
Und Paul Martin hatte dabeigestanden und alles gehört.
Dr. Stanton kam ins Penthouse, um Philip zu untersuchen. Als er behutsam den Verband abwickelte, kam eine kaum verheilte lange Narbe zum Vorschein.
»Können Sie Ihre Hand wenigstens etwas bewegen?«
Philip versuchte es. Aber die Hand blieb unbeweglich.
»Wie sind die Schmerzen«, fragte Dr. Stanton.
»Ziemlich schlimm, aber ich will die verdammten Schmerztabletten nicht mehr schlucken.«
»Ich lasse Ihnen trotzdem für alle Fälle noch ein Rezept da. Die Schmerzen sollten in den nächsten Wochen weiter abklingen.« Der Arzt stand auf, um zu gehen. »Tut mir wirklich leid, daß das passiert ist. Ich gehöre nämlich auch zu Ihren Bewunderern.«
»Kaufen Sie meine Platten«, sagte Philip knapp.
Marian Bell machte Lara einen Vorschlag. »Glauben Sie, daß es Mr. Adler helfen würde, wenn ein Physiotherapeut sich um seine Hand kümmern würde?«
Lara dachte darüber nach. »Versuchen sollten wir's wenigstens. Man kann schließlich nie wissen.«
Philip schüttelte den Kopf, als Lara ihm diesen Vorschlag machte. »Nein. Wozu das alles? Der Arzt hat gesagt, daß ...«
»Ärzte können sich irren«, unterbrach Lara ihn energisch. »Wir werden jedenfalls nichts unversucht lassen.«
Gleich am nächsten Tag kam ein junger Physiotherapeut ins Penthouse. Lara stellte ihn Philip vor. »Das ist Mr. Rossman. Er arbeitet im Columbia Hospital. Er wird versuchen, dir zu helfen, Philip.«
»Viel Erfolg!« sagte Philip verbittert.
»Zeigen Sie mir bitte Ihre Hand, Mr. Adler?«
Philip streckte ihm die linke Hand hin. Rossman untersuchte sie sorgfältig. »Die Muskeln scheinen ziemlich geschädigt zu sein, aber wir wollen sehen, was sich tun läßt. Können Sie die Finger bewegen?«
Philip versuchte es.
»Mit der Beweglichkeit ist's nicht weit her, was? Schön, versuchen wir's mit ein paar Übungen.«
Die Prozedur war unglaublich schmerzhaft.
Nach einer halben Stunde verabschiedete Rossman sich mit den Worten: »Gut, dann bis morgen, Mr. Adler.«
»Nein«, sagte Philip. »Ich brauche Sie nicht mehr.«
Lara war eben hereingekommen. »Philip, willst du's nicht wenigstens versuchen?«
»Ich hab's versucht!« knurrte er. »Wann begreifst du endlich, was mit mir los ist? Meine Hand ist unbrauchbar. Daran kann niemand etwas ändern!«
»Philip .« In ihren Augen standen Tränen.
»Entschuldige«, murmelte Philip. »Ich bin . Du mußt mir Zeit lassen.«
Nachts wurde Lara von leisen Klaviertönen geweckt. Sie stand auf und ging ins Wohnzimmer hinüber. Philip saß im Bademantel am Flügel und spielte mit der rechten Hand. Er hörte auf, als er Lara an der Tür stehen sah.
»Entschuldige. Ich wollte dich nicht aufwecken.«
Lara ging zu ihm. »Liebster .«
»Eigentlich verrückt, was? Du hast einen Konzertpianisten geheiratet - und jetzt hast du einen Krüppel als Ehemann!«
Sie schlang ihre Arme um ihn und drückte ihn an sich. »Du bist kein Krüppel. Es gibt so vieles, was du tun kannst.«
»Bitte verschone mich mit deinem gottverdammten Optimismus!«
»Philip, ich wollte dich doch nur .«
»Ja, ich weiß. Verzeih mir, Lara, ich ...« Er hielt seine linke Hand hoch. »Ich schaffs nur nicht, mich daran zu gewöhnen.«
»Komm wieder ins Bett.«
»Nein. Geh nur voraus. Ich komme später nach.«
Er blieb die ganze Nacht lang auf, dachte über seine Zukunft nach und fragte sich aufgebracht: Welche Zukunft?
Lara und Philip aßen jeden Abend miteinander. Dann lasen sie oder saßen vor dem Fernseher, bis es Zeit wurde, ins Bett zu gehen.
»Ich weiß, daß ich im Augenblick kein brauchbarer Ehemann bin, Lara«, entschuldigte Philip sich. »Aber ich ... mir ist einfach nicht nach Sex zumute. Glaub' mir, das hat nicht das geringste mit dir zu tun.«
Lara setzte sich im Bett auf. »Ich habe dich nicht wegen deiner körperlichen Vorzüge geheiratet«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Ich habe dich geheiratet, weil ich mich bis über beide Ohren in dich verliebt hatte. Und daran hat sich nichts geändert. Wenn du nie wieder Lust auf Sex hast, ist's mir auch recht. Ich will nur, daß du mich in den Armen hältst und mich liebst.«
»Ich liebe dich«, sagte Philip nachdrücklich.
Ständig kamen Einladungen zu Abendgesellschaften und Wohltätigkeitsveranstaltungen, aber Philip lehnte jedesmal ab. Er wollte das Penthouse nicht verlassen. »Aber du solltest hingehen«, forderte er Lara auf. »Für dich ist das geschäftlich wichtig.«
»Nichts ist mir wichtiger als du. Ich bleibe hier und gebe ein hübsches kleines Dinner für uns zwei.«
Lara sorgte dafür, daß ihr Koch Philips Lieblingsgerichte auf den Tisch brachte. Aber er hatte keinen Appetit. Sie bemühte sich auch, die meisten Besprechungen in ihr Penthouse zu verlegen. Mußte sie tagsüber unbedingt fort, sagte sie zu Marian Bell: »Ich bin in ein paar Stunden wieder da. Kümmern Sie sich ein bißchen um Mr. Adler.«
»Wird gemacht«, versprach Marian ihr.
Eines Morgens sagte Lara: »Liebster, ich lasse dich ungern allein, aber ich muß für einen Tag nach Cleveland. Du kommst doch allein zurecht?«
»Natürlich«, antwortete Philip. »Ich bin schließlich kein
Baby. Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
Später brachte Marian ihm einige Briefe, die sie für ihn geschrieben hatte. »Wollen Sie gleich unterschreiben, Mr. Adler?«
»Ja«, sagte Philip. »Nur gut, daß ich Rechtshänder bin, nicht wahr?« Seine Stimme klang verbittert. Er sah zu Marian auf. »Entschuldigung, ich wollte meinen Frust nicht an Ihnen auslassen.«
»Das weiß ich, Mr. Adler«, antwortete sie ruhig. »Glauben Sie nicht, daß es eine gute Idee wäre, mal wieder auszugehen und sich mit alten Freunden zu treffen?«
»Meine Freunde arbeiten alle«, knurrte Philip. »Sie sind Musiker. Sie proben für Konzerte. Wie können Sie bloß so dämliche Fragen stellen?«
Er stürmte hinaus.
Marian sah ihm sprachlos nach.
Eine Stunde später kam Philip ins Büro, wo Marian an der Schreibmaschine saß. »Marian?«
Sie sah auf. »Ja, Mr. Adler?«
»Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich reagiere in letzter Zeit nicht normal. Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
»Ja, ich verstehe«, sagte sie leise.
Philip ließ sich in den Sessel vor dem Schreibtisch fallen. »Wissen Sie, warum ich nicht aus dem Haus gehe?« fragte er. »Weil ich mir wie ein Kalb mit zwei Köpfen vorkomme! Ich bin mir sicher, daß jeder meine Hand anstarren würde. Aber ich will kein Mitleid!«
Marian ließ ihn einfach weiterreden.
»Sie sind sehr freundlich zu mir gewesen, und ich erkenne das dankbar an. Wirklich! Aber mir kann niemand helfen. Die alte Geschichte - je höher man steigt, desto tiefer fällt man. Nun, ich bin groß gewesen, Marian - ganz groß. Alle sind gekommen, um mich spielen zu hören . Könige und Königinnen und ...« Philips Stimme versagte fast. »Menschen in aller
Welt haben mich gehört. Ich habe Konzerte in allen fünf Erdteilen gegeben.« Plötzlich liefen ihm Tränen übers Gesicht. »Ist Ihnen aufgefallen, wie oft ich in letzter Zeit weine?« fragte er, während er krampfhaft versuchte, sich zu beherrschen.
»Bitte nicht«, sagte Marian leise. »Alles kommt wieder in Ordnung.«
»Nein! Nichts kommt wieder in Ordnung. Nichts! Ich bin ein gottverdammter Krüppel.«
»Das dürfen Sie nicht sagen. Ihre Frau hat recht, wissen Sie. Es gibt Hunderte von Dingen, die Sie tun können. Sobald Sie diesen Schmerz überwunden haben, fangen Sie damit an.«
Philip zog sein Taschentuch heraus und fuhr sich über die Augen. »Mein Gott«, murmelte er, »ich bin eine richtige Heulsuse geworden.«
»Wenn's Ihnen hilft«, sagte Marian, »sollten Sie's einfach tun.«
Er sah zu ihr auf und lächelte. »Wie alt sind Sie?«
»Sechsundzwanzig.«
»Für sechsundzwanzig wissen Sie ziemlich viele Antworten auf alles, nicht wahr?«
»Nein. Ich kann mir nur vorstellen, was Sie im Augenblick durchmachen, und würde alles dafür geben, wenn es nicht passiert wäre. Aber es ist nun mal passiert, und ich weiß, daß Sie den besten Weg finden müssen, damit fertigzuwerden.«
»Eigentlich vergeuden Sie hier Ihre Zeit«, sagte Philip. »Sie hätten Psychiaterin werden sollen.«
»Möchten Sie einen Drink?«
»Nein, danke. Hätten Sie Lust, eine Partie Backgammon zu spielen?« fragte Philip.
»Sehr gern, Mr. Adler.«
»Als meine Backgammonpartnerin sollten Sie lieber anfangen, mich Philip zu nennen.«
»Philip.«
Von diesem Tag an spielten sie täglich miteinander.
Lara erhielt einen Anruf von Terry Hill. »Ich habe leider schlechte Nachrichten für dich, Lara.« Sie atmete tief durch. »Ja?«
»Die Kontrollkommission hat beschlossen, deine Lizenz für das Kasino vorbehaltlich weiterer Ermittlungen zu suspendieren. Unter Umständen mußt du sogar mit einem Strafverfahren rechnen.«
Das war ein Schock. Lara erinnerte sich an Paul Martins Worte: Mach dir keine Sorgen. Sie können dir nichts nachweisen. »Können wir denn nichts dagegen unternehmen, Terry?« »Im Augenblick nicht. Vorläufig müssen wir abwarten.« Keller war entsetzt, als Lara ihm von Hills Anruf erzählte. »Großer Gott! Die Spielbankeinnahmen haben wir einkalkuliert, um die Hypotheken für drei Bauvorhaben bezahlen zu können. Glaubst du, daß du die Lizenz zurückbekommst?« »Das weiß ich nicht.«
Howard Keller überlegte. »Gut, schlimmstenfalls verkaufen wir das Hotel in Chicago, um die Hypothek auf das Gebäude in Houston zu bezahlen. Wenn nur der Immobilienmarkt in besserer Verfassung wäre! Viele Banken sind schwer unter Druck geraten. Die Zeit der phantastischen Gewinne ist erst mal vorbei.« »Der Markt erholt sich wieder«, meinte Lara. »Aber hoffentlich schnell! Ich bekomme schon Anrufe von den Banken wegen unserer Darlehen.«
»Mach' dir deswegen keine Sorgen«, sagte Lara beruhigend. »Schuldest du einer Bank eine Million Dollar, gehörst du ihr. Schuldest du ihr hundert Millionen, gehört sie dir. Sie können es sich nicht leisten, mir etwas zustoßen zu lassen.«
Am nächsten Tag brachte Business Week einen Artikel mit der Überschrift: cameron-imperium in gefahr - lara cameron
muss mit strafverfolgung in reno rechnen. kann der
eiserne schmetterling sein imperium zusammenhalten?
Lara schlug mit der Faust auf die vor ihr liegende Zeitschrift. »Wie können sie es wagen, so etwas zu drucken? Ich hätte gute Lust, sie zu verklagen!«
»Keine gute Idee«, meinte Keller.
»Howard«, sagte Lara ernsthaft, »die Cameron Towers sind weitgehend vermietet, nicht wahr?«
»Bisher zu über siebzig Prozent. Die Southern Insurance nimmt zwanzig Stockwerke, und die Firma International Investment Banking will zehn mieten.«
»Sobald das Gebäude fertig ist, reichen die Einnahmen aus, um alle unsere Probleme zu lösen. Wie lange dauert's noch bis dahin?«
»Sechs bis sieben Monate.«
Laras Stimme klang aufgeregt. »Sieh dir doch an, was wir dann haben werden! Den höchsten Wolkenkratzer der Welt! Ist er nicht wunderschön?«
Sie drehte sich nach einer gerahmten Zeichnung hinter ihrem Schreibtisch um. Der Entwurf zeigte einen Monolithen, in dessen Glasverkleidung sich die Gebäude in seiner näheren Umgebung spiegelten.
»Allmählich wird's Zeit, eine große Werbeveranstaltung zu planen«, meinte Lara.
»Gute Idee.« Keller runzelte die Stirn.
»Was ist los?«
»Nichts. Ich habe nur an Steve Murchison gedacht. Er hat sich mal sehr für dieses Grundstück interessiert.«
»Okay, aber wir sind ihm damals zuvorgekommen.«
»Richtig«, bestätigte Keller langsam. »Wir sind ihm zuvorgekommen.«
Lara bat Jerry Townsend zu sich.
»Jerry, ich brauche etwas Besonderes für die Eröffnung der Cameron Towers. Irgendwelche Ideen?«
»Ich habe schon eine. Die Eröffnung ist am zehnten September?«
»Ja.«
»Fällt Ihnen bei diesem Datum nichts ein?«
»Nun, das ist mein Geburtstag ...«
»Genau!« bestätigte Jerry grinsend. »Was halten Sie davon, wenn wir zur Feier der Eröffnung des Wolkenkratzers eine große Geburtstagsparty für Sie veranstalten?«
Lara überlegte kurz. »Ja, das gefällt mir. Wir laden alle ein! Von dieser Party soll ganz Amerika sprechen! Jerry, Sie stellen mir sofort eine Gästeliste mit zweihundert Namen zusammen. Ich möchte, daß Sie sich persönlich darum kümmern.«
»Wird gemacht«, sagte Townsend. »Ich lege sie Ihnen vor, sobald sie fertig ist.«
Lara schlug erneut mit der Faust auf die Zeitschrift. »Denen zeigen wir's!«
»Entschuldigung, Mrs. Adler«, sagte Marian Bell. »Der Sekretär des Nationalen Verbandes der Bauträger ist am Apparat. Wir haben die Einladung zu ihrem Dinner am Freitagabend noch nicht beantwortet.«
»Sagen Sie ihm, daß ich leider keine Zeit habe«, entschied Lara.
»Ja, Ma'am.« Marian ging hinaus.
»Lara, du darfst meinetwegen nicht zur Einsiedlerin werden«, meinte Philip besorgt. »Solche Veranstaltungen sind für dich wichtig.«
»Nichts ist mir wichtiger, als hier bei dir zu sein. >In guten wie in schlechten Tagenc, hat dieser komische kleine Standesbeamte gesagt, der uns in Paris getraut hat.« Sie runzelte die Stirn. »Ich glaube zumindest, daß er das gesagt hat. Ich kann leider kein Französisch.«
Philip lächelte schwach. »Du weißt hoffentlich, wie dankbar ich dir für alles bin. Das Leben mit mir ist die Hölle, fürchte ich.«
Lara umarmte ihn. »Falsch, ganz falsch!« sagte sie. »Ich fühle mich wie im Himmel.«
Philip zog sich an. Lara half ihm, sein Hemd zuzuknöpfen. Er betrachtete sich im Spiegel. »Ich sehe aus wie ein Hippie«, stellte er fest. »Ich muß mir unbedingt die Haare schneiden lassen.«
»Soll ich Marian bitten, einen Termin bei deinem Friseur zu vereinbaren?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, lieber nicht. Tut mir leid, Lara, aber ich wage mich noch nicht in die Öffentlichkeit.«
Am nächsten Morgen kamen Philips Friseur und eine Maniküre ins Penthouse. »He, was soll das?« fragte Philip erstaunt.
»Wenn der Prophet nicht zum Berg kommen will, muß der Berg eben zum Propheten kommen. Die beiden kommen jetzt alle vierzehn Tage zu dir.«
»Du bist wundervoll«, sagte Philip.
»Das ist erst der Anfang«, versicherte Lara ihm lächelnd.
Am nächsten Tag kam ein Schneider mit Stoffmustern für Anzüge und Hemden.
»Was soll das?« erkundigte Philip sich.
»Du bist der einzige Mann, den ich kenne, der vier Fräcke, drei Smokings und nur zwei Anzüge besitzt«, antwortete Lara. »Allmählich wird's Zeit, daß wir dir eine vernünftige Garderobe zusammenstellen.«
»Wozu?« protestierte Philip. »Ich gehe ohnehin nie aus.«
Trotzdem ließ er sich Anzüge und Hemden anmessen.
Einige Tage später kam ein Maßschuhmacher.
»Was soll das wieder?« fragte Philip.
»Es wird Zeit, daß du neue Schuhe bekommst.«
»Ich habe dir doch gesagt, daß ich nicht ausgehe.«
»Ich weiß, Liebster. Aber falls du's doch mal tust, stehen die neuen Schuhe bereit.«
Philip drückte Lara an sich. »Du bist zu gut für mich.«
»Siehst du, das behaupte ich auch immer!«
Lara war zu einer Besprechung ins Büro gekommen. Howard Keller erklärte ihr mit sorgenvoller Miene: »Die Einkaufspassage in Los Angeles müssen wir demnächst verkaufen. Die Banken haben beschlossen, uns die Hypotheken zu kündigen.«
»Das können sie nicht tun!«
»Sie tun's aber«, sagte Keller nüchtern. »Wir sind überschuldet, Lara.«
»Warum nehmen wir nicht einfach Hypotheken auf unsere anderen Gebäude auf?«
»Lara, du hast deinen Kreditrahmen bereits völlig ausgeschöpft«, antwortete Keller geduldig. »Außerdem werden für den Wolkenkratzer demnächst sechzig Millionen Dollar fällig.«
»Ja, ich weiß, aber bis zur Fertigstellung sind es nur noch vier Monate. Bis dahin können wir einen Überbrückungskredit aufnehmen. Der Terminplan wird doch eingehalten?«
»Ja.« Keller betrachtete sie. Noch vor einem Jahr hätte sie diese Frage nicht zu stellen brauchen. Früher war sie jederzeit auf dem laufenden gewesen. »Vielleicht solltest du doch wieder häufiger ins Büro kommen«, schlug er vor. »In letzter Zeit häufen sich die Krisen - und viele Entscheidungen kannst eben nur du treffen.«
Lara nickte widerstrebend. »Gut, ab morgen komme ich wieder regelmäßig.«
»William Ellerbee ruft an und möchte Sie sprechen«, sagte Marian.
Philip schüttelte den Kopf. »Ich kann jetzt nicht mit ihm reden.« Er beobachtete, wie sie ans Telefon zurückging.
»Tut mir leid, Mr. Ellerbee, aber Mr. Adler ist im Augenblick nicht zu sprechen. Kann ich ihm irgendetwas ausrichten?« Sie legte den Hörer auf und sah zu Philip hinüber. »Er möchte sich unbedingt mit Ihnen zum Lunch treffen.«
»Wahrscheinlich will er bloß über die Provisionen reden, die
ihm jetzt entgehen.«
»Vermutlich haben Sie recht«, stimmte Marian gelassen zu. »Er haßt Sie bestimmt dafür, daß Sie überfallen worden sind.«
»Entschuldigung«, murmelte Philip. »Hat es wirklich so geklungen?« »Ja.«
»Wie halten Sie's überhaupt mit mir aus?«
Marian lächelte. »Es ist nicht so schlimm, wie Sie denken.«
Am nächsten Tag rief William Ellerbee erneut an. Philip war gerade nicht im Zimmer. Nachdem Marian einige Minuten mit Ellerbee gesprochen hatte, machte sie sich auf die Suche nach ihm.
»Mr. Ellerbee hat angerufen«, teilte sie ihm mit. »Nächstes Mal bestellen Sie ihm bitte, daß er damit aufhören soll.«
»Das können Sie ihm gleich selbst sagen«, antwortete Marian. »Sie treffen sich am Donnerstag um ein Uhr mit ihm zum Lunch.«
»Was tue ich?«
»Er wollte ins Le Cirque, aber ich habe ihm erklärt, daß ein kleineres Restaurant besser wäre.« Sie warf einen Blick auf ihren Stenoblock. »Er erwartet Sie um ein Uhr in Fu's Restaurant. Ich sorge dafür, daß Max Sie hinfährt.«
Philip starrte sie aufgebracht an. »Sie haben diesen Termin für mich vereinbart, ohne mich zu fragen?«
»Hätte ich Sie gefragt, hätten Sie abgelehnt«, sagte sie ruhig. »Meinetwegen können Sie mich dafür entlassen.«
Er funkelte sie an, aber dann lächelte er plötzlich. »Wissen Sie was? Ich habe schon lange nicht mehr Chinesisch gegessen.«
Als Lara aus dem Büro kam, erklärte Philip ihr: »Am Donnerstag gehe ich mit Ellerbee zum Lunch.«
»Das ist wunderbar, Liebster! Wann hast du dich dazu entschlossen?«
»Marian hat mir die Entscheidung abgenommen. Sie findet, ich müßte endlich mal wieder unter Leute.«
»Tatsächlich?« Aber auf meine Vorschläge bist du nie eingegangen, dachte sie. »Sehr aufmerksam von ihr.«
»Ja. Sie ist überhaupt sehr gescheit!«
Wie hatte sie bloß so dumm sein können? dachte Lara. Ich hätte die beiden nicht ohne Aufsicht lassen dürfen. Und Philip ist gerade jetzt so verwundbar ...
In diesem Augenblick erkannte Lara, daß sie Marian Bell loswerden mußte.
Als Lara am nächsten Tag heimkam, saßen Philip und Marian in der Bibliothek und spielten Backgammon.
Unser Spiel, dachte Lara.
»Wie soll ich gewinnen, wenn Sie einen Pasch nach dem anderen werfen?« fragte Philip lachend.
Lara stand an der Tür und beobachtete die beiden. Sie hatte Philip schon lange nicht mehr lachen hören.
Marian blickte auf und sah sie. »Guten Abend, Mrs. Adler.«
Philip sprang auf. »Hallo, mein Schatz.« Er küßte sie auf die Wange. »Sie zieht mir die Hosen aus!«
Das werde ich zu verhindern wissen, dachte Lara.
»Brauchen Sie mich heute noch, Mrs. Adler?«
»Nein, Marian. Sie können gehen. Wir sehen uns dann morgen früh.«
»Danke, Mrs. Adler. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Marian.«
Die beiden sahen ihr nach.
»Sie ist eine gute Gesellschafterin«, sagte Philip.
Lara streichelte seine Wange. »Das freut mich, Liebster.«
»Wie geht's im Büro?«
»Gut.« Sie hatte nicht die Absicht, ihn mit ihren Problemen zu belasten. Sie würde nochmals nach Reno fliegen müssen, um mit der Kontrollkommission zu verhandeln. Notfalls war es bestimmt irgendwie möglich, den Einnahmeverlust, den der Entzug der Spielbanklizenz mit sich brachte, zu kompensieren, aber alles war natürlich einfacher, wenn sie die Lizenz zurückbekam.
»Philip, ich muß in nächster Zeit leider wieder regelmäßig ins Büro. Howard kann nicht alle Entscheidungen ohne mich treffen.«
»Kein Problem. Ich komme allein zurecht.«
»Morgen oder übermorgen muß ich wieder nach Reno«, sagte Lara. »Willst du nicht mitkommen?«
Philip schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht.« Er betrachtete seine verkrüppelte linke Hand. »Noch nicht.«
»Wie du willst, Darling. Ich bleibe nicht länger als zwei bis drei Tage fort.«
Als Marian Bell am nächsten Morgen zur Arbeit kam, wurde sie von Lara erwartet. Philip schlief noch.
»Marian ... Sie kennen doch das Brillantarmband, das mein Mann mir nach der letzten Tournee geschenkt hat?«
»Ja, Mrs. Adler?«
»Wo haben Sie es zuletzt gesehen?«
Marian überlegte. »Auf dem Toilettentisch in Ihrem Schlafzimmer.«
»Sie haben es also gesehen?«
»Natürlich. Ist irgend etwas nicht in Ordnung?«
»Ja, leider. Das Armband ist verschwunden.«
Marian starrte sie an. »Verschwunden? Wer könnte es ...?«
»Das Hauspersonal habe ich schon befragt. Von meinen Leuten weiß niemand etwas.«
»Soll ich die Polizei anrufen und ...?«
»Danke, das ist nicht nötig. Ich möchte nicht, daß Sie Unannehmlichkeiten bekommen.«
»Das verstehe ich nicht, Mrs. Adler.«
»Wirklich nicht? Ich glaube, daß es Ihretwegen besser wäre, auf weitere Nachforschungen zu verzichten.«
Marian starrte Lara entsetzt an. »Sie wissen, daß ich das Armband nicht gestohlen habe, Mrs. Adler.«
»Ich weiß nichts dergleichen. Deshalb muß ich mich leider von Ihnen trennen.« Lara verabscheute sich selbst, weil sie Marian das antat. Aber ich lasse mir Philip von keiner anderen Frau wegnehmen! dachte sie. Von keiner!
Als Philip zum Frühstück herunterkam, sagte Lara: »Übrigens kommt ab morgen eine neue Sekretärin, die hier bei uns arbeitet.«
Philip zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Was ist mit Marian?«
»Marian hat gekündigt. Sie hat einen . einen neuen Job in San Francisco angenommen.«
Er schüttelte den Kopf. »Oh. Schade, ich dachte, es hätte ihr bei uns gefallen.«
»Das hat es auch, aber wir wollen ihr nicht im Weg stehen, wenn sie einen besseren Job kriegen kann, nicht wahr?« Verzeih mir, Marian! dachte Lara.
»Natürlich nicht«, stimmte Philip zu. »Ich würde ihr gern noch alles Gute wünschen. Ist sie ...?«
»Sie ist schon fort.«
»Gut, dann muß ich mich wohl nach einen neuem Backgam-monpartner umsehen«, meinte Philip.
»Sobald ich in der Firma wieder etwas mehr Luft habe, stehe ich dir zur Verfügung.«
Philip Adler und William Ellerbee saßen an einem Ecktisch in Fu's Restaurant.
»Freut mich, daß wir uns mal wieder sehen, Philip«, sagte Ellerbee. »Ich habe öfters angerufen, aber ...« »Ja, ich weiß. Tut mir leid, aber ich habe mit niemandem reden wollen, Bill.«
»Hoffentlich schnappen sie den Dreckskerl, der dir das angetan hat!«
»Die Polizei ist so freundlich gewesen, mir zu erklären, daß Raubüberfälle für sie nicht gerade unter die höchste Dringlichkeitsstufe fallen. Sie scheinen knapp oberhalb von entlaufenen Katzen angesiedelt zu sein. Das bedeutet, daß der Täter nie gefaßt werden wird.«
»Soviel ich gehört habe, wirst du nie wieder spielen können«, sagte Ellerbee zögernd.
»Da hast du ganz richtig gehört.« Philip hielt seine verkrüppelte linke Hand hoch. »Die ist tot.«
Ellerbee beugte sich nach vorn. »Aber du bist nicht tot, Philip. Du hast noch ein ganzes Leben vor dir.«
»Als was?«
»Als Lehrer.«
Philip lächelte schwach. »Fast eine Ironie des Schicksals, nicht wahr? Ich hatte daran gedacht, Klavierpädagoge zu werden, wenn ich eines Tages keine Konzerte mehr geben könnte.«
»Dieser Tag ist jetzt gekommen«, stellte Ellerbee nüchtern fest. »Ich habe bereits mit dem Direktor der Eastman School of Music in Rochester gesprochen. Er würde alles dafür geben, dich als Professor gewinnen zu können.«
Philip runzelte die Stirn. »Aber das würde bedeuten, daß ich dorthin umziehen müßte. Lara hat ihren Firmensitz hier in New York.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das könnte ich ihr nicht antun. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wunderbar sie zu mir gewesen ist, Bill.«
»Ich kann's mir denken.«
»Lara hat praktisch ihr Geschäft aufgegeben, um mich versorgen zu können. Sie ist die zärtlichste, rücksichtsvollste Frau, die man sich denken kann. Ich bin verrückt nach ihr.« »Philip, würdest du dir das Angebot von Eastman wenigstens durch den Kopf gehen lassen?«
»Du kannst den Leuten sagen, daß ich ihr schmeichelhaftes Angebot leider ablehnen muß.«
»Höre ich von dir, falls du dir die Sache anders überlegen solltest?«
Philip nickte. »Dann erfährst du es als erster.«
Als Philip ins Penthouse zurückkam, war Lara ins Büro gefahren. Er ging ruhelos im Wohnzimmer auf und ab. Sein Gespräch mit Ellerbee beschäftigte ihn noch immer. Ich würde gern unterrichten, dachte Philip, aber ich kann Lara nicht bitten, mit mir nach Rochester umzuziehen, und ohne sie würde ich es dort nicht aushalten .
Er hörte, wie die Wohnungstür aufgesperrt wurde. »Lara?«
Marian Bell kam herein. »Oh, entschuldigen Sie, Philip. Ich habe nicht gewußt, daß jemand hier ist. Ich wollte nur meinen Schlüssel zurückgeben.«
»Ich dachte, Sie seien schon unterwegs nach San Francisco.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »San Francisco? Wozu?«
»Haben Sie denn keinen neuen Job in San Francisco angenommen?«
»Ich habe keinen neuen Job.«
»Aber Lara hat gesagt .«
Marian verstand plötzlich alles. »Sie hat Ihnen nicht gesagt, warum sie mich fristlos entlassen hat?«
»Fristlos entlassen? Mir hat sie gesagt, Sie hätten gekündigt ... Sie hätten ein besseres Angebot bekommen.«
»Das stimmt leider nicht.«
»Ich glaube, Sie sollten einen Augenblick Platz nehmen«, sagte Philip langsam. Als sie einander gegenübersaßen, fragte er: »Was geht hier vor?«
Marian holte tief Luft. »Ihre Frau scheint befürchtet zu haben, ich ... ich hätte es auf Sie abgesehen.«
»Was soll das heißen?«
»Sie hat mir vorgeworfen, das Brillantarmband, das Sie ihr einmal geschenkt haben, gestohlen zu haben. Aber das war nur eine Ausrede, um mir fristlos kündigen zu können. Ich bin sicher, daß sie es irgendwo versteckt hat.«
»Das kann ich nicht glauben!« widersprach Philip. »So etwas würde Lara nie tun!«
»Um Sie nicht zu verlieren, wäre sie zu allem fähig.«
Philip starrte sie verwirrt an. »Ich ... ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll . Aber ich rede mit Lara und .«
»Nein, tun Sie das bitte nicht. Am besten erzählen Sie ihr gar nicht, daß ich hier gewesen bin.« Marian stand auf.
»Was haben Sie jetzt vor?«
»Keine Angst, ich finde einen neuen Job.«
»Marian, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann .«
»Danke, das ist nicht nötig.«
»Wissen Sie das bestimmt?«
»Ganz bestimmt. Passen Sie gut auf sich auf, Philip.« Damit verschwand sie.
Philip sah ihr zutiefst beunruhigt nach. Er konnte nicht glauben, daß Lara ihn absichtlich belogen hatte; andererseits fragte er sich, warum sie ihm nichts von diesem Diebstahl erzählt hatte. Aber vielleicht hatte Marian das Armband gestohlen, und Lara hatte ihm die Aufregung ersparen wollen. So mußte es gewesen sein! Marian hatte gelogen.
Der Pfandleiher hatte sein Geschäft in der South State Street im Herzen Chicagos. Der alte Mann hinter der Theke sah auf, als Jesse Shaw den Laden betrat.
»Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?«
Shaw legte eine Armbanduhr auf die Theke. »Wieviel kriege ich dafür?«
Der Pfandleiher griff nach der Uhr und begutachtete sie. »Eine Piaget. Eine hübsche Uhr.«
»Yeah. Ich geb' sie ungern weg, aber ich hab' in letzter Zeit ein bißchen Pech gehabt. Sie verstehen, was ich meine?«
Der Alte zuckte mit den Schultern. »Das gehört zu meinem Beruf. Sie würden staunen, was für Stories ich zu hören bekomme.«
»In ein paar Tagen löse ich sie wieder aus. Ab Montag hab' ich 'nen neuen Job. Aber bis dahin brauche ich soviel Geld, wie ich für die Uhr kriegen kann.«
Der Pfandleiher sah, daß die Rückseite des Uhrengehäuses eine Gravur trug, und nickte dem Kunden zu. »Wenn Sie mich einen Augenblick entschuldigen, sehe ich mir das Uhrwerk an. Solche Uhren werden manchmal in Bangkok hergestellt, und die Thailänder vergessen gern, ein Uhrwerk einzusetzen.«
Er nahm die Piaget mit nach hinten in seine Werkstatt. Im Licht der Arbeitslampe war die Inschrift deutlich zu lesen: Für Philip in Liebe von Lara. Der Alte öffnete eine Schublade und zog ein von der Polizei verteiltes Flugblatt heraus. Gesucht wurde eine Piaget mit genau dieser Inschrift. Als er nach dem Telefonhörer greifen wollte, rief draußen der Kunde:
»He, ich hab's eilig! Wollen Sie die Uhr oder nicht?«
»Komme schon«, sagte der Pfandleiher. Er ging in den Laden zurück. »Ich kann sie mit fünfhundert Dollar beleihen.« »Fünfhundert? Aber diese Uhr ist mindestens .« »Fünfhundert sind mein letztes Wort.« »Okay«, knurrte Shaw widerstrebend. »Einverstanden.« »Dann müssen Sie den Vordruck hier ausfüllen«, sagte der Pfandleiher.
»Okay.« In die Spalte »Name und Adresse« schrieb er John Jones, 21 Hunt Street. Seines Wissens gab es in Chicago keine Hunt Street, und er hieß todsicher nicht John Jones. Dann steckte er die Scheine ein, die der Alte ihm hinlegte. »Vielen Dank. In ein paar Tagen hol' ich sie wieder ab.«
Sobald der Kunde gegangen war, griff der Pfandleiher nach dem Telefonhörer und wählte eine Nummer.
Zwanzig Minuten später betrat ein Kriminalbeamter seinen Laden.
»Warum haben Sie uns nicht angerufen, solange der Kerl da war?« fragte er scharf.
»Ich hab's versucht. Aber er ist nervös gewesen und hatte es plötzlich sehr eilig.« Der Kriminalbeamte studierte den Vordruck. »Der wird Ihnen nicht viel nützen«, meinte der Pfandleiher. »Name und Adresse sind bestimmt erfunden.«
Der Kriminalbeamte grunzte. »Tatsächlich? Hat er den Vordruck selbst ausgefüllt?« »Ja.«
»Dann kriegen wir ihn.«
Der Fahndungscomputer im Polizeipräsidium brauchte keine drei Minuten, um den auf dem Vordruck gefundenen Daumenabdruck zu identifizieren. Jesse Shaw.
Der Butler kam ins Wohnzimmer. »Entschuldigung, Mr. Adler, am Telefon ist ein Gentleman, der Sie sprechen möchte. Ein Lieutenant Mancini. Soll ich ...?«
»Danke, ich nehme das Gespräch an.« Philip nahm den Hörer ab. »Hallo?«
»Mr. Adler?«
»Ja?«
»Hier ist Lieutenant Mancini. Ich bin damals im Krankenhaus bei Ihnen gewesen.«
»Ja, ich weiß.«
»Ich wollte Sie über den Stand unserer Ermittlungen informieren. Wir scheinen Glück zu haben. Sie erinnern sich daran, daß wir Flugblätter mit der Beschreibung Ihrer Uhr an Pfandleiher verteilen lassen wollten?«
»Ja.«
»Wir haben sie gefunden. Ihre Uhr ist in Chicago versetzt worden. Unsere Kollegen sind dem Kerl, der sie versetzt hat, auf der Spur. Sie haben gesagt, Sie könnten den Täter identifizieren, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt.«
»Gut. Ich melde mich wieder.«
Jerry Townsend kam in Laras Büro. »Die Gästeliste, über die wir gesprochen haben, ist fertig«, sagte er. »Je länger ich über diese Idee nachdenke, desto besser gefällt sie mir! Wir feiern Ihren Vierzigsten am Tag der Eröffnung des höchsten Wolkenkratzers der Welt.« Er legte ihr die Aufstellung hin. »Den Vizepräsidenten habe ich auch eingeladen, weil ich weiß, daß er zu Ihren Bewunderern gehört.«
Lara überflog die Gästeliste. Sie las sich wie das Who's Who von Washington, Hollywood, New York und London. Spitzenpolitiker, Filmstars, Industriebosse, Rockstars . wirklich eindrucksvoll.
»Ausgezeichnet«, sagte Lara. »Einverstanden, Jerry.«
Townsend steckte seine Liste wieder ein. »Okay, dann lasse ich die Einladungen drucken und verschicken. Ich habe Carlos schon angerufen und den Bankettsaal und Ihr Lieblingsmenü bestellt. Wir rechnen mit zweihundert Gästen.« Er machte eine Pause. »Wie sieht's übrigens in Reno aus? Haben Sie inzwischen etwas Neues gehört?«
Erst an diesem Vormittag hatte Terry Hill angerufen. »Ein Schwurgericht untersucht den Fall, Lara. Möglicherweise wird gegen dich Anklage erhoben.«
»Mit welcher Begründung? Daß ich ein paarmal mit Paul Martin telefoniert habe, beweist gar nichts! Wir können über den Zustand der Welt, seine Magengeschwüre oder ein Dutzend ähnlich belangloser Themen gesprochen haben!«
»Mir brauchst du keine Vorwürfe zu machen, Lara. Ich stehe auf deiner Seite.«
»Dann tu endlich was! Du bist mein Anwalt. Sorge dafür, daß ich da rauskomme!«
»Ich will sehen, was ich tun kann«, sagte er zögernd.
»Wie ich gehört habe, gehst du am Samstagabend mit Philip zum Dinner des Oberbürgermeisters.«
»Ja.« Lara hatte diese Einladung ausschlagen wollen, aber Philip hatte darauf bestanden, sie anzunehmen.
»Du brauchst diese Leute. Du darfst sie nicht brüskieren. Ich möchte, daß du hingehst.«
»Aber nicht ohne dich, Liebster.«
Er hatte tief Luft geholt. »Gut, ich gehe mit. Irgendwann muß Schluß sein mit diesem Einsiedlerdasein.«
Am Samstagabend half Lara Philip beim Anziehen. Sie knöpfte ihm das Smokinghemd zu, steckte die Manschettenknöpfe hinein und band ihm die Schleife. Er ließ alles geduldig über sich ergehen, verfluchte aber insgeheim seine Hilflosigkeit.
»Fast wie Ken und Barbie, nicht wahr?«
»Wie bitte?« »Nichts.«
»Schon fertig, mein Schatz. Du bist garantiert der bestaussehende Mann des Abends.«
»Danke.«
»Jetzt muß ich mich aber beeilen«, sagte Lara. »Der Oberbürgermeister mag keine unpünktlichen Gäste.«
»Ich warte in der Bibliothek«, erklärte Philip ihr.
Eine halbe Stunde später kam Lara in die Bibliothek. Sie sah umwerfend aus. Sie trug ein elegantes weißes Abendkleid von Oscar de la Renta. Und an ihrem Handgelenk glitzerte das Brillantarmband, das Philip ihr geschenkt hatte.
In der Nacht zum Sonntag konnte Philip nicht einschlafen. Er sah zu Lara hinüber und fragte sich, warum sie wider besseres Wissen behauptet hatte, Marian Bell habe das Armband gestohlen. Er wußte, daß er Lara zur Rede stellen mußte - aber zuvor wollte er mit Marian sprechen.
Am Sonntagmorgen stand Philip früh auf, zog sich leise an, um Lara nicht zu wecken, und verließ das Penthouse. Er fuhr mit einem Taxi zu Marians Apartment. Dort klingelte er an der Wohnungstür und wartete.
»Wer ist da?« fragte eine verschlafene Stimme.
»Philip. Ich muß mit Ihnen reden.«
Die Tür ging auf, und Marian stand im Bademantel auf der Schwelle.
»Philip? Ist etwas passiert?«
»Wir müssen miteinander reden.«
»Gut, kommen Sie herein.«
Philip trat ein. »Tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe«, sagte er, »aber diese Sache ist wichtig.«
»Worum geht's denn?«
Er atmete tief durch. »Sie haben recht gehabt, was das gestohlene Armband betrifft. Lara hat es gestern abend getragen. Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Ich habe Sie verdäch-tigt, es vielleicht doch . Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, wie leid mir das tut.«
»Natürlich haben Sie ihr geglaubt«, stellte Marian gelassen fest. »Schließlich ist sie Ihre Frau.«
»Ich werde Lara gleich heute morgen zur Rede stellen, aber ich wollte erst mit Ihnen sprechen.«
Marian Bell lächelte. »Ich bin froh, daß Sie zu mir gekommen sind, Philip. Aber ich will nicht, daß Sie mit ihr darüber sprechen.«
»Weshalb nicht?« fragte Philip verständnislos. »Und warum hat sie das getan?«
»Das ahnen Sie wirklich nicht?«
»Ehrlich gesagt, nein. Ich sehe keinen Sinn darin!«
»Ich verstehe sie bestimmt besser als Sie. Lara liebt Sie sehr. Sie würde alles tun, um Sie an sich zu binden. Sie sind vermutlich der erste Mensch in ihrem Leben, den sie wirklich liebt. Sie braucht Sie. Und ich glaube, daß Sie sie brauchen. Sie lieben sie sehr, nicht wahr, Philip?«
»Ja.«
»Dann rate ich Ihnen, alles zu vergessen. Konfrontieren Sie sie damit, gibt es bloß Streit, und Ihr Verhältnis zu Lara bleibt vergiftet. Ich finde leicht einen neuen Job.«
»Aber das ist Ihnen gegenüber nicht fair, Marian!«
Sie lächelte wehmütig. »Das Leben ist leider nicht immer fair. Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen. Ich komme schon zurecht.«
»Aber lassen Sie mich wenigstens etwas für Sie tun. Ich könnte Ihnen ein Bankkonto einrichten, damit Sie .«
»Vielen Dank, aber das möchte ich nicht.«
Sie hätte so vieles sagen können, aber sie wußte, daß das aussichtslos gewesen wäre. Philip Adler war verliebt. Deshalb sagte sie nur: »Gehen Sie zu ihr zurück, Philip.«
Die Großbaustelle befand sich an der Wabash Avenue im
Herzen Chicagos. Dort entstand ein fünfundzwanzigstöckiges Bürogebäude, dessen Rohbau schon halb fertig war. Keiner achtete auf die beiden Kriminalbeamten, die an der Ecke parkten und aus ihrem neutralen Dienstwagen stiegen. Sie gingen zur Baustelle hinüber und hielten den ersten Arbeiter an, der ihnen begegnete. »Wo ist der Polier?«
Der Angesprochene deutete auf einen bulligen Mann, der gerade einen Bauarbeiter zusammenstauchte. »Dort drüben.«
Die Kriminalbeamten gingen zu ihm hinüber. »Sind Sie hier der Boß?«
Der Polier drehte sich nach ihnen um. »Ich bin nicht nur der Boß, sondern auch sehr beschäftigt. Was wollen Sie?«
»Arbeitet bei Ihnen ein gewisser Shaw, Jesse Shaw?«
»Shaw? Klar, der ist irgendwo da oben.« Der Polier deutete mit dem Daumen auf das Stahlskelett des Rohbaus hinter ihnen.
»Lassen Sie ihn bitte runterholen?«
»Kommt nicht in Frage! Er hat zu arbeiten, anstatt ...«
Einer der Kriminalbeamten wies seine Plakette vor. »Lassen Sie ihn holen.«
»Warum? Hat er irgendwas angestellt?«
»Nein, wir wollen nur mit ihm reden.«
»Okay.« Der Polier wandte sich an einen der Männer in ihrer Nähe. »Sag' Jesse, daß er zu mir kommen soll.«
»Mach' ich.«
Einige Minuten später kam Jesse Shaw auf die Dreiergruppe zu.
»Diese beiden wollen dich sprechen«, sagte der Polier und ging.
Jesse grinste die Kriminalbeamten an. »Danke. Mir tut 'ne kleine Pause ganz gut. Was kann ich für Sie tun?«
Einer von ihnen zog eine Armbanduhr aus der Jackentasche. »Ist das Ihre Uhr?«
Shaws Grinsen verschwand schlagartig. »Nein.« »Wissen Sie das bestimmt?«
»Yeah.« Er wies sein linkes Handgelenk vor. »Meine Uhr ist 'ne Seiko.«
»Aber Sie haben diese Armbanduhr versetzt?«
Shaw zögerte kurz. »Yeah, richtig. Aber der alte Geizhals hat mir bloß fünfhundert dafür gegeben. Dabei ist sie mindestens ...«
»Sie haben behauptet, dies sei Ihre Uhr.«
»Ja, aber das stimmte nicht.«
»Wo haben Sie sie her?«
»Ich hab' sie gefunden.«
»Tatsächlich? Wo denn?«
»Auf dem Grünstreifen vor meinem Apartmentgebäude.« Er begann, sich für seine eigene Story zu erwärmen. »Sie hat dort im Gras gelegen, und als ich aus dem Auto gestiegen bin, hab' ich sie gesehen. Das Armband hat in der Sonne geglitzert, deshalb ist sie mir aufgefallen.«
»Ein Glück, daß an diesem Tag die Sonne geschienen hat.«
»Yeah.«
»Mr. Shaw, reisen Sie gern?«
»Nein.«
»Schade, denn Sie machen eine kleine Reise nach New York. Wir helfen Ihnen packen.«
In Shaws Apartment fingen die beiden Kriminalbeamten an, die Wohnung zu durchsuchen.
»Augenblick!« sagte Shaw. »Habt ihr 'nen Durchsuchungsbefehl, Jungens?«
»Wir brauchen keinen. Wir helfen Ihnen nur packen.«
Einer der Männer öffnete den Kleiderschrank. Auf der Hutablage stand ein Schuhkarton. Er holte ihn herunter und nahm den Deckel ab. »Jesus!« sagte er. »Seht euch mal an, was der Weihnachtsmann dagelassen hat!«
Lara saß in ihrem Büro und hörte Kathy über die Gegensprechanlage sagen: »Mr. Tilly auf Leitung vier, Miss Cameron.«
Tilly war der Projektmanager der Cameron Towers. Lara nahm den Hörer ab. »Hallo?«
»Hier hat's heute morgen ein kleines Problem gegeben, Miss Cameron.« »Ja?«
»Bei uns hat's gebrannt. Aber der Brand ist gelöscht.« »Was ist passiert?«
»Im Pumpenraum der Klimaanlage gab es eine Explosion. Ein Transformator ist durchgebrannt und hat einen Kurzschluß erzeugt. Sieht so aus, als sei er nicht richtig angeschlossen gewesen.« »Wie schlimm ist der Schaden?«
»Nun, ein bis zwei Tage verlieren wir bestimmt. Aber dann dürften die schlimmsten Schäden behoben sein.« »Gut, halten Sie mich auf dem laufenden.«
Lara kam Abend für Abend spät nach Hause und wirkte erschöpft und sorgenvoll.
»Ich mache mir Sorgen um dich«, erklärte Philip ihr. »Kann ich irgend etwas für dich tun?«
»Nichts, Liebster. Trotzdem vielen Dank.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Bloß ein paar Probleme im Büro.«
Er schloß sie in die Arme. »Habe ich dir schon gesagt, daß ich verrückt nach dir bin?« Sie sah lächelnd zu ihm auf. »Sag' es mir noch einmal!« »Ich bin verrückt nach dir.«
Lara drängte sich gegen ihn und dachte: Genau das wünsche ich mir. Genau das brauche ich. »Liebster, sobald meine kleinen Probleme ausgestanden sind, reisen wir irgendwohin. Bloß du und ich.« »Abgemacht!«
Irgendwann, dachte sie, muß ich ihm beichten, was ich Marian angetan habe. Ich weiß, daß ich das nicht hätte tun dürfen. Aber ich wäre gestorben, wenn ich ihn verloren hätte.
Am nächsten Morgen rief Tilly wieder bei Lara an. »Haben Sie die Bestellung für den Marmor für den Boden der Eingangshalle storniert, Miss Cameron?«
»Wozu sollte ich das getan haben«, fragte sie langsam.
»Keine Ahnung. Irgend jemand hat's getan. Der Marmor sollte heute geliefert werden. Als ich angerufen habe, hat's geheißen, die Bestellung sei vor acht Wochen auf Ihre Anweisung storniert worden.«
Lara bemühte sich, ganz ruhig zu bleiben. »Ich verstehe. Wie sehr wirft uns das zurück?«
»Schwer zu sagen.«
»Versuchen Sie, Druck zu machen, damit der Marmor schnellstens geliefert wird.«
»Wird gemacht, Miss Cameron.«
Keller kam in ihr Büro.
»Tut mir leid, aber die Banken werden immer nervöser, Lara. Ich weiß nicht, wie lange ich sie noch hinhalten kann.«
»Bloß noch bis zur Fertigstellung der Cameron Towers. Wir haben's fast geschafft, Howard! Wir eröffnen in drei Monaten!«
»Das habe ich ihnen auch gesagt«, bestätigte er seufzend. »Okay, ich rede noch mal mit ihnen.«
Aus ihrer Gegensprechanlage kam Kathys Stimme: »Mr. Tilly auf Leitung eins.«
Lara sah zu Keller hinüber. »Bleib' noch einen Augenblick da.« Sie nahm den Hörer ab. »Ja?«
»Wir haben ein weiteres Problem, Miss Cameron.«
»Ich höre«, sagte Lara.
»Die Aufzüge funktionieren nicht. Die Steuerung ist völlig unzuverlässig. Will man nach unten fahren, setzt der Aufzug sich nach oben in Bewegung. Drückt man auf den Knopf für den achtzehnten Stock, landet man in der Tiefgarage. So was hab' ich noch nie erlebt!«
»Tippen Sie auf Sabotage?« »Schwer zu sagen. Könnte auch schlampige Arbeit sein.«
»Wie lange wird es dauern, bis alles überprüft ist?«
»Ich hab' ein paar Techniker angefordert, die schon hierher unterwegs sind.«
»Halten Sie mich auf dem laufenden.« Lara legte den Hörer auf.
»Alles in Ordnung?« fragte Keller.
Sie wich seiner Frage aus. »Hast du in letzter Zeit wieder einmal von Steve Murchison gehört, Howard?« lautete ihre Gegenfrage.
Er starrte sie überrascht an. »Nein. Warum?«
»Ach, nur so eine Idee.«
Das Bankenkonsortium, das die Firma Cameron Enterprises finanzierte, hatte allen Grund zur Sorge. Nicht nur Laras Imperium, sondern auch die meisten anderen Firmenkunden waren finanziell angeschlagen. Der Kursverfall der Junk Bonds hatte sich zu einer veritablen Katastrophe entwickelt und war ein schwerer Schlag für alle, die mit diesem Finanzierungsinstrument gearbeitet hatten.
Jetzt saß Howard Keller in einem Konferenzraum sechs Bankiers gegenüber, und die Stimmung war gereizt.
»Ihre Firma ist mit Zins- und Tilgungszahlungen für Kredite von fast einhundert Millionen Dollar im Rückstand«, sagte der Sprecher des Konsortiums. »Ich fürchte, daß wir Cameron Enterprises nicht länger entgegenkommen können.«
»Gentlemen, Sie vergessen da einiges«, widersprach Keller. »Erstens: Wir rechnen täglich mit einer Wiedererteilung unserer Spielbanklizenz in Reno. Die zu erwartenden Einnahmen dürften jedes etwa vorhandene Defizit ausgleichen. Zweitens: Die Cameron Towers werden termingerecht fertiggestellt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind über achtzig Prozent der Büroflächen vermietet, und nach der Fertigstellung wird ein Run auf die restlichen Flächen einsetzen. Ihr Geld
könnte nicht sicherer angelegt sein, Gentlemen!«
Die Bankiers wechselten zweifelnde Blicke.
»Ich schlage vor, daß wir unser weiteres Vorgehen miteinander abstimmen«, sagte der Sprecher, »und Sie dann benachrichtigen, Mr. Keller.«
»Einverstanden. Ich informiere Miss Cameron.«
Keller erstattete Lara Bericht.
»Ich glaube, daß sie mitmachen werden«, erklärte er ihr. »Aber wir müssen ein paar Immobilien zu Geld machen, um flüssig zu bleiben.«
»Also los!«
Lara war morgens als erste im Büro, verließ es abends als letzte und führte einen verzweifelten Kampf, um ihr Imperium zu retten. Ihr Mann bekam sie kaum noch zu sehen. Lara wollte nicht, daß Philip erfuhr, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hatte. Er hat selbst genügend Probleme, dachte Lara. Ich kann ihm nicht auch noch meine aufbürden.
Am Montagmorgen rief Tilly schon um sechs Uhr an. »Sie sollten schnellstens herkommen, Miss Cameron.«
Laras Magen verkrampfte sich. »Was ist los?«
»Das möchte ich Ihnen lieber selbst zeigen.«
»Gut, ich komme.«
Lara rief Keller an. »Howard, auf unserer Baustelle gibt's schon wieder Probleme. Ich hole dich ab.«
Eine halbe Stunde später waren sie gemeinsam zur Baustelle unterwegs.
»Hat Tilly gesagt, was diesmal los ist?« fragte Keller.
»Nein, aber ich glaube an keine Zufälle mehr. Was du neulich gesagt hast, hat mich nachdenklich gemacht. Steve Mur-chison hätte das Grundstück verdammt gern gekauft - und ich hab's ihm vor der Nase weggeschnappt.«
Auf der Baustelle stapelten sich riesige Kisten mit zuge-schnittenen getönten Scheiben, während Sattelschlepper weiteres Glas anlieferten. Tilly hastete Lara und Keller entgegen.
»Ich bin froh, daß Sie da sind!«
»Was ist denn passiert?«
»Das hier ist nicht das Glas, das wir bestellt haben! Es hat völlig falsche Maße und nicht die richtige Tönung. Damit können wir unser Gebäude auf keinen Fall verkleiden!«
Lara und Keller sahen einander an. »Könnten wir's hier zu-rechtschneiden?« fragte Howard.
Der Bauleiter schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen! Da säßen wir zuletzt auf einem Scherbenhaufen.«
»Wo haben wir das Glas bestellt?« fragte Lara.
»Bei der New Jersey Panel and Glass Company.«
»Ich rufe sie an«, sagte Lara. »Bis wann brauchen wir das Glas spätestens?«
Tilly überlegte stirnrunzelnd. »Kommt die Lieferung innerhalb von vierzehn Tagen, können wir den Fertigstellungstermin noch halten. Unsere Leute müßten Überstunden machen, aber es wäre zu schaffen.«
Lara wandte sich an Keller. »Komm, wir haben's eilig!« Sie hastete ins Bauleitungsbüro voraus.
Otto Karp, der Verkaufsleiter der New Jersey Panel and Glass Company, meldete sich sofort. »Ja, Miss Cameron? Wie ich höre, haben Sie ein Problem.«
»Nein«, fauchte Lara, »Sie haben eines! Sie haben uns das falsche Glas geliefert. Kommt das richtige Glas nicht binnen zwei Wochen, verklage ich Ihre Firma auf Schadenersatz. Sie halten ein Dreihundertmillionenprojekt auf!«
»Ich verstehe nicht, wie das passiert sein kann. Ich rufe Sie sofort zurück.«
Zehn Minuten später rief Karp wieder an. »Tut mir schrecklich leid, Miss Cameron, aber Ihre Bestellung ist verwechselt
worden. Obwohl unsere Kontrollen sonst .«
»Ihre offenbar sehr laschen Kontrollen interessieren mich nicht«, unterbrach Lara ihn. »Ich will nur, daß meine Bestellung schnellstens bearbeitet und ausgeliefert wird.«
»Dafür sorge ich gern.«
Lara atmete erleichtert auf. »Und wann können wir mit der Lieferung rechnen?«
»In acht bis zehn Wochen.«
»Erst in acht bis zehn Wochen? Kommt nicht in Frage! Wir brauchen das Glas sofort!«
»Wir würden Sie gern früher beliefern«, versicherte Karp ihr, »aber leider stapeln sich bei uns die unerledigten Aufträge.«
»Ich glaube, Sie verstehen mich nicht richtig«, sagte Lara aufgebracht. »Hier handelt es sich um einen Notfall! Wir brauchen .«
»Doch, ich verstehe durchaus. Wir tun natürlich unser Bestes. Sie bekommen das Glas in acht bis zehn Wochen. Ich bedaure, Ihnen keine .«
Lara knallte den Hörer auf die Gabel. »Unglaublich!« sagte sie. Dann sah sie zu Tilly hinüber. »Gibt es keine andere Firma, bei der wir das Glas bestellen könnten?«
Tilly fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Nicht zu einem so späten Zeitpunkt. Würden wir den Auftrag anderweitig vergeben, müßten wir auch warten, bis Fertigungskapazitäten frei sind.«
»Lara, kann ich dich kurz allein sprechen?« fragte Keller. Er nahm sie beiseite. »Ich mache dir diesen Vorschlag nicht gern, aber .«
»Ich höre.«
». vielleicht kann dein Freund Paul Martin uns aus der Patsche helfen. Er kennt bestimmt jemanden, der jemanden kennt .«
Lara nickte zustimmend. »Gute Idee, Howard! Ich rufe ihn gleich an, wenn ich wieder im Büro bin.«
Zwei Stunden später saß Lara vor Paul Martins Schreibtisch.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich mich dein Anruf gemacht hat«, sagte Paul. »Du hast seit einer Ewigkeit nicht mehr angerufen. Mein Gott, wie schön du aussiehst, Lara!«
»Danke, Paul.«
»Was kann ich für dich tun?«
»Zu dir komme ich anscheinend immer dann, wenn ich Schwierigkeiten habe«, sagte Lara zögernd.
»Ich bin schließlich auch immer für dich dagewesen, stimmt's?«
»Ja. Du bist mein guter Freund.« Lara seufzte. »Im Augenblick brauche ich einen guten Freund.«
»Was gibt es diesmal? Droht wieder ein Streik?«
»Nein, es geht um die Cameron Towers.«
Er runzelte die Stirn. »Soviel ich gehört habe, geht dort alles planmäßig voran.«
»Das stimmt. Oder es hat gestimmt. Ich fürchte, daß Steve Murchison darauf aus ist, das Projekt zu sabotieren. Auf der Baustelle geht plötzlich alles schief. Bisher haben wir es irgendwie geschafft, den Terminplan einzuhalten. Aber jetzt ... Wir stehen vor einem großen Problem, das die Fertigstellung gefährden könnte. Dann müßten wir mit Schadenersatzforderungen unserer beiden größten Mieter rechnen - und das wäre unser Ruin, Paul.«
Lara holte tief Luft und versuchte, ihren Zorn zu beherrschen.
»Vor über einem halben Jahr haben wir bei der New Jersey Panel and Glass Company getöntes Glas bestellt. Heute morgen ist die Lieferung gekommen. Aber das war nicht unser Glas!«
»Hast du schon reklamiert?«
»Ja, aber die Firma kann angeblich erst in acht bis zehn Wochen liefern. Ich brauche das Glas in spätestens zwei Wochen.
Bis dahin haben die Arbeiter praktisch nichts mehr zu tun. Der Bau ist so gut wie eingestellt. Wird er nicht termingerecht fertig, verliere ich alles, was ich besitze.«
Paul Martin schüttelte den Kopf. »Nein, dazu wird es nicht kommen. Ich sehe zu, was sich machen läßt.«
Lara wurde es vor Erleichterung fast schwindelig. »Paul, ich ...« Sie hatte Mühe, die richtigen Worte zu finden. »Ich danke dir!«
Er griff nach ihrer Hand. »Der Dinosaurier ist noch nicht erledigt«, sagte er lächelnd. »Morgen weiß ich hoffentlich schon mehr.«
Am nächsten Vormittag klingelte Laras Privattelefon zum ersten Mal seit Monaten. Sie nahm hastig den Hörer ab. »Paul?«
»Hallo, Lara. Ich habe mit einigen meiner Freunde gesprochen. Dein Fall ist nicht einfach, aber er läßt sich regeln. Sie haben die Lieferung für Montag übernächster Woche zugesagt.«
An dem Montag, an dem das Glas geliefert werden sollte, rief Lara erneut Paul Martin an.
»Das Glas ist noch nicht gekommen, Paul«, berichtete sie sorgenvoll.
»Oh?« Am anderen Ende herrschte kurzes Schweigen. »Okay, ich kümmere mich sofort darum.« Pauls Stimme klang weicher. »Das einzig Gute an dieser Sache ist, daß wir wieder miteinander reden, Baby.«
»Ja, ich . Paul, wenn das Glas nicht rechtzeitig geliefert wird .«
»Es kommt rechtzeitig. Gib nicht auf!«
Zur Wochenmitte war die zugesagte Lieferung noch immer nicht eingetroffen.
Keller kam in Laras Büro. »Ich habe eben mit Tilly gesprochen. Bis spätestens Freitag muß das verdammte Glas da sein. Kommt es, ist noch alles zu retten. Andernfalls sind wir erledigt.«
Am Donnerstagabend war noch immer keine Lieferung eingetroffen.
Am Freitagmorgen ließ Lara sich zu den Cameron Towers fahren. Die Baustelle war menschenleer. Neben dem majestätisch in den Himmel ragenden unfertigen Wolkenkratzer wirkten die benachbarten Gebäude fast wie Spielzeughäuser. Ein prachtvolles Bauwerk. Ihr Denkmal. Ich sorge dafür, daß es fertiggebaut wird, dachte Lara verbissen.
Vom Büro aus rief sie erneut Paul Martin an.
»Tut mir leid«, sagte seine Sekretärin, »aber Mr. Martin ist nicht da. Kann ich ihm irgendetwas ausrichten?«
»Ich lasse ihn bitten, mich anzurufen«, antwortete Lara. Sie wandte sich an Keller. »Ich habe einen Verdacht, den du bitte überprüfen mußt. Erkundige dich, ob diese Glasfabrik zufällig Steve Murchison gehört.«
Eine halbe Stunde später kam Keller in ihr Büro zurück. Er war auffällig blaß.
»Na? Hast du rausgekriegt, wem die Glasfabrik gehört?«
»Ja«, sagte er langsam. »Sie ist in Delaware ins Handelsregister eingetragen. Als Eigentümerin fungiert die Holdinggesellschaft Etna Enterprises.«
»Etna Enterprises?«
»Richtig. Sie hat die Glasfabrik letztes Jahr aufgekauft. Etna Enterprises gehört Paul Martin.«
Cameron Enterprises hatten plötzlich unter schlechter Publicity zu leiden. Dieselben Journalisten, die Lara bisher in den höchsten Tönen gelobt hatten, griffen sie jetzt an. Jerry Townsend kam zu Howard Keller. »Ich mache mir Sorgen«, sagte Townsend. »Weshalb?«
»Hast du die Pressekampagne gegen Lara verfolgt?« »Yeah. Die Zeitungsschreiber erfinden jeden Tag was Neues über sie.«
»Ich mache mir Sorgen wegen der Geburtstagsparty, Howard. Die Einladungen sind inzwischen verschickt. Aber seit dieser schlechten Publicity hagelt es von allen Seiten Absagen. Die Leute haben Angst davor, sich mit Lara zu zeigen. Ein regelrechtes Fiasko!« »Was schlägst du vor?«
»Ich finde, wir sollten die Party absagen. Ich erfinde irgendeine Ausrede.«
»Wahrscheinlich hast du recht. Wir müssen verhindern, daß Lara in eine peinliche Situation gerät.« »Gut, dann sage ich die Party ab. Informierst du Lara?« »Wird gemacht.«
Terry Hill rief an.
»Lara, ich habe gerade eine Vorladung für dich erhalten - du sollst übermorgen vor dem Schwurgericht in Reno aussagen. Ich komme natürlich mit.«
Protokoll der ersten Vernehmung Jesse Shaws durch Detective
Lieutenant Sal Mancini.
M: Guten Morgen, Mr. Shaw. Ich bin Lieutenant Mancini. Sie wissen, daß eine Stenographin unser Gespräch mitschreibt? S: Klar.
M: Und Sie haben freiwillig darauf verzichtet, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen?
S: Ich brauch' keinen Anwalt. Ich hab' bloß 'ne verdammte Uhr gefunden, und dafür schleppen Ihre Leute mich wie 'nen Verbrecher aus Chicago hierher. M: Mr. Shaw, wissen Sie, wer Philip Adler ist? S: Nein. Müßt' ich das wissen?
M: Niemand hat Sie dafür bezahlt, daß Sie ihn überfallen? S: Ich hab' Ihnen gesagt, daß ich keine Ahnung hab', wer der Kerl ist!
M: Die Polizei in Chicago hat in Ihrem Apartment fast fünfzigtausend Dollar in bar gefunden. Wie kommen Sie zu soviel Geld? S: [Keine Antwort] M: Mr. Shaw .? S: Ich hab's gewonnen? M: Womit?
S: Pferderennen . Footballwetten . und so weiter. M: Sie sind ein Glückspilz, was? S: Ja, so könnte man's ausdrücken. M: Im Augenblick arbeiten Sie in Chicago, nicht wahr? S: Yeah.
M: Haben Sie jemals in New York gearbeitet? S: Ja, früher mal.
M: Ich habe hier einen Polizeibericht, in dem steht, daß Sie auf einer Baustelle in Queens einen Bagger bedient haben, unter dem ein Bauleiter namens Bill Whitman zu Tode gekommen ist. Stimmt das? S: Yeah. Das ist ein Unfall gewesen.
M: Wie lange haben Sie dort gearbeitet? S: Weiß ich nicht mehr.
M: Auch das steht hier. Auf dieser Baustelle haben Sie nur zweiundsiebzig Stunden gearbeitet. Sie sind am Tag vor dem Unfall aus Chicago nach New York gekommen und schon zwei Tage später dorthin zurückgeflogen. Stimmt das? S: Schon möglich.
M: Wie aus den Buchungsunterlagen der American Airlines hervorgeht, sind Sie zwei Tage vor dem Überfall auf Philip Adler nach New York geflogen und gleich am nächsten Tag nach Chicago zurückgeflogen. Welchen Zweck hatte diese Kurzreise nach New York? S: Ich wollte mir ein paar Theaterstücke ansehen. M: Können Sie sich an die Titel der Stücke erinnern, die Sie gesehen haben?
S: Nein, das ist schon zu lange her.
M: Wer ist Ihr Arbeitgeber gewesen, als der Unfall mit dem Bagger passiert ist? S: Cameron Enterprises.
M: Und wer ist Ihr jetziger Arbeitgeber auf dem Bau in Chicago?
S: Cameron Enterprises.
Howard Keller saß mit Lara in ihrem Büro zusammen. Die beiden sprachen über Maßnahmen zur Schadensbegrenzung, weil die Firma unter der schlechten Publicity zu leiden begann. Bevor er ging, erkundigte Lara sich: »Sonst noch etwas, Howard?«
Keller runzelte die Stirn. Irgend jemand hatte ihm aufgetragen, Lara irgend etwas auszurichten, aber er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. Vermutlich war es nicht wichtig gewesen.
»Ein Gespräch für Sie, Mr. Adler«, meldete Simms, der Butler.
»Ein Lieutenant Mancini.«
Philip nahm den Hörer ab. »Was gibt's, Lieutenant?«
»Neuigkeiten, Mr. Adler.«
»Tatsächlich? Haben Sie den Kerl geschnappt?«
»Ich würde am liebsten vorbeikommen und persönlich mit Ihnen darüber sprechen. Wäre Ihnen das recht?«
»Natürlich.«
»Gut, dann bin ich in einer halben Stunde bei Ihnen.«
Philip legte langsam auf und fragte sich, worüber der Kriminalbeamte nicht am Telefon hatte sprechen wollen.
Als Mancini kam, führte Simms ihn in die Bibliothek.
»Guten Tag, Mr. Adler.«
»Guten Tag. Was gibt's Neues?«
»Wir haben den Mann gefaßt, der Sie überfallen hat.«
»Wirklich? Das überrascht mich«, gab Philip zu. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, es sei fast unmöglich, Straßenräuber zu schnappen.«
»Er ist kein gewöhnlicher Straßenräuber.«
Philip runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht.«
»Er ist von Beruf Bauarbeiter, lebt in Chicago und arbeitet nur manchmal in New York. Vorbestraft ist er auch - wegen Einbruchs und Körperverletzung. Er hat Ihre Uhr versetzt, und wir haben ihn aufgrund seiner Fingerabdrücke identifiziert.« Mancini hielt eine Armbanduhr hoch. »Das ist Ihre Uhr, nicht wahr?«
Philip starrte sie an, ohne den Mut zu finden, sie in die Hand zu nehmen. Sie erinnerte ihn wieder an den schrecklichen Augenblick, in dem der Unbekannte seine Hand festgehalten und ihm das Handgelenk zerschnitten hatte. Erst als Mancini ihm aufmunternd zunickte, griff er danach, drehte die Uhr um und las die Widmung. »Ja, das ist meine.«
Lieutenant Mancini ließ sich die Armbanduhr zurückgeben. »Die behalten wir vorläufig als Beweisstück. Ich möchte, daß Sie morgen ins Präsidium kommen, um den Mann bei einer
Gegenüberstellung zu identifizieren.«
Bei dem Gedanken, dem Täter von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, wurde Philip von jähem Zorn erfaßt. »Ich komme.«
»Police Plaza Nummer eins, Zimmer zwo-eins-zwo. Um zehn Uhr?«
»Okay.« Philip runzelte die Stirn. »Was haben Sie gemeint, als Sie sagten, der Kerl sei kein gewöhnlicher Straßenräuber?«
Lieutenant Mancini zögerte. »Er ist für den Überfall auf Sie bezahlt worden.«
Philip starrte ihn verwirrt an. »Was?«
»Sie sind nicht etwa zufällig das Opfer eines Verrückten geworden. Der Mann hat fünfzigtausend Dollar dafür bekommen, daß er Ihnen das Handgelenk zerschnitten hat.«
»Das kann ich nicht glauben«, sagte Philip Adler langsam. »Wem wäre es fünfzigtausend Dollar wert, mich zum Krüppel zu machen?«
»Angeheuert hat ihn Ihre Frau.«
Angeheuert hat ihn Ihre Frau! Philip war sprachlos vor Entsetzen. Lara? Konnte Lara ihm etwas so Gräßliches angetan haben? Und aus welchem Grund nur?
»Ich verstehe nicht, warum du jeden Tag üben mußt, als ob du morgen ein Konzert geben wolltest.«
»Du mußt nicht schon wieder verreisen. Ich will einen Ehemann, keinen Teilzeit...«
»Sie hat mir vorgeworfen, das Brillantarmband, das Sie ihr mal geschenkt haben, gestohlen zu haben ... Um Sie nicht zu verlieren, wäre sie zu allem fähig.«
Und William Ellerbee: »Denkst du daran, deine Konzerttätigkeit einzuschränken? Als ich neulich mit Lara gesprochen habe, hat sie angedeutet .«
Lara.
Im Präsidium an der Police Plaza fand eine Besprechung zwischen dem Staatsanwalt, dem Polizeipräsidenten und Detective Lieutenant Mancini statt.
»Wir haben's hier nicht mit irgend jemand zu tun«, sagte der Staatsanwalt gerade. »Die Lady hat verdammt viel Einfluß. Was haben Sie an handfesten Beweisen, Lieutenant?«
»Ich habe bei Cameron Enterprises im Personalbüro nachgefragt«, antwortete Mancini. »Jesse Shaw ist auf Wunsch Lara Camerons eingestellt worden. Meine nächste Frage, ob sie außer ihm persönlich Bauarbeiter eingestellt habe, ist verneint worden.«
»Okay, was noch?«
»Ihr Bauleiter Bill Whitman soll Freunden gegenüber damit geprahlt haben, er wisse etwas über Lara Cameron, das ihn zu einem reichen Mann machen werde. Wenig später ist Whitman unter einem von Jesse Shaw bedienten Bagger zu Tode gekommen. Shaw hatte seinen Arbeitsplatz in Chicago verlassen, um nach New York zu fliegen. Zwei Tage nach dem Unfall ist er nach Chicago zurückgekehrt. Für mich steht fest, daß er den Auftrag hatte, Whitman umzulegen. Sein Flugticket ist übrigens von Cameron Enterprises bezahlt worden.«
»Was ist mit dem Überfall auf Adler?«
»Der Ablauf war wieder ähnlich. Shaw ist zwei Tage zuvor aus Chicago nach New York gekommen und einen Tag danach zurückgeflogen. Hätte er die Uhr weggeworfen, anstatt sie aus Geldgier zu versetzen, hätten wir ihn nie geschnappt.«
»Welches Motiv könnte sie gehabt haben?« fragte der Polizeipräsident. »Weshalb sollte sie ihrem Mann das antun?«
»Ich habe mit dem Hauspersonal gesprochen«, sagte Manci-ni. »Lara Cameron liebt ihren Mann abgöttisch. Streit hat's nur gegeben, wenn wieder eine Tournee bevorstand. Sie wollte, daß er mehr zu Hause bleibt.«
»Und jetzt ist er ständig zu Hause?«
»Genau.«
»Was sagt sie dazu?« fragte der Staatsanwalt. »Sie streitet wohl alles ab?«
»Wir haben sie noch nicht mit den Vorwürfen konfrontiert. Ich wollte erst mit Ihnen reden, um zu erfahren, ob das Belastungsmaterial für eine Anklage reicht.«
»Und Philip Adler kann Shaw identifizieren?«
»Richtig«, bestätigte Mancini.
»Gut.« Der Staatsanwalt machte eine Pause. »Was halten Sie davon, Lara Cameron selbst zu befragen, Lieutenant? Hören Sie sich doch mal an, was sie zu sagen hat.«
Lara hatte Howard Keller bei sich, als ihre Gegensprechanlage summte. »Ein Lieutenant Mancini möchte Sie sprechen.« Lara
runzelte die Stirn. »In welcher Sache?«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Gut, schicken Sie ihn herein.«
Der Kriminalbeamte war sich darüber im klaren, daß er behutsam vorgehen mußte. Ohne handfeste Beweise würde es nicht einfach sein, etwas aus Lara Cameron herauszubekommen. Aber ich muß es wenigstens versuchen, dachte er. Mit Howard Kellers Anwesenheit hatte er nicht gerechnet.
»Guten Tag, Lieutenant.«
»Tag.«
»Sie kennen Howard Keller?«
»Allerdings! Der beste Pitcher in ganz Chicago.«
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Lara.
Der Anfang war am schwierigsten. Erst mußte sie zugeben, daß sie Jesse Shaw kannte; daraus entwickelte sich alles weitere.
»Wir haben den Kerl verhaftet, der Ihren Mann überfallen hat.« Dabei beobachtete er ihr Gesicht.
»Tatsächlich? Was ...?«
Howard Keller unterbrach sie. »Wie haben Sie ihn gefaßt?« fragte er Mancini.
»Er hat eine Armbanduhr versetzt, die Miss Cameron ihrem Mann geschenkt hatte.« Der Lieutenant sah wieder zu Lara hinüber. »Der Täter heißt Jesse Shaw.«
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht im geringsten. Sie ist gut, dachte Mancini. Die Lady ist wirklich gut.
»Kennen Sie ihn?«
Lara runzelte die Stirn. »Nein. Müßte ich ihn kennen?«
Das war ihr erster Fehler, sagte Mancini sich. Jetzt habe ich sie!
»Shaw hat auf einer Ihrer Baustellen in Chicago gearbeitet. Und er ist auf Ihrer Baustelle in Queens als Baggerführer eingesetzt gewesen. Dort hat sein Bagger einen Mann tödlich verletzt.« Der Kriminalbeamte blätterte in seinem Notizbuch, obwohl er den Namen wußte. »Einen gewissen Bill Whitman. Die Sache ist als Arbeitsunfall zu den Akten gelegt worden.«
Lara schluckte trocken. »Ja ...«
Bevor sie weitersprechen konnte, ergriff Keller wieder das Wort. »Hören Sie, Lieutenant, bei dieser Firma arbeiten Hunderte von Menschen. Sie können nicht erwarten, daß wir jeden einzelnen kennen.«
»Sie kennen Jesse Shaw also nicht?«
»Nein. Und ich bin sicher, daß Miss Cameron .«
»Das möchte ich lieber von ihr selbst hören.«
»Ich kenne diesen Mann nicht mal dem Namen nach«, sagte Lara.
»Für den Überfall auf Ihren Mann hat ihm jemand fünfzigtausend Dollar gezahlt.«
»Das ... das kann ich nicht glauben!« Sie wurde plötzlich kreidebleich.
Jetzt kommen wir der Sache näher, dachte Mancini. »Davon wußten Sie nichts?«
Lara funkelte ihn aufgebracht an. »Wollen Sie mir etwa unterstellen, ich . ? Das verbitte ich mir, Lieutenant! Wenn er dazu angestiftet worden ist, möchte ich wissen, von wem er den Auftrag bekommen hat!«
»Das interessiert Ihren Mann auch, Miss Cameron.«
»Sie haben darüber mit ihm gesprochen?«
»Ja. Ich .«
Im nächsten Augenblick stürmte Lara hinaus.
Als Lara atemlos ins Penthouse kam, war Philip im Schlafzimmer. Er packte seinen Koffer, unbeholfen, weil er nur mit einer Hand arbeiten konnte.
»Philip . was machst du da?«
Er drehte sich um und starrte sie an, als sehe er sie zum ersten Mal. »Ich ziehe aus.«
»Weshalb? Du glaubst diese . diese gräßliche Geschichte
doch nicht etwa?«
»Mit den Lügen ist jetzt Schluß, Lara.«
»Aber ich lüge nicht. Philip, hör mir bitte zu! Mit dem, was dir zugestoßen ist, habe ich nicht das geringste zu tun. Ich würde dir niemals weh tun. Ich liebe dich, Philip.«
Er drehte sich nach ihr um. »Die Polizei sagt, daß der Täter in deinem Auftrag gehandelt hat. Und daß er dafür fünfzigtausend Dollar bekommen hat .«
Sie schüttelte den Kopf. »Davon weiß ich nicht das geringste, Philip. Ich weiß nur, daß ich nichts damit zu tun gehabt habe. Das glaubst du mir doch?«
Er sah sie schweigend an.
Sie stand wie vor den Kopf geschlagen da. Dann machte sie kehrt und stolperte blindlings hinaus.
Philip verbrachte eine schlaflose Nacht in einem New Yorker Hotel. Er glaubte immer wieder, Laras Stimme zu hören. Ich wüßte gern mehr über Ihre Stiftung. Vielleicht können wir uns gelegentlich treffen, um darüber zu reden.
Sind Sie verheiratet? ... Erzählen Sie mir mehr von sich, Philip.
Und wenn Sie Scarlatti spielen, flaniere ich durch Neapel...
Ich träume einen Traum aus Ziegeln, Beton und Stahl - und verwirkliche ihn .
Ich bin nach Amsterdam gekommen, um Sie wiederzusehen.
Möchtest du, daß ich nach Mailand mitkomme?
Du verwöhnst mich, Lady! ... Genau das habe ich vor.
Und Laras Wärme, Mitgefühl und Fürsorglichkeit. Konnte er sich so in ihr getäuscht haben?
Im Polizeipräsidium wurde Philip Adler von Lieutenant Man-cini erwartet, der ihn in einen kleinen Saal mit hell beleuchteter Bühne führte.
»Sie brauchen ihn bloß zu identifizieren«, sagte der Krimi-nalbeamte.
Damit ihr ihn mit Lara in Verbindung bringen könnt, dachte Philip.
Auf der Bühne standen sechs etwa gleichgroße und gleich alte Männer. Jesse Shaw war der zweite Mann von rechts. Philip, der ihn sofort erkannte, fühlte sein Herz jagen. Er glaubte, Shaws Stimme zu hören. Her mit dem Geld! Er spürte wieder den gräßlichen Schmerz, als das scharfe Messer ihm das Handgelenk zerschnitt. Konnte Lara ihm das angetan haben? Du bist der einzige Mann, den ich je geliebt habe.
»Sehen Sie sich die Männer gut an, Mr. Adler«, sagte Lieutenant Mancini.
In Zukunft arbeite ich zu Hause. Philip braucht mich.
»Mr. Adler .«
Wir gehen zu den besten Ärzten der Welt, Liebster. Sie war immer für ihn dagewesen, hatte ihn gepflegt und umhegt. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt .
»Würden Sie den Täter bitte identifizieren?«
Ich habe dich geheiratet, weil ich mich bis über beide Ohren in dich verliebt hatte. Und daran hat sich nichts geändert. Wenn du nie wieder Lust auf Sex hast, ist 's mir auch recht. Ich will nur, daß du mich in den Armen hältst und mich liebst. Das war ihr Ernst gewesen.
Und dann die letzte Szene im Penthouse. Mit dem, was dir zugestoßen ist, habe ich nicht das geringste zu tun. Ich würde dir niemals weh tun .
»Mr. Adler .«
Die Polizei muß sich getäuscht haben, dachte Philip. Lara hat bestimmt die Wahrheit gesagt. Sie kann diesen Kerl nicht auf mich gehetzt haben!
Mancini sprach ihn erneut an. »Welcher ist der Täter?«
Und Philip drehte sich um und sagte: »Ich weiß es nicht.«
»Wie bitte?«
»Ich sehe ihn nicht.«
»Sie haben ausgesagt, Sie hätten sein Gesicht deutlich gesehen.«
»Ja, das stimmt.«
»Dann sagen Sie mir, wer er ist.«
»Das kann ich nicht«, behauptete Philip. »Er steht nicht dort oben.«
Mancini machte ein grimmiges Gesicht. »Wissen Sie das bestimmt?«
»Todsicher«, antwortete Philip.
»Das war's vorerst, Mr. Adler. Besten Dank, daß Sie vorbeigekommen sind.«
Ich muß Lara finden, sagte Philip sich. Ich muß Lara finden!
Lara saß an ihrem Schreibtisch und starrte aus dem Fenster. Philip hatte ihr nicht geglaubt. Es tat ihr schrecklich weh. Und dann Paul Martin. Natürlich steckte er dahinter. Aber warum hatte er das getan? Erinnerst du dich daran, daß ich gesagt habe, dein Mann solle sich gut um dich kümmern? . Er scheint seine Sache nicht allzugut zu machen . Es wird Zeit, daß mal jemand Klartext mit ihm redet! Hatte Paul das getan, weil er sie liebte? Oder war alles ein Racheakt gewesen, weil er sie haßte?
Howard Keller kam herein. Er sah blaß und abgespannt aus. »Ich habe eben über eine Stunde lang telefoniert. Die Cameron Towers sind verloren, Lara. Southern Insurance und International Investment Banking kündigen beide, weil die Fertigstellung sich verzögern wird. Das bedeutet, daß wir die Hypotheken nicht mehr bedienen können. Aber wir hätten es fast geschafft, nicht wahr? Der höchste Wolkenkratzer der Welt . Tut mir leid, Lara. Ich weiß, wieviel dir das bedeutet hat.«
Sie drehte sich nach ihm um. Keller erschrak über ihr Aussehen. Ihr Gesicht war blaß, und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie wirkte benommen und schien all ihre Energie verloren zu haben.
»Lara . hast du gehört, was ich gesagt habe? Die Cameron Towers sind verloren.«
Als sie antwortete, klang ihre Stimme unnatürlich ruhig. »Ja, ich hab's gehört. Mach' dir deswegen keine Sorgen, Howard. Wir beleihen ein paar unserer anderen Gebäude und zahlen alles zurück.«
Ihre Reaktion ängstigte ihn. »Lara, wir haben nichts mehr zu beleihen. Du mußt Konkurs anmelden und ...«
»Howard ...?«
»Ja.«
»Kann eine Frau einen Mann zu sehr lieben?«
»Wie bitte?«
Ihre Stimme klang leblos. »Philip hat mich verlassen.«
Das erklärte plötzlich vieles. »Ich . das tut mir sehr leid für dich, Lara.«
Auf ihrem Gesicht stand ein seltsames Lächeln. »Merkwürdig, nicht wahr? Ich verliere alles gleichzeitig. Erst Philip, jetzt meine Immobilien. Weißt du, woran das liegt, Howard? Das Schicksal ist gegen mich. Und dagegen kann man nicht ankämpfen, nicht wahr?«
So deprimiert und mutlos hatte er sie noch nie erlebt.
»Dabei steht mir noch einiges bevor. Heute nachmittag muß ich nach Reno fliegen. Und wenn das Schwurgericht dort ...«
Die Gegensprechanlage auf dem Schreibtisch summte. »Lieutenant Mancini ist hier.«
»Schicken Sie ihn herein.«
Howard Keller warf Lara einen fragenden Blick zu. »Mancini? Was will er?«
Lara holte tief Luft. »Er will mich verhaften, Howard.«
»Dich verhaften? Was soll das heißen?«
Ihre Stimme klang erstaunlich gefaßt. »Er glaubt, daß ich den Überfall auf Philip inszeniert habe.«
»Das ist doch lächerlich! Wie kann er .«
Die Tür öffnete sich, und Lieutenant Mancini kam herein. Er
blieb kurz stehen, sah die beiden an und trat dann einige Schritte vor. »Ich habe hier einen Haftbefehl.«
Howard Keller war blaß geworden. Er stellte sich schützend vor Lara und sagte heiser: »Sie können sie nicht festnehmen. Sie hat nichts getan.«
»Sie haben recht, Mr. Keller. Ich verhafte auch nicht Miss Cameron. Der Haftbefehl ist gegen Sie ausgestellt.«
Protokoll der Vernehmung Howard Kellers durch Detective Lieutenant Sal Mancini.
M: Sie sind über Ihre Rechte belehrt worden, Mr. Keller? K: Ja.
M: Und Sie haben freiwillig darauf verzichtet, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen?
K: Ich brauche keinen Anwalt. Ich wollte mich ohnehin stellen. Ich hätte nicht zulassen können, daß Lara etwas passiert.
M: Sie haben Jesse Shaw fünfzigtausend Dollar für den Überfall auf Philip Adler gezahlt? K: Ja.
M: Weshalb?
K: Er hat ihr das Leben zur Hölle gemacht. Sie hat ihn geradezu angefleht, bei ihr zu bleiben, aber er war ständig unterwegs.
M: Deshalb haben Sie dafür gesorgt, daß seine Karriere als Pianist beendet wurde.
K: Nein, das stimmt nicht. So weit sollte Jesse nicht gehen. Er hat sich nur nicht beherrschen können. M: Erzählen Sie mir von Bill Whitman. K: Dieses Schwein hat versucht, sie zu erpressen. Das konnte ich nicht zulassen. Er hätte Lara ruinieren können. M: Deshalb haben Sie ihn umbringen lassen? K: Um Lara zu helfen, ja. M: Hat sie gewußt, was Sie vorhatten? K: Selbstverständlich nicht! Sie hätte das niemals zugelassen. Nein. Wissen Sie, ich bin dagewesen, um sie zu beschützen.
Was ich getan habe, habe ich für sie getan. Ich wäre für sie gestorben.
M: Statt dessen haben Sie für sie gemordet.
K: Darf ich Sie etwas fragen, Lieutenant? Woher wußten
Sie, dass ich mit dieser Sache zu tun habe?
Schluß der Vernehmung.
Im Polizeipräsidium fragte Captain Bronson, der Chef der Abteilung, Mancini: »Und was hat Sie auf seine Spur gebracht?«
»Keller hat einen Hinweis geliefert, den ich beinahe übersehen hätte. Laut Jesse Shaws Vorstrafenregister ist er als Siebzehnjähriger wegen Diebstahls einer Baseballausrüstung der Jugendmannschaft der Chicago Cubs zu einer Arreststrafe verurteilt worden. Ich habe nachgefragt und herausbekommen, daß Keller und Shaw Mannschaftskameraden gewesen sind. Aber Keller hat einen entscheidenden Fehler gemacht: Er hat auf meine Frage behauptet, Jesse Shaw nicht zu kennen. Ich habe einen Freund angerufen, der früher Sportredakteur der Chicago Sun Times gewesen ist. Er hat sich an beide erinnert und mir bestätigt, daß sie befreundet gewesen sind. Natürlich hatte Shaw seinen Job bei Cameron Enterprises seinem alten Kumpel zu verdanken. Lara Cameron hat ihn eingestellt, weil Keller sie darum gebeten hatte. Sie hat Jesse Shaw vermutlich nie selbst zu Gesicht bekommen.«
Mancini schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, was das Verrückteste ist? Letzten Endes hätte ich mir die ganze Arbeit sparen können. Hätte ich ihn nicht geschnappt, sondern mich auf Lara Cameron konzentriert, hätte Howard Keller sich freiwillig gestellt.«
Um Lara herum brach alles zusammen. Sie konnte nicht fassen, daß ausgerechnet Howard Keller für all die schrecklichen Dinge, die passiert waren, verantwortlich gewesen sein sollte.
Er hat es für mich getan, dachte Lara. Ich muß versuchen, ihm zu helfen.
Die Gegensprechanlage auf ihrem Schreibtisch summte. »Der Wagen ist da, Miss Cameron«, meldete Kathy. »Sind Sie reisefertig?«
»Ja.« Lara mußte nach Reno, um vor dem Schwurgericht auszusagen.
Fünf Minuten nach Laras Abfahrt rief Philip im Büro an.
»Tut mir leid, Mr. Adler, aber Sie haben sie gerade verpaßt. Sie ist schon unterwegs nach Reno.«
Philip war maßlos enttäuscht. Er hatte Lara unbedingt sehen, sie um Verzeihung bitten wollen. »Falls Sie mit ihr telefonieren, sagen Sie ihr bitte, daß ich auf sie warte.«
»Das richte ich gern aus.«
Er wählte eine weitere Nummer, sprach ungefähr zehn Minuten lang und rief dann William Ellerbee an.
»Bill ... ich bleibe hier in New York. Ich unterrichte in Zukunft an der Juilliard School of Music.«
»Was können sie mir anhaben?« fragte Lara.
»Kommt ganz drauf an«, sagte Terry Hill. »Erst mal mußt du aussagen. Danach kann das Gericht beschließen, daß du unschuldig bist, was bedeuten würde, daß du das Kasino zurückbekommst, oder daß die Beweise für eine Anklageerhebung ausreichen. Sollte dieser Beschluß ergehen, folgt ein Strafverfahren, das mit deiner Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe enden könnte.«
Lara murmelte etwas.
»Wie bitte?«
»Papa hat recht gehabt, habe ich gesagt. Gegen das Schicksal kommt niemand an.«
Laras Vernehmung vor dem Schwurgericht dauerte vier Stunden. Sie mußte detailliert schildern, wie sie das Cameron Palace Hotel und das Kasino erworben hatte. Als sie den Gerichtssaal verließen, drückte Terry Hill ihr aufmunternd die Hand.
»Du hast dich sehr gut aus der Affäre gezogen, Lara. Das Gericht ist wirklich beeindruckt gewesen. Da es keine handfesten Beweise gegen dich gibt, müßtest du ...«
Anstatt diesen Satz zu Ende zu bringen, verstummte der Anwalt und bekam große Augen. Lara drehte sich um. Paul Martin war in den Vorraum gekommen. Er trug einen altmodischen Zweireiher mit Weste und hatte sein weißes Haar so pedantisch gescheitelt wie damals, als sie ihn kennengelernt hatte.
»Großer Gott!« flüsterte Terry Hill. »Er ist hier, um als Zeuge auszusagen!« Er wandte sich an Lara. »Wie sehr haßt er dich?«
»Wie meinst du das?«
»Lara, wenn ihm Strafverschonung zugesichert worden ist, damit er gegen dich aussagt, bist du erledigt. Dann mußt du hinter Gitter!«
Lara sah zu Paul Martin hinüber. »Aber . das würde auch sein Ende bedeuten.«
»Darum habe ich dich gefragt, wie sehr er dich haßt. Würde er sich selbst opfern, nur um dich zu vernichten?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Lara benommen.
Paul Martin kam auf die beiden zu. »Hallo, Lara. Wie ich höre, geht's dir geschäftlich nicht besonders.« Sein Blick verriet nicht, was er dachte. »Das tut mir aufrichtig leid.«
Lara erinnerte sich an Howard Kellers Warnung: Er ist ein Sizilianer. Die vergessen nichts und verzeihen nichts. Paul war von Rachedurst erfüllt gewesen, und sie hatte nichts davon geahnt.
Paul Martin wollte weitergehen.
»Paul .«
Er blieb stehen, »ja?«
»Ich muß mit dir reden.«
Er zögerte kaum merklich. »Gut, meinetwegen.« Paul nickte zum Warteraum für Zeugen hinüber. »Dort drinnen sind wir ungestört.«
Terry Hill beobachtete, wie die beiden in dem leeren Raum verschwanden. Die Tür schloß sich hinter ihnen. Er hätte viel dafür gegeben, bei ihrem Gespräch dabeizusein.
Sie wußte nicht, wie sie anfangen sollte.
»Was willst du von mir, Lara?«
Alles war noch viel schwieriger, als sie befürchtet hatte. Als sie endlich sprach, klang ihre Stimme heiser. »Ich möchte, daß du mich gehen läßt.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Wie könnte ich das? Glaubst du wirklich, ich hielte dich fest?« Sein Tonfall klang spöttisch.
Sie bekam kaum noch Luft.
»Findest du nicht, daß du mich schon genug bestraft hast?«
Paul Martin stand mit ausdrucksloser Miene vor ihr.
»Unsere gemeinsame Zeit ist wundervoll gewesen, Paul. Von Philip abgesehen hast du mir mehr bedeutet als jeder andere Mensch in meinem Leben. Ich schulde dir mehr, als ich jemals zurückzahlen könnte. Und ich habe dich niemals verletzen wollen. Das mußt du mir glauben!«
Es fiel ihr schwer, jetzt weiterzusprechen.
»Es liegt in deiner Macht, mich zu vernichten. Willst du das wirklich? Bist du glücklich, wenn du mich hinter Gitter bringst?« Sie kämpfte gegen Tränen an. »Ich flehe dich an, Paul: Gib mir mein Leben zurück! Hör bitte auf, mich wie eine Feindin zu behandeln .«
Paul Martin schwieg weiterhin. Auch seine unergründlichen schwarzen Augen verrieten nicht, was er dachte.
»Ich bitte dich um Verzeihung. Ich . ich bin zu müde, um
weiterzukämpfen, Paul. Du hast gesiegt ...« Ihre Stimme versagte.
Im nächsten Augenblick wurde an die Tür geklopft, und der Gerichtsdiener streckte den Kopf herein. »Das Gericht wartet auf Sie, Mr. Martin.«
Paul sah Lara sekundenlang an, bevor er sich abwandte und wortlos den Raum verließ.
Jetzt ist alles aus! dachte Lara. Ich bin erledigt.
Terry Hill kam hastig herein. »Gott, wenn ich nur wüßte, was er dort drinnen aussagen wird! Aber jetzt können wir nur noch abwarten.«
Sie warteten - Lara kam es wie eine Ewigkeit vor. Als Paul Martin endlich aus dem Saal kam, wirkte er müde und ausgelaugt. Er ist alt geworden, dachte Lara. Daran gibt er mir die Schuld. Paul beachtete sie zunächst gar nicht. Aber dann gab er sich einen Ruck und ging zu ihr hinüber.
»Verzeihen kann ich dir niemals. Du hast mich zum Narren gehalten. Aber die Zeit mit dir ist die schönste Zeit meines Lebens geworden. Dafür bin ich dir ewig dankbar. Ich habe dort drinnen nichts erzählt, Lara.«
In ihren Augen standen Tränen. »Oh, Paul! Ich weiß nicht, wie ich dir .«
»Nimm es als Geburtstagsgeschenk von mir. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Baby.«
Erst als er sich abwandte und davonging, begriff Lara, was Paul eben gesagt hatte. Heute war ihr Geburtstag! In letzter Zeit hatten die Ereignisse sich so sehr überschlagen, daß sie ihren Geburtstag ganz vergessen hatte. Und die große Geburtstagsparty mit zweihundert Gästen im Manhattan Cameron Plaza!
Lara wandte sich aufgeregt an Terry Hill. »Ich muß sofort nach New York zurück. Heute abend findet eine große Party für mich statt. Glaubst du, daß das Gericht mich gehen läßt?«
»Augenblick«, sagte der Anwalt und verschwand im Gerichtssaal. Als er nach fünf Minuten zurückkam, nickte er Lara zu. »Du kannst nach New York zurückfliegen. Das Gericht gibt seine Entscheidung morgen um elf Uhr bekannt, aber das ist bloß noch eine Formalität. Du mußt nur dafür sorgen, daß du rechtzeitig wieder zurück bist. Dein Freund hat übrigens die Wahrheit gesagt. Er hat dich mit keinem Wort belastet.«
Eine halbe Stunde später war Lara nach New York unterwegs.
»Alles in Ordnung, Lara?« fragte Terry Hill besorgt, als sie sich verabschiedeten.
»Natürlich!« sagte sie. An diesem Abend würden über zweihundert prominente Leute zusammenkommen, um ihren Geburtstag zu feiern. Sie würde ihnen hocherhobenen Hauptes gegenübertreten. Schließlich war sie Lara Cameron.
Sie stand in der Mitte des großen Ballsaals und sah sich um. Dies alles hatte sie geschaffen. Sie hatte Monumente errichtet, die zum Himmel aufragten, die das Leben von Tausenden von Menschen in ganz Amerika verändert hatten. Und nun ging das alles in den Besitz anonymer Banken über. Sie glaubte, ihren Vater ganz deutlich sagen zu hören: Das Schicksal ist immer gegen mich gewesen.
Sie dachte an Glace Bay und das kleine Fremdenheim, in dem sie aufgewachsen war. Sie erinnerte sich daran, wie verängstigt sie an ihrem ersten Schultag gewesen war: Fällt jemandem ein Wort ein, das mit F anfängt? Sie dachte an die Mieter, die ihr geholfen hatten.
Bill Rogers ... Anderer Leute Geld ... Und Charles Cohn ... »Ich esse nur koschere Speisen ... Würden Sie einen Mietvertrag für fünf Jahre mit mir abschließen, wenn es mir gelingt, dieses Grundstück zu erwerben? ... Nein, Lara. Es müßte ein Zehnjahresvertrag sein ...
Und Sean MacAllister ... für die Gewährung dieses Darle-hens müßte schon ein ganz besonderer Grund vorliegen ... Für dich ist's also das erste Mal, was?
Und Howard Keller ... Als erstes muß ich Ihnen sagen, daß Sie die Sache völlig falsch anpacken ... Ich möchte, daß du in Zukunft für mich arbeitest.
Und dann ihre Erfolge. Die herrlichen, glänzenden Erfolge. Und Philip. Ihr Ritter Lochinvar. Der Mann, den sie über alles liebte. Dieser Verlust schmerzte am meisten.
Eine Stimme rief ihren Namen. »Lara ...«
Sie drehte sich um.
Hinter ihr stand Jerry Townsend. »Carlos hat mir gesagt, daß Sie hier sind.« Er kam auf sie zu. »Tut mir leid, daß die Geburtstagsparty ausfallen mußte.«
Sie starrte ihn an. »Was ... was ist passiert?«
Er machte große Augen. »Hat Howard Ihnen das nicht gesagt?«
»Was hätte er mir sagen sollen?«
»Wegen der schlechten Publicity sind so viele Absagen gekommen, daß wir's für besser gehalten haben, die Party abzusagen. Ich hatte Howard gebeten, es Ihnen zu sagen.«
Mein Arzt hat mir geraten, Urlaub zu machen, Lara. Um es ganz ehrlich zu sagen: Ich habe in letzter Zeit Probleme mit meinem Gedächtnis.
»Macht nichts, Jerry«, sagte Lara leise. Sie sah sich ein letztes Mal in dem großen Ballsaal um. »Ich habe meine Viertelstunde gehabt, nicht wahr?«
»Wie bitte?«
»Nichts.« Sie bewegte sich in Richtung Ausgang.
»Kommen Sie bitte noch kurz mit nach oben ins Büro, Lara? Dort sind noch ein paar Sachen zu erledigen.«
»Gut, bringen wir's hinter uns.« Wahrscheinlich werde ich dieses Gebäude nie wieder betreten, dachte Lara.
Im Aufzug sagte Jerry: »Ich habe erfahren, daß Howard Keller ein umfassendes Geständnis abgelegt hat. Kaum zu glauben, daß er an allem schuld gewesen ist.«
Lara schüttelte den Kopf. »Ich bin an allem schuld gewesen, Jerry. Das werde ich mir nie verzeihen.«
»Nein, es ist nicht Ihre Schuld gewesen.«
Einsamkeit schlug wie eine Woge über ihr zusammen. »Jerry, falls Sie noch nicht zu Abend gegessen haben ...«
»Ich kann leider nicht, Lara. Ich bin noch verabredet.«
»Oh ... schon gut, Jerry.«
Die Aufzugtüren öffneten sich, und die beiden stiegen aus.
»Die Papiere, die Sie unterschreiben müssen, liegen im Konferenzraum«, sagte Jerry Townsend.
»Danke.«
Er ließ Lara den Vortritt. Als sie die Tür zum Konferenzraum öffnete, begannen vierzig Stimmen zu singen: »Happy birthday to you, happy birthday to you ...«
Lara blieb überrascht stehen. In dem Raum drängten sich Menschen, mit denen sie lange zusammengearbeitet hatte -Bauleiter, Architekten und Bauunternehmer. Charles Cohn war ebenso da wie Professor Myers, Horace Guttman, Kathy Turner und Jerry Townsends Vater. Aber Lara hatte nur Augen für Philip. Als er mit ausgestreckten Armen auf sie zukam, bekam sie plötzlich fast keine Luft mehr.
»Lara ...« Ihr Name klang wie eine Liebkosung.
Und dann lag sie in seinen Armen, bemühte sich, nicht in Tränen auszubrechen, und dachte: Endlich zu Hause! Hier gehöre ich her. Während sie ihn umarmte, wurde ihr still und friedlich zumute. Nur das hier zählt, sagte Lara sich.
Die Gäste umringten sie und schienen alle gleichzeitig auf sie einzureden.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag .«
»Du siehst wunderbar aus, Lara .«
»Bist du richtig überrascht gewesen ...?«
Lara wandte sich an Jerry Townsend. »Jerry, wie haben Sie
es bloß geschafft, so viele ...?« Er schüttelte den Kopf. »Philip hat alles arrangiert.« »Oh, Liebster!«
Kellner schoben Servierwagen mit Hors d'reuvres und Drinks herein.
»Was auch passiert - ich bin stolz auf dich, Lara!« sagte Charles Cohn. »Du hast davon geträumt, der Welt deinen Stempel aufzudrücken, und das hast du auch getan.«
»Daß ich noch lebe, verdanke ich dieser Frau«, versicherte Jerry Townsends Vater allen Gästen. »Ich auch«, stimmte Kathy lächelnd zu. »Kommt, wir trinken auf ihr Wohl!« schlug Jerry Townsend vor. »Auf den besten Boß, den ich je gehabt habe oder haben werde!«
Charles Cohn erhob sein Glas. »Auf ein wundervolles kleines Mädchen, das eine wunderbare Frau geworden ist!«
So gingen die Trinksprüche weiter, bis Philip an der Reihe war. Da er unmöglich alles sagen konnte, was ihn bewegte, beschränkte er sich auf sechs Worte: »Auf die Frau, die ich liebe!«
Lara hatte Tränen in den Augen und konnte kaum sprechen. »Ich . ich verdanke euch allen so viel«, begann sie stockend. »Und ich weiß, daß ich mich dafür niemals revanchieren kann. Deshalb möchte ich euch nur . « Ihre Stimme versagte für einen Augenblick. »Ich danke euch von Herzen!«
Sie wandte sich an Philip. »Vor allem danke ich dir, mein Liebster. Dies ist der schönste Geburtstag meines Lebens.« Dann fiel ihr plötzlich etwas ein. »Ich muß heute nacht nach Reno zurück!«
Philip zuckte grinsend mit den Schultern. »Nach Reno wollte ich immer schon mal .«
Eine Stunde später saßen sie in der Limousine, die sie zum Flughafen brachte. Lara hielt Philips Hand in der ihren und
dachte: Ich habe also doch nicht alles verloren. Und ich werde den Rest meines Lebens damit verbringen, wieder gutzumachen, was ich Philip angetan habe. Alles andere ist unwichtig. Wichtig ist in Zukunft nur, daß ich mit ihm zusammen bin und ihn umsorge. Mehr will ich gar nicht.
»Lara ...?«
Sie sah aus dem Fenster. »Halten Sie an, Max!«
Die Limousine bremste.
Philip musterte sie verständnislos. Sie hielten vor einem mit Unkraut überwucherten großen Grundstück. Lara starrte wie gebannt darauf.
»Lara .«
»Sieh nur, Philip! Sieh dir das an!«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Was denn?«
»Siehst du's nicht?«
»Was soll ich sehen?«
»Oh, das wird herrlich! Dort drüben in die Ecke kommt ein Einkaufszentrum! In die Mitte bauen wir Luxusapartments. Der Platz reicht für vier Gebäude. Jetzt siehst du's auch, nicht wahr?«
Er starrte sie wie hypnotisiert an.
Laras Stimme klang aufgeregt, als sie sich jetzt zu ihm umwandte. »Paß auf, ich habe schon einen Plan .«