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Also machte ich Urlaub in Chitwan. Wir wurden in aller Herrgottsfrühe von einem Landrover abgeholt, der schon mit Deutschen vollgestopft war, die darauf beharrten, keine Deutschen, sondern Bayern zu sein, und die Fahrer brachten uns in südwestliche Richtung ins Terai hinab, das Tiefland im südlichen Nepal, das zur Ganges-Ebene gehört. Früher hatte ich Fahrten in diese Richtung immer genossen, nach Pokhara und dem Wilden Westen Nepals; doch nun sah ich an der Straße nur verfallene Dörfer mit hungrigen Gesichtern, die in unsere Fenster starrten.

Wir erreichten das Ende der Straße, tief in den Boonies, und wurden von unserem Campverwalter Daubahal begrüßt, der besorgt aussah. Anscheinend hatte der Jeep des Camps seinen Geist aufgegeben. Das Camp befand sich auf der anderen Seite eines breiten, aber flachen Flusses, und ohne den Jeep konnten wir es nicht erreichen, und wir wußten auch nicht, wo wir die Nacht verbringen sollten. Es kam nicht in Frage, den Fluß mit dem Landrover zu durchqueren; er wäre abgesoffen. Daubahal, ein kleiner, eifriger Hindu, führte über ein Walkie-talkie ein eindringliches Gespräch, und nach vielleicht einer Stunde erschien am anderen Ufer ein Zug Elefanten, deren Führer hinter ihren Köpfen saßen. Sie durchwateten den Fluß langsam; an manchen Stellen reichte den Tieren das Wasser bis zu den Schultern. »Klasse«, sagte Freds. »Wir setzen auf Elefanten über.«

So war es dann auch. Die Elefanten knieten nieder, und wir stiegen die elastische Haut ihrer gebogenen Beine auf riesige Holzsättel hinauf, die man ihnen auf den Rücken geschnallt hatte. Diese Sättel waren eigentlich viereckige Plattformen mit Holzgeländern, die an den vier Ecken von hölzernen Pfosten gehalten wurden. Wir setzten uns, schlangen die Beine um die Pfosten und ließen die Arme über die Geländer baumeln, jeweils vier Personen pro Elefant, die Führer nicht eingerechnet, die den Tieren ein paar Schläge versetzten, nachdem wir aufgestiegen waren, damit sie sich erhoben, und dann ihre Rüssel hinaufkletterten und ihre Positionen hinter den Köpfen einnahmen. Und wir schwankten in den Fluß.

Ich saß zum ersten Mal auf dem Rücken eines Elefanten und war beeindruckt, wie groß sie waren und wie unregelmäßig wir uns bewegten. Die Plattform hatte kein Gelenk, und der Trott unseres Elefanten warf sie unberechenbar hin und her. Ich erfuhr, daß Elefanten beim Gehen ein Bein vorsetzen und es so steif wie einen Pfosten halten; wenn das Bein dann irgendwann hinter der Vertikalen ist, setzen sie es auf, und es gibt abrupt am Knie nach. Die Ecken der Plattform, die auf den vier höchsten Punkten des Geschöpfes sitzen, erheben sich langsam und fallen dann in einem Rhythmus, den ich nicht entschlüsseln konnte, mit dem aufsetzenden Bein ab. Es war eine zufällige Bewegung, als säßen wir auf einem kleinen Floß, und Wellen rollten aus jeder Richtung unter uns hinweg. Wenn man für die Seekrankheit anfällig war, konnte es einem Probleme bereiten, und nach einer Stunde oder so hatte jeder Passagier für den Rest des Tages Rückenschmerzen.

So zogen wir also in den Dschungel von Chitwan. Wir bewegten uns unter großen Bäumen einher; Daubahal erklärte uns, es seien Saal-Bäume. Sie wurden etwa zwölf oder fünfzehn Meter hoch und standen ziemlich weit auseinander. Unter ihnen war das Gebüsch ziemlich spärlich. Ich hatte mir den Dschungel anders vorgestellt, ein dichtes, üppiges Grün wie im Amazonas.

Wir stampften bei Sonnenuntergang in das Lager, das sich als angenehmer Kreis aus neuen Holzbungalows erwies, komplett mit Kieswegen, blühenden Büschen, einer Elefantenaufsitz-Plattform und einem Speisesaal mit einer großen Bar, die jeder augenblicklich aufsuchte. Es war die erste Bar im African Queen-Stil, die mir untergekommen war und die nicht unglaublich kitschig aussah, und wir kippten Mai-Tais und Fruchtpunsch-Kamikazes, bis es wirklich eine hervorragende Idee gewesen zu sein schien, hierher zu kommen, und gingen bei Laternenlicht zu Bett. Freds und ich teilten uns einen Bungalow.

Und eine Zeitlang schienen die Dinge zu sein, was zu sein sie vorgaben. Wir machten Urlaub im Dschungel. Als Kollege im nepalesischen Tourismus-Gewerbe tat mir Daubahal, der das Camp leitete, etwas leid. Oben im Himalaja hat man eine Menge zu tun, wenn man nur von einem Ort zum nächsten wandert; hier hockten wir einfach da und konnten nirgendwo hin. Man konnte nicht allein loswandern, da man sich im Dschungel zu leicht verirren konnte, und irgend etwas dort draußen mochte einen vielleicht niedertrampeln oder fressen. Der Jeep war außer Betrieb, so daß wir auch nicht auf den schmalen, unbefestigten Pfaden herumfahren konnte, die irgendwann einmal jemand ins Unterholz geschlagen hatte. Und der Hochsitz des Camps war aus irgendeinem Grund ein gutes Stück außerhalb des Bungalowkreises errichtet worden, so daß es riskant war, nachts zu ihm zu gehen; und er verfügte sowieso über kein Licht, so daß man sowieso keine nächtlichen Aktivitäten hätte beobachten können, wenn man sich dorthin gewagt hätte. Und da man tagsüber von ihm aus nichts sehen konnte, stand er unbenutzt herum.

Damit blieben Elefantenritte übrig. Jeden Morgen wurden wir bei Anbruch der Dämmerung geweckt und durften vor dem Frühstück auf einem Elefanten durch den Dschungel schaukeln. Es war, als hätte man ein paar Stunden auf einem nicht ganz funktionierenden bunten Metallpferd vor einem Supermarkt verbracht, auf einem, das hart und unregelmäßig schaukelte. Niemand, der älter als fünf Jahre ist, will noch auf so einem Ding reiten, und oft fragen sich sogar die kleinen Kinder mitten während ihres Ritts, ob die Sache nun wirklich Spaß macht oder nicht. Eine Stunde davon, und sie wissen es.

Angeblich ritten wir herum, um nach Tieren Ausschau zu halten, doch in Wirklichkeit sind die meisten Tiere ziemlich scheu und laufen davon, wenn sie einen kommen hören. Und so ein Elefantenritt ist nicht die beste Möglichkeit, sich an sie anzuschleichen. Und in der Tat sahen wir niemals ein Tier. Das heißt, abgesehen von einem Nashorn dann und wann. Anscheinend haben Nashörner schlechte Augen und Ohren, und nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, ist es um ihren IQ auch nicht besonders bestellt; man sieht ein Nashorn an und weiß sofort, warum die Dinosaurier ausgestorben sind. Es war gar kein Komet nötig, um die Burschen auszurotten.

Die Nashörner, auf die wir stießen, mochten unsere Elefanten nicht, und die Elefanten mochten die Nashörner nicht. Wann immer wir eins sahen, blieben die Elefanten stehen, und die Nashörner arbeiteten sich aus ihrem Schlammbad, standen dann da und blinzelten uns an. Wir wurden alle sehr still, und die Führer drängten ihre Tiere sanft in die Richtung des Nashorns, und dann waren wir nur noch zwanzig oder dreißig Meter von einem wirklich bizarren Tier mit dicker Gummihaut entfernt, einer Kreuzung zwischen einem Panzer und Mr. Magoo, mit dem Gesicht eines Dinosaueriers und einem sehr argwöhnischen Ausdruck, das dermaßen fehl am Platze wirkte, als hätte man es vom Boden des Meeres hochgezogen und dort ins Gras fallen lassen. Kein Geräusch bis auf das Klicken der Kameraverschlüsse. So ein seltsamer Anblick war die Elefantenritte fast wert.

Dann trottete das Nashorn davon, und wir schaukelten über Grasmeere zurück zum Lager, wo wir frühstückten und wieder ins Bett gingen. Nach einem üppigen Mittagessen saßen wir dann herum, beobachteten, wie Daubahal sich wand, und er ließ die Schultern hängen und sah auf sein Klemmbrett, und schließlich hob er seinen Kugelschreiber, als habe er gerade eine Idee gehabt, und sagte fröhlich: »Okay! Für heute nachmittag — Elefantenritt!« Und alle stöhnten laut auf und beschwerten sich über Nierenverletzungen oder darüber, daß ihre Versicherungen nicht für chiropraktische Schäden aufkamen, und die meisten weigerten sich und verbrachten den Nachmittag trinkend in der Bar, wie es jeder vernünftige Mensch getan hätte.

Doch Freds hatte natürlich einen Narren an den Elefantenritten gefressen. Und er überredete mich oft genug, ihn zu begleiten. Eigentlich war das gar nicht so schwer, da mir als ebenfalls im Tourismus tätiger Kollege Daubahal wirklich leid tat. Man neigt dazu, es persönlich zu nehmen, wenn die Kunden stöhnen und spotten und die Nase über die geplanten Aktivitäten rümpfen. Also stiegen wir die Stufen der Aufsitzplattform hoch, gingen an Bord und ritten den ganzen Nachmittag auf einem Elefanten durch den Dschungel — ziellos, unbequem und gelangweilt.

Doch ich muß eingestehen, daß die Ritte manchmal auch etwas für sich hatten. Wir erfuhren, daß der Dschungel von Chitwan ausgeprägte Zonen hatte; eine Menge davon bestand als Saalwald, aber es gab auch dichtere Knoten aus kleinerem Unterholz und Bäumen; Bambusdickichte; offene Streifen mit Elefantengras, das seinen Namen zurecht trug, da es aussah wie normales Gras, aber fünf Meter hoch war (Freds sagte: »Wenn ich mir mal in einer Vorstadt ein Haus kaufe, pflanze ich dieses Zeug an, kannst du dir das vorstellen?«); und eine Reihe offener Geröllzonen, die von flachen Flüssen umsäumt wurden. Gelegentlich stießen wir auf ein Nashorn oder sahen, wie ein aufgeschrecktes Reh davonlief. Einmal erhaschten wir einen Blick auf einen Schakal. Bunte Vögel blitzen vorbei, darunter auch ein blaues und bronzefarbenes Ding, das aussah, als bestünde es aus Juwelen. Und an einem Flußufer fanden wir, tief in den Sand eingedrückt, perfekte Spuren eines Tigers. Der Abdruck einer Katzenpfote, so groß wie meine ausgestreckte Hand. »Mein Gott«, sagte Freds und beugte sich über das Geländer, bis er fast runterfiel. »Das ist aber eine große Tatze, was?« Die Bayern machten Fotos von den Spuren; näher würden wir in unserem Lager einem Tiger nicht kommen, und als ich zu den Abdrücken hinabsah, tat es mir nicht leid.

Und dann, als wir eines Nachmittags bei Sonnenuntergang nach Hause stapften, kamen wir zu einer Lichtung an einem Fluß und konnten im Norden einen Hügelzug sehen, einen der ersten Ausläufer des Himalaja, bloße grüne Hügel, aber wahrscheinlich trotzdem dreieinhalbtausend Meter hoch, und während ich hinübersah, kam mir in den Sinn, daß ich mich auf der indischen tektonischen Platte befand, während dieser Hügelzug auf der asiatischen Platte lag, und ich konnte es gewissermaßen sehen, gewissermaßen die Kollision spüren (ein stoßendes und knirschendes Auf und Ab), und die letzten Sonnenstrahlen färbten die Luft mit einem dunklen, rauchigen Rot und das Elefantengras bronze, und Freds sah mich mit seinem verrückten Grinsen an, und ich verspürte bis in die Knochen ein leises Glühen. Ich hätte in diesem Augenblick in einem Verkehrsstau auf einem Freeway in L. A. stecken können, doch statt dessen war ich mitten in Asien, auf dem Rücken eines Elefanten im Dschungel. Ich konnte nicht anders, ich mußte Freds’ Grinsen einfach erwidern.

Abgesehen von den Schäden, die man sich zuzog, wenn man in nur drei Tagen zwölf Stunden auf einem Elefantenrücken verbringt, war unser Urlaub im Royal Chitwan Jungle Camp also wirklich in Ordnung. Verglichen mit dem, was ich durchgemacht hatte, als ich Freds die letzten paar Male begleitete, war es in der Tat die reinste Erholung. Das machte mich natürlich überaus nervös. Als nichts Außergewöhnliches geschah, wuchs in mir Nacht für Nacht der Argwohn und der allgemeine Schrecken. Die winzigsten Zwischenfälle nährten meine Beunruhigung — Freds verschwand zum Beispiel einen Nachmittag lang. Oder als er mit einem der Elefantenführer sprach. »Freds, ich dachte, du hast gesagt, du sprichst kein Nepalesisch.«

»Tu’ ich auch nicht, George, ich spreche Tibetanisch.«

»Dann ist dieser Elefantenführer wohl Tibetaner.«

»Richtig.«

Ein tibetanischer Elefantenführer. Grund zum Nachdenken.

Ich tat dies, eines Abends in der Bar, und es machte mich noch nervöser. Um ein namenloses Entsetzen zu unterdrücken, griff ich auf eine Sturznarkose mit den Kamikaze-Drinks zurück und fühlte mich schon bald besser. Dann hatte es jedoch den Anschein, daß ich mich etwas zu gut fühlte, und ich taumelte zu unserem Bungalow und legte mich flach.

Ich weiß nicht, wieviel später Freds mich weckte, indem er mich aus dem Bett zu Boden rollte. Irgendwann mitten in der Nacht; ich war immer noch betrunken, so sehr, daß ich mich nicht erinnerte, wo ich war. Doch als Freds »Na, komm’ schon, George, ich brauche deine Hilfe!« sagte, hatte ich noch genug Grips beisammen, um »Nein!« zu rufen und zu versuchen, unter das Bett zu kriechen.

Doch Freds zerrte mich wieder hervor. Leider hatte ich mich mit meinen Kleidern schlafen gelegt, und er rammte meine Füße in die Stiefel. »Komm schon«, sagte er mit einem aufgeregten Flüstern. »Du sollst nur eine Stunde oder so auf Sunyash aufpassen, während Dawa und ich uns in dieser Höhle umsehen, die wir gefunden haben.«

»Sunyash?«

»Du weißt schon, der größte Elefant.«

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