Frederic und Claudette Pendarvis gingen gemeinsam durch den Dachgarten hinunter zur Landeplattform, und Claudette hielt wie immer inne, um eine Blume abzuschneiden und sie ihm ans Revers zu heften.
»Werden die Fuzzys vor Gericht auftreten?« fragte sie.
»Oh, das werden sie wohl müssen. Ich weiß nicht, wie es heute morgen sein wird; heute geht’s nämlich hauptsächlich um Formalitäten.« Er zog eine Grimasse, die halb ein Lächeln und halb ein Stirnrunzeln war. »Ich weiß noch nicht, ob ich sie als Zeugen oder als Beweisstücke betrachten soll, und ich hoffe, daß man nicht von mir verlangt, darüber gleich zu Anfang eine Entscheidung zu treffen. Was ich nämlich auch tun würde, entweder würden Coombes oder Brannhard mir vorwerfen, etwas zu präjudizieren.«
»Ich möchte sie sehen. Ich habe sie auf dem Bildschirm gesehen, aber ich möchte sie in der Wirklichkeit erleben.«
»Du bist schon lange nicht mehr in einer meiner Verhandlungen gewesen, Claudette. Wenn es sich herausstellt, daß sie heute vor Gericht gebracht werden, rufe ich dich an. Ich werde sogar meine Stellung insofern mißbrauchen, daß ich arrangiere, daß du sie außerhalb des Gerichtssaals erleben kannst. Hättest du dazu Lust?«
Natürlich; Claudette hatte an solchen Dingen ungeheuren Spaß. Sie küßten sich zum Abschied, dann ging er zu seinem Gleiter, dessen Tür der Fahrer bereits aufhielt. Aus dreihundert Meter Höhe sah er zurück — sie stand immer noch auf dem Dachgarten und winkte ihm nach.
Er würde sich erkundigen müssen, ob sie gefahrlos kommen konnte. Max Fane machte sich Sorgen, daß es Unruhen geben könnte, und Ian Ferguson teilte diese Befürchtung — beide waren sie keine Männer, die an zwanghaften Einbildungen litten. Als sich sein Gleiter auf das Gerichtsgebäude herabsenkte, sah er, daß Soldaten auf dem Dach postiert waren, die nicht nur Pistolen trugen — er sah Gewehrläufe und Helme in der Sonne blinken. Dann, als der Gleiter gelandet war, sah er, daß ihre Uniformen von einem helleren Blau als die der Konstabler waren. Schaftstiefel und rotgestreifte Hosen — das waren Angehörige der Raumflotte. Ian Ferguson hatte also tatsächlich Alarm gegeben. Er überlegte kurz, ob Claudette hier vielleicht in größerer Sicherheit als zu Hause war.
Ein Sergeant und zwei Männer kamen auf ihn zu, als er ausstieg. Der Sergeant tippte an den Schirm seiner Mütze.
»Richter Pendarvis? Guten Morgen, Sir.«
»Guten Morgen, Sergeant. Warum bewacht die Föderationsflotte das Gerichtsgebäude?«
»Wir halten uns in Bereitschaft. Befehl von Commodore Napier. Sie werden feststellen, daß Marshal Fanes Leute weiter unten das Kommando haben, aber Flotten-Captain Casagra und Captain Greibenfeld von der Navy erwarten sie in Ihrem Büro.«
Die Offiziere in seinem Büro waren beide bewaffnet. Desgleichen Marshal Fane, der ihn ebenfalls erwartete. Sie erhoben sich alle, um ihn zu begrüßen, setzten sich wieder, als er hinter seinem Tisch war. Er stellte ihnen die gleiche Frage, die er auf dem Dach dem Sergeanten gestellt hatte.
»Nun, Colonel Ferguson hat gestern abend Commodore Napier um Beistand gebeten, Euer Ehren«, sagte der Offizier in der schwarzen Flottenuniform. »Er äußerte den Verdacht, daß die Stadt infiltriert worden sei. Dieser Verdacht war völlig gerechtfertigt, Euer Ehren; seit Mittwoch nachmittag hat Captain Casagra auf Anweisung Commodore Napiers hier ein Landekommando durchgeführt und damit Vorbereitungen getroffen, die Residenz zu besetzen. Diese Aufgabe ist jetzt erfüllt — Commodore Napier ist hier, und Generalresident Emmert und Generalstaatsanwalt O’Brien befinden sich wegen verschiedener Fälle von Korruption und Amtsmißbrauch in Haft. Damit werden sich Euer Ehren aber nicht zu befassen haben. Man wird die beiden für ihren Prozeß nach Terra schicken.«
»Dann hat Commodore Napier die Zivilregierung abgelöst?«
»Nun, sagen wir, daß er sie kontrolliert; das hängt ganz vom Ausgang dieses Verfahrens ab. Wir möchten wissen, ob die augenblickliche Administration legal ist oder nicht.«
»Dann werden Sie sich in die eigentliche Verhandlung nicht einmischen?«
»Kommt darauf an, Euer Ehren. Wir werden auf jeden Fall daran teilnehmen.« Er sah auf seine Uhr. »Sie eröffnen die Verhandlung erst in einer Stunde? Dann werde ich vielleicht noch Zeit haben, etwas zu erklären.«
Max Fane traf mit ihnen vor der Tür zum Gerichtssaal zusammen und grinste freudig. Dann entdeckte er Baby Fuzzy auf Jacks Schulter und schaute zweifelnd drein.
»Ich weiß nicht recht, Jack. Ich glaube nicht, daß er im Gerichtssaal zugelassen wird.«
»Unsinn«, erklärte Brannhard ihm. »Ich gebe ja zu, daß er ein unmündiges Kind und ein unbedarfter Eingeborener ist, aber er ist der einzige Überlebende der Familie der verstorbenen Goldlöckchen, und als solcher hat er ein Recht, der Verhandlung beizuwohnen.«
Bis zur Eröffnung der Verhandlung war noch eine halbe Stunde Zeit, aber die Zuschauerbänke waren bereits voll und ebenso der Balkon. Auf den Geschworenenbänken hatte eine Anzahl Offiziere in schwarzen und blauen Uniformen Platz genommen. Da dies kein Geschworenengericht war, hatten sie die Bänke offensichtlich mit Beschlag belegt. Auch die Pressebänke waren mit Menschen und Geräten überfüllt.
Baby schaute interessiert auf den großen Bildschirm hinter dem Richtersessel; von hier aus erfolgte die Übertragung der Verhandlung für die Öffentlichkeit, gleichzeitig zeigte der Bildschirm aber auch wie ein Spiegel den Zuschauern die gleiche Szene. Es dauerte nicht lange, bis Baby sich auf dem Bild erkannt hatte, woraufhin er begann, erregt mit den Armen zu fuchteln. In diesem Augenblick gab es an der Eingangstür etwas Unruhe und einen Auflauf, und Leslie Coombes kam herein, gefolgt von Ernst Mallin und zwei seiner Assistenten, Ruth Ortheris, Juan Jimenez — und Leonhard Kellogg.
Coombes blickte zu dem Tisch, wo Jack und Brannhard saßen, entdeckte Baby, der sich selbst in dem großen Fernsehschirm zuwinkte und wandte sich protestierend an Fane. Fane schüttelte den Kopf, Coombes protestierte erneut, erntete aber nur ein weiteres Kopf schütteln. Schließlich zuckte er die Schultern und führte Kellogg an den für sie reservierten Tisch, wo sie Platz nahmen.
Sobald Pendarvis und seine beiden Richterkollegen — ein kleiner Mann mit einem runden Gesicht zu seiner Rechten, ein hochgewachsener schlanker Mann mit weißem Haar und einem schwarzen Bart zu seiner Linken — Platz genommen hatten, begann die Verhandlung sofort. Die Anklagen wurden verlesen, und dann wandte Brannhard als der Ankläger Kelloggs sich an das Gericht.
»… bekannt als Goldlöckchen, Angehörige einer intelligenten Rasse… absichtliche Tat, begangen von Leonhard Kellogg… brutaler, ungerechtfertigter Mord.« Er trat einen Schritt zurück und lehnte sich an den Tisch, wobei er mit Baby Fuzzy spielte, während Leslie Coombes Jack Holloway des brutalen Angriffs auf den besagten Leonhard Kellogg bezichtigte und ihm vorwarf, Kurt Borch rücksichtslos niedergeschossen zu haben.
»Nun, meine Herren, ich denke, wir können jetzt mit der Vernehmung der Zeugen beginnen«, sagte der Oberrichter. »Wer beginnt?«
Gus gab Baby Fuzzy an Jack und trat vor; Coombes stellte sich neben ihn.
»Euer Ehren, dieser ganze Prozeß hängt von der Frage ab, ob ein Angehöriger der Spezies Fuzzy Fuzzy Holloway Zarathustra ein vernunftbegabtes Wesen ist oder nicht«, sagte Gus. »Wir sollten jedoch, bevor wir versuchen, diese Frage zu klären, durch Zeugenaussagen feststellen, was in Holloways Lager im Cold Creek Tal am Nachmittag des neunzehnten Juni des Jahres sechshundertvierundfünfzig der Atomära geschah. Sobald darüber Klarheit besteht, können wir uns der Frage widmen, ob das genannte Goldlöckchen ein vernunftbegabtes Wesen war oder nicht.«
»Ich bin einverstanden«, sagte Coombes. »Die meisten der Zeugen werden später noch einmal aufgerufen werden müssen, aber im allgemeinen ist Mr. Brannhards Vorschlag im Zusammenhang mit der Zeitökonomie zu begrüßen.«
Ein Beamter trat vor, nahm einige Schaltungen am Zeugenstuhl vor, dann leuchtete eine Kugel von etwa sechzig Zentimeter Durchmesser, die in einem Gestell schwebte, in hellem Blau auf. George Lunts Name wurde aufgerufen; der Lieutenant setzte sich in den Stuhl, der Helm des Lügendetektors wurde ihm übergestülpt, die Elektroden befestigt.
Die Kugel blieb ruhig und blau, während er seinen Namen und Dienstgrad angab. Dann wartete er, während Coombes und Brannhard miteinander verhandelten. Schließlich zog Brannhard ein silbernes Halbsolstück aus der Tasche, schüttelte es in seinen Händen und schlug es mit der rechten Hand auf das linke Handgelenk. »Kopf«, sagte Coombes, Brannhard hob seine Hand, verbeugte sich leicht und ließ dem anderen den Vortritt.
»Also, Lieutenant Lunt«, begann Coombes. »Als sie in dem provisorischen Lager gegenüber Holloways Camp eintrafen, was fanden Sie dort vor?«
»Zwei tote Leute«, sagte Lunt. »Einen terranischen Menschen, der durch drei Schüsse in die Brust getötet worden war, und einen Fuzzy, den man zu Tode getrampelt hatte.«
»Euer Ehren!« brauste Coombes auf. »Ich muß darauf bestehen, daß der Zeuge aufgefordert wird, seine Antwort neu zu formulieren, und daß die eben gegebene Antwort aus dem Protokoll gestrichen wird. Unter den gegebenen Umständen hat der Zeuge kein Recht, die Fuzzys als ›Leute‹ zu bezeichnen.«
»Euer Ehren«, wandte Brannhard ein. »Mr. Coombes Einspruch ist nicht weniger voreingenommen. Er hat kein Recht, unter den gegebenen Umständen zu behaupten, die Fuzzys wären keine ›Leute‹. Das liefe darauf hinaus, den Zeugen zu zwingen, von den Fuzzys als von unvernünftigen Tieren zu sprechen.«
So ging es fünf Minuten lang hin und her. Jack kritzelte derweil auf einem Stück Papier herum. Baby griff sich auch einen Stift und ahmte ihn nach. Die Zeichnungen sahen den Knoten ähnlich, die er zu binden gelernt hatte. Schließlich griff das Gericht ein und bat Lunt, mit eigenen Worten zu berichten, warum er zu Holloways Lager geflogen war, was er dort gefunden hatte, was man ihm erzählt hatte und was er getan hatte. Einen kleineren Streit zwischen Brannhard und Coombes gab es an einer Stelle noch, worin nämlich der Unterschied zwischen Hörensagen und res gestae liegt. Als er seine Aussage beendet hatte, sagte Coombes: »Keine weiteren Fragen.«
»Lieutenant, Sie haben Leonhard Kellogg auf eine von Jack Holloway vorgebrachte Anzeige wegen Mordes festgenommen. Ich nehme an, daß Sie diese Anzeige als berechtigt ansahen?«
»Jawohl, Sir. Ich war in dem Glauben, daß Leonhard Kellogg ein vernunftbegabtes Wesen umgebracht hat. Nur intelligente Wesen begraben ihre Toten.«
Dann sagte Ahmed Khadra aus, nach ihm die beiden Beamten, die mit dem anderen Gleiter gekommen waren. Brannhard rief auch Ruth Ortheris auf, und nach einigen vergeblichen Einsprüchen von Coombes wurde ihr gestattet, ihre Version der Geschehnisse zu berichten. Als sie ihre Aussage gemacht hatte, klopfte der Oberrichter mit seinem Hämmerchen auf den Tisch.
»Ich glaube, daß mit dieser letzten Aussage die Tatsache bestätigt wurde, daß das Wesen, das uns hier unter dem Namen Goldlöckchen bekannt ist, wirklich von dem Beklagten Leonhard Kellogg zu Tode getrampelt wurde und daß der Mensch namens Kurt Borch tatsächlich von Jack Holloway niedergeschossen wurde. Unter diesen Umständen können wir und jetzt der Frage zuwenden, ob diese beiden Todesfälle tatsächlich im Sinne des Gesetzes als Mord einzustufen sind. Es ist jetzt elf Uhr vierzig, wir vertagen die Sitzung für eine Mittagspause. Das Gericht tritt um vierzehn Uhr wieder zusammen. Es sind da einige Dinge, darunter auch Änderungen im Gerichtssaal, vorzunehmen, die vor der Nachmittagssitzung erledigt werden müssen… Ja, Mr. Brannhard?«
»Euer Ehren, im Augenblick ist nur ein Mitglied der Fuzzy-Spezies im Gerichtssaal anwesend.« Er hob Baby auf und hielt ihn hoch. »Wenn wir die Frage der Vernunft oder Nichtvernunft dieser Wesen erörtern, wäre es da nicht vorteilhafter, auch die übrigen Fuzzys aus dem Hotel Mallory herüberkommen zu lassen, damit sie uns zur Verfügung stehen?«
»Nun, Mr. Brannhard«, antwortete Pendarvis ihm. »Wir werden die Fuzzys ganz sicher dem Gericht vorführen, aber bitte warten Sie damit noch, bis das Gericht wieder zusammengetreten ist. Vielleicht benötigen wir sie heute nachmittag noch nicht.« Er klopfte wieder auf den Tisch. »Die Verhandlung ist bis vierzehn Uhr vertagt.«
»Einige Veränderungen im Gerichtssaal« war recht vorsichtig ausgedrückt. Vier Reihen Zuschauersitze waren entfernt worden, ein Trenngatter war zurückgenommen worden. Der Zeugenstand, ursprünglich neben der Richterbank angeordnet, war an das Trenngitter geschoben worden und stand jetzt der Richterbank gegenüber. Darüber hinaus hatte man eine große Anzahl von Tischen hereingebracht und halbkreisförmig um den Zeugenstand angeordnet. Jeder, der an den Tischen saß, hatte jetzt die Richter vor sich und konnte auch sonst das Geschehen im ganzen Saal verfolgen, indem er auf den Bildschirm sah. Ein Zeuge im Zeugenstand konnte auf die gleiche Art und Weise den Lügendetektor einsehen. Gus Brannhard sah sich um, als er eintrat.
»Kein Wunder, daß sie uns zwei Stunden Mittagpause gelassen haben«, sagte er zu Jack. »Ich möchte wissen, wessen Idee das war.« Er lachte. »Sieh mal Coombes — ihm scheint das gar nicht zu gefallen.«
Ein Beamter mit einem Sitzplan kam auf sie zu.
»Mr. Brannhard, Sie und Mr. Holloway dort drüben den Tisch am äußersten rechten Ende. Dr. van Riebeek und Dr. Rainsford hier herüber, bitte.«
Der Lautsprecher des Gerichtsdieners über ihnen gab zwei scharfe Pfiffe von sich und plärrte:
»Achtung, Achtung! Das Gericht trifft in fünf Minuten zusammen…«
Brannhards Kopf flog herum, und Jacks Blick folgte ihm. Der Ausrufer war ein Offizier in der Uniform der Raumflotte.
»Was zum Teufel soll das?« fragte Brannhard. »Befinden wir uns in einem Kriegsgericht?«
»Das habe ich mich auch gefragt, Mr. Brannhard«, sagte der Beamte. »Die haben ja inzwischen den gesamten Planeten übernommen, wissen Sie.«
»Vielleicht haben wir Glück, Gus«, sagte Jack. »Ich habe immer gehört, daß man als Unschuldiger vor einem Kriegsgericht besser wegkommt, als Schuldiger eher vor einem Zivilgericht.«
Er sah, daß Leslie Coombes und Leonhard Kellogg an einem ähnlichen Tisch wie dem ihren am anderen Ende der Reihe plaziert wurden. Gus sah zur Balustrade hinauf.
»Ich wette, jeder Anwalt auf diesem Planeten verfolgt die Übertragung«, sagte er. »Oh! Siehst du die weißhaarige Dame in dem blauen Kleid, Jack? Das ist Richter Pendarvis’ Frau. Es ist das erstemal seit Jahren, daß sie im Gerichtssaal erscheint.«
»Achtung, Achtung! Bitte erheben Sie sich für das ehrenwerte Gericht!«
Jemand mußte dem Offizier einen Schnellkurs in gerichtsüblicher Phraseologie gegeben haben. Jack stand auf, hielt dabei Baby Fuzzy im Arm, während die drei Richter hereinkamen und ihre Plätze einnahmen. Kaum daß sie sich gesetzt hatten, ertönte wieder der Hammer des Oberrichters.
»Um möglichen Einsprüchen zuvorzukommen, möchte ich mitteilen, daß die hier vorgenommenen Änderungen nur provisorischer Art sind, ebenso wie der Ablauf des nachfolgenden Geschehens. Wir verhandeln im Augenblick nicht gegen Jack Holloway oder Leonhard Kellogg. Für den Rest dieses Tages, und, so fürchte ich, noch für viele Tage, werden wir uns ausschließlich damit befassen, die Intelligenzstufe der Spezies Fuzzy Fuzzy Holloway Zarathustra zu bestimmen.
Aus diesem Grund werden wir eine Zeitlang auf einige traditionelle Gerichtsgepflogenheiten verzichten. Wir werden Zeugen aufrufen, wobei Aussagen, soweit nötig, in der bisherigen Weise unter dem Detektor gemacht werden. Wir werden auch eine allgemeine Diskussion führen, an der alle teilnehmen können, die an diesen Tischen sitzen. Ich hoffe, diese Diskussion läuft diszipliniert ab, so daß jeder ausreden kann.
Ihnen wird inzwischen auch aufgefallen sein, daß einige Offiziere von der Flottenbasis auf Xerxes anwesend sind, und ich gehe davon aus, daß Sie auch wissen, daß Kommodore Napier die Zivilregierung unter Kontrolle genommen hat. Captain Greibenfeld, würden Sie sich bitte erheben? Er nimmt hier als amicus curiae teil und hat das Recht, Zeugen zu befragen und dieses Recht an jeden seiner Offiziere abzutreten. Mr. Coombes und Mr. Brannhard können dies ebenfalls tun, wenn sie es für nötig halten.«
Coombes sprang sofort auf. »Euer Ehren, wenn wir jetzt die Frage klären sollen, ob Fuzzys vernunftbegabte Wesen sind oder nicht, möchte ich vorschlagen, daß wir als ersten Tagesordnungspunkt versuchen, eine akzeptable Definition des Begriffs Vernunft vorzunehmen. Ich für meinen Teil würde gern erfahren, was der Ankläger Kelloggs und Verteidiger Holloways darunter versteht.«
Da war es also — sie wollen, daß wir es definieren.
Gerd van Riebeek sah besorgt drein; Ernst Mallin lächelte süffisant. Gus Brannhard jedoch schien sich zu freuen.
»Jack, die haben genausowenig eine Definition wie wir«, flüsterte er.
Captain Greibenfeld erhob sich ein zweites Mal.
»Euer Ehren, wir haben uns im Stützpunkt Xerxes während des vergangenen Monats mit genau dieser Frage beschäftigt. Uns liegt sehr daran, die Klassifikation dieses Planeten festzustellen, und wir sind auch der Ansicht, daß dies nicht das letztemal sein wird, daß die Frage, ob vernünftig oder nicht, aufkommen wird. Ich glaube, Euer Ehren, daß wir eine solche Definition gefunden haben. Bevor wir aber mit der Diskussion beginnen, möchte ich das Gericht um Erlaubnis bitten, eine Demonstration vorzunehmen, die uns allen beim Verständnis der angesprochenen Probleme helfen soll.«
»Captain Greibenfeld hat diese Demonstration bereits mit mir besprochen, sein Antrag findet meine Zustimmung. Bitte, fahren Sie fort, Captain«, sagte der Oberrichter.
Greibenfeld nickte, worauf ein Gerichtsbeamter eine Tür rechts neben der Richterbank öffnete. Seine Raumsoldaten kamen herein, trugen Kisten vor sich her. Einer trat vor den Richtertisch, der andere begann, an den Tischen kleine, batteriebetriebene Hörgeräte auszuteilen.
»Bitte, stecken Sie sie sich ins Ohr und schalten Sie die Geräte ein«, sagte er. »Danke.«
Baby Fuzzy versuchte, Jacks Gerät zu erwischen, aber Jack steckte sich den Apparat ins Ohr und schaltete ihn ein. Sofort hörte er Geräusche, wie er sie noch nie zuvor vernommen hatte, und Baby sagte zu ihm: »fle-inta sa-wa’aka; igga sa geeda?«
»Mein Gott, Gus, er spricht!«
»Ja, ich höre es. Was soll…?«
»Ultraschall; mein Gott, warum sind wir nicht längst darauf gekommen?«
Er schaltete das Gerät wieder ab. Baby Fuzzy sagte:
»Quiek«. Als er es wieder anstellte, sagte Baby: »Kukk-ina za zeeva.«
»Nein, Baby, Pappi Jack versteht dich nicht. Wir müssen sehr geduldig sein und unser beider Sprachen lernen.«
»Pa-pii dschek!« schrie Baby. »Ba-bii za-hinga; Pa-pii dschek za zag ga he-izza!«
»Dieses Quieken ist nur der hörbare Teil ihrer Sprache. Ich wette, in unseren Stimmen gibt es auch eine Menge Ultraschallaute.«
»Nun, er kann uns verstehen; er hat seinen und deinen Namen verstanden.«
»Mr. Brannhard, Mr. Holloway«, mischte sich Richter Pendarvis ein. »Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Haben Sie jetzt alle Ihre Hörgeräte wieder eingeschaltet? Gut, fahren Sie fort, Captain.«
Diesmal ging ein Kadett hinaus und kam mit ein paar Soldaten zurück, die sechs Fuzzys trugen. Sie setzten sie in den freien Raum zwischen der Richterbank und dem Halbkreis von Tischen und traten zurück. Die Fuzzys drängten sich zusammen und sahen sich um, und Jack starrte sie ungläubig an. Das war doch unmöglich — sie existierten doch gar nicht mehr. Aber da standen sie — Little Fuzzy und Mama Fuzzy, Mike und Mitzi und Ko-Ko und Cinderella. Baby quiekte auf und sprang vom Tisch. Mama rannte ihm entgegen und preßte ihn mit ihren Armen fest an sich. Dann sahen sie ihn alle und begannen zu schreien: »Pa-pii dschek! Pa-pii dschek!«
Jack war sich gar nicht bewußt, daß er aufgestanden war, und plötzlich fand er sich am Boden mitten in seiner Familie wieder, und die Kleinen drängten sich um ihn, klammerten sich an ihn und quiekten vor Freude. Wie aus weiter Ferne hörte er, wie der Richter Pendarvis auf seinen Tisch klopfte und sagte: »Das Gericht zieht sich für zehn Minuten zurück!« Inzwischen war Gus bei ihm, nahm auch einige Fuzzys auf den Arm, dann trugen sie die ganze Familie zu ihrem Tisch hinüber.
Die Fuzzys taumelte und schwankten ein wenig und konnten sich nicht richtig auf den Beinen halten. Für einen kurzen Augenblick machte ihm das Sorgen, dann wurde ihm klar, daß sie nicht unter Drogen standen oder krank waren — sie hatten sich für kurze Zeit in geringer Schwerkraft befunden und sich noch nicht an ihr normales Gewicht gewöhnt. Jetzt wurde ihm klar, warum er keine Spur von ihnen gefunden hatte. Er bemerkte, daß jeder Fuzzy eine kleine Schultertasche trug — ein Sanitätspäckchen der Flotte — die an einem Band befestigt war. Warum hatte er nicht selbst daran gedacht, ihnen so etwas zu basteln? Er berührte eine Tasche, während er sie ansprach, und sie antworteten ihm erregt und öffneten ihre Taschen, um ihm zu zeigen, was sie alles darin aufbewahrten — kleine Messer und Werkzeuge und bunten Kram aller Art. Little Fuzzy zog eine kleine Pfeife aus Hartholz hervor, dazu einen Tabaksbeutel und begann, die Pfeife zu stopfen. Schließlich holte er ein kleines Feuerzeug hervor.
»Euer Ehren!« rief Gus. »Ich weiß, daß das Gericht sich zurückgezogen hat, aber bitte achten Sie auf das, was Little Fuzzy tut!«
Little Fuzzy knipste sein Feuerzeug an und hielt die Flamme an den Pfeifenkopf, sog den Rauch ein.
Auf der anderen Seite des Raumes schluckte Leslie Coombes ein oder zweimal und schloß die Augen.
Als Pendarvis die Sitzung wieder eröffnet hatte, sagte er:
»Meine Damen und Herren, Sie haben jetzt Captain Greibenfelds Demonstration gesehen. Sie haben gehört, daß diese Fuzzys Laute von sich gaben, die wie Sprache klangen. Und Sie haben erlebt, wie einer von ihnen sich eine Pfeife angezündet hat. Eigentlich ist das Rauchen vor Gericht zwar untersagt, aber während dieser Verhandlung werden wir zugunsten der Fuzzys eine Ausnahme machen. Ich hoffe, andere Anwesende fühlen sich dadurch nicht benachteiligt.«
Wieder war Leslie Coombes blitzschnell aufgestanden.
»Euer Ehren, ich habe heute morgen bereits schon einmal dagegen protestiert, diese Wesen mit anderen Leuten gleichzustellen. Ich muß noch entschiedener dagegen protestieren, daß auch das Gericht dies jetzt tut. Ja, ich habe gehört, wie diese Fuzzys Geräusche gemacht haben, die man irrtümlich für eine Sprache halten kann, aber ich bestreite, daß es sich tatsächlich um eine solche handelt. Was den Trick mit dem Feuerzeug betrifft, so will ich behaupten, daß ich ihn jedem terranischen Primaten oder einem freyanischen Kolph innerhalb von dreißig Tagen auch beibringe.«
Greibenfeld erhob sich.
»Euer Ehren, wir haben in den vergangenen dreißig Tagen, während die Fuzzys sich in unserem Stützpunkt auf Xerxes befanden, ein Wörterbuch mit etwa einhundert Fuzzyvokalen zusammengestellt, die alle ihrer Bedeutung nach klar sind. Dazu kommt noch eine große Zahl, deren Bedeutung wir noch nicht ergründet haben. Und was diesen sogenannten Trick mit dem Feuerzeug betrifft, so hat Little Fuzzy — wir kannten diesen Namen bisher nicht und nannten ihn M2 — ihn sich allein beigebracht. Wir haben ihn auch nicht gelehrt, Pfeife zu rauchen. Das kannte er schon, ehe wir etwas mit ihm zu tun hatten.«
Jack erhob sich, während Greibenfeld noch sprach. Als der Flotten-Kapitän geendet hatte, sagte er:
»Captain Greibenfeld, ich möchte Ihnen und Ihren Leuten danken, daß Sie für die Fuzzys gesorgt haben. Und ich bin sehr froh darüber, daß Sie gelernt haben, ihre Sprache zu hören, und danke Ihnen für all die schönen Dinge, die Sie ihnen geschenkt haben. Warum aber haben Sie mich nicht verständigt, daß sie sich in Sicherheit befanden? Der vergangene Monat war nicht sehr glücklich für mich.«
»Ich weiß das, Mr. Holloway, und wenn es Ihnen ein wenig hilft, so kann ich sagen, daß wir das sehr bedauert haben. Wir konnten allerdings nicht das Risiko eingehen, unseren Agenten auffliegen zu lassen, der die Fuzzys am Morgen nach ihrer Flucht aus dem Wissenschaftszentrum geschmuggelt hat. Als Sie und Marshal Fane mit dem Durchsuchungsbefehl dort auftauchten, befanden sie sich bereits auf einer unserer Raketen zum Xerxes. Jetzt können wir, und darüber bin ich froh, offen über die Angelegenheit sprechen.«
»Nun, Captain Greibenfeld«, sagte der Oberrichter, »ich nehme an, daß Sie weiteres Beweismaterial über die Beobachtungen und Untersuchungen, die Sie und Ihre Leute auf Xerxes angestellt haben, vorlegen möchten. Für das Protokoll möchte ich aber doch aufnehmen, wann und wie sie dort gemacht wurden.«
»Jawohl, Euer Ehren. Rufen Sie bitte den vierten Namen auf der Liste auf, die ich Ihnen übergab.«
Der Oberrichter griff nach einem Zettel. »Lieutenant Ruth Ortheris, TFN-Reserve«, rief er.
Diesmal schaute Jack Holloway in den großen Bildschirm, in dem er jeden sehen konnte. Coombes Gesicht war einen Augenblick lang starr und totenblaß. Ernst Mallin zitterte vor Wut, während Ben Rainsford mit gleicher Intensität neben ihm grinste. Als Ruth vor den Richtertisch trat, bereiteten ihr die Fuzzys Ovationen; sie erinnerten sich an sie und mochten sie gern.
Lieutenant Ortheris sagte unter dem Detektor aus, daß sie als Reserveoffizier der Raumflotte nach Zarathustra gekommen war und eine Stellung bei der Gesellschaft angenommen hatte.
»Als ausgebildete Psychologin«, fuhr sie dann fort, »arbeitete ich unter Dr. Mallin in der wissenschaftlichen Abteilung und ebenso im Bereich der Jugendgerichtshilfe. Meine Berichte schickte ich in regelmäßigen Abständen an Commander Aelborg, den Chef des Geheimdiensts auf Xerxes. Mein Auftrag lautete, zu überprüfen, ob die Zarathustragesellschaft die Bedingungen ihres Vertrags unter den Gesetzen der Föderation einhielt. Bis zur Mitte des vergangenen Monats hatte ich, abgesehen von einigen Unregelmäßigkeiten in den finanziellen Transaktionen des Generalresidenten Emmert, nichts zu berichten. Dann, am Abend des fünfzehnten Juni…«
Das war der Abend, an dem Ben seinen Bandbericht an Juan Jimenez weitergegeben hatte; sie beschrieb, wie sie von diesem Bericht Kenntnis erhalten hatte.
»Ich leitete so schnell wie möglich eine Kopie des Bandes an Commander Aelborg weiter. Am nächsten Abend rief ich von Dr. Riebeeks Boot aus Xerxes an und berichtete über meine Erfahrungen mit den Fuzzys. Ich wurde dann informiert, daß Leonhard Kellogg ebenfalls eine Kopie des Holloway-Rainsford-Bandes erhalten hatte und Victor Grego verständigt hatte. Kellogg und Ernst Mallin wurden mit dem Auftrag auf den Beta-Kontinent geschickt, die Veröffentlichung jedes Berichts zu verhindern, wenn in ihm von einer Vernunftbegabung der Fuzzys die Rede war, und gleichzeitig sollten sie Beweismaterial dafür fabrizieren, daß Dr. Rainsford und Mr. Holloway einen riesigen wissenschaftlichen Schwindel aufzuziehen planten.«
»Ich erhebe Einspruch, Euer Ehren«, meldete Coombes sich zu Wort. »Das ist alles nichts weiter als Hörensagen.«
»Dies gehört zu einer Einschätzung der Lage durch den Geheimdienst der Raumflotte, basierend auch auf anderen Informationen, die wir erhielten«, warf Captain Greibenfeld ein. »Lieutenant Ortheris ist übrigens nicht unsere einzige Informantin. Wenn ich von Ihnen noch einen Einwand höre, Mr. Coombes, werde ich Mr. Brannhard bitten, Victor Grego vor Gericht zu zitieren und ihn unter dem Detektor dazu zu befragen.«
»Und Mr. Brannhard wird dem mit dem größten Vergnügen nachkommen, Commander«, sagte Gus laut und deutlich.
Coombes setzte sich schleunigst wieder.
»Nun, Lieutenant Ortheris, das ist ja alles sehr interessant, aber im Augenblick wollen wir herausfinden, wie diese Fuzzys überhaupt nach Xerxes gekommen sind«, warf der Richterkollege namens Ruiz ein.
»Ich werde sofort darauf kommen, Euer Ehren«, antwortete sie. »Am Abend des zweiundzwanzigsten wurden die Fuzzys Mr. Holloway weggenommen und nach Mallorys Port gebracht. Mohammed O’Brien übergab sie an Juan Jimenez, der sie ins Wissenschaftszentrum brachte und in einem Raum hinter seinem Büro in Käfige sperrte. Daraus befreiten sie sich unmittelbar darauf. Ich fand sie am nächsten Morgen und konnte sie aus dem Gebäude schmuggeln und an Commander Aelborg übergeben, der von Xerxes heruntergekommen war, um die Fuzzy-Angelegenheit persönlich in die Hand zu nehmen. Wie ich dies genau gemacht habe, werde ich nicht aussagen, denn das widerspräche meinen Vorschriften als Sicherheitsoffizier. Kein Gericht kann mich zwingen, vertrauliche Dinge dieser Art auszusagen — ich erhielte auch keine dienstliche Genehmigung dafür.«
Brannhard erhob sich. »Bevor die Zeugin entlassen wird, möchte ich sie noch fragen, ob sie etwas von den vier Fuzzys weiß, die Jack Holloway am Freitag am Ferny Creek gefunden hat.«
»Nun, natürlich; das sind meine Fuzzys. Ich habe mir schon große Sorgen um sie gemacht. Ihre Namen lauten Komplex, Syndrom, Id und Superego.«
»Ihre Fuzzys, Lieutenant?«
»Nun, ich kümmerte mich um sie und arbeitete mit ihnen; Juan Jimenez und einige Jäger der Gesellschaft fingen sie auf dem Beta-Kontinent. Sie wurden auf einer Farm etwa fünfhundert Kilometer nördlich von hier gehalten. Ich habe die meiste Zeit mit ihnen gearbeitet, und Dr. Mallin war auch die meiste Zeit dort. Am Montag abend dann kam Mr. Coombes dort hinaus und holte sie ab.«
»Mr. Coombes sagten Sie?« fragte Brannhard.
»Mr. Leslie Coombes, der Anwalt der Gesellschaft. Er sagte, sie würden in Mallorys Port gebraucht. Es dauerte einen Tag, bis ich herausbekam, wofür man sie dort benötigte: Sie wurden kurz vor der Fuzzyjagd freigelassen, in der Hoffnung, daß sie dabei umgebracht würden.«
Sie sah hinüber zu Coombes, und wenn Blicke hätten töten können, wäre Coombes jetzt auf der Stelle tot umgefallen.
»Warum wollte man Fuzzys opfern, wenn diese ganze Geschichte doch bald auffliegen würde?« fragte Brannhard.
»Es war kein Opfer. Sie mußten diese Fuzzys loswerden und fürchteten sich vor einer Mordanklage á la Kellogg, wenn sie sie selbst umbrächten. Jeder einzelne von ihnen, angefangen mit Ernst Mallin bis zum letzten Mitarbeiter war nämlich der Überzeugung, es mit vernunftbegabten Wesen zu tun zu haben.«
»Nun, jetzt wissen wir, wie die Holloway Fuzzys nach Xerxes gekommen sind«, sagte der Oberrichter. »Jetzt möchte ich gern Dr. Ernst Mallin hören.«
Wieder sprang Coombes auf. »Euer Ehren, ich möchte vor weiteren Aussagen allein mit meinem Mandanten sprechen.«
»Ich sehe keinen Grund, weshalb wir dazu die Verhandlung unterbrechen sollten, Mr. Coombes. Sie können anschließend mit dem Klienten sprechen.« Er klopfte auf den Tisch. »Dr. Ernst Mallin, darf ich Sie in den Zeugenstand bitten?«