5. Trauerpfützler

Jill schlief. Seit dem Beginn des Eulenparlaments hatte sie schrecklich gegähnt und jetzt war sie eingenickt. Es gefiel ihr überhaupt nicht, dass sie wieder aufgeweckt wurde und feststellen musste, dass sie auf rohen staubigen Brettern in einem stockdunklen Turm lag, der voller Eulen war. Es gefiel ihr noch weniger, als sie hörte, dass sie an einen anderen Ort gebracht werden sollte – und offensichtlich nicht ins Bett – und das auch noch auf einem Eulenrücken.

»Ach komm, Jill, reiß dich zusammen«, hörte sie die Stimme von Eustachius. »Schließlich ist dies ja ein Abenteuer.«

»Ich habe genug von Abenteuern«, entgegnete Jill böse.

Sie willigte jedoch ein auf Glimmfeders Rücken zu steigen und wachte schließlich vollends auf (zumindest für ein Weilchen), denn die Luft war überraschend kühl, als die Eule mit ihr in die Nacht hinausflog. Der Mond war verschwunden und auch kein Stern war zu sehen. Weit hinter sich entdeckte sie ein einsames erleuchtetes Fenster hoch über der Erde, ohne Zweifel war es ein Fenster in einem der Türme von Feeneden. Nur allzu gern hätte sie in ihrem wunderschönen Zimmer gemütlich im Bett gelegen und den flackernden Schatten der Flammen an der Wand zugeschaut.

Sie steckte die Hände unter ihren Umhang und wickelte ihn fest um sich. Es war gespenstisch, als sie in der Dunkelheit aus einiger Entfernung zwei Stimmen hörte. Es waren Eustachius und seine Eule, die sich unterhielten. Er klingt gar nicht müde, dachte Jill. Sie machte sich nicht klar, dass er ja schon einmal in dieser Welt große Abenteuer erlebt hatte und dass die Luft von Narnia die Kraft zurückbrachte, die ihm auf seiner Reise mit König Kaspian zu den östlichen Meeren verliehen worden war.

Jill musste sich kneifen um wach zu bleiben, denn sie wusste, dass sie vermutlich von Glimmfeders Rücken fallen würde, wenn sie einschlief. Als die beiden Eulen schließlich landeten, stieg sie mit steifen Knochen von Glimmfeder. Sie stand auf ebener Erde. Ein kalter Wind blies und sie schienen sich an einem baumlosen Ort zu befinden.

»Tu-huu, tu-huu!«, rief Glimmfeder. »Wach auf, Trauerpfützler. Wir sind im Auftrag des Löwen hier.«

Lange Zeit kam keine Antwort. Dann erschien in der Ferne ein schwaches Licht. Es kam näher. Und mit dem Licht ertönte eine Stimme.

»Eulen ahoi!«, rief sie. »Was ist los? Ist der König tot? Ist der Feind in Narnia eingefallen? Gibt es eine Überschwemmung? Oder sind Drachen gelandet?«

Als das Licht bei ihnen anlangte, sahen sie, dass es von einer großen Laterne herrührte. Von der Person, die diese Laterne trug, konnte Jill nur sehr wenig sehen. Sie schien nur aus Armen und Beinen zu bestehen. Die Eulen erklärten der Person alles, aber Jill war zu müde um zuzuhören. Sie versuchte ein wenig aufzuwachen, als sie merkte, dass die beiden Eulen sich von ihr verabschiedeten. Aber später erinnerte sie sich nur noch daran, wie sie und Eustachius sich bückten, um durch eine niedrige Tür zu gehen, und wie sie sich dann (Gott sei Dank) auf etwas Weiches und Warmes legten und eine Stimme zu ihnen sagte:

»So. Mehr kann ich euch nicht bieten. Es wird kalt sein und hart. Feucht vermutlich auch. Wahrscheinlich werdet ihr kein Auge zutun; selbst wenn es kein Gewitter und keine Überschwemmung gibt und der Wigwam nicht über uns zusammenbricht, wie das schon öfter passiert ist. Ihr müsst das Beste daraus machen ...« Aber sie war fest eingeschlafen, bevor die Stimme abbrach.

Als die Kinder spät am nächsten Morgen erwachten, stellten sie fest, dass sie ganz trocken und warm an einem dunklen Ort auf Strohbetten lagen. Aus einer dreieckigen Öffnung fiel Tageslicht herein. »Wo um alles in der Welt sind wir?«, fragte Jill. »Im Wigwam eines Moorwacklers«, sagte Eustachius. »Eines was?«

»Eines Moorwacklers. Frag mich nicht, was das ist. Ich konnte ihn gestern Nacht nicht sehen. Ich stehe auf. Komm, wir machen uns auf den Weg und suchen ihn.«

»Wie schrecklich man sich doch fühlt, wenn man angezogen geschlafen hat«, meinte Jill und setzte sich auf. »Ich dachte gerade, wie schön es doch ist, wenn man sich nicht erst anziehen muss«, sagte Eustachius.

»Und nicht waschen, nehme ich an«, entgegnete Jill zornig. Aber Eustachius war schon aufgestanden, hatte gegähnt, sich geschüttelt und war aus dem Wigwam gekrochen. Jill tat es ihm nach.

Was sie draußen vorfanden, war ganz anders als das, was sie am Tag zuvor von Narnia gesehen hatten. Sie befanden sich auf einer großen Ebene, die von unzähligen Wasserläufen in unzählige kleine Inseln zerschnitten wurde. Die Inseln waren mit grobem Gras bewachsen und von Schilf und Binsen gesäumt. Da und dort gab es riesige, mit Binsen bewachsene Flächen, wo sich ständig Wolken von Vögeln erhoben und senkten – Enten, Schnepfen, Rohrdommeln und Reiher. Viele vereinzelte Wigwams wie der, in dem sie die Nacht verbracht hatten, standen herum, doch sie lagen weit voneinander, denn Moorwackler sind gerne für sich.

Abgesehen von dem ein paar Kilometer entfernten Waldrand im Süden und im Westen war kein einziger Baum zu sehen. Am Horizont in Richtung Osten verlief sich der flache Sumpf in niedrige Sandhügel und an dem salzigen Geruch des Windes, der aus dieser Richtung blies, konnte man ablesen, dass dort das Meer lag. Im Norden sah man niedrige fahle Berge und stellenweise ragten dort Felsen auf. Alles andere war flacher Sumpf. An einem düsteren Abend wäre es ein niederdrückender Ort gewesen. Doch jetzt, unter der Morgensonne besehen, mit einem frischen Wind und einer von Vogelgesang erfüllten Luft, hatte diese Einsamkeit etwas Frisches und Gesundes an sich. Die Kinder fühlten, wie ihre Energie wuchs.

»Wo ist wohl dieser Dingsbums hin?«, fragte Jill.

»Der Moorwackler«, sagte Eustachius, als wäre er ziemlich stolz, dass er dieses Wort kannte. »Ich nehme an ... oh, das muss er sein.« Und dann sahen sie ihn beide. Er saß etwa fünfzig Meter entfernt mit dem Rücken zu ihnen und angelte. Zuerst hatte man ihn nicht gut erkennen können, weil er fast die gleiche Farbe hatte wie der Sumpf und weil er so ruhig dasaß.

»Ich glaube, wir gehen besser hin und reden mit ihm«, meinte Jill. Eustachius nickte. Sie waren beide ein wenig nervös.

Als sie näher kamen, wandte die Gestalt den Kopf und zeigte ihnen ein langes dünnes, bartloses Gesicht mit eingefallenen Wangen, einem fest geschlossenen Mund und einer scharfen Nase. Der Moorwackler trug einen hohen, wie ein Kirchturm nach oben spitz zulaufenden Hut mit einer riesigen breiten, flachen Krempe. Das lockige Haar, sofern man es Haar nennen konnte, das über seine großen Ohren hing, war grünlichgrau und die Locken waren nicht rund, sondern eher flach, wodurch sie aussahen wie winzige Schilfblätter. Sein Gesicht trug einen feierlichen Ausdruck, es war schlammfarben und man konnte sofort sehen, dass er das Leben für eine sehr ernste Sache hielt.

»Guten Morgen, meine lieben Gäste«, sagte er. »Obwohl ich mit gut nicht sagen will, dass es nicht noch Regen geben wird – oder vielleicht auch Schnee oder Nebel oder ein Gewitter. Ihr konntet nicht schlafen, nehme ich an.«

»Doch, doch«, erwiderte Jill. »Wir haben fantastisch geschlafen.«

»Ah«, machte der Moorwackler und schüttelte den Kopf. »Ich sehe, dass ihr das Beste aus dieser üblen Lage macht. Das ist recht. Ihr seid gut erzogen, ja, das seid ihr. Ihr habt gelernt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.«

»Bitte, wir wissen nicht, wie du heißt«, sagte Eustachius.

»Trauerpfützler ist mein Name. Aber es macht nichts, wenn ihr ihn wieder vergesst. Ich kann ihn euch ja noch einmal sagen.«

Die Kinder setzten sich rechts und links von ihm hin. Jetzt sahen sie, dass er sehr lange Arme und Beine hatte, und so war er, wenn er aufstand, größer als die meisten Männer, obwohl sein Körper kaum größer war als der eines Zwergs. Die Finger an seinen Händen waren wie bei einem Frosch mit Häuten verbunden und genauso war es mit seinen bloßen Füßen, die er ins schlammige Wasser baumeln ließ. Er hatte erdfarbene Kleider an, die lose an ihm herabhingen.

»Ich versuche ein paar Aale zu fangen, um einen Aaleintopf zum Mittagessen zu kochen«, sagte Trauerpfützler. »Obwohl ich mich nicht wundern würde, wenn ich keinen einzigen finge. Und falls doch, so wird es euch vermutlich nicht schmecken.«

»Warum nicht?«, fragte Eustachius.

»Nun, es besteht kein Grund, warum euch unsere Speisen schmecken sollten, obwohl ich nicht bezweifle, dass ihr euch nichts anmerken lassen werdet. Trotzdem könntet ihr beiden währenddessen versuchen das Feuer anzuzünden – versuchen schadet ja nichts! Das Holz ist hinter dem Wigwam. Vielleicht ist es nass. Ihr könntet es im Wigwam anzünden, dann bekommen wir den ganzen Rauch in die Augen. Ihr könntet es auch draußen anzünden und dann fängt es an zu regnen und das Feuer verlöscht. Hier ist meine Zunderbüchse. Ihr wisst nicht, wie man damit umgeht, nehme ich an.«

Aber Eustachius hatte diese Dinge bei seinem letzten Abenteuer gelernt. Die Kinder rannten zusammen zurück zum Wigwam, fanden das Holz (es war vollkommen trocken) und es gelang ihnen, das Feuer ohne die üblichen Schwierigkeiten anzuzünden. Dann setzte sich Eustachius hin und bewachte es, während Jill sich aufmachte, um sich im nächsten Wasserlauf ein wenig zu waschen – was nicht sehr angenehm war. Dann setzte sie sich ans Feuer und Eustachius wusch sich. Danach fühlten sich beide viel frischer, aber sehr hungrig.

Bald darauf gesellte sich der Moorwackler zu ihnen.

Obwohl er gesagt hatte, er würde vermutlich nichts fangen, hatte er ungefähr ein Dutzend Aale mitgebracht, die er schon gehäutet und ausgenommen hatte. Er setzte einen großen Topf auf, schürte das Feuer und zündete seine Pfeife an. Die Moorwackler rauchen einen sehr eigenartigen schweren Tabak (manche sagen, sie würden ihn mit Schlamm mischen) und den Kindern fiel auf, dass der Rauch aus seiner Pfeife kaum in die Luft aufstieg. Er sickerte aus dem Pfeifenkopf heraus nach unten und zog wie Nebel am Boden entlang. Er war sehr dunkel und brachte Eustachius zum Husten.

»So«, sagte Trauerpfützler. »Die Aale müssen ewig lange kochen und sicher wird einer von euch vor Hunger ohnmächtig, bevor sie gar sind. Ich kannte ein kleines Mädchen – aber diese Geschichte erzähle ich euch lieber nicht. Sie könnte euch entmutigen und das will ich ganz und gar nicht. Damit ihr nicht an euren Hunger denkt, könnten wir ja über unsere Pläne reden.«

»Ja, tun wir das«, meinte Jill. »Kannst du uns helfen Prinz Rilian zu finden?«

Der Moorwackler zog seine Wangen nach innen, bis sie hohler waren, als man es für möglich gehalten hätte. »Nun, ich weiß nicht, ob ihr das helfen nennen könnt«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob da überhaupt jemand helfen kann. Es ist ganz klar, dass wir auf unserer Reise nach Norden nicht weit kommen werden, nicht zu dieser Jahreszeit, wo es ja bald Winter wird. Und es wird einen frühen Winter geben, so wie es aussieht. Aber davon dürft ihr euch nicht unterkriegen lassen. Wahrscheinlich wird uns bei all den Feinden, den Bergen, den Flüssen, die wir überqueren müssen, den falschen Wegen, die wir einschlagen werden, dem Hunger, den wir erleiden müssen, und den zerschundenen Füßen das Wetter kaum auffallen. Und wenn wir auch nicht weit genug kommen um etwas auszurichten, so werden wir doch weit genug kommen, um eine Ewigkeit für den Rückweg zu brauchen.«

Beiden Kindern war aufgefallen, dass er »wir« sagte und nicht »ihr«, und beide riefen im gleichen Augenblick: »Du kommst also mit uns?«

»O ja, natürlich. Eigentlich spricht nichts dagegen. Ich glaube nicht, dass wir den König in Narnia jemals wieder zu Gesicht bekommen werden, jetzt wo er zu anderen Ländern aufgebrochen ist: Und er hatte einen bösen Husten bei seiner Abreise. Und was Trumpkin betrifft – mit dem geht es bald zu Ende. Und nach diesem schrecklich trockenen Sommer wird es bestimmt eine schlechte Ernte geben. Und es würde mich nicht wundern, wenn uns ein Feind angriffe. Denkt an meine Worte.«

»Und wo werden wir anfangen?«, fragte Eustachius.

»Nun«, sagte der Moorwackler sehr langsam, »alle anderen, die jemals nach Prinz Rilian suchten, fingen bei der Quelle an, wo Lord Drinian die Frau sah. Sie gingen meistens nach Norden. Und da keiner von ihnen jemals zurückkam, kann man nicht genau sagen, wie sie weitergegangen sind.«

»Als Erstes müssen wir eine zerfallene Stadt der Riesen finden«, meinte Jill. »Das hat Aslan gesagt.«

»Als Erstes müssen wir sie finden, wie?«, entgegnete Trauerpfützler. »Es ist wohl nicht gestattet, sie erst einmal zu suchen, was?«

»Das habe ich natürlich gemeint«, sagte Jill. »Und dann, wenn wir sie gefunden haben.«

»Ja, wenn!«, bemerkte Trauerpfützler trocken.

»Weiß irgendjemand, wo sie ist?«, fragte Eustachius.

»Ich weiß nicht, wie das mit irgendjemand ist«, antwortete Trauerpfützler. »Ich will auch nicht behaupten, ich hätte nie von der zerfallenen Stadt gehört. Aber in diesem Fall würde man nicht bei der Quelle anfangen. Man müsste über das Ettinsmoor gehen. Dort ist die Ruinenstadt, wenn sie überhaupt irgendwo ist. Aber ich bin in dieser Richtung schon so weit gegangen wie kaum einer und ich habe keine Ruinen gesehen, das will ich nicht leugnen.«

»Wo ist das Ettinsmoor?«, fragte Eustachius. »Schau nach Norden«, entgegnete Trauerpfützler und deutete mit seiner Pfeife. »Siehst du die Berge und die Felsen? Dort fängt das Ettinsmoor an. Aber davor liegt ein Fluss, der Scribble. Natürlich gibt es keine Brücke.« »Aber ich nehme doch an, dass wir hinüberwaten können«, meinte Eustachius.

»Nun, man hat ihn schon gelegentlich durchwatet«, gab der Moorwackler zu.

»Vielleicht treffen wir im Ettinsmoor Leute, die uns den Weg sagen können«, warf Jill ein.

»Leute werden wir dort treffen, da hast du ganz Recht«, sagte Trauerpfützler.

»Was für Leute leben dort?«, fragte Jill. »Sie sind auf ihre Art schon in Ordnung«, antwortete Trauerpfützler, »wenn man ihre Art mag.«

»Ja, aber was sind sie?«, drängte Jill. »Es gibt so viele eigenartige Geschöpfe in diesem Land. Ich hätte gern gewusst, ob es Tiere sind oder Zwerge oder was sonst?« Der Moorwackler stieß einen lang gezogenen Pfiff aus. »Puh!« sagte er. »Wisst ihr das nicht? Ich dachte, die Eulen hätten es euch gesagt. Es sind Riesen.«

Jill zuckte zusammen. Sie hatte Riesen noch nie gemocht, selbst in Büchern nicht, und einmal war sie einem Riesen in einem Albtraum begegnet. Dann sah sie das Gesicht von Eustachius, das ziemlich grün geworden war, und sie dachte sich: Ich wette, er hat noch mehr Angst als ich. Das machte ihr Mut.

»Der König hat mir vor langer Zeit erzählt – damals, als ich mit ihm auf See war«, sagte Eustachius, »er habe diese Riesen im Krieg geschlagen und sie müssten jetzt Tribut zahlen.«

»Das stimmt«, meinte Trauerpfützler. »Sie leben tatsächlich mit uns in Frieden. Solange wir auf unserer Seite des Flusses bleiben, tun sie uns nichts. Aber drüben auf ihrer Seite, auf dem Moor ... nun, eine Chance haben wir immerhin. Wenn wir keinem von ihnen zu nahe kommen und wenn sich keiner von ihnen vergisst und wenn wir nicht gesehen werden, dann ist es vielleicht möglich, dass wir ein gutes Stück schaffen.«

»Hör mal!«, rief Eustachius, der plötzlich die Beherrschung verlor, wie das leicht passiert, wenn man erschreckt worden ist. »Ich glaube nicht, dass die Sache halb so schlimm ist, wie du sie darstellst; genauso wie das Bett im Wigwam nicht hart und das Holz nicht nass war. Ich glaube nicht, dass Aslan uns jemals ausgesandt hätte, wenn unsere Chancen so gering wären.«

Er erwartete eine ärgerliche Antwort, aber der Moorwackler sagte nur: »So ist's recht, Eustachius. So muss man reden. Man sollte gute Miene zum bösen Spiel machen. Aber wir müssen uns alle anstrengen nicht die Beherrschung zu verlieren, in Anbetracht der harten Zeiten, die vor uns liegen. Es bringt nichts, wenn wir uns streiten. Auf jeden Fall sollten wir nicht zu früh damit anfangen. Ich weiß, dass derartige Expeditionen gewöhnlich so enden. Vermutlich werden wir mit dem Messer aufeinander losgehen, bevor wir am Ziel sind. Aber je länger wir es hinausschieben können

»Nun, wenn du es für so hoffnungslos hältst«, unterbrach Eustachius ihn, »dann solltest du besser hier bleiben. Jill und ich können allein gehen, nicht wahr, Jill?«

»Halt den Mund und sei kein Idiot«, warf Jill hastig ein, denn sie hatte Angst, der Moorwackler könne Eustachius beim Wort nehmen.

»Verliere nicht den Mut, Jill«, sagte Trauerpfützler. »Ich komme mit, daran gibt es nichts zu rütteln. Ich werde eine Gelegenheit wie diese nicht versäumen. Das wird mir gut tun. Alle sagen – ich meine die anderen Wackler –, ich sei zu leichtsinnig; ich nähme das Leben nicht ernst genug. Das haben sie Tausende Male gesagt. ›Trauerpfützler‹, sagen sie, ›du bist viel zu voreilig und überschwänglich – ein übermütiger Springinsfeld. Du musst lernen, dass das Leben nicht nur aus Froschfrikassee und Aalpastete besteht. Du musst etwas tun, wodurch du vernünftiger wirst. Wir sagen das nur zu deinem eigenen Besten, Trauerpfützler.‹ So sagen sie. Eine derartige Aufgabe – eine Reise nach Norden, jetzt, wo der Winter anfängt, und die Suche nach einem Prinzen, der vermutlich nicht da ist, durch eine Ruinenstadt, die noch keiner gesehen hat – ist genau das Richtige. Wenn das einen Kerl nicht zur Vernunft bringt, dann weiß ich auch nicht.« Und er rieb sich die großen froschartigen Hände, als spräche er davon, zu einer Party oder ins Theater zu gehen. »Und jetzt wollen wir nachsehen, wie weit die Aale sind«, fügte er hinzu.

Das Essen war ausgezeichnet und beide Kinder nahmen sich zwei große Portionen. Zuerst wollte der Moorwackler nicht glauben, dass es ihnen wirklich schmeckte, und als sie so viel gegessen hatten, dass er ihnen glauben musste, meinte er stattdessen, es würde ihnen bestimmt ganz und gar nicht bekommen. »War für einen Moorwackler gut ist, mag für die Menschen Gift sein; es würde mich nicht wundern«, erklärte er. Nach dem Essen tranken sie Tee aus Blechdosen (so wie das die Straßenbauarbeiter tun) und Trauerpfützler nahm ein paar Schlucke aus einer viereckigen schwarzen Flasche. Er bot den Kindern davon an, aber beide fanden das Zeug ganz fürchterlich.

Den Rest des Tages verbrachten sie damit, sich für einen frühen Aufbruch am nächsten Morgen vorzubereiten. Trauerpfützler, der bei weitem der Größte von ihnen war, sagte, er wolle drei Decken tragen und darin eingewickelt ein großes Stück Speck. Jill sollte die restlichen Aale, ein paar Kekse und die Zunderbüchse tragen. Eustachius musste seinen eigenen Umhang und den von Jill nehmen, wenn die beiden sie nicht anhatten. Eustachius (der ein wenig Bogenschießen gelernt hatte, als er mit Kaspian nach Osten gesegelt war) bekam Trauerpfützlers zweitbesten Bogen. Trauerpfützler selbst nahm den besten, obwohl die Chance, wie er sagte, hundert zu eins war, bei Wind, mit feuchten Bogensehnen, bei schlechtem Licht und mit kalten Fingern etwas zu treffen. Er und Eustachius hatten jeweils ein Schwert – Eustachius hatte das Schwert mitgebracht, das man ihm in seinem Zimmer in Feeneden hingelegt hatte, doch Jill musste sich mit ihrem Messer zufrieden geben. Deswegen hätte es fast Streit gegeben, aber sobald sie damit anfingen, rieb sich der Wackler die Hände und sagte: »Aha, es geht also schon los.« Da hielten sie beide den Mund.

Alle drei gingen schon früh im Wigwam zu Bett. Diesmal verbrachten die Kinder wirklich eine ziemlich schlimme Nacht. Trauerpfützler sagte noch: »Ihr solltet versuchen ein wenig zu schlafen, obwohl ich nicht glaube, dass einer von uns heute Nacht ein Auge zutut«, und fing dann sofort an so unablässig und so laut zu schnarchen, dass Jill, als sie endlich einschlief, die ganze Nacht von Pressluftbohrern und Wasserfällen und durch Tunnel fahrenden Schnellzügen träumte.

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