Unter den Konsuln
Marcus Minucius Rufus
und Spurius Postumius Albinus
Gaius Julius Caesar stand keinem der beiden neuen Konsuln besonders nahe, und so reihte er sich mit seinen Söhnen einfach irgendwo in jene Prozession ein, die ganz in der Nähe seines Hauses begann, die Prozession des Konsuls Marcus Minucius Rufus. Beide Konsuln wohnten auf dem Palatin; das Haus von Spurius Postumius Albinus, dem jüngeren Konsul, lag jedoch in einem eleganteren Viertel. Man munkelte, daß Albinus’ Schulden in schwindelerregende Höhen gestiegen seien. Kein Wunder, das war der Preis, wenn man Konsul werden wollte.
Nicht, daß Gaius Julius Caesar sich den Kopf darüber zu zerbrechen brauchte, was der politische Aufstieg kostete, und aller Wahrscheinlichkeit nach würden auch seine Söhne sich nie darum sorgen müssen. Es war vierhundert Jahre her, daß ein Julier auf der sella curulis, dem elfenbeinernen Amtsstuhl der Konsuln, Platz genommen hatte. Zwar war die Ahnenreihe der Julier wirklich imposant, aber die nachfolgenden Generationen hatten es versäumt, die Schatztruhen wieder aufzufüllen, und mit jedem Jahrhundert wurde das Geschlecht der Julier ärmer. Konsul? Unmöglich! Vielleicht Prätor, der zweithöchste Beamte nach dem Konsul? Unmöglich! Nein, heute konnte ein Julier nur noch ein bescheidenes, ruhiges Plätzchen als Hinterbänkler im Senat erben, und die Aussichten der Caesaren - der Linie der Julier, die wegen ihres üppigen Haupthaares diesen Beinamen trugen - waren auch nicht besser.
Die Toga, die der Kammerdiener seinem Herrn Gaius Julius Caesar an diesem Morgen über die linke Schulter gelegt, um den Leib geschlungen und über den linken Arm geführt hatte, war die schlichte weiße Toga eines Mannes, der nie nach dem Elfenbeinstuhl getrachtet hatte. Nur die dunkelroten Schuhe, der eiserne Senatorenring und der breite Purpurstreifen auf der rechten Schulter unterschieden ihn von seinen beiden Söhnen Sextus und Gaius, die gewöhnliche Schuhe und Siegelringe trugen und eine Tunika mit dem schmalen Purpurstreifen der Ritter.
Die Dämmerung war noch nicht angebrochen, als die Familie den neuen Tag begrüßte: ein kurzes Gebet, am Herd im Atrium das Salzopfer für die Hausgötter und, als der wachhabende Sklave die vom Hügel herannahenden Fackeln ankündigte, die Verbeugung vor dem Gott Janus Patulcius, der über das Öffnen der Türen wachte.
Dann trat der Vater mit seinen Söhnen hinaus auf die schmale, gepflasterte Straße, und dort trennten sie sich. Während die beiden jungen Männer sich dem Zug der Ritter anschlossen, die vor dem neuen Konsul gingen, mischte Gaius Julius Caesar sich hinter Marcus Minucius Rufus und den Liktoren unter die Senatoren.
Marcia richtete ein kurzes ein kurzes Gebet an den Gott Janus Clusivius, der über das Schließen der Türen wachte, und gab dann den gähnenden Sklaven ihre Anweisungen. Jetzt war sie endlich allein und konnte sich um ihre Schützlinge kümmern. Wo waren die Mädchen nur? Marcia hörte Lachen aus dem Zimmer ihrer beiden Töchter. Da saßen sie, die beiden Julias und aßen dünn mit Honig bestrichene Brote zum Frühstück. Wie bezaubernd sie doch aussahen!
Man sagte, jede Julia aus diesem Geschlecht sei ein kostbares Juwel, denn alle Julias hätten die seltene Gabe, ihre Männer glücklich zu machen. Diese beiden kleinen Julias würden die Familientradition gewiß fortsetzen.
Die ältere der beiden, Julia genannt, war fast achtzehn. Hochgewachsen und von würdevollem Ernst, hatte sie die bronzefarbenen Haare tief im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden, und der Blick ihrer großen grauen Augen war prüfend und sanft zugleich auf ihre Umgebung gerichtet. Ein ruhiges, kluges Mädchen.
Ihre jüngere Schwester, genannt Julilla, war sechzehneinhalb, die Jüngste der Familie und eigentlich ein unerwünschter Nachzügler, doch sie hatte schon bald die Herzen der Eltern und der drei älteren Geschwister erobert. Ihre Haut hatte die Farbe des Honigs, Haare und Augen den weichen Glanz von Bernstein. Natürlich war sie es, die soeben gelacht hatte. Sie hatte ein unruhiges, unvernünftiges Temperament.
»Fertig, Kinder?« fragte Marcia. Schnell stopften sie sich die letzten Bissen des klebrigen Brotes in den Mund, fuhren mit den Fingern durch eine Wasserschale, dann über ein Handtuch und folgten ihrer Mutter hinaus.
»Es ist frisch«, sagte Marcia und griff nach den Wollmänteln, die ein Sklave über dem Arm trug. Es waren einfache, schwere Umhänge.
Die Mädchen sahen sie enttäuscht an, hüteten sich aber, etwas zu sagen. Geduldig ließen sie sich einwickeln wie Raupen in einen Kokon, bis nur noch ihre Gesichter aus dem rauhen, braunen Tuch hervorlugten. Auch Marcia wickelte sich in eine Decke, dann führte sie den kleinen Zug aus Töchtern und Sklaven hinaus auf die Straße.
Sie wohnten am Cermalus, dem unteren Teil des Palatin, in einem bescheidenen Haus, das Vater Sextus zusammen mit fünfhundert iugera guten Ackerlandes zwischen Bovillae und Aricia seinem jüngeren Sohn Gaius vermacht hatte. Das Land würde zwar ausreichen, um den Sitz im Senat zu halten, aber es war viel zu wenig, um ein Amt im cursus honorum anzusteuern. Vater Sextus hatte sich von keinem seiner beiden Söhne trennen wollen, und diese eigennützige Haltung hatte zwangsläufig dazu geführt, daß sein Vermögen zwischen seinem älteren Sohn Sextus und seinem jüngeren Sohn Gaius aufgeteilt wurde. Dies bedeutete wiederum, daß keiner seiner Söhne sich Hoffnungen auf das Amt eines Prätors oder gar Konsuls machen durfte.
Gaius’ Bruder Sextus war nicht so sentimental wie sein Vater. Er hatte mit seiner Frau Popillia drei Söhne gezeugt, eine unerträgliche Belastung für jede Senatorenfamilie, und dafür gab es nur eine Lösung: Er hatte sich von seinem ältesten Sohn getrennt und ihn dem kinderlosen Quintus Lutatius Catulus zur Adoption gegeben. Das hatte ihm ein Vermögen eingebracht und sichergestellt, daß auch sein Ältester einmal ein Vermögen erben würde, denn der alte Catulus war unvorstellbar reich. Freudig hatte er eine riesige Summe dafür springen lassen, daß er einen Patrizierjungen adoptieren konnte, der nicht nur blendend aussah, sondern auch leidlich intelligent war. Sextus hatte das Geld, das der Junge ihm eingebracht hatte, wohlüberlegt in Ländereien und Immobilien angelegt. Seine beiden jüngeren Söhne hatten somit mehr zu erwarten als ein Hinterbänklerdasein im Senat.
Der nüchtern rechnende Sextus war freilich eher eine Ausnahme. Die anderen Männer der Familie hatten seit je das Problem, daß sie mehr als einen Sohn zeugten und alle gleichermaßen liebten. Nie brachten sie es über sich, einen ihrer zahlreichen Sprößlinge zur Adoption freizugeben oder wenigstens dafür zu sorgen, daß ihre Kinder vorteilhafte Ehen eingingen. So waren ihre einstmals großen Ländereien im Lauf der Jahrhunderte immer weiter geschrumpft, weil sie auf immer mehr Söhne verteilt oder für die Mitgift der Töchter verkauft werden mußten.
Auch Marcias Mann Gaius Julius setzte diese Tradition fort. Er hing an seinen Kindern, war stolz auf seine Söhne und vernarrt in seine Töchter und ließ sich nicht von der Vernunft leiten, wie es einem richtigen Römer geziemte. Denn sonst hätte er den ältesten Sohn zur Adoption freigeben und die beiden Mädchen schon vor Jahren reichen Bürgern für die Ehe versprechen müssen. Nur das Geld bestimmte die politische Karriere. Auf die aristokratische Herkunft war schon lange kein Verlaß mehr.
Das neue Jahr begann wenig verheißungsvoll. Ein kalter Wind trieb dünne Regenschleier vor sich her über das nasse, rutschige Pflaster und verstärkte den beißenden Gestank abgestandener Asche, der in der Luft lag. An einem solchen Feiertag zogen es die einfachen Leute in Rom vor, in ihren engen Wohnungen auf ihren Strohsäcken liegenzubleiben.
Bei schönem Wetter hätten sich auf den Straßen Menschen aller Schichten getummelt und von geeigneten Aussichtspunkten den prachtvollen Umzügen auf dem Forum Romanum und dem Kapitol zugeschaut. Aber an diesem trüben Tag kamen Marcia und ihre Töchter gut voran, und die Sklaven mußten den Damen nicht gewaltsam einen Weg durch die Menge bahnen.
Die schmale Gasse, in der das Haus von Gaius Julius Caesar lag, mündete in den Clivus Victoriae, eine Straße unweit der Porta Romulana, dem altehrwürdigen Stadttor des alten Palatins. Das Stadttor war aus mächtigen Quadern zusammengefügt, die Romulus vor sechshundert Jahren eigenhändig dort aufgeschichtet hatte, die inzwischen aber mit allerlei Gestrüpp überwuchert waren. Die Frauen wandten sich nach rechts und gingen den Clivus Victoriae hinab bis zu der Ecke, wo sie vom Cermalus aus das Forum Romanum überblicken konnten. Nach fünf Minuten hatten sie ihr Ziel erreicht, ein ödes Stück Brachland. Vor zwölf Jahren noch hatte hier eines der vornehmsten Häuser Roms gestanden, jetzt erinnerte daran nur noch hier und da ein halb im Gras verborgener Stein. Von hier aus hatte man einen unverstellten Blick auf das Forum Romanum und das Kapitol, auf das lebhafte Treiben in der Subura und auf die Hügel, die die Stadt im Norden begrenzten. Die Sklaven stellten Klappstühle für Marcia und die beiden Julias auf.
»Hast du schon gehört?« fragte Caecllia, die Frau des Geldverleihers Titus Pomponius, die hochschwanger mit ihrer Tante Pilla in der Nähe saß. Sie wohnten in derselben Straße wie die Caesars, im übernächsten Haus.
»Nein, was denn?« Marcia beugte sich fragend vor.
»Die Konsuln, Priester und Auguren haben gleich nach Mitternacht mit den Gebeten und Zeremonien angefangen, um nur ja rechtzeitig fertig zu sein... «
»Das machen sie immer so!« unterbrach Marcia. »Denn wenn sie einen Fehler machen, müssen sie wieder ganz von vorn anfangen.«
»Ja ich weiß, so dumm bin ich nun auch wieder nicht!« sagte Caecilia giftig. Sie ärgerte sich, daß die Tochter eines Prätors sie belehren wollte. »Die Sache ist nur die, daß sie keinen Fehler gemacht haben! Die Himmelszeichen waren einfach ungünstig. Viermal hat es geblitzt, und mitten auf der Kultstätte hat eine Eule geschrieen, es klang wie ein Todesschrei. Und jetzt noch dieses Wetter - das wird kein gutes Jahr werden, von den Konsuln ganz zu schweigen.«
»Das hätte ich dir auch ohne Blitz und Eulen sagen können«, erwiderte Marcia. Ihr Vater war zwar nicht Konsul geworden, doch er hatte in seiner Funktion als Stadtprätor den großen Aquädukt gebaut, die Trinkwasserleitung für ganz Rom. Mit diesem Werk war er als einer der Großen in die Geschichte eingegangen. »Eine armselige Auswahl von Kandidaten, und dann haben die Wahlmänner noch nicht einmal die besten aus diesem Sammelsurium ausgesucht. Vielleicht gibt Marcus Minucius Rufus einen tüchtigen Konsul ab, aber Spurius Postumius Albinus? Die haben noch nie etwas zuwege gebracht.«
»Wer?« fragte Caecilia dümmlich.
»Die Sippe von Spurius Postumius Albinus.« Marcia warf einen wachsamen Blick auf ihre Töchter. Die beiden hatten vier Mädchen aus dem Geschlecht des Claudius Pulcher entdeckt - von denen gab es so viele, daß man nie genau wußte, wer zu welchem Familienzweig gehörte! Auch die Claudier führten einen endlosen Kampf gegen das doppelte Verhängnis des alten Adels, daß für zu viele Kinder immer weniger Land und Geld da waren. Und zu benehmen wußten sich die Mädchen auch nicht! Nun, Marcia konnte ihren Töchtern den Umgang mit Mädchen aus einem beinahe ebenbürtigen Geschlecht wohl kaum verbieten, zumal sie gemeinsam zur Schule gegangen waren. Die beiden Julias hatten ihre Klappstühle in die Nähe der anderen Mädchen gerückt, die unbeaufsichtigt waren. Wo waren überhaupt ihre Mütter? Aha! Sie unterhielten sich mit Sulla. Unmöglich! Das reichte.
»Mädchen!« rief Marcia streng.
Zwei verhüllte Köpfe drehten sich nach ihr um.
»Kommt sofort hierher.«
Sie gehorchten.
»Mama, bitte, dürfen wir mit unseren Freundinnen spielen?« bettelte die kleine Julilla.
»Nein«, sagte Marcia in einem Ton, der keine Widerrede duldete.
Unten auf dem Forum Romanum formierte sich die Prozession. Wie ein Reptil hatte sich der eine Zug vom Haus des Marcus Minucius Rufus zum Forum geschlängelt und sich dort mit dem nicht minder langen Zug vereinigt, der vom Haus des Spurius Postumius Albinus ausging. Voraus gingen die Ritter, zwar nicht so viele wie an sonnigen Neujahrstagen, aber doch um die siebenhundert an der Zahl. Es wurde etwas heller, aber der Regen fiel noch dichter, als der Zug sich den Clivus Capitolinus hinaufbewegte bis zur ersten Wende des kurzen, steilen Weges, wo die Priester und die Schlächter mit zwei - makellos weißen - Stieren mit reichverzierten Halftern warteten. Hinter den Rittern schritten die vierundzwanzig Liktoren der neuen Konsuln, gefolgt von den Konsuln und den Mitgliedern des Senats, je nach Rang gekleidet in purpurgesäumte Togen oder schlichtes Weiß. Ganz am Schluß kamen die, die eigentlich gar nicht dazugehörten, die Schaulustigen nämlich und die Bittsteller.
Wie schön, dachte Marcia. Etwa tausend Männer stiegen langsam zum Tempel des höchsten Gottes Jupiter Optimus Maximus empor. Eindrucksvoll ragte der mächtige Tempel ganz oben auf der südlichen Kuppe der beiden Kapitolhügel auf. Die Griechen pflegten ihre Tempel im Tal zu bauen, die Römer hingegen bauten ihre in luftiger Höhe, und viele Stufen führten zu ihnen hinauf, ganz besonders viele zum Tempel des Jupiter. Wie schön das aussieht, dachte Marcia wieder, als sich der Zug mit den Opfertieren in die Prozession einreihte und alle gemeinsam das letzte Stück zum Tempel zurücklegten. Oben drängten sich die Menschen auf dem Platz vor dem Heiligtum zusammen. Dort oben, irgendwo in der Menge, befanden sich auch ihr Mann und ihre beiden Söhne, denn auch sie gehörten jener Klasse an, die über die mächtigste Stadt der Welt herrschte.
Auch Gaius Marius stand in der Menge vor dem Tempel. Als ehemaliger Prätor trug er die purpurgesäumte toga praetexta und auf den dunkelroten Schuhen eine Schnalle in Form eines Halbmonds. Vor fünf Jahren war er Prätor geworden, vor drei Jahren hätte er Konsul werden müssen. Aber er wußte, daß man ihn niemals für dieses Amt nominieren würde. Warum nicht? Weil er nicht fein genug war. Aus keinem anderen Grund. Wer hatte je von einer Familie namens Marius gehört? Niemand.
Gaius Marius war ein Aufsteiger aus der Provinz, und er war Soldat. Angeblich konnte er kein Griechisch, und manchmal, wenn er aufgeregt oder wütend war, mischten sich Wörter des heimatlichen Dialekts in sein Latein. Da zählte es nicht, daß er mit seinem Geld den halben Senat in die Tasche stecken konnte und als Feldherr den ganzen. Was zählte, war allein die Herkunft, und seine war nicht gut genug.
Gaius Marius stammte aus Arpinum. Das war zwar gar nicht weit von Rom entfernt, aber doch so bedenklich nahe an der Grenze zwischen Latium und Samnium, daß einige an seiner Treue und Loyalität zu Rom zweifelten. Schließlich waren die Samniten von allen italischen Stämmen immer noch die hartnäckigsten Feinde Roms. Die Einwohner Arpinums hatten erst vor achtundsiebzig Jahren von Rom die vollen Bürgerrechte erhalten, und der Bezirk besaß nach wie vor keine volle Selbstverwaltung.
Die Gegend war freilich wunderschön! Ein fruchtbares Tal am Fuß des Appenin, eingefaßt von den beiden Flüssen Liris und Melfa. Dort gediehen die köstlichsten Trauben, zum Essen wie zum Keltern gleichermaßen geeignet, die Ernten fielen überreichlich aus, die Schafe waren dick und ihre Wolle außergewöhnlich fein. Ein friedliches, grünes, verträumtes Land. Im Sommer war es dort angenehm kühl, im Winter hingegen wärmer, als man erwartet hätte. Die beiden Flüsse waren fischreich, und die dichtbewaldeten Berge um Arpinum lieferten immer noch vorzügliches Holz für den Bau von Schiffen und Häusern. Kiefern und Pinien wuchsen dort, und Eichen, deren Früchte im Herbst den Boden bedeckten und Wildschweinen zur Nahrung dienten. An jeder vornehmen Tafel in Rom schätzte man die fetten Schinken, Speckseiten und Würste aus Arpinum.
Die Familie des Gaius Marius lebte schon seit vielen hundert Jahren in Arpinum, stolz auf ihre latinische Abstammung. War Marius etwa ein volskischer oder samnitischer Name? Hatte er einen oskischen Beiklang, nur weil es auch Volsker und Samniten gab, die Marius hießen? Mitnichten! Marius war ein lateinischer Name. Er, Gaius Marius, konnte es sehr wohl mit diesen hochnäsigen, arroganten Adligen aufnehmen, die sich einen Spaß daraus machten, ihn zu demütigen. Mehr als das - er fühlte genau, daß er ihnen allen überlegen war.
Dieses Gefühl verfolgte ihn wie ein ungebetener Gast, der nicht weicht, mochte man ihn noch so ungastlich behandeln. Seit langer Zeit schon nagte es in ihm, lange genug, um sich über seine Nutzlosigkeit klarzuwerden. Nach so vielen Jahren hätte an seine Stelle eigentlich Resignation treten müssen, doch Marius hatte nicht resigniert. Das Gefühl der Überlegenheit war lebendig und ungebrochen wie eh und je.
Nachdenklich betrachtete Gaius Marius an diesem trüben, regnerischen Morgen die starren Gesichter der in purpurgesäumte Togen gekleideten Senatoren. Wie merkwürdig die Welt doch war! Keiner von ihnen konnte einem Tiberius oder Gaius Sempronius Gracchus das Wasser reichen, und wenn man von Marcus Aemilius Scaurus und Publius Rutilius Rufus absah, blieb nur eine Schar recht unbedeutender Männer. Und doch behandelten sie ihn, Gaius Marius, als sei er ein aufgeblasener Niemand, tüchtig zwar, aber ohne wirkliches Format. Nur weil in ihren Adern das richtige Blut floß. Sie alle gingen wie selbstverständlich davon aus, daß einmal ihre Stunde kommen und sie die Herren Roms sein würden, die »Ersten« - Scipio Africanus, Aemilius Paulus, Scipio Aemilianus und vielleicht ein Dutzend anderer in der viele Jahrhunderte alten Geschichte der Republik waren so genannt worden.
Der Erste war nicht notwendig der Beste. Er war der Erste unter seinesgleichen, unter Männern, die demselben Stand entstammten und dieselben Chancen gehabt hatten wie er. Der Erste Mann von Rom, das bedeutete viel mehr als die Königskrone, mehr als Autokratie, Despotismus oder wie auch immer man es nennen mochte. Ein solcher Mann zeichnete sich durch seine überragenden Qualitäten vor allen anderen aus, wußte aber zugleich, daß er viele Rivalen hatte, die begierig waren, ihn auszustechen, und das auch legal und ohne Blutvergießen konnten, indem sie bewiesen, daß sie ihn an Tüchtigkeit noch übertrafen. Der Erste Mann von Rom, das bedeutete auch mehr als das Amt des Konsuls. Konsuln kamen jedes Jahr zwei neue, aber in der langen Geschichte der Republik hatte das Volk nur wenigen als den Ersten im Staate zugegejubelt.
Gegenwärtig gab es keine Männer, die sich so auszeichneten, und seit dem Tod des Scipio Aemilianus vor neunzehn Jahren hatte es keine mehr gegeben. Marcus Aemilius Scaurus entsprach noch am ehesten den Anforderungen, doch fehlte es ihm an Macht oder vielmehr auctoritas, jener für Rom so charakteristischen Mischung aus Macht, Autorität und Ruhm. Niemand sprach Marcus Aemilius mit diesem Titel an, nur er selbst benutzte ihn manchmal.
Wie auf ein Stichwort ging in diesem Augenblick ein Murmeln durch die Reihen der Senatoren. Der ältere Konsul, Marcus Minucius Rufus, hatte soeben dem großen Gott den weißen Stier als Opfer darbringen wollen, aber das Tier hatte gescheut, vielleicht weil es in böser Vorahnung das letzte, mit einem Betäubungsmittel vermischte Futter verweigert hatte. Die Senatoren schüttelten die Köpfe: Dies würde kein gutes Jahr werden. Schlechte Vorzeichen bei der Nachtwache der Konsuln, schreckliches Wetter, und nun schnaubte und bockte auch noch das erste Opfertier. Die Altardiener, ein halbes Dutzend an der Zahl, hatten Mühe, den Stier an Hörnern und Ohren festzuhalten. Dummköpfe, dachte Gaius Marius, hätten sie ihm doch vorsichtshalber einen Ring durch die Nase gezogen. Der Akoluth mit dem Betäubungshammer, bis zur Hüfte nackt wie die anderen Diener, wartete nicht mehr, bis der Stier den Kopf zum Himmel erhoben und wieder zur Erde geneigt hatte. Später konnte man immer noch sagen, das Tier habe den Kopf im Todeskampf unzählige Male gehoben und gesenkt. Er trat vor und schwang seine eiserne Waffe blitzschnell auf und nieder. Dem dumpf knallenden Schlag folgte unmittelbar darauf ein zweiter. Die Vorderläufe des Stiers knickten ein, dann krachte er mit seinem ganzen Gewicht von sechzehnhundert Pfund aufs Pflaster. Der halbnackte Schlächter versenkte sein zweischneidiges Schwert im Nacken des Tieres, und das Blut spritzte nach allen Seiten. Ein Teil wurde in den Opferschalen aufgefangen, das meiste floß als dampfender, klebriger Strom über das aufgeweichte Erdreich und vermischte sich dort mit dem Regen.
Wie sehr sich doch beim Anblick von Blut der wahre Charakter eines Mannes offenbart, dachte Gaius Marius. Mit einem distanzierten Lächeln auf den Lippen beobachtete er, wie ein Senator hastig zur Seite sprang, ein anderer gleichgültig mit dem linken Schuh im Blut versank und ein dritter zu verbergen versuchte, daß ihm speiübel war.
Dann fiel ihm ein Mann auf, der am Rand des Ritterzuges stand, ein junger, aber bereits voll ausgewachsener Bursche, gekleidet in eine Toga, jedoch ohne den ritterlichen Streifen auf der rechten Schulter der Tunika. Er stand erst seit kurzem dort, und jetzt wandte er sich auch schon wieder dem steilen Weg zu, der vom Clivus Capitolinus zum Forum hinabführte. Ehe er sich abwandte, sah Gaius Marius freilich noch, wie er mit seinen blitzenden grauweißen Augen gierig den Anblick des frischen Blutes verschlang. Gaius Marius war sicher, daß er den Burschen noch nie zuvor gesehen hatte. Ein Gesicht von zugleich femininer und maskuliner Schönheit, und dann diese erstaunlichen Farben! Die Haut weiß wie Milch, die Haare rotgolden wie die aufgehende Sonne. Apollo in Menschengestalt. Sollte er es gewesen sein? Nein. Ein Gott hatte nicht solche Augen. Aus diesen Augen sprach viel Leid, und ein Gott brauchte doch nicht zu leiden.
Der zweite Stier hatte zwar mehr Betäubungsmittel gefressen, er wehrte sich aber trotzdem, sogar noch heftiger als sein Vorgänger. Der Hammerschläger verfehlte sein Opfer, und die rasende Kreatur stürzte sich in blinder Wut auf ihn. Geistesgegenwärtig packte jemand den Stier an den pendelnden Hoden, und diesen Augenblick des Erstarrens nutzten die beiden Schlächter, der Hammerschläger und der Mann mit der Axt, um gemeinsam erneut zuzuschlagen. Der Stier brach zusammen, und das Blut spritzte zwanzig Schritt weit und traf auch die beiden Konsuln. Spurius Postumius Albinus und sein seitlich hinter ihm stehender jüngerer Bruder Aulus wurden von oben bis unten mit Blut besudelt. Gaius Marius musterte den Konsul von der Seite und grübelte, was dieses Omen bedeuten mochte. Auf Rom kamen böse Zeiten zu, kein Zweifel.
Jenes unwillkommene Gefühl der Überlegenheit begleitete ihn auch jetzt, ja, es war in der letzten Zeit sogar noch stärker geworden, so als stünde der entscheidende Augenblick unmittelbar bevor. Der Augenblick, da er, Gaius Marius, der Erste Mann von Rom werden würde. Sein gesunder Menschenverstand - und daran mangelte es ihm nicht - schrie ihm zu, daß dieses Gefühl falsch sei, eine Falle, die Schande und Verderben über ihn bringen werde. Aber das Gefühl ließ sich nicht verscheuchen. Lächerlich! sagte die Vernunft in ihm. Er war jetzt siebenundvierzig Jahre alt. Bei der Wahl zum Prätor vor fünf Jahren hatte er die wenigsten Stimmen bekommen. Er war zu alt für das Konsulat, seine Herkunft stand ihm im Weg, und er hatte keine Anhänger. Seine Zeit war vorbei. Vorbei!
Endlich begann die Amtseinführung der Konsuln. Lucius Caecilius Metellus, ein affektierter Trottel, der sich Pontifex Maximus nennen durfte, leierte die abschließenden Gebete herunter, und gleich nach den Gebeten würde Minucius Rufus, der ältere der beiden Konsuln, den Herold beauftragen, den Senat im Tempel des Jupiter Optimus Maximus zusammenzurufen. Die Senatoren würden festlegen, wann die feriae latinae in den Albaner Bergen stattfinden sollten, debattieren, in welche Provinzen neue Statthalter entsandt werden mußten, und die Provinzen durch Los auf die Prätoren und Konsuln aufteilen. Ein egoistischer Volkstribun würde das Volk in den höchsten Tönen preisen, und Scaurus würde den dreisten Narren wie einen Käfer zertreten. Ein anderer eingebildeter Caecilius Metellus würde sich endlos über den Verfall von Sitte und Moral in der jüngeren Generation ereifern, bis er durch Zurufe zum Schweigen gebracht würde. Es war immer dasselbe: Senat, Volk, Rom, Gaius Marius. Siebenundvierzig Jahre alt. Bald würde er siebenundfünfzig sein, dann siebenundsechzig, und dann würde man seine Leiche auf dem Scheiterhaufen aufbahren, und er würde sich in Rauch auflösen. Das war dann das Ende von Gaius Marius, dem Emporkömmling aus den Schweineställen Arpinums, der kein echter Römer war.
Der Herold rief die Senatoren zur Sitzung. Seufzend machte sich Gaius Marius auf den Weg. Wie gern hätte er seine Wut jetzt an jemandem ausgelassen, wäre er auf jemandem herumgetrampelt. In diesem Moment traf sein Blick den des Gaius Julius Caesar, der lächelte, als wisse er genau, was in Gaius Marius vorging.
Irritiert starrte Gaius Marius ihn an. Dieser Julius Caesar war jetzt, da sein Bruder Sextus tot war, der älteste Sproß der Caesarenfamilie im Senat, und er vertrat dort eine eigenständige Meinung, auch wenn er nur ein Hinterbänkler war. Hochgewachsen und breitschultrig, hielt er sich kerzengerade wie ein Offizier, und sein feines, silbermeliertes Haar umrahmte ein von Furchen durchzogenes edles Gesicht. Er war nicht mehr jung, sicher über fünfundfünfzig, sah aber aus, als würde er einmal zu jenen unverwüstlichen Mumien gehören, die die Aristokratie mit so schöner Regelmäßigkeit hervorbrachte und die noch jenseits der Neunzig zu jeder Senats- und Volksversammlung schwankten, um dort goldene Worte der Vernunft zu sprechen. Die Sorte, die auch mit einem Opferbeil nicht totzukriegen war und die letzten Endes Rom zu dem gemacht hatte, was es war, trotz der zahllosen Priester vom Schlage eines Caecilius Metellus. Besser als der ganze Rest der Welt.
»Welcher Metellus wird uns heute mit seinen Worten beglücken?« fragte Caesar, als sie nebeneinander die Stufen zum Tempel hinaufstiegen.
»Einer, der sich seinen Namen erst verdienen muß«, antwortete Gaius Marius. Seine gewaltigen Augenbrauen zuckten auf und ab wie auf Nadeln gespießte Tausendfüßler. »Quintus Caecilius Metellus, der kleine Bruder unseres verehrten Pontifex Maximus.«
»Wieso er?«
»Weil er nächstes Jahr für das Konsulat kandidieren will, soviel ich weiß. Da will er sich jetzt schon ein bißchen ins Gespräch bringen.« Gaius Marius trat zur Seite, um dem älteren Caesar den Vortritt in das irdische Domizil des großen Gottes Jupiter Optimus Maximus zu lassen.
Caesar nickte. »Du hast wohl recht.«
Der große Saal in der Mitte des Tempels wurde vom trüben Licht draußen nur spärlich erhellt, aber das ziegelrote Gesicht der Götterstatue leuchtete gleichsam aus sich heraus. Die Statue war uralt, der berühmte etruskische Bildhauer Vulca hatte sie vor vielen hundert Jahren aus Terrakotta geformt, und im Lauf der Zeit hatte man sie mit einem elfenbeinernen Gewand, goldenen Haaren, goldenen Sandalen und einem goldenen Blitzstrahl geschmückt. Sogar Arme und Beine hatte man mit einer silbernen Haut überzogen, Finger und Zehennägel waren aus Elfenbein, und nur das Gesicht wahrte noch die ursprüngliche Farbe des rauhen, erdigen Tons. Es war bartlos, nach der Mode, die die Römer von den Etruskern übernommen hatten. Die aufeinandergepreßten Lippen waren zu einem idiotischen Grinsen verzerrt, das fast bis zu den Ohren reichte und den Gott aussehen ließ wie einen Vater, der verzweifelt bemüht ist, über die Untaten seiner Kinder hinwegzusehen.
An den großen Tempelsaal schloß sich zu beiden Seiten ein weiterer Raum an, links der Tempel der Minerva, der Tochter des Jupiter, rechts der seiner Frau Juno. In beiden Tempeln waren herrliche Statuen der Göttinnen in Gold und Elfenbein aufgestellt und daneben jeweils ein weiteres Götterbild. Als nämlich der Tempel erbaut worden war, hatten sich zwei der alten Götter geweigert auszuziehen, und so hatten die Römer alte und neue Götter einfach nebeneinandergestellt.
»Darf ich dich für morgen Nachmittag zum Essen einladen?« fragte Caesar.
Gaius Marius sah ihn überrascht an und überlegte, was er antworten sollte. Was hatte Caesar vor? Wieso lud er ihn ein, ausgerechnet ihn? Eines konnte man mit Bestimmtheit sagen: Ein Snob war Caesar nicht. Wer seine Vorfahren in der männlichen Linie bis zu Julus, Aeneas, Anchises und der göttlichen Venus zurückverfolgen konnte, hatte das gar nicht nötig.
»Ich danke dir, Gaius Julius«, antwortete Marius. »Ich nehme deine Einladung gerne an.«
Als Lucius Cornelius Sulla am Neujahrstag lange vor dem Morgengrauen erwachte, war er schon fast wieder nüchtern. Er stellte fest, daß er an seinem Stammplatz zwischen seiner Stiefmutter zur Rechten und seiner Mätresse zur Linken lag und daß die beiden Damen - wenn man sie schmeichelhafterweise so nennen durfte - vollständig bekleidet waren und ihm den Rücken zukehrten. Dem entnahm er, daß seine Liebesdienste in der vergangenen Nacht nicht gefordert gewesen waren, wofür auch die enorme und genußvoll peinigende Erektion sprach, die ihn geweckt hatte. Einen Augenblick lang versuchte er, sein drittes Auge, das ihn schamlos und aufrecht über seinen Bauch hinweg anstarrte, durch einen strengen Blick zum Einlenken zu bewegen, aber wie immer verlor er den ungleichen Wettstreit. Also blieb nur eins: den undankbaren Burschen befriedigen. Sulla streckte die rechte Hand aus und schob das Kleid seiner Stiefmutter nach oben, mit der linken Hand tat er dasselbe bei seiner Mätresse. Im selben Moment schossen die beiden Frauen, die sich nur schlafend gestellt hatten, wie Furien in die Höhe und begannen, ihn mit Schlägen und Bissen zu traktieren.
»Was habe ich denn getan?« brüllte er und krümmte sich unter ihren Fäusten zusammen, die Hände schützend über die Lenden gehalten. Die fürstliche Erektion war wie ein leerer Weinschlauch in sich zusammengefallen.
Die Frauen wollten ihm diese Frage unbedingt beantworten und zwar beide zugleich. Doch da erinnerte er sich schon selbst. Auch gut, die beiden kreischenden Weiber waren sowieso nicht zu verstehen. Metrobius, Fluch seinen Augen! Aber was für Augen! Tiefschwarz und glänzend wie polierte Pechkohle, umkränzt von schwarzen Wimpern, die so lang waren, daß man sie um einen Finger wickeln konnte. Haut, zart und hell wie Sahne, schmale Schultern, bedeckt von üppigen schwarzen Locken, und der süßeste Arsch der Welt. Vierzehn Jahre alt, aber mit der Erfahrung von tausend Jahren Laster, ein Schüler des alten Skylax, des Schauspielers - ein Lustknabe, eine süße Versuchung, ein kleiner Tiger.
Eigentlich bevorzugte Sulla inzwischen Frauen, aber Metrobius war ein Fall für sich. Als Cupido verkleidet war der Junge mit dem als Venus geschminkten Skylax zum Fest gekommen, auf dem Rücken ein herziges gefiedertes Flügelpaar und um die Lenden einen winzigen Streifen Schappseide, gefärbt mit billigem falschen Safran, der in dem heißen, stickigen Raum zerlaufen war und auf der Innenseite seiner Schenkel orangegelbe Spuren hinterlassen hatte, Spuren, die die Aufmerksamkeit nur noch mehr auf kaum verhüllte Reize lenkten.
Sulla hatte die Augen nicht von ihm abwenden können, und der Junge schien gleichermaßen fasziniert von Sulla. Es gab auch wenige Männer, die eine so schneeweiße Haut wie Sulla hatten, Haare von der Farbe der aufgehenden Sonne und Augen so hell, daß sie beinahe weiß wirkten. Ganz zu schweigen von seinem Gesicht, das vor einigen Jahren in Athen geradezu einen Aufruhr verursacht hatte. Damals hatte ein gewisser Aemilius den mittellosen, gerade sechzehn Jahre alten Sulla mit dem Postschiff nach Patrai geschmuggelt und sich dann auf dem längstmöglichen Weg von Patrai nach Athen entlang der Küste des Peloponnes nach Belieben mit dem Jungen vergnügt.
In Athen hatte Aemilius Sulla allerdings schnell fallen lassen, denn er konnte sich angesichts seiner Stellung Zweifel an seiner Männlichkeit nicht leisten. Bei den Römern war Homosexualität verpönt, den Griechen galt sie als höchste Form der Liebe. So verbargen die einen ängstlich, was die anderen vor den Augen ihrer beeindruckten Kameraden offen zur Schau stellten. Dafür machte die Angst vor der Entdeckung die Römer freigebiger. Sulla mußte feststellen, daß die Griechen nur ungern für etwas zahlten, das sie auch umsonst bekommen konnten, selbst wenn der Gewinn etwas so Außerordentliches war wie Sulla. Er erpreßte deshalb Aemilius, ihm eine Fahrt erster Klasse zurück nach Italien zu zahlen, und kehrte Athen für immer den Rücken.
Mit seinem Eintritt ins Mannesalter änderte sich natürlich alles. Sobald sein Bartwuchs eine tägliche Rasur erforderte und rotgoldene Haare sich auf seiner Brust kräuselten, ließen seine Anziehungskraft auf Männer und umgekehrt deren Großzügigkeit ihm gegenüber nach. Aber dann stellte er fest, daß Frauen noch dummer waren als Männer. Sie sehnten sich nach Beständigkeit und ließen sich deshalb bereitwillig ausbeuten. Als Kind hatte er kaum Kontakt mit Frauen gehabt. Seine Mutter war so früh gestorben, daß er keine Erinnerung an sie hatte, und sein Vater, ein verarmter Säufer, kümmerte sich kaum um die beiden Kinder. Sulla hatte eine zwei Jahre ältere Schwester, Cornelia Sulla. Sie sah genauso außergewöhnlich aus wie ihr Bruder und hatte sich einen schwerreichen Landadligen namens Lucius Nonius aus Picenum geangelt, dem sie nach Norden gefolgt war, um an seiner Seite die wie auch immer gearteten Freuden des Lebens in der Provinz zu genießen. Der sechzehnjährige Sulla war allein bei seinem Vater zurückgeblieben.
Als Sulla vierundzwanzig war, heiratete sein Vater zum zweiten Mal. Die Hochzeit brachte für Sulla eine große Erleichterung, denn in den Jahren davor war er ausschließlich damit beschäftigt gewesen, Geld zu beschaffen, damit sein Vater seinen Durst löschen konnte. Die neue Frau hieß Clitumna. Sie stammte ursprünglich aus einer umbrischen Bauernfamilie und war die Witwe eines reichen Kaufmanns. Nachdem es ihr gelungen war, das Testament ihres verstorbenen Gatten zu vernichten und sein gesamtes Vermögen zu erben, hatte sie dessen einzige Tochter mit einem Ölhändler aus Kalabrien verheiratet.
Was Clitumna an seinem heruntergekommenen Vater interessierte, begriff Sulla erst, als sie ihn einlud, in ihrem geräumigen Haus am Cermalus auf dem Palatin zu wohnen, und alsbald aus dem Bett des Vaters in das Bett des Sohnes sprang. Der entdeckte bei dieser Gelegenheit einen kleinen Funken Mitgefühl und Zuneigung für den ihm ansonsten eher lästigen Vater, wimmelte Clitumna so taktvoll wie möglich ab und zog wieder aus.
Er hatte ein wenig Geld sparen können und mietete in einem riesigen Mietshaus auf dem Esquilin zwei Zimmer zu einem Mietzins, den er gerade noch aufbringen konnte: dreitausend Sesterze im Jahr. Das eine Zimmer bewohnte er, im anderen mußte sein Diener schlafen und kochen. Außerdem nahm Sulla die Dienste einer jungen Wäscherin in Anspruch, die zwei Stockwerke über ihm wohnte und für verschiedene Mieter »arbeitete«. Einmal in der Woche trug sie seine schmutzige Wäsche zu einer Kreuzung am Ende der Gasse, wo sich das Gewirr der Straßen zu einem kleinen, unregelmäßigen Platz erweiterte. Dort befanden sich ein Heiligtum, ein Wachhäuschen für die Soldaten und eine Quelle, die sich in unaufhörlichem Rinnsal aus dem Maul eines häßlichen alten Silens in ein steinernes Becken ergoß. Der Brunnen war wie viele andere Brunnen eine Spende des großen alten Zensors Cato, der als Mann niederer Herkunft Sinn für praktische Einrichtungen gehabt hatte. An diesem Brunnen erkämpfte sich die Wäscherin einen Platz, schlug dann Sullas Tuniken auf die Steine, wrang jedes Kleidungsstück mit Hilfe einer anderen Wäscherin aus, bis es trocken war, legte die Wäsche sorgfältig zusammen und brachte sie Sulla zurück. Der Preis, den sie forderte, war gering: eine schnelle Nummer im Bett als Entschädigung für ein Leben an der Seite eines griesgrämigen alten Ehemanns.
Damals lernte Sulla auch Nikopolis kennen. »Stadt des Sieges« bedeutete ihr griechischer Name, und das bedeutete sie auch für ihn, denn sie war eine vermögende Witwe und bis zum Wahnsinn in ihn verliebt. Leider kleidete sie ihn zwar verschwenderisch nach der neuesten Mode, ließ sich aber auf keine regelmäßigen Zuwendungen ein.
Zwei Jahre nachdem er aus Clitumnas prachtvollem Haus ausgezogen war, starb sein Vater, der im ungetrübten Glück seiner zweiten Ehe seine Leber endgültig ruiniert hatte. Wenn Clitumna ihn als Preis für seinen Sohn in Kauf genommen hatte, ging ihre Rechnung nun auf, vor allem als Sulla entdeckte, daß Clitumna durchaus nicht abgeneigt war, seine Zuneigung - und ihr Bett - mit Nikopolis zu teilen. In behaglicher Dreisamkeit ließen sie sich in dem Haus auf dem Palatin nieder, und ihre Eintracht wurde nur gelegentlich durch Sullas Schwäche für junge Männer getrübt. Eine harmlose Schwäche freilich, wie er den beiden Frauen versicherte. Er fand keinen Geschmack an unschuldigen Knaben, es verlangte ihn nicht, Senatorensöhne zu verführen, die auf den Exerzierplätzen des Campus Martius herumtollten, mit Holzschwertern gegeneinander kämpften und über gepolsterte Attrappen sprangen, die wie richtige Pferde gesattelt waren. Nein, Sulla bevorzugte Lustknaben, professionelle, mit allen Wassern gewaschene Jünglinge, die ihn daran erinnerten, wie er selbst in diesem Alter gewesen war.
Da aber die Frauen seine Lustknaben verabscheuten, unterdrückte er sein Verlangen um des häuslichen Friedens willen oder gab ihm nur heimlich nach. Bis zum Abend des Vortags, dem letzten des alten Jahres, als sich das Konsulat von Publius Cornelius Scipio Nasica und Lucius Calpurnius Bestia dem Ende zuneigte und die Amtseinführung von Marcus Minucius Rufus und Spurius Postumius Albinus unmittelbar bevorstand. Clitumna und Nikopolis würden den Abend vermutlich als Nacht des Metrobius in Erinnerung behalten.
Alle drei gingen für ihr Leben gern ins Theater, allerdings nicht in die anspruchsvollen griechischen Stücke von Sophokles, Äschylos und Euripides, in denen maskierte Schauspieler mit tremolierenden Stimmen hochgestochene Verse deklamierten. Nein, ihre Liebe galt der Komödie, den witzigen lateinischen Schwänken von Plautus, Naevius und Terenz und vor allem den derben Possen mit unmaskierten Mimen, die aus dem Stegreif ein volkstümliches Programm mit nackten Dirnen, tollpatschigen Narren, furzenden Trompeten, allerlei grobem Schabernack und unwahrscheinlichen Geschichten darboten. Riesige Gänseblümchen, die aus wackelnden Ärschen ragten, die Bewegung eines Fingers, vielsagender als tausend Worte, Schwiegerväter mit verbundenen Augen, die Brüste mit reifen Melonen verwechselten, tolldreiste Seitensprünge, betrunkene Götter - nichts war der Posse heilig.
Sie kannten alle Schauspieler und Direktoren der Komödienbühnen Roms, und ein Fest ohne die Anwesenheit zumindest einiger Zelebritäten der Bühne war kein richtiges Fest. Die Tragödie existierte für sie überhaupt nicht, und darin glichen sie den meisten Römern, die immer für einen guten Spaß zu haben waren.
Zum Neujahrsfest in Clitumnas Haus waren Skylax, Astera, Milo, Pedokles, Daphne und Marsyas eingeladen. Natürlich mußten alle Gäste verkleidet kommen. Clitumna und Nikopolis verkleideten sich leidenschaftlich gern, und Sulla verwandelte sich mit Vorliebe in eine Frau, die er dann so lächerlich darzustellen pflegte, daß die Zuschauer sich köstlich darüber amüsierten.
Diesmal hatte Sulla sich als Gorgo Medusa verkleidet. Er trug eine Perücke mit lebendigen kleinen Schlangen, die sämtliche Anwesenden entsetzt aufkreischen ließen, wenn er den Kopf wie zum Angriff senkte, und war in fließende Gewänder aus Schappseide gehüllt, die den Gästen nur allzu freizügig den Blick auf seine größte Schlange gewährten. Seine Stiefmutter trat als Äffchen auf. Sie hatte ihren nackten Hintern blau angemalt, hüpfte in einem haarigen Umhang durch das Zimmer und kratzte sich überall. Nikopolis, die Clitumna an Schönheit weit übertraf, hatte ein gemäßigteres Kostüm gewählt, das Kostüm der Diana, der Göttin der Jagd, das ihre langen schlanken Beine und eine ihrer makellosen Brüste zeigte. Tanzend brachte sie die winzigen Pfeile ihres Köchers im Takt der Flöten, Pfeifen, Glocken, Lyren und Trommeln zum Rasseln.
Das Fest nahm einen schwungvollen Anfang. Sulla mit seinen lebenden Schlangen war zweifellos ein Erfolg, während über Clitumna, das Äffchen, am meisten gelacht wurde. Der Wein floß in Strömen. Schon lange vor Anbruch des neuen Jahres dröhnte das Gelächter und Geschrei der Gäste aus dem Säulengarten hinter dem Haus zu den erbosten Nachbarn hinüber. Als letzter Gast wankte Skylax zur Tür herein. Er trug Sandalen mit hohen Plateausohlen aus Kork und eine goldblonde Perücke, und unter seinem prachtvollen Gewand wölbten sich riesige Brüste. Geschminkt war er wie eine alte Hure. Arme Venus! Im Schlepptau hatte er Metrobius, seinen Cupido.
Kaum hatte Sullas größte Schlange einen Blick auf ihn geworfen, als sie sich auch schon in Sekundenschnelle aufrichtete, was weder das Äffchen noch die Jägerin Diana sonderlich erfreute und auch die Venus Skylax verdrießlich dreinblicken ließ. Und dann kam es zu einem wilden Durcheinander, das jeder Bühnenposse Ehre gemacht hätte: ein hüpfender blauer Hintern, eine hüpfende entblößte Brust, eine hüpfende blonde Perücke, eine hüpfende Schlange und ein hüpfender gefiederter Knabe. Ihren Höhepunkt erreichte die Hüpferei, als Sulla mit Metrobius hinter einem Sofa verschwand und den Knaben dort liebte. Leider war die Ecke den Blicken der anderen nicht so verborgen, wie die beiden gehofft hatten.
Natürlich hatte Sulla gewußt, daß er einen furchtbaren Fehler beging, doch genützt hatte das nichts. Von dem Augenblick an, als er die an den seidigen Schenkeln herunterlaufende Farbe gesehen und einen Blick in die glänzenden schwarzen Augen mit den langen Wimpern geworfen hatte, war es um ihn geschehen. Er war dem Knaben hoffnungslos verfallen. Und als er mit den Fingern über das gerüschte Röckchen strich, das der Knabe trug, und es gerade so weit lüftete, daß er die Schönheit des unbehaarten, mattgoldenen Schatzes darunter sehen konnte, gab es kein Halten mehr. Er hatte den Knaben hinter ein Sofa drängen und ihn besitzen müssen.
Fast wäre aus der Posse eine Tragödie geworden. Clitumna ergriff einen kostbaren Kelch aus Alexandriner Glas, zertrümmerte ihn und ging mit den Scherben in der Hand auf Sulla los. Nikopolis stürzte sich daraufhin mit einem Weinkrug auf Clitumna, Skylax bearbeitete Metrobius mit einem seiner Plateauschuhe. Gebannt sah die Festgesellschaft dem Spektakel zu. Zum Glück war Sulla noch nicht so betrunken, daß er nicht mehr Herr seiner Kräfte gewesen wäre. Er machte kurzen Prozeß und schlug Skylax so gewaltig auf sein dick geschminktes Auge, daß es für mindestens einen Monat zuschwoll. Den langen, nackten Beinen der Diana verpaßte er einen Köcher voll spitzer Pfeile, Clitumna legte er übers Knie und schlug ihre blaubemalten Hinterbacken so lange, bis sie schwarz waren. Dann dankte er dem Knaben mit einem sehnsuchtsvollen Zungenkuß und begab sich mit einem überwältigenden Gefühl des Ekels zu Bett.
Erst am Neujahrsmorgen begriff Sulla, was sich abgespielt hatte: keine Posse und auch keine Komödie, sondern eine Tragödie, nicht minder sonderbar und voller häßlicher Verwicklungen wie eine der Tragödien, die Sophokles in tiefster Verzweiflung über das Treiben der Götter und Menschen geschrieben hatte. Heute, am ersten Tag des neuen Jahres, hatte Sulla Geburtstag. Er war jetzt genau dreißig Jahre alt.
Er wandte sich den beiden raufenden und keifenden Frauen zu und sah sie so voller Zorn, Schmerz und Abscheu an, daß sie augenblicklich verstummten. Reglos hockten sie da wie Statuen, während er eine frische weiße Tunika anzog und sich von einem Sklaven in eine Toga hüllen ließ, die er in den letzten Jahren höchstens zu Theaterbesuchen angezogen hatte. Erst als er gegangen war, kam wieder Bewegung in die Frauen. Sie starrten einander an, und dann jammerten und weinten sie, ohne zu verstehen, daß sie nicht um sich, sondern um ihn weinten.
In Wirklichkeit war das Leben des Lucius Cornelius Sulla eine einzige Lüge. Er hatte sich schon immer etwas vorgelogen. Die Welt, in der er dreißig Jahre lang gehaust hatte - eine Welt von Säufern, Bettlern, Schauspielern, Dirnen, Betrügern und freigelassenen Sklaven - war nicht seine Welt.
In Rom gab es unzählige Familien mit dem Namen Cornelius. Sie trugen diesen Namen, weil ein Vater, Großvater oder anderer Vorfahr irgendwann einmal als Sklave oder Bauer zum Haushalt eines Patriziers namens Cornelius gehört hatte. War der Vorfahr anläßlich einer Heirat, Geburt oder Beerdigung aus der Leibeigenschaft entlassen worden oder hatte er sich mit eigenen Ersparnissen freigekauft, hatte er den Namen seines Herrn übernommen. Er nannte sich fortan auch Cornelius und blieb dem Geschlecht, dessen Namen er das Bürgerrecht verdankte, als Klient verbunden.
Mit Ausnahme von Clitumna und Nikopolis gingen auch alle Bekannten Sullas wie selbstverständlich davon aus, daß Sulla ein solcher Cornelius war, also der Sohn, Enkel oder Urenkel eines Sklaven oder Bauern. Seiner hellen Hautfarbe nach eher eines Sklaven als eines Bauern. Natürlich gab es Patrizier, die Cornelius Scipio, Cornelius Lentulus oder Cornelius Merula hießen, aber wer hatte je von einem Patrizier namens Cornelius Sulla gehört? Kein Mensch wußte, was der Name Sulla überhaupt bedeutete!
Lucius Cornelius Sulla aber war tatsächlich ein Patrizier, der Sohn eines Patriziers, der Enkel eines Patriziers und so fort bis in die Zeit der Gründung Roms, auch wenn er in den Listen der Zensoren unter den capite censi geführt wurde, den besitzlosen Römern. Seine Herkunft qualifizierte Sulla für eine glänzende politische Laufbahn, den cursus honorum. Seine Geburt berechtigte ihn, Konsul zu werden.
Aber Lucius Cornelius Sulla war arm. Sein Vater hatte ihm außer dem Bürgerrecht nichts hinterlassen, er hatte nicht einmal genug besessen, um seinen Sohn in die unterste der fünf Vermögensklassen eintragen zu lassen. Auf Sulla wartete kein roter Streifen auf der Tunika, weder der schmale Streifen der Ritter noch der breite Streifen der Senatoren. Wenn er sagte, daß er aus dem Geschlecht der Cornelier stamme, wurde er ausgelacht. Schließlich gehörte das Geschlecht der Cornelier zu den vier ältesten der fünfunddreißig römischen Tribus, und es war unvorstellbar, daß ein Mitglied dieser Familie zu den capite censi gehörte.
An seinem dreißigsten Geburtstag hätte Sulla eigentlich Senator werden sollen - die Zensoren hätten ihn entweder als gewählten Quästor oder allein aufgrund seiner Abstammung in den Senat berufen müssen. Statt dessen war er der Gespiele zweier ordinärer Weiber, und es bestand nicht die geringste Hoffnung, daß er jemals die nötigen Mittel würde aufbringen können, um sein Geburtsrecht wahrzunehmen. Im nächsten Jahr würde ein Zensus stattfinden. Sulla wünschte sich, stolz vor die Zensoren auf dem Forum Romanum treten zu können, um ihnen ein Jahreseinkommen von einer Million Sesterze vorzuweisen! Denn das war das Mindesteinkommen für einen Senator. Oder wenigstens 400 000 Sesterze, das Mindesteinkommen für einen Ritter! Doch er besaß nichts, sein jährliches Einkommen hatte 10 000 Sesterze nie überstiegen, und er ließ sich von Frauen aushalten. Unter die Armutsgrenze fiel in Rom, wer sich nicht einmal einen Sklaven halten konnte, und so gesehen hatte Sulla schon einige Male unter der Armutsgrenze gelebt. Er, ein patrizischer Cornelius!
In jenen zwei Jahren, als er tapfer den Verlockungen Clitumnas widerstanden und in dem Mietshaus auf dem Esquilin gehaust hatte, hatte er auf den Docks im Hafen Arbeit suchen müssen, hatte Weinkrüge geschleppt und Weizenurnen verladen, nur damit er sich einen Sklaven leisten konnte. Denn niemand sollte merken, daß er im Elend lebte. Mit zunehmendem Alter wuchs auch sein Stolz oder genauer - das Bewußtsein seiner Erniedrigung. Er hatte stets dem Drang widerstanden, sich eine regelmäßige Arbeit zu suchen, ein Handwerk in einer Gießerei oder Zimmerei zu erlernen, als Schreiber in einem Kontor oder als Schriftenkopierer für einen Verlag oder eine Leihbücherei zu arbeiten. Wer auf den Docks, auf den Märkten und auf Baustellen arbeitete, brauchte keine lästigen Fragen zu beantworten. Wer regelmäßig am selben Arbeitsplatz erschien, mußte alle möglichen Fragen beantworten. Nicht einmal Soldat konnte er werden, denn auch dafür hätte er Vermögen nachweisen müssen. Von der Geburt her hätte er Feldherr sein können, aber er hatte noch nie ein Schwert getragen, auf einem Pferd gesessen oder einen Speer geworfen, nicht einmal auf den Exerzierplätzen des Campus Martius bei der Villa Publica.
Hätte er irgendeinen entfernten Verwandten angebettelt - denn nähere Verwandte hatte er nicht mehr -, so wäre sein Schicksal vielleicht durch ein großzügiges Darlehen gemildert worden. Doch sein Stolz, der ihm immerhin gestattete, sich von ordinären Frauen aushalten zu lassen, hinderte ihn daran, zum Bittsteller zu werden. Lieber wollte er ein Niemand bleiben, der niemandem etwas schuldete, als durch ein großes Darlehen in ein Klientelverhältnis geraten. Er, ein patrizischer Cornelius!
Ohne ein bestimmtes Ziel stürmte er aus dem Haus seiner Stiefmutter. Nur in der feuchten Luft durchatmen und den ganzen Arger hinter sich lassen! Clitumna hatte sich einen für ihre Verhältnisse ungewöhnlichen Wohnort ausgesucht. In ihrer Straße wohnten erfolgreiche Advokaten, Hinterbänkler aus dem Senat und Ritter mit mittleren Einkommen. Die Straße verlief zwar weit unten am Hang des Palatin und bot deshalb keine schöne Aussicht, aber sie lag angenehm nah am politischen und wirtschaftlichen Zentrum der Stadt, dem Forum Romanum, und den Markthallen und Plätzen in seiner Umgebung. Natürlich schätzte Clitumna auch die Sicherheit dieses Viertels, das weit von der Subura mit ihren engen Gassen und finsteren Gestalten entfernt war, wenngleich Clitumnas lärmenden Feste und zweifelhafte Freunde schon zu manch wütendem Streit mit den Nachbarn geführt hatten. Neben ihr wohnte der steinreiche Bankier und Kaufmann Titus Pomponius, auf der anderen Seite der Senator Gaius Julius Caesar.
Clitumna sah ihre Nachbarn selten. Das war einer der Vorteile oder auch Nachteile, wenn man so wollte - der nach innen ausgerichteten Häuser mit ihren fensterlosen Außenwänden, den großen Innenhöfen und den Gärten mit Säulengängen. Wenn sich Clitumnas Gäste allerdings aus dem Eßzimmer hinaus in den Säulengarten ergossen, drang der Lärm weit über die Grenzen ihres Anwesens hinaus und erboste sämtliche Nachbarn.
Inzwischen war es hell geworden. Vor sich erkannte Sulla die Frauen aus dem Haus des Gaius Julius Caesar, die auf den hohen Korksohlen und noch höheren Korkabsätzen ihrer Winterschuhe vorsichtig über die schmutzige Straße stakten. Wahrscheinlich wollten sie sich die Feierlichkeiten ansehen. Er verlangsamte seinen Schritt und maß die dickvermummten Gestalten mit dem schamlosen Blick eines Mannes, der von seinen Trieben beherrscht wird. Caesars Frau war eine Marcia, Tochter des Erbauers der Aqua Marcia und kaum älter als vierzig. Höchstens fünfundvierzig. Eine schlanke, gepflegte Erscheinung, hochgewachsen, brünett und überdurchschnittlich hübsch. Mit ihren beiden Töchtern konnte sie freilich nicht konkurrieren. Das waren echte Julias, zwei blonde Schönheiten, wobei nach Sullas Geschmack der jüngeren die Krone gebührte. Er hatte sie einige Male beobachtet, wenn sie auf dem Markt einkaufen gingen, und er wußte, daß ihre Börsen ebenso schmal waren wie ihre Taillen. Die Familie konnte sich nur mit knapper Not im Senat halten.
Geld regierte die Welt. Ohne Geld war man ein Nichts. Kein Wunder, daß niemand eine Gelegenheit ausließ, sich zu bereichern. Wer sich durch die Politik bereichern wollte, mußte zunächst dafür sorgen, daß er zum Prätor gewählt wurde. Sobald er gewählt war, zahlten die jahrelangen Investitionen sich aus. Denn als Prätor regierte er eine Provinz, und dort konnte er leben wie ein Gott und sich großzügig bedienen. Wer die Gelegenheit hatte, führte einen kleinen Grenzkrieg gegen einen Barbarenstamm, plünderte dessen Gold und Heiligtümer, verkaufte die Gefangenen auf dem Sklavenmarkt und strich den Gewinn ein. Aber auch ohne Krieg gab es Wege, zu Geld zu kommen. Ein Prätor konnte mit Getreide und anderen wichtigen Gütern handeln, er konnte zu schwindelerregenden Zinssätzen Geld verleihen und es, wenn nötig, mit Hilfe der Armee eintreiben, und er konnte bei der Steuererhebung die Bücher frisieren, römische Bürgerrechte teuer verkaufen oder ungesetzliche Gebühren erheben.
Alles hing am Geld. Doch wie sollte Sulla zu Geld kommen? Wie konnte er genug auftreiben, um Senator zu werden? Träume, Lucius Cornelius Sulla! Träume!
Die Frauen bogen nach rechts in den Clivus Victoriae ein, und Sulla wußte jetzt, wohin sie gingen: zur area Flacciana, auf der einst das Haus des Flaccus gestanden hatte. Als er an dem stellen, von winterlich grauem Gras bedeckten Abhang stehenblieb, ließen sich die Frauen gerade auf Klappstühlen nieder, während ein kräftiger Bursche, der aussah wie ein Thraker, damit beschäftigt war, eine Zeltplane aufzuspannen, um seine Herrin vor dem stärker werdenden Regen zu schützen. Sulla beobachtete, wie die beiden Julias sich brav neben ihre Mutter setzten, dann aber, als diese ein Gespräch mit der schwangeren Frau des Titus Pomponius begann, ihre Stühle nahmen und die Wiese hinunter zu den vier Mädchen aus der Sippe des Claudius Pulcher rannten. Auch deren Mütter saßen in der Nähe. Wie hießen sie doch gleich? Ach ja, Licinia und Domitia. Sulla kannte sie recht gut, er hatte mit beiden schon geschlafen. Ohne nach rechts oder links zu blicken, stieg er den Abhang hinunter zu den beiden Frauen.
»Meine Damen«, sagte er mit einer Verbeugung, »was für ein scheußlicher Tag.«
Alle Frauen der Gegend kannten ihn, und das war in gewisser Weise besonders schlimm. Während seine Freundinnen aus der Gosse ihn stets als einen der ihren betrachteten, begingen die adligen Römerinnen diesen Fehler nicht. Sie wußten alle ganz genau, daß er von edler Herkunft war, und sie kannten seinen Stammbaum und seine Vergangenheit. Die einen empfanden Mitleid mit ihm, andere, wie Licinia und Domitia, vergnügten sich mit ihm im Bett, aber helfen wollte ihm keine.
Der Wind blies aus Nordost und trug den säuerlichen Dunst kalter Asche heran, den Geruch feuchter Holzkohle, verbrannten Kalks und Tausender vergrabener, verwester Leichen. Im vergangenen Sommer waren der gesamte Viminal und der obere Teil des Esquilin in Flammen aufgegangen. Es war das schrecklichste Feuer seit Menschengedenken gewesen: Ungefähr ein Fünftel der Stadt war niedergebrannt, bevor es gelungen war, mit vereinten Kräften eine so breite Bresche zwischen die Häuser zu schlagen, daß das Flammenmeer vor den überfüllten Mietshäusern der Subura und dem unteren Teil des Esquilin zum Stehen gebracht werden konnte. Glücklicherweise hatten der Wind und der breite Vicus Longus verhindert, daß das Feuer sich auf den dünner besiedelten Quirinal ausbreitete, den nördlichsten Hügel innerhalb der Stadtmauern.
Obwohl inzwischen ein halbes Jahr vergangen war, war die schreckliche Narbe, die der Brand hinterlassen hatte, noch deutlich zu erkennen. Eine ganze Quadratmeile verbrannter Erde, halb eingestürzter Gebäude, Öde. Wieviele Menschen ums Leben gekommen waren, wußte niemand. Mehr als genug jedenfalls, denn danach hatte es keinen Mangel an Wohnungen gegeben, obwohl der Wiederaufbau nur langsam voranging. Hier und da ragten hölzerne Gerüste hundert Fuß oder noch höher auf, Zeichen für einen neuen Typ mehrstöckiger Mietshäuser, die die Taschen so mancher Vermieter füllen würden.
Belustigt registrierte Sulla, daß Licinia und Domitia sich in seiner Gegenwart höchst unbehaglich fühlten und ihn am liebsten nicht erkannt hätten. Geschah ihnen ganz recht, sollten sie doch leiden, die dummen Weiber! Ob sie wußten, daß er mit beiden geschlafen hatte? Kaum. Diese Vorstellung verlieh der Begegnung eine zusätzliche pikante Note. Mit flinken Augen beobachtete er, wie sie einander versteckte Blicke zuwarfen und zu Marcia und den anderen Frauen hinüberschielten. Nein, doch nicht Marcia! Diese Säule des Anstands, dieses Monument der Tugend!
»Es war eine furchtbare Woche damals«, sagte Licinia schrill, die Augen starr auf das verbrannte Gelände gegenüber gerichtet.
»Ja«, sagte Domitia und räusperte sich.
»Es war so schrecklich!« schnatterte Licinia weiter. »Wir wohnten damals auf den Carinae, Lucius Cornelius, und das Feuer kam immer näher. Als es endlich vorbei war, habe ich Appius Claudius überredet, in diesen Teil der Stadt zu ziehen. Man ist nirgendwo sicher vor Feuer, aber es ist bestimmt besser, wenn man zwischen sich und der Subura das Forum und die Sümpfe hat! «
»Es war herrlich«, sagte Sulla. Er dachte daran, wie er in jener Woche Nacht für Nacht auf den Stufen des Vestatempels gestanden und dem Feuer zugeschaut hatte. Angesichts der grauenvollen Pracht war er sich vorgekommen wie ein Feldherr, der die Plünderung einer feindlichen Stadt angeordnet hat. »Herrlich!« wiederholte er.
Der hämische Ton seiner Stimme veranlaßte Licinia nun doch, ihm in die Augen zu schauen, aber was sie dort sah, ließ sie schnell wieder wegsehen. Sie bereute bitter, daß sie sich jemals in die Hände dieses Mannes begeben hatte. Sulla war nicht nur gefährlich, er war offenbar auch nicht ganz richtig im Kopf.
»Und doch hat alles auch sein Gutes«, sagte sie mit einem krampfhaften Lächeln. »Meine Vettern Publius und Lucius Licinius haben danach eine Menge Brachland erworben. Sie sagen, daß der Wert in den kommenden Jahren unermeßlich steigen wird.«
Licinia gehörte zur Familie des Multimillionärs Licinius Crassus. Warum suchte sich Sulla keine reiche Braut wie Appius Claudius Pulcher, der Licinia geheiratet hatte? Ganz einfach! Weil kein reicher und adliger Vater, Bruder oder Vormund einer solchen Heirat zustimmen wurde.
Mit einem Mal machte es ihm keinen Spaß mehr, mit den Frauen zu spielen. Wortlos drehte er sich um und stapfte den Clivus Victoriae hinauf. Im Vorübergehen bemerkte er, daß die beiden Julias zur Ordnung gerufen worden waren und wieder neben ihrer Mutter unter dem Zeltdach saßen. Seine hellen Augen streiften sie, glitten über das größere der beiden Mädchen hinweg und blieben an der kleinen Schwester hängen. Ein süßes Geschöpf! Ein in Nektar getauchter Honigkuchen, eine göttliche Speise. Er verspürte einen Stich in der Brust. Zugleich entging ihm freilich nicht, daß die kleine Julia sich auf ihrem Klappstuhl umgedreht hatte und ihm nachsah.
Er ging die Stufen zum Forum Romanum hinab und stieg dann den Clivus Capitolinus hinauf, bis er bei der Menschenmenge anlangte, die sich vor dem Tempel des Jupiter Optimus Maximus versammelt hatte. Zwar war er nicht zu der Feier eingeladen worden und viele der Ritter und sogar einige Senatoren kannten ihn nicht, aber es waren immer noch genug Männer da, die wußten, wer er war, und ihn nicht fortschicken würden.
Auch wenn er am öffentlichen Leben der Oberschicht nicht teilhatte: Vielleicht hatte er es nach so vielen Generationen einfach im Blut, dieses gewisse Gefühl, als ob Todesglocken Untergang und Verderben ankündigten. Für die politischen Vorgänge auf dem Forum Romanum hatte er sich nie interessiert. Lieber blieb er dem Geschehen dort fern, als sich für etwas aufzureiben, zu dem ihm der Zugang doch verwehrt war. Aber jetzt ahnte er, daß es ein schlechtes Jahr werden würde, ein weiteres schlechtes Jahr in jener langen Folge schlechter Jahre, die mit der Ermordung des Tiberius Gracchus begonnen und ihre Fortsetzung mit dem erzwungenen Selbstmord seines Bruders Gaius Gracchus gefunden hatte.
Fast schien es, als liege Rom in den letzten Atemzügen, als sei es politisch am Ende. Sulla sah sich um. Mittelmaß und Bedeutungslosigkeit, wohin sein Auge traf. Dort standen sie und dösten im Nieselregen vor sich hin, Männer, die innerhalb von zehn Jahren den Tod von über 30 000 tüchtigen römischen und italischen Soldaten verschuldet hatten, und das zumeist aus persönlicher Habgier. Da war es wieder, das Geld. Geld, Geld und nochmals Geld. Und Macht. Man durfte den Hunger nach Macht nicht unterschätzen. Wo waren die wirklich großen Köpfe in dieser jämmerlichen Versammlung? Wo waren die Männer, die Rom vor dem Untergang erretten würden?
Der weiße Stier bockte. Kein Wunder, wenn man sich die Konsuln für dieses Jahr ansah. Für jemanden wie Spurius Postumius Albinus würde ich meinen Kopf auch nicht freiwillig unters Beil legen, dachte Sulla, er mag noch so oft ein Patrizier sein. Woher hatte er überhaupt so viel Geld? Richtig, die Postumius Albinus hatten immer Geld geheiratet. Verflucht sollten sie sein.
Das Blut spritzte. Ein ausgewachsener Stier hat eine Menge Blut. Was für eine Verschwendung. Kraft, Muskeln, Potenz. Doch was für eine wunderbare Farbe. Tiefrot und dickflüssig rann sie zwischen den Füßen der Zuschauer hangabwärts. Gebannt blieb Sullas Blick daran hängen. Verband sich Kraft immer mit der Farbe Rot? Feuer. Blut. Haare - seine Haare. Penisse. Senatorenschuhe. Muskeln. Flüssiges Metall. Lava.
Es war Zeit zu gehen. Das Blut noch vor Augen, sah er auf und begegnete dem ruhigen, festen Blick eines hochgewachsenen Senators, der in die toga praetexta der hohen Magistratsbeamten gekleidet war. Was für ein Mann! Wie hieß er? Er hatte keine Ähnlichkeit mit anderen prominenten Senatoren. Sulla kannte deren Gesichter genau, obgleich er nicht mit ihnen verkehrte.
Wer auch immer der Mann sein mochte, er gehörte jedenfalls keiner der großen Familien an. Schon die Nase ließ auf einen Schuß keltischen Blutes schließen. Für einen echten Römer war sie zu kurz und gerade. Und dann die gewaltigen Augenbrauen! Auch sie keltisch. Sein Gesicht war von zwei Narben gezeichnet, die ihn aber nicht verunstalteten. Eine Kämpfernatur, ungestüm, stolz und intelligent. Ein Adler. Doch wer war er? Kein Konsul, dessen war sich Sulla sicher. Vielleicht ein Prätor? Jedenfalls keiner der diesjährigen Prätoren, denn die hatten sich hinter den Konsuln versammelt und starrten stocksteif vor Würde geradeaus wie ein Haufen alter Vogelscheuchen.
Sulla drehte sich abrupt um und ging. Er konnte sie nicht länger ertragen, auch den Mann mit dem Adlerblick nicht. Es war Zeit zu gehen. Doch wohin? Blieb ihm etwas anderes übrig, als sich in die Arme seiner alternden Stiefmutter und seiner Mätresse zu flüchten?
Wenn ein gekrönter Herrscher Rom besuchte, durfte er das pomerium, die geheiligte Stadtgrenze, nicht überschreiten. So mußte Jugurtha, der König der Numider, den Neujahrstag in seiner schwindelerregend teuren, aber todlangweiligen Villa auf dem Pincio über der weiten, das Marsfeld umschließenden Flußschleife verbringen. Der Makler hatte die Aussicht in höchsten Tönen gepriesen, den weiten Blick über das Janiculum und den vatikanischen Hügel, die grünen, vom Tiber begrenzten Auen und das breite, blaue Band des mächtigen Stroms. So große Flüsse wie den alten Vater Tiber gebe es in Numidien bestimmt nicht, hatte der eitle kleine Mann geplappert und dabei verschwiegen, daß er im Auftrag eines Senators handelte, der das Haus so günstig wie möglich vermieten wollte. Warum hielten die Römer eigentlich alle Nichtrömer für dumm und einfältig? Jugurtha wußte genau, wem die Villa gehörte. Er wußte genau, daß man ihn mit dem Mietzins übers Ohr gehauen hatte. Aber Offenheit war nicht zu jeder Zeit und an jedem Ort das richtige, und deshalb hatte er nichts gesagt, als er den Mietvertrag unterschrieben hatte.
Immerhin konnte er von seinem Haus aus die schwarzen Felsen des Kapitols und die Rückseite des Jupitertempels sehen, wo nach Auskunft seiner Agenten in eben diesem Augenblick die erste Senatssitzung mit den neuen Konsuln stattfand. Wie verhandelte man mit den Römern am besten? Wenn er das gewußt hätte, er hätte jetzt ein paar Sorgen weniger gehabt.
Dabei hatte am Anfang alles ganz einfach ausgesehen. Jugurthas Großvater war der große Massinissa, der aus den Trümmern des von den Römern im Punischen Krieg zerstörten Karthago das Königreich Numidien geschaffen hatte. Die Römer hatten das zunächst geduldet, waren aber unruhig geworden, als Massinissas Macht immer weiter wuchs und ein neues Karthago zu entstehen schien. Für Numidien war es ein Glück, daß Massinissa rechtzeitig starb, denn nach seinem Tod teilte Scipio Aemilianus die Macht in Numidien unter Massinissas drei Söhnen auf, wie der König es in seinem Testament verfügt hatte. Scipio Aemilianus griff dabei allerdings zu einer List: Er teilte nicht das Land auf, sondern die königlichen Pflichten. Den ältesten Sohn machte er zum Verwalter der Finanzen und der Paläste, den mittleren zum Feldherrn des numidischen Heeres und den jüngsten zum obersten Richter. So hatte der Sohn, der das Heer befehligte, für einen Aufstand kein Geld, der Sohn, der das Geld hatte, kein Heer, und der Sohn, der das Gesetz hütete, weder Geld noch Soldaten.
Bevor Rivalität und Streitereien doch noch einen Aufstand herbeiführen konnten, starben die beiden jüngeren Söhne, und der älteste, Micipsa, wurde Alleinherrscher. Seine verstorbenen Brüder hatten jedoch Kinder hinterlassen: zwei rechtmäßige Söhne und einen Bastard namens Jugurtha. Einer dieser jungen Männer würde Micipsa nach dessen Tod auf den Thron folgen. Aber welcher? Doch dann zeugte der bisher kinderlose Micipsa in fortgeschrittenem Alter zwei eigene Söhne, Adherbal und Hiempsal. Der Kampf um die Krone wurde zusätzlich dadurch angeheizt, daß die potentiellen Thronfolger in der falschen Reihenfolge geboren worden waren. Jugurtha, der Bastard, war der älteste, die Söhne des regierenden Königs waren noch Säuglinge.
Massinissa hatte seinen Enkel Jugurtha verachtet, allerdings weniger deshalb, weil er ein Bastard war, sondern vielmehr, weil seine Mutter von den geringsten seiner Untertanen abstammte - sie war ein nomadisches Berbermädchen. Micipsa erbte von seinem Vater die Abneigung gegen Jugurtha, und als er sah, daß dieser zu einem gutaussehenden, intelligenten Mann heranwuchs, suchte er Mittel und Wege, den Hauptrivalen um die Thronfolge aus dem Weg zu räumen. Als Scipio Aemilianus von Numidien militärische Unterstützung bei der Belagerung Numantias anforderte, stellte Micipsa die numidischen Truppen unter den Befehl Jugurthas, in der Hoffnung, daß Jugurtha in Spanien fallen würde.
Doch es kam anders. Jugurtha war der geborene Soldat, und außerdem freundete er sich schnell mit den Römern an, besonders mit zwei jungen Militärtribunen aus dem Stab des Scipio Aemilianus, Gaius Marius und Publius Rutilius Rufus. Die drei Männer waren gleich alt, dreiundzwanzig. Am Ende des Feldzuges hatte Jugurtha überdies eine wichtige Einsicht gewonnen: Alle Römer, die ein hohes politisches Amt anstrebten, litten unter chronischem Geldmangel. Mit anderen Worten, sie waren käuflich.
Zurück in Numidien, übergab Jugurtha König Micipsa einen Brief des Scipio Aemilianus, in dem dieser Jugurthas Tapferkeit, Vernunft und überragende Intelligenz so überschwenglich lobte, daß Micipsa seine Ablehnung aufgeben mußte. Etwa zur selben Zeit, als Gaius Sempronius Gracchus im Hain der Furrina starb, entschloß sich Micipsa, Jugurtha offiziell als Sohn anzunehmen und ihn zum ersten Anwärter auf den Thron zu bestimmen. Er machte jedoch zur Bedingung, daß Jugurtha niemals König werden dürfe, sondern lediglich die Vormundschaft über die beiden legitimen Söhne Micipsas übernehmen solle.
Unmittelbar darauf starb König Micipsa und hinterließ zwei minderjährige Thronerben und Jugurtha als Regenten. Innerhalb eines Jahres wurde der jüngere der beiden Brüder, Hiempsal, auf Jugurthas Veranlassung ermordet. Der ältere, Adherbal, entkam Jugurthas Häschern und floh nach Rom. Dort trat er vor den Senat und verlangte, Rom solle in Numidien Ordnung schaffen und Jugurtha entmachten.
»Warum fürchten wir die Römer so sehr?« fragte Jugurtha und richtete seine Gedanken wieder auf die Gegenwart. Der Regen legte einen weichen Schleier über Exerzierplätze und Gärten, das andere Ufer des Tiber war im Nebel verschwunden.
Auf der Loggia befanden sich ungefähr zwanzig Männer, mit einer Ausnahme alles Leibwächter. Sie waren keine angeworbenen Gladiatoren, sondern Jugurthas eigene Leute aus Numidien - dieselben, die ihm vor sieben Jahren den Kopf des jungen Prinzen Hiempsal gebracht hatten und fünf Jahre später den Kopf des Prinzen Adherbal.
Die Ausnahme war ein semitisch aussehender Mann, ungefähr so groß wie Jugurtha - an ihn hatte Jugurtha seine Frage gerichtet. Der Mann saß neben dem König auf einem bequemen Stuhl. Ein Außenstehender mochte die beiden für Verwandte halten, was sie auch tatsächlich waren, wenngleich der König es vorzog, nicht daran zu denken. Der Begleiter des Königs an diesem häßlichen Neujahrstag war sein Halbbruder, Sohn eines Höflings, mit dem Jugurthas unglückliche Mutter verheiratet worden war. Er hieß Bomilkar und war seinem König treu ergeben.
»Warum fürchten wir sie?« wiederholte Jugurtha, und es klang drängend, fast verzweifelt.
Bomilkar seufzte. »Ganz einfach. Was ist das: Es trägt einen Helm aus Stahl, der ein bißchen aussieht wie ein umgestülpter Blumentopf, eine rotbraune Tunika und darüber ein langes Kettenhemd, ferner ein lächerlich kleines, kurzes Schwert, fast wie ein Dolch, und ein oder zwei Speere mit kleinen Spitzen? Ja? Nein, kein Söldner. Auch kein Bettler. Ein römischer Infanterist.«
Jugurtha brummte und schüttelte den Kopf. »Das ist nur die halbe Antwort. Auch römische Soldaten sind sterblich.«
»Aber sie sterben nur sehr schwer.«
»Nein, es muß noch etwas anderes sein. Ich verstehe es einfach nicht! Du kannst sie kaufen wie Brot beim Bäcker, und man sollte meinen, daß sie innen auch so weich wie Brot sind. Aber das sind sie nicht.«
»Du meinst ihre Anführer?«
»Ja, ihre Anführer. Die ehrwürdigen patres conscripti des Senats. Sie sind durch und durch korrupt! Sie müßten schon völlig verdorben sein. Wachsweich und hohl. Aber das sind sie nicht. Sie sind hart wie Granit, kalt wie Eis und verschlagen wie ein parthischer Satrap. Sie geben niemals auf. Kaum hat man sich einen gefügig gemacht, taucht schon der nächste auf, und man muß wieder von vorn anfangen.«
»Ganz zu schweigen davon, daß man manchmal auch einen braucht, den man nicht kaufen kann - nicht, weil er nicht käuflich wäre, sondern weil sein Preis zu hoch ist.« Bomilkar schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Ich hasse sie alle«, stieß Jugurtha verbittert hervor.
»Ich auch, aber damit ist uns nicht geholfen.«
»Numidien gehört mir!« rief der König. »Sie wollen das Land ja gar nicht. Sie wollen sich nur einmischen. Stören!«
Bomilkar hob die Arme. »Mich darfst du nicht fragen, Jugurtha, ich weiß keine Antwort. Ich weiß nur, daß du jetzt hier in Rom bist und daß allein die Götter wissen, was dabei herauskommen soll.«
Da hat er allerdings recht, dachte der König von Numidien und versank wieder in seinen Erinnerungen.
Als der junge Adherbal vor sechs Jahren nach Rom geflohen war, hatte Jugurtha sofort gewußt, was er tun mußte. Er hatte eine Gesandtschaft nach Rom geschickt, beladen mit Gold, Silber, Edelsteinen, Kunstwerken und was sonst noch das Herz eines römischen Patriziers höher schlagen lassen mochte. Interessant, daß man die Römer nicht mit Frauen oder Knaben bestechen konnte. Nur mit handfesten Dingen. Das Ergebnis seiner diplomatischen Bemühungen war den Umständen entsprechend einigermaßen befriedigend ausgefallen.
Die Römer hatten eine Vorliebe für Komitees und Kommissionen, die sie an irgendeinen weit entfernten Punkt der Welt entsandten, damit sie dort in irgendwelchen Dingen ermittelten, Urteile fällten und Abhilfe schafften. Wo andere Staaten einfach mit einer Armee einmarschierten, erschienen die Römer in Zivil, in ihren Togen, lediglich in Begleitung einiger Liktoren. Dann gaben sie Befehle und erwarteten, daß sie befolgt wurden. Und meistens wurden sie befolgt.
Diese Gedanken brachten Jugurtha zu seiner ursprünglichen Frage zurück: Warum fürchtete er die Römer? Vielleicht, weil immer auch ein Marcus Aemilius Scaurus unter ihnen war?
Scaurus war schuld, daß der Senat sich damals, als Adherbal in Rom Beschwerde geführt hatte, gegen Jugurtha ausgesprochen hatte. Eine einzige Stimme gegen dreihundert Senatoren! Aber sie hatte sich durchgesetzt. Scaurus war schuld, daß der Senat sich auf einen Kompromiß festgelegt hatte, der weder für Jugurtha noch für Adherbal annehmbar war: Ein Komitee aus zehn Senatoren sollte unter Leitung des Konsulars Lucius Opimius nach Numidien reisen, vor Ort ermitteln und dann entscheiden, was zu tun sei. Und zu welcher Entscheidung war das Komitee gekommen? Es hatte das Königreich geteilt. Adherbal bekam den östlichen Teil mit Cirta als Hauptstadt, der dichter besiedelt und besser erschlossen war als der Westen, dafür aber nicht so wohlhabend. Die westliche Hälfte ging an Jugurtha, der sich jetzt auf zwei Seiten bedrängt sah: von Adherbal im Osten und vom Königreich Mauretanien im Westen. Zufrieden zogen die Römer wieder ab. Jugurtha aber lag von da an auf der Lauer: Eines Tages mußte Adherbal ihm in die Falle gehen. Um sich nach Westen abzusichern, heiratete er die Tochter des Königs von Mauretanien.
Vier Jahre wartete Jugurtha geduldig, dann griff er Adherbal und dessen Armee zwischen Cirta und dem Hafen der Stadt an. Adherbal wurde geschlagen und mußte sich nach Cirta zurückziehen und sich dort verschanzen. Hilfe bekam er von den vielen einflußreichen römischen und italischen Kaufleuten, die das Rückgrat der numidischen Wirtschaft bildeten.
Natürlich war die Kunde vom Krieg zwischen Jugurtha und Adherbal schnell bis zum Senat nach Rom gedrungen. Der Senat entsandte ein Komitee, bestehend aus drei höflichen jungen Senatorensöhnen. Jugurtha bekam die Gesandten als erster zu fassen, hinderte sie daran, mit Adherbal und den Einwohnern von Cirta Kontakt aufzunehmen, und schickte sie mit wertvollen Geschenken beladen nach Rom zurück.
Dann gelang es Adherbal, einen Hilferuf nach Rom zu schmuggeln Marcus Aemilius Scaurus, der immer noch auf seiner Seite stand, machte sich nun selbst auf und reiste an der Spitze eines weiteren Komitees nach Numidien. Die Lage, die er dort vorfand, war jedoch so angespannt, daß er sich gezwungen sah, seinen Aufenthalt auf die römische Provinz Africa zu beschränken. Unverrichteter Dinge mußte er schließlich nach Rom zurückkehren. Als nächstes griff Jugurtha Cirta an und eroberte die Stadt. Adherbal wurde auf der Stelle hingerichtet, und außerdem ließ Jugurtha in seinem Haß gegen Rom alle römischen und italischen Kaufleute umbringen, die ihm in die Hände fielen. Von da an waren die Römer seine erbitterten Feinde.
Die Kunde über das Massaker von Cirta hatte Rom vor fünfzehn Monaten, im Herbst, erreicht. Der designierte Volkstribun Gaius Memmius hatte auf dem Forum ein solches Geschrei angestimmt, daß die Katastrophe nicht mehr mit Bestechungsgeldern abwendbar schien. Lucius Calpurnius Bestia, der Konsul des nächsten Jahres, wurde beauftragt, zu Beginn seiner Amtszeit nach Numidien zu reisen und Jugurtha unmißverständlich klarzumachen, daß er nicht ungestraft Römer abschlachten könne.
Doch Bestia hatte sich von Jugurtha kaufen lassen. Vor sechs Monaten hatte Jugurtha einen Friedensvertrag mit Rom ausgehandelt und Bestia dreißig Kriegselefanten sowie eine kleine finanzielle Zuwendung für die römische Staatskasse überreicht. Eine weitaus größere Summe war in Bestias private Schatztruhe geflossen. Rom schien zufrieden, und Jugurtha war endlich der unbestrittene König von Numidien.
Gaius Memmius jedoch hatte keine Ruhe gegeben. Tag für Tag hatte er Bestia beschuldigt, Jugurtha gegen Geld den numidischen Thron zugesichert zu haben, und schließlich erreichte er sein Ziel. Der Prätor Lucius Cassius Longinus wurde mit dem Auftrag nach Numidien gesandt, König Jugurtha persönlich nach Rom zu bringen, wo er Gaius Memmius die Namen all derer nennen sollte, die er im Lauf der Jahre bestochen hatte. Besonders gefährlich für Jugurtha war, daß er nicht vor dem Senat aussagen sollte, sondern vor der Volksversammlung.
Als Cassius in Cirta eintraf und seine Botschaft überbrachte, war Jugurtha nichts anderes übriggeblieben, als ihm nach Rom zu folgen. War ihm wirklich nichts anderes übriggeblieben? Warum hatte er solche Angst? Was konnte Rom denn tun? In Numidien einfallen? Die meisten römischen Beamten waren doch ohnehin bestechlich! Die Römer brauchten nur mit dem Finger zu schnippen, und schon eilte der Herrscher eines großen, reichen Landes ihnen zu Diensten. Warum?
Gaius Memmius hatte seine Ankündigung wahrgemacht und im Circus Flaminius eine Versammlung der Plebs einberufen. Der Circus lag außerhalb des pomerium und war ein Gerichtsort, den auch ein gekröntes Staatsoberhaupt wie Jugurtha betreten durfte. Die Volksversammlung sollte interessierten römischen Bürgern aller Schichten Gelegenheit geben, zu hören, was der König von Numidien auf die Fragen des Gaius Memmius antworten würde. Wen hatte er mit welchen Summen bestochen? Die Versammlung war entsprechend gut besucht, die Arena war überfüllt, und die Zuspätgekommenen mußten es sich auf den hölzernen Rängen bequem machen, in der Hoffnung, trotz der großen Entfernung etwas zu verstehen.
Jugurtha hatte seine Verteidigung freilich gut vorbereitet: Er hatte sich einen Volkstribunen gekauft.
Die Volkstribunen standen theoretisch auf der untersten Stufe der Verwaltungs- und Senatshierarchie. Sie hatten kein imperium - ein Wort, für das die numidische Sprache keine Entsprechung hatte. Imperium bedeutete - göttliche Macht auf Erden! Ausgestattet mit ihr, konnte ein einziger Prätor einen mächtigen König zwingen, ihm nach Rom zu folgen. Auch Provinzstatthalter hatten ein imperium, desgleichen Konsuln und sogar einfache Beamte. Der einzige sichtbare Ausdruck des imperium war der Liktor: Liktoren schritten dem Inhaber eines imperium voran und bahnten ihm den Weg. Auf der rechten Schulter trugen sie die fasces, die von roten Bändern zusammengehaltenen Rutenbündel.
Zensoren hatten kein imperium, genausowenig wie plebejische Ädilen oder Quästoren. Auch Volkstribunen hatten keines - für Jugurthas Pläne von großer Bedeutung. Sie waren die gewählten Vertreter der Plebs, jener breiten Masse von Römern, die sich nicht patricii, Patrizier, nennen durften. Die Patrizier gehörten dem alten Adel an, der seine Vorfahren bis auf die Gründungsväter Roms zurückführte. Als vor vierhundert Jahren die Republik entstanden war, hatten nur die Patrizier Macht und Einfluß gehabt. Nach und nach waren auch einige Plebejer zu Geld und Ansehen gekommen und hatten sich den Weg in den Senat und in die Ämterlaufbahn, den cursus honorum, erzwungen. Die Nobilität, der Amtsadel, entstand. Zum Adel gehörte, wer einen Konsul in seiner Familie nachweisen konnte, und niemand konnte einen Plebejer daran hindern, Konsul zu werden.
Die Plebs hatte ihre eigene Versammlung, an der kein Patrizier teilnehmen durfte, und zehn Volkstribunen vertraten die Interessen der Plebs gegenüber dem Senat. Sie wurden jedes Jahr neu gewählt. Genau das war ja so lästig am römischen Staat: Die Beamten dienten alle nur ein Jahr, mit anderen Worten, sie mußten jedes Jahr aufs neue bestochen werden.
Nein, die Volkstribunen hatten kein imperium, sie galten nicht als hohe Beamte und schienen überhaupt keinen nennenswerten Einfluß zu haben. Trotzdem waren sie zum wichtigsten Glied im Magistrat geworden, denn sie allein hatten das Vetorecht. Ein Volkstribun konnte sein Veto gegenüber einem Zensor, einem Konsul, einem Prätor, dem Senat und den neun anderen Volkstribunen einlegen, aber auch in Sitzungen, Versammlungen oder bei Wahlen. Nur ein Diktator konnte sich über ihr Veto hinwegsetzen, aber seit fast hundert Jahren hatte es keinen Diktator mehr gegeben.
Dieses System sollte natürlich der gegenseitigen Kontrolle dienen und verhindern, daß eine einzelne Person oder ein Gremium zuviel politische Macht an sich zog. Wäre das politische Verantwortungsbewußtsein der Römer ausgeprägter gewesen, das System hätte vielleicht funktioniert. Doch die Römer verstanden sich hervorragend darauf, auf scheinbar legale Weise die eigenen Gesetze zu umgehen.
König Jugurtha kaufte sich also einen Volkstribunen, Gaius Baebius mit Namen - im Grunde ein unbedeutender Mann, der weder einer der großen Familien angehörte noch besonders reich war. Aber Gaius Baebius war rechtmäßig gewählter Volkstribun, und als sich ein Strom von Silberdenaren vor ihm auf den Tisch ergoß, schaufelte er den unerwarteten Geldsegen wortlos in ein Dutzend großer Säcke. Damit war er Eigentum des Königs von Numidien.
Gegen Ende des alten Jahres berief Gaius Memmius die große Versammlung der Plebs im Circus Flaminius ein und lud Jugurtha vor. Als die Massen erwartungsvoll verstummt waren, stellte Gaius Memmius seine erste Frage.
»Hast du Lucius Opimimus bestochen?«
Bevor der König den Mund aufmachen konnte, sprang Gaius Baebius auf. »Ich verbiete dir, auf diese Frage zu antworten, König Jugurtha! «
Ein Veto! Ein Volkstribun hatte Jugurtha verboten, zu antworten, deshalb durfte er nach dem Gesetz nichts mehr sagen. Die Versammlung löste sich auf, und murrend zogen Tausende von Zuschauern wieder nach Hause. Gaius Memmius war so wütend, daß seine Freunde ihn mit Gewalt hinausführen mußten, während Gaius Baebius sich mit einer Unschuldsmiene umsah, die ihm niemand glaubte.
Der Senat hatte Jugurtha jedoch nicht erlaubt, nach Hause zurückzukehren, und so saß er an diesem Neujahrstag in seiner überteuerten Mietvilla und verfluchte Rom und die Römer. Keiner der neuen Konsuln hatte ihm zu verstehen gegeben, daß er an einer privaten Zuwendung interessiert sei. Von den neuen Prätoren war es keiner wert, gekauft zu werden, und auch die neuen Volkstribunen schienen wenig vielversprechend.
Aber er konnte doch nicht einfach herumsitzen und warten, während sein Königreich von gierigen Thronanwärtern belagert wurde. Gauda, der legitime Sohn Mastanabals, und Massiva, der Sohn Gulussas, erhoben Anspruch auf den Thron, und sie waren beileibe nicht die einzigen. Er mußte unbedingt nach Hause zurück. Doch wenn er ohne die Erlaubnis des Senats Rom verließ, konnte das als kriegerischer Akt gewertet werden. Wie seine Agenten ihm berichtet hatten, war Marcus Aemilius Scaurus äußerst erbost über das Veto, und Marcus Aemilius Scaurus hatte großen Einfluß im Senat. Er hatte es schon einmal ganz allein geschafft, den Senat umzustimmen.
Schweigend saß Bomilkar da und wartete darauf, daß sein Halbbruder Jugurtha aus seinen Gedanken erwachen würde. Er hatte ihm Neuigkeiten mitzuteilen, aber in dieser Stimmung wagte er nichts zu sagen. Ein großartiger Mann, dieser Jugurtha, geradezu ein Genie! Wie schwer hatte seine niedere Herkunft auf seinem Leben gelastet. Warum war die Herkunft auch so wichtig? Immerhin floß in Jugurtha das punische Blut der numidischen Aristokratie! Ebenso präsent war freilich das Berberblut seiner blonden Mutter: Von ihr hatte er die hellgrauen Augen geerbt, die gerade Nase, das schmale, hagere Gesicht und den hohen Wuchs. Von seinem punischen Vater Mastanabal stammten die dichten schwarzen Locken, die ausgeprägte dunkle Körperbehaarung, die dunkle Haut und der kräftige Körperbau. Die numidische Oberschicht, durch jahrhundertelange Beziehungen zu Griechenland hellenisiert, kleidete sich in griechische Gewänder, die Jugurtha freilich nicht recht stehen wollten. Am besten sah er hoch zu Roß in Helm, Harnisch und Beinschienen aus, das Schwert gegürtet. Ein Jammer, daß die Römer den König noch nie als Krieger gesehen hatten, dachte Bomilkar und erschauderte gleichzeitig bei dem Gedanken. Es war eine Herausforderung des Schicksals, an Krieg zu denken! Am besten opferte er gleich morgen der Göttin Fortuna und betete, daß die Römer Jugurtha nie im Kriegsstaat zu Gesicht bekommen würden.
Der König lehnte sich zurück, seine Züge entspannten sich. Schrecklich, ihn aus dieser harterkämpften inneren Ruhe herausreißen und mit neuen Sorgen belasten zu müssen.
»Mein König?« fragte Bomilkar vorsichtig.
Sofort richteten sich die grauen Augen auf ihn. »Ja?«
»Gestern kam mir im Haus des Quintus Caecilius Metellus ein Gerücht zu Ohren.«
Damit traf er Jugurtha an einer empfindlichen Stelle: Bomilkar konnte in Rom gehen, wohin er wollte, denn er war kein König. Bomilkar wurde zum Essen eingeladen, Jugurtha nicht.
»Was für ein Gerücht?« fragte der König höflich.
»Massiva ist in Rom aufgetaucht. Schlimmer noch, er hat den Konsul Spurius Postumius Albinus für seine Sache einspannen können. Albinus soll eine Petition im Senat einbringen.«
Überrascht richtete sich der König auf und rückte den Stuhl so, daß er Bomilkar direkt in die Augen sehen konnte. Massiva war einer von denen, die ihm den Thron streitig machten. »Ich habe mich schon gefragt, wohin sich dieser erbärmliche Wurm verzogen hat. Nach Rom also. Aber wie kommt Albinus ausgerechnet auf ihn? Er müßte doch wissen, daß ich viel mehr bezahlen kann als Massiva.«
»Ich vermute, sie haben eine Abmachung getroffen, die davon ausgeht, daß Albinus Statthalter der Provinz Africa wird. Während du hier in Rom hockst, zieht Albinus mit einer netten kleinen Armee nach Africa, marschiert kurz über die Grenze nach Cirta und - hoch lebe König Massiva von Numidien!«
»Ich muß nach Hause!« rief der König verzweifelt.
»Ich weiß! Aber wie willst du das anstellen?«
»Glaubst du nicht, ich kann Albinus doch noch auf meine Seite ziehen? Ich habe immer noch Geld flüssig, und ich kann noch mehr beschaffen! «
Energisch schüttelte Bomilkar den Kopf. »Der neue Konsul kann dich nicht leiden. Du hast versäumt, ihm zu seinem Geburtstag vor einem Monat ein Geschenk zu schicken. Massiva hat das nicht versäumt. Er hat Albinus ein Geschenk geschickt, als dieser zum Konsul gewählt wurde, und ein zweites zu seinem Geburtstag.«
»Daran sind meine verfluchten Agenten schuld!« Jugurtha knirschte mit den Zähnen. »Sie halten mich wahrscheinlich schon für den Verlierer und strengen sich nicht mehr an.« Er biß sich auf die Lippen. »Werde ich verlieren?«
Bomilkar lächelte. »Du? Niemals!«
»Ich weiß nicht... Massiva! Ich hatte ihn schon ganz vergessen. Ich dachte, er sei bei Ptolemaios Apion in Kyrene.« Jugurtha mußte sich sichtlich zusammenreißen. »Vielleicht ist das Gerücht falsch. Wer hat es dir erzählt?«
»Metellus persönlich. Er müßte es eigentlich wissen. Er hört sich überall um, weil er nächstes Jahr Konsul werden will. Er billigt den Handel nicht, auf den Albinus sich eingelassen hat, sonst hätte er mir kein Sterbenswörtchen erzählt. Du kennst doch Metellus - er gehört zu den tugendhaften Römern, Bestechung ist für ihn kein Thema.«
»Metellus kann es sich leisten, tugendhaft und anständig zu sein« sagte Jugurtha gereizt. »Seine Familie ist reich wie Krösus. Sie hat sich Spanien und Asien unter den Nagel gerissen, aber ich werde dafür sorgen, daß sie nicht auch noch Numidien bekommt! Und Spurius Postumius Albinus auch nicht.« Er starrte Bomilkar an. »Massiva ist wirklich in Rom?«
»Metellus zufolge ja.«
»Wir müssen abwarten, bis wir wissen, welcher Konsul nach Africa geht und welcher nach Makedonien.«
Bomilkar schnaubte verächtlich. »Du glaubst doch wohl nicht an die Losentscheidung?«
»Ich weiß nicht, was ich den Römern glauben soll«, antwortete der König düster. »Manchmal glaube ich, daß alles schon entschieden ist, manchmal denke ich, daß sie es mit dem Los ernst meinen und das Ergebnis wirklich dem Zufall überlassen. Ich warte ab, Bomilkar.«
Mit diesen Worten lehnte Jugurtha sich zurück und blickte wieder versonnen in den Regen.
In dem alten, weiß verputzten Bauernhaus nahe der Stadt Arpinum waren drei Kinder aufgewachsen. Gaius Marius war der Älteste, dann kam seine Schwester Maria und zuletzt ein jüngerer Bruder, Marcus Marius. Die Familie Marius gehörte dem Landadel an, und die Männer der Familie waren eingefleischte, konservative Gutsherren, dazu bestimmt, für alle Zeit in ihrem kleinen Arpinum zu herrschen. Unvorstellbar, daß einer von ihnen einmal dem Senat von Rom angehören könnte.
Es war keine Frage des Geldes, daran mangelte es nicht. Die Familie Marius war außerordentlich wohlhabend. Das fruchtbare Land um Arpinum gehörte im wesentlichen den drei Familien Marius, Gratidius und Tullius Cicero. Ehegatten suchte man nicht in Rom, sondern in Puteoli, wo die Familie Granius ansässig war, vermögende Seefahrer und Kaufleute, die ursprünglich aus Arpinum stammten.
Für Gaius Marius wurde eine Frau ausgewählt, als er noch ein kleiner Junge war. Seine Braut war noch jünger als ihr Verlobter, sie wartete deshalb geduldig im Hause Granias in Puteoli, bis sie alt genug für die Heirat war. Doch als sich Gaius Marius zum ersten Mal verliebte, galt seine Liebe keiner Frau - auch keinem Mann. Er verliebte sich in die Armee - in ihr erkannte er instinktiv die Gefährtin fürs Leben. An seinem siebzehnten Geburtstag trat er in die Armee ein. Traurig darüber, daß gerade keine großen Kriege stattfanden, diente er dennoch ohne Unterbrechung als junger Offizier, bis er im Alter von dreiundzwanzig bei der Belagerung von Numantia in Spanien dem persönlichen Stab des Scipio Aemilianus zugewiesen wurde.
In Spanien freundete sich Marius rasch mit Publius Rutilius Rufus und Prinz Jugurtha aus Numidien an. Sie waren ungefähr gleich alt, und Scipio Aemilianus schätzte sie alle drei hoch. Keiner von ihnen stammte aus der römischen Oberschicht. Jugurtha war sowieso ein Außenstehender, Publius Rutilius Rufus kam aus einer Familie, die schon seit über hundert Jahren keinen Senator oder gar Konsul mehr hervorgebracht hatte, und Gaius Marius kam aus dem Landadel.
Unter ihnen tat sich Gaius Marius besonders hervor. Er war nicht nur der geborene Soldat, er war auch der geborene Anführer. »Er weiß einfach, was wie zu tun ist«, seufzte Scipio Aemilianus mit einem Anflug von Neid.
Im Alter von siebzehn Jahren war Gaius Marius noch ziemlich klein und mager gewesen, ein schlechter Esser und überhaupt ein schwieriger Junge, von seiner Mutter verhätschelt und von seinem Vater insgeheim verachtet. Doch dann zog er zum ersten Mal die Soldatenstiefel über, schnallte einen Panzer aus Bronze über seinen ledernen Rock und wuchs von Stund an körperlich und geistig, bis er alle anderen an Körpergröße, Verstand, Stärke, Mut und Entschlossenheit weit überragte. Er entfremdete sich seiner Mutter, während der Vater jetzt voller Stolz auf seinen Sohn blickte.
Für Gaius Marius gab es nichts Erhebenderes als das Bewußtsein, Teil der größten Militärmaschinerie der Welt zu sein. Kein noch so anstrengender Marsch, keine noch so lange und schikanöse Unterweisung im Schwertkampf, keine noch so erniedrigende Aufgabe konnte seine überschwengliche Begeisterung dämpfen. Es war ihm egal, was für Aufgaben er zugewiesen bekam, solange er nur Soldat sein durfte.
In Numantia machte er die Bekanntschaft eines siebzehnjährigen Offiziersanwärters, den Scipio Aemilianus eigens für seinen kleinen Stab aus Rom angefordert hatte. Der Bursche hieß Quintus Caecilius Metellus, und er war der jüngere Bruder jenes Caecilius Metellus, der später nach einem Feldzug gegen die Horden der Barbaren in den dalmatinischen Bergen von Illyricum den Beinamen Delmaticus annehmen und zum Pontifex Maximus aufsteigen sollte, dem höchsten Priester des Staates.
Der kleine Metellus war ein typischer Vertreter seines Geschlechts: ein fleißiger Arbeiter ohne jede praktische Begabung, jemand, der nie aufgab und von seinen außerordentlichen Fähigkeiten felsenfest überzeugt war. Scipio Aemilianus schwieg dazu aus Loyalität zu Metellus’ gesellschaftlicher Klasse, der auch er angehörte, aber die Besserwisserei des Siebzehnjährigen schien ihn zu ärgern, denn nicht lange nach dessen Ankunft in Numantia unterstellte er ihn der Aufsicht des Gaius Marius und seiner beiden Freunde. Die drei ließen den jungen Metellus ihre Ablehnung spüren - sie waren nicht grausam zu ihm, aber hart.
Numantia hielt der Belagerung stand, Scipio Aemilianus hatte alle Hände voll zu tun, und der junge Metellus mußte selbst sehen, wie er zurechtkam. Dann fiel die Stadt und wurde dem Erdboden gleichgemacht. Das römische Heer feierte den Sieg mit einem Saufgelage, an dem vom höchsten Offizier bis zum einfachen Soldaten alle teilnahmen, auch die drei Freunde und Quintus Caecilius Metellus, der an diesem Tag seinen achtzehnten Geburtstag feierte. Gaius Marius und seine Freunde spielten ihm an diesem Tag einen bösen Streich: Sie warfen das Geburtstagskind in einen Schweinekoben.
Ernüchtert und von oben bis unten mit Schweinekot besudelt, kroch Metellus aus dem Dreck. Blanker Haß stand ihm in den Augen. »Ihr - ihr armseligen Emporkömmlinge! Für wen haltet ihr euch eigentlich? Ich will es euch sagen! Du bist nur ein dreckiger Ausländer, Jugurtha! Und du bist ein aufgeblasener Schleimer, Rutilius! Und du, Gaius Marius, du bist ein italischer Bauer, der nicht einmal Griechisch kann! Wie könnt ihr es wagen! Wißt ihr nicht, wer ich bin? Kennt ihr meine Familie nicht? Ich bin ein Caecilius Metellus. Wir waren etruskische Könige, als es Rom noch gar nicht gab!«
Jugurtha, Rutilius Rufus und Gaius Marius lehnten an der Bretterwand des Schweinekobens und starrten Metellus unbeeindruckt an. Dann schwang sich Publius Rutilius Rufus mit einem breiten Grinsen rittlings auf den obersten Balken.
»Versteh mich nicht falsch, Quintus Caecilius«, sagte er, »ich weiß durchaus zu würdigen, was du uns da erzählst. Das Problem ist nur, oh König der Etrusker, daß auf deinem Kopf ein dicker fetter Haufen Scheiße sitzt und keine Krone! « Er kicherte. »Nimm erst einmal ein Bad, und dann erklärst du uns alles noch einmal. Vielleicht gelingt es uns dann, ernst zu bleiben.«
Metellus versuchte verzweifelt, sein Gesicht vom Kot zu reinigen. »Rutilius!« stieß er giftig hervor. »Was ist das schon für ein Name! Der wird nie im Senat auftauchen. Oskische Niemands seid ihr! Bauern!«
»Jetzt ist es aber genug! « sagte Rutilius Rufus freundlich. »So viel Etruskisch kann ich auch noch, daß ich weiß, was Metellus heißt.« Er drehte, sich zu Jugurtha und Marius um und übersetzte: »Vom Dienst als Söldner befreit.«
Das war zuviel. Der junge Metellus warf sich auf Rutilius Rufus und riß ihn hinunter in den stinkenden Schlamm, wo die beiden sich im Dreck wälzten und miteinander rangen, ohne sich freilich ernsthaft zu verletzen. Schließlich konnten auch Jugurtha und Marius der Versuchung nicht widerstehen und sprangen hinunter. Mit brüllendem Gelächter landeten sie inmitten der Schweine, die sie neugierig beschnüffelten. Zum Abschluß rieben sie Metellus noch kräftig mit Kot ein.
»Das werdet ihr mir teuer bezahlen!« zischte Metellus, als er sich mühsam aufrappelte.
»Abwarten!« rief Jugurtha und bekam einen neuen Lachanfall.-
Als Gaius Marius dem Bad entstieg und nach dem Handtuch griff, dachte er: Das Schicksal nimmt seinen Lauf, egal was wir tun. Metellus hatte im Haß gesprochen, aber seine Worte waren deshalb nicht weniger wahr. Wer waren sie denn, er, Rutilius Rufus und Jugurtha? Ein dreckiger Ausländer, ein aufgeblasener Schleimer und ein italischer Bauer aus der Provinz. Das hatte Rom sie gelehrt.
Jugurtha hätte schon seit Jahren König von Numidien sein können. Die Römer hätten ihn freundlich, aber bestimmt unter ihren Schutz gestellt und streng, aber gerecht in sein Land hineinregiert. Statt dessen hatte er den unversöhnlichen Haß des Caecilius Metellus und seiner Anhänger auf sich gezogen und kämpfte jetzt in Rom mit dem Rücken zur Wand, führte einen verzweifelten Grabenkrieg gegen einige numidische Möchtegernkönige und mußte sich erkaufen, was ihm aufgrund seiner Stärke und seiner Fähigkeiten eigentlich umsonst zugestanden hätte.
Und der liebe Publius Rutilius Rufus mit dem sandgelben Haar, der Lieblingsschüler des Philosophen Panaitios, der von Scipio und seinen Freunden so bewundert worden war, ein Dichter und Denker, ein Soldat und Politiker mit außerordentlichen Fähigkeiten? Im gleichen Jahr, in dem Marius mit knapper Not Prätor geworden war, war Publius Rutilius um das Amt des Konsuls betrogen worden, nicht nur wegen seiner bescheidenen Herkunft, sondern weil er sich die Familie Caecilius Metellus zum Feind gemacht hatte. Damit war er - wie Jugurtha - automatisch auch der Feind des Marcus Aemilus Scaurus geworden.
Und Gaius Marius - nun, Quintus Caecilius Metellus Schweinebacke würde sagen, er habe es weiter gebracht, als ein ungebildeter italischer Bauer verdiente. Warum hatte er sich überhaupt für die politische Laufbahn entschieden? Ganz einfach: weil Scipio Aemilianus ihm dazu geraten hatte. Für die Provinz sei er zu schade, hatte Scipio Aemilianus gesagt. Und was für seine Entscheidung noch wichtiger gewesen war: Solange er nicht Prätor war, durfte er keine römische Armee befehligen.
Marius hatte sich als Militärtribun zur Wahl gestellt und diese Hürde mit Leichtigkeit genommen. Dann ließ er sich zum Quästor wählen, wurde von den Zensoren bestätigt und fand sich im Senat von Rom wieder. Eine außergewöhnliche Karriere! Seine Familie in Arpinum war überwältigt. Bei der ersten Wahl zum Volkstribunen war er durchgefallen, beim zweitenmal hatte merkwürdigerweise Caecilius Metellus ihn unterstützt. Caecilius Metellus und seine Parteigänger glaubten, ihn damit in der Hand zu haben - bis er sie vom Gegenteil überzeugte, indem er sich mit aller Macht dafür einsetzte, daß die Unabhängigkeit der concilia plebis, der Versammlung der Plebs, gewahrt blieb. Lucius Caecilius Metellus Delmaticus hatte versucht, ein Gesetz durchzudrücken, das die gesetzgebende Gewalt der Versammlung der Plebs beschneiden sollte. Gaius Marius hatte sein Veto eingelegt und sich weder mit guten Worten noch durch Zwang dazu bringen lassen, das Veto zurückzunehmen.
Aber das war ihn teuer zu stehen gekommen. Nach dem Jahr als Volkstribun hatte er sich um das Amt des Ädilen beworben, aber die Meteller hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als er sich um das Amt des Prätors bewarb, stieß er auf dasselbe Hindernis. Angeführt von Metellus Delmaticus, hatten sie ihn mit den üblichen Nachreden diffamiert: Er sei impotent, verführe kleine Jungen, esse Exkremente, gehöre bacchischen und orphischen Geheimkulten an, nehme Bestechungsgelder und schlafe mit Schwester und Mutter. Seine Gegner hatten sich aber auch noch einer subtileren Art der Verleumdung bedient, die vielleicht noch wirkungsvoller war: Sie wiesen bei jeder Gelegenheit darauf hin, daß Gaius Marius kein Römer sei. Rom aber bringe genug fähige Männer hervor, kein Römer habe es daher nötig, einen Gaius Marius zum Prätor zu wählen. Ein überzeugendes Argument.
Am stärksten traf Gaius Marius der Vorwurf, er sei aufgrund seiner mangelnden Griechischkenntnisse kein akzeptabler Kandidat. Dabei entsprach dieses Gerücht keineswegs den Tatsachen. Sein Griechisch war ausgezeichnet. Seine Lehrer waren allerdings kleinasiatische Griechen aus Lampsakos am Hellespont und Amisus an der Schwarzmeerküste gewesen, Gaius Marius sprach Griechisch deshalb mit einem Akzent, der ihn als einfachen, ungebildeten Mann aus der Provinz brandmarkte. Aus Verdruß über die vielen Spötteleien hatte er es schließlich ganz aufgegeben, jene Sprache zu sprechen, die als Beweis einer standesgemäßen Bildung galt.
Immerhin war er dann doch Prätor geworden, wenn auch mit den wenigsten Stimmen. Und er hatte die kurz nach der Wahl gegen ihn erhobene Anklage wegen Bestechung niederschlagen können. Bestechung! Damals hatte er gar nicht das Geld gehabt, sich ein Amt zu kaufen! Zum Glück hatten seine Wähler mit ihm in der Armee gedient oder von seinen militärischen Leistungen gehört, und militärische Leistungen hatten die Römer schon immer beeindruckt.
Der Senat hatte ihn zum Statthalter von Hispania Ulterior ernannt und gehofft, daß er dort in der Ferne in Vergessenheit geraten und resignieren würde. Statt dessen hatte dort sein Aufstieg begonnen.
Die Spanier, vor allem die unzivilisierten Stämme im Westen und Nordwesten, pflegten einen Kampfstil, der weder den römischen Feldherren noch den römischen Legionären behagte. Sie scherten sich nicht um die Regel, lieber in einer Entscheidungsschlacht alles aufs Spiel zu setzen, als die unübersehbaren Kosten eines endlosen Krieges zu riskieren. Die Spanier waren entschlossen, so lange zu kämpfen, bis sie ihre Unabhängigkeit erstritten hatten.
Da ihnen aber die Mittel für eine langdauernde militärische Auseinandersetzung fehlten, führten sie einen Partisanenkrieg. Sie stellten sich nie der offenen Schlacht, sondern kämpften aus Hinterhalten, zettelten Überfälle und Attentate an und zerstörten feindliche Stützpunkte. Römische Stützpunkte. Immer tauchten sie überraschend auf, nie marschierten sie in Reih und Glied, und nie wußte man genau, wie viele sie waren. Plötzlich waren sie da, griffen an und verschwanden wieder spurlos in den unheimlichen Bergklüften, als ob es sie nie gegeben hätte. Kontrollierten die Römer ein Städtchen, das nach Berichten römischer Spitzel in einen Überfall verwickelt war, trafen sie dort nur friedfertige, unschuldige Leute an, so harmlos wie brave Esel.
Spanien war ein unermeßlich reiches Land. Seit tausend Jahren wurde das Land von fremden Völkern heimgesucht, die versuchten, sich ihren Teil vom Reichtum des Landes abzuschneiden. Die iberischen Ureinwohner hatten sich mit den Kelten vermischt, mit maurischen Berbern, mit Phöniziern aus den syrischen Küstenstäden, und mit Griechen. Vor zweihundert Jahren waren die Karthager gekommen, selbst Nachfahren der syrischen Phönizier, und damit war es um Spaniens relativ isolierte Stellung endgültig geschehen. Die Karthager beuteten die spanischen Bodenschätze aus: Gold, Silber, Blei, Zink, Kupfer und Eisen. Das spanische Erz begründete ihre Macht.
Die Karthager waren ein Seefahrervolk und hatten auch Sizilien, Sardinien und Korsika unterworfen, was zwangsläufig zum Konflikt mit Rom führte. Nach drei Kriegen, die zusammen über hundert Jahre dauerten, war Karthago vernichtet, und Rom hatte seine ersten überseeischen Besitzungen erworben, darunter die spanischen Minen.
Die praktisch veranlagten Römer hatten gleich erkannt, daß Spanien am besten von zwei verschiedenen Stellen aus regiert wurde, und die Halbinsel in zwei große Provinzen gegliedert, Hispania Citerior und Hispania Ulterior. Der Statthalter von Hispania Ulterior kontrollierte den gesamten Süden und Westen des Landes, und seine Hauptstadt war die mächtige alte Phönizierstadt Gades an der Mündung des Guadalquivir mit ihrem üppigen, sagenhaft fruchtbaren Hinterland. Der Statthalter von Hispania Citerior kontrollierte den Norden und Osten der Halbinsel vom Küstenstreifen gegenüber den Balearen aus. Seine Hauptstadt verlegte er je nach Bedarf und Eingebung. Die weiter entfernt liegenden Regionen im Westen und Nordwesten, Lusitanien und Cantabrien, blieben weitgehend unberührt.
Trotz des Denkzettels, den Scipio Aemilianus den iberischen Stämmen bei Numantia erteilt hatte, gaben diese ihren Widerstand keineswegs auf. Als Gaius Marius sich als Statthalter von Hispania Ulterior mit dieser gespannten Situation konfrontiert sah, beschloß er, die Stämme mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen - mit großem Erfolg: Er konnte die Grenze des römischen Spaniens bis nach Lusitanien vorschieben, in jenes gewaltige, an Erzen reiche Bergmassiv, wo der Guadalquivir, der Guadiana und der Tejo entspringen.
Beim Vorrücken stolperten die römischen Eroberer förmlich über immer reichere Silber-, Kupfer- und Eisenvorkommen. Natürlich profitierte der Provinzstatthalter, der für die Neueinzeichnung der Grenzen im Namen Roms verantwortlich war, am meisten davon. Das Schatzamt in Rom beanspruchte zwar seinen Teil, überließ die eigentliche Förderung des Erzes und die Eigentumsrechte an den Minen jedoch Privatleuten, die die Arbeit wesentlich effektiver und mit unternehmerischer Skrupellosigkeit durchführten. Gaius Marius wurde reicher und reicher. Jede neue Mine gehörte ihm ganz oder zumindest teilweise, und das brachte ihm gleichzeitig stille Teilhaberschaften in anderen großen Unternehmen ein, angefangen vom Getreidehandel bis hin zu Bankgeschäften und öffentlichen Dienstleistungen.
Bevor Marius aus Spanien zurückkehrte, riefen seine Truppen ihn zum imperator aus, und das bedeutete, daß er beim Senat einen Triumphzug beantragen konnten. Angesichts der Kriegsbeute und der Steuern und Tribute, die er der Staatskasse zugeführt hatte, konnte sich der Senat diesem Wunsch schlecht widersetzen. Gaius Marius war also auf dem alten Triumphwagen durch Rom gefahren, ihm voran die Zeugnisse seiner Siege und Raubzüge: Festwagen mit szenischen Darstellungen seiner Heldentaten, des Landes und seiner Einwohner in ihrer Stammestracht. Er hatte bereits davon geträumt, in zwei Jahren Konsul zu sein. Er, Gaius Marius aus Arpinum, der verachtete italische Bauer aus der Provinz, würde Konsul der mächtigsten Stadt der Welt sein. Und er würde nach Spanien zurückkehren und sein Werk vollenden und das Land in zwei friedliche, blühende römische Provinzen verwandeln.
Aber nun war er bereits seit fünf Jahren wieder in Rom. Fünf Jahre! Metellus und seine Parteigänger hatten schließlich doch gewonnen: Er würde niemals Konsul werden.
»Ich glaube, ich ziehe mein Purpurgewand an«, sagte Gaius Marius zu seinem Leibsklaven. Mit seinen siebenundvierzig Jahren war er immer noch ein stattlicher Mann, der sich auch an arbeitsreichen Tagen Zeit für sportliche Betätigung nahm. Er übte mit Hanteln und Gewichten, durchschwamm mehrere Male hintereinander den Tiber bei Trigarium und rannte anschließend den ganzen Weg vom entfernten Ende des Marsfeldes bis zu seinem Haus an der Arx des Kapitols. Zwar lichteten sich seine dunkelbraunen Locken oben schon ein wenig, aber wenn er sie nach vorn bürstete, sah das Haar immer noch voll aus. So, das mußte genügen. Eine Schönheit war er nie gewesen. Er hatte ein gutgeschnittenes, eindrucksvolles Gesicht, aber mit einem Gaius Julius Caesar konnte er nicht konkurrieren!
Interessant, daß er sich für ein Essen im kleinen Familienkreis, dazu bei einem unbedeutenden Hinterbänkler des Senats, mit seiner Garderobe soviel Mühe gab. Warum eigentlich? Caesar hatte es nicht einmal zum Ädilen, geschweige denn zum Prätor gebracht.
Trotzdem hatte Gaius Marius das Purpurgewand gewählt. Er hatte es vor vielen Jahren gekauft und sich darin bereits als Gastgeber großartiger Gesellschaften gesehen, wenn er erst einmal Konsul war oder, in den Jahren danach, ein hochgeachteter ehemaliger Konsul, ein Konsular.
Dabei waren für eine rein private Einladung eigentlich schon die weiße Toga und die Tunika mit dem roten Streifen zuviel, erst recht natürlich die prächtig mit Gold bestickte purpurne Tunika mit dem weiten Umhang. Zum Glück galten zur Zeit nicht die Luxusgesetze, nach denen es verboten war, sich nach eigenem Gutdünken zu kleiden und zu schmücken. Nur die lex Licinia war in Kraft, die den Konsum kulinarischer Raritäten einschränkte - aber kein Mensch hielt sich daran. Außerdem bezweifelte Gaius Marius, daß er bei Caesar Wolfsbarsch und Austern vorgesetzt bekommen würde.
Nicht für einen Augenblick kam es Gaius Marius in den Sinn, seine Frau aufzusuchen, bevor er das Haus verließ. Er nahm schon seit vielen Jahren keine Notiz mehr von ihr, falls er überhaupt jemals von ihr Notiz genommen hatte. Die Ehe war irgendwann in dunkler Vergangenheit geschlossen worden und hatte in nunmehr fünfundzwanzig kinderlosen Jahren eine freudlose Fortsetzung ohne Liebe oder auch nur Zuneigung gefunden. Ein kriegerischer, sportlich aktiver Mann wie Marius suchte nur dann sexuelle Befriedigung, wenn er durch eine besonders attraktive Frau an seine sexuellen Bedürfnisse erinnert wurde. Viele Frauen hatte es in seinem Leben nicht gegeben, nur von Zeit zu Zeit eine Affäre mit einer Sklavin oder - auf Feldzügen - einer Gefangenen.
Aber war Grania nicht seine Frau? Doch er hatte sie vergessen, bemerkte sie selbst dann nicht, wenn sie neben ihm stand und ihm zu verstehen gab, daß sie wenigstens ein Kind von ihm empfangen wollte. Mit Grania zu schlafen war, als ob man eine Abteilung Soldaten durch undurchdringlichen Nebel führte. Marius’ Gefühle waren dabei so unbestimmt, daß er sich zwingen mußte, überhaupt etwas zu empfinden, und wenn er seinen Höhepunkt erreichte, öffnete er den Mund höchstens zu einem Gähnen.
Er empfand nicht das geringste Mitleid mit Grania und versuchte auch nicht, sie zu verstehen. Sie war seine Frau, nicht mehr, ein zähes altes Huhn, das nicht einmal als junges Küken attraktiv gewesen war. Er hatte keine Ahnung, was sie tagsüber oder nachts trieb, und es interessierte ihn auch nicht. Führte Grania ein zügelloses, lasterhaftes Doppelleben? Hätte jemand diesen Verdacht geäußert, Marius hätte Tränen gelacht - und recht gehabt: Grania war so keusch wie langweilig.
Dank der Silberminen hatte er das Haus oben am Kapitol erwerben können, auf dem teuersten Grund und Boden Roms, der dem Marsfeld zugewandten Seite der servianischen Mauer. Vom Gewinn der Kupferminen hatte er den Buntmarmor für die Verkleidung der Backsteinsäulen und Zwischenwände und für die Fußböden gekauft. Der Gewinn der Eisenminen war in die Taschen des größten römischen Malers geflossen, der die verputzten Felder zwischen den Pfeilern mit Jagdszenen, Blumengärten und Landschaften ausgemalt hatte. Von den stillen Teilhaberschaften hatte er Statuen und Hermen gekauft, wundervolle Tische aus Zitronenholz mit Füßen aus Elfenbein, das mit Gold eingelegt war, vergoldete Sofas und Stühle, prächtig bestickte Wandteppiche und gegossene Bronzetüren. Den großen Säulengarten mit seinen fein aufeinander abgestimmten Düften und Farben hatte Hymettus eigenhändig entworfen, und der große Dollchus hatte das langgestreckte Becken gebaut, das mit Springbrunnen, Fischen, Lilien, Seerosen und meisterhaften, überlebensgroßen Skulpturen von Tritonen, Nereiden, Nymphen, Delphinen und bärtigen Seeschlangen geschmückt war.
In Wahrheit gab Gaius Marius keinen Pfifferling auf diese ganze Pracht. Sie diente nur zum Vorzeigen. Er selbst schlief auf einem Feldbett im kleinsten und einfachsten Zimmer des Hauses, an dessen Wänden als einziger Schmuck Schwert, Scheide und Marius’ stinkender alter Soldatenmantel hingen. Ja, so sollte ein Mann leben! Das Amt des Prätors und des Konsuls waren für Gaius Marius nur von Bedeutung, weil sie den Zugang zum militärischen Oberbefehl über die römische Armee eröffneten - vor allem das Amt des Konsuls. Aber er wußte, daß er nie Konsul werden würde, jedenfalls vorerst nicht. Niemand würde einen Mann ohne Namen wählen, der Mann mochte noch so reich sein.
Der graue Nieselregen vom Vortag hielt noch immer an, als er aus dem Haus trat. Fast hätte er vergessen, daß das Gewand, das er anhatte, ein Vermögen gekostet hatte. Jetzt warf er wenigstens noch sein altes sagum über, das er in so vielen Feldzügen getragen hatte - einen dicken, schmuddeligen, übelriechenden Umhang, der die fürchterlichen Winde der Alpenpässe ebenso abhielt wie die tagelangen Regenfälle von Epirus. Genau das richtige Kleidungsstück für einen Soldaten. Der scharfe Geruch kitzelte ihn in der Nase wie der appetitanregende, warme Duft einer Bäckerei.
»Nur herein!« begrüßte Gaius Julius Caesar seinen Gast an der Tür. Er streckte die feingliedrigen Hände aus, um ihm das sagum abzunehmen, reichte den Umhang jedoch nicht gleich angeekelt dem bereitstehenden Sklaven weiter, sondern strich zuerst anerkennend über den groben Stoff. »Der hat sicher einige Schlachten mitgemacht«, sagte er. Über Marius’ protziges Gewand in Gold und Purpur verlor er kein Wort.
»Mein Vater hat mir den Umhang geschenkt, als ich mit siebzehn Soldat wurde«, erwiderte Gaius Marius. »Als ich dann selbst für die Ausrüstung der Legionen verantwortlich war, habe ich meine Männer mit denselben Mänteln versorgt - denn wie können sie gesund bleiben, wenn sie bis auf die Knochen durchnäßt und durchgefroren sind.« Gaius Marius ging an seinem Gastgeber vorbei ins Eßzimmer, ohne auf die bescheidene, einfache Einrichtung des Hauses zu achten.
Caesar nahm auf der linken Seite des mittleren Sofas Platz und bedeutete seinem Gast, sich zu seiner Rechten, auf dem Ehrenplatz, niederzulassen. Sklaven zogen ihnen die Schuhe aus und reichten ihnen Strümpfe, da Gaius Marius kein qualmendes Kohlenbecken im Zimmer haben wollte. Dann streckten die beiden Männer sich bequem aus und schoben die Kissen so zurecht, daß sie den linken Ellbogen aufstützen konnten. Der Mundschenk näherte sich, gefolgt von einem Sklaven, der die Becher trug.
»Meine Söhne kommen gleich«, sagte Caesar. »Die Damen werden erst zum Essen erscheinen.« Er bedeutete dem Mundschenk mit einer Geste, innezuhalten. »Ich hoffe, Gaius Marius, daß du mich nicht für geizig hältst, wenn ich dich höflich bitte, wie ich den Wein mit Wasser zu mischen. Ich habe dafür einen guten Grund, den ich dir aber noch nicht verraten will. Der einzige Grund, den ich dir im Moment nennen kann, ist, daß wir beide bei klarem Verstand bleiben sollten. Außerdem lieben die Damen es gar nicht, wenn wir Männer den Wein unverdünnt trinken.«
»Übermäßiger Weingenuß gehört nicht zu meinen Lastern«, sagte Gaius Marius. Sein Becher war noch nicht zur Hälfte gefüllt, als er die Hand hob und den Rest bis zum Rand mit Wasser auffüllen ließ. »Ein Gast, der auf sich hält, sollte die Zunge zum Reden, nicht zum unmäßigen Trinken benutzen.«
»Trefflich gesprochen!« rief Caesar lächelnd.
»Aber du hast mich außerordentlich neugierig gemacht!«
»Im Laufe des Abends wirst du alles erfahren.«
Das Gespräch verstummte. Die beiden Männer nippten etwas unbehaglich an ihrem stark verdünnten Wein. Sie kannten sich nur vom Sehen aus dem Senat.
Schließlich räusperte Caesar sich und setzte seinen Becher ab. »Ich könnte mir vorstellen, daß du über den diesjährigen Magistrat nicht sonderlich erbaut bist, Gaius Marius.«
»Bei den Göttern, nein! Genausowenig wie du vermutlich. «
»Ein kläglicher Haufen. Manchmal frage ich mich, ob es richtig ist, an der einjährigen Amtszeit festzuhalten. Wenn wir einmal einen wirklich guten Mann haben, wäre es vielleicht besser, wenn er länger im Amt bleiben könnte.«
»Ein verführerischer Gedanke«, sagte Marius, »und wenn die Menschen nicht Menschen wären, würde es vielleicht gehen. Aber die Sache hat einen Haken.«
»Einen Haken?«
»Wer garantiert uns, daß der Mann wirklich gut ist? Er selbst? Der Senat? Die Versammlung der Plebs? Die Ritter? Die Wahlmänner, die über jede Bestechung so haushoch erhaben sind?«
Caesar lachte. »Nun, ich denke doch, Gaius Gracchus war ein guter Mann. Als er sich zum zweiten Mal als Volkstribun aufstellen ließ, habe ich ihn vorbehaltlos unterstützt - bei der dritten Bewerbung ebenfalls. Nicht, daß meine Unterstützung als Patrizier viel geholfen hätte.«
»Da hast du es, Gaius Julius«, sagte Marius düster. »Wann immer Rom einen guten Mann hervorbringt, wird er zu Fall gebracht. Und warum? Weil er sich mehr um die Geschicke Roms kümmert als um Familie, Parteigänger und Geld.«
»Das ist kaum eine Besonderheit der Römer«, sagte Caesar stirnrunzelnd. »Die Menschen sind überall so. Was Machtgier und Neid betrifft, kann ich zwischen Römern, Griechen, Karthagern, Syrern und wem sonst auch immer keinen Unterschied entdecken. Ein guter Mann kann sich nur auf eine Weise an der Macht halten. Er muß König sein. Wenn nicht dem Titel, so doch der Stellung nach.«
»Rom würde niemals einen König dulden«, antwortete Marius.
»Zumindest hat es seit fünfhundert Jahren keinen König mehr gehabt. Die meisten Völker bevorzugen die Alleinherrschaft eines Mannes. Nicht so wir Römer. Die Griechen übrigens auch nicht.«
Marius mußte lachen. »Aber nur, weil es in Rom und Griechenland so viele Männer gibt, die sich selbst für Könige halten. Rom ist wahrhaftig keine echte Demokratie geworden, nachdem wir die Könige verjagt hatten.«
»Natürlich nicht! Die echte Demokratie ist nur eine Idee der griechischen Philosophie - ein unerreichbares Ideal. Sieh dir das Chaos bei den Griechen an. Rom ist eigentlich eine Oligarchie, eine Herrschaft von wenigen über viele. Die Herrschaft der großen Geschlechter.«
»Und manchmal auch die Herrschaft eines homo novus«, ergänzte Gaius Marius, der selbst ein homo novus war.
Caesar nickte gelassen. »Manchmal auch das.«
Caesars Söhne betraten das Eßzimmer. Ihr Benehmen war von Bescheidenheit und Ehrerbietung und zugleich männlichem Selbstbewußtsein geprägt, wie es sich für junge Männer gebührte. Sextus Julius Caesar, der ältere, fünfundzwanzig Jahre alt, war großgewachsen und hatte hellbraunes Haar und graue Augen. Gaius Marius’ in der Beurteilung junger Männer erprobter Blick entdeckte einen merkwürdigen Schatten auf seinem Gesicht: Die Augen wirkten erschöpft, und die Lippen, obgleich wohlgeformt, waren fest zusammengepreßt.
Der junge Gaius Julius Caesar, der in diesem Jahr zweiundzwanzig wurde, war kräftiger als sein Bruder und noch größer und hatte goldblondes Haar und helle blaue Augen. Außerordentlich intelligent, aber nicht genug Durchsetzungsvermögen, dachte Marius.
Trotzdem waren die beiden gutaussehenden jungen Römer eine Augenweide, wie sie sich kein Senator schöner wünschen konnte. Die Senatoren von morgen.
»Du kannst dich glücklich schätzen mit solchen Söhnen, Gaius Julius«, sagte Marius. Die beiden jungen Männer ließen sich auf dem Sofa zur Rechten ihres Vaters nieder. Das Sofa links von Marius würde leer bleiben, es sei denn, noch mehr Gäste kamen, oder die Frauen dieses Hauses hatten die neumodische Unart, im Liegen zu speisen.
»Ja, ich kann mich wirklich glücklich schätzen.« Lächelnd blickte Caesar auf seine Söhne, und aus seinen Augen sprach Achtung und Liebe. Dann stützte er sich auf den Ellbogen und sah Marius mit höflichem Interesse an. »Du hast keine Söhne?«
»Nein«, antwortete Marius ohne Bedauern.
»Aber du bist verheiratet?«
»Ich glaube ja!« Marius lachte. »Wir Soldaten sind doch alle gleich. Wir sind mit der Armee verheiratet.«
»Das soll vorkommen«, sagte Caesar und wechselte das Thema.
Sie verbrachten die Zeit bis zum Essen in gepflegter, heiterer und, wie Marius fand, sehr ausgewogener Unterhaltung. In diesem Haus hatte es niemand nötig, den anderen im Gespräch herabzusetzen. Der männliche Teil der Familie gefiel ihm, und nun war er auf die Frauen gespannt.
Da traten sie auch schon ein, Marcia und die beiden Julias. Hinreißend! Absolut hinreißend, auch die Mutter. Die Diener stellten drei Stühle für sie in das von den Sofas gebildete Hufeisen, so daß Marcia gegenüber ihrem Mann zu sitzen kam, Julia gegenüber Gaius Marius und Julilla gegenüber ihren beiden Brüdern. Amüsiert sah Marius, wie Julilla ihren Brüdern die Zunge herausstreckte, sobald ihre Eltern nicht hersahen und sie sich der Aufmerksamkeit des Gastes sicher war.
Das Essen war einfach, aber vorzüglich zubereitet. Der Eigengeschmack des Fleisches, der Gemüse und der Früchte wurde nicht von garum, der scharfen Fischsoße, und exotischen Gewürzmischungen aus dem Osten überdeckt. So zubereitetes Essen mochte der Soldat Marius am liebsten.
Es gab gebratene Vögel, gestopft mit einer einfachen Füllung aus Brot, Zwiebeln und Gartenkräutern, dazu helles, knuspriges Brot, zwei Sorten Oliven, Klöße aus feinstem Dinkelweizen, Eiern und Käse, köstliche Landbratwürste mit einer Knoblauch-Honig-Soße, zwei gemischte Salate, bestehend aus Kopfsalat, Gurken, Schalotten und Sellerie mit zwei verschiedenen Essig-Öl-Soßen, und eine Gemüseplatte mit leicht gedünstetem Broccoli, kleinen Kürbissen und Blumenkohl, überbacken mit Kastanienmus. Die Mahlzeit wurde abgerundet von kleinen Obsttörtchen, in wildem Thymianhonig getränkten Sesamecken, Teigtaschen mit einer Füllung aus Rosinen, Pfefferminz und Feigensirup und zwei vorzüglichen Sorten Käse.
»Arpinum!« rief Marius auf einmal und hielt ein Stück Käse hoch. Sein Gesicht mit den gewaltigen Augenbrauen sah auf einmal um Jahre jünger aus. »Diesen Käse kenne ich gut! Mein Vater stellt ihn her. Man nimmt dafür die Milch zweijähriger Mutterschafe, die zuvor eine Woche lang auf das spezielle Milchgras in der Flußaue getrieben wurden.«
»Oh, wie interessant«, sagte Marcia und lächelte ihm offen zu.
»Ich habe diesen Käse schon immer besonders gemocht, aber von jetzt an werde ich auf dem Markt besonders nach ihm Ausschau halten. Der Käse des Gaius Marius aus Arpinum - dein Vater heißt doch auch Gaius Marius?«
Kaum war der letzte Gang abgetragen, standen die Frauen auf und verabschiedeten sich. Den Wein hatten sie nicht angerührt, aber dafür hatten sie den Speisen kräftig zugesprochen und viel Wasser getrunken.
Marius bemerkte, daß Julia ihn beim Hinausgehen mit offensichtlicher Sympathie anlächelte. Sie hatten während des Essens höfliche Worte gewechselt, aber in seine Gespräche mit ihrem Vater hatte Julia sich nicht eingemischt. Trotzdem hatte sie nicht gelangweilt gewirkt, sondern die Gespräche verständig und interessiert verfolgt. Ein ganz reizendes Mädchen, fand Gaius Marius.
Die kleine Julilla dagegen war ein rechter Kobold - sicher niedlich, aber wahrscheinlich auch ziemlich anstrengend. Sie war verwöhnt und eigenwillig und wußte genau, wie sie Eltern und Geschwister um den Finger wickeln konnte. Und irgend etwas an ihr störte Marius. Irgend etwas an ihr stimmte nicht. Er zuckte in Gedanken die Schultern und verbannte das Problem aus seinem Kopf. Schließlich ging es ihn nichts an.
Die beiden jungen Männer blieben noch etwa zehn Minuten, dann entschuldigten auch sie sich und gingen. Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, in den Wasseruhren tropften die Nachtstunden dahin, doppelt so viele an der Zahl wie die Stunden, in denen es hell war. Es war Winter, und der Kalender stimmte ausnahmsweise einmal mit der Jahreszeit überein, dank des pedantischen Pontifex Maximus Lucius Caecilius Metellus Delmaticus, der glaubte, daß Datum und Jahreszeit einander entsprechen müßten - ein typisch griechischer Gedanke. Denn was machte es schon für einen Unterschied? Schließlich konnte man sehen und fühlen, welche Jahreszeit gerade herrschte, und der offizielle Kalender auf dem Forum Romanum informierte über Monat und Tag.
Als die Diener die Lampen anzündeten, bemerkte Marius, daß das Öl von allerbester Qualität war und die Dochte nicht aus grobem Zeug gewirkt, sondern aus Leinen gewebt waren.
»Ich lese viel«, sagte Caesar, der Marius’ Blick gefolgt war und seine Gedanken mit derselben unheimlichen Genauigkeit zu deuten verstand wie am Vortag auf dem Kapitol, als sich ihre Blicke getroffen hatten. »Außerdem schlafe ich leider nicht sehr gut. Vor Jahren, als die Kinder erstmals alt genug waren, am Familienrat teilzunehmen haben wir beschlossen, daß sich jeder etwas Besonderes wünschen dürfe, vorausgesetzt, es war erschwinglich. Soweit ich mich erinnere, hat sich Marcia einen Meisterkoch gewünscht - aber da wir von diesem Wunsch alle profitierten, beschlossen wir, daß sie einen neuen Webstuhl bekommen sollte, das neueste Modell aus Patavium, und dazu immer das Garn, das sie sich wünschte, auch wenn es teuer war. Sextus hat sich gewünscht, mehrmals im Jahr die Feuerkrater bei Puteoli zu besuchen.«
Ein sorgenvoller Ausdruck trat in Caesars Augen, und er seufzte tief. »Die Julier vererben seit je bestimmte Eigenschaften auf ihre Kinder. Die bekannteste - abgesehen von unserer hellen Hautfarbe - ist die Sage, daß jede Julia mit der Fähigkeit geboren wird, ihren Mann glücklich zu machen. Das ist ein Geschenk unserer Urmutter, der Göttin Venus, die mit ihren Geschenken freilich nicht allzu viele Menschen glücklich gemacht hat. Jedenfalls gibt es diese Sage über die julischen Frauen. Unser Geschlecht ist aber auch noch mit anderen, weniger glücksbringenden Geschenken bedacht worden, etwa mit dem, was unser armer Sextus geerbt hat. Ich bin sicher, du kennst die Krankheit, an der er leidet: die Kurzatmigkeit. Wenn er einen seiner Anfälle bekommt und nach Luft ringt, hört man es durch das ganze Haus. Manchmal läuft er blau an. Wir haben ihn schon einige Male fast aufgegeben.«
Das also war es, was dem jungen Sextus im Gesicht geschrieben stand! Er litt an Kurzatmigkeit, der Arme. Das würde zweifellos seine Karriere behindern.
Marius nickte. »Ich kenne die Krankheit. Mein Vater sagt, daß sie zur Heuernte und im Sommer, wenn alles blüht, am schlimmsten ist und daß sich Menschen, die unter dieser Krankheit leiden, von Tieren, vor allem von Pferden und Hunden, fernhalten sollen. Wenn er seinen Militärdienst ableistet, geht er am besten zur Infanterie.«
»Er hat das schon selbst herausgefunden.« Wieder seufzte Caesar.
»Aber erzähle weiter, was deine Kinder sich gewünscht haben, Gaius Julius.« Marius war fasziniert von der Vorstellung eines Familienrates, von so viel Demokratie. Merkwürdige Leute, Julius Caesar und seine Familie! Von außen betrachtet überkorrekte Patrizier und Stützen der Gesellschaft, bei genauerem Hinsehen aber erstaunlich unkonventionell.
»Nun, der kleine Sextus wünschte sich die Besuche bei den Feuerkratern, weil die Schwefeldämpfe ihm offenbar halfen. Er geht heute noch hin.«
»Und dein jüngster Sohn?«
»Gaius sagte, er habe nur einen Wunsch auf der Welt und der würde nicht einmal etwas kosten. Er wünschte sich, seine Frau später einmal selbst auswählen zu dürfen.«
Marius’ Augenbrauen tanzten lebhaft auf und ab. »Bei den Göttern! Und du hast ihm diesen Wunsch zugestanden?«
»Natürlich.«
»Und wenn er sich nun nach Knabenart in ein Flittchen oder eine alte Dirne verliebt?«
»Dann kann er sie heiraten, wenn er will. Ich glaube aber nicht, daß Gaius so dumm ist. Er denkt sehr vernünftig.«
»Heiratet ihr noch nach alter Patriziersitte confarreatio - für das ganze Leben?« Marius kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
»Natürlich.«
»Bei den Göttern!«
»Meine älteste Tochter Julia denkt auch sehr vernünftig«, fuhr Caesar fort. »Sie wollte Mitglied in der Bibliothek des Fannius werden. Nun hatte ich mir genau dasselbe wünschen wollen, aber da wir nicht unbedingt beide Mitglied sein mußten, ließ ich ihr den Vortritt. Unsere Kleinste, Julilla, nun, sie ist leider überhaupt nicht vernünftig. Aber ich denke, Schmetterlinge müssen auch nicht klug sein.« Er lächelte schief. »Dafür verschönern sie die Welt. Eine Welt ohne Schmetterlinge wäre schrecklich.«
»Was hat sie sich gewünscht?« fragte Gaius Marius lächelnd.
»Ach, ungefähr das, was wir erwartet hatten. Zuckerwerk und Kleider.«
»Und du, was hast du dir gewünscht?«
»Ich habe mir das beste Lampenöl und die besten Dochte gewünscht. Und ich habe Julia ein Geschäft vorgeschlagen: Wenn sie mir ihre Bücher aus der Bibliothek ausleiht, darf sie meine Leselampen benutzen.«
Marius lächelte still in sich hinein. Er hatte den Erzähler dieses kleinen Lehrstücks bereits ins Herz geschlossen. Was für ein einfaches, glückliches Leben ohne Arg er doch führte! Umgeben von Frau und Kindern, die er glücklich machen wollte und die er Jeden in seiner Art schätzte. Zweifellos täuschte er sich nicht in seinen Kindern. Der junge Gaius würde sich seine Frau sicher nicht aus der Gosse der Subura holen.
Marius räusperte sich. »Gaius Julius, es war wirklich ein reizender Abend. Aber nun bin ich doch recht gespannt zu erfahren, warum ich die ganze Zeit nüchtern bleiben mußte.«
»Ich werde zuerst die Diener hinausschicken«, sagte Caesar. »Der Wein steht hier in unserer Reichweite, und da jetzt die Stunde der Wahrheit gekommen ist, brauchen wir uns nicht mehr so zu mäßigen.«
Marius wunderte sich schon wieder. Er war es gewöhnt, daß die römischen Patrizier ihre Haussklaven mit völliger Nichtbeachtung behandelten. Nicht, daß sie sie schlecht behandelt hätten - sie behandelten sie in der Regel sogar gut, aber sie schienen zu glauben, daß Sklaven ausgestopfte Puppen waren, sobald private Dinge zur Sprache kamen. Marius hatte sich mit dieser Haltung nie anfreunden können. Sein Vater hatte auch immer darauf geachtet, daß die Sklaven hinausgeschickt wurden, wenn über private Dinge gesprochen wurde.
»Es wird furchtbar viel getratscht«, sagte Caesar, als sich die Tür hinter den Sklaven geschlossen hatte. »Und unsere Nachbarn sind auf beiden Seiten sehr neugierig. Marcia hat mir erzählt, daß einige ihrer Freundinnen ihre Sklaven für Gerüchte bezahlen und ihnen sogar ein Geschenk machen, wenn sich die Gerüchte als wahr erweisen! Außerdem sind auch Sklaven denkende und fühlende Menschen, es ist also besser, sie erfahren nichts.«
»Gaius Julius«, sagte Marius warm, »du hättest Konsul werden und dann als unser bedeutendster Konsular zum Zensor gewählt werden müssen.«
»Ich stimme dir bei, Gaius Marius, so hätte es kommen müssen! Aber ich hatte für das höchste Amt nicht das nötige Geld.«
»Ich habe Geld. Bin ich deshalb eingeladen worden? Mußte ich deshalb nüchtern bleiben?«
Caesar sah ihn schockiert an. »Mein lieber Gaius Marius, doch nicht deshalb! Ich gehe schon auf die Sechzig zu! Nein, ich mache mir Gedanken über meine Söhne und, wenn die Zeit gekommen ist, über die Söhne meiner Söhne.«
Marius griff nach dem Weinkrug, füllte seinen leeren Becher mit unverdünntem Wein und nahm einen Schluck. Dann sah er verwundert auf. »War es dieser Wein, den wir den ganzen Abend bis zur Geschmacklosigkeit verwässert haben?«
Caesar lächelte. »Aber nein! So reich bin ich wirklich nicht. Der verdünnte Wein war ein einfacher Landwein. Diesen hier bewahre ich für besondere Anlässe auf.«
»Ich fühle mich geschmeichelt.« Marius sah Caesar aufmerksam an. »Was willst du von mir, Gaius Julius?«
»Hilfe. Im Gegenzug werde ich dir helfen.« Caesar goß sich ebenfalls Wein ein.
»Und wie soll diese gegenseitige Hilfe aussehen?«
»Ganz einfach. Du wirst Mitglied meiner Familie.«
»Was?«
»Ich biete dir eine meiner Töchter an«, sagte Caesar geduldig. »Welche du willst.«
»Ich soll sie heiraten?«
»Ganz recht, heiraten!«
»Was für eine Idee! « Marius erkannte sofort, welche Möglichkeiten sich hier auftaten.
»Man wird dich beachten müssen, wenn du mit einer Julia verheiratet bist«, sagte Caesar. »Zum Glück hast du keine Söhne - und keine Töchter, was das betrifft. Eine Frau, die du in deiner jetzigen Situation heiratest, muß also jung und fruchtbar sein. Jeder wird verstehen, daß du dir eine neue Frau suchst. Aber wenn diese Frau eine Julia ist, wird man dich mit ganz anderen Augen ansehen müssen als bisher, denn sie kommt aus einem der ältesten Patriziergeschlechter, und auch in deinen Kindern wird dann julianisches Blut fließen. Eine Heirat mit einer Julia adelt dich, Gaius Marius. Dein Name wird durch die große dignitas, das öffentliche Ansehen und den Rang einer der erlauchtesten Familien Roms aufgewertet werden. Wir haben kein Geld, aber wir haben dignitas. Das julianische Geschlecht geht auf die Göttin Venus zurück, auf ihren Enkel Julus, der der Sohn ihres Sohnes Aeneas war. Auch du wirst am Glanz unseres Namens teilhaben.«
Caesar stellte seinen Becher ab, lächelte und seufzte. »Ich versichere dir, Gaius Marius, daß es wahr ist! Ich bin zwar nicht der älteste lebende Julier, aber wir bewahren die Wachsbilder in unserem Haus auf, und man kann unsere Familie über tausend Jahre zurückverfolgen. Auch Rea Silvia, die Mutter von Romulus und Remus, war eine Julia! Als sie sich mit Mars vereinigte und die Zwillingssöhne empfing, gaben wir ihrem Sohn Romulus Menschengestalt und schufen damit Rom.« Sein Lächeln wurde breiter. »Wir waren Könige von Alba Longa, der größten Stadt Latiums, die unser Ahnherr Julus gegründet hat. Als die Stadt von den Römern zerstört wurde, führte das Schicksal uns nach Rom und erhöhte uns abermals, um dem römischen Führungsanspruch über die Latiner Gewicht zu geben. Der Priester auf dem Albanerberg ist bis zum heutigen Tag ein Julier.«
Marius atmete vor Ehrfurcht unwillkürlich tief ein, dann hörte er schweigend weiter zu.
Mit ernster Stimme fuhr Caesar fort: »In bescheidenerem Rahmen verfüge auch ich über einigen Einfluß, obwohl ich nie genügend Geld hatte, um mich für ein hohes Amt zu bewerben. Die Wahlmänner kennen meinen Namen. Emporkömmlinge schmeicheln mir - und du weißt ja, wie viele es von ihnen in den Zenturien gibt, die die Konsuln wählen -, und der Adel achtet mich hoch. Meine persönliche dignitas, wie die meines Vaters vor mir, steht außer Frage.«
Gaius Marius konnte seinen Blick nicht von Caesars edlen Gesichtszügen lösen. Dieses Geschlecht ging bis auf Venus zurück, ganz bestimmt! Bis ins letzte Glied hatte es nur schöne Männer und Frauen hervorgebracht, und Schönheit zählte - überall auf der Welt waren blonde Menschen im Vorteil. Wenn er Kinder von einer Julia bekam, waren sie vielleicht ebenfalls blond und hatten lange, römische Nasen.
»Du willst Konsul werden«, sagte Caesar, »das weiß in Rom jeder. Als Prätor in Spanien hast du viele Klienten gewonnen. Leider geht das Gerücht um, du seist selbst ein Klient und deine Klienten seien die Klienten deines Patrons.«
Verärgert zeigte Marius seine kräftigen, weißen Zähne. »Das ist eine Verleumdung! Ich bin niemandes Klient!«
»Ich glaube dir, aber die Leute sind anderer Meinung«, beharrte Caesar, »und das zählt mehr als die Wahrheit. Wer auch nur ein bißchen Verstand besitzt, weiß, wie unsinnig die Behauptung ist, du seist Klient der Familie Herennius. Schließlich ist dieses Geschlecht viel weniger latinisch als deine Familie in Arpinum. Aber es heißt auch, du seist Klient eines Caecilius Metellus, und das klingt weniger unsinnig. Die Familie deiner Mutter Fulcinia ist etruskisch, die Familie deines Vaters hat Besitz in Etrurien, und dort hatten die Meteller schon immer großen Einfluß.«
»Weder ein Marius noch ein Fulcinius hat jemals einen Caecilius Metellus zum Patron gehabt!« sagte Marius aufgebracht. »Die Meteller behaupten das nur, weil sie genau wissen, daß sie es nicht beweisen müssen! «
»Du hast vollkommen recht«, sagte Caesar. »Aber ihr Haß ist gegen dich persönlich gerichtet, und das macht ihre Behauptungen glaubhaft. Die Leute sagen, daß ein so persönlicher Haß nicht erst damals entstanden sein kann, als du sie als Volkstribun an der Nase herumgeführt hast.«
»Durchaus nicht.« Marius lachte bitter.
»Erzähle.«
»Ich habe einmal den kleinen Bruder von Delmaticus in einen Schweinekoben geworfen - den, der nächstes Jahr sicher Konsul wird. Das war in Numantia. Eigentlich waren wir zu dritt, und alle drei sind wir seither mit den Römern, die das Sagen haben, nicht zurechtgekommen.«
»Wer waren die anderen zwei?«
»Publius Rutilius Rufus und König Jugurtha von Numidien.«
»Das erklärt einiges.« Caesar preßte die Fingerspitzen aneinander. »Aber an deinem Namen haftet noch ein anderer Makel, der viel schlimmer ist als die Klientengeschichte, Gaius Marius.«
»Bevor wir darüber sprechen, hätte ich gern von dir gewußt, wie ich dieses Gerücht ausmerzen kann, Gaius Julius.«
»Indem du eine meiner Töchter heiratest. Wenn ich dir eine meiner Töchter zur Frau gebe, heißt das, daß ich nicht an das Gerücht glaube. Und erzähle die Geschichte von dem spanischen Schweinekoben jedem, der sie hören will! Vielleicht bringe ich Publius Rutilius Rufus dazu, daß er sie bestätigt.« Caesar lächelte. »Das stelle ich mir komisch vor: ein Caecilius Metellus inmitten von Schweinen - und nicht einmal römischen Schweinen!«
»Es war komisch«, erwiderte Marius kurz angebunden. »Was ist mit der anderen Verleumdung?«
»Man sagt, du seist Geschäftsmann.«
Marius verschlug es den Atem. »Aber - ich betreibe keine anderen Geschäfte als drei Viertel der Senatoren. Ich besitze keinerlei Firmenanteile, die mir das Recht oder die Macht geben, in die Geschicke einer Firma einzugreifen! Ich bin nur ein stiller Teilhaber, ein Kapitalgeber! Wird tatsächlich von mir behauptet, ich sei aktiv in Geschäften tätig?«
»Das natürlich nicht! Niemand läßt sich genauer darüber aus, mein lieber Gaius Marius. Man tut dich einfach mit einem verächtlichen Lächeln ab, mit dem Satz: ›Er betreibt Geschäfte.‹ Damit kann alles gemeint sein, auch wenn nie etwas Konkretes gesagt wird. Wer nicht genauer nachfragt, gewinnt den Eindruck, deine Vorfahren seien seit Generationen im Geschäft und du selbst seist im Besitz der verschiedensten Firmen.«
»Ich bin nicht mehr Geschäftsmann als ein Caecilius Metellus. Wahrscheinlich sogar weniger.«
»Gut möglich. Aber wenn ich dich von Anfang an beraten hätte, hätte ich dir empfohlen, keinerlei Geschäfte zu betreiben, die nicht mit Land- und Grundbesitz verbunden sind. Deine Minen sind zwar sauber und ein guter, solider Besitz. Aber für einen homo novus sind sogar solche Geschäfte unklug. Du hättest bei dem bleiben sollen, was einem Senator auf keinen Fall schaden kann - beim Land- und Grundbesitz.«
»Du meinst also, daß meine Beteiligung an verschiedenen Firmen ein weiterer Grund ist, warum ich nie ein richtiger römischer Adliger werden kann?« Marius klang bitter.
»Genau!«
Marius straffte die Schultern. Es war verlorene Zeit und Mühe, sich mit solchem Unsinn weiter abzugeben. Statt dessen wandte er sich wieder der verlockenden Vorstellung zu, eine Julia zu heiraten: »Meinst du wirklich, daß mein Ansehen in der Öffentlichkeit durch die Ehe mit einer deiner Töchter entscheidend verbessert werden könnte?«
»Ganz sicher! «
»Eine Julia. Aber warum heirate ich dann nicht gleich eine Sulpicia - oder eine Claudia - eine Aemilia - oder eine Cornelia? Auch das sind alte Geschlechter, und ich würde zum alten Namen noch großen politischen Einfluß gewinnen.«
Caesar lächelte und schüttelte den Kopf. »Natürlich könntest du eine Cornelia oder eine Aemilia heiraten. Aber alle würden wissen, daß du dir das Mädchen einfach gekauft hast. Der Vorteil bei einer Julia ist, daß bisher kein Julius Caesar jemals seine Tochter einem reichen Mann ohne Namen verkauft hat. Allein die Tatsache, daß du eine Julia heiraten darfst, wird alle Welt überzeugen, daß du die höchsten politischen Ehren verdienst und daß die Verleumdungen um deine Person nichts als üble Nachrede sind. Ein Julius Caesar hat es noch nie nötig gehabt, seine Töchter zu verkaufen.«
Marius lehnte sich zurück und starrte nachdenklich auf den Becher in seiner Hand. »Gaius Julius, warum bietest du mir diese Chance?«
Caesar runzelte die Stirn. »Ich habe dafür zwei Gründe. Der erste mag nicht sehr vernünftig klingen. Als ich dich gestern bei den Feierlichkeiten zur Amtseinführung sah, hatte ich plötzlich eine Vorahnung. Normalerweise gebe ich nichts auf Vorahnungen, aber ich schwöre dir bei den Göttern, daß ich auf einmal wußte, daß vor mir der Mann stand, der - hätte er die Möglichkeit dazu - Rom auf seinen eigenen Schultern aus schrecklicher Gefahr tragen würde. Und ich wußte plötzlich, daß Rom ohne dich verloren ist.« Caesar erschauerte. »Nun, in jedem Römer steckt ein Stück Aberglaube, und in den wirklich alten Familien ist er sehr verbreitet. Die Vorahnung hat mich nicht mehr losgelassen. Und ich dachte mir auch, wie wunderbar es wäre, wenn ich, ein einfacher Hinterbänkler im Senat, Rom zu dem Mann verhelfen könnte, den es so dringend braucht.«
»Auch ich habe eine solche Vorahnung«, warf Marius ein. »Seit Numantia.«
»Siehst du! Jetzt sind wir schon zwei.«
»Und dein zweiter Grund, Gaius Julius?«
Caesar seufzte. »Ich muß mich der Tatsache stellen, daß es mir trotz meines Alters noch nicht gelungen ist, für meine Kinder so vorzusorgen, wie es einem Vater ansteht. An Liebe hat es ihnen nicht gefehlt, und sie haben auch eine hervorragende Erziehung genossen. Aber dieses Haus und fünfhundert iugera Land in den Albaner Bergen sind alles, was ich besitze.« Er richtete sich auf und beugte sich vor. »Ich habe vier Kinder, und das ist, wie du wohl weißt, zuviel. Zwei Söhne und zwei Töchter. Mein Besitz reicht nicht einmal aus, meinen beiden Söhnen eine politische Laufbahn als Hinterbänkler im Senat zu sichern. Wenn ich meinem Ältesten Sextus alles vermache, kann er sich gerade im Senat halten wie ich. Mein jüngerer Sohn Gaius dagegen wird so arm sein, daß es nicht einmal zum Ritter reicht. Ich würde praktisch einen Lucius Cornelius Sulla aus ihm machen - kennst du Lucius Cornelius Sulla?«
»Nein.«
»Seine Stiefmutter wohnt gleich nebenan. Eine schreckliche Frau: niedere Herkunft, kein Verstand, aber sehr reich. Soviel ich weiß, wird nicht ihr Stiefsohn, sondern ein Neffe sie beerben. Sie hat mir keine Ruhe gelassen, bis ich ihr geholfen habe, ihr Testament aufzusetzen. Hat ununterbrochen geredet. Ihr Stiefsohn Lucius Cornelius Sulla wohnt bei ihr, weil er ihr zufolge nirgendwo sonst unterkommt. Seine Familie ist schon lange verarmt, sein Vater besaß buchstäblich nichts und hat auch noch getrunken. Du hast entschieden mehr Glück gehabt, Gaius Marius, denn immerhin hatte deine Familie genug Geld, daß du Senator werden konntest. Lucius Cornelius Sulla stammt aus einer vornehmen patrizischen Familie, allein die Armut ist schuld, daß er nicht den Platz in der Gesellschaft einnehmen kann, der ihm zusteht.« Und mit bewegter Stimme schloß Caesar: »Mir liegt das Wohlergehen meines jüngeren Sohnes zu sehr am Herzen, als daß ich ihn, seine Kinder oder Kindeskinder dem Schicksal eines Lucius Cornelius Sulla aussetzen möchte.«
»Keiner kann etwas für seine Geburt!« sagte Marius gleichfalls bewegt. »Warum soll die Geburt über unser ganzes weiteres Leben bestimmen?«
»Warum das Geld?« entgegnete Caesar. »Du mußt zugeben, Gaius Marius, daß Geburt und Geld überall auf der Welt zählen. Verglichen mit dem Partherreich etwa finde ich die römische Gesellschaft sogar noch relativ mobil. In Rom ist es immerhin schon vorgekommen, daß mittellose Männer Karriere gemacht haben.« Nachdenklich fügte er hinzu: »Glaube nicht, daß ich diese Männer jemals bewundert hätte. Der Kampf um den Aufstieg scheint sie menschlich zu ruinieren.«
»Dann ist es vielleicht besser, Lucius Cornelius Sulla bleibt, wo er ist.«
»Nein!« entgegnete Caesar fest. »Ich bin meiner Klasse immerhin so sehr verbunden, daß ich das Schicksal des Lucius Cornelius Sulla außerordentlich bedauere! « Er setzte eine geschäftliche Miene auf. »Im Moment geht es mir aber um die Zukunft meiner Kinder. Ich kann meinen Töchtern keine Mitgift geben, Gaius Marius, weil meine Söhne sonst völlig mittellos wären. Das bedeutet, daß meine Töchter niemals einen Mann aus ihrer Klasse heiraten können. Bitte entschuldige, wenn diese Worte dich kränken. Ich wollte damit nicht sagen, daß... « Er brach ab und machte eine hilflose Handbewegung. »Ich will lediglich anständige, ehrbare, sympathische Männer für meine Töchter.«
Caesar erhob sich schwerfällig. »Der Abend war lang und anstrengend für mich, und ich fange an, meine Knochen zu spüren. Hast du etwas dagegen, wenn wir uns im Garten ein wenig die Beine vertreten? Ich weiß, es ist kalt draußen, aber du kannst von mir einen warmen Mantel haben.«
Wortlos glitt Gaius Marius vom Sofa, ergriff Caesars Schuhe, streifte sie ihm über und band sie schnell und geschickt zu. Dann zog er sich selbst die Schuhe an und stand auf
»Das gefällt mir an dir«, sagte Caesar. »Du handelst überlegt und ohne Umschweife.«
Der Säulengarten war klein, aber wunderschön. Trotz der Jahreszeit gediehen aromatische Kräuter, die einen köstlichen Duft verströmten. Ansonsten wuchsen hier hauptsächlich winterharte, immergrüne Pflanzen. Die Verbundenheit mit dem Land war den Juliern immer noch anzumerken, dachte Marius, und bei diesem Gedanken wurde ihm warm ums Herz. Unter den Dachvorsprüngen hingen Hunderte von kleinen Flohkrautbüscheln zum Trocknen, gerade wie bei seinem Vater zu Hause. Ende Januar würde man sie im Haus in allen Schubladen und Ecken verteilen, um Fliegen, Silberfischchen und anderes Ungeziefer fernzuhalten. Flohkraut wurde zur Wintersonnenwende gepflückt. Marius hatte nicht gewußt, daß man diesen Brauch in Rom auch kannte.
Zur Feier seines Besuches brannten die Leuchter in den Arkaden um den Garten, und zierliche Bronzelampen tauchten die Gartenwege in warmes, gelbes Licht. Es hatte aufgehört zu regnen. Schwere Tropfen hingen an Büschen und Sträuchern, und die Luft war feucht und kalt.
Die Männer achteten nicht darauf. Schweigend schritten sie eine Weile auf und ab, bis sie zuletzt in der Mitte des Gartens vor dem Becken mit dem Springbrunnen stehenblieben. Den vier steinernen Dryaden hatte man Fackeln aufgesteckt. Das Becken war jetzt im Winter leer, der Springbrunnen abgestellt. Eigenartig gerührt betrachtete Gaius Marius den verwitterten Brunnen. In seinem Garten plätscherte das Wasser dank eines Heizsystems das ganze Jahr über. Dennoch erschien ihm dies hier viel wirklicher.
»Bist du an der Heirat mit einer meiner Töchter interessiert?« fragte Caesar ruhig.
Marius nickte entschlossen. »Das bin ich, Gaius Julius.«
»Wird dir die Trennung von deiner Frau nicht schwerfallen?«
»Überhaupt nicht.« Marius räusperte sich. »Was verlangst du von mir für die Braut und deinen Namen, Gaius Julius?«
»Ich will offen sein: eine Menge. Da du in unserer Familie mehr ein zweiter Vater als ein Schwiegersohn sein wirst - ein Privileg deines Alters -, erwarte ich, daß du auch meine zweite Tochter mit einer Mitgift ausstattest und meine beiden Söhne versorgst. Du mußt dich außerdem bereit erklären, meinen beiden Söhnen nach Kräften zu helfen, wenn sie in den Senat eintreten und die Ämterlaufbahn beginnen. Ich will, daß beide Konsul werden. Mein Sohn Sextus ist ein Jahr älter als der ältere der beiden Söhne, die mein Bruder Sextus behalten hat. Mein Sextus wird also der erste Julius seiner Generation sein, der sich um das Konsulat bewerben kann. Ich will, daß er zum frühestmöglichen Zeitpunkt Konsul wird, zwölf Jahre nach seinem Eintritt in den Senat, zweiundvierzig Jahre nach seiner Geburt. Er wird der erste Konsul meines Geschlechts nach vierhundert Jahren sein. Das ist mir außerordentlich wichtig!«
»Dein Bruder Sextus hat seinen ältesten Sohn zur Adoption gegeben, nicht wahr?« fragte Marius. Angestrengt versuchte er sich zu erinnern. Kein Römer aus Rom hätte nach so etwas fragen müssen.
»Ja, vor langer, langer Zeit. Er hieß ebenfalls Sextus. Die erstgeborenen Söhne unseres Geschlechts heißen in der Regel so.«
»Ach natürlich! Quintus Lutatius Catulus! Er gebraucht den Namen Caesar ja nicht mehr. Aber dann wird doch sicher er der erste Caesar auf dem Stuhl des Konsuls sein, denn er ist ja wesentlich älter als deine Söhne.«
»Nein«, sagte Caesar und schüttelte heftig den Kopf. »Er ist kein Caesar mehr, er ist jetzt ein Lutatius Catulus.«
»Ich kann mir vorstellen, daß der alte Catulus ein schönes Sümmchen für seinen Adoptivsohn hingelegt hat.«
»Er hat damals sehr viel bezahlt. So viel, wie du für deine neue Frau, Gaius Marius.«
»Julia. Ich werde Julia zur Frau nehmen.«
»Nicht die Kleine?« fragte Caesar erstaunt. »Nun, ich gebe zu, daß ich froh darüber bin, denn ich bin der Meinung, daß Mädchen unter achtzehn nicht heiraten sollten, und Julilla ist erst sechzehneinhalb. Du hast eine gute Wahl getroffen, denke ich. Aber ich dachte immer, Julilla sei die hübschere von beiden. «
»Du bist ja auch ihr Vater«, sagte Marius lächelnd. »Nein, Gaius Julius, deine jüngste Tochter reizt mich nicht im geringsten. Wenn sie ihren zukünftigen Ehemann nicht gerade vergöttert, wir sie ihm mit ihren Launen arg zu schaffen machen. Ich bin für solche Mätzchen zu alt. Julia dagegen sieht nicht nur gut aus, sie scheint auch Verstand zu haben. Sie hat mir auf Anhieb gefallen.«
»Sie wird eine exzellente Konsulsgattin sein.«
»Glaubst du wirklich, daß mir der Sprung ins Konsulat gelingen wird?«
Caesar nickte. »Davon bin ich überzeugt! Aber so etwas braucht Zeit. Heirate erst einmal Julia und warte in Ruhe ab. Sieh zu, daß du dich ein paar Jahre im Krieg bewährst - ein militärischer Erfolg verbessert deine Chancen enorm. Biete einem Feldherrn deine Dienste als Legat an. Zwei oder drei Jahre später kannst du dich um das Konsulat bewerben.«
»Dann bin ich fünfzig«, sagte Marius bedrückt. »Männer, die soviel älter sind als üblich, werden nicht gern gewählt.«
»Du bist auch jetzt schon zu alt, was machen da diese zwei oder drei Jahre? Wenn du sie gut nutzt, werden sie dir zustatten kommen. Und du siehst jünger aus, als du bist, Gaius Marius, das spielt auch eine Rolle. So wie du aussiehst, bist du der Inbegriff eines gesunden, vitalen Mannes, und außerdem bist du groß, was die Wahlmänner im allgemeinen auch sehr beeindruckt. Wenn du ein unscheinbarer, kleiner Wicht wärst, würde dir vielleicht nicht einmal eine Julia helfen.«
»Was soll ich für deine Söhne tun?«
»Du meinst materiell?«
Marius nickte. Ohne auf sein Purpurgewand zu achten, setzte er sich auf eine Bank aus weißem, unpoliertem Marmor. Da er einige Zeit sitzen blieb und die Bank sehr naß war, blieb, als er sich wieder erhob, ein rosarot gesprenkelter Fleck zurück, der wie natürlich aussah. Die Purpurfarbe haftete fest an dem porösen Stein, und viele Jahre später ließ ein anderer Gaius Julius Caesar die Bank im Domus Publicus des Pontifex Maximus aufstellen. Der Gaius Julius Caesar, der mit Gaius Marius einen Heiratsvertrag aushandelte, sah in dem Fleck ein gutes Omen, ein erfolgversprechendes Omen. Gaius Marius würde das Schicksal Roms entscheidend bestimmen, und seine eigenen Söhne würden den Purpur des höchsten Amtes erlangen.
»Für meinen Sohn Gaius brauche ich so viel Land, daß ihm der Sitz im Senat sicher ist«, sagte Caesar. »Zufällig stehen gerade sechshundert Iugera besten Ackerlands neben meinen eigenen Ländereien in den Albaner Bergen zum Verkauf.«
»Der Preis?«
»Schwindelerregend.« Caesar atmete tief durch. »Vier Millionen Sesterze - eine Million Denare.«
»Einverstanden«, sagte Marius ungerührt. »Aber ich denke, es wäre gut, wenn wir unser Geschäft im Moment noch geheimhielten.«
»Selbstverständlich!« pflichtete Caesar ihm sofort bei.
»Dann bringe ich dir das Geld morgen persönlich vorbei«, lächelte Marius. »Was willst du noch?«
»Wenn mein ältester Sohn das Alter für den Senat erreicht, bist du vermutlich Konsular. Du hast dann Macht und Einfluß, und ich verlange, daß du sie dazu nutzt, meine Söhne auf der Ämterlaufbahn voranzubringen. Wenn du in den nächsten zwei bis drei Jahren Legat bist, sollen meine Söhne mit dir in den Krieg ziehen. Sie haben zwar beide schon als Offiziersanwärter Erfahrung gesamrnelt, aber für ihre politische Karriere brauchen sie noch mehr. Bei dir werden sie in guten Händen sein.«
Marius dachte bei sich, daß keiner der jungen Männer aus dem Holz geschnitzt war, aus dem große Feldherren gemacht sind, daß sie aber sicherlich gute Offiziere abgeben würden. Laut sagte er nur: »Ich nehme sie gerne mit, Gaius Julius.«
Caesar fuhr fort: »Ihre patrizische Herkunft ist ein schwerer Nachteil für ihre politische Karriere. Du weißt so gut wie ich, daß sie als Patrizier nicht Volkstribun werden können, daß aber ein spektakuläres Auftreten als Volkstribun die beste Methode ist, sich einen politischen Ruf zu verschaffen. Meine Söhne werden sich als kurulische Ädilen hocharbeiten müssen - und das ist sündhaft teuer. Ich gehe deshalb davon aus, daß du Sextus und Gaius mit genügend Geld versorgst, daß sie dem Volk Spiele und Spektakel ausrichten können, an die das Volk sich bei den Wahlen zum Prätor erinnert. Und wenn es sich an irgendeinem Punkt ihrer Laufbahn als notwendig erweisen sollte, Wählerstimmen zu kaufen, sollst du die Mittel dafür bereitstellen.«
»Einverstanden.« Gaius Marius streckte Caesar seine Rechte mit geradezu erstaunlicher Bereitwilligkeit entgegen. Schließlich ließ er sich auf eine Verbindung ein, die ihn mindestens zehn Millionen Sesterze kosten würde.
Gaius Julius Caesar ergriff die Hand und schüttelte sie lang. »Also abgemacht!« rief er lachend.
Sie kehrten ins Haus zurück. Caesar schickte einen verschlafenen Sklaven nach dem alten sagum von Gaius Marius.
»Wann darf ich Julia sehen und sprechen?« fragte Marius.
»Morgen nachmittag«, antwortete Caesar und öffnete eigenhändig die Haustür. »Gute Nacht, Gaius Marius.«
»Gute Nacht, Gaius Julius.« Marius trat in die kalte Winternacht hinaus.
Aber er spürte die Kälte nicht. Auf dem Heimweg war ihm so warm ums Herz wie schon lange nicht mehr. Sollte der ungebetene Gast, jenes gewisse Gefühl, das ihn immer wieder überfiel, tatsächlich recht behalten? Konsul! Wenn ihm das gelang, dann mußte er auch einen Sohn haben. Einen zweiten Gaius Marius.