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Ich folgte dem Krieger Kamchak in das Lager der Tuchuks.

Dabei wurden wir fast von sechs Reitern auf Kaiilas umgeritten, die zwischen den dichtstehenden Wagen an uns vorüberdonnerten. Hier und dort liefen Kinder herum. Tuchukfrauen, ohne Schleier und in langen Lederkleidern, die Haare zu Zöpfen geflochten, kümmerten sich um riesige Kochtöpfe. Sie wiesen keine Narben auf, trugen jedoch durch die Nase einen Ring — wie die Bosk. Ich hörte einen Haruspex zwischen den Wagen singen. An einem Feuer tanzte ein Tuchuk, die Hände in die Hüften gestemmt.

Die Tuchuks und die anderen Wagenvölker verehren die Priesterkönige, aber im Gegensatz zu den Goreanern in den Städten vollzieht sich das nicht auf förmliche Art. Heilig sind dem Tuchuk auch viele andere Dinge — so der Bosk und die Geschicklichkeit mit den Waffen —, doch am meisten beeindruckt ihn der Himmel, der einfache riesige, schöne Himmel, von dem der Regen strömt, der nach den Mythen der Wagenvölker die Erde und die Bosks und die Tuchuks formte. Wenn der Tuchuk betet, betet er zum Himmel, fordert von ihm Sieg und Glück für sich und Niederlage und Elend für den Feind. Der Tuchuk betet übrigens nur, wenn er im Sattel sitzt und seine Waffen zur Hand hat — so wie ein Krieger zu seinem Ubar aufblickt. Die Frauen der Wagenvölker dürfen nicht beten; sie wenden sich dafür an die Haruspexe, die für annehinbare Preise Horoskope und Talismane feilbieten.

Als wir zwischen zwei Wagen durchkamen, schrak ich zurück. Ein sandfarbener Präriesleen warf sich neben mir gegen die Gitterstäbe seines Käfigs, fauchte und hieb mit seiner sechszackigen Klaue nach mir. Es waren weitere vier Sleens in dem Käfig, und sie wanderten unruhig hin und her. Sie werden bei Einbruch der Dunkelheit freigelassen, um die Herden zu bewachen. Sie werden auch eingesetzt, wenn ein Sklave entflieht, denn die Sleens sind geschickte, ausdauernde Spurensucher.

Überrascht drehte ich mich um, als das Klingeln von Sklavenglöckchen ertönte und ich ein Mädchen mit einer Last zwischen den Wagen erblickte.

Kamchak war meinem Blick gefolgt und lachte leise.

»Sie ist aus Turia«, sagte er. »Ihr Herr traut ihr nicht.«

Ich runzelte die Stirn. »Turianische Mädchen sind stolz«, fuhr Kamchak fort. »Sie geben ausgezeichnete Sklavinnen ab. Aber nachts muß man sie unter dem Wagen anketten.«

Wir ritten weiter.

Die Wagen dieser Nomaden, zu Hunderten und Tausenden aufgefahren, bieten in ihren leuchtenden Farben einen großartigen Anblick. Zu meiner Überaschung waren die Fahrzeuge fast quadratisch, wobei jedes die Größe eines geräumigen Zimmers hat. Jedes wird von einem Doppelgespann Bosks gezogen, von insgesamt acht Tieren. Die Gespanne sind an zwei Zugstangen festgemacht, die miteinander durch Temholz, ein besonders hartes, aber flexibles Material verbunden sind. Auch die Achsen der Wagen bestehen aus Temholz.

Der Wagenkasten, der fast zwei Meter hoch liegt, besteht aus schwarzen lackierten Temholzplanken. Innerhalb des quadratischen Wagenkastens ist ein rundes zeltartiges Gerippe angebracht, das mit angemalten und eingefetteten Boskhäuten bespannt ist. Diese Häute werden fantasievoll bemalt und sind mit individuellen Mustern versehen, wobei jeder Wagen die anderen an Kühnheit und Glanz zu überbieten versucht. Das runde Zeltskelett erhebt sich etwas innerhalb des Wagenkastens, so daß der Wagen — fast wie bei einem Schiff — von einem Rundgang umgeben ist. Die Flanken des Wagenkastens sind übrigens hier und dort mit Schießscharten versehen, denn der kleine Hornbogen der Wagenvölker läßt sich nicht nur aus dem Sattel abschießen, sondern auch in der Enge eines Wagens. Zu den auffälligsten Details dieser Wagen gehören die Räder, die riesig sind. Die Hinterräder haben einen Durchmesser von etwa drei Metern; die Vorderräder sind wie bei den Conestogawagen etwas kleiner, vielleicht zweieinhalb Meter; die größeren Hinterräder versinken nicht so leicht in weichem Boden; die kleineren Vorderräder, die den ziehenden Bosks näher sind, machen das Gefährt besser manövrierbar. Die Räder bestehen aus geschnitztem Holz und sind wie die Wagenhäute fantasievoll bemalt. Dicke Streifen Boskleder bilden die Fahrflächen und werden drei- bis viermal im Jahr erneuert. Der Wagen wird mit acht Zügeln gelenkt, je zwei für die vier Leittiere. Gewöhnlich werden die Wagen jedoch wie Tandems zu langen Fahrketten verbunden und nur die führenden Wagen werden gesteuert, während die anderen, durch Leinen verbunden, einfach nachfolgen. Oft wird ein Wagen auch durch eine Frau oder einen Jungen gelenkt, der neben dem Leittier einhergeht.

Das Innere der Wagen, die fest zugeschnürt werden, ist meist prunkvoll ausgestattet — mit herrlichen Teppichen ausgelegt, voller Truhen und Seidenstoffe und Beutestücken aus überfallenen Karawanen, erhellt durch Tharlarionöllampen, deren goldenes Licht sich in den seidenen Kissen spiegelt. In der Mitte des Wagens befindet sich eine kleine flache kupferne Feuerschale mit einem Grill. Hier wird auch gekocht, obwohl diese Feuerstelle in erster Linie für Wärme sorgen soll. Der Rauch zieht durch ein Loch am höchsten Punkt der Kuppel ab, ein Loch, das geschlossen bleibt, wenn die Wagen in Bewegung sind.

Plötzlich dröhnten Kaiilahufe neben mir, und ich wich zurück.

»Zur Seite, du Dummkopf!« rief eine Mädchenstimme, und zu meiner Verblüffung entdeckte ich im Sattel des nervös tänzelnden Tiers, das mich fast zu Boden geworfen hätte, ein strahlend schönes Geschöpf, das ärgerlich an den Zügeln zerrte.

Sie unterschied sich sehr von den anderen Frauen der Wagenvölker, die ich bisher gesehen hatte — den stämmigen Gestalten mit geflochtenem Haar, die sich über ihre Kessel beugten.

Das Mädchen trug einen kurzen Lederrock, der seitlich geschlitzt war, damit sie im Kaiila-Sattel Platz nehmen konnte; ihre Lederbluse war ärmellos, und um ihre Schultern lag ein rotes Cape. Ihr schwarzes Haar war mit einem roten Tuch zurückgebunden. Ihre Haut war hellbraun, und ihre Augen funkelten schwarz.

»Was für ein Narr ist das?« fragte sie Kamchak.

»Er ist kein Narr«, sagte Kamchak, »sondern Tarl Cabot, ein Krieger, der Gras und Erde mit mir gehalten hat.«

»Er ist ein Fremder«, sagte sie. »Er müßte getötet werden!«

Kamchak grinste sie an, und das Mädchen schnaubte verächtlich, riß ihr Tier herum und galoppierte davon.

»Sie heißt Hereena und gehört dem Ersten Wagen an«, erklärte mir Kamchak.

»Was heißt das?«

»Du weißt wohl nur wenig über die Wagenvölker. Wenn man dem Ersten Wagen angehört, ist man im Haushalt von Kutaituchik.«

Ich wiederholte langsam den Namen. »Und er ist Ubar der Tuchuks?«

»Sein Wagen ist der Erste Wagen«, sagte Kamchak lächelnd, »Und es ist Kutaituchik, der auf dem Thron der grauen Robe sitzt, auf dem Thron der Tuchuks.«

So erfuhr ich den Namen des Mannes, der wohl Ubar aller Tuchuks war.

»Du wirst irgendwann auch einmal zu Kutaituchik gebracht«, sagte Kamchak. »Ich selbst muß oft in den Wagen des Ubar.«

Daraus schloß ich, daß Kamchak bei den Tuchuks großes Ansehen genoß und einige Verantwortung trug.

»Und das Mädchen ist eine Tochter Kutaituchiks?«

»Nein«, sagte Kamchak. »Sie ist nicht mit ihm verwandt.«

»Sie schien so anders als die anderen Tuchukfrauen.«

Kamchak lachte. »Natürlich — sie ist auch dazu aufgezogen worden, als Preis in den Spielen des Liebeskrieges zu dienen.«

»Den — was?« fragte ich.

»Hast du die Ebene der Tausend Pfähle noch nicht gesehen?«

»Nein«, sagte ich.

Ich wollte Kamchak gerade um eine nähere Erklärung bitten, als wir lautes Geschrei und das Quietschen einer Kaiila hörten. Kamchak hob den Kopf und lauschte auf das Rufen der Männer und die Schreie von Frauen und Kindern. Eine Trommel begann zu schlagen, und jemand blies auf einem Boskhorn.

»Man hat einen Gefangenen ins Lager gebracht«, sagte Kamchak.

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