Prolog San Francisco Frühjahr 1995

District Attorney Carl Andrews platzte der Kragen. »Zum Teufel damit!« brüllte er. »Gleich drei Fälle auf einen Haufen! Und nicht nur, daß die drei Hauptpersonen in einer Wohnung leben -nein, sie müssen auch noch an ein und demselben Krankenhaus arbeiten! Wegen der ersten wird fast das Krankenhaus geschlossen, die zweite bringt wegen einer Million Dollar einen Patienten um, und die dritte wird ermordet!«

Andrews schnappte nach Luft. »Und lauter Frauen! Auch das noch! Drei gottverdammte Frauen - und Arztinnen obendrein! Da müssen sie ja Medienlieblinge werden! Werden wie Berühmtheiten behandelt! Tummeln sich andauernd auf dem Bildschirm! Das TV-Magazin 60 Minutes hat ihnen einen ganzen Block gewidmet! Barbara Walters hat über sie eine Sondersendung gemacht! Ich kann keine Zeitung, keine Zeitschrift mehr aufschlagen, ohne daß mir ein Foto von denen ins Gesicht springt und ich wieder was über sie lesen muß! Wetten, daß Hollywood über sie einen Film dreht? Da werden diese drei Biester dann endgültig zu Volksidolen! Sollte mich überhaupt nicht wundern, wenn die Regierung Briefmarken mit ihren Visagen drucken würde - so wie bei Presley. Aber, bei Gott, das lass' ich mir nicht bieten!«

Er schlug mit der Faust auf die Titelseite des Time-Magazins mit dem Frauenfoto und der Schlagzeile: Dr. Paige Taylor - Engel der Barmherzigkeit oder Gehilfin des Teufels?

»Dr. Paige Taylor.« Die Stimme des District Attorney verriet Ekel. Er wandte sich an Gus Venable. Venable war sein bester Mann -der Hauptankläger. »Gus, diesen Prozeß überlasse ich dir. Und daß du es weißt - ich will einen Schuldspruch. Es war vorsätzlicher Mord. Die Todesstrafe!«

»Keine Sorge«, erwiderte Gus Venable ruhig und leise. »Dafür werde ich sorgen.«

Im Gerichtssaal dachte Gus Venable, nachdem er Dr. Paige Taylor gründlich gemustert hatte: Gegen die kommt man bei den Geschworenen nie an. Er mußte grinsen. Einen Angeklagten, gegen den man nicht ankommen kann, gibt es überhaupt nicht. Sie war groß und schlank und hatte braune Augen, die in dem blassen Gesicht einfach umwerfend wirkten. Ein unbeteiligter Beobachter hätte sie als attraktive Frau bezeichnet und es dabei belassen. Einem aufmerksameren Beobachter wäre mehr aufgefallen - daß in dieser Frau nämlich alle Lebensphasen nebeneinander existierten. Da zeigte sich die glückliche Erregung des Kindes, die die scheue Unsicherheit der Heranwachsenden und die Klugheit und den Schmerz der reifen Frau überlagerte. Paige Taylor hatte etwas Unschuldiges an sich. So eine Frau, dachte Gus Venable zynisch, würde ein Mann seiner Mutter mit stolzgeschwellter Brust gern als seine Freundin vorstellen - vorausgesetzt natürlich, er hat eine Mutter mit einer Schwäche für kaltblütige Mörderinnen.

In ihren Augen lag eine schon fast unheimliche Entrücktheit. Der Blick ließ erkennen, daß Dr. Paige Taylor sich ganz in sich selbst zurückgezogen hatte, in eine andere Welt und eine andere Zeit, weitab von diesem kalten, sterilen Gerichtssaal, wo sie nun in der Falle saß.

Der Prozeß fand in San Francisco im altehrwürdigen Gerichtspalast an der Bryant Street statt, einem abweisenden Gebäude, in dem der Superior Court und das Bezirksgefängnis untergebracht waren - sieben Stockwerke hoch, mit Mauern aus grauen Steinquadern. Besucher mußten dort elektronische Sicherheitsschleusen passieren.

Der Superior Court lag im dritten Stock. Mordprozesse fanden im Gerichtssaal 121 statt. Die Richterbank stand an der rückwärtigen Wand, hinter ihr eine Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Jury der Geschworenen saß vom Richter aus gesehen links. In der Mitte des Raums standen, durch einen Gang getrennt, zwei Tische - einer für den Ankläger, der andere für den Anwalt der Verteidigung.

Der Gerichtssaal war gedrängt voll von Reportern und den für Mordprozesse und tödliche Verkehrsunfälle typischen Zuschauern. Was Mordprozesse betraf, so war der anstehende Fall spektakulär genug. Schon der Ankläger Gus Venable war ein Schauspiel für sich - ein stämmiger Mann, riesengroß, mit grauer Mähne, einem Zie-genbärtchen und dem höflichen Gehabe eines Plantagenbesitzers aus den Südstaaten, obwohl er nie im Süden gelebt hatte. Er wirkte immer leicht verwirrt; dabei arbeitete sein Verstand mit der Präzision eines Computers. Sein Markenzeichen, sommers wie winters, war ein weißer Anzug und ein altmodisches Hemd mit steifem Kragen.

Paige Taylors Anwalt Alan Penn war das genaue Gegenteil - untersetzt, energiegeladen, scharf wie ein Hai. Penn hatte sich den Ruf erworben, für seine Klienten am laufenden Band Freisprüche herauszuholen.

Die beiden Männer standen sich nicht zum erstenmal gegenüber; sie zollten sich gegenseitig widerwillig Respekt - und mißtrauten einander zutiefst. Als Alan Penn ihn eine Woche vor Prozeßbeginn aufgesucht hatte, war Venable überrascht gewesen.

»Ich bin gekommen, um Ihnen einen Gefallen zu tun, Gus.«

Nimm dich vor Anwälten in acht, die dir mit Geschenken kommen. »Was haben Sie denn auf dem Herzen, Alan?«

»Also bitte - ich habe es noch nicht mit meiner Klientin besprochen -, aber nehmen wir einmal an - stellen Sie sich nur einmal vor -, ich könnte sie dazu bringen, daß sie sich bei einer geminderten Anklage schuldig bekennt und dem Staat damit die Prozeßkos-ten erspart?«

»Wollen Sie mir einen Deal vorschlagen, damit wir die Sache rasch aus der Welt schaffen?«

»Ja.«

Gus Venable streckte die Hand nach dem Schreibtisch aus. Er suchte etwas. »Ich kann meinen verdammten Kalender nicht finden. Wissen Sie, welches Datum wir heute haben?«

»Den ersten Juni. Wieso?«

»Jetzt hab' ich doch tatsächlich geglaubt, es wäre schon wieder Weihnachten. Sonst wären Sie wohl kaum auf die Idee gekommen, mich um solch ein Geschenk zu bitten.«

»Gus...«

Venable lehnte sich in seinem Stuhl vor. »Wissen Sie, Alan - normalerweise würde ich ja versucht sein, Ihnen entgegenzukommen. Und um die Wahrheit zu sagen - ich wäre gerade jetzt gern zum Angeln in Alaska. Aber die Antwort lautet nein. Sie verteidigen eine kaltblütige Mörderin, die einen hilflosen Patienten umgebracht hat, weil sie sein Geld wollte. Ich fordere die Todesstrafe.«

»Ich halte sie für unschuldig, und ich.«

Venable stieß ein kurzes, schnaubendes Lachen aus. »Nein, tun Sie nicht. Und auch sonst niemand. Es handelt sich hier um einen absolut eindeutigen Fall. Ihre Klientin ist genauso schuldig, wie Kain es war.«

»Nicht, bevor die Geschworenen so entschieden haben, Gus.«

»Werden sie aber.« Er hielt kurz inne. »Werden sie bestimmt.«

Als Alan Penn fort war, blieb Gus Venable noch eine Weile sitzen und dachte über das Gespräch nach. Daß Penn ihn aufgesucht hatte, war ein Zeichen von Schwäche. Offensichtlich wußte Penn, daß er keine Chance hatte, diesen Prozeß zu gewinnen. Gus dachte an die unwiderlegbaren Beweise, die er in der Hand hatte. Er dachte an die Zeugen, die er vor Gericht rufen würde. Er war sich seiner Sache sicher.

Gar keine Frage - Dr. Paige Taylor würde sterben müssen.

Es war nicht leicht gewesen, unvoreingenommene Geschworene für die Jury zu finden, denn der Fall hatte monatelang Schlagzeilen gemacht, und die Kaltblütigkeit des Mordes hatte in der Öffentlichkeit einen wahren Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Vorsitzende Richterin war Vanessa Young, eine schwierige, brillante schwarze Juristin, die als Kandidatin für die nächste Vakanz am Obersten Gerichtshof galt. Sie war nicht gerade bekannt für ihre Langmut Anwälten gegenüber. Unter Prozeßanwälten in San Francisco ging der Spruch um: Wenn dein Klient schuldig ist und du auf Milde hoffst, dann meide Richterin Young.

Am Tag vor Prozeßbeginn hatte Richterin Young beide Anwälte zu sich bestellt.

»Meine Herren - wir wollen uns über ein paar Grundregeln verständigen. Angesichts der besonderen Schwere dieses Falls bin ich durchaus zu gewissen Zugeständnissen bereit, damit die Angeklagte einen fairen Prozeß bekommt. Aber ich warne Sie beide. Versuchen Sie nicht, das auszunutzen. Ist das klar?«

»Jawohl, Euer Ehren.«

»Jawohl, Euer Ehren.«

Gus Venable schloß seine einleitende Erklärung ab. »Und deshalb, meine Damen und Herren Geschworenen, wird der Staat beweisen - jawohl, er wird ohne jeden Zweifel beweisen -, daß Dr. Paige Taylor ihren Patienten John Cronin umgebracht hat. Und nicht nur, daß sie damit einen Mord begangen hat. Sie hat es für Geld getan. für viel Geld. Sie hat John Cronin für eine Million getötet.

Glauben Sie mir: Nachdem Sie alle Beweise gehört haben, werden Sie keine Mühe haben, Dr. Paige Taylor des Mordes für schuldig zu befinden. Ich danke Ihnen.«

Die Geschworenen saßen schweigend da, ungerührt, aber erwartungsvoll.

Gus Venable wandte sich an die Richterin. »Wenn es Euer Ehren genehm ist, möchte ich als ersten Zeugen der Anklage Gary Williams aufrufen.«

Als der Zeuge vereidigt war, fragte Gus Venable: »Sie arbeiten als Pfleger am Embarcadero County Hospital?«

»Ja, das ist richtig.«

»Haben Sie auf Station 3 gearbeitet, als dort im vergangenen Jahr John Cronin eingeliefert wurde?«

»Ja.«

»Können Sie uns den Namen des Arztes nennen, der für diesen Fall verantwortlich war?« »Dr. Taylor.«

»Wie würden Sie die Beziehung zwischen Dr. Taylor und John Cronin beschreiben?«

»Einspruch!« Alan Penn war aufgesprungen. »Er fordert den Zeugen auf, eine Schlußfolgerung zu ziehen!«

»Einspruch stattgegeben.«

»Lassen Sie es mich anders ausdrücken. Haben Sie je Gespräche zwischen Dr. Taylor und John Cronin mitgehört?«

»Aber sicher. Das ließ sich gar nicht vermeiden. Ich habe doch die ganze Zeit über auf dieser Station gearbeitet.«

»Würden Sie diese Gespräche als freundlich beschreiben?«

»Nein, Sir.« »Tatsächlich? Warum sagen Sie das?«

»Nun ja, ich erinnere mich an den Tag, als Mr. Cronin eingeliefert wurde. Und als Dr. Taylor dann ihre Untersuchung begann, da hat er gesagt, sie soll ihre.« Er zögerte. »Ich weiß nicht, ob ich seine Ausdrücke wiederholen sollte.«

»Nur zu, Mr. Williams. Meines Wissens halten sich in diesem Gerichtssaal keine Kinder auf.«

»Nun ja, er hat gesagt, daß sie ihre Scheißhände von ihm wegnehmen soll.«

»Das hat er zu Dr. Taylor gesagt?«

»Ja, Sir.«

»Erzählen Sie dem Gericht bitte, was Sie sonst noch beobachtet oder gehört haben.«

»Nun ja, er hat sie immer nur >dieses Miststück< genannt. Er hat nicht gewollt, daß sie ihm nahe kam. Wenn sie sein Krankenzimmer betrat, hat er immer nur so Sachen gesagt wie: >Schon wieder dieses Miststück!< und >Bestellen Sie diesem Miststück, daß es mich in Ruhe lassen soll!< und >Warum können Sie mir keinen richtigen Doktor schicken?««

Gus Venable machte eine Pause, um seinen Blick in Paige Taylors Richtung wandern zu lassen. Die Augen der Geschworenen folgten ihm. Venable schüttelte den Kopf, wie wenn er tiefbetrübt wäre, und wandte sich dann erneut an den Zeugen. »Hat John Cronin auf Sie den Eindruck eines Menschen gemacht, der Dr. Taylor eine Million Dollar schenken würde?«

Alan Penn war erneut aufgesprungen. »Einspruch! Er will schon wieder eine bloße Meinung hören.«

Die Richterin erklärte: »Abgewiesen. Der Zeuge darf die Frage beantworten.«

Alan Penn sank auf seinem Stuhl zurück und schaute Paige Taylor nur an.

»Mein Gott, nein. Er konnte sie nicht ausstehen.«

Dr. Arthur Kane war im Zeugenstand.

Gus Venable hob an: »Dr. Kane, Sie waren der diensttuende Krankenhausarzt, als entdeckt wurde, daß John Cronin ermordet wor...« Er sah zur Richterin hinüber. ».an dem Insulin starb, das seiner intravenösen Versorgung beigegeben worden war. Ist das richtig?«

»Jawohl.«

»Und Sie haben anschließend festgestellt, daß die Verantwortung bei Dr. Taylor lag.«

»So ist es.«

»Dr. Kane, ich zeige Ihnen jetzt die von Dr. Taylor unterzeichnete amtliche Sterbeurkunde.« Er nahm ein Papier und reichte es Kane. »Würden Sie das bitte vorlesen?«

Kane las: »John Cronin. Todesursache: Atemstillstand, eingetreten als Komplikation eines Myokardinfarktes, eingetreten als Komplikation einer Lungenembolie.«

»In allgemeinverständlichen Worten?«

»Der Bericht besagt, daß der Patient an einem Herzanfall starb.«

»Und der Bericht wurde von Dr. Taylor abgezeichnet?«

»Jawohl.«

»Dr. Kane, ist das die wahre Ursache für John Cronins Tod gewesen?«

»Nein. Der Tod ist durch die Injektion von Insulin verursacht worden.«

»Dr. Taylor hat also eine tödliche Dosis Insulin verabreicht und den Bericht hinterher gefälscht?«

»Jawohl.«

»Und Sie haben den Verwaltungsdirektor des Krankenhauses, Dr. Wallace, in Kenntnis gesetzt, der daraufhin die Behörden informiert hat?«

»Jawohl. Ich habe das als meine Pflicht angesehen.« In seiner Stimme schwang ein Ton gerechter Empörung mit. »Ich bin Arzt. Ich halte nichts davon, einem anderen Menschen das Leben zu

nehmen. Unter keinen Umständen.«

Als nächster Zeuge wurde Cronins Witwe aufgerufen. Hazel Cronin war eine Enddreißigerin mit leuchtendrotem Haar und einer üppigen Figur, die von dem schlichten schwarzen Kleid keineswegs verborgen wurde.

Gus Venable sagte: »Ich bin mir bewußt, wie schmerzvoll das hier für Sie ist, Mrs. Cronin, ich muß Sie aber trotzdem bitten, dem Gericht Ihre Beziehung zu Ihrem verstorbenen Ehemann darzulegen.«

Die Witwe Cronin fuhr sich mit einem großen Spitzentaschentuch über die Augen. »John und ich haben eine liebevolle Ehe geführt. Er war ein wunderbarer Mann. Er hat mir oft gesagt, daß ich ihm das einzig wahre Glück in seinem ganzen Leben geschenkt hätte.«

»Wie lange sind Sie mit John Cronin verheiratet gewesen?«

»Zwei Jahre. John hat immer gesagt, es wären für ihn zwei Jahre wie im Himmel gewesen.«

»Mrs. Cronin, hat Ihr Ehemann mit Ihnen je über Dr. Taylor gesprochen? Hat er Ihnen erzählt, daß er sie für eine großartige Ärztin hielt? Oder wie sehr sie ihm geholfen hat? Oder wie gern er sie hatte?«

»Er hat sie nie erwähnt.«

»Niemals?«

»Niemals.«

»Hat John mit Ihnen je darüber gesprochen, daß er Sie und Ihre Brüder enterben wollte?«

»Aber nein. Er war der großzügigste Mann der Welt. Er hat mir immer nur gesagt, ich könnte von ihm alles haben, und wenn er einmal sterben würde.« Ihr versagte die Stimme. »... und daß ich nach seinem Tod eine wohlhabende Witwe sein würde, und.« Weiter kam sie nicht.

Die Richterin gab bekannt: »Wir werden uns für fünfzehn Minuten zurückziehen.«

Jason Curtis, der im Gerichtssaal ganz hinten saß, war empört. Er konnte nicht glauben, was die Zeugen über Paige aussagten. Sie ist die Frau, die ich liebe, sagte er sich immer und immer wieder, die Frau, die ich heiraten werde!

Jason Curtis hatte Paige gleich nach ihrer Festnahme im Gefängnis besucht.

»Wir werden kämpfen«, versicherte er ihr. »Ich besorge dir den besten Strafverteidiger im ganzen Land.« Ihm fiel auch sofort ein Name ein. Alan Penn.

Jason hatte mit Alan Penn gesprochen.

»Ich habe den Fall in den Medien verfolgt«, sagte Penn. »Die Presse hat sie bereits wegen Mordes an John Cronin verurteilt. Was viel schwerer wiegt - sie gibt zu, ihn getötet zu haben.«

»Ich kenne sie doch«, hatte Jason Curtis ihm daraufhin erklärt. »Und Sie dürfen mir glauben - es ist völlig ausgeschlossen, daß Paige sich bei dem, was sie getan hat, von finanziellen Überlegungen leiten ließ.«

»Sie gibt zu, ihn getötet zu haben«, dachte Penn laut nach. »Da hätten wir es also mit einem Fall von Sterbehilfe zu tun. Töten aus Mitleid und Barmherzigkeit - das ist in Kalifornien, wie in den meisten Staaten, verboten. Trotzdem sind die Meinungen darüber ziemlich geteilt. Für jemanden wie Florence Nightingale, die eine Stimme von oben hört, und diesen ganzen Schmus, ließe sich da eine ziemlich gute Verteidigung aufbauen. Das Problem ist nur, daß Ihre hochverehrte Freundin einen Patienten umgebracht hat, der ihr testamentarisch eine Million Dollar vermachte. Was kam zuerst, Huhn oder Ei? Hat sie von der Million erfahren, bevor sie ihn umbrachte - oder erst nachher?« »Von dem Geld hat Paige nichts gewußt«, sagte Jason mit Bestimmtheit.

Penns Ton blieb weiterhin unverbindlich. »In Ordnung. Die Sache mit der Million war ein glücklicher Zufall. Andererseits fordert der District Attorney einen Schuldspruch auf vorsätzlichen Mord und plädiert für die Todesstrafe.«

»Werden Sie den Fall übernehmen?«

Penn zögerte. Daß Jason Curtis an diese Taylor glaubte, war offenkundig. So wie Samson an Delilah glaubte. Penn musterte Jason und dachte: Ich würde zu gern wissen, ob sie dem armen Hundesohn die Haare abgeschnitten hat, und er hat's nur noch nicht gemerkt.

Jason wartete.

»Ich werde den Fall übernehmen - solange Sie fest davon überzeugt sind, daß alles seine Ordnung hatte. Ich muß Sie allerdings darauf aufmerksam machen, daß es schwer sein wird, den Prozeß zu gewinnen.«

Und selbst das sollte sich als eine äußerst optimistische Einschätzung erweisen.

Als der Prozeß am darauffolgenden Morgen fortgesetzt wurde, rief Gus Venable eine Reihe neuer Zeugen auf.

Eine Krankenschwester sagte unter Eid aus. »Ich habe gehört, wie John Cronin zu ihr sagte: >Ich weiß, daß ich auf dem Operationstisch sterben werde. Sie werden mich umbringen. Hoffentlich sind Sie dann wegen Mord dran.<«

Der Anwalt Rodney Pelham kam in den Zeugenstand. Gus Ve-nable fragte: »Was hat Dr. Taylor gesagt, als Sie ihr die Nachricht von der Million aus John Cronins Nachlaß überbrachten?«

»Sie hat sich etwa so ausgedrückt: >Das kommt mir unethisch vor. Er war doch mein Patient.<«

»Sie hat zugegeben, daß es unethisch war?« »Ja.«

»Sie hat aber eingewilligt, das Geld anzunehmen?« »O ja. Keine Frage.«

Alan Penn nahm den Zeugen ins Kreuzverhör. »Hatte Dr. Taylor mit Ihrem Besuch gerechnet, Mr. Pelham?« »Also, nein, ich.«

»Es war nicht etwa so, daß Sie Dr. Taylor anriefen und ihr telefonisch mitteilten: John Cronin hat Ihnen eine Million Dollar hinterlassen?«« »Nein, ich.«

»Sie haben ihr also von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden, als Sie es ihr mitteilten?« »Ja.«

»So, daß Sie ihre Reaktion auf die Nachricht beobachten konnten?« »Ja.«

»Und wie hat sie darauf reagiert?«

»Nun ja - sie - sie wirkte sehr überrascht, aber.«

»Vielen Dank, Mr. Pelham. Das ist alles.«

Der Prozeß lief bereits in der zweiten Woche. Gus Venable schürzte den Knoten. »Wenn es dem Gericht beliebt, möchte ich gern Alma Rogers in den Zeugenstand rufen.«

Nach der Vereidigung der Zeugin begann Venable mit der Frage: »Mrs. Rogers, was sind Sie von Beruf?« »Miss Rogers.«

»Ich bitte tausendmal um Vergebung.«

»Ich arbeite in der Corniche Travel Agency.«

»Ihr Reisebüro verkauft Reisen in alle Welt, macht Hotelbuchun-gen und bearbeitet sonstige Kundenwünsche?«

»Ja, Sir.«

»Ich möchte Sie bitten, sich die Angeklagte genau anzusehen. Sind Sie ihr vielleicht schon begegnet?«

»O ja. Vor zwei oder drei Jahren, da hat sie unser Reisebüro einmal besucht.«

»Und zu welchem Zweck?«

»Sie wäre an einer Reise nach London und Paris interessiert, hat sie gesagt. Und ich glaube, auch nach Venedig.«

»Sie hat sich nach Gruppenreisen erkundigt?«

»O nein. Sie wollte alles nur erster Klasse, hat sie gesagt - den Flug, das Hotel, alles. Und für eine Jacht hat sie sich auch interessiert. Ich glaube, sie wollte eine Jacht chartern.«

Im Gerichtssaal war es auf einmal totenstill. Gus Venable ging zum Tisch der Verteidigung hinüber. Er hielt einige Mappen hoch. »Diese Prospekte hier sind von der Polizei in Dr. Taylors Schließfach im Krankenhaus gefunden worden. Es sind Reiseprospekte für Paris, London und Venedig. Prospekte mit teuren Hotels und Flugplänen. Und ein Prospekt listet Privatjachten auf - mitsamt den Charterpreisen.«

Im Gerichtssaal kam Gemurmel auf.

Der Ankläger hatte einen Prospekt aufgeschlagen.

»Hier, die Preise für einige Jachten, die gechartert werden können.« Er las mit lauter Stimme vor. »Die Christina O... 26.000 Dollar pro Woche, zuzüglich Betriebskosten ... die Resolute Time 24.500 Dollar pro Woche. die Lucky Dream - 27.300 Dollar pro Woche.« Venable hob den Blick. »In diesem Prospekt ist die Lucky Dream angekreuzt. Paige Taylor hatte sich also bereits die 27.300-Dollar-Jacht ausgesucht. Nur ihr Opfer - das hatte sie noch nicht ausgewählt.«

Alan Penn drehte sich um zu Paige. Sie war bleich geworden und starrte nach unten.

»Wir möchten diese Unterlagen gern als Beweisstück A kenn-zeichnen.« Venable wandte sich lächelnd an Alan Penn. »Die Zeugin gehört Ihnen.«

Penn erhob sich betont langsam. Er mußte Zeit gewinnen. Er überlegte blitzschnell.

»Wie geht's der Tourismusbranche zur Zeit, Miss Rogers?«

»Wie bitte?«

»Ich habe gefragt, wie die Geschäfte so gehen. Das Corniche ist ein großes Reisebüro?«

»Ziemlich groß. Doch.«

»Ich denke mir, daß da dauernd eine Menge Leute kommen und sich nach Reiseangeboten erkundigen.«

»O ja.«

»Fünf oder sechs Leute am Tag - was meinen Sie?«

»Aber nein!« Miss Rogers war ehrlich entrüstet. »Wir sprechen pro Tag sicherlich mit fünfzig Kunden über Reiseveranstaltungen.«

»Mit fünfzig Menschen täglich?« Penn wirkte beeindruckt. »Und der Tag, um den es hier geht, liegt nun zwei bis drei Jahre zurück. Wenn man diese rund neunhundert Tage also mit fünfzig multipliziert - das ergäbe ja rund fünfundvierzigtausend Kunden.«

»Wird schon stimmen.«

»Und bei so vielen Menschen können Sie sich an Dr. Taylor erinnern - wieso eigentlich?«

»Also, das ist ganz einfach. Sie und ihre beiden Freundinnen sind wegen dieser Europareise ja so aufgeregt gewesen. Ich fand das wunderbar. Wie Schulmädchen sind sie gewesen. O ja. Da kann ich mich ganz genau erinnern. Besonders, weil sie nämlich gar nicht so aussahen, als ob sie sich eine Jacht leisten könnten.«

»Verstehe. Ich nehme an, daß die Leute, die bei Ihnen hereinkommen und sich einen Prospekt holen, dann auch auf Reisen gehen?«

»Also, natürlich nicht. Aber.«

»Dr. Taylor hat dann aber keine Reise gebucht, oder doch?«

»Also, nein. Jedenfalls nicht bei uns. Sie.« »Auch nirgends sonst. Sie hat sich nur ein paar Prospekte anschauen wollen.« »Ja. Sie.«

»Das ist aber doch wohl nicht dasselbe wie eine Reise nach Paris oder London, oder?« »Nun ja, nein, aber.« »Vielen Dank. Sie dürfen jetzt gehen.«

Venable wandte sich an die Richterin. »Ich möchte gern Dr. Benjamin Wallace in den Zeugenstand rufen.«

»Dr. Wallace, Sie sind für die Verwaltung des Embarcadero County Hospital zuständig?« »Ja.«

»Sie sind daher auch mit Dr. Taylor und ihrer Arbeit vertraut?« »Ja, das bin ich.«

»Hat Sie die Mordanklage gegen Dr. Taylor überrascht?« Penn war aufgesprungen. »Einspruch, Euer Ehren. Eine Beantwortung dieser Frage durch Dr. Wallace tut nichts zur Sache.«

»Wenn ich erläutern dürfte«, unterbrach Venable. »Die Antwort könnte sehr wohl zur Sache beitragen. Wenn Sie mir nur erlauben würden.«

»Also gut, wir wollen sehen, wohin die Frage führt«, entschied die Richterin. »Aber bitte keinen Unfug, Mr. Venable!«

»Lassen Sie mich den Punkt aus einer anderen Richtung angehen«, fuhr Venable fort. »Dr. Wallace - es wird doch von jedem Arzt verlangt, daß er den Hippokratischen Eid ablegt. Ist das richtig?« »Ja.«

»Und mit diesem Eid verspricht ein Arzt, daß er sich« - der An-kläger las von einem Blatt ab, das er jetzt in der Hand hielt - »»jedes willkürlichen Unrechtes und jeder anderen Schädigung< dem Patienten gegenüber enthalten will?«

»Ja.«

»Hat es bei Dr. Taylor in der Vergangenheit irgendein Ereignis gegeben, das Sie zu der Annahme veranlaßt hat, sie wäre imstande, ihren Hippokratischen Eid zu brechen?«

»Einspruch.«

»Einspruch abgelehnt.«

»Ja, ein solches Ereignis hat es gegeben.«

»Bitte erläutern Sie uns, worum es dabei ging.«

»Wir hatten da einen Patienten, bei dem laut Dr. Taylors Entscheidung eine Bluttransfusion notwendig war. Seine Familie hat die Zustimmung verweigert.«

»Und was geschah dann?«

»Dr. Taylor hat die Bluttransfusion trotzdem durchgeführt.«

»Und das ist legal?«

»Überhaupt nicht. Nicht ohne eine gerichtliche Verfügung.«

»Und was hat Dr. Taylor anschließend gemacht?«

»Sie hat sich die gerichtliche Verfügung im nachhinein beschafft und das Datum dann abgeändert.«

»Sie hat also eine ungesetzliche Handlung begangen und dann die Krankenhausunterlagen gefälscht, um die Sache zu vertuschen?«

»Das ist richtig.«

Alan warf Paige einen wütenden Blick zu. Was zum Teufel hat sie mir wohl noch alles vorenthalten? fragte er sich.

Falls die Zuschauer in Paige Taylors Gesicht irgendwelche verräterischen Anzeichen von Emotion zu erkennen hofften, so wurden sie enttäuscht.

Eiskalt, dachte der Vorsitzende der Jury.

Gus Venable sprach die Richterin an. »Euer Ehren, einer der Zeugen, die ich aufrufen wollte, ist, wie Ihnen bekannt ist, ein gewisser Dr. Lawrence Barker. Bedauerlicherweise leidet er noch immer an den Folgen eines Schlaganfalls und ist daher außerstande, hier im Gerichtssaal auszusagen. An seiner Stelle werde ich nun einige Angehörige des Krankenhauspersonals befragen, die mit Dr. Barker zusammengearbeitet haben.«

Penn sprang vom Stuhl hoch. »Ich erhebe Einspruch. Ich finde nicht, daß dies für unseren Fall relevant ist. Dr. Barker ist nicht anwesend, gewiß, aber Dr. Barker steht schließlich nicht vor Gericht. Falls ...«

Er wurde von Venable unterbrochen. »Euer Ehren«, sagte Venable, »ich versichere Ihnen, daß diese Befragung im Zusammenhang mit der Zeugenaussage, die wir soeben vernommen haben, von großer Bedeutung ist. Sie betrifft nämlich ebenfalls die ärztliche Kompetenz der Angeklagten.«

Die Richterin meinte zweifelnd: »Das wird sich herausstellen. Wir befinden uns hier in einem Gerichtssaal und nicht etwa an einem Fluß. Ich erlaube Ihnen nicht, im trüben zu fischen. Rufen Sie Ihren Zeugen auf.«

»Ich danke Ihnen.«

Gus Venable wandte sich an den Gerichtsbeamten. »Ich möchte Dr. Matthew Peterson rufen lassen.«

Ein elegant aussehender Mann in den Sechzigern näherte sich dem Zeugenstand. Er wurde vereidigt, und als er sich gesetzt hatte, stellte ihm Gus Venable die Frage: »Dr. Peterson, wie lange arbeiten Sie schon am Embarcadero County Hospital?«

»Acht Jahre.«

»Und was ist Ihr Fachgebiet?«

»Ich bin Herzchirurg.«

»Sie hatten während Ihrer Zeit am Embarcadero County Hospital schon einmal Gelegenheit, mit Dr. Lawrence Barker zusammenzu-arbeiten?«

»Gewiß. Viele Male.«

»Und was halten Sie von ihm?«

»Genau das gleiche wie alle. Dr. Barker ist - ausgenommen vielleicht DeBakey und Cooley - der beste Herzchirurg der Welt.«

»Waren Sie an jenem Morgen im Operationssaal, als Dr. Taylor. An dem Tag operierte sie einen Patienten namens.« Venable tat so, als müsse er einen Zettel zu Hilfe nehmen. ». Lance Kelley?«

Die Stimme des Zeugen klang auf einmal ganz anders. »Ja. Ich war anwesend.«

»Würden Sie uns bitte die Ereignisse dieses Morgens schildern?«

Dr. Peterson antwortete zögernd. »Also, da begann plötzlich etwas schiefzulaufen. Es war so, daß wir den Patienten zu verlieren begannen.«

»Was soll das heißen - diese Formulierung >den Patienten verlie-ren<.«

»Sein Herz ist stehengeblieben. Wir haben versucht, ihn wieder zurückzuholen, und.«

»Ist nach Dr. Barker geschickt worden?«

»Ja.«

»Und ist Dr. Barker noch während der Operation im OP-Saal eingetroffen?«

»Ja, gegen Ende der Operation. Es war jedoch bereits zu spät, da war nichts mehr zu machen. Wir haben den Patienten nicht mehr wiederbeleben können.«

»Und hat sich Dr. Barker bei der Gelegenheit gegenüber Dr. Taylor in irgendeiner Weise geäußert?«

»Bitte, in dem Augenblick sind wir alle ziemlich verstört gewesen und.«

»Ich habe Sie gefragt, ob sich Dr. Barker gegenüber Dr. Taylor geäußert hat.«

»Ja.« »Und was hat Dr. Barker, bitte, zu Dr. Taylor gesagt?«

Es wurde still. In die Stille hinein drang von draußen, wie die Stimme Gottes, ein Donnerschlag. Im nächsten Moment brach der Sturm los. Der Regen prasselte auf das Dach des Gerichtsgebäudes herab.

»Dr. Barker hat gesagt: Sie haben ihn getötet.««

Aufruhr unter den Zuschauern.

Die Richterin ließ ihren Hammer auf den Tisch niedersausen. »Genug! Lebt ihr Leute vielleicht in Höhlen? Noch ein derartiger Ausbruch, und Sie stehen draußen im Regen!«

Gus Venable wartete, bis der Lärm abebbte. In die Stille hinein sagte er: »Sind Sie sich absolut sicher, daß Dr. Barker diese Worte zu Dr. Taylor gesagt hat - Sie haben ihn getötet

»Jawohl.«

»Und Sie haben ausgesagt, daß Dr. Barkers Urteil in medizinischen Dingen hoch geschätzt wird?«

»O ja.«

»Ich danke Ihnen. Das ist alles, Doktor.« Er wandte sich an Alan Penn. »Der Zeuge gehört Ihnen.«

Penn erhob sich und trat auf den Zeugenstand zu.

»Dr. Peterson, ich war nie bei einer Operation dabei, nehme aber an, daß da eine enorme Anspannung herrscht, vor allem, wenn es sich um eine solch ernste Angelegenheit wie eine Herzoperation handelt?«

»Da gibt es immer ein beträchtliches Maß an Spannung.«

»Wie viele Menschen werden sich da im OP-Raum befinden? Drei? Oder vier?«

»Aber nein. Ein halbes Dutzend oder mehr. Immer.«

»Wirklich?«

»Jawohl. Gewöhnlich sind zwei Chirurgen am Werk, von denen einer assistiert, dazu oftmals zwei Anästhesisten und mindestens zwei OP-Schwestern.« »Verstehe. Da wird es wohl auch eine Menge Lärm und Aufregung geben, Anweisungen und ähnliches mehr.«

»Ja.«

»Und wenn ich richtig informiert bin, ist es auch üblich, daß während einer Operation Musik läuft?«

»So ist es.«

»Und als dann Dr. Barker in den OP-Raum kam und feststellen mußte, daß Lance Kelly im Sterben lag, ist die ganze Verwirrung wahrscheinlich nur noch größer geworden.«

»Also, in dem Moment waren alle von uns mehr als beschäftigt damit, dem Patienten das Leben zu retten.«

»Und haben dadurch eine Menge Krach verursacht?«

»Es war sehr laut. Ja.«

»Und trotz der ganzen Verwirrung und dem Krach und der Musik haben Sie hören können, wie Dr. Barker zu Dr. Taylor sagte, daß sie den Patienten getötet habe. In der ganzen Aufregung hätten Sie sich doch durchaus auch irren können, nicht wahr?«

»Nein, Sir. Ich konnte mich nicht irren.«

»Was macht Sie da so sicher?«

Dr. Peterson seufzte. »Weil ich direkt neben Dr. Barker gestanden habe, als er das sagte.«

Es gab einfach keinen eleganten Ausweg.

»Keine weiteren Fragen.«

Der Fall ging in die Brüche, und er wußte nicht, was er dagegen tun könnte.

Es sollte noch schlimmer kommen.

Denise Berry trat in den Zeugenstand.

»Sie arbeiten als Krankenschwester am Embarcadero County Hospital?«

»Ja.« »Wie lange arbeiten Sie dort schon?«

»Fünf Jahre.«

»Ist es in dieser Zeit zwischen Dr. Taylor und Dr. Barker zu Diskussionen gekommen, die Sie mitgehört haben?«

»Gewiß. Viele Male.«

»Können Sie uns etwas davon wiederholen?«

Schwester Berry warf Paige Taylor einen Blick zu und zögerte. »Nun ja - Dr. Barker konnte manchmal sehr scharf werden .«

»Danach habe ich Sie nicht gefragt, Schwester Berry. Ich habe Sie gebeten, einige der Bemerkungen zu wiederholen, die Dr. Barker in Ihrem Beisein gegenüber Dr. Taylor gemacht hat.«

Schwester Berry blieb lange still. »Nun ja - er sagte, sie sei inkompetent, und .«

Gus Venable tat überrascht. »Sie haben gehört, wie Dr. Barker gesagt hat, daß Dr. Taylor inkompetent sei?«

»Ja, Sir. Aber er ist doch immer.«

»Haben Sie von ihm noch andere Bemerkungen über Dr. Taylor gehört?«

Der Zeugin widerstrebte es sichtlich auszusagen. »Ich kann mich nicht erinnern.«

»Miss Berry, Sie stehen unter Eid.«

»Er hat gesagt. daß er sie nicht einmal seinen Hund operieren lassen würde.«

Die Zuschauer hielten den Atem an.

»Er hat damit bestimmt nur gemeint, daß.«

»Ich denke, wir dürfen davon ausgehen, daß Dr. Barker genau das gemeint hat, was er sagte.«

Alle Augen richteten sich auf Paige Taylor.

Publikum und Presse hatten den Ankläger und den Verteidiger völlig fasziniert beobachtet. Gus Venable war ganz in Weiß, Alan Penn in Schwarz gekleidet, und die beiden hatten sich im Gerichtssaal aufgeführt, als ob sie sich in einem hochdramatischen Schachspiel auf Leben und Tod gegenüberstünden, und Paige Taylor war die Figur, die geopfert werden würde.

Die Argumente der Anklage schienen geradezu überwältigend. Doch Alan Penn hatte den Ruf, im Gerichtssaal wahre Zauberkunststücke zu vollbringen. Und nun war es an ihm, Argumente zugunsten der Angeklagten vorzubringen. Ob er auch diesmal wieder ein Kaninchen aus dem Hut zaubern würde?

Paige Taylor wurde im Zeugenstand von Alan Penn befragt. Das war der Augenblick, auf den alle mit Spannung gewartet hatten.

»John Cronin ist Ihr Patient gewesen, Dr. Taylor?«

»Ja, das war er.«

»Und was haben Sie für ihn empfunden?«

»Ich mochte ihn gern. Er hat genau gewußt, wie krank er war, und hat es sehr tapfer getragen. Er mußte wegen eines Tumors im Herzen operiert werden.«

»Diese Herzoperation haben Sie ausgeführt?«

»Ja.«

»Und was haben Sie im Lauf der Operation entdeckt?«

»Als wir seinen Brustkorb öffneten, haben wir entdeckt, daß er Melanome hatte, die bereits Metastasen gebildet hatten.«

»Mit anderen Worten: Der Krebs hatte sich in seinem gesamten Körper ausgebreitet.«

»Ja. Der Krebs hatte in allen Lymphknoten metastasiert.«

»Was soviel bedeutet wie - daß für ihn keinerlei Hoffnung mehr bestand? Daß ihm auch noch so heroische Anstrengungen die Gesundheit nicht mehr zurückgeben könnten?«

»Aussichtslos.«

»John Cronin war an lebenserhaltende Apparate angeschlossen?«

»Korrekt.«

»Dr. Taylor, haben Sie absichtlich eine tödliche Dosis Insulin ver-abreicht? Um John Cronins Leben ein Ende zu machen?«

»Ja, das habe ich.«

Die ist wirklich cool, dachte Gus Venable. Sie tut gerade so, als ob sie ihm nur eine Tasse Tee serviert hätte.

»Würden Sie den Geschworenen mitteilen, aus welchem Grund Sie John Cronins Leben ein Ende gesetzt haben?«

»Weil er mich darum gebeten hat. Er hat mich angefleht, es zu tun. Es war mitten in der Nacht, als er mich zu sich rufen ließ. Er litt furchtbare Schmerzen. Die Medikamente, die wir ihm gaben, haben nicht mehr gewirkt.« Paige Taylor sprach mit klarer, fester Stimme. »Er hat mir erklärt, daß er nicht länger leiden wollte - es sei doch ohnehin nur noch eine Frage von wenigen Tagen bis zu seinem Tod, und er hat mich angefleht, ihn zu erlösen. Ich habe es getan.«

»Doktor, hatten Sie irgendwelche Bedenken, ihn in den Tod gehen zu lassen? Irgendwelche Schuldgefühle?«

Dr. Paige Taylor schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn Sie das miterlebt hätten. Es bestand einfach kein Grund, ihn noch länger leiden zu lassen.«

»Wie haben Sie das Insulin verabreicht?«

»Ich habe es in seine intravenöse Versorgung eingespeist.«

»Und hat ihm das zusätzliche Schmerzen bereitet?«

»Nein. Er ist einfach in den Schlaf entschwebt.«

Gus Venable war aufgesprungen. »Einspruch! Ich denke, die Angeklagte meinte, daß er in seinen Tod entschwebt ist. Ich.«

Richterin Young ließ ihren Hammer niedersausen. »Mr. Venable, Sie sind jetzt nicht an der Reihe. Sie werden Gelegenheit haben, die Zeugin ins Kreuzverhör zu nehmen. Setzen Sie sich!«

Der Ankläger schaute zu den Geschworenen hinüber, schüttelte den Kopf und nahm wieder Platz.

»Dr. Taylor, als Sie John Cronin das Insulin verabreichten - war Ihnen da bekannt, daß er Ihnen eine Million Dollar vermacht hat-te?«

»Nein. Ich war sprachlos, als ich davon erfuhr.«

Sie sollte wirklich einen besseren Riecher haben, dachte Gus Venable.

»Haben Sie mit John Cronin jemals über Geld oder über Geschenke gesprochen oder ihn um irgend etwas gebeten?«

Ein schwaches Rot überzog ihre Wangen. »Niemals!«

»Aber Sie standen mit ihm auf freundschaftlichem Fuß?«

»Ja. Wenn ein Patient so schwer krank ist, dann ändert sich die Beziehung zwischen Arzt und Patient. Wir haben über seine geschäftlichen Probleme und über seine familiären Schwierigkeiten gesprochen.«

»Aber Sie hatten keinerlei Grund, sich von ihm irgend etwas zu erwarten?«

»Nein.«

»Er hat Ihnen das Geld nur deshalb hinterlassen, weil er Sie achten und Ihnen vertrauen gelernt hatte. Ich danke Ihnen, Dr. Taylor.«

Während Penn an seinen Verteidigertisch zurückkehrte, warf Paige Taylor einen raschen Blick zum hinteren Ende des Gerichtssaals. Sie sah Jason, der sich alle Mühe gab, ermutigend zu wirken. Neben ihm saß Honey. Und neben Honey, auf dem Stuhl, wo eigentlich Kat hätte sitzen sollen, saß ein Fremder. Wenn Kat doch noch am Leben wäre! Aber Kat ist tot, dachte Paige. Ich habe auch sie umgebracht.

Gus Venable erhob sich und ging bedächtigen Schrittes zum Zeugenstand. Er blickte hinüber zu den Pressereihen. Jeder Platz war besetzt. Alle Reporter machten sich wie wild Notizen. Wartet nur! Ich werde schon dafür sorgen, daß ihr was zu schreiben kriegt, dachte Ve-nable.

Er blieb vor der Angeklagten stehen, um sie gründlich zu mustern. Dann bemerkte er wie nebenbei: »Dr. Taylor. War John Cro-nin der erste Patient, den Sie im Embarcadero County Hospital ermordet haben?«

Alan Penn sprang auf. Er war vor Entrüstung außer sich. »Euer Ehren! Ich.«

Richterin Young hatte ihren Hammer bereits niedersausen lassen. »Einspruch stattgegeben!« Sie wandte sich an die beiden Anwälte. »Fünfzehnminütige Pause. Ich möchte die Vertreter der Anklage und der Verteidigung in meinen Amtsräumen sprechen.«

Als die beiden Anwälte dort eintrafen, wandte die Richterin sich sofort an Gus Venable. »Sie haben doch an einer juristischen Fakultät studiert, nicht wahr, Gus?« »Es tut mir leid, Euer Ehren. Ich.« »Hatten Sie dort etwa auch ein Zelt?« »Wie bitte?«

Ihre Stimme traf ihn wie eine Peitsche. »Mein Gerichtssaal ist kein Zirkuszelt, und ich habe nicht vor, Ihnen zu erlauben, einen Zirkus zu veranstalten. Wie können Sie sich unterstehen, eine so suggestive Frage zu stellen!«

»Ich bitte um Entschuldigung, Euer Ehren. Ich werde die Frage anders formulieren und.«

»Sie werden noch viel mehr tun!« fuhr ihn die Richterin an. »Ihre Einstellung werden Sie neu formulieren. Ich warne Sie. Wenn Sie noch einmal so eine Schau abziehen, werde ich den Prozeß wegen Verfahrensmängel für ungültig erklären.« »Jawohl, Euer Ehren.«

Nach der Rückkehr in den Gerichtssaal gab die Richterin den Geschworenen die Anweisung: »Die letzte Frage werden Sie nicht berücksichtigen.« Sie wandte sich an den Ankläger: »Sie können fortfahren.«

Gus Venable pflanzte sich wieder vor dem Zeugenstand auf. »Dr.

Taylor, Sie müssen doch sehr überrascht gewesen sein, als Sie benachrichtigt wurden, daß der Mann, den Sie ermordet hatten, Ihnen eine Million Dollar vermachte.«

Schon war Alan Penn auf den Beinen. »Einspruch!«

»Stattgegeben.« Die Richterin sprach Venable an. »Sie strapazieren meine Geduld.«

»Ich entschuldige mich, Euer Ehren.« Er wandte sich von neuem der Zeugin zu. »Sie müssen ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu Ihrem Patienten gehabt haben. Ich meine, es geschieht doch nicht alle Tage, daß uns ein beinahe völlig fremder Mensch eine Million Dollar hinterläßt, nicht wahr?«

Paige Taylor errötete leicht. »Unsere Freundschaft hielt sich im Rahmen einer Arzt-Patienten-Beziehung.«

»War sie nicht doch ein wenig mehr? Ein Mann schließt doch nicht - ganz ohne irgendwie beeinflußt zu werden - seine geliebte Frau und seine Familie aus dem Testament aus, um einer Fremden eine Million Dollar zu vermachen. Die Gespräche, die Sie angeblich mit ihm über seine geschäftlichen Probleme führten.«

Die Richterin beugte sich vor und rief warnend: »Mr. Venable .« Der Ankläger hob die Hände zum Zeichen seiner Kapitulation und drehte sich wieder zur Angeklagten um. »Es ist also so, daß Sie und John Cronin freundschaftlich miteinander plauderten. Er hat Ihnen persönliche Dinge anvertraut, er mochte Sie, er schätzte Sie. Würden Sie das als eine faire Zusammenfassung betrachten, Frau Doktor?«

»Ja.«

»Und dafür hat er Ihnen eine Million Dollar vermacht?«

Paige ließ ihren Blick zu den Zuschauern wandern. Sie schwieg. Sie wußte einfach nicht, was sie darauf hätte antworten sollen.

Venable kehrte langsam zu seinem Tisch zurück - bis er sich plötzlich umdrehte und die Angeklagte fixierte.

»Dr. Taylor, Sie haben vorhin ausgesagt, Sie hätten gar nicht ge-ahnt, daß John Cronin Ihnen Geld hinterlassen würde oder daß er seine Familie aus seinem Testament ausschließen würde.«

»Das ist richtig.«

»Wieviel verdient man als Assistenzärztin am Embarcadero Coun-ty Hospital?«

Alan Penn war aufgesprungen. »Einspruch! Ich sehe nicht.«

»Das ist eine ordentliche Frage. Die Angeklagte darf sie beantworten.«

»Achtunddreißigtausend Dollar im Jahr.«

Venable erklärte mitfühlend: »Das ist heutzutage nicht eben viel, oder? Und bei der Summe sind die Abzüge und Steuern und der Lebensunterhalt noch nicht berücksichtigt. Für eine Luxusreise nach, sagen wir mal, London oder Paris oder Venedig würde da kaum etwas übrigbleiben, nicht wahr?«

»Ich denke nicht.«

»Nein. Da haben Sie also eine derartige Reise nicht geplant - weil Sie sie sich gar nicht leisten konnten.«

»Das ist richtig.«

Alan Penn war wieder aufgesprungen. »Euer Ehren .«

Richterin Young sprach den Ankläger an. »Worauf wollen Sie hinaus, Mr. Venable?«

»Ich möchte nur feststellen, daß die Angeklagte keine Luxusreise irgendwohin geplant hat.«

»Das hat sie doch bereits gesagt.«

Eines war Alan Penn klar: Er mußte jetzt unbedingt etwas unternehmen. Es entsprach keineswegs seinen Gefühlen, als er sich dem Zeugenstand mit der strahlenden Laune eines Menschen näherte, der soeben im Lotto gewonnen hat.

»Dr. Taylor, erinnern Sie sich daran, daß Sie die Prospekte aus dem Reisebüro mitgenommen haben?«

»Ja.«

»Planten Sie eine Europareise? Oder hatten Sie vor, eine Jacht zu chartern?«

»Natürlich nicht. Das Ganze war nur so etwas wie ein Spaß - ein Traum, bei dem man weiß, daß er ganz unmöglich ist. Meine Freundinnen und ich hatten nur daran gedacht, uns aufzumuntern. Wir waren gerade sehr erschöpft, und. wir haben das damals für eine gute Idee gehalten ...« Ihre Stimme wurde unhörbar.

Alan Penn blickte verstohlen zu den Geschworenen hinüber. Auf ihren Gesichtern lag ein Ausdruck vollkommenen Unglaubens.

Gus Venable verhörte die Angeklagte im Zuge erneuter Vernehmungen. »Dr. Taylor, sind Sie mit Dr. Lawrence Barker bekannt?«

Ihr schoß plötzlich eine Erinnerung durch den Kopf. Diesen Lawrence Barker bring' ich um. Ganz, ganz langsam. Ich werde ihn leiden lassen... und dann bring' ich ihn um. »Ja. Ich kenne Dr. Barker.«

»In welchem Zusammenhang?«

»Dr. Barker und ich haben in den letzten zwei Jahren häufig zusammengearbeitet.«

»Würden Sie ihn als kompetenten Arzt bezeichnen?«

Alan Penn sprang auf. »Ich erhebe Einspruch, Euer Ehren. Die Angeklagte.«

Doch bevor er den Satz beenden oder die Richterin über den Einspruch entscheiden konnte, hatte Paige schon ihre Antwort gegeben: »Er ist mehr als kompetent. Er ist brillant.«

Penn war wie vom Blitz erschlagen. Er brachte kein Wort mehr heraus. Er sank zurück auf seinen Stuhl.

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, das näher zu erläutern?«

»Dr. Barker zählt zu den berühmtesten Herzchirurgen der Welt. Und er schenkt dem Embarcadero County Hospital drei Tage seiner Arbeitswoche, obwohl er eine große Privatpraxis hat.« »Das heißt, Sie halten sehr viel von seinem fachlichen Urteil?«

»Ja.«

»Und glauben Sie, daß er imstande ist, die Fachkompetenz eines anderen Arztes zu beurteilen?«

Penn versuchte mit aller Kraft, Paige die Antwort zu suggerieren: Das weiß ich nicht.

Sie zögerte. »Ja.«

Gus Venable wandte sich an die Geschworenen. »Sie haben die Angeklagte aussagen hören, daß sie vom Urteilsvermögen Dr. Barkers in medizinischen Angelegenheiten eine hohe Meinung hat. Ich hoffe, sie hat vorhin mitbekommen, wie Dr. Barker über ihre eigene Kompetenz urteilt. beziehungsweise über ihren Mangel an Kompetenz.«

Alan Penn war aufgesprungen. Wutentbrannt. »Einspruch!«

»Stattgegeben.«

Aber es war schon zu spät. Der Schaden war angerichtet.

In der nächsten Prozeßpause zog Alan Penn Jason auf die Herrentoilette.

»In was haben Sie mich da bloß hineingezogen?« schimpfte er. »John Cronin hat sie gehaßt! Barker hat sie gehaßt! Ich muß darauf bestehen, daß meine Klienten mir die Wahrheit sagen - die ganze Wahrheit! Nur so kann ich ihnen helfen. Also, ihr kann ich nicht helfen. Ihre verehrte Freundin hat mich so tief in den Schnee gelockt, daß ich mir Skier bestellen müßte. Sie braucht nur den Mund aufzumachen - und schon hämmert sie sich noch einen Nagel in den Sarg. Der ganze verdammte Fall stürzt ins Bodenlose!«

Am Nachmittag ging Jason Curtis Paige im Gefängnis besuchen.

»Sie bekommen Besuch, Dr. Taylor.«

Jason trat in die Zelle ein.

»Paige.«

Sie drehte sich zu ihm um. Sie hatte Mühe, die Tränen zurückzudrängen. »Es sieht ziemlich böse aus, nicht wahr?«

Jason rang sich ein Lächeln ab. »Du hast doch gehört, was der Mann gesagt hat - noch ist nicht aller Tage Abend.«

»Jason - du glaubst doch nicht, daß ich John Cronin wegen seines Geldes umgebracht habe? Was ich getan habe - das war doch nur, um ihm zu helfen!«

»Ich glaube dir«, sagte Jason leise. »Ich liebe dich.«

Er nahm sie in die Arme. Ich will sie nicht verlieren, dachte er. Ich darf sie nicht verlieren. Sie ist das Beste in meinem ganzen Leben. »Es wird alles wieder gut. Bestimmt. Ich habe doch versprochen, daß wir immer zusammenhalten.«

Paige schmiegte sich an ihn. Es gibt nichts, das immer hält, dachte sie. Gar nichts. Aber wie hat alles nur so falsch laufen können ... so falsch . so total falsch .

Загрузка...