III. Teil

23. Letztes Angebot

Er befand sich in fast vollkommener Dunkelheit in einer großen hallenden Glasflasche. Durch die durchsichtigen Wände konnte er halb ausgeschlachtete Raumschiffe im Zwielicht erkennen. Die Sonde hing wieder an ihren Klammern an der Rückwand des Laderaums, zwei Meter fünfzig über dem graugestrichenen Boden. Und Louis hing in der Sonde wie ein Ei in einem Eierbecher, in der Vertiefung, wo vorher der Deuterium-Filter befestigt gewesen war.

Louis schwang die Beine aus der Sonde, hielt sich mit beiden Händen fest und ließ sich fallen. Er war hundemüde. Nur noch eine letzte Komplikation, und dann konnte er sich ausruhen. Auf der anderen Seite der undurchdringlichen Wand konnte er die Schlafplatten erkennen.

»Gut.« Die Stimme des Hintersten kam von der Decke herunter. »Ist das der Leseschirm? Ich hätte nicht so etwas Sperriges erwartet. Mußtest du die Maschine in zwei Teile schneiden?«

»Ja.« Er hatte auch die Teile der Maschine hinunter auf den Boden geworfen. Zum Glück konnten Puppetiers ausgezeichnet mit Werkzeugen umgehen. »Ich hoffe, du hast auch noch eine Transportscheibe hier im Laderaum.«

»Richtig. Für Notfälle. Schau nach vorne links. Louis!«

Ein Stöhnen, das ein fast unirdisches Entsetzen verriet, drang aus dem Halbdunkel hinter seinem Rücken. Louis wirbelte herum.

Harkabeeparolyn kauerte in der Sonde an der Stelle, wo Louis vor Sekunden noch in hockender Stellung verharrt hatte. Ihre Hände krampften sich um den Kolben einer Schußwaffe. Ihre Lippen waren weit von den Zähnen zurückgezogen. Ihre Augen konnten keinen Ruhepunkt finden. Sie zuckten nach oben, nach links und nach rechts, und nirgends sah sie etwas Tröstliches.

Der Hinterste sprach mit monotoner Stimme: »Louis, wer ist dieses Wesen, das in mein Raumschiff eindringt? Ist es gefährlich?«

»Nein, du kannst beruhigt sein. Es ist nur eine verwirrte Bibliothekarin. Harkabeeparolyn, kehre in deine Bibliothek zurück.«

Ihr Stöhnen wurde lauter und höher. Plötzlich jammerte sie: »Ich kenne diesen Ort! Ich habe ihn im Kartenzimmer gesehen! Es ist der Raumschiffhafen, der sich außerhalb unserer Welt befindet. Luweewu, was bist du für ein Wesen?«

Louis deutete mit dem Handscheinwerfer-Laser auf sie. »Kehre in die Bibliothek zurück!«

»Nein! Du hast die Bibliothek bestohlen und ihr Eigentum zerstört. Aber wenn — wenn diese Welt vom Untergang bedroht ist, möchte ich helfen!«

»Wie willst du helfen, du verrücktes Ding? Hör zu. Du kehrst jetzt sofort wieder in die Bibliothek zurück. Stelle fest, woher die Unsterblichkeitsdroge kam, ehe die Städte auf die Erde stürzten. Das ist der Ort, den wir suchen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, die Welt auch ohne die großen Motore wieder an die richtige Stelle zu rücken, werden wir sie nur dort finden.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. woher weißt du das alles?«

»Dort ist ihre Basis gewesen. Die Protekt. die Ringwelt-Ingenieure müssen in ihrer Nähe die Pflanzen kultiviert haben, die sie brauchten, um. tanj. es ist alles nur eine Vermutung. Reine Theorie. Tanj!« Louis griff sich mit beiden Händen an den Kopf. Er dröhnte wie eine große Trommel: »Ich habe das alles nicht gewollt! Ich wurde entführt!«

Harkabeeparolyn schwang sich aus der Sonde und ließ sich zu Boden fallen. Ihre blaue Robe war ganz naß vor Schweiß. Sie sah Halrloprillalar sehr ähnlich. »Ich kann dir helfen. Ich kann dir die Bänder vorlesen.«

»Dafür haben wir eine Maschine.«

Sie kam näher heran. Ihre Waffe zeigte zu Boden, als hätte sie vollkommen vergessen, was sie in der Hand hielt. »Wir sind selbst daran schuld, nicht wahr? Mein Volk baute die Steuermotoren dieser Welt aus und benützte sie für Sternenschiffe. Kann ich etwas tun, um dieses Unrecht wiedergutzumachen?«

Der Hinterste sagte: »Louis, die Frau kann nicht mehr in die Stadt zurück. Die Transportscheibe in der ersten Sonde ist immer noch ein Transmitter. Ist das, was sie in der Hand hält, eine Waffe?«

»Harkabeeparolyn, gib mir deine Waffe.«

Sie gehorchte. Louis hielt dieses seltsame Mordinstrument mit zwei Fingern vor sein Gesicht. Es schien ein Produkt der Maschinen-Leute zu sein.

Der Hinterste sagte: »Trage die Waffe zur vorderen linken Ecke der Ladeducht. Dort befindet sich der Transmitter.«

»Ich kann ihn nicht sehen.«

»Ich habe ihn übermalt. Lege die Waffe in die Ecke, und kehre dann wieder in die Mitte des Laderaums zurück. Frau, du bleibst stehen, wo du bist!«

Louis tat, was der Hinterste ihm anschaffte. Die Waffe verschwand. Louis wäre um ein Haar die Bewegung entgangen, als die Waffe hinter dem Rumpf auf den Boden des Raumschiff-Hafens fiel. Der Hinterste hatte auch einen Transportscheiben-Empfänger außerhalb des Raumschiffes installiert.

Louis schüttelte den Kopf. Der Wahnsinn des Puppetiers hatte Dimensionen, die an die Gestalten der italienischen Renaissance erinnerten.

»Gut. Als nächstes. Louis! Da ist noch einer!«

Ein mit braunem Flaum bedeckter Schädel lugte aus der Sonde heraus. Es war der Junge aus dem Kartenzimmer, vollkommen nackt und noch naß von dem Bad im Wasserbecken auf dem Bibliotheksdach. Fast wäre er aus der Sonde gefallen, als er sich streckte, um sich neugierig umzusehen. Seine Augen waren groß wie Glasmurmeln. Er hatte genau das richtige Alter für Wundererscheinungen und Zauberei.

Louis brüllte: »Hinterster! Schalte endlich die Transportscheiben ab!«

»Das habe ich soeben getan. Ich hätte früher daran denken müssen. Wer ist das?«

»Ein Bibliothekars-Lehrling. Er hat einen sechssilbigen Namen, an den ich mich nicht mehr erinnern kann.« »Kawaresksenjajok«, rief der Junge und lächelte. »Wo sind wir hier, Luweewu? Was tun wir hier?«

»Nur Finagle weiß das.«

»Louis! Ich möchte keine fremden Wesen in meinem Schiff haben!«

»Wenn du daran denkst, sie im Vakuum auszusetzen, schlag dir das aus den Köpfen. Ich werde das nicht zulassen.«

»Dann müssen sie im Laderaum bleiben. Du ebenfalls. Ich glaube, daß du das geplant hast — du und Chmeee. Ich hätte euch beiden nie trauen dürfen.«

»Das hast du auch nie getan.«

»Möchtest du das bitte wiederholen?«

»Wir werden hier verhungern.«

Es folgte eine längere Pause. Kawaresksenjajok ließ sich geschmeidig aus der Sonde auf den Boden hinunterfallen. Er und Harkabeeparolyn unterhielten sich jetzt im heftigen Flüsterton.

»Du darfst in deine Zelle zurückkehren«, meldete sich der Hinterste plötzlich. »Sie können hier im Laderaum bleiben. Ich lasse eine Transportscheiben-Verbindung offen, damit du sie mit Nahrungsmitteln versorgen kannst. Vielleicht hat die Sache auch eine gute Seite.«

»Wie bitte?«

»Louis, ich halte es für gut, daß wenigstens ein Paar von den Eingeborenen der Ringwelt überlebt.«

Die beiden Eingeborenen waren zu weit entfernt, um die Übersetzung mithören zu können. Louis sagte: »Du denkst doch hoffentlich nicht daran, aufzugeben, oder? Was auf diesen Lesebändern steht, könnte uns direkt zu dem geheimnisvollen Materieumwandlier bringen.«

»Ja, Louis. Und der Reichtum und die Zivilisation von mehreren Weltkarten im Großen Ozean befinden sich jetzt in der Gewalt von Chmeee. Vielleicht schützt uns noch die große Entfernung zwei oder drei Tage lang vor seiner Vergeltung. Aber nicht länger. Wir müssen bald von dieser Welt Abschied nehmen.«

Die beiden Eingeborenen blickten sich um, als Louis auf sie zuging. Er sagte: »Harkabeeparolyn, hilf mit noch einmal beim Tragen der Lesemaschine.«

Zehn Minuten später befanden sich die Spulen, die Konsole der Lesemaschine und der dazugehörige Schirm auf dem Flugdeck bei dem Puppetier. Harkabeeparolyn und Kawaresksenjajok warteten auf weitere Befehle.

»Ihr müßt beide noch eine Weile hierbleiben«, gab Louis den beiden Bescheid. »Ich weiß noch nicht genau, wie es weitergehen soll. Aber ich schicke euch Betten und etwas zu essen. Vertraut mir.« Er spürte die Blutwelle in seinem Gesicht, als er sich rasch abwandte und in die linke Ecke des Laderaumes trat. Gewissensbisse.

Einen Moment später war er wieder in seiner Zelle — mit seinem Schutzanzug, seiner Weste und allen anderen Habseligkeiten, die er bei sich trug.

Louis zog sich aus und bestellte sich einen ganz gewöhnlichen Schlafanzug mit der Wählscheibe. Schon fühte er sich besser. Er war müde, aber Harkabeeparolyn und Kawaresksenjajok mußten auch erst noch versorgt werden. Der Küchenapparat würde keine Decken für sie ausspucken. Er wählte vier große wattierte Ponchos mit Kapuzen und schickte sie mit der Transportscheibe in den Laderaum hinüber.

Dann kramte er in seinem Gedächtnis. Was hatte Halrloprillalar vor dreiundzwanzig Jahren gerne gegessen? Sie war ein Allesesser gewesen, hatte jedoch Frischwaren bevorzugt. Er stellte die Gerichte für die beiden zusammen. Durch die Zellenwand beobachtete er ihre skeptischen Gesichter, als sie die Speisen kosteten.

Er wählte für sich Walnüsse und einen erstklassigen Burgunder mit Stammbaum. Kauend und am Trinkgefäß nippend stellte er das Schlaffeld an, warf sich hinein und streckte sich im freien Fall aus, um nachzudenken.

Der Lyar-Clan würde für seinen Banditenstreich bezahlen müssen. Hatte Harkabeeparolyn das Superleiter-Tuch in der Bibliothek zurückgelassen, damit der Lyar-Clan den Schaden auch bezahlen konnte? Nicht einmal das wußte er.

Was mochte Valavirgillin in diesem Augenblick denken oder tun? Wahrscheinlich litt sie und bangte um das Schicksal ihrer Artgenossen, sorgte sich um die Zukunft dieser Welt und konnte nichts tun, um es abzuwenden. Sie litt, weil Louis Wu ihr die Augen geöffnet hatte. Die Frau und der Junge im Laderaum mußten inzwischen genauso verängstigt sein wie Valavirgillin... und wenn Louis Wu in den nächsten Stunden starb, würden sie ihn nicht lange überleben.

Das gehörte alles zu dem Preis, den sie bezahlen mußten. Sein eigenes Leben stand genauso auf dem Spiel wie ihres.

Schritt eins: Bringe den Scheinwerfer-Laser an Bord der Heißen Nadel. Das war geschehen.

Schritt zwei: Konnte die Ringwelt wieder in ihre richtige Lage gebracht werden? Die nächsten Stunden mochten den Beweis erbringen, daß das nicht möglich war. Alles hing von den magnetischen Eigenschaften des Scrith ab.

Wenn die Ringwelt aber gerettet werden konnte, dann mußt du fliehen.

Wenn die Ringwelt aber gerettet werden konnte, dann.

Schritt drei: Treffe eine Entscheidung. War es möglich, daß Chmeee und Louis Wu lebend in das bekannte Universum zurückkehren konnten? Falls nicht, dann.

Schritt vier: Meuterei.

Er hätte auch ein Stück von dem Superleiter-Tuch im Gebäude des Lyar-Clan zurücklassen müssen. Er hätte den Hintersten daran erinnern sollen, daß er rechtzeitig die Transportscheiben der Sonde abschalten mußte. Tatsächlich hatte Louis Wu sich in letzter Zeit sehr fahrlässig oder gedankenlos verhalten. Das wurmte ihn. Seine nächsten Schritte waren von geradezu universaler Bedeutung.

Aber jetzt wollte er sich von der kostbaren Zeit ein paar Stunden Schlaf stehlen. auf einen Diebstahl mehr oder weniger kam es ja jetzt nicht mehr an.


Stimmen, verschwommen und undeutlich. Louis bewegte sich unruhig, drehte sich im freien Fall und blickte um sich.

Hinter dem Heckschott führten Harkabeeparolyn und Kawaresksenjajok ein lebhaftes Gespräch mit der Raumschiff decke. Für Louis klang das alles chinesisch. Er hatte seinen Übersetzer nicht bei sich. Doch die Städtebauer deuteten auf ein rechtwinkeliges Hologramm, das vor dem Rumpf des Raumschiffes schwebte und die Aussicht auf den Raumhafen blockierte.

Louis sah in diesem »Fensterausschnitt« den sonnenüberfluteten Burgfried eines aus Natursteinen errichteten Schlosses. Die Mauern waren klobig, aus grob zugehauenen Steinblöcken zusammengefügt. Da gab es viele Kanten und rechte Winkel. Die Fenster waren enge, senkrechte Schlitze. Ein Klettergewächs mit efeuartigen Blättern kroch an einer Burgwand hinauf. Die Blüten dieses Gewächses waren blaßgelb mit scharlachroten Adern.

Louis schob sich aus seinem Schlaffeld heraus.

Der Puppetier saß in seiner Pilotenbank auf dem Kommandodeck. Seine Mähne war heute ein rauchiges phosphoreszierendes Prachtgebilde. Er drehte einen Kopf zur Seite, als Louis sich der Schottwand näherte: »Louis, ich vermute, du hast dich einigermaßen erholt?«

»Ja, und das war auch dringend nötig. Gibt es Fortschritte?«

»Es ist mir gelungen, die Lesemaschine wieder instand zu setzen. Der Computer der Heißen Nadel ist jedoch noch nicht so tief in die Sprache der Städtebauer eingedrungen, daß er Lesebänder der Physik zu entziffern vermag. Ich hoffe, den Wortschatz des Computers zu vergrößern, indem ich mich mit den Eingeborenen unterhalte.«

»Wie lange wird das noch dauern? Ich muß ein paar grundsätzliche Fragen klären, die den Bauplan der Ringwelt betreffen.« Konnte der Boden der Ringwelt, dessen Fläche sechshundert Millionen mal Millionen Quadratmeilen betrug, dafür verwendet werden, die Position der Ringwelt elektromagnetisch zu beeinflussen? Wenn er das nur wüßte!

»Zehn bis zwanzig Stunden mußt du dich noch in Geduld fassen. Wir brauchen alle hin und wieder eine Ruhepause.«

Das dauert mir zu lange, dachte Louis, da ihnen die Reparaturmannschaft bereits auf den Pelz rückte. Zu schade. »Woher stammt das Hologramm? Aus dem Landungsboot?«

»Ja.«

»Können wir eine Botschaft an Chmeee durchgeben?«

»Nein.«

»Warum nicht? Er muß den Übersetzer bei sich tragen.«

»Ich beging den Fehler, aus disziplinarischen Gründen seinen Übersetzer abzuschalten. Er hat ihn jetzt nicht bei sich.«

»Was ist in ihn gefahren?« erkundigte sich Louis. »Was sucht er denn in einer mittelalterlichen Burg?«

Der Hinterste erwiderte: »Es ist zwanzig Stunden her, seit Chmeee die Weltkarte von Kzin erreichte. Ich sagte dir schon, daß er zunächst den Hafen erkundete und sich von den Flugzeugen der Kzinti unter Feuer nehmen ließ, ehe er auf dem großen Schiff landete und abwartete, bis den Angreifern die Munition ausging. Die Attacken dauerten sechs Stunden an, ehe Chmeee die Kampagne von sich aus abbrach und woanders hinflog. Ich wünschte nur, ich verstünde, was er damit zu gewinnen hofft, Louis.«

»Das weiß ich selbst nicht genau. Fahre fort.«

»Die Flugzeuge folgten ihm eine Weile, dann drehten sie wieder ab. Chmeee setzte seine Erkundungen fort. Er entdeckte gerodetes Land im Dschungelwald mit einer kleinen ummauerten Burg auf dem Gipfel eines Berges. Dort landete er im Burghof. Er wurde natürlich sofort angegriffen; aber die Verteidiger verfügten nur über Schwerter, Keulen, Pfeil und Bogen. Als sie sich alle um das Landungsboot versammelt hatten, schoß er sie mit der Betäubungskanone nieder. Und dann.«

»Moment mal!«

Ein Kzin tauchte in einem der Torbögen der Burgmauer auf, sprintete über graue Steinplatten und lief auf allen vieren auf das Hologramm-Fenster zu. Das mußte Chmeee sein. Er trug seinen Schutzpanzer. Ein Pfeil steckte in einem seiner Augen, ein langer hölzerner Schaft mit papierartigen Blättern als Stabilisatoren am Pfeilende.

Andere Kzinti verfolgten ihn, die Schwerter und Morgensterne über den Kopf schwangen. Aus einem schlitzartigen Fenster hagelten Pfeile herunter und prallten von seinem Panzer ab. Als Chmeee die Luftschleuse des Landungsbootes erreichte, schnitt ein Lichtfaden aus einem der Fenster. Der Laserstrahl schlug Flammen aus den Platten, mit denen der Hof gepflastert war. Dann richtete er sich auf das Landungsboot. Chmeee war bereits durch die Luftschleuse. Der Lichtstrahl zielte hartnäckig auf das Landungsboot und erlosch dann, als das geschlitzte Fenster in einer roten und weißen Flamme explodierte.

»Leichtsinnig«, murmelte der Hinterste, »so eine Waffe den Feinden zu überlassen!« Sein anderer Mund knabberte an den Schaltknöpfen. Er brachte jetzt die Bilder einer Bordkamera auf den Monitor. Louis sah, wie Chmeee die Luftschleuse dicht machte, dann zum Autodock taumelte, sich seinen Schutzpanzer vom Leib riß und auf den Boden warf. Das rechte Bein des Kzin hatte unter dem Panzer eine tiefe Fleischwunde. Chmeee stemmte den Deckel des Autodock hoch und ließ sich hineinfallen.

»Tanj! Er hat die Monitoren nicht eingeschaltet! Hinterster, wir müssen ihm helfen.«

»Aber wie, Louis? Wenn du versuchtest, ihn mit den Transportscheiben zu erreichen, würdest du auf mehrere Millionen Grad aufgeheizt. Zwischen deiner Geschwindigkeit und der des Landungsbootes.«

»Ja doch.« Der Große Ozean lag fünfunddreißig Grad hinter der Kurve der Ringwelt. Der Unterschied der kinetischen Energie reichte aus, um eine Stadt zu atomisieren. Es gab keine Möglichkeit, Chmeee zu helfen.

Chmeee lag blutend im Autodock.

Plötzlich schrie er auf und drehte sich auf die Seite. Seine dicken Finger drückten auf die Tasten des Autodock. Dann wälzte er sich auf den Rücken, griff nach oben und schloß den Deckel der Autodock-Box.

»Das ist immerhin etwas«, sagte Louis erleichtert. Der Pfeil war im spitzen Winkel in die Augenhöhle eingetreten. Möglicherweise konnte die Pfeilspitze doch noch das Gehirn beschädigt haben. »Er war verdammt leichtsinnig. Okay. Erzähle weiter.«

»Chmeee benützte die Betäubungskanone, um alle Bewohner der Burg lahmzulegen. Dann verbrachte er drei Stunden damit, die bewußtlosen Kzinti auf die Repulsionsplatten zu legen und ins Freie zu schaffen. Er verriegelte die Tore. Dann ging er wieder in das Schloß hinein. Neun Stunden blieb er unsichtbar. Warum grinst du?«

»Brachte er auch betäubte Weibchen ins Freie?«

»Nein. Aha, ich verstehe jetzt.«

»Er hatte ein verdammtes Glück, daß er seinen Schutzanzug noch rasch genug anziehen konnte. Diese Fleischwunde am Bein beweist, daß er aus gewissen Gründen seinen Panzer ablegen mußte.«

»Mir scheint, daß Chmeee für mich keine Bedrohung bedeutet.«

Richtig. Er würde sich mindestens zwanzig bis vierzig Stunden im Autodock aufhalten müssen, überlegte Louis. Nun mußte Louis Wu seine Entscheidung ganz allein treffen. »Da gibt es ein paar Probleme, die wir mit ihm diskutieren sollten. Aber das ist ja jetzt nicht möglich. Hinterster, zeichne bitte unser folgendes Gespräch auf und schicke es auf Bandspeicher in das Landungsboot. Ich möchte, daß Chmeee unser Gespräch sofort überspielt wird, sobald er aufwacht.«

Der Puppetier griff hinter sich. Er schien die Kontrollkonsole anzuknabbern. »Erledigt. Was wolltest du mit mir diskutieren?«

»Chmeee und ich haben uns noch nicht zu dem Glauben durchringen können, daß du uns in das bekannte Universum zurückbringst oder daß du das überhaupt könntest.«

Der Puppetier betrachtete ihn aus zwei Richtungen. Seine flachen Köpfe waren so weit auseinandergegrätscht, daß er damit den optimalen binokularen Effekt erreichte. So konnte er seinen nicht ganz zuverlässigen Bundesgenossen oder gar seinen möglichen Gegner am besten studieren. Er fragte: »Warum sollte ich euch nicht in das bekannte Universum zurückbringen, Louis?«

»Erstens wissen wir zuviel. Zweitens hast du gar keinen Grund, zu einer Welt im bekannten Universum zurückzukehren. Mit oder ohne diesen märchenhaften Materieumwandler gibt es für dich nur einen Platz, wo du wirklich hin willst — die Flotte der Puppetier-Planeten.«

Im Hinterteil des Puppetiers zuckten die Muskeln ununterbrochen. (Das war das Bein, mit dem ein Puppetier kämpfte. Er drehte seinem Gegner den Rücken zu, zielte mit den beiden weit auseinanderliegenden Köpfen und -patsch!) Er sage: »Wäre das so schlimm für euch?«

»Es wäre immer noch besser, als hier auf der Ringwelt zurückzubleiben«, räumte Louis ein. »Aber was hast du wirklich vor?«

»Wir können euch das Leben so angenehm wie möglich machen. Du weißt, daß wir die Verjüngungsdroge für die Kzinti besitzen. Wir können dich auch mit der menschlichen Verjüngungsdroge versorgen. In der Heißen Nadel ist genug Platz für Hominiden und Kzinti-Weibchen. Tatsächlich haben wir bereits eine Frau an Bord, die zu der Rasse der Städtebauer gehört. Ihr würdet in dem Stasisfeld reisen, also ohne Platzprobleme. Und du könntest dich mit deinem Gefolge auf einem der vier Landwirtschaftsplaneten der Flotte niederlassen. Er würde dir praktisch gehören.«

»Und was passiert, wenn mir das Landleben zum Hals heraushängt?«

»Unsinn. Du hättest Zutritt zu den Bibliotheken deiner Heimatwelt. Zutritt zu den Kenntnissen, über die die Menschheit staunte, seit wir uns zum ersten Male ihnen offenbarten! Die Flotte bewegt sich fast mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum, um schließlich die Magellanschen Wolken zu erreichen. Mit uns wirst du dich vor der Explosion des galaktischen Kernes retten. Wahrscheinlich werden wir dich auch als Späher benötigen, der sich mit interessanten Territorien auf unserem Kurs beschäftigt.«

»Gefährlichen Territorien, wolltest du doch sagen.«

»Wenn dir dieser Ausdruck lieber ist?«

Louis reizte dieses Angebot mehr, als er sich eingestehen wollte. Wie würde Chmeee so eine Offerte aufnehmen? Seine Rache verschieben? Die Chance wahrnehmen, irgendwann in der Zukunft die Heimatwelt der Puppetiers zu schädigen? Oder deren angeborene Feigheit?

Er fragte:

»Ist dieses Angebot davon abhängig, daß wir diesen märchenhaften Materie-Umwandler finden?«

»Nein. Deine Talente werden so oder so gebraucht. Trotzdem. das Versprechen, das ich dir jetzt gebe, läßt sich natürlich unter dem Regime der Experimentalisten viel leichter erfüllen. Die Konservative Partei betrachtet deinen Wert möglicherweise in einem anderen Licht, von Chmeees Talenten einmal ganz abgesehen.«

Das war eine hübsche Umschreibung, dachte Louis. »Wenn wir schon von Chmeee reden.«

»Der Kzin ist ein Deserteur. Trotzdem gilt meine Offerte auch für ihn. Inzwischen hat er ein paar Kzinti-Weibchen gefunden, die wir vor dem Untergang retten können. Vielleicht kannst du ihn überreden, mein Angebot anzunehmen.«

»Hm — ja.«

»Und letztendlich wirst du deine Heimatwelten auf jeden Fall wiedersehen. In tausend Jahren wird das bekannte Universum die Puppetiers so gut wie vergessen haben. Inzwischen sind für dich nur Jahrzehnte vergangen, da du dich mit der Flotte der Puppetier-Welten fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegst.«

»Ich brauche Bedenkzeit. Ich werde Chmeee deine Offerte übermitteln, wenn ich Gelegenheit dazu bekomme.« Louis blickte hinter sich. Die Städtebauer beobachteten ihn. Zu schade, daß er sich mit ihnen nicht beraten konnte, weil er auch ihr Schicksal besiegeln würde.

Aber er mußte sich entscheiden. »Was ich jetzt gerne täte«, fing Louis wieder an, »ist ein Sprung zum Großen Ozean. Wir könnten den Weg durch den Krater der ›Faust Gottes‹ nehmen und dann ganz langsam weiter.«

»Ich habe nicht die Absicht, die Heiße Nadel vom Fleck zu bewegen. Vermutlich gibt es auf der Ringwelt noch andere Gefahren als die Meteor-Abwehranlage. Schon sie reicht aus, um unsere Pläne zum Scheitern zu bringen!«

»Ich wette, ich kann dich umstimmen, Hinterster. Erinnerst du dich noch daran, daß du eine Hebevorrichtung auf der Ringmauer entdecktest, mit der man eine Bussard-Rammdüse bewegen kann? Schau dir diese Hebevorrichtung genauer an.«

Einen Moment lang war der Puppetier so starr, als hätte ihn der Schlag getroffen. Dann wirbelte er herum und verschwand hinter der undurchsichtigen Wand seiner Privatkabine.

Dort würde er vermutlich so lange bleiben, bis Louis seine Pläne verwirklicht hatte.


Louis konnte sich Zeit lassen. Er ging zu der Stelle, wo er gestern seine Kleider und seine Ausrüstung auf den Boden geworfen hatte. Er bückte sich und zog den Handscheinwerfer-Laser aus seiner Weste. Schade, daß sein Autodock sich im Landungsboot befand, hundert Millionen Meilen von ihm entfernt. Vielleicht brauchte er ihn bald.

Selbstverständlich war die Außenhaut des Rumpfes mit einer Schutzschicht gegen zu intensive Lichtquellen ausgestattet. Jedes Raumschiff hatte so eine Schutzschicht, vielleicht nicht überall, aber ganz bestimmt auf den Bullaugen und Fenstern. Wenn das Raumschiff mit einer zu hohen Lichtenergie überschüttet wurde, verwandelte Sich die Schutzschicht in einen Spiegel und rettete dadurch das Sehvermögen des Piloten.

Diese Schutzschicht hielt solare Fackeln ab und auch Laserstrahlen. Wenn der Hinterste eine undurchdringliche Wand zwischen sich und seine gefangene Raumschiffbesatzung aufgerichtet hatte, hatte er sicherlich das gesamte Kommandodeck mit einer Strahlen-Schutzschicht überzogen.

Aber wie stand es mit dem Boden des Rumpfes?

Louis kniete sich nieder. Der Hyperdrive-Motor nahm die ganze Länge des Raumschiffes ein; er war bronzefarben, zeigte hier und da Kupfer- und Rumpfmetall-Abdeckungen. Es war eine Puppetier-Maschine ohne Ecken und scharfe Winkel, so daß sie einer halbgeschmolzenen Riesenkerze glich. Louis richtete den Handscheinwerfer-Laser auf die Maschine und schoß durch den durchsichtigen Boden.

Licht wurde gleißend von dem bronzefarbenen Gehäuse des Antriebes reflektiert. Metall löste sich in Dampf auf. Flüssige Metallbäche rannen über den Boden des Maschinenraumes.

Louis schnitt mit dem Laserstrahl tief in die Eingeweide des Antriebs hinein und bewegte dann den Strahl hin und her, um alles zu verbrennen oder zu zerschmelzen, das eine wichtige Funktion auszuüben schien. Schade, daß er sich niemals in seinem Leben mit Hyperraum-Aggregaten beschäftigt hatte.

Der Laser wurde heiß in seiner Hand. Er hatte ihn schon mehrere Minuten lang eingeschaltet. Er lenkte jetzt den Strahl auf eine der sechs Halterungen, die den Motor in seiner Vakuumkammer festhielten. Die Halterung schmolz nicht, sie wurde nur weich und zog sich auseinander. Er zielte jetzt mit dem Laser auf eine andere Halterung. Die schwere Masse des Motors sackte nach unten und verbog sich.

Der nadelscharfe Strahl flackerte und erlosch. Die Batterie war leer. Louis warf den Handscheinwerfer-Laser in eine Ecke. Er erinnerte sich daran, daß der Puppetier ihm sagte, er könne ihn in der Hand explodieren lassen.

Dann ging er zum Achterschott seines Käfigs. Der Puppetier war nicht in Sicht, aber alsbald hörte Louis das Geräusch einer Dampforgel, die offenbar in den letzten Zügen lag.

Und dann kam der Puppetier um die grüngestrichene Schutzwand herum und blickte ihn an. Alle Muskeln bewegten sich unter seiner Haut wie Gelatine.

»Komm«, sagte Louis Wu, »wir wollen jetzt tacheles miteinander reden.«

Der Puppetier steckte beide Köpfe unter seine Vorderbeine und sank zusammen wie ein Klappstuhl.

24. Gegenvorschlag

Louis Wu wachte diesmal mit klarem Kopf und großem Appetit auf. Er blieb noch ein paar Minuten im freien Fall, streckte dann die Hand zum Schalter aus und löschte das Schlaffeld. Seine Uhr sagte ihm, daß er sieben Stunden geschlafen hatte.

Die Gäste der Heißen Nadel schliefen unter einer der gewaltigen Kammern, die das Landungsboot während des Raumfluges an der Wand festhielten. Die weißhaarige Frau wälzte sich ruhelos hin und her. Ein nackter Fuß schaute aus dem Poncho heraus, in den sie sich eingewickelt hatte. Der Junge mit dem braunen Haarflaum schlief wie ein Baby.

Es gab für Louis keine Möglichkeit, die beiden zu wecken, und das hätte auch keinen Sinn gehabt. Die Wand schluckte jeden Schall, und der Übersetzer war abgeschaltet. Die Transportscheiben-Verbindung trug nur eine Last von wenigen Pfunden. Hatte der Puppetier tatsächlich eine allgemeine Verschwörung erwartet? Louis lächelte. Seine Meuterei war so simpel gewesen wie nur etwas.

Er wählte sich einen Käsetoast und verzehrte ihn, während er auf nackten Füßen zum Achterschott seiner Zelle ging.

In Ruhestellung glich der Hinterste einem glatten Ei, das mit Haut überzogen war. Nur am dickeren Ende schaute ein Büschel weißer Haare heraus. Seine Beine und seine Köpfe waren unter ihm versteckt. Er hatte sich seit sieben Stunden nicht mehr von der Stelle bewegt.

Louis hatte Nessus auch in dieser Stellung kennengelernt. Es war die Antwort eines Puppetiers auf einen Schock: dann steckte er die Köpfe in seinen Nabel und ließ das ganze Universum verschwinden. Gut und schön, aber neun Stunden waren die äußerste Grenze für so einen Zustand. Wenn der Puppetier durch Louis' Schockbehandlung in Katatonie versetzt worden war, konnte das für sie alle das Ende bedeuten.

Die Ohren des Puppetiers befanden sich in seinen Köpfen. Louis Worte mußten durch einen Berg von Fleisch und Knochen hindurch. Er schrie: »Ich möchte ein paar Anregungen zum Nachdenken geben!«

Der Puppetier bewegte sich nicht. Louis hob die Stimme zu einem schrillen Diskant: »Diese Welt stürzt ihrer Sonne entgegen. Wir könnten etwas dagegen unternehmen, aber solange du deinen Bauchnabel bespiegelst, ist das unmöglich. Niemand außer dir kann die Instrumente der Heißen Nadel bedienen — die Sensoren, die Antriebe et cetera. Das war auch deine Absicht gewesen. Wenn du also noch länger einen Klappstuhl kopieren willst, dann wirst du, ich und Chmeee mit jeder Minute näher an eine Katastrophe herankommen, die sich kein Astrophysiker entgehen lassen würde.«

Er schlang den Rest seines Toasts hinunter und wartete. Puppetiers waren hervorragende Linguisten und Meister in fast allen Fremdsprachen. Würde ein Puppetier den sprachlichen Köder annehmen, den Louis ihm hinwarf?

Tatsächlich brachte der Hinterste einen Kopf lange genug zum Vorschein, um zu fragen: »Was für eine Gelegenheit würde sich ein Astrophysiker nicht entgehen lassen?« »Die Chance, Sonnenflecken von unten zu betrachten.«

Der Kopf verschwand wieder unter dem Bauch des Puppetiers.

Louis brüllte: »Der Reparaturtrupp kommt auf uns zu!«

Ein Kopf und ein Hals kamen wieder zum Vorschein und brüllten als Antwort zurück: »Was hast du uns angetan? Was hast du mir, dir selbst, den beiden Eingeborenen angetan, die sich vor dem Untergang ins All hätten retten können! Hattest du einen vernünftigen Gedanken außer der Absicht, aus blinder Zerstörungswut den Antrieb zu ruinieren?«

»Du hast es vor einiger Zeit selbst ausgesprochen. Eines Tages müssen wir uns entscheiden, wer diese Expedition leitet. Heute ist dieser Tag gekommen«, erwiderte Louis Wu. »Ich möchte dir jetzt erklären, warum du meine Befehle entgegennehmen sollst.«

»Ich hatte nie geahnt, daß ein Wonnestrom-Süchtiger auch Machtgelüste entwickelt.«

»Punkt eins, weshalb ich die Befehlsgewalt haben soll. Meine Vermutungen sind besser als deine.«

»Weiter.«

»Wir verlassen die Ringwelt nicht. Sogar die Flotte der Puppetier-Welten ist jetzt für uns unerreichbar, auch wenn sie langsamer als das Licht fliegt. Wenn die Ringwelt untergeht, gehen wir ebenfalls zugrunde. Wir müssen sie deshalb wieder in ihre richtige Lage bringen.

Drittens: Die Ringwelt-Ingenieure sind seit mindestens zweihundertfünfzigtausend Jahren tot«, fuhr Louis bedächtig fort.

»Chmeee nimmt sogar an, sie wären schon vor ein paar Millionen Jahren ausgestorben. Die Hominiden hätten sich nie entwickeln können, wenn die Ringwelt-Ingenieure noch am Leben wären. Auch Mutationen hätten sie niemals zugelassen. Die Ringwelt-Ingenieure waren Pak-Protekoren.«

Louis hatte eigentlich Schrecken, Entsetzen oder Überraschung bei dem Puppetier erwartet. Doch der Puppetier gab nur mit resignierter Stimme zurück: »Fremdenhasser, brutal, tückisch, tapfer und sehr intelligent.«

Er mußte es also bereits vermutet haben.

»Meine Vorfahren«, erwiderte Louis, »sie bauten die Ringwelt und auch alle Systeme, die diesen Artefakten in seiner richtigen Lage erhalten sollten. Wer von uns beiden hat nun eine bessere Chance, so zu denken wie ein Pak-Protektor? Einer von uns muß diesen Versuch wagen.«

»Deine Argumente bedeuteten gar nichts, wenn du uns die Chance zur Flucht gelassen hättest. Louis, ich vertraute dir.«

»Ich möchte nicht glauben, daß du so dumm sein konntest. Wir haben uns nicht freiwillig für diese Expedition gemeldet. Kzinti und Menschen eignen sich nicht zu Sklaven.«

»Hast du noch ein Argument?«

Louis schnitt eine Grimasse. »Chmeee ist von mir enttäuscht. Er wollte dich zwingen, seinem Willen zu gehorchen. Wenn ich ihm sage, daß du meine Befehle entgegennimmst, wird das Eindruck auf ihn machen. Und wir brauchen ihn.«

»Ja, das stimmt. Vielleicht ist seine Art zu denken jener eines Pak-Protektors sogar ähnlicher als deine.«

»Nun?«

»Deine Befehle?«

Louis sagte jetzt dem Hintersten, was er tun sollte.


Harkabeeparolyn hatte sich auf den Bauch gewälzt und stand auf beiden Beinen, ehe sie Louis aus der Ecke des Laderaumes herauskommen sah. Dann duckte sie sich, gab einen entsetzten Laut von sich und verschwand wieder unter den Ponchos.

Was für ein seltsames Betragen. Städtebauer, für die der nackte Körper tabu war? Hätte Louis sich lieber etwas anziehen sollen? Er tat, was er für taktvoll hielt: er drehte ihr den Rücken zu und ging zu dem Jungen.

Der Junge saß an der Wand des Laderaumes und blickte hinauf auf das große, ausgeschlachtete Stemenschiff. Der Poncho, den er trug, war viel zu groß für ihn. »Luweewu«, fragte er, »wurden die Schiffe dort draußen von uns gebaut?«

»Ja.«

Der Junge lächelte: »Haben deine Leute auch so große Schiffe gebaut?«

Louis versuchte sich zu erinnern. »Unsere langsamen Frachter hatten fast die gleiche Größe. Wir brauchten so große Schiffe, ehe wir die Barriere der Lichtgeschwindigkeit überwanden.«

»Ist das Schiff, in dem wir uns befinden, dein Eigentum? Kann es schneller fliegen als das Licht?«

»Das konnte es. Jetzt nicht mehr. Ich glaube, daß die General-Products-Zellen Mark vier sogar noch größer waren als eure Schiffe. Aber wir haben nie solche Raumschiffe gebaut. Das waren die Erfindungen der Puppetiers.«

»War das ein Puppetier, mit dem wir gestern sprachen? Er erkundigte sich nach dir. Wir konnten ihm nicht viel von dir sagen.«

Harkabeeparolyn trat jetzt ebenfalls hinzu. Offenbar hatte sie mit ihrer blauen Bibliothekarsrobe ihre Fassung wiedergewonnen. Sie fragte: »Hat sich unser Status geändert, Luweewu? Gestern sagte man uns, daß du uns nicht besuchen dürftest.« Es kostete sie einige Mühe, ihm offen ins Gesicht zu sehen.

»Ich habe das Kommando übernommen«, sagte Louis.

»Einfach so?«

»Ich bezahlte einen Preis dafür.«

Die Stimme des Jungen mischte sich jetzt im Lautsprecher ein: »Luweewu? Wir fliegen!«

»Das ist schon okay.«

»Könntest du das Licht hier abstellen?«

Louis schaltete das Licht mit den Schallwellen seiner Stimme ab. Auch er fühlte sich jetzt wohler. Die Dunkelheit verdeckte seine Nacktheit. Harkabeeparolyns Verhalten war ansteckend.

Die Heiße Nadel erhob sich drei Meter über die Raumhafenrampe. Rasch, fast verstohlen, ohne Lichterscheinungen trieb das Raumschiff über den Rand der Welt und hinunter.

»Wo fliegen wir hin?« forschte die Frau.

»Unter die Welt. Wir werden unter den Großen Ozean fliegen.«

Aber sie schienen im Vakuum stehenzubleiben, während die Rampe mit dem Raumhafen lautlos nach oben fiel. Der Hinterste ließ das Schiff mehrere Meilen tief in das Vakuum stürzen, ehe er die Steuerdüsen einschaltete: die Heiße Nadel verzögerte und schob sich dann an der Unterseite der Ringwelt entlang.

Die Außenschale des Artefakten schob sich vor ihre Sichtluken und wurde zum Himmel. Unter ihnen lag ein Meer von Sternen, die viel heller waren, als die Eingeborenen der Ringwelt sie durch die Schichten ihrer Atmosphäre und dem Licht des Himmelsbogens hatten sehen können. Doch der Himmel über ihnen war absolute Dunkelheit. Die Außenschicht der Ringwelt, die aus geschäumtem Scrith bestand, reflektierte das Sternenlicht nicht.

Louis fühlte sich immer noch unbehaglich in seiner Nacktheit. »Ich gehe jetzt in meine Kabine zurück«, sagte er. »Warum kommt ihr nicht mit? Ich habe dort Kleider zum Wechseln, Essen in Hülle und Fülle und auch bessere Betten, wenn euch danach verlangt.«


Harkabeeparolyn kam als letzte mit der Transportscheibe in die Kabine und zuckte heftig zusammen. Louis lachte laut. Sie versuchte ihn wütend anzublicken, aber ihre Augen glitten zur Seite. Nackt!

Louis wählte sich einen Overall und bedeckte sich damit. »Ist es jetzt besser?«

»Ja, besser. Glaubst du vielleicht, ich sei übertrieben prüde? »Nein, ich glaube, daß ihr auf eurer Welt keine Klima-Steueranlage besitzt. Ihr könnt euch nicht überall im Freien nackt bewegen, also seid ihr nicht an den Anblick eines nackten Körpers gewohnt. Aber ich kann mich auch irren.«

»Du könntest recht haben«, erwiderte sie überrascht.

»Ihr habt gestern beide auf dem harten Boden geschlafen. Probiert mal das Wasserbett. Es ist groß genug für euch beide, und Chmeee benötigt es im Augenblick nicht.«

Kawaresksenjajok warf sich auf das mit Fellen überzogene Wasserbett. Er hüpfte darauf auf und ab, und die Wellen flossen unter dem Pelz nach außen. »Luweewu, das ist großartig! Als ob ich schwimmen würde, aber auf dem Trockenen!«

Harkabeeparolyn setzte sich mißtraurisch mit steifem Rücken auf das schwankende Bett. Mit fragendem Unterton sagte sie: »Chmeee?«

»Zwei Meter fünfzig groß und mit orangefarbenem Fell bedeckt. Er befindet sich im Augenblick auf einer. Mission im Großen Ozean. Wir holen ihn jetzt dort ab. Du könntest ihn dazu überreden, das Bett mit dir zu teilen.«

Der Junge lachte. Die Frau sagte: »Dein Freund muß sich einen anderen Spielgenossen suchen. Ich übe die Sitte des Rishathra nicht aus.«

Louis kicherte. (Aber im Hinterstübchen seines Verstandes dachte er: tanj!) »Chmeee ist fremdartiger, als du dir vielleicht vorstellst. Jedenfalls findet er genau so wenig Geschmack daran, mit dir Rishathra auszuüben wie an einer frischen Salatplatte. Wenn du bei ihm schläfst, bist du vollkommen sicher, außer er braucht das ganze Bett für sich, was durchaus möglich sein könnte. Du mußt nur aufpassen, daß du ihn nicht wachrüttelst. Oder du kannst auch die Schlafplatten benützen.«

»Schläfst du zwischen diesen Platten?«

»Ja.« Er erriet an dem zweifelnden Ton ihrer Stimme, was sie dachte. »Das Schlaffeld kann so eingestellt werden, daß zwei Körper sich nicht berühren.« (Tanj! Hemmte sie vielleicht die Gegenwart des Jungen?)

Sie sagte: »Luweewu. Es tut uns leid, daß wir dich mitten in einer wichtigen Mission gestört haben. Bist du nur in unsere Stadt gekommen, um unser Wissen zu stehlen?«

Die korrekte Antwort hätte ja lauten müssen. Louis' Erwiderung war keine Lüge: »Wir sind hier, um die Ringwelt zu retten.«

Nachdenklich sagte sie: »Aber wie kann ich.?« Und dann starrte sie auf eine Stelle hinter Louis' Rücken.

Der Hinterste wartete hinter dem Achterschott. Er sah hinreißend aus. Seine Klauen waren mit Silber überzogen, und seine Mähne bestand aus geflochtenen Gold- und Silbersträhnen. Das kurze blasse Haar, das seine übrigen Körperpartien bedeckte, war so sorgfältig gebürstet, daß es schimmerte wie Seide. »Harkabeeparolyn, Kawaresksenjajok, seid willkommen an Bord«, sang der Hinterste. »Wir benötigen dringend eure Hilfe. Wir sind von sehr weit hergekommen in der Hoffnung, eure Brüder und Schwestern und eure Welt vor einem feurigen Tod zu retten.«

Louis schluckte seinen Lachreiz hinunter. Glücklicherweise hatten seine Gäste nur Augen für den Pierson-Puppetier.

»Wo kommst du denn her?« fragte der Junge erstaunt. »Wie sieht deine Welt aus?«

Der Puppetier versuchte, ihm seine Welt zu erklären. Er sprach von Planeten, die fast mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum rasten — fünf Welten, die in einem Fünfeck angeordnet waren, als Kemplerer-Rosette. Künstliche Sonnen umkreisten vier dieser Welten, damit dort die Nahrungsmittel wuchsen für die Puppetiers, die den fünften Planeten bewohnten. Die fünfte Welt wurde nur von dem Licht ihrer Straßen und Gebäude erhellt. Die Kontinente strahlten in einem gelbweißen Glanz, während die Meere als dunkle Masse die Zwischenräume ausfüllten. Isolierte gleißend helle Sterne, die von Nebelschwaden umgeben waren, waren schwimmende Fabriken, deren überschüssige Wärme das Wasser zum Kochen brachte. Die überschüssige Wärme der Industrieabwässer bewahrte die Welt vor der Kältestarre.

Der Junge vergaß beim Zuhören das Atmen. Nur die Bibliothekarin sagte leise zu sich selbst: »Er muß von den Sternen gekommen sein. Er gleicht keinem uns bekannten lebenden Wesen.«

Der Puppetier sprach von gigantischen Gebäuden, überfüllten Straßen und von Parkanlagen, der letzten Zuflucht der heimischen Tierwelt. Er sprach von dem Tansportscheiben-Verkehrssystem, mit dem man in wenigen Minuten um die ganze Welt gehen konnte.

Harkabeeparolyn schüttelte den Kopf. Ihre Stimme klang fast heftig: »Bitte, wir haben jetzt dafür keine Zeit. Es tut mir leid, Kawa! Wir wollen wirklich mehr davon wissen, müssen das sogar — aber diese Welt und diese Sonne stehen auf dem Spiel! Louis, ich hätte nie an dir zweifeln sollen. Was können wir tun, um bei der Rettung zu helfen?«

Der Hinterste sagte: »Du kannst mir vorlesen.«

Kawaresksenjajok lag auf dem Rücken und beobachtete die Rückseite seiner Welt, die über ihm vorbeirollte. Die Heiße Nadel flog unter einem konturlosen schwarzen Dach, in das der Hinterste zwei Hologramm-»Fenster« eingerichtet hatte. Das eine breite Rechteck zeigte einen leicht vergrößerten Ausschnitt; das andere Fenster untersuchte die Unterseite der Ringwelt mit infrarotem Licht. Im Infra zeigte sich die Unterseite des Tages immer noch heller als das vom Schatten der Nacht bedeckte Land. Und die Flüsse und Meere waren dunkel am Tag und hell in der Nacht.

»Wie die Rückseite einer Maske, verstehst du?« Louis sprach mit leiser Stimme, um Harkabeeparolyn beim Vorlesen nicht zu stören. »Siehst du dort die sich verzweigenden Nebenflüsse, wie sie hervorstehen wie Adern? Und die Meere zeigen sich hier als Kuppen oder Beulen. Dort haben wir eine Reihe von Vertiefungen — das ist eine Gebirgskette.«

»Sehen deine Welten auch so aus?«

»Oh, nein. Auf meinen Welten würde alles auf der Unterseite aus festem Material bestehen, und die Oberseite verdankt ihre Form dem Zufall. Hier wurde die Welt wie ein Relief gemeißelt. Hier haben die Meere alle die gleiche Tiefe, und sie sind so verteilt, daß es überall auf der Welt genügend Wasser gibt.«

»Diese Welt ist ein versenktes Relief?«

»Ja. Ich könnte sie mit nichts anderem vergleichen.«

»Luweewu, das klingt unheimlich. Wie muß man sich die Schöpfer dieser Welt vorstellen?«

»Sie dachten in großartigen Dimensionen, und sie liebten ihre Kinder. Ihre Gestalt glich einer Panzerrüstung.« Louis gab mit Absicht eine vage Beschreibung der Protektoren. Mehr wollte er nicht über sie sagen.

Der Junge deutete auf die durchsichtige Rumpfwand: »Was ist das?«

»Ich weiß nicht.« Es war eine Delle auf der Unterseite der Ringwelt, die mit Nebel gefüllt war. »Ich glaube, hier hat ein Meteor die Außenhaut durchschlagen. Auf der anderen Seite bildet sich ein Wirbelsturm.«

Der Leseschirm stand auf dem Kommandodeck, die Schirmseite war Harkabeeparolyn zugewandt. Der Hinterste hatte den Schaden repariert und ein geflochtenes Kabel an der Maschine befestigt, das mit seiner Steuerkonsole verbunden war. Harkabeeparolyn stand vor dem Schott und las laut vor. Der Schiffscomputer las gleichzeitig das Band ab, verglich es mit ihrer Stimme und seinem gespeicherten Wissen von Halrloprillalars Sprache. Diese Sprache mußte sich im Verlauf der Jahrhunderte gewandelt haben, aber nicht zu sehr, nicht in einer gebildeten Gesellschaft. Es stand zu hoffen, daß der Computer bald die Lesebänder selbst übersetzen konnte.

Was den Hintersten betraf, so hatte er sich in seine versteckte Privatkabine zurückgezogen. Das fremde Wesen hatte mehrere Schocks hintereinander erlebt. Louis gönnte ihm die Erholungspause für seine hysterischen Anfälle.

Die Heiße Nadel beschleunigte jetzt stetig. Die in das Bodenmaterial eingeprägte Landschaft glitt nun so rasch über dem Schiff dahin, daß man keine Einzelheiten mehr zu erkennen vermochte. Und Harkabeeparolyns Stimme klang etwas gepreßt. Höchste Zeit für eine Mittagspause, dachte Louis.

Dabei tauchte ein neues Problem auf. Louis wählte Filets Mignons, Bratkartoffeln, Briekäse und Französisches Weißbrot. Der Junge starrte das Menü entsetzt an. Auch die Frau machte entsetzte Augen, die allerdings auf Louis Wu gerichtet waren.

»Entschuldigung. Ich vergaß rechtzeitig daran zu denken, daß ihr Allesesser seid.«

»Allesesser, ja. Wir essen pflanzliche und tierische Produkte«, erwiderte die Bibliothekarin. »Aber wir essen kein verwestes Fleisch oder verdorbene Nahrungsmittel!«

»Regt euch nicht auf. Die Nahrungsmittel sind nicht mit Bakterien verseucht.« Ein abgehangenes Steak und Milch, die Schimmelpilzen ausgesetzt war. Louis warf die Teller mit dem Menü in die Toilette und wählte erneut. Früchte, crudites, dazu eine Schüssel mit Sauercreme, die ebenfalls wieder in die Toilette wanderte. Als Hauptgericht Meeresfrüchte, zu denen auch sashimi gehörten. Seine Gäste hatten noch nie in ihrem Leben einen Salzwasserfisch gegessen. Er schmeckte ihnen, aber er machte sie auch durstig.

Und daß sie Louis beim Essen zusehen mußten, machte sie unglücklich. Aber sollte er ihretwegen vielleicht hungern?

Doch es konnte geschehen, daß sie hungern mußten. Woher wollte er das frische rohe Fleisch für sie nehmen? Nun, natürlich aus der Seite des Nahrungsspenders, der für Chmeee reserviert war. Dann konnte er das Fleisch mit dem Laser braten, wenn er einen weiten Kegel mit hoher Intensität einstellte. Er mußte dem Hintersten befehlen, den Laser nachzuladen. Vielleicht würde sich der Puppetier zuerst weigern, dieser Aufforderung nachzukommen, wenn er daran dachte, wie Louis den Laser beim letzten Mal verwendet hatte.

Noch ein Problem: die Gäste nahmen vielleicht zuviel Salz mit der Nahrung auf. Louis wußte nicht, wie er dieses Problem lösen sollte. Vielleicht konnte der Hinterste die Mechanik des Nahrungsmittelspenders anderes einstellen.

Nach dem Essen kehrte Harkabeeparolyn wieder zu ihrem Platz vor dem Leseschirm zurück. Inzwischen raste die Schale der Ringwelt so rasch über ihnen dahin, daß sie nur noch einem schwarzen Tuch glich. Kawaresksenjajok bewegte sich mit der Transportscheibe ruhelos zwischen der Kabine und dem Laderaum hin und her. Auch Louis kam nicht zur Ruhe. Eigentlich hätte er studieren sollen: die Aufzeichnungen ihrer ersten Reise oder die Hologramme von Chmeees abenteuerlicher Erkundungsfahrt auf der Weltkarte von Kzin. Doch der Hinterste hatte sich in seinen Privatgemächern versteckt. Ohne ihn kam er an die Aufzeichnungen nicht heran.

Und dann entdeckte er noch einen Grund, weshalb er sich nicht zu konzentrieren vermochte.

Er war scharf auf die Bibliothekarin.

Er liebte ihre Stimme. Sie hatte stundenlang vorgelesen, und ihr Tonfall war noch genauso melodiös wie am Anfang. Sie sagte ihm, daß sie manchmal blinden Kindern vorlas: Kindern ohne Augenlicht. Louis wurde es ganz übel bei dem Gedanken an so ein Gebrechen. Er fühlte sich von ihrer Würde und ihrem Mut angezogen. Ihm gefiel die Art, wie sich ihr Körper unter ihrer Robe abzeichnete, und er suchte einen Blick auf ihre Nacktheit zu erhaschen.

Es war schon ein paar Jahre her, daß Louis sich in eine reinblutige menschliche Frau verliebt hatte. Harkabeeparolyn kam einer menschlichen Frau sehr nahe. Als der Puppetier endlich wieder auf dem Kommandodeck erschien, war Louis froh über diese Ablenkung.


Sie unterhielten sich leise auf Interworld, wahrend Harkabeeparolyn mit lauter Stimme dem Computer die Lesebänder vorlas.

»Wo stammen sie nur her, diese Amateur-Mechaniker?« dachte Louis laut nach. »Wer könnte auf der Ringwelt die umfassenden wissenschaftlichen Kenntnisse besitzen, daß er in der Lage ist, die Steuerdüsen wieder einzuhängen? Es scheint ihnen aber trotzdem nicht klar zu sein, daß ihre Anstrengungen nicht ausreichen.«

»Laß sie in Ruhe«, sagte der Hinterste.

»Vielleicht wissen sie, daß die Düsen nicht ausreichen? Vielleicht ist es eine Verzweiflungstat dieser armen Tröpfe, weil ihnen nichts Besseres einfällt. Bleibt aber noch die Frage, woher sie sich ihre Ausrüstung besorgten. Sie könnte aus dem Reparaturzentrum stammen.«

»Wir haben schon genug Probleme, Louis. Laß diese Leute in Ruhe.«

»Diesmal glaube ich sogar, daß deine Empfehlung richtig ist. Aber ich kann meine Gedanken nicht daran hindern, sich mit diesem Problem zu beschäftigen. Teela Brown war im menschlichen Universum zur Schule gegangen. Technische Großbauwerke, die im All errichtet wurden, sind für sie nichts Neues gewesen. Sie mußte wissen, was es bedeutete, als die Sonne plötzlich ihren Standort veränderte.«

»Könnte Teela Brown so eine große technische Anstrengung überhaupt organisieren?«

»Möglicherweise nicht. Aber Sucher war damals ihr ständiger Begleiter. Vermutlich kennst du diesen Mann aus den Aufzeichnungen, die Nessus von der Expedition nach Hause brachte. Sucher war ein Eingeborener der Ringwelt und vermutlich unsterblich. Teela traf mit ihm zusammen. Dieser Eingeborene war zwar ein bißchen verrückt, aber durchaus befähigt, Arbeiten im großen Stil zu organisieren. Angeblich war er schon ein paarmal zum König gewählt worden, berichtet er uns.«

»Teela Brown war ein gescheitertes Experiment. Wir versuchten, ein glückliches menschliches Wesen heranzuzüchten in dem Glauben, daß ein Puppetier in ihrer Begleitung von ihrem Glück profitieren müsse. Vielleicht war Teela tatsächlich glücklich, doch dann hatte sich ihr Glück nicht als ansteckend erwiesen. Wir wollten nicht mehr mit Teela Brown zusammentreffen.«

Louis schüttelte sich. »Nein, gewiß nicht.«

»Dann müssen wir es auch vermeiden, die Aufmerksamkeit der Reparaturmannschaft auf uns zu lenken.«

»Füge folgendes Postscriptum dem Band hinzu, das du Chmeee überspielen wirst«, sagte Louis. » ›Louis Wu wies mein Angebot zurück, sich als Asylant auf der Flotte der Puppetier-Welten niederzulassen. Louis Wu hat inzwischen das Kommando über die Heiße Nadel übernommen und den Hyperdrive-Antrieb zerstört.‹ Dieser Nachsatz wird ihm in die Knochen fahren.«

»Mich traf das bis ins Mark. Louis, meine Sensoren können das Scrith-Material nicht durchdringen. Du mußt noch eine Weile warten, bis ich ihm die Bootschaft schicken kann.«

»Wie lange wird es dauern, bis wir ihn erreichen?«

»Ungefähr vierzig Stunden. Ich habe bis auf tausend Meilen pro Sekunde beschleunigt. Bei dieser Geschwindigkeit benötigen wir mehr als fünf g, damit wir den Kurs halten können.«

»Wir können bis zu dreißig g vertragen. Du bist wieder einmal übervorsichtig.«

»Ich nehme deine Meinung zur Kenntnis.«

»Aber meine Befehle scheinst du kaum zur Kenntnis nehmen zu wollen«, erwiderte Louis heftig.

25. Die Saat des Imperiums

Über der gewölbten Kabinendecke raste die Unterseite der Ringwelt vorbei.

Das war kein großartiger Anblick, nicht aus einer Entfernung von dreißigtausend Meilen und bei einer Geschwindigkeit von tausend Meilen pro Sekunde, zumal die Unterseite der Ringwelt mit einer Schaum-Schutzschicht überzogen war. Der Junge schlief schließlich auf dem orangefarbenen Fell des Wasserbettes ein. Louis starrte zur Unterseite der Ringwelt hinauf. Er hätte sonst zwischen seinen Schlafplatten schweben und sich das Hirn zermartern müssen, ob er sie nicht alle zum Untergang verurteilt hatte.

Endlich sagte der Hinterste zu der Städtebauer-Bibliothekarin: »Es reicht.«

Louis wandte den Blick von der geschäumten Unterseite der Ringwelt ab.

Harkabeeparolyn massierte sich den Hals. Sie sah zu, wie der Hinterste vier gestohlene Lesespulen durch die Lesemaschine jagte.

Diesmal dauerte es nur ein paar Minuten. »Jetzt ist es nur noch ein reines Computerproblem«, erklärte der Puppetier. »Ich habe die Fragen einprogrammiert. Wenn der Computer die Antworten in den Lesebändern findet, erfahren wir sie spätestens in zwei Stunden. Louis, was ist, wenn uns die Antworten nicht gefallen?«

»Ich möchte erst die Fragen hören.«

»Gibt es historische Nachweise von Reparaturarbeiten auf der Ringwelt? Falls ja, stammten die Maschinen für die Reparaturarbeiten aus einer einzigen Quelle? Fallen die Reparaturarbeiten an bestimmten Orten häufiger an? Ist ein bestimmter Bereich der Ringwelt besser erhalten als die übrigen Bereiche des Artefakten? Ziehe alle Textstellen heraus, die sich auf Pak-Protektoren oder ähnliche Wesen beziehen. Ändert sich Stil und Aussehen von Rüstungen mit der Entfernung von einem zentralen Punkt? Welche magnetischen Eigenschaften hat der Ringweltboden und das Scrith-Material im allgemeinen?«

»Gut.«

»Habe ich etwas ausgelasen?«

».Ja. Wir wollen den vermutlichen Ursprung der Unsterblichkeitsdroge finden. Wahrscheinlich ist es der Große Ozean, aber fragen wir trotzdem den Computer.«

»Okay. Warum der Große Ozean?«

»Oh, zum einen, weil er so auffällig ist. Und zweitens, weil wir nur ein einziges überlebendes Resultat der Unsterblichkeitsdroge fanden, nämlich Halrloprillalar. Wir fanden sie in der Nachbarschaft des Großen Ozeans.« Und drittens, weil wir dort notlandeten, dachte Louis. Das Glück von Teela Brown beeinflußt die Gesetze der Wahrscheinlichkeit. Teelas Glück kann Uns schon beim erstenmal direkt zum Reparaturzentrum gebracht haben, nur wußten wir das nicht. »Harkabeeparolyn? Meinst du, daß wir etwas vergessen haben?«

Ihre Stimme klang heiser: »Ich begreife überhaupt nicht, was ihr beide miteinander besprecht.«

Wie sollte er ihr das erklären? »Unsere Maschine kann alles im Gedächtnis behalten, was auf deinen Lesebändem steht. Wir befehlen ihr, in ihrem Gedächtnis die Antworten auf bestimmte Fragen zu suchen.«

»Fragt die Maschine, wie wir die Ringwelt retten können.«

»So allgemein dürfen wir diese Frage nicht stellen. Die Maschine kann sich zwar erinnern, vergleichen und zusammenrechnen; aber sie kann nicht selbständig denken. Dafür ist sie nicht groß genug.«

Die Bibliothekarin schüttelte den Kopf.

»Und wenn die Antworten, die wir bekommen, falsch sind?« sagte der Hinterste. »Wir können nicht mehr von dieser Welt fliehen.«

»Dann werden wir einen anderen Ausweg suchen.«

»Ich habe darüber nachgedacht. Wir müssen in eine polare Umlaufbahn um die Sonne fliegen, um das Risiko, von einem Fragment der explodierenden Ringwelt getroffen zu werden, auf ein Minimum zu beschränken. Ich werde die Heiße Nadel im Stasisfeld einbetten und dann auf Rettung warten. Die Möglichkeit, daß wir gerettet werden, ist natürlich außerordentlich gering. Aber immerhin ist diese Chance besser als das, was uns jetzt droht.«

Es konnte sein, daß sie diese Anregung des Hintersten aufgreifen mußten, dachte Louis. »Schön. Wir haben immerhin noch zwei Jahre Zeit, etwas Besseres zu finden.«

»Weniger als das. Wenn.«

»Halt deine Schnäbel.«


Die erschöpfte Bibliothekarin ließ sich auf das Wasserbett fallen. Das imitierte Kzin-Fell bewegte sich wellenartig unter ihr. Sie blieb einen Moment ganz steif liegen und bewegte sich dann vorsichtig auf den Rücken. Das Fell begann wieder zu schwanken. Endlich gab sie ihren Widerstand auf und ließ sich von den Wellen des Wasserbettes tragen. Kawaresksenjajok murmelte etwas im Halbschlaf und drehte sich dann auf die andere Seite.

Die Bibliothekarin sah außerordentlich attraktiv aus. Louis unterdrückte den Impuls, sich zu ihr auf das Wasserbett zu legen. »Wie fühlst du dich?«

»Furchtbar müde. Und niedergeschlagen. Werde ich in meinem Leben noch einmal meine Heimat sehen? Wenn das Ende kommt — wenn es kommt — würde ich es gerne auf dem Dach der Bibliothek erwarten. Aber die Blumen werden bis dahin längst verbrannt sein, nicht wahr? Entweder verbrannt oder erfroren.«

»Ja.« Louis war gerührt. Ganz bestimmt würde er seine Heimat nie wiedersehen. »Ich werde versuchen, dich in die Stadt zurückzubringen. Aber jetzt brauchst du unbedingt deinen Schlaf. Und eine Rückenmassage.«

»Nein.«

Seltsam. Gehörte Harkabeeparolyn nicht zu den Städtebauern, zu Halrloprillalars Artgenossen, die vor allem mit ihrem Sex-Appeal die Ringwelt beherrscht hatten? Manchmal war es nicht einfach, sich daran zu erinnern, daß die Individuen einer fremden Rasse auch so verschieden ausfallen konnten wie bei den Menschen.

Er sagte: »Mir scheint, daß die Angehörigen des Bibliotheks-Clans sich eher wie Priester, denn als Wissenschaftler gebärdeten. Habt ihr ein Gelübde der Enthaltsamkeit abgelegt?«

»Während wir in der Bibliothek arbeiten, gilt für uns das Gebot der Enthaltsamkeit. Aber ich habe mich freiwillig für die Enthaltsamkeit entschlossen.« Sie stemmte sich auf einem Ellenbogen hoch, um ihn ansehen zu können. »Wir lernen in der Schule, daß alle anderen Spezies sich darum reißen, Rishathra mit den Städtebauern zu treiben. Gilt das auch für dich?«

Er gab es zu.

»Ich hoffe, du kannst dich beherrschen.«

Er seufzte. »Oh, tanj, ja. Ich bin tausend Falans alt. Ich hatte genug Zeit, zu lernen, wie ich mich von solchen Dingen ablenken kann.«

»Wie?«

»In der Regel suche ich mir eine andere Frau.«

Die Bibliothekarin lachte nicht über seine Antwort. »Und wenn eine andere Frau nicht verfügbar ist?«

»Oh. dann treibe ich Leibesübungen bis zur Erschöpfung. Ich betrinke mich mit dem Zeug, das ihr ›Treibstoff‹ nennt. Gehe auf eine Sabbats-Reise, fliege in einem Ein-Mann-Raumschiff in den interstellaren Raum. Oder ich suche mir irgendein anderes Vergnügen, das mich zerstreut. So ein Vergnügen kann sogar die Arbeit sein.«

»Du solltest dich nicht betrinken«, sagte sie, und damit hatte sie vollkommen recht. »Was für eine Zerstreuung stünde dir sonst noch offen?«

Der Wonnestrom-Stecker! Ein kleiner Stromstoß, und es würde ihm egal sein, ob sich Harkabeeparolyn vor seinen Augen in grünen Schleim verwandelte. Warum sollte es ihn jetzt stören, wenn das geschah? Er bewunderte sie nicht. nun, vielleicht doch, eine winzige Kleinigkeit. Aber sie hatte ihre Heldenrolle bereits ausgespielt. Er konnte die Ringwelt retten oder untergehen sehen, ohne daß es ihrer weiteren Hilfe bedurfte.

»Trotzdem wirst du deine Massage bekommen«, sagte er. Er machte absichtlich einen weiten Bogen um sie herum, ehe er einen Hebel an der Schalttafel des Wasserbettes umlegte. Harkabeeparolyn sah ihn überrascht an, lächelte dann und legte sich entspannt zurück, als die sonaren Vibrationen in ihrer wassergefüllten Unterlage sich auf ihren Körper übertrugen. In ein paar Minuten war sie eingeschlafen. Er stellte die Zeituhr so ein, daß die Massage in zwanzig Minuten aufhörte.

Dann brütete er vor sich hin.

Wenn er nicht ein Jahr mit Halrloprillalar verbracht hätte, würde er Harkabeeparolyn mit ihrem Kahlkopf, der platten kleinen Nase und den Messerrücken-Lippen bestimmt nicht attraktiv gefunden haben. Ganz im Gegenteil. Aber er hatte nun einmal ein Jahr mit Halrloprillalar zusammengelebt.

Er hatte dort Haare, wo kein Städtebauer behaart war. Lag es daran? Oder an dem Geruch seiner Mahlzeiten und seines Atems? Oder an einem sozialen Signal, von dem er keine Kenntnis hatte?

Ein Mann, der ein Puppetier-Raumschiff in seine Gewalt gebracht hatte, sein Leben auf die Chance setzte, daß er Billiarden andere Lebewesen retten konnte, der das non plus ultra aller Drogensüchte überwunden hatte, sollte sich doch nicht von so einer Lächerlichkeit aus dem Konzept bringen lassen, daß er auf eine attraktive Zimmergenossin scharf war. Er brauchte sich doch nur ein paar Minuten an den Wonnestrom zu hängen, um zu erkennen, wie lächerlich seine Leidenschaft für dieses Wesen war.

Ja.

Louis ging bis zur Wand, die ihn vom Kommandostand trennte: »Hinterster!«

Der Puppetier trottete aus seiner Kabine ins Blickfeld.

»Ich möchte alle Aufzeichnungen über die Pak-Protektoren haben. Die Interviews und medizinischen Gutachten von Jack Brennan, die Forschungsberichte von der Obduktion des Pak-Leichnams — alles, was du an Unterlagen hast.«

Er würde es mit der Arbeit versuchen.


Louis Wu verharrte im schwebenden Zustand zwischen den Schlafplatten in der Lotusstellung. Sein Gewand bauschte sich schwerelos um seinen Körper. Auf dem Schirm, der bewegungslos vor dem durchsichtigen Rumpf der Heißen Nadel verharrte, hielt ein längst verstorbener Mann eine Vorlesung über die Ursprünge der Menschheit.

»Protektoren verfügen über einen sehr kleinen Spielraum des freien Willens«, erklärte er gerade. »Wir sind zu intelligent, um nicht auf Anhieb die richtigen Lösungen zu erkennen. Außerdem gibt es ja noch Instinkte. Wenn ein Pak-Protektor keine lebenden Nachkommen hat, stirbt er in der Regel. Er hört einfach auf zu essen. Manche Protektoren können sich auf ein Ideal einstellen und finden dann einen Weg, ihrer ganzen Rasse einen Dienst zu leisten. Und das erhält sie am Leben. Ich glaube, das fiel mir leichter als Phssthpok.«

»Welches Ideal haben Sie gefunden? Was für einen Grund hatten Sie, die Nahrung nicht zu verweigern?«

»Ich wollte Sie vor den Pak-Protektoren warnen.«

Louis nickte zustimmend. Er erinnerte sich an die Autopsiedaten der Protektoren-Leiche. Phsthpoks Gehirn war viel größer gewesen als das eines Menschen, aber die Schwellungen hatten nicht die vorderen Gehirnlappen eingeschlossen. Jack Brennans Schädel sah aus, als wäre er in der Mitte eingedrückt, weil sich die Stirn beim Menschen anders entwickelte und der hintere Teil der Schädelpartie sich nach oben wölbte wie ein Ballon.

Brennans Haut hatte eine stark gefurchte lederartige Konsistenz angenommen. Seine Gelenke waren abnorm geschwollen. Seine Lippen und Gaumen hatten sich zu einem harten Schnabel vereinigt. Doch das alles schien den so dramatisch veränderten Minenunternehmer kaum zu stören.

»Alle Symptome des Alterungsprozesses gehören zu den Resterscheinungen der Metamorphose vom Brüter zum Protektor«, berichtete er einem schon lange toten ARMUntersuchungsrichter. »Die Haut wird dicker und wirft Falten. Sie muß sich so verwandeln, damit sie hart wird wie ein Panzer, von dem ein Messer abprallt. Man verliert auch die Zähne, damit Platz wird für den Härtungsprozeß des Gaumens. Das Herz kann in seiner Leistung nachlassen, denn bei der Metamorphose wächst ja ein zweites Zwei-Kammern-Herz in der Lendengegend nach.«

Brennans Stimme klang wie eine Raspel: »Die Gelenke dehnen sich aus, um eine größere Fläche für die Muskeln zu bieten und die Glieder mit größerer Hebekraft auszustatten. Damit wächst auch die physische Kraft des Protektors. Aber das alles funktioniert nicht reibungslos ohne die Lebensbaum-Pflanze, und seit drei Millionen Jahren ist auf der Erde kein Lebensbaum mehr gewachsen.«

Louis zuckte zusammen, als ihn etwas am Ärmel zupfte. »Luweewu? Ich habe Hunger.«

»Okay.« Das Studieren der Bänder hatte ihn sowieso schon ermüdet. Zudem kamen keine neuen Erkenntnisse heraus.

Harkabeeparolyn schlief noch. Der Geruch des unter dem Laserkegel kochenden Fleisches weckte sie. Louis wählte ein paar Früchte und gekochtes Gemüse für die beiden und zeigte ihnen dann, wo sie die Speisen, die sie nicht mochten, wieder hineinwerfen mußten.

Er nahm seine Mahlzeit hinüber in dem Laderaum.

Ihm war es unangenehm, daß das Schicksal anderer von ihm abhing, obwohl die Abhängigkeit seine Schuld war. Aber er konnte ihnen nicht einmal beibringen, sich selbst ihr Essen zu wählen. Die Tasten waren in Interworld und der Sprache des Kzin beschriftet.

Gab es wenigstens eine Beschäftigungstherapie für die beiden? Morgen. Bis dahin würde ihm etwas einfallen.


Inzwischen wurde auch der Computer produktiv und spuckte die Antworten auf die gestellten Fragen aus. Der Hinterste war mit der Auswertung beschäftigt. Als Louis den Puppetier einen Moment von der Arbeit ablenken konnte, bat er ihn um die Aufzeichnung von Chmeees Invasion in der Burg.

Die Burg lag auf der Spitze eines Felsens. Herden schweineähnlicher Tiere, die gelb und orange gestreift waren, weideten das fahle Gras im Tal unter dem Felsen ab. Das Landungsboot umkreiste die Burg und landete dann in einem Schauer von Pfeilen im Burghof.

Ein paar Minuten lang geschah gar nichts.

Dann schossen orangefarbene Blitze aus den gewölbten Torwegen der Burg heraus. Sie bewegten sich viel zu schnell, als daß man zu erkennen vermochte, wie sie aussahen.

Dann lagen sie flach wie Teppiche unter dem Rumpf des Landungsbootes, primitive Waffen in ihren Pranken. Das waren Kzinti, aber sie schienen irgendwie verzerrt zu sein. In einer Viertelmillion Jahre hatten sie sich ganz anders entwickelt.

Harkabeeparolyn sagte hinter Louis' Schulter: »Sind das die Artgenossen deines Freundes?«

»Sie sind ihm sehr ähnlich. Nur scheinen sie etwas kleiner und ein wenig dunkler gefärbt zu sein. Auch der Unterkiefer kommt mir kräftiger vor.«

»Er ließ dich im Stich. Warum zahlst du ihm das nicht mit gleicher Münze heim?«

Louis lachte. »Weshalb? Damit du ein eigenes Bett hast? Wir befanden uns in Lebensgefahr, als ich mich von einem Vampir verführen ließ. Das war für ihn eine schreckliche Enttäuschung. Chmeee ist der Auffassung, daß ich ihn im Stich gelassen habe.«

»Kein Mann und keine Frau können einem Vampir widerstehen.«

»Chmeee ist kein Mensch. Er würde weder mit einem Vampir noch mit einem menschenähnlichen Wesen Rishathra treiben.«

Noch mehr Tigerwesen kamen jetzt aus der Burg heraus, um sich unter dem Landungsboot auf die Lauer zu legen. Zwei von ihnen trugen einen mit Rost überzogenen Metallzylinder. Ein Dutzend Katzen krochen zum Eck des Landungsbootes.

Der Zylinder löste sich in einer gelbweißen Stichflamme auf. Das Landungsboot glitt zwei Meter zur Seite. Die Kzinti warteten und krochen dann zu der Stelle zurück, wo der Zylinder gestanden hatte, um das Ergebnis nachzuprüfen.

Harkabeeparolyn schauerte zusammen. »Diese Wesen sehen aus, als hätten sie Lust auf mein Fleisch, nicht auf Rishathra.«

Louis erwiderte gereizt: »Möglich. Aber ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, als Chmeee fast starb vor Hunger, und er versuchte nie, mich anzurühren. Hattet ihr denn keine Fleischfresser in eurer Stadt?«

»Ja, die hatten wir.«

»Und in der Bibliothek?«

Zunächst dachte er, sie wollte ihm nicht antworten. (Mit Pelz bedeckte Gesichter zeigten sich an vielen Fensterschlitzen. Die Explosion hatte dem Landungsboot keinen sichtbaren Schaden zugefügt.) Dann sagte sie: »Ich war eine Weile lang ein Mitglied des Panth-Clans.« Sie wich seinem Blick aus.

Einen Moment lang verstand er nicht. Dann fiel es ihm wieder ein: Das Panth-Gebäude. Gebaut wie eine Zwiebel, deren Spitze nach unten wies. Die Reparaturarbeiten am Wasserkondensator. Der Anführer des Clans wollte ihm den Lohn mit Sex bezahlen. Geruch von Vampiren in den Korridoren.

»Hattest du Rishathra mit Fleischessern?«

»Mit Hirten, dem Gras-Volk, den Hängeleuten und dem Nacht-Volk. Das vergißt man nicht so rasch.«

Louis schwieg eine Weile. »Auch mit den Nacht-Wesen? Kobolden?«

»Die Nacht-Wesen sind für uns sehr wichtig. Sie sind Meldegänger für die Stadt und für die Maschinen-Leute. Sie halten den Rest der Zivilisation zusammen, und deshalb müssen wir uns mit ihnen gut stellen.«

»Aha.«

»Aber dann. Luweewu, die Nachtjäger haben einen sehr empfindlichen Geruchssinn. Sie flüchten sofort, wenn sie einen Vampir wittern. Man befahl mir, mit einem Nachtjäger Rishathra zu treiben. Aber ich durfte mich nicht mit dem Vampir-Parfüm bestäuben. Also bat ich um meine Versetzung in die Bibliothek.«

Louis dachte an seine Begegnung mit Mär Korssil. »Sie wirkten nicht abstoßend auf mich.«

»Aber wenn man Rishathm mit ihnen treibt, ist das eine andere Sache. Wer keine Eltern hat, muß eine Gesellschaftssteuer bezahlen, ehe er sich paaren und einen Haushalt errichten kann. Ich verlor mein Steuerguthaben, als ich mich versetzen ließ. Und die Versetzung ließ auch eine Weile auf sich warten.« Sie sah ihm jetzt wieder in die Augen. »Es war nicht sehr angenehm. Doch andere Begegnungen waren auch nicht besser. Sobald die Wirkung des Vampir-Parfüms nachläßt, wird die Erinnerung zu einem Alptraum. Die Gerüche, das Blut an den Lippen eines Nachtjägers, der Aasgeruch der Nachtwesen — all das bleibt im Gedächtnis haften.«

»Aber du bist jetzt weit entfernt vom Gebäude des Panth-Clans«, sagte Louis.

Die Tigerwesen unter dem Landungsboot versuchten aufzustehen. Sie taumelten. Dann lagen sie alle schlafend auf der Erde. Zehn Minuten später öffnete sich die Luftschleuse. Chmeee stieg das Fallreep hinunter, um die Burg seinem Willen zu unterwerfen.


Es dauerte sehr lange, bis der Hinterste wieder auf dem Flugdeck erschien. Er sah müde und ungekämmt aus. »Offenbar hattest du mit deiner Vermutung recht«, sagte er. »Der Scrith enthält nicht nur ein magnetisches Feld, sondern die gesamte Ringwelt-Struktur ist mit Superleiter-Kabeln durchzogen.«

»Das ist eine gute Nachricht«, erwiderte Louis. Ihm schien ein Stein vom Herzen zu fallen. »Das ist großartig! Aber woher konnten die Städtebauer das wissen? Ich traue ihnen nicht zu, daß sie das Scrith-Matenal aufbohrten, um nach Superleitern zu suchen.«

»Nein. Sie stellten Magnete für Kompasse her. Damit spürten sie das Netzwerk der Superleiter im Ringweltboden auf, das in einem hexagonalen Muster verlegt ist, dessen Durchmesser fünfzigtausend Meilen beträgt. Das half ihnen, Karten der Ringwelt herzustellen. Aber Jahrhunderte vergingen, ehe die Städtebauer so viel Physik beherrschten, um die Ursache dieser Magnetlinien zu erkennen. Diese Erkenntnis führte dann bei ihnen zur Entwicklung eigener Superleiter.«

»Die Bakterien, die ihr auf dem Artefakten ausgesät habt.«

»Sie können nicht an das Superleiter-Netz heran, das im Scrith vergraben ist. Ich weiß natürlich, daß der Boden der Ringwelt nicht immun ist gegen Meteoriten bestimmter Größe. Wir können nur hoffen, daß die Meteoreinschläge das Superleiter-Netz nicht zerstörten.«

»Die Chance, daß das Netz heil geblieben ist, besteht durchaus.«

Der Puppetier dachte eine Weile nach und sagte dann: »Louis, suchen wir immer noch das Geheimnis der Materie-Umwandlung?«

»Nein.«

»Aber das wäre die Lösung für alle unsere Probleme«, erwiderte der Hinterste. »Der Materie-Umwandler muß gigantische Ausmaße gehabt haben. Es ist viel leichter, Materie in Energie zu verwandeln, als Materie in andere Materie. Nehmen wir an, wir feuern unter der Ringwelt an einem Punkt, der am weitesten von ihrer Sonne entfernt ist, eine Materie-Umwandlungs-Kanone ab, wie ich das Gerät bezeichnen möchte. Die Reaktion dieser Entladung würde die Ringwelt wieder in ihre ursprüngliche Lage versetzen. Selbstverständlich würde das nicht ganz problemlos ablaufen. Die Schockwelle würde viele Eingeborene töten, aber viele würden auch am Leben bleiben. Die Schutzschicht aus Scrith-Schaum, die dabei verbrennen würde, könnte später wieder aufgetragen werden. Warum lachst du?« »Du bist ein brillanter Denker. Nur hat das Ganze einen Haken. Wir haben keinen Grund anzunehmen, daß eine Materie-Umwandlungskanone jemals auf der Ringwelt existierte.«

»Ich kann dir nicht ganz folgen.«

»Halrloprillalar hat Nessus einen Bären aufgebunden. Sie beichtete uns das später. Und woher wollte sie denn wissen, auf welche Weise die Ringwelt entstanden war? Ihre Vorfahren waren noch primitive Affen, als der Artefakt erschaffen wurde.« Louis sah, wie der Puppetier seine Köpfe einzog und rief: »Ich möchte jetzt keine hysterischen Anwandlungen erleben! Dafür haben wir keine Zeit.«

»Aye, aye.«

»Was hast du noch herausgefunden?«

»Wenig genug. Die Analyse des Scrith ist noch nicht vollständig. Und mit dem Märchen von dem Großen Ozean kann ich nichts anfangen. Damit mußt du dich befassen.«

»Morgen.«


Geräusche, die zu leise waren, um einen Sinn zu ergeben, hielten ihn wach. Louis drehte sich im Dunkeln und im freien Fall um.

Das Licht reichte aus, daß er das Wasserbett sehen konnte. Kawaresksenjajok und Harkabeeparolyn lagen sich in den Armen und flüsterten sich gegenseitig etwas ins Ohr. Louis' Übersetzer vermochte das Flüstern nicht aufzufangen. Aber für ihn klang es wie Liebesgestammel. Als Louis einen jähen Stich von Eifersucht verspürte, mußte er über sich selbst lächeln. Er hatte geglaubt, der Junge wäre noch zu jung dazu. Er hatte geglaubt, die Frau hätte dem Sex abgeschworen. Aber Rishathra war Sex nicht gleichzusetzen. Und sie gehörten der gleichen Rasse an.

Louis drehte ihnen den Rücken zu und schloß die Augen. Er erwartete, eine rhythmische Wellentätigkeit zu vernehmen. Doch so ein Geräusch kam nicht. Und endlich schlief er ein.

Er träumte, er befand sich auf einem Sabbat-Flug.

Er stürzte, stürzte zwischen die Sterne. Wenn die Welt ihm zu bunt wurde, zu bedrückend, nicht mehr zu verkraften, weil sie ihn zu überwältigen drohte, war die Zeit gekommen, alle Welten hinter sich zu lassen. Louis hatte das schon mehrmals getan. Allein in einem kleinen Raumschiff war er in die unerforschten Lücken zwischen den bekannten Universen vorgestoßen, um zu schauen, was es dort zu sehen gab, und um zu erforschen, ob er sich noch selbst liebte. Nun schwebte Louis zwischen den Schlafplatten und träumte von dem Glücksgefühl, zwischen die Sterne zu fallen. Er hatte keine Verpflichtungen und keine Abhängigen, für die er sorgen mußte.

Und dann schrie eine Frau in panischem Entsetzen direkt neben seinem Ohr. Eine Ferse traf ihn heftig unter den losen Rippen, und Louis knickte mit einem hauchenden Schrei zusammen. Wild geschwungene Arme trafen ihn und schlossen sich dann mit einem Würgegriff um seinen Hals. Das Schreien hielt an.

Louis löste die Finger von seinem Hals. Er rief: »Schlaffeld aus!«

Die Schwerkraft kam wieder. Louis und sein Angreifer sanken auf die untere Platte hinunter. Harkabeeparolyn hörte auf zu schreien. Sie wehrte sich auch nicht, als er ihre Arme von seinen Schultern schob.

Der junge Karwaresksenjajok kniete neben ihr, erschrocken und verwirrt zugleich. Er redete in der Sprache der Städtebauer beschwörend auf sie ein. Die Frau fauchte ihn an.

Der Junge bestürmte sie mit Fragen. Endlich gab ihm Harkabeeparolyn Antwort. Der Junge nickte widerstrebend. Was sie ihm auch gesagt haben mochte, es gefiel ihm nicht. Er trat in eine Ecke, schickte Louis noch einen Blick zu, den er nicht zu deuten wußte, und verschwand im Laderaum.

Louis schaltete sein Ubersetzerkästchen ein: »Okay? Was ist hier eigentlich los?«

»Ich stürzte!« sagte sie schluchzend.

»Das ist kein Grund, ängstlich zu sein oder sich aufzuregen«, sagte Louis. »Es ist ein Zustand, in dem viele von uns gerne schlafen.«

Sie sah ihm ins Gesicht: »Schlafen im Fallen?«

»Ja.«

Ihr Gesichtsausdruck ließ sich jetzt mühelos deuten. Verrückt. Vollkommen verrückt... und dann ein Achselzucken. Sie nahm sich zusammen, als sie sagte: »Es ist mir bewußt, daß ich nun nicht mehr von Nutzen sein kann, weil deine Maschine viel schneller lesen kann als ich. Es gibt nur noch eine Möglichkeit, dir deine Mission zu erleichtem, indem ich dir den Schmerz über den Verzicht auf geschlechtliche Befriedigung beseitige.« »Das ist aber eine große Erleichterung«, erwiderte Louis. Es sollte sarkastisch klingen; aber würde sie das aus der Übersetzung heraushören? Louis hätte sich lieber auf die Zunge gebissen, als diese Art von Wohltätigkeit anzunehmen.

»Wenn du dich badest und gründlich deinen Mund säuberst.«

»Spar dir deinen Atem. Daß du dein Wohlbefinden höheren Zwecken opfern willst, ist anerkennenswert; aber es wäre ein Zeichen von schlechter Erziehung, wenn ich dieses Opfer annehmen würde.«

Sie sah verwirrt aus. »Luweewu? Möchtest du nicht Rishathra mit mir treiben?«

»Vielen Dank, nein. Schlaffeld an.« Louis schwebte von ihr weg. Aus Erfahrung hatte er Anlaß zu befürchten, es würde jetzt zu einer Schimpfkanonade kommen, aber das ließ sich nicht ändern. Falls sie Gewalt anwendete, würde sie sich im freien Fall befinden.

Aber sie überraschte ihn, indem sie sagte: »Luweewu, es wäre schrecklich für mich, wenn ich jetzt ein Kind empfange.«

Er blickte auf ihr Gesicht hinunter: es war nicht wütend, sondern sehr ernst. Sie sagte: »Wenn ich mich jetzt mit Kawaresksenjajok verbände, brächte ein Baby zur Welt, das im Inferno einer verglühenden Sonne sterben muß.«

»Dann empfange eben kein Kind. Er ist sowieso viel zu jung dazu.«

»Nein, das ist er nicht.«

»Oh! Nun. Hast du denn keine. nein, das würdest du nicht haben. Verhütungsmittel, meine ich. Nun, kannst du denn nicht deine empfangsbereiten Tage ausrechnen und in diesen Tagen jeden Geschlechtsverkehr meiden?«

»Ich verstehe dich nicht. Nein, warte, ich verstehe «dich doch. Luweewu, unsere Rasse beherrschte den größten Teil dieser Welt, weil wir alle Variationen und. Nuancen von Rishathra beherrschten. Aber weißt du auch, warum wir uns so gründlich mit Rishathra auseinandersetzten?«

»Es machte vermutlich Spaß, oder etwa nicht?«

»Luweewu, manche Spezies sind einfach viel fruchtbarer als andere.«

»Aha.«

»Schon in vorgeschichtlichen Zeiten erkannten wir, daß Rishathra eine Methode ist, Nachkommenschaft zu vermeiden. Wenn wir uns paaren, kommt vier Falans später promt ein Kind zur Welt. Luweewu, kann diese Welt gerettet werden? Weißt du, daß diese Welt gerettet werden kann?«

Oh, am liebsten wäre er jetzt auf einem Sabbat-Flug gewesen allein in einem Ein-Mann-Raumschiff, Lichtjahre von allen Verpflichtungen entfernt, nur mit Louis Wu beschäftigt. Oh, wie schön wäre jetzt ein Wonnestrom-Stecker gewesen. »Ich kann für nichts garantieren.«

»Dann treibe bitte Rishathra mit mir, damit ich nicht an Kawaresksenjajok denken muß!«

Das war nicht gerade ein schmeichelhafter Antrag, für Louis Wus noch junges Leben. Er fragte: »Wie können wir denn seine Gedanken ablenken?«

»Ich weiß es nicht. Wohl kaum. Der arme Junge, er muß leiden.«

Dann könnt ihr beide leiden, dachte Louis. Aber er brachte den Satz nicht über die Lippen. Die Frau spielte ihm kein Theater vor. Sie meinte es todernst. Sie litt, und sie hatte recht. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, ein Städtebauer-Baby auf die Welt zu bringen.

Und er begehrte sie.

Er kletterte aus seinem freien Fall und nahm sie auf dem Wasserbett. Er war froh darüber, daß Kawaresksenjajok sich in den Laderaum zurückgezogen hatte. Was wollte er dem Jungen am nächsten Morgen sagen?

26. Unter dem Meer

Louis erwachte im Zustand der Schwerkraft, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, einem angenehmen Schwächegefühl in jedem Muskel und schwarzen Ringen unter den Augen. Er hatte in der vergangenen Nacht kaum geschlafen. Harkabeeparolyn hatte ihre Nöte nicht übertrieben. Er hatte nicht gewußt (obwohl er ein Jahr mit Halrloprillalar zusammengelebt hatte), daß Städtebauer-Frauen regelrechte Brunftzeiten hatten.

Er drehte sich zur Seite, und das breite Bett begann unter ihm zu schwanken. Ein Körper rollte gegen seine Hüfte: Kawaresksenjajok, der leise schnarchte und Arme und Beine von sich streckte wie ein Seestern.

Harkabeeparolyn hatte sich am Fuß des Bettes in orangefarbenen Pelz eingewickelt, bewegte sich jetzt und setzte sich auf. Sie sagte, als müßte sie sich dafür entschuldigen, daß sie ihn allein gelassen hatte: »Ich wachte immer wieder auf und wußte nicht, wo ich war. Das Bett schaukelte so heftig unter mir.«

Kulturschock, dachte er. Er erinnerte sich wieder daran, daß Halrloprillalar die Schlafplatten bevorzugte — aber nicht zum Schlafen. »Der Boden ist breit genug. Wie geht es dir heute?«

»Viel besser. Im Augenblick wenigstens. Vielen Dank.«

»Ich danke dir. Hast du Hunger?«

»Noch nicht.«

Er turnte. Seine Muskeln waren immer noch hart. Er war eben aus der Übung. Die Städtebauer sahen ihm mit ratlosem Gesicht bei seinen Freiübungen zu. Anschließend wählte er sein Frühstück: Wassermelone, Crepes Suzette mit Grand Marnier, Brötchen und Kaffee. Seine Gäste wiesen, wie zu erwarten, den Kaffee zurück und auch die Brötchen.

Als der Hinterste aus seinem Quartier erschien, sah er zerknittert und erschöpft aus. »Die Formeln, die wir suchten, sind in den Unterlagen der fliegenden Stadt nicht zu finden«, sagte er. »Alle Rassen der Ringwelt bauten sich Rüstungen in der Form eines Pak-Protektors. Die Rüstungen sind nicht überall gleich; aber im Stil halten sie sich im allgemeinen an das Grundmuster. Vielleicht ist die Verbreitung der Städtebauer-Kultur über die ganze Ringwelt daran schuld. In ihrem Imperium wurden alle Ideen und Erfindungen so miteinander vermischt, daß wir sie jetzt, nicht mehr bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen können.«

»Und wie steht es mit der Unsterblichkeitsdroge?«

»Da hattest du recht. Der Große Ozean wird als Quelle aller Schrecken, Wunder und Freude betrachtet, wozu auch die Unsterblichkeit gehört. Das Geschenk der Unsterblichkeit erscheint nicht immer als Droge. Manchmal ist es sogar ein unerwünschtes Geschenk, das launische Götter den Sterblichen aufdrängen. Louis, diese Märchen ergeben für mich, einem nichtmenschlichen Wesen, keinen Sinn.«

»Dann stelle den Computer so um, daß ich das Leseband auswerten kann. Ich werde auch unsere Gäste einladen, die Computerauswerrungen zu beobachten. Vielleicht können sie eine Erklärung für offene Fragen finden, wenn ich nicht weiter weiß.« »Aye, aye.«

»Und wie steht es mit den Reparaturen?«

»Seit den ersten geschichtlichen Aufzeichnungen der Ringwelt haben keine Reparaturen mehr stattgefunden.«

»Das ist doch unmöglich!«

»Aber wie groß ist der Bereich, der in den Unterlagen der Städte belegt ist? Wie weit reicht ihre Geschichte zurück? Das Gebiet ist klein, die Zeit sehr kurz. Zudem habe ich auch die Verhör-Protokolle von Jack Brennan studiert. Daraus schloß ich, daß Protektoren sehr lange leben und auch nach langer Vorbereitungszeit sehr spät eingreifen. Sie verließen sich lieber auf ihre eigenen Initiative statt auf Automaten, die nach einem starren Programm ablaufen. Zum Beispiel fand man an Bord von Phssthpoks Raumschiff keinen Autopiloten.«

»Das ist nicht typisch. Schließlich ist das Baggersystem auf dem Meeresboden auch automatisch.«

»Aber das ist eine sehr primitive Automatik. Wir wissen nicht, weshalb die Protektoren ausstarben oder die Ringwelt verließen. Vermutlich wußten sie aber von ihrem Schicksal, und hatten vielleicht noch Zeit, das Baggersystem mit einer primitiven Automatik zu versehen. Louis, wir müssen das doch nicht alles aufklären.«

»Wirklich nicht? Auch das Meteor-Abwehrsystem ist vermutlich automatisch. Möchtest du denn nicht mehr über das Meteor-Abwehrsystem erfahren?«

»Das schon.«

»Und die Steuerdüsen waren automatisch. Vielleicht gab es daneben noch eine Handsteuerung, die nur von der Automatik für den Notfall ergänzt werden sollte. Aber tausend menschenähnliche Rassen haben sich seit dem Verschwinden der Pak-Protektoren auf der Ringwelt entwickelt, und die automatischen Einrichtungen funktionieren immer noch. Entweder waren die Protektoren von vorneherein entschlossen, ihre Welt zu verlassen. was ich nicht glauben kann.«

»Oder es dauerte sehr lange, bis sie starben«, setzte der Hinterste den Satz für ihn fort. »Dazu habe ich meine eigenen Theorien entwickelt.« Aber er wollte nicht mehr verraten.


Louis hatte einen unterhaltsamen Vormittag. Die Märchen vom Großen Ozean waren spannend. Die handelnden Personen waren Helden, Könige, Zauberer und furchtbare Ungeheuer. Die Geschichten handelten von wunderbaren Entdeckungen und großartigen Verwandlungen, und ihre Atmosphäre unterschied sich erheblich von den Märchenerzählungen der menschlichen Kultur. Liebe war in diesen Geschichten kein ewiger Zustand. Das Gefolge der Helden (oder Heldinnen) des Städtebauer-Sagenkreises gehörten stets dem anderen Geschlecht an. Der Bund, auf den sich ihr Treueverhältnis stützte, war ein märchenhaft beschriebener Vorgang des Rishathra, und die seltsamen Kräfte, die ihnen verliehen waren oder dank derer sie das Rishathra ausüben konnten, wurden als selbstverständlich vorausgesetzt. Zauberer waren nicht automatisch böse Wesen, sondern sporadisch auftretende Gefahren, denen man auswich, sie nicht bekämpfte.

Louis fand hier den kleinsten allgemeinen Nenner, nach dem er suchte. Der Hintergrund dieser Märchen war immer die Unendlichkeit des Meeres, der Schrecken der Stürme und die Ungeheuer, die dem Meer entstiegen.

Manche von ihnen waren Haifische, Killer-Wale, Gummidgy-Zerstörer, Wunderland-Schattenfische oder Fangtang-Dschungel. Manche dieser Wesen waren intelligent. Da gab es Seeschlangen, die viele Meilen lang waren, mit Nasenlöchern, aus denen Dampfwolken quollen (was auf Lungen hindeutete?). Ihre riesigen Mäuler waren mit scharfen Zähnen bestückt. Es gab ein Land, das jedes Schiff verbrannte, das sich seinem Gestade näherte, wobei stets ein Überlebender mit heiler Haut der tödlichen Gefahr entrann. (Echtes Märchen oder Sonnenblumen?) Da war von Inseln die Rede, die in Wirklichkeit Seeungeheuer von seßhafter Lebensweise darstellten, so daß sich eine ganze Ökologie auf dem Rücken dieser Monster entwickeln konnte, bis eine Schiffsladung von Matrosen das Monster aus der Ruhe brachte. Dann tauchte es gewöhnlich im Meer unter. Louis hätte dieses Märchen geglaubt, wenn er nicht schon als Kind in den Märchensammlungen der Erde ähnliche Geschichten gelesen hätte.

Er glaubte fest an die Mörderstürme. Über so gewaltige Entfernungen hin, wie man sie auf der Ringwelt vorfand, konnten sich schreckliche Stürme aufbauen, auch ohne den Corioliseffekt, der auf einer normalen Welt einen Hurrikan entstehen läßt. Auf der Weltkarte von Kzin hatte er ein Schiff entdeckt, das so groß war wie eine ganze Stadt. Vermutlich mußte man so ein großes Schiff bauen, wenn man den Stürmen auf dem Großen Ozean trotzen wollte.

Auch den mythologischen Figuren der Zauberer wollte er nicht ganz den Wahrheitscharakter absprechen. Sie entstammten offenbar (in den drei Märchen) der Rasse der Städtebauer. Doch im Unterschied zu den Zauberern der irdischen Märchen waren die Städtebauer-Zauberer mächtige Krieger. Und sie traten alle drei in Rüstungen auf.

»Kawaresksenjajok? Sind alle Zauberer gepanzerte Krieger?«

Der Junge sah ihn betroffen an. »Sprichst du jetzt von den Zauberern in unseren Märchen? Nein. Aber ich glaube, daß sie immer Rüstungen tragen, wenn sie sich in der Nähe des Großen Ozeans aufhalten. Warum?«

»Sind Zauberer immer zum Kampf bereit? Vollbringen sie kriegerische Heldentaten?«

»Das haben sie nicht nötig.« Die Frage schien den Jungen verlegen zu machen.

Harkabeeparolyn mischte sich ein: »Luweewu, vielleicht weiß ich besser über Kindermärchen Bescheid als Kawa. Worüber sollen dir die Märchen Aufklärung geben?«

»Ich suche nach der Heimat der Ringwelt-Ingenieure. Diese gepanzerten Zauberer können Ringwelt-Ingenieure gewesen sein, wenn die zeitliche Komponente stimmte. Aber die Märchen sind viel später entstanden.«

»Dann können es nicht Ringwelt-Ingenieure gewesen sein.«

»Aber was hat diese Märchen ausgelöst? Statuen? Mumien, die man im Wüstensand fand? Artspezifische Erinnerungen?«

Sie dachte über seine Fragen nach. »Zauberer gehören gewöhnlich der Gattung an, die das Märchen verfaßt hat. Die Beschreibungen der Zauberer sind unterschiedlich, was deren Größe, Gewicht und Nahrung anbelangt. Doch einen Zug haben sie alle gemeinsam. Sie sind furchtbare Krieger. Sie beziehen keinen festen moralischen Standpunkt. Sie sind unbesiegbar, und deshalb muß man ihnen ausweichen, statt sie herauszufordern.«


Wie ein Unterseeboot unter dem Polareis, so kreuzte die Heiße Nadel jetzt unter dem Großen Ozean.

Der Hinterste hatte die Geschwindigkeit des Schiffes stark herabgesetzt. Sie konnten das lange, reich geschwungene Band des Kontinentalblockes genau erkennen, dessen Küste jetzt hinter ihnen zurückblieb. Der Boden des Großen Ozeans, der sich darunter ausdehnte, war genauso reich gegliedert wie das Land: Berge, die hoch genug waren, daß sie über die Wasseroberfläche hinausragten; Tiefseegräben, die sich als Riffe von fünf oder sechs Meilen Höhe auf der Ringunterseite abhoben.

Was sich jetzt über ihnen befand — ein gekörntes Dach, selbst bei Licht und schwacher Vergrößerung noch stockdunkel, beängstigend nahe, obwohl es sich in Wirklichkeit noch dreitausend Meilen über dem Raumschiff befand —mußte die Weltkarte von Kzin sein. Der Computer behauptete, es wäre so. Kzin mußte noch tektonisch aktiv gewesen sein, als die Weltkarte hier in den Ringweltboden geschnitten worden war. Die Becken der Meere wölbten sich kräftig nach unten. Die Gebirgsketten waren scharfe, tiefe Kerben.

Louis vermochte von der Unterseite her nichts zu unterscheiden. Mit Schaumstoff verwischte Konturen sagten ihm nichts. Er mußte das Muster von Licht und Schatten vor sich haben und den gelborangefarbenen Dschungel. »Laßt die Kameras laufen. Bekommst du ein Signal vom Landungsboot?«

Der Hinterste, der auf seiner Bank vor der histrumentenkonsole saß, drehte einen Kopf nach hinten. »Nein, Louis, der Scrith blockiert alle Signale. Siehst du dort die fast kreisrunde Bucht, wo der breite Fluß im Meer mündet? Das Riesenschiff ist vor der Mündung dieser Bucht festgezurrt. Wenn man von dort aus in einer Diagonalen über die Weltkarte bis zu dem Y vorstößt, wo die beiden Flüsse sich vereinigen- dort ist das Schloß, wo das Landungsboot jetzt abgestellt ist.«

»Okay. Laß das Raumschiff ein paar tausend Meilen von der Ringwelt wegfallen. Und gib mir einen Überblick. oder einen Unterblick.«

Die Heiße Nadel entfernte sich von ihrem Dachrelief. Der Hinterste sagte: »Bist du nicht auch in der Lying Bastard auf der gleichen Route geflogen? Glaubst du, daß sich inzwischen hier etwas verändert hat?«

»Nein. Wirst du ungeduldig?«

»Natürlich nicht, Louis.«

»Ich weiß inzwischen mehr als damals. Vielleicht fallen mir diesmal Einzelheiten auf, die wir vor zwei Jahrzehnten nicht beachteten. Zum Beispiel — was ist das, was in der Nähe des Südpoles aus dem Ringboden herausragt?«

Der Hinterste gab ihm einen vergrößerten Ausschnitt des Daches. Ein langes, schmales, vollkommen schwarzes Dreieck mit gemusterter Oberfläche ragte senkrecht aus dem Zentrum der Weltkarte des Kzin heraus. »Eine Kühlrippe«, erklärte der Puppetier. »Die Antarktis, mußte selbstverständlich gekühlt werden.«

Die beiden Ringwelt-Gäste vermochten mit der übersetzten Erklärung nichts anzufangen. »Ich versteh das nicht«, sagte Harkabeeparolyn. »Ich dachte, ich wäre wissenschaftlich nicht ganz unbeschlagen, aber. was ist das?«

»Zu kompliziert. Hinterster.«

»Luweewu, ich bin weder ein Kind noch ein Idiot!«

Sie konnte nicht viel älter als vierzig sein, dachte Louis. »Also gut. Der Sinn des Ganzen besteht darin, eine Imitation eines Planeten herzustellen. Eines rotierenden Globus, verstehst du? Ein Ball, der sich dreht. Das Sonnenlicht fällt fast waagerecht auf die Pole eines rotierenden Balles, und deshalb sind diese Pole kalt. Folglich muß diese Imitation einer echten Welt an den Polen gekühlt werden. Hinterster, wir brauchen eine stärkere Vergrößerung von der Kühlrippe!«

Die Oberfläche der Rippe entpuppte sich jetzt als eine Ansammlung von unzähligen verstellbaren waagerechten Klappen, silberfarben auf der Oberfläche, schwarz an der Unterseite. Sommer und Winter, dachte er, und dabei sagte er zu sich selbst: »Ich kann es kaum glauben.«

»Luweewu?«

Er spreizte hilflos die Finger beider Hände. »Immer wieder komme ich ins Staunen. Ich weiß, ich habe es kapiert, mir mit allen Konsequenzen überlegt. Und dann ist es plötzlich viel zu groß für meinen Verstand. Viel, viel zu groß.«

Harkabeeparolyns Augen füllten sich mit Tränen. »Ich bin jetzt überzeugt. Meine Welt ist eine Imitation einer echten Welt.«

Louis legte seinen Arm um ihre Schultern. »Es ist eine echte Welt. Fühlst du das? Du bist genauso echt wie ich. Stampfe mit deinem Fuß auf. Die Welt ist so echt wie dieses Schiff. Nur viel größer. Unglaublich viel größer.«

Der Hinterste sagte: »Louis?«

Ein Rundblick mit dem Teleskop führte zur Entdeckung von noch mehr Kühlrippen, jedoch nicht so groß wie jene der Antarktis, an der Peripherie der Weltkarte. »Selbstverständlich müssen auch die arktischen Gebiete gekühlt werden.«

»Ja. Ich stehe in einer Minute wieder voll zur Verfügung. Fliege mit uns durch den Krater der ›Faust Gottes‹, aber lasse dir Zeit damit. Kann der Computer die genaue Lage orten?« »Ja. Aber könnte der Krater inzwischen nicht blockiert sein? Du sagtest, du hättest das Orkanauge nicht mehr entdecken können.«

»Es wäre gewiß nicht leicht, den Krater der ›Faust Gottes‹ zu verstopfen. Das Loch ist größer als Australien und hoch über der Atmosphäre.« Er rieb sich heftig die Augen.

Ich kann mir das nicht erlauben, dachte er. Was geschieht, ist Wirklichkeit. Was wirklich ist, kann ich nicht mit meinem Gehirn manipulieren. Tanj, ich hätte nie Wonnestromsüchtig werden dürfen. Damit habe ich mir meinen Wirklichkeitssinn verdorben. Aber... Kühlrippen unter den Polen?

Sie glitten jetzt unter der Weltkarte von Kzin hervor. Tiefenradar-Bilder zeigten keine Rohre unter dem erhabenen Relief des Meeresbodens, was darauf hinwies, daß die Meteor-Schutzschicht aus geschäumten Scrith bestand. Denn die Dränage-Rohre mußten im Meeresboden eingebaut sein, oder Flup hätte inzwischen alle Meere eingeebnet und in Sümpfe verwandelt.

Diese tiefen Kerben auf der Unterseite der Ringwelt — diese langen unglaublich tiefen Tiefseegräben: man brauchte doch nur in den tiefsten Meeresschluchten einen Bagger einzubauen mit einem Abfluß an einem Ende. So konnte man den ganzen Ozean vom Schlamm freihalten.

»Ändere ein wenig den Kurs, Hinterster. Führe uns zuerst unter die Weltkarte des Mars und anschließend unter die Weltkarte der Erde. Ich glaube, das ist kein großer Umweg.«

»Fast zwei Stunden.«

»Wir riskieren es.«


Zwei Stunden. Louis döste im Schlaffeld. Er wußte, daß ein Abenteurer sich immer eine Mütze voll Schlaf holen sollte, wenn die Zeit es gestattete. Er erwachte noch lange vor der verabredeten Zeit, als der Meeresboden immer noch über der Rumpfdecke der Heißen Nadel dahinglitt. Er sah, wie die Decke langsamer wurde und dann stillstand.

Der Hinterste sagte: »Der Mars fehlt!«

Louis schüttelte heftig den Kopf. Wache auf! »Wie bitte?« »Der Mars ist ein kalter, trockener, fast luftloser Planet, nicht wahr? Die gesamte Weltkarte des Mars müßte auf der Unterseite gekühlt werden und auf eine gewisse Weise auch ausgetrocknet. Zudem müßte er sich fast bis über die Atmosphäre hinaufwölben.«

»Ja. Das ist alles richtig.«

»Dann schaue mal hinauf auf die Ringweltunterseite. Wir müßten uns jetzt genau unter der Weltkarte des Mars befinden. Siehst du vielleicht eine Kühlflosse, deren Ausmaße viel größer sein müßten als jene unter der Weltkarte von Kzin? Siehst du vielleicht eine fast kreisrunde Höhlung, die sich zwanzig Meilen nach innen wölbt?«

Da war nichts über ihren Köpfen außer dem erhabenen Relief des Meeresbodens.

»Louis, das ist beunruhigend. Wenn der Gedächtnisspeicher unseres Computers aussetzt.« Die Beine des Hintersten knickten zusammen. Seine Köpfe senkten sich nach unten und bewegten sich auf seinen Bauchnabel zu.

»Der Gedächtnisspeicher des Computers ist okay«, sagte Louis. »Bitte keine Panik. Der Computer arbeitet einwandfrei. Stelle fest, ob die Meerestemperatur über uns höher ist.«

Der Hinterste zögerte, immer noch in einer halben Fötus-Position verharrend. Dann sagte er: »Aye, aye.« Der Puppetier beschäftigte sich mit seiner Schaltkonsole.

Harkabeeparolyn fragte: »Habe ich das richtig verstanden? Eine deiner Welten fehlt auf der Meereskarte?«

»Eine von den geringeren Welten. Pure Gedankenlosigkeit, meine Liebe.«

»Das sind aber keine Bälle«, sagte sie nachdenklich.

»Nein. Hier sind sie Schalen von einer runden Frucht, die anschließend breitgedrückt wurden.«

Der Hinterste rief: »Die Temperaturen in diesem Bereich sind unterschiedlich. Wenn ich die Regionen um die Kühlflossen weglasse, messe ich Temperaturen zwischen vierzig bis achtzig Grad Fahrenheit.«

»Das Meer, das sich um die Weltkarte des Mars ausbreitet, sollte wärmer sein.«

»Die Weltkarte des Mars erscheint nicht auf dem Schirm, und das Wasser ist nicht wärmer.«

»Wie. wie bitte? Aber das ist ja geradezu unglaublich!«

»Wenn ich dich richtig begreife — ja, das ist tatsächlich ein Problem.« Die Hälse des Puppetiers wölbten sich nach außen und drehten sich nach innen, bis er sich selbst in die Augen sah. Louis hatte das auch bei Nessus beobachtet und sich gefragt, ob das die Mimik der Puppetiers war, wenn sie lachten. Es konnte aber auch Konzentration bedeuten. Harkabeeparolyn wurde ganz blaß, als sie den Puppetier in der Betrachtung von sich selbst vertieft sah; aber sie konnte offenbar den Blick nicht von ihm abwenden.

Louis ging in der Kabine auf und ab. Mars mußte auf irgendeine Weise gekühlt werden. Aber wo blieb dann.?

Der Puppetier gab einen seltsam melodischen Pfeifton von sich. »Das Gitternetz?«

Louis hielt mitten im Schritt an. »Das Gitternetz! Richtig! Das würde bedeuten. tanj! So einfach?«

»Ich glaube, wir machen Fortschritte. Und wohin jetzt?«

Sie hatten eine Menge aus der Betrachtung der Rückseite dieses Artefakten gelernt. Also. »Bring uns unter die Weltkarte der Erde. In das Kellergeschoß, bitte.«

»Aye, aye«, erwiderte der Hinterste. Die Heiße Nadel setzte ihren Weg nach spinnwärts fort.

So viel Ozean, dachte Louis. So wenig Land. Warum hatten die Ringwelt-Ingenieure so viel Salzwaser auf nur zwei Gefäße verteilen wollen? Zwei waren natürlich für das Gleichgewicht der Welt nötig. Aber warum mußten sie so riesig sein?

Als Wasserreservoire? Auch das. Zum Schutz zur Erhaltung der Meerestiere eines aufgegebenen Pak-Planeten? Ein Umweltschützer würde so ein Projekt gelobt und befürwortet haben. Aber die Ringwelt-Ingenieure waren Pak-Protektoren. Alles, was sie taten, unternahmen sie nur zum Schutz ihrer eigenen Person und ihrer leiblichen Nachkommen.

Diese Weltkarten, dachte Louis, waren ein Musterbeispiel für Irreführung und Tarnung.

Trotz der reich gegliederten Unterseite des Meeresbodens ließ sich die Weltkarte der Erde sehr leicht unterscheiden. Louis deutete auf die flachen Kurven der Kontinentalblöcke, als sie unter Afrika, Australien, den beiden Amerikas und Grönland hinwegglitten. Kühlrippen unter der Antarktis und dem Eismeer. die beiden Ringwelt-Eingeborenen blickten durch die durchsichtige Kabinendecke nach oben und nickten höflich. Was ging es sie an? Es war nicht ihre Welt.

Ja, er würde sein Möglichstes tun, um Harkabeeparolyn und Kawaresksenjajok wieder nach Hause zu bringen, wenn er sonst nichts für sie tun konnte. Aber Louis Wu war jetzt der Erde so nahe, wie er es in Zukunft wahrscheinlich nie mehr sein würde.

Dann dehnte sich wieder der Meeresboden über ihnen aus.

Eine weitere Küstenlinie kam in Sicht: eine flache Kurve eines Kontinentalblockes, reich gegliedert durch die Eingriffe von Meeresbuchten und vorspringende Halbinseln und Flußdeltas und abgesprengte Inseln. Eine Vielzahl von Einzelheiten prägten die Küsten, die viel zu klein waren, als daß man sie mit dem nackten menschlichen Auge hätte erkennen können. Die Heiße Nadel drehte nun auf Backbord spinnwärts. Sie flogen unter hohlen Bergketten und flachen Seen dahin. Eine dünne, wie mit dem Lineal gezogene Linie verlief direkt nach spinnwärts, und dort, wo sie anfing, glitzerte etwas. Die »Faust Gottes«.

Etwas Gigantisches war vor langer Zeit mit der Ringwelt zusammengestoßen. Der gewaltige glühende Meteor hatte den Boden der Ringwelt nach innen gestoßen, ihn zu einem Kegel aufgestülpt, dann die Spitze des Kegels durchbrochen. Und von diesem großen Trichter, der durch den Meteor geformt worden war, lief die Spur eines viel späteren Meteoriten weg: die Spur eines verkrüppelten General-Products-Raumschiffes, dessen Passagiere im Stasis-Tiefschlaf lagen. Das verkrüppelte Schiff war mit einer Horizontal-Geschwindigkeit von siebenhundertsiebzig Meilen pro Sekunde auf der Ringweltt notgelandet. Tanj, sie hatten damals sogar dem Scrith eine Schramme versetzt!

Die Heiße Nadel stieg jetzt in einem Scheinwerferkegel nach oben: rohes Sonnenlicht, das senkrecht durch den Krater im Berg nach unten fiel. Gezackte, fast durchsichtige, hauchdünn überdehnte Teile von Scrith standen wie kleine Berggipfel um den Vulkankegel herum, wo der uralte feurige Riesenmeteor durchgebrochen war. Das Schiff glitt aus dem Krater heraus.

Wüste dehnte sich unter und vor ihnen aus. Der Einschlag, der den Berg »Faust Gottes« erzeugt hatte, hatte alles Leben in der Nähe durch sein Feuer vernichtet. Die verwüstete Region mußte erheblich größer sein als die Oberfläche der Erde. Weit, weit weg — hunderttausend Meilen von ihnen entfernt — wurde das Blau des Horizonts zu einem Meeresblau; und nur die Flughöhe der Heißen Nadel, die tausend Meilen betrug, gestattete ihnen eine so große Fernsicht.

»Und jetzt geht es auf der Oberfläche der Ringwelt weiter«, sagte Louis. »Schalte auf die Kameras des Landungsbootes um, damit wir sehen können, wie es Chmeee geht.«

»Aye, aye.«

27. Der große Ozean

Sechs rechtwinklige Fenster schwebten in gleicher Höhe mit dem Schiffsrumpf. Sechs Kameras zeigten das Kommandodeck des Landungsbootes, das Unterdeck und einen Blick in vier Himmelsrichtungen auf das Vorfeld.

Das Kommandodeck war leer. Louis suchte auf der Schaltkonsole nach Alarmlichtern. Er vermochte keines zu entdecken.

Der Autodock war immer noch ein großer geschlossener Sarg.

Irgend etwas war nicht in Ordnung mit den Außenbordkameras. Das Blickfeld waberte, war verzerrt und überzogen mit goldenen Lichtern. Louis konnte endlich den Burghof erkennen, die engen Schießscharten und mehrere Tigerwesen, die in Lederkollern Wache standen. Andere Kzinti sprinteten auf allen Vieren hin und her: verschwommene orangefarbene Blitze.

Flammen! Die Verteidiger hatten einen Scheiterhaufen um das Landungsboot errichtet und angezündet!

»Hinterster? Kannst du das Landungsboot von hier aus starten? Du sagtest, du verfügtest über eine Fernsteuerung.«

»Ich könnte es vom Boden abheben lassen«, erwiderte der Hinterste, »aber das wäre ein gefährliches Manöver. Wir sind. zwölf Bogenminuten auf spinnwärts und ein kleines Stück Backbord von der Weltkarte von Kzin entfernt — das bedeutet ein Drittel von einer Million Meilen. Verlangst du von mir, daß ich das Landungsboot mit einer Lichtgeschwindigkeitsverzögerung von dreieinhalb Sekunden steuern soll? Alle lebensnotwendigen Systeme an Bord des Landungsbootes arbeiten einwandfrei.«

Vier Kzinti spritzten über den Burghof und öffneten die eisenbeschlagenen Flügel des Burgtores. Ein mit Rädern versehenes Fahrzeug rollte in den Hof und hielt dort an. Es war größer als der Kastenwagen, mit dem die Frau des Maschinenvolkes Louis zur fliegenden Stadt brachte. Auf den vier Kotflügeln des Fahrzeuges waren Projektil-Waffen montiert. Kzinti tauchten aus dem Fahrzeug auf und studierten das Landungsboot.

Hatte der Burgherr einen Nachbarn zu Hilfe gerufen? Oder war ein Nachbar in die Burg gekommen, um sein Besitzrecht auf eine uneinnehmbare fliegende Festung anzumelden?

Die Kanonen des Fahrzeugs drehten sich den Kameras zu und spukten Flammen aus. Die Kamera schwankte. Die großen orangefarbenen Katzen duckten sich und standen dann wieder auf, um das Ergebnis dieser Kriegshandlung festzustellen.

Keine Notlampen flammten auf der Instrumentenkontrolle des Kommandodecks auf.

»Diese Wilden verfügen nicht über die Mittel, um das Landungsboot beschädigen zu können«, sagte der Hinterste.

Explosivgeschosse hämmerten auf den Rumpf des Landungsbootes ein.

»Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich auf dein Wort zu verlassen«, sagte Louis. »Behalte die Bilder der Kameras auf den Schirmen. Sind wir schon dicht genug heran, daß ich das Landungsboot mit den Transportscheiben erreichen kann?«

Der Puppetier blickte sich wieder in die Augen. Er behielt diese Pose mehrere Sekunden bei. Dann sagte er: »Wir befinden uns zweihunderttausend Meilen spinnwärts von der Weltkarte des Kzin, und einhundertzwanzigtausend Meilen backbord von Kzin. Die Entfernung nach Backbord ist ohne Belang. Die Entfernung nach spinnwärts wäre tödlich. Sie gibt der Heißen Nadel und dem Landungsboot eine relative Geschwindigkeitsdifferenz von eine Achtzehntel Meile pro Sekunde.«

»Ist das zuviel?«

»Unsere Technologie kann keine Wunder vollbringen, Louis! Die Transportscheiben können eine kinetische Energie bis zu zweihundert Fuß pro Sekunde absorbieren, aber nicht mehr.«

Die Explosionen der Projektile hatten den brennenden Scheiterhaufen über den Burghof verstreut. Bewaffnete Kzinti-Wächter bauten den Scheiterhaufen neu.

Louis verschluckte einen Fluch. »Also gut. Am schnellsten kann ich das Landungsboot erreichen, wenn wir jetzt direkt Kurs nach antispinnwärts nehmen, bis ich die Transportscheiben benützen kann. Dann können wir uns Zeit nehmen, die Abdrift nach Steuerbord zu korrigieren.«

»Aye, aye. Welche Geschwindigkeit?«

Louis öffnete den Mund und ließ ihn offen stehen, während er nachdachte. »Das scheint mir eine faszinierende Frage zu sein«, sagte er. »Woran erkennt die Ringwelt-Meteor-Verteidigungsanlage einen den Artefakten bedrohenden Himmelskörper? Oder ein den Kunstplaneten bedrohendes Raumschiff?«

Der Puppetier langte hinter sich und knabberte an seinen Instrumenten. »Ich habe unsere Beschleunigung herabgesetzt. Wir sollten erst darüber sprechen. Louis, ich begreife nicht, worauf die Städtebauer ihre Zuversicht stützten, daß sie auf der Mauerkrone der Ringwelt ein Transportsystem errichten konnten. Sie hatten recht, aber woher wußten sie, daß dieses System dort sicher war?«

Louis schüttelte den Kopf. Er konnte durchaus verstehen, warum die Ringwelt-Protektoren ihre Meteor-Verteidigungswaffen so programmiert harten, daß sie nicht auf die Mauerkrone der Ringwelt schossen. Sie brauchten einen sicheren Korridor für ihre eigenen Schiffe — oder vielleicht fürchteten sie, daß der Computer auf die Steuerdüsen schoß, sobald die Steuerdüsen eine Hochgeschwindigkeits-Gaswolke ausstießen. »Ich würde sagen, die Städtebauer fingen mit kleinen Schiffen an und lernten aus Erfahrung. Allmählich bauten sie immer größere Schiffe, die dort ungestört starten und landen konnten.«

»Wahnsinn. Viel zu gefährlich.«

»Aber wir haben bereits eine Reihe von Beweisen, daß sie ihre Zivilisation auf solche Weise entwickelten.«

»Du hast meine Meinung gehört. Ich warte auf deinen Befehl, Louis: mit welcher Geschwindigkeit?«

Die Wüste, die sich um den Bergkegel ausbreitete, fiel sachte nach unten: ein gebackenes, lebloses Land, eine vernichtete Ökologie, die vor Tausenden von Falans bis zur Rotglut erhitzt wurde. Was war damals auf die Unterseite der Ringwelt eingeschlagen? Ein Komet war in der Regel nicht so groß. Es gab keine Asteroiden, keine Planeten in der Nähe dieses Artefakten, Sie waren aus dem System entfernt worden, als die Ringwelt gebaut wurde.

Die Geschwindigkeit der Heißen Nadel war recht beachtlich. Das Land vor ihnen wurde schon wieder grün. Die Flüsse zogen sich wie silberne Fäden durch die Landschaft.

»Bei unserer ersten Expedition flogen wir mit doppelter Schallgeschwindigkeit. Mit Flugrädern«, erklärte Louis. »Damit würden wir acht Tage brauchen, ehe ich die Transportscheiben benützen könnte. Tanj. zu lang. Ich vermute, daß die Meteor-Verteidigungsanlage auf Objekte schießt, die sich relativ zu der Oberfläche der Ringwelt sehr schnell bewegen. Aber wie schnell ist sehr schnell?«

»Das findet man am einfachsten heraus, wenn man so lange beschleunigt, bis etwas passiert.«

»Ich kann nicht glauben, daß ein Pierson-Puppetier so etwas laut aussprechen würde.«

»Du solltest mehr Zutrauen zu der Ingenieurkunst der Puppetiers haben, Louis. Das Stasisfeld wird funktionieren. Keine Waffe kann uns im Stasisfeld etwas anhaben. Im schlimmsten Fall kehren wir in den normalen Zustand zurück, nachdem wir auf der Ringoberfläche aufschlagen, und dann setzen wir unsere Reise eben mit einer langsameren Geschwindigkeit fort. Es gibt eine Hierarchie von Risiken, Louis. Das Schlimmste, was wir in den nächsten zwei Jahren tun können, ist Versteck spielen.«

»Ich tue es nicht — um auch Chmeee zu zitieren; aber ein Pierson-Puppetier. ich muß das erst verdauen.« Louis schloß die Augen und versuchte nachzudenken. Dann: »Mal sehen, wie das klingt. Zuerst holen wir die beschädigte Sonde zurück, die wir auf dem Bibliotheksdach zurückließen.«

»Ich bewegte sie bereits.«

»Wohin?«

»Auf den uns am nächsten liegenden hohen Berg, dessen Gipfel aus freigelegtem Scrith-Material besteht. Das ist der sicherste Standort für die Sonde. Jedenfalls fiel mir kein besserer ein. Die Sonde ist immer noch von Wert, obgleich sie jetzt keinen Treibstoff mehr zu produzieren vermag.«

»Das ist ein guter Standort, ja. Aber bewege sie nicht von der Stelle. Schalte nur alle Sensoren an Bord der Sonde, der Heißen Nadel und des Landungsbootes ein. Richte die meisten von ihnen auf die Schattenblenden. Wo sonst könnten sich noch Kanonen der Meteor-Verteidigungsanlage befinden? Wir müssen von der Überlegung ausgehen, daß offenbar keine dieser Kanonen in der Lage ist, unter den Boden der Ringwelt zu schießen.«

»Sicher. Trotzdem wüßte ich nicht, wo die Dinger sonst noch stehen könnten.«

»Okay. Wir richten alle Kameras auf den Ringweltboden. Kameras auf die Sonnenblenden. Kameras auf die Sonne. Kameras auf die Weltkarte von Kzin und von Mars.«

»Gut.«

»Wir bleiben auf einer Flughöhe von tausend Meilen. Sollen wir die Sonde aus dem Laderaum katapultieren und sie mit automatischer Steuerung dem Raumschiff folgen lassen?«

»Unsere einzige Kraftstoffreserve? Nein.«

»Dann beschleunige das Raumschiff, bis etwas passiert. Wie klingt das?«

»Aye, aye«, sagte der Hinterste und wandte sich wieder seiner Konsole zu. Und Louis, der sich gerne noch länger mit ihm unterhalten hätte, um seine Nerven zu beruhigen, schwieg still.


Die Kameras fingen es ein, aber keiner von den Passagieren der Heißen Nadel bemerkte es. Auch wenn sie nach oben gesehen hätten, würden sie es nicht bemerkt haben. Sie hätten nur gleißend weiße Sterne und das gemusterte blaue Band der Ringwelt vor dem schwarzen Universum gesehen, und ein schwarzer Kreis am Gipfel des Ringweltbogens, wo der Schutzanstrich der Heißen Nadel den Lichteinfall der nackten Sonne wie ein Spiegel reflektierte.

Aber sie blickten nicht einen Moment hinauf zur Decke der Raumschiffkabine.

Unter ihnen, teilweise verdeckt durch das Wrack des Hyperdrive-Motors, war das Land ein lebendiges Grün. Dschungel, Sümpfe und unkultivierte Grünflächen überwogen. Hin und wieder entdeckten sie ein unregelmäßiges, wirres Steppmuster im Urwald, wo ein Farmer das Land unter den Pflug genommen hatte. Bisher hatten sie unter den Hominiden der Ringwelt nicht sehr viele Bauern angetroffen.

Sie sahen kleine Flottillen von Booten auf flachen Seen. Einmal überflogen sie ein Spinnennetz von Straßen, eine halbe Stunde im Durchmesser, was ungefähr siebentausend Meilen bedeutete. Das Teleskop zeigte ihnen Ochsen, die als Reittiere verwendet wurden oder kleine Karren zogen. Nicht ein Fahrzeug wurde von einem Motor angetrieben. Hier war nach dem Untergang der Städtebauerkultur keine neue Technik entstanden.

»Ich komme mir vor wie eine Göttin«, sagte Harkabeeparolyn. »Niemand sonst auf dieser Welt hat so einen gewaltigen Ausblick.«

»Ich kannte eine Göttin«, sagte Louis. »Wenigstens glaubte sie, eine Göttin zu sein. Auch sie gehörte zu den Städtebauern. Früher war sie ein Besatzungsmitglied auf einem Raumschiff gewesen; von ihrem Raumschiff aus sah sie, was du jetzt siehst.«

»Ah.«

»Laß es dir nicht zu Kopf steigen.«

Der Berg »Faust Gottes« schrumpfte allmählich zusammen. Der irdische Mond hätte in diesem gewaltigen Kegel Platz gefunden. Man mußte diesen Berg aus so großer Entfernung sehen, vor einer Landschaftskulisse, die größer war als die bewohnbare Oberfläche aller Welten des bekannten Universums, um seine Größe richtig einschätzen zu können. Louis fühlte sich nicht wie ein Gott. Eher wie ein Zwerg. Schrecklich verletzlich.

Der Deckel des Autodock an Bord des Landungsbootes hatte sich noch nicht bewegt. Louis fragte: »Hinterster, könnte Chmeee noch andere Verletzungen erlitten haben?«

Der Puppetier befand sich nicht im Blickfeld, doch seine Stimme klang klar und deutlich: »Möglich.«

»Dann könnte er in dieser Kiste sterben.«

»Nein. Louis, ich bin beschäftigt. Störe mich jetzt nicht!«

Das Teleskopbild sah verwaschen aus. Das sonnenbeglänzte Land, das tausend Meilen unter ihnen lag, schien sich zu bewegen. Die Geschwindigkeit der Heißen Nadel hatte fünf Meilen pro Sekunde überschritten. Das war die Umlaufgeschwindigkeit der Erde.

Wolkendecken schimmerten so hell, daß die Augen schmerzten. Achteraus löste sich das Schachbrettmuster einer Ackerbauprovinz in grünen Schlieren auf. Direkt unter ihnen neigte sich das Land nach unten, ging dann in eine gerade Fläche über, wurde zu einer flachen, Hunderte von Meilen breiten Prärie. Soweit das Auge reichte, konnte man nur eine baumlose Grasvegetation erkennen. Flüsse, die sich in diese Prärie ergossen, wurden zu Sümpfen und nahmen grüne Farbe an.

In der Ferne tauchten jetzt die geschwungenen oder gezackten Linien von Meereszungen, Buchten, Halbinseln und Inseln auf: Die Markierung der Meeresküste, reich gegliedert, damit sich Häfen und die Schiffahrt entwickeln konnten. Aber das war die Küste, die nach spinnwärts zeigte. Unter ihnen lag nun eine flache, salzvergiftete Landschaft. Hunderte von Meilen dahinter eine blaue Linie, die Wassergrenze des Ozeans. Louis spürte, wie sich die Haare in seinem Nacken senkrecht stellten, als er sich den Meteoreinschlag vorstellte, dem die »Faust Gottes« ihre Entstehung verdankte. Sie waren inzwischen ein beträchtliches Stück von diesem Berg entfernt, doch die Wirkung des Einschlages hatte auch den Großen Ozean beeinflußt. Er hatte die Küstenlinie angehoben, so daß das Meer sieben- oder achthundert Meilen von seiner ursprünglichen Wasserlinie zurückgewichen war.

Louis rieb sich seine geblendeten Augen. Es war viel zu hell dort unten. Da waren violette Blitzlichter.

Dann Tintenschwärze.

Louis schloß seine Augen ganz fest. Als er sie wieder öffnete, war ihm, als hätte er sie nie geschlossen: es war so schwarz wie im Bauch eines Walfisches.

Harkabeeparolyn schrie. Kawaresksenjojak schlug um sich. Er traf Louis an der Schulter. Dann klammerte sich der Junge mit beiden Händen an Louis' rechten Arm. Der Schrei der Frau riß plötzlich ab. Dann sagte sie mit klappernden Zähnen: »Luweewu, wo sind wir?«

Louis erwiderte: »Da kann ich nur eine Vermutung aussprechen. Ich würde sagen, wir befinden uns auf dem Grund des Großen Ozeans.«

»Du hast recht«, mischte sich die Altstimme des Hintersten ein. »Ich habe eine recht gute Sicht auf meinem Tiefenradarschirm. Soll ich die Scheinwerfer einstellen?«

»Natürlich.«

Das Wasser war schlammig. Die Heiße Nadel lag so tief unter dem Wasser, wie es nur irgend ging. Fische glotzten neugierig durch die durchsichtige Zellenwand. In der Nähe bewegten sich die Zweige eines Seetang-Waldes.

Der Junge ließ Louis' Arm wieder los und drückte sich die Nase an der Rumpfwand platt. Auch Harkabeeparolyn starrte nach draußen, aber sie flog noch am ganzen Körper. Sie fragte: »Luweewu, kannst du mir erklären, was passiert ist? Gibt es dafür eine logische Ursache?«

»Wir werden versuchen, eine zu finden«, erwiderte Louis. »Hinterster, heb uns wieder aus dem Wasser. Bring uns wieder auf eine Flughöhe von tausend Meilen.«

»Aye, aye.« »Wie lange befanden wir uns im Stasisfeld?«

»Das kann ich dir noch nicht sagen. Alle Uhren an Bord blieben natürlich stehen. Ich werde die Sonde per Funk auffordern, uns Daten zu übermitteln. Aber die Lichtgeschwindigkeit-Verzögerung beträgt jetzt sechzehn Minuten.«

»Wie schnell flogen wir?«

»Fünf Komma einundachtzig Meilen pro Sekunde.«

»Dann beschleunigst du das Raumschiff auf fünf Meilen pro Sekunde und behältst diese Geschwindigkeit bei, während wir feststellen, was passiert ist.«

Die Signale des Landungsbootes erschienen wieder auf den Monitoren, als die Heiße Nadel sich der Wasseroberfläche näherte. Immer noch waberten die Flammen um das Landungsboot. Auch der Deckel des Autodock war noch geschlossen. Inzwischen hätte Chmeee eigentlich geheilt sein können, dachte Louis.

Lichtes Blau umgab sie jetzt. Die Heiße Nadel durchbrach die Wasseroberfläche und stieg über den Ozean ins Sonnenlicht hinauf. Das Deck zitterte leicht, als der Ozean bei einer Beschleunigung von zwanzig g unter ihnen zurückblieb.


Der Blick nach achtern war sehr instruktiv.

Vierzig oder fünfzig Meilen hinter ihnen wälzten sich riesige Brecher auf den flachen Strand zu, der sich unter dem Wasser zu einem Kontinentalblock auswuchs. Eine rillenförmige Linie lief von der Küste zurück ins Meer. Die Heiße Nadel war dort nicht auf das Wasser aufgeschlagen. Der Feuerball war auf das Land gefallen und weitergerollt.

Ein Stück weiter nach achtern ging die Küste in ein Grasland über. Noch ein paar hundert Meilen dahinter begann der Wald. Das alles brannte lichterloh. Tausende von Quadratmeilen standen in Flammen. Der Feuersturm raste von allen Seiten auf einen Mittelpunkt zu wie der Wasserdampf, der im Sog der Windströmung sich über dem Sonnenblumenfeld gesammelt hatte. Heiße Nadels Aufschlag auf dem Meer konnte so einen riesigen Brand unmöglich hervorgerufen haben.

»Jetzt wissen wir Bescheid«, sagte der Hinterste. »Die Meteor-Verteidigungsanlage ist so programmiert, daß sie auch auf bewohntes Land schießen kann. Louis, das versetzt sogar mich in Staunen. Die Kraft, die hier aufgewendet wurde, läßt sich nur mit dem Projekt vergleichen, mit dem wir unsere Planetenflotte in Gang setzten. Doch die Automatik kann diese gewaltigen Kräfte mehrmals mobilisieren.«

»Wir wissen bereits, daß die Pak nur in großen Dimensionen dachten. Aber wie wurde der Feuerball ausgelöst?«

»Laß mich eine Weile rechnen. Ich werde dir dann Bescheid sagen.«

Der Hinterste verschwand hinter der grüngestrichenen Wand.

Das war unbefriedigend. Der Puppetier verfügte über alle Instrumente. Vielleicht steckte er die Köpfe in den Bauchnabel und kümmerte sich nicht mehr um seine Daten. Woher konnte Louis das wissen? Er war und blieb auf die Nerven oder die Mitarbeit des Puppetiers angewiesen.

Harkabeeparolyn zupfte ihn am Ärmel. Er knurrte: »Was ist los?«

»Louis, ich möchte dich nicht mit überflüssigen Fragen belästigen. Aber ich habe Angst, ich verliere noch meinen Verstand. Kräfte stürmen auf mich ein, von denen ich nichts verstehe. Bitte, was ist mit unserem Schiff passiert?«

Louis seufzte. »Dann muß ich weit ausholen. Ich muß dir die Stasisfelder erklären und die Meteor-Verteidigungsanlage der Ringwelt. Außerdem die Pierson-Puppetiers und die General-Products-Raumschiffzellen. Und schließlich auch noch die Pak-Protektoren.«.

»Ich bin bereit, dir zuzuhören.«

Und er redete und erklärte, und sie nickte und stellte Fragen. Er war sich nicht sicher, wieviel sie verstand, und selbstverständlich wußte er selbst bei weitem nicht so viel, wie er sich das gewünscht hätte. Und deshalb legte er besonders Wert darauf, ihr zu versichern, daß Louis Wu ganz genau wußte, wovon er redete. Und als sie davon überzeugt war, wurde sie ruhiger, und das war schließlich seine Absicht gewesen.

Als er geendet hatte, nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn zum Wasserbett. Es schien ihr gleichgültig, daß Kawaresksenjajok als Zeuge zugegen war und sie über die Schulter hinweg angrinste — nur einmal —, um sich dann wieder in die Beobachtung des Großen Ozeans zu vertiefen.

Rishathra gab ihnen die Ruhe und das Selbstbewußtsein zurück. Vielleicht nur ein trügerisches Selbstbewußtsein. Immerhin besser als nichts.

Da gab es ja wahrhaftig eine Menge Wasser zu sehen.

Aus einer Höhe von tausend Meilen hatte man eine weite Übersicht, ehe die Atmosphäre sich wie eine Decke über den Horizont legte. Und während sich der Blick in dieser unglaublich großen Wasserwüste verlor, fand er nicht eine einzige Insel als Ruhe. Aus dieser Höhe vermochten sie die Konturen des Meeresbodens zu erkennen. An manchen Stellen war das Wasser ziemlich flach. Doch die wenigen Inseln, die sie bisher entdeckt hatten, waren weit hinter ihnen zurückgeblieben. Vermutlich waren das Untiefen oder Riffe gewesen, ehe der Meteor, der die »Faust Gottes« formte, den Seeboden angehoben hatte.

Und sie sahen Stürme unter sich. Doch sie suchten vergebens nach den Spiralmustern, die für Hurrikans und Taifune typisch waren. Dafür gab es Wolkenformationen, die wie Himmelsflüsse aussahen. Die Wolkengebilde bewegten sich, wenn man sie mit dem nackten Auge betrachtete: Obwohl sie die Wolken aus einer Höhe von tausend Meilen betrachteten, bewegten sie sich noch.

Kzinti, die sich auf ein so unglaublich großes Meer hinauswagten, waren bestimmt keine Feiglinge. Und wer von so einer Reise zurückkam, mußte über große Geistesgegenwart verfügen. Das Muster der Inselgruppe am Steuerbordhorizont — man mußte ein paarmal blinzeln, um sich zu überzeugen, daß diese Inseln tatsächlich existierten — symbolisierte die Weltkarte der Erde. Und diese Inselgruppe sah wie verloren aus in dieser blauen Fläche.

Ejne kühle, gemessene Altstimme unterbrach seinen Gedankengang: »Louis? Ich habe unsere Geschwindigkeit auf vier Meilen pro Sekunde reduziert.«

»Okay.« Vier oder fünf Meilen — was machte das hier für einen Unterschied?

»Louis, wo befindet sich deiner Meinung nach die Meteor-Verteidigungsanlage?«

Da war ein seltsamer Unterton in der Stimme des Puppetiers.» Ich kann mich nicht mehr erinnern.«

»Auf den Sonnenblenden, hattest du behauptet. So ist es auf den Bändern festgehalten. Die Verteidigungsanlage müsse sich auf den Schattenblenden befinden, wenn sie die Außenhaut der Ringwelt nicht gegen Meteore verteidigen kann.«

Keine Obertöne diesmal. Die Stimme klang leidenschaftslos. »Willst du sagen, ich habe mich getäuscht?«

»Hör mir gut zu, Louis. Als wir eine Geschwindigkeit von vier Komma vier Meilen pro Sekunde überschritten, entstand eine Sonnenfackel. Ich habe hier eine Bandaufzeichnung davon. Wir sahen die Fackel nicht, weil die Schutzschicht auf dem Rumpf das Licht ausblendete. Die Sonne hat einen Plasmastrahl ausgestoßen, der ein paar Millionen Meilen lang ist. Es war sehr schwierig, den Plasmastrahl zu beobachten, weil er direkt auf uns zukam. Er verlief nicht in einer Kurve, wie das eigentlich bei Sonnenfackeln der Fall zu sein pflegt, weil er von dem Magnetfeld der Sonne beeinflußt wird.«

»Dann war es auch keine Sonnenfackel, die uns traf.«

»Die Fackel dehnte sich im Zeitraum von zwanzig Minuten mehrere Millionen Meilen weit aus. Dann wurde sie zu einem violetten Laser.«

»O mein Gott!«

»Also ein Gaslaser von unglaublicher Größe. Die Erde glüht immer noch an der Stelle, wo der Laserstrahl hinfiel. Ich schätze, er hatte eine Breite von zehn Kilometern: kein besonders scharf gebündelter Strahl, aber das mußte er unter normalen Umständen auch nicht sein. Eine Fackel von dieser Größe würde selbst mit mäßiger Wirkungskraft einen Gaslaserstrahl mit der Energie von drei mal zehn hoch siebenundzwanzig Ergs pro Sekunde eine Stunde lang versorgen.«

Schweigen.

»Louis?«

»Laß mir eine Minute Zeit. Hinterster, das ist eine sehr eindrucksvolle Waffe.« Jetzt sah er es, worin das Geheimnis der Ringwelt-Ingenieure bestand. »Deshalb fühlten sie sich so sicher. Deshalb konnten sie eine Ringwelt bauen. Sie konnten jede Art von Invasion von ihrem Artefakten fernhalten. Sie hatten eine Laserwaffe, die größer war als jeder Planet im Universum, x größer als das Erd-Mond-System, größer als. Hinterster? Die Vorstellung ist so schwindelerregend, daß ich in Ohnmacht fallen könnte.«

»Louis, dafür haben wir jetzt keine Zeit.«

»Was war die Ursache? Irgend etwas muß den Plasmastrahl der Sonne ausgelöst haben. Ein magnetischer Auslöser. Es muß ein magnetischer Auslöser gewesen sein. Könnte das zu den Funktionen der Schattenblenden gehören?«

»Das bezweifle ich. Die Kameraaufzeichnung zeigt, daß der Ring der Schattenblenden sich zusammenschob und eine Lücke freigab, damit der Strahl passieren konnte. Wir können nicht davon ausgehen, daß derselbe Schattenblendenring gleichzeitig die Photosphäre magnetisch manipulierte. Ein intelligenter Ingenieur würde zwei voneinander getrennte Systeme dafür konstruieren. «

»Du hast recht. Absolut recht. Prüf es trotzdem nach, hörst du? Wir haben doch mit unseren Sensoren alle möglichen magnetischen Wirkungen aus drei verschiedenen Beobachtungswinkeln registriert. Stelle fest, was die Sonne zum Fackeln brachte.« Allah, Kdapt, Brahma, Finagle, hoffentlich waren es die Schattenblenden! »Hinterster? Egal, was du für ein Ergebnis bekommst — stecke deine Köpfe nur nicht in deinen Bauchnabel!«

Es folgte eine seltsame Pause. Dann: »Unter diesen Umständen würde das den Untergang für uns alle bedeuten. Ich würde mir einen hysterischen Anfall nur erlauben, wenn wir alle Hoffnungen aufgeben müßten. Woran denkst du gerade?«

»Es gibt immer noch eine Hoffnung. Denke daran!«


Endlich kam die Weltkarte des Mars in Sicht. Sie lag weiter entfernt als die nachgebaute Erdkarte — hunderttausend Meilen genau an Steuerbord —, aber im Unterschied zur Weltkarte der Erde bestand sie aus einer kompakten Masse. Von der Position des Raumschiffes aus betrachtet, hob er sich als schwarze Linie vom Wasser ab: zwanzig Meilen über der Meeresoberfläche, wie der Hinterste prophezeit hatte.

Ein rotes Licht blinkte auf der Instrumentenkonsole des Landungsbootes. Temperatur: einhundertzehn Grad Fahrenheit, gerade richtig für ein Bad. Keine Lichter blinkten auf dem großen Sarg, in dem Chmeee lag. Der Autodock hatte seine eigene Temperaturregelung.

Die Kzinti, die ihre Burg verteidigten, schienen ihre Sprengstoffvorräte erschöpft zu haben. Aber der Vorrat an Brennholz schien unerschöpflich zu sein.

Immer noch zwanzigtausend Meilen, die sie mit einer Geschwindigkeit von vier Meilen pro Sekunde zurücklegen mußten.

»Louis?«

Louis schob sich aus seinem Schlaffeld heraus. Der Hinterste, dachte er, sah heute schrecklich zerzaust aus. Seine Mähne war zerdrückt, die Granatsteine, mit denen er sich geschmückt hatte, fehlten auf der linken Seite, als hätte er sie dort abgescheuert. Er schwankte, als wären seine Knie aus Weichholz.

»Es wird uns schon noch etwas einfallen«, sagte Louis zum Hintersten. Am liebsten hätte er den Arm durch die Wand gestreckt und die Mähne des Puppetier gestreichelt, damit er wieder Mut schöpfen konnte. »Vielleicht gibt es eine Bibliothek in dieser Burg. Vielleicht weiß Chmeee bereits etwas, was uns verborgen blieb. Tanj, vielleicht weiß der Reparaturtrupp bereits die Lösung für unser Problem.«

»Wir wissen die Antwort. Als Beweis brauchen wir nur eine Chance, die Sonnenflecken auf der Rückseite zu studieren.« Die Stimme des Puppetiers klang kalt wie Eis. Es war die Stimme eines Computers. »Du hattest es längst vermutet, nicht wahr? Hexagonale Muster von Superleitern, die im Boden der Ringwelt eingebettet sind. Das Scrith-Material kann so magnetisiert werden, daß es Plasmaströme in der solaren Photosphäre auslöst.«

»Jawohl.«

»Vielleicht war das die Ursache, die die Ringwelt aus dem Gleichgewicht brachte. Ein Plasmastrahl bildete sich, um einen Meteoriten, einen verirrten Kometen oder sogar eine Raumflotte der Erde oder der Kzinti zu vernichten. Und dann schlug die Plasmafontäne auf der Ringwelt ein. Da waren keine Steuerdüsen mehr, die den Artefakten wieder in seine Ausgangslage zurückschieben konnten. Wäre der Plasmastrahl nicht gewesen, hätte auch der Meteor genügt, um die Ringwelt aus ihrer Rotationsebene zu schieben. Die Reparaturmannschaft kam viel später. Sie kam zu spät.«

»Hoffentlich nicht.«

»Das Superleiter-Muster ist kein System, das die Steuerdüsen ersetzen könnte.«

»Nein. Ist mit dir alles okay?«

»Nein.«

»Was willst du jetzt tun?«

»Ich werde deine Befehle befolgen.«

»Gut.«

»Wenn ich immer noch der Hinterste dieser Expedition wäre, würde ich jetzt aufgeben.«

»Das glaube ich dir gern.«

»Bist du dir schon über alle Konsequenzen im klaren? Die Sonne kann meiner Berechnung nach vermutlich bewegt werden. Die Sonne kann so manipuliert werden, daß sie Plasmafontänen auswirft, und das Plasma kann in einen Gaslaser verwandelt werden, der sich auch als Photonenantrieb für die Sonne benützen läßt. Die Ringwelt würde durch die Schwerkraft der Sonne mitgezogen. Selbst wenn die Sonne ihren äußersten Schub entwickeln würde, reichte das bei weitem nicht aus, wäre er viel zu gering, um uns zu helfen. Bei einem Beschleunigungswert, der zweimal zehn hoch minus vier der Schwerkraft übersteigt, würde die Ringwelt ohne Sonne im Raum zurückbleiben. Außerdem würde dabei so viel Strahlung durch den Plasmastrahl erzeugt, daß die gesamte Ökologie des Artefakten vernichtet würde. Louis, lachst du mich aus?«

Louis lachte tatsächlich. »Ich hatte nie daran gedacht, die Sonne zu bewegen. Das wäre mir nie eingefallen. Hast du für dieses Manöver tatsächlich die mathematischen Grundlagen ausgearbeitet?«

Im unterkühlten, mechanischscheppernden Ton gab der Hinterste zurück: »Ich habe es berechnet. Es ist die Lösung. Was bleibt uns noch?«

»Befolge meine Befehle. Behalte die Geschwindigkeit von vier Meilen pro Sekunde bei und fliege antispinnwärts. Gib mir Bescheid, sobald ich mit den Transportscheiben auf das Landungsboot übersetzen kann.«

»Aye, aye.« Der Puppetier wandte sich ab.

»Hinterster?

Ein Kopf krümmte sich nach hinten.

»Manchmal hat es keinen Zweck, aufzugeben.«

28. Die Weltkarte von Kzin

Alle Lichter brannten grün. Zweifellos war der Autodock Herr der medizinischen Lage. Chmeee lebte also — lag als lebendiges Wesen in seinem medizinischen Sarg. Vielleicht war er bereits geheilt.

Aber das Thermometer auf dem Kommandodeck zeigte eine Temperatur von hundertzechzig Grad Fahrenheit.

Der Hinterste sagte: »Louis, bist du bereit, auf das Landungsboot überzusetzen?«

Die Weltkarte des Mars war ein schwarzer Strich unter der Linie der Hologramm-»Fenster« und befand sich jetzt direkt an Steuerbord. Die Weltkarte von Kzin war viel schwerer auszumachen. Einige Winkelgrade vor dem Mars und fünfzigtausend Meilen vom Raumschiff entfernt entdeckte Louis eine blaugrau gestrichene Linie vor dem blaugrauen Hintergrund des Meeres.

»Wir liegen aber noch nicht auf gleicher Höhe mit dem Landungsboot.«

»Nein. Die Drehung der Ringwelt verursacht immer noch eine Geschwindigkeitsdifferenz zwischen der Heißen Nadel und dem Landungsboot. Aber der Vektor ist genau senkrecht. Wir können die Geschwindigkeitsdifferenz lange genug ausgleichen.«

Louis brauchte eine Sekunde, um diese Bemerkung in ein Diagramm umzusetzen. Dann sagte er: »Stürzt du dich aus einer Höhe von tausend Meilen auf die Ebene des Ozeans hinunter?« »Jawohl. Nach deinem wahnsinnigen Zerstörungsakt erscheint jedes andere Risiko vernünftig.«

Louis brach in ein Gelächter aus (ein Puppetier, der Louis Wu eine Lektion in Tapferkeit erteilen wollte?), doch sogleich wurde er wieder nüchtern. War das nicht eine Möglichkeit für den Ex-Hintersten, einen Teil seiner Befehlsgewalt zurückzuerobern? Er sagte: »Also gut. Beginne mit dem Sturzflug.«

Er drehte die Wählscheibe und zog sich dann hölzerne Pantoffeln an. Er zog seinen Overall aus und wickelte ihn um den Schutzanzug und die Gerätekiste, behielt den Handscheinwerfer-Laser in der Hand. Die leere Meeresfläche dehnte sich rasend schnell aus.

»Fertig.«

»Los.«

Louis überquerte einhundertundzwanzigtausend Meilen mit einem einzigen Riesenschritt.


Kzin vor zwanzig Jahren:

Louis Wu räkelte sich auf einer abgenützten Stein-Fooch und war sehr mit sich zufrieden.

Diese seltsam geformten Steine, die sich Foochesth nannten, waren in den Jagd-Parkanlagen von Kzin genauso häufig anzutreffen wie Parkbänke auf der Erde. Sie ähnelten in ihrer Form einer Niere, damit ein männlicher Kzin sich mit angezogenen Beinen darauflegen konnte. Die Jagd-Parkanlagen der Kzinti waren zu fünfzig Prozent Wildnis und sowohl mit Jägern wie auch Speisetieren bestückt: ein orange- und gelbfarbener Dschungel, dem die Foochesth einen Hauch von Zivilisation verliehen. Die Bevölkerung der Kzin-Welt betrug mehrere hundert Millionen, war also nach der Meinung der Eingeborenen viel zu dicht besiedelt. Auch in den Parkanlagen wimmelte es von Kzinti.

Louis hatte seit dem frühen Morgen den Dschungel erforscht. Jetzt war er müde. Mit baumelnden Beinen beobachtete er das Gehen und Kommen der Einheimischen.

Im Dschungel war ein orangefarbener Kzin fast unsichtbar. Eben noch war da nichts gewesen; im nächsten Augenblick tauchte eine Vierteltonne eines intelligenten Fleischessers auf, der die Spur eines schnellen, von Panik ergriffenen Beutetiers verfolgte. Der männliche Kzin blieb mit einem Ruck stehen und starrte — auf Louis, der mit zusammengepreßten Lippen lächelte (weil ein Kzin immer die Zähne zeigt, wenn er einen Gegner herausfordert) und das Abzeichen auf seiner Schulter etwas weiter nach vorne schob, das ihm den Schutz des Patriarchen zusicherte (Louis hatte es dort befestigt, damit man es auch gut sehen konnte). Der Kzin kam zu dem Ergebnis, daß Louis nicht zu den für die Jagd freigegebenen Beutetieren gehörte, und zog sich wieder zurück.

Eigenartig, daß so ein gewaltiger Jäger sich in diesem gekräuselten gelben Laubwerk so gut zu verstecken vermochte, daß man seine Gegenwart nur spürte. Irgendwo in seiner Nähe waren mordgierige Augen auf ihn gerichtet.

Und dann kamen ein riesiges erwachsenes Männchen und ein noch mit kindlichem Flaum bedeckter Halbwüchsiger in sein Blickfeld.

Louis besaß ein paar Grundkenntnisse der Heldensprache. Er verstand den kleinen Kzin, der zu seinem Vater hochschaute und fragte: »Kann man das essen?«

Der Blick des erwachsenen Kzin kreuzte sich mit Louis' Blick. Louis' Lächeln wurde breiter, so daß seine Zähne sichtbar wurden.

Der erwachsene Kzin sagte: »Nein.«

Im Vertrauen auf vier Menschheits-Kzin-Kriege zuzüglich einiger »Zwischenfälle« — die alle schon Jahrhunderte zurücklagen, jedoch alle von den Menschen gewonnen wurden — grinste Louis und nickte. Sag es ihm ruhig, Daddy! Es bekommt dir immer noch besser, weißes Arsenik zu essen statt Menschenfleisch!


Die Ringwelt, zwanzig Jahre später:

Die heißen Wände trieben ihm den Schweiß aus den Poren. Das störte ihn nicht. Er hatte regelmäßig die Sauna besucht. Einhundertundsechzig Grad Fahrenheit ist nicht sehr heiß für eine Sauna. Die aufgezeichnete Stimme des Hintersten fauchte und spuckte in der Heldensprache und bot Asyl auf der Flotte der Welten an. »Unterbreche die Sendung!« befahl Louis, und der Lautsprecher verstummte.

Lodernde Flammen blockierten den Blick aus den Bullaugen. Das mit Kanonen ausgerüstete Fahrzeug war wieder abgezogen. Ein paar verzerrte Kzinti sprinteten über den Burghof, legten einen Kanister unter das Landungsboot und rannten zurück in den Torbogen.

Es war nicht die richtige Ausgabe von Kzinti: nicht so zivilisierte wie Chmeee. Wenn sie mit ihren Krallen an Louis Wu herankamen — aber im Landungsboot war er relativ sicher.

Louis blinzelte durch das Bullauge in die Flammen. Er entdeckte sechs von diesen Kanistern, die unter dem Landungsboot verteilt lagen. Zweifellos waren das Bomben. Sie würden jeden Moment explodieren, ehe das Feuer sie einzeln in die Luft gehen ließ.

Louis grinste. Seine Hände hingen aktionsbereit über den Schaltern und Hebeln der Konsole, während er mit einer Versuchung kämpfte. Dann tastete er in rascher Folge die Befehle ein. Die Knöpfe waren unangenehm heiß. Er grätschte die Beine und hielt sich an den Sessellehnen fest. Die Hände hatte er mit dem Stoff seines Overalls umwickelt.

Das Landungsboot hob sich aus den Rammen. Ein Ring greller Explosionen zuckte unter ihm auf, und dann war das Schloß nur noch ein winziges Spielzeug. Louis grinste immer noch. Er fühlte sich wie ein tugendhafter Held. Er hatte die Versuchung überwunden. Wenn er den Fusionsantrieb statt der Repulsionsdüsen verwendet hätte, wären den Kzinti die Augen aus dem Kopf gefallen vor Staunen, wie heftig ihre Bomben explodierten.

Hagel prasselte auf den Rumpf und die Fenster. Louis blickte überrascht hoch, auf ein Dutzend geflügelte Spielzeuge, die sich aus dem Himmel auf ihn herabstürzten. Dann blieben die Flugzeuge schon unter ihm zurück. Louis bleckte die Zähne. Er stellte den Autopilot so ein, daß er auf fünf Meilen Höhe den Aufstieg beendete.

Vielleicht sollte er diese Flugzeuge nicht ganz aus dem Auge verlieren.

Dann stand er auf und wandte sich dem Niedergang zu.

Louis schnaubte, als er die Skalen ablas. Er rief den Hintersten: »Chmeee ist vollkommen geheilt und schläft friedlich in seinem Autodock. Der Autodock weckt ihn natürlich nicht und will ihn nicht herauslassen, weil die Lebensbedingungen außerhalb des Autodock nicht sehr gesund sind.«

»Nicht gesund?«

»Es ist zu heiß im Landungsboot. Der Autodock ist nicht so präpariert, daß er einen Patienten in einen brennenden Scheiterhaufen steigen läßt. Die Geräte müssen erst abkühlen, nachdem wir dem Feuer entronnen sind.« Louis fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Der Schweiß lief ihm bis zu den Ellbogen hinunter. »Wenn Chmeee aus dem Autodock steigt, wirst du ihm dann die Situation erklären? Ich brauche jetzt eine kalte Dusche.« Er stand unter dem kalten Wasserstrahl, als der Boden sich plötzlich unter ihm neigte. Louis wickelte sich rasch ein Handtuch um den Bauch und lief den Niedergang hinauf zum Kontrolldeck. Er hörte, wie der Hagel wieder auf den Rumpf prasselte.

Langsam und vorsichtig, als täten ihm noch alle Knochen weh, drehte sich Chmeee auf seinem Stuhl vor der Instrumentenkonsole um. Er blinzelte, als habe er ein Sandkorn im Auge. Die Haare waren am linken Auge abrasiert. Frische Haut bedeckte einen unrasierten Streifen, der von der Hüfte bis zu den Lenden hinunterlief. Er sagte: »Hallo, Louis! Wie ich sehe, hast du überlebt.«

»Ja. Was treibst du denn jetzt auf dem Kommandodeck?« »Ich ließ trächtige Weibchen in der Burg zurück.«

»Werden sie denn in diesem Moment umgebracht? Oder können wir vielleicht ein paar Minuten über der Burg im Schwebeflug verharren?«

»Haben wir etwas zu besprechen? Ich dachte, du wüßtest es besser und würdest dich nicht einmischen.«

»So wie die Dinge jetzt stehen, würden deine Weibchen in zwei Jahren tot sein.«

»Sie können im Stasisfeld mit der Heißen Nadel mit mir nach Hause fliegen. Ich hoffe immer noch, den Hintersten zu überreden.«

»Da mußt du schon mich überreden. Ich habe das Kommando über die Heiße Nadel übernommen.«

Chmeees Hände krallten sich um die Lehnen. Der Boden schwankte entsetzlich. Louis packte die Rückenlehne des Copilotensitzes und pendelte die Schwingungen aus. Ein Blick auf die Instrumententafel zeigte ihm, daß das Landungsboot wieder starr in der Luft verharrte. Auch der Geschoßhagel hatte aufgehört, obwohl immer noch ein Dutzend Flugzeuge um das kleine Landungsboot herumkreisten. Die Burg lag eine halbe Meile unter ihnen.

Chmeee fragte: »Wie hast du das geschafft?«

»Ich verwandelte den Hyperdrive-Motor in Schrott.«

Der Kzin bewegte sich unglaublich schnell. Ehe Louis auch nur einen Finger krumm machen konnte, zog der Kzin ihn schon an seine Brust und hielt ihm die ausgefahrenen Krallen vor das Gesicht.

»Sehr intelligent«, sagte Louis. »Geradezu genial. Und was willst du jetzt machen?«

Der Kzin bewegte sich nicht. Blut perlte über Louis' Augen. Er hatte das Gefühl, als müßte jeden Moment seine Wirbelsäule brechen. »Mir scheint, daß ich dich wieder einmal retten muß.«

Der Kzin ließ ihn los und wich einen Schritt zurück, als fürchtete er, sein Temperament könnte noch einmal mit ihm durchbrennen. Er fragte: »Hast du uns alle zum Untergang verurteilt? Oder trägst du dich mit dem Gedanken, die ganze Ringwelt wieder in ihre richtige Lage zu rücken?«

»Letzteres.«

»Wie?«

»Vor ein paar Stunden noch hätte ich es dir sagen können. Nun müssen wir eine andere Lösung finden.«

»Warum hast du das getan?«

»Ich wollte die Ringwelt retten. Es gab nur eine Möglichkeit, uns der Mitarbeit des Hintersten zu versichern. Ich mußte ihn in Lebensgefahr bringen. Und wie gewinne ich jetzt dich als Mitarbeiter?«

»Du Idiot! Ich bin fest entschlossen, einen Weg zu finden, um die Ringwelt wieder in die richtige Lage zu schieben, wenn ich damit nur meine Kinder rette. Es ist dein Problem, mich davon zu überzeugen, daß ich dich dazu brauche.«

»Die Pak, die diese Welt erbauten, waren meine Vorfahren. Wir versuchen, uns in ihre Vorstellungen und Gedankenwelt zu versetzen, nicht wahr? Welche Vorrichtungen haben sie in diesen Artefakten eingebaut, damit er immer stabil bleibt? Zudem habe ich zwei Städtebauer-Bibliotheksangestellte an Bord, die sich mit der Geschichte der Ringwelt recht gut auskennen. Sie würden nicht mit dir zusammenarbeiten. Sie sehen jetzt schon in dir ein Ungeheuer, obwohl du mich noch gar nicht umgebracht hast.«

Chmeee blickte Louis nachdenklich an. »Wenn sie mich fürchten, werden sie mir auch gehorchen. Diese Welt ist in einer tödlichen Gefahr. Und ihre Vorfahren waren ebenfalls Pak.«

Inzwischen war die Temperatur des Landungsbootes für einen nackten Mann ein wenig zu kalt geworden. Aber Louis schwitzte immer noch. »Ich habe bereits das Reparaturzentrum entdeckt.«

»Wo ist es?«

Louis überlegte, ob er ihm diese Information vorenthalten sollte. Aber nur kurz: »Es ist die Weltkarte des Mars.«

Chmeee setzte sich wieder auf den Pilotensitz. »Das ist eine außerordentlich interessante Nachricht. Die deportierten Kzinti erfuhren in ihrem Zeitalter der Welterforschung eine Menge über die Weltkarte des Mars; aber das blieb ihnen offenbar verborgen.«

»Ich möchte wetten, daß in der Nähe der Weltkarte des Mars eine Menge Schiffe untergingen.«

»Ein Flugzeugpilot sagte mir, daß viele Schiffe auf dem Mars verschwanden, aber nichts Wertvolles auf dem Mars erbeutet wurde. Die Welterforscher brachten beträchtliche Beute von einer Weltkarte nach Hause, die weiter nach spinnwärts liegt; aber die Beute deckte nie die Entstehungs- und Betriebskosten für ihre Schiffe. Brauchst du einen Autodock?«

Louis wischte sich mit dem Overall das Blut aus dem Gesicht. »Noch nicht. Diese Weltkarte spinnwärts — das scheint sich um die Erde zu handeln. Also wurde sie nie verteidigt.«

»Offenbar nicht. Aber da ist auch eine Weltkarte an Backbord, und die Schiffe, die dorthin fuhren, kamen nie mehr nach Hause. Könnte sich das Reparaturzentrum nicht dort befinden?«

»Nein, das ist die Weltkarte von Down. Wahrscheinlich sind sie dort mit Grogs zusammengestoßen.« Louis wischte sich wieder das Gesicht ab. Die Klauen des Kzin waren nicht sehr tief eingedrungen, aber eine Schramme im Gesicht blutet immer heftig. »Laß uns mal überlegen, was wir für deine trächtigen Weibchen tun können. Wie viele sind es?«

»Ich weiß nicht. Sechs befanden sich gerade in der Brunft.«

»Nun, für so viele Weibchen haben wir nicht Platz. Sie müssen also in der Burg bleiben. Es sei denn, du bist der Meinung, der Burgherr wird sie umbringen.«

»Nein, aber es besteht die Möglichkeit, daß er meine männlichen Nachkommen umbringen läßt. Noch keine Gefahr. Nun, damit könnte ich fertig werden.« Chmeee beschäftigte sich mit der Instrumentenkonsole. »Die mächtigste Zivilisation hat sich in der Nachbarschaft eines der alten Forschungsschiffe entwickelt, das Behemoth heißt. Wenn sie mich hier orten, werden sie die Burg mit Krieg überziehen.«

Die Flugzeuge brannten wie Fackeln, als sie zu Boden stürzten. Chmeee suchte den Himmel mit Radar ab, dann mit Tiefenradar und schließlich mit Infrarot-Suchern. Der Himmel war leer. »Louis, waren noch mehr Flugzeuge in der Nähe? Sind einige gelandet?«

»Ich glaube nicht. Falls ja, hatten sie keinen Treibstoff mehr, und hier gibt es auch keine Startbahnen. Die Straßen? Suche die Straßen ab. Sie dürfen sich nicht über Funk mit dem Riesenschiff in Verbindung setzen.«

Radiowellen dehnten sich wie Lichtwellen aus, und die Ringweltatmosphäre hatte vermutlich eine Heaviside-Schicht.

Da war eine Straße in der Nähe der Burg, die sich kaum als Rollbahn eignete, weil sie mit Schlaglöchern übersät war. Da gab es auch flache Wiesen oder Felder in der Nähe. und es dauerte einige Minuten, ehe Chmeee sich beruhigt zurücklehnte. Alle Flugzeuge waren tote Ruinen.

»Der nächste Schritt«, sagte Louis. »Du kannst ja nicht alle männlichen Kzinti in der Burg umbringen. Hast du mir nicht erzählt, daß Kzinti-Weibchen nicht für sich selbst sorgen können?«

»Nein, das können. Louis, das ist ja das Eigenartige. Die Weibchen in der Burg sind weitaus intelligenter als die weiblichen Kzinti in unserem Patriarchat.«

»So intelligent wie du?«

»Nein! Aber sie verfügen wenigstens über einen gewissen Wortschatz.«

»Ist das möglich, daß deine Artgenossen auf den Welten des Patriarchats sich willenlose oder friedliche Weibchen herangezüchtet haben? Wäre es möglich, daß ihr euch ein paar hunderttausend Jahre lang weigertet, die intelligenten Weibchen zu decken? Schließlich züchtet ihr doch so gerne Sklaven.«

Chmeee bewegte sich unbehaglich. »Du magst recht haben. Auch die Männer sind hier anders. Ich versuchte, mit den Herrschern des Forschungsschiffes zu verhandeln. Ich zeigte ihnen meine Macht und wartete dann auf ein Verhandlungsangebot. Aber sie versuchten gar nicht erst zu verhandeln. Sie verhielten sich, als gäbe es nur zwei Möglichkeiten: jeder kämpft oder siegt, bis er tot umfällt. Ich mußte Chjarrl verspotten, seinen Ahnenstolz verletzen, ehe er mir etwas von der Geschichte dieser Welt erzählte.«

Aber Puppetiers hatten diese Kzinti nie genetisch manipuliert, damit sie sich zu einer friedfertigen Rasse entwickelten, dachte Louis. »Wenn du also die Weibchen nicht mitnehmen und die Männchen nicht töten kannst, dann mußt du es eben auf eine andere Weise versuchen. Wir müssen wieder einmal Götter spielen.«

»Vielleicht ist das eine Lösung. Probieren wir es erst einmal auf folgende Weise.«


Knapp außerhalb der Reichweite der Kanone auf dem Fahrzeug des Kzinti-Alliierten, jedoch viel höher, als man mit einem Pfeil zu schießen vermochte, schwebte das Landungsboot über der Burg. Sein Schatten fiel auf die Asche des Scheiterhaufens im Burghof. Louis hörte die Stimmen im Übersetzungskästchen von Chmeee und wartete auf dessen Signal.

Chmeee forderte die Bogenschützen auf, auf ihn zu schießen. Chmeee drohte, versprach und drohte erneut. Dann folgte ein donnerndes Salvenfeuer aus dem Handscheinwerfer-Laser, der einen Felsen zerschnitt, der krachend zu Boden stürzte. Es zischelte, fauchte und spuckte.

Kein Wort von Chmeees viel gefährlicherem Meister.

Vier Stunden blieb er unten in der Burg. Dann kroch Chmeee aus einem Söllerfenster heraus und schwebte nach oben. Louis wartete, bis er an Bord kam, und startete die Düsen.

Chmeee trat eine Weile später zu ihm, nachdem er sein Fluggeschirr und den Schutzpanzer abgelegt hatte. Louis sagte: »Du hast mir kein einziges Mal das Zeichen gegeben, daß ich als Gott erscheinen soll.«

»Bist du deswegen beleidigt?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Es hätte wohl auch nicht viel genützt. Und. ich brachte es einfach nicht fertig. Das ist meine eigene Rasse. Ich konnte ihnen nicht mit einem Menschen drohen.«

»Okay.«

»Kathakt wird meine Kinder zu Helden erziehen. Er wird sie im Gebrauch der Waffen unterrichten und sie, wenn sie alt genug sind, mit einer eigenen Rüstung versehen, damit sie sich ihr eigenes Land erobern können. Sie würden keine Bedrohung für seine eigene Herrschaft darstellen, verstehst du? Sie hätten eine gute Chance, zu überleben, wenn ich nicht mehr zurückkehre. Ich machte Kathakt meinen Handscheinwerfer-Laser zum Geschenk.«

»In Ordnung.«

»Hoffentlich.«

»Bist du jetzt fertig mit der Weltkarte von Kzin?«

Chmeee dachte einen Moment nach. »Ich nahm einen Flugzeugpiloten gefangen. Sie gehören alle zur Aristokratenkaste, besitzen eigene Heldennamen und eine umfassende Bildung. Chjarrl berichtete mir von dem Zeitalter der Welterforschung, nachdem ich die Taten seiner Vorfahren verspottete. Wir dürfen von der Annahme ausgehen, daß eine reichhaltige historische Bibliothek auf Behemoth existiert. Sollen wir das Riesenschiff einnehmen?«

»Sag mir nur, was Chjarrl dir berichtete. Wie weit sind sie auf der Weltkarte des Mars vorgedrungen?«

»Sie fanden eine Wand aus stürzendem Wasser. Spätere Generationen erfanden dann die Druckanzüge und hochfliegende Flugzeuge. Sie erkundeten die Randgebiete des Mars, und ein Forschungsteam erreichte sogar das Zentrum des Mars, wo er mit einer dicken Eiskappe bedeckt ist.«

»Ich denke, wir können uns die Bibliothek von Behemoth ersparen. Sie drangen nie bis in das Innere des Mars vor. Hinterster, hörst du zu?«

Eine Mikrophonstimme sagte: »Jawohl, Louis.«

»Wir steuern jetzt die Weltkarte des Mars an. Du kommst mit dem Raumschiff ebenfalls dorthin, aber bleibe immer auf der Backbordseite des Landungsbootes, falls wir mit den Transportscheiben rasch übersetzen müssen.«

»Aye, aye. Gibt es sonst noch etwas zu berichten?«

»Chmeee ließ sich von den Einheimischen erzählen, daß die Kzinti die Oberfläche der Weltkarte des Mars erforschten, dort aber nichts fanden, was nicht typisch für den Mars wäre. So wissen wir immer noch nicht, wie wir uns Zutritt zur Unterwelt des Mars beschaffen können.«

»Vielleicht ist der Eingang unter der Weltkarte.«

»Ja, das könnte sein. Das wäre sehr ärgerlich. Wie geht es unseren Gästen?«

»Du solltest bald wieder an Bord kommen.«

»Sobald ich kann. Schaue mal, ob du Daten über den Mars im Computer der Heißen Nadel findest. Vielleicht auch Daten über Marsbewohner, Ende.« Louis drehte sich um. »Chmeee, willst du jetzt das Boot steuern? Überschreite aber nicht eine Geschwindigkeit von vier Meilen pro Sekunde.«

Das Landungsboot stieg rasch höher und ging dann in den Horizontalflug über, als der Kzin das Steuer übernahm. Sie durchbrachen eine graue Wolkendecke, und dann war nur noch der blaue Himmel über ihnen, der sich rasch verdunkelte, als sie noch weiter hinaufkletterten. Die Weltkarte von Kzin glitt wie ein Teppich unter ihnen hin und blieb zurück.

Chmeee sagte: »Der Puppetier scheint sich mit deinem Kommando abgefunden zu haben.«

»Ja.«

»Und du scheinst dir sehr sicher zu sein, was die Weltkarte des Mars betrifft.«

»Ja.« Louis grinste. »Es ist eine recht geschickte Tarnung, aber perfekt ist sie nicht. Das war unmöglich. Sie mußten ein zu großes Volumen unterbringen. Auf dem Flug hierher wählten wir die Route auf der Unterseite der Ringwelt. Rate mal, was wir fanden, als wir die Unterseite des Mars passierten?«

»Mach es nicht so spannend.«

»Nichts. Nichts außer dem Relief des Meeresbodens. Nicht einmal Kühlrippen. Fast alle anderen Weltkarten sind mit Kühlrippen ausgestattet, um Eis an den Polen zu erzeugen. Ein sogenanntes passives Kühlsystem. Dieses System hätte auch an der Unterseite der Weltkarte des Mars eingebaut sein müssen. Wohin geht die überschüssige Wärme? Zuerst glaubte ich, sie würde in das Meer abgeleitet, aber das war nicht der Fall. Also kamen wir zu dem Schluß, daß die Hitze direkt in das Superleiter-Netz gepumpt wird, das den Ringweltboden durchzieht.«

»Ein Superleiter-Netz?«

»Ein gewaltiges Netz von Superleitern, das die magnetischen Kräfte im Fundament der Ringwelt steuert. Gleichzeitig werden damit die Fusionen der Sonne und deren Eruptionen gesteuert. Wenn die Weltkarte des Mars an das Gitternetz angeschlossen ist, muß es auch das Kontrollzentrum der Ringwelt darstellen.«

Chmeee dachte über Louis' Worte nach. Dann sagte er: Sie hätten die Hitze nicht in das Meer ableiten können. Dann wären warme, feuchte Luftmassen über dem Mars entstanden und gewaltige Wolkengebilde würden aus großer Entfernung angezogen und wieder von dem Mars in größerer Höhe abgestoßen. Vom Weltraum aus gesehen, würde die Weltkarte des Mars als eine große Zielscheibe erscheinen. Könntest du dir vorstellen, daß Pak-Protektoren so einen groben Schnitzer machten?«

»Nein.« Obwohl Louis so einen Fehler gemacht hätte.

»Ich besitze keine konkreten Vorstellungen vom Mars. Der Planet war nie besonders wichtig für deine Rasse, nicht wahr, Er hatte eine mehr spirituelle Bedeutung, war der Ursprung von Märchen und Legenden. Ich weiß nur, daß die Weltkarte des Mars zwanzig Meilen hoch ist, um die dünne Luft des Originals zu kopieren.«

»Zwanzig Meilen hoch, bei einer Gesamtfläche von sechsundfünfzig Millionen Quadratmeilen. Das ergibt einen Innenraum von einer Milliarde einhundertzwanzig Millionen Kubikmeilen. Darin kann man eine Menge verstecken.«

»Rrrr«, erwiderte Chmeee. »Ich glaube, du hast recht. Die Weltkarte des Mars ist das Reparaturzentrum, und die Pak taten ihr Bestes, um es zu tarnen. Chjarrl erzählte mir von den Ungeheuern, den Stürmen und den gewaltigen Entfernungen des Großen Ozeans. Sie eigneten sich gut als passive Wächter. Eine Flotte von Invasoren würde vermutlich niemals dieses Geheimnis erraten.«

Louis rieb sich geistesabwesend die vier juckenden Wundmale über seiner Augenbraue. »Eins Komma zwölf mal zehn hoch neun Kubikmeilen. Ich muß zugeben, diese Zahl versetzt mich ins Staunen. Was bewahrten sie nur in dieser riesigen Höhle auf? Pfropfen, die groß genug sind, damit man damit den Krater der ›Faust Gottes‹ verschließen kann? Maschinen, die groß genug sind, um diese Pfropfen zu transportieren, einzusetzen und dann festzuschweißen? Stammten die Winden und Kräne, die wir auf der Mauerkrone der Ringwelt entdeckten, ebenfalls aus dieser Werkstatt? Lagern vielleicht noch Steuerdüsen unter dem Eis des Pseudo-Mars? Ersatz-Steuerdüsen? Tanj, ich würde diese Ersatzdüsen nur zu gerne finden. Aber dann bleibt immer noch genügend Raum für andere Geräte.«

»Für Kriegsflotten.«

»Ja. Wir wissen ja bereits von ihrer größten Waffe, aber Kriegsflotten, natürlich! Und Schiffe, um Flüchtlinge wegzubringen. Vielleicht ist die Weltkarte des Mars ein einziges großes Rettungsschiff. Es müßte groß genug sein, die Ringwelt zu evakuieren, ehe die Bevölkerung jede Nische in der Ökologie auszufüllen beginnt.«

»Ein Raumschiff? Vielleicht ein Raumschiff, das groß genug ist, daß man damit die Ringwelt wieder in ihre richtige Lage ziehen könnte? Es fällt mir schwer, in solchen Dimensionen zu denken, Louis.«

»Mir ebenfalls. Aber ich glaube, auch ein Raumschiff dieser Größe würde nicht ausreichen als Schleppper für die Ringwelt.«

»Was hattest du dir dann gedacht, als du den Hyperdrive-Motor zerstörtest?« Plötzlich fauchte ihm der Kzin ins Gesicht.

Louis zog es vor, nicht zurückzuzucken. »Ich glaubte, die Ringwelt könnte so programmiert werden, daß sie sich mit magnetischen Kräften nach der Sonne ausrichtet. Ich lag mit meiner Annahme fast richtig. Leider gibt es da eine Schwierigkeit, die.«

Die Stimme des Hintersten plärrte aus dem Lautsprecher: »Louis, Chmeee! Schaltet das Landungsboot auf Eigensteuerung und kommt zu mir an Bord!«

29. Die Weltkarte des Mars

Chmeee erreichte noch vor Louis in einem gewaltigen Satz die Transportscheibe. Auch der Kzin konnte also Befehle entgegennehmen, dachte Louis. Er hütete sich, diese Tatsache laut zu bestätigen.

Die Städtebauer blickten durch die Wand der Raumschiffzelle. Sie interessierten sich nicht für die Landschaft — da war nur eine unendliche blaue Fläche und der blaue, mit Wolken betupfte Himmel, der sich am Horizont mit dem Meer vereinigte. Sie beobachteten ein Hologramm von der Dimension einer Filmleinwand. Als Chmeee auf der Scheibe des Transportempfängers erschien, drehten sie sich um und versuchten, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen.

Louis sagte: »Chmeee, das sind Harkabeeparolyn und Kawaresksenjajok, Bibliotheksangestellte der fliegenden Stadt. Sie waren uns als Informanten eine große Hilfe.«

Der Kzin sagte: »Gut. Hinterster, was gibt es für Probleme?«

Louis zupfte den Kzin am Fell und deutete.

»Ja«, sagte der Puppetier, »das Problem ist die Sonne.«

Die Sonne erschien im Hologramm-Rechteck als ein sanft glühendes, stark vergrößertes Gebilde. Ein heller Fleck in der Mitte dieses Gebildes bewegte sich kreiselnd und veränderte ständig seine Gestalt.

Chmeee sagte: »Haben wir nicht eine ähnliche Erscheinung in der Sonne beobachtet, als wir auf der Raumhafen-Rampe landen wollten?« »Richtig. Was du jetzt siehst, ist die Ringwelt-Meteor-Verteidigungsanlage. Hinterster, was machen wir jetzt? Wir können die Geschwindigkeit herabsetzen, aber ich sehe keinen Weg, das Landungsboot zu retten.«

»Mein erster Gedanke war, unser wertvolles Selbst zu retten«, erwiderte der Puppetier.

Das Meer reflektierte ein grelles Licht, das sich direkt unter der Heißen Nadel befinden mußte. Nun schien es noch greller zu werden und nahm eine violette Färbung an. Plötzlich, einen Augenblick lang, wurde es zu einem unerträglich hellen Gleißen. Dann war es ein schwarzer Punkt auf dem Rumpf unter ihren Füßen.

Und ein pechschwarzer Faden mit einer violettweißen Korona stand über dem Horizont spinnwärts. Eine senkrechte Säule, die vom Boden bis zum Himmel reichte. Über der Atmosphäre war sie unsichtbar.

Der Kzin sagte etwas in der Heldensprache.

»Alles sehr schön«, sagte der Hinterste auf Interworld, »aber worauf schießt es? Ich dachte, wir wären das Ziel.«

Louis sagte: »Liegt nicht die Weltkarte der Erde in dieser Richtung?«

»Ja. Auch eine Menge Wasser und ein beträchtlicher Teil der Ringwelt-Landschaft.«

Als der Strahl die Ringweltoberfläche traf, glühte der Horizont im weißem Licht. Chmeee flüsterte in der Heldensprache, aber Louis verstand durchaus den Sinn. »Mit so einer Waffe könnte ich die Erde in Dampf verwandeln.«

»Halt den Schnabel.«

»Das war eine ganz natürliche Überlegung, Louis.«

»Ja.«

Der Strahl brach plötzlich ab. Dann schlug er wieder auf der Ringwelt ein, ein paar Grad weiter nach Backbord.

»Tanj dammit! Okay, Hinterster, bring uns höher hinauf. Fliege so hoch, daß wir das Teleskop verwenden können.«


Da war ein glühender gelbweißer Punkt auf der Weltkarte der Erde, als wäre dort soeben ein größerer Asteroid eingeschlagen.

Etwas weiter entfernt entdeckten sie eine ähnliche Lichterscheinung. Dort mußte sich bereits die Küste des Großen Ozeans befinden.

Die Sonnenfackel wurde schwächer und verlor ihren Zusammenhang.

Chmeee fragte: »Befanden sich Flugzeuge oder ein Raumschiff in dieser Richtung? Schnellfliegende Objekte?«

»Das hätten mir meine Instrumente anzeigen müssen«, erwiderte der Hinterste.

»Überprüf die Instrumente. Und bringe uns auf eine Höhe von einer Meile. Ich denke, wir sollten uns der Weltkarte des Mars von der Seite nähern.«

»Louis?«

»Tue, was er sagt.«

Chmeee fragte: »Hast du eine Ahnung, wie dieser Laserstrahl zustande kam?«

»Louis kann dir das erklären«, erwiderte der Puppetier. »Ich bin beschäftigt.«


Die Heiße Nadel und das Landungsboot näherten sich jetzt der Weltkarte des Mars aus zwei Richtungen. Der Hinterste hielt die beiden Raumschiffe auf Parallelkurs, damit man mit den Transportscheiben rasch zwischen ihnen hin- und herpendeln konnte.

Lois und Chmeee setzten zum Mittagessen auf das Landungsboot über. Chmeee war hungrig. Er verschlang mehrere Pfunde rohes Fleisch, eine Forelle, und trank vier Liter Wasser. Louis' Appetit ließ zu wünschen übrig. Er war froh, daß seine Gäste ihrer Mahlzeit nicht zusehen mußten.

»Ich begreife nicht, weshalb du diese Passagiere an Bord nahmst«, sagte Chmeee. »Es sei denn, du möchtest dich mit der Frau paaren. Aber warum der Junge?«

»Es sind Städtebauer«, erwiderte Louis. »Ihre Gattung beherrschte einmal fast die ganze Ringwelt. Und ich habe die beiden in ihrer Bibliothek aufgelesen. Du solltest dich mit ihnen näher bekanntmachen, Chmeee, ihnen Fragen stellen.«

»Sie haben Angst vor mir.«

»Du bist ein gewandter Diplomat. Solltest du das vergessen haben? Ich werde den Jungen einladen, sich das Landungsboot anzusehen. Du erzählst ihm Geschichten von Kzin, den Jagd-Parkanlagen und dem Haus des Patriarchen. Sage ihm auch, wie die Kzinti sich paaren.«

Louis setzte wieder auf die Heiße Nadel über, redete mit Kawaresksenjajok und war mit dem Jungen schon wieder an Bord des Landungsbootes, ehe Harkabeeparolyn begriff, was da vor sich ging.

Chmeee zeigte dem Jungen, wie er das Landungsboot steuern konnte. Das kleine Raumschiff ging in den Sturzflug über, überschlug sich und stieg dann wieder wie ein Pfeil zum Himmel hinauf. Der Junge war ganz begeistert von diesen Manövern. Chmeee erklärte ihm auch, wie die binokularen Schutzbrillen funktionierten, das Superleiter-Tuch und der Schutzpanzer.

Der Junge fragte ihn jetzt nach dem Geschlechtsverhalten der Kzinti.

Chmeee hatte sich mit einem Weibchen gepaart, das sogar reden konnte! Das hatte ihm ganz neue Aspekte vermittelt. Er beantwortete die Fragen des Jungen und erläuterte ihm die Paarungspraxis der Tigerwesen, was Louis für einen ziemlich langweiligen Vortrag hielt. Dann animierte er den Jungen, über das gleiche Thema zu sprechen und ihm alles über Rishathra zu erzählen.

Kawaresksenjajok hatte wenig Erfahrung mit der Praxis, war aber theoretisch sehr beschlagen: »Wir legen Archive über eine Gattung an, die mit uns Rishathra treiben will. Einige Gattungen üben statt Rishathra irgendeine Ersatzhandlung aus oder sie schauen lieber dabei zu oder reden darüber. Einige paaren sich nur in einer Stellung, andere nur in einer Jahreszeit, und es gibt dafür auch eine Vielzahl von Hilfsmitteln. Alle Praktiken von Rishathra haben Einfluß auf unsere Handelsbeziehungen. Hat Luweewu dir schon von dem Vampir-Parfüm erzählt?«

Sie merkten gar nicht, daß Louis sich fortstahl, um alleine auf die Heiße Nadel zurückzukehren.

Harkabeeparolyn war ziemlich erregt: »Luweewu, er könnte Kawa etwas antun!«

»Die beiden kommen prächtig miteinander zurecht«, beruhigte Louis sie. »Chmeee ist als Besatzungsmitglied mein Partner, und er mag Kinder, ganz gleich, welcher Rasse sie angehören. Der Junge ist gut bei ihm aufgehoben. Wenn du dich mit ihm anfreunden willst, brauchst du ihn nur hinter den Ohren zu kraulen.«

»Wie kam die Wunde auf deiner Stirn zustande?«

»Ich war unvorsichtig. Und ich weiß, wie ich dich wieder zur Ruhe bringen kann.«

Sie liebten sich — trieben Rishathra — auf dem Wasserbett bei angestellter Massage-Mechanik. Die Frau mochte einen Haß auf den Panth-Clan haben, aber sie hatte dort auch eine Menge gelernt. Zwei Stunden später, als Louis sicher war, er könne kein Glied mehr bewegen, streichelte Harkabeeparolyn seine Wange und sagte: »Morgen ist meine Paarungszeit zu Ende. Dann kannst du dich wieder erholen.«

»Ich glaube, ich müßte das sogar bedauern«, erwiderte er mit einem leisen Lachen.

»Luweewu, ich würde mich besser fühlen, wenn du dich jetzt wieder Chmeee und Kawa anschließt.«

»Okay. Schau nur, ich kann kaum noch gerade gehen. Siehst du mich auf der Transportscheibe? Gleich löse ich mich in Luft auf.«

»Luweewu.«

»Oh, schon gut.«


Die Weltkarte des Mars war eine dunkle Linie, die stetig anwuchs, bis sie zu einer Mauer aufragte, die sich ihnen quer in den Weg stellte. Als Chmeee das Tempo verzögerte, fingen die Mikrophone, die im Rumpf des Landungsbootes eingebaut waren, ein flüsterndes Geräusch auf, das lauter war als der Flugwind.

Sie näherten sich einer Wand stürzenden Wassers.

Aus einer Entfernung von einer Meile schien sie senkrecht und unglaublich hoch zu sein. Der Scheitel des Wasserfalles befand sich zwanzig Meilen über ihren Köpfen. Der untere Teil des Wasserfalles war von Nebelschwaden verhüllt. Das Wasser donnerte in ihren Ohren, bis Chmeee die Außenbordmikrophone abschalten mußte. Aber auch dann noch konnte man das Dröhnen des Wassers vernehmen.

»Das sieht aus wie unsere Wasserkondensatoren in der Stadt«, bemerkte der Junge. »Hier mußten meine Leute das Prinzip des Kondensators gelernt haben. Chmeee, habe ich dir schon von diesen Maschinen erzählt?«

»Ja. Wenn die Städtebauer bis zum Mars vorgedrungen sind, muß man sich ja fragen, ob sie den Eingang zur Unterwelt dieser Kuppel fanden. Wird in deinen Märchen auch von einer Unterwelt erzählt?«

»Nein.«

Louis sagte: »Ihre Zauberer waren anatomisch gebaut wie die Pak-Protektoren.«

Der Junge fragte: »Luweewu, dieser große Wasserfall — warum ist er so riesig?«

»Er muß sich um die ganze Oberseite der Weltkarte herumziehen. Damit verhindert er eine Nebelbildung, weil die Kuppel des Mars trocken bleiben muß«, erwiderte Louis. »Hinterster, hörst du zu?«

»Ja. Deine Befehle?«

»Wir werden mit dem Landungsboot die Kuppel umkreisen und den Tiefenradar und die anderen Instrumente einstellen. Vielleicht finden wir einen Zugang unter dem Wasserfall. Mit der Heißen Nadel erforschen wir den Scheitel der Kuppe. Wie steht es mit deinem Treibstoffvorat?«

»Ausreichend, falls wir nicht nach Hause fliegen müssen.«

»Okay. Wir werden auch die Sonde aussetzen und sie so einstellen, daß sie der Heißen Nadel mit zehn Meilen Abstand und in einer Flughöhe dicht über dem Boden folgt. Halte die Transportscheiben-Verbindungen offen und stelle die Mikrophone ein. Chmeee, möchtest du das Landungsboot steuern?«

»Aye, aye«, erwiderte der Kzin.

»Okay. Komm mit, Kawa.«

»Ich möchte aber hier beim Kzin bleiben«, sagte der Junge.

»Harkabeeparolyn würde mich umbringen. Also komm schon.«


Die Heiße Nadel erhob sich zwanzig Meilen über die Weltkarten-Oberfläche, und der rote Mars dehnte sich vor ihnen aus.

Kawaresksenjajok sagte: »Er sieht schrecklich aus.«

Louis ignorierte seine Bemerkung. »Wenigstens wissen wir, wonach wir suchen müssen, nach etwas Großem. Stellen wir uns eine Sicherung vor, die groß genug ist, um den Krater in der ›Faust Gottes‹ zu verstopfen. Weiterhin brauchen wir eine Luke, die groß genug ist, diese Sicherung durchzulassen und das Flugzeug, das so ein Ding tragen kann. Wo würde man so etwas auf der Weltkarte des Mars vermuten? Hinterster?«

»Unter dem Wasserfall«, erwiderte der Hinterste. »Wer würde dort suchen? Der Ozean ist leer. Der Wasserfall würde den Einstieg verdecken.«

»Ja. Das klingt logisch. Aber Chmeee sucht dort bereits. Wo noch?«

»Ich müßte die Umrißlinien einer gewaltigen Luke in einer für den Mars typischen Landschaft verstecken. Vermutlich eine Luke mit unregelmäßigen Konturen, deren Angeln sich in einem langen, geraden Canyon befinden. Vielleicht würde ich den Lukendeckel unter Eis verstecken und die Eiskappe auf dem Nordpol immer abschmelzen und sich neu bilden lassen, damit die Spuren meines Kommens und Gehens verwischt werden.«

»Gibt es irgendwo einen Canyon, der sich dafür eignet?«

»Ja. Ich habe schließlich meine Hausaufgaben gemacht. Louis, die Pole scheinen mir am besten als Tarnung geeignet. Die Marsianer versuchten niemals, sich ihren Polen zu nähern. Wasser war für sie tödlich.«

Die Weltkarte des Mars war eine Polarprojektion; der Südpol befand sich an ihrem äußeren Rand. »Okay. Wenn wir dort nichts finden, werden wir von dort aus spiralförmig den Mars absuchen. Wir bleiben in großer Höhe und schalten alle Instrumente ein. Wir kümmern uns noch nicht darum, ob wir beschossen werden. Chmeee, hörst du zu?«

»Ja.«

»Berichte uns laufend deine Beobachtungen. Vermutlich stehen deine Chancen, das Gesuchte zu finden, am besten. Und versuche nicht auf eigene Faust zu handeln.« Ob er dieser Anweisung auch gehorchte? »Wir wollen nicht mit dem Landungsboot eine Invasion versuchen. Wir sind Diebe. Lieber lassen wir uns in einem General-Products-Raumschiff unter Feuer nehmen.«


Das Tiefenradar drang nur bis zum Scrith-Boden vor. Die Berge und Täler über dem Scrith erschienen als durchsichtige Formationen. Sie entdeckten mit Marsstaub gefüllte Meere, der so fein war, daß er Wellen schlug wie Öl. Unter dem Staub entdeckten sie Siedlungen, die man als Städte bezeichnen konnte: Steingebäude mit runden Wänden und gerundeten Kanten und sehr vielen Öffnungen. Die Städtebauer staunten nicht weniger als Louis Wu. Marsianer waren im menschlichen Universum schon vor Hunderten von Jahren ausgestorben.

Die Luft war so klar wie Vakuum. Drüben auf Steuerbord, weit hinter dem Horizont, zeigte sich ein Berg, der höher war als jedes Gebirge auf der Erde. Das konnte natürlich nur Mons Olympus sein. Und ein weißer Flitter schwebte über dem Krater.

Die Heiße Nadel ging in Sturzflug über und hob sich gerade noch über den Dünenscheiteln ab. Dieser Splitter war immer noch sichtbar, schwebte fünfzig oder sechzig Meter über dem Gipfel. Und die Heiße Nadel mußte von den Bewohnern dieses Splitters längst entdeckt worden sein.

»Chmeee?«

»Ich höre.«

Louis kämpfte den Impuls nieder, im Flüsterton zu sprechen: »Wir haben einen fliegenden Wolkenkratzer entdeckt. Vielleicht dreißig Stockwerke hoch, mit Balkonfenstern und einer Landefläche für Flugwagen. Gebaut wie ein Doppelkegel. Es hat eine große Ähnlichkeit mit dem Gebäude, das wir bei unserer ersten Expedition in Besitz nahmen, das brave Schiff Improbable.«

»Ist es das gleiche Gebäude?«

»Nicht ganz, kommt ihm aber sehr nahe. Und es schwebt über dem höchsten Berg des Mars wie ein gottverdammter Wegweiser.«

»Es scheint sich aber nicht um ein Signal zu handeln, das uns gilt. Soll ich übersetzen?«

»Noch nicht. Hast du inzwischen was entdeckt?«

»Ich glaube, ich habe die Linien eines gewaltigen Lukendeckels hinter dem Wasserfall auf dem Tiefenradar. Die Luke ist so breit, daß sie eine ganze Kriegsflotte oder einen Pfropfen passieren lassen könnte, der den Krater in der ›Faust Gottes‹ ausfüllte. Vielleicht läßt sich die Luke mit einem bestimmten Signal öffnen. Ich habe es noch nicht versucht.«

»Tu es nicht. Warte weitere Anweisungen ab. Hinterster?«

»Ich habe die Strahlungs- und die Tiefenradar-Sonden eingeschaltet. Das Gebäude gibt nur eine geringe Energiestrahlung ab. Aber ein magnetischer Schwebezustand benötigt ja nicht viel Energie.«

»Was befindet sich im Gebäude?«

»Hier.« Der Hinterste schaltete den Monitor ein. Das Tiefenradar-Bild des Gebäudes war ein durchsichtiges Grau. Offenbar war das fliegende Gebäude für Reisezwecke umgebaut worden, und besaß Treibstofftanks und einen Sauerstoffgenerator im fünfzehnten Stockwerk. Der Puppetier sagte: »Eine sehr feste Konstruktion: Die Wände bestehen aus Beton oder ähnlich dichtem Material. In der Tiefgarage befinden sich keine Fahr- oder Flugzeuge. Im Dachgeschoß und im Keller sind Teleskope oder andere Sonden eingebaut. Ich kann dir nicht sagen, ob das Gebäude von einer Mannschaft besetzt ist.«

»Das ist allerdings unser Problem. Ich möchte unser Vorgehen kurz skizzieren, und du sagst mir dann, wie sich das anhört. Erstens: wir fliegen so rasch wie möglich genau über den Gipfel.«

»Dort bilden wir eine perfekte Zielscheibe.«

»Wir sind jetzt schon eine gute Zielscheibe.«

»Aber nicht für Waffen, die sich im Mons Olympus befinden.«

»Und wenn schon — wir sind mit einem General-Products-Rumpf gepanzert. Wenn wir nicht beschossen werden, beginnen wir mit dem nächsten Schritt: wir erforschen den Krater mit Tiefenradar. Wenn wir nicht auf einen soliden Scrith-Boden stoßen, beginnen wir mit Phase drei: wir verdampfen das Gebäude. Können wir diese drei Manöver ausführen? In sehr kurzer Zeit?« »Das können wir. Aber wir haben nicht genügend Energievorräte, um das Manöver zweimal durchzuführen. Wie sieht der nächste Schritt aus?«

»Dann dringen wir so rasch wie möglich in das Innere des Kraters vor. Chmeee bleibt in Wartestellung, um uns zu Hilfe zu kommen, wenn etwas schiefgeht. Nun möchte ich gern wissen, ob du mittendrin die Nerven verlierst und deine Köpfe in den Bauchnabel steckst.«

»Das würde ich nicht wagen.«

»Dann warte noch einen Moment.« Louis hatte auch daran gedacht, daß die beiden eingeborenen Gäste bei ihrer Operation Todesängste ausstehen mußten. Deshalb sagte er zu Harkabeeparolyn: »Wenn es einen Ort auf dieser Welt gibt, wo dieser Planet gerettet werden kann, dann liegt dieser Ort jetzt unter uns.

Wir glauben, daß wir den Eingang zur Rettungsstation gefunden haben. Aber außer uns hat ihn noch jemand entdeckt. Wir wissen nicht, wer uns zuvorgekommen ist. Verstehst du das?«

Die Frau antwortete: »Ich habe Angst.«

»Ich ebenfalls. Kannst du den Jungen bei der Stange halten?«

»Kannst du mich denn bei der Stange halten?« Sie lachte rauh: »Ich werde versuchen, ihn zu beruhigen.«

»Hinterster, jetzt!«

Die Heiße Nadel sprang mit einer Beschleunigung von zwanzig g in den Himmel hinauf und drehte sich. Dann hielt sie mit der Oberseite nach unten, fast auf Tuchfühlung mit dem schwebenden Wolkenkratzer. Auch Louis' Magen drehte sich. Die beiden Städtebauer schrien. Kawaresksenjajok klammerte sich an Louis' rechtem Arm fest.

Man konnte mit bloßem Auge erkennen, daß der Krater mit alter Lava verstopft war. Louis betrachtete den Monitor des Tiefenradars.

Dort war es! Ein Loch im Scrith, ein umgedrehter Trichter, der durch den Krater des Mons Olympus nach unten führte. Der Trichter war viel zu klein für einen Pfropfen, mit dem man die ›Faust Gottes‹ hätte reparieren können. Das war nur ein Notausstieg, ein Fluchtweg, aber er war groß genug für die Heiße Nadel.

»Feuer«, befahl Louis.

Der Hinterste hatte zuletzt seinen Strahler als Scheinwerfer benutzt. Auf diese kurze Entfernung wirkte er verheerend. Das fliegende Gebäude wurde zur glühenden Säule mit einem kometartigen Kopf aus kochendem Beton. Dann war es nur noch eine glitzernde Staubwolke.

Louis befahl: »Tauchen.«

»Louis?«

»Wir sind hier oben eine Zielscheibe. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Tauchen! Mit zwanzig g. Wir brechen die Tür ein.«

Die ockerbraune Landschaft war jetzt ein Dach über ihren Köpfen. Das Tiefenradar-Bild zeigte ein Loch im Scrith, das ihnen entgegenfiel und sie verschlang. Doch alle anderen Sinne zeigten nur einen festen Lavakrater im Mons Olympus, der am Rumpf mit schwindelerregender Geschwindigkeit nach oben stieg, um sie zu zerschmettern.

Kawarsksenjajoks Fingernägel gruben sich so tief in Louis' Arm, daß er zu bluten begann. Harkabeeparolyn schien vor Schreck wie versteinert. Louis bereitete sich auf den Aufprall vor.

Dunkelheit. Da waren formlose, milchige Lichter auf dem Tiefenradarschirm. Irgendwo dahinter glühte etwas: grüne, rote und orangefarbene Sterne. Das mußten die Instrumente auf dem Flugdeck sein.

»Hinterster!«

Keine Antwort.

»Hinterster, wir brauchen Licht! Schalte den Scheinwerfer ein! Wir müssen sehen können, was uns bedroht!«

»Was ist passiert?« fragte Harkabeeparolyn mit gequälter Stimme. Louis' Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit; er konnte sie als grauen Schatten sehen. Sie kauerte auf der Erde und umschlang mit den Armen die Knie.

Das Licht in der Kabine ging wieder an. Der Hinterste drehte sich auf seiner Pilotenbank um. Er sah klein und verschrumpelt aus, als habe er sich schon halb zusammengerollt. »Ich bringe das nicht noch einmal fertig, Louis.«

»Wir können im Augenblick die Steuereinrichtungen sowieso nicht verwenden. Du weißt das. Schalte den Scheinwerfer ein, damit wir unsere Umgebung sehen können.«

Der Puppetier betätigte einen Knopf. Ein weißes diffuses Licht erhellte den Rumpf vor dem Kommandodeck.

»Wir sind in etwas eingegossen.« Der eine Kopf blickte nach unten, der andere sagte: »Lava. Die Außenhaut des Rumpfes hat eine Temperatur von siebenhundert Grad. Wir wurden mit Lava übergossen, während wir uns in Stasis befanden. Die Lava kühlt jetzt ab.« »Das hört sich an, als habe uns jemand hier erwartet. Zeigt das Schiff immer noch mit dem Boden nach oben?«

»Ja.«

»Dann können wir nicht aufwärts beschleunigen, nur abwärts.«

»Möchtest du es einmal versuchen?«

»Was verlangst du noch? Ich würde am liebsten dort wieder anfangen, wo du dich anschicktest, den Hyperdrive-Motor zu verbrennen.«

»Das hat doch keinen Sinn jetzt.«

».oder noch lieber dort, ehe ich beschloß, einen Menschen und einen Kzin zu entführen. Das war vermutlich mein größter Fehler.«

»Ich sagte doch, wir vergeuden kostbare Zeit.«

»Es gibt keine Möglichkeit, die überschüssige Wärme der Heißen Nadel abzustrahlen. Wenn wir die Schubdüsen einschalten, bringt uns das nur eine oder zwei Stunden näher an den Moment heran, wo wir in den Stasis-Zustand übergehen und die weiteren Entwicklungen abwarten müssen.«

»Dann halten wir uns mit dem Zünden der Düsen noch zurück. Was zeigen uns die Tiefenradar-Instrumente?«

»Noch glühendes Gestein in allen vier Richtungen, das beim Abkühlen Sprünge bekommt. Ich werde das Sichtfeld etwas weiter ausdehnen. Louis.? Der Scrith-Boden befindet sich ungefähr sechs Meilen unter uns, unter dem Dach der Heißen Nadel. Eine viel dünnere Scrith-Decke befindet sich vierzehn Meilen über uns.«

Louis wurde von Panikgefühlen ergriffen. »Chmeee, hörst du das alles mit?«

Die Antwort erfolgte auf unerwartete Weise.

Louis hörte einen Schrei, der unmenschliche Schmerzen und Wut verriet, als Chmeee auf der Transportscheibe materialisierte und quer durch die Kabinen lief, sich mit beiden Armen das Gesicht verdeckend. Harkabeeparolyn konnte mit knapper Not dem Kzin ausweichen. Er stieß mit den Knien gegen das Wasserbett, fiel um und rollte auf den Boden.

Louis war sofort zur Duschkabine gelaufen. Er stellte die Düse auf volle Kraft, sprang auf das Wasserbett, stemmte seine Schulter in die Achselgrube des Kzin und hob ihn hoch. Chmeees Fleisch fühlte sich unter dem Pelz sehr heiß an.

Der Kzin stand auf und streckte sich dem kalten Wasserstrahl entgegen. Er drehte sich, bis ihm das Wasser über die Achseln, den Rücken und die Brust rann. Dann, als das kalte Wasser ihn überall abgekühlt hatte, hielt er das Gesicht in den Wasserstrahl. Dann sagte er: »Woher wußtest du, was passiert ist?«

»Man konnte es riechen«, erwiderte Louis. »Versengtes Fell. Wie konnte das geschehen?«

»Plötzlich brannte ich. Ein Dutzend roter Lichter glühten auf der Instrumententafel. Ich machte einen Satz auf die Transportscheibe. Das Landungsboot ist auf Selbststeuerung geschaltet, wenn es inzwischen nicht zerstört wurde.«

»Das werden wir später herausfinden müssen. Die Heiße Nadel ist in heißer Lava eingeschlossen. Hinterster?« Louis wandte sich dem Kommmandodeck zu.

Der Puppetier war zu einer Kugel zusammengerollt und steckte seine Köpfe in den Bauchnabel.

Er hatte einen Schock zuviel erlitten. Ein Wunder war es nicht.

Ein Monitor auf dem Kommandodeck zeigte ihnen ein Gesicht, das ihnen nicht ganz unvertraut war.

Das gleiche Gesicht, nur vergrößert, füllte nun das Rechteck aus, das vorher noch eine Tiefenradar-Projektion gewesen war. Eine Maske von einem Gesicht, menschenähnlich, nur wie aus altem Leder gemacht. Das Gesicht war haarlos. Die Kiefer waren zu harten zahnlosen Schnabelenden geworden. Unter der weit vorspringenden Stirn blickten die Augen Louis Wu nachdenklich an.

30. Die Räder im Getriebe

»Mir scheint, du hast deinen Piloten verloren«, sagte der ledergesichtige Eindringling. Er schwebte vor dem Schiffsrumpf: der mißgestaltete Kopf mit den wie eine Melone geformten Schultern eines Protektors — ein Geist in dem schwarzen Gestein, das sie gefangen hielt.

Louis konnte nur nicken. Die Schocks waren zu rasch aufeinander gefolgt und kamen aus den falschen Richtungen. Er spürte, daß Chmeee tropfnaß neben ihm stand und schweigend einen möglichen Feind betrachtete. Die Städtebauer waren stumm. Wenn Louis ihren Gesichtsausdruck richtig deutete, überwog die Ehrfurcht ihre Angst.

Der Protektor sagte: »Damit seid ihr endgültig gefangen. Bald müßt ihr euch in den Zustand der Stasis begeben, und wir brauchen nicht darüber zu reden, was dann passiert. Ich bin erleichtert. Ich fragte mich schon, ob ich es fertigbrächte, euch selbst zu töten.«

Louis sagte: »Wir glaubten, ihr wäret alle tot.«

»Die Pak starben vor zweihundertfünfzigtausend Jahren aus.« Die zu einem Schnabel vereinigten und gehärteten Lippen und Gaumen verzerrten zwar die Konsonanten, aber er sprach ein verständliches Interworld. Warum ausgerechnet Interworld? »Eine Seuche raffte sie hinweg. Deine Annahme, daß alle Protektoren tot seinen, war richtig. Aber der Lebensbaum gedeiht immer noch unter der Weltkarte des Mars. Manchmal entdeckt jemand den Zugang zu dieser Wunderpflanze. Ich vermute, daß die Unsterblichkeitsdroge hier destilliert wurde, wenn ein Protektor irgendein Projekt finanzieren wollte.«

»Wo hast du Interworld gelernt?«

»Ich bin mit dieser Sprache aufgewachsen. Louis, erkennst du denn mich nicht wieder?«

Es war wie ein Dolchstoß in den Magen. »Teela! Wie konntest du dich so verwandeln?«

Ihr Gesicht war hart wie eine Maske. Wie hätten sich darauf Gefühle spiegeln können? Sie sagte: »Wissen ist Macht. Du kennst das Sprichwort? Sucher hielt Ausschau nach dem Fuß des Himmelsbogens. Ich breitete meine höhere Bildung vor ihm aus. Ich sagte ihm, daß der Himmelsbogen kein Fundament besitzt, sondern diese Welt ein Ring sei. Das war eine Weisheit, die ihn zutiefst erschütterte. Ich sagte ihm, wenn er nach dem Ort suche, von dem aus er die Welt regieren könnte, müßte er die Werkstatt suchen.«

»Das Reparaturzentrum«, sagte Louis. Ein Seitenblick auf das Flugdeck zeigte ihm den Hintersten als einen verlängerten Dreifuß, der mit roten und blauen Steinen geschmückt war.

»Selbstverständlich mußte aus der Werkstatt inzwischen ein Reparaturzentrum geworden sein. Auch eine Zentrale der Macht«, erwiderte der Protektor. »Sucher erinnerte sich wieder an die Märchen vom Großen Ozean. Der Große Ozean schien uns der richtige Ort für so eine Zentrale zu sein, weil er durch die natürlichen Hindernisse der Entfernung, der gewaltigen Stürme und einem Dutzend räuberische Ekologien geschützt wurde. Astronomen hatten den Großen Ozean von verschiedenen Standorten auf der Ringwelt aus vermessen und studiert.

Sucher war bei seinen Wanderungen mit ihnen zusammengetroffen und hatte dabei so viele Kenntnisse gesammelt, daß er uns Karten vom Großen Ozean anfertigen konnte.

Wir waren sechzehn' Jahre auf dem Großen Ozean unterwegs. Die Erlebnisse unserer Reise würden ausreichen für zahllose neue Legenden. Wußtest du, daß die Weltkarten des Ozeans mit Lebewesen bestückt sind? Die Kzinti haben die Weltkarte der Erde kolonisiert. Wir hätten die Seereise nie bewältigen können, wenn wir nicht ein Kolonialschiff der Kzinti erbeutet hätten. Es gibt Inseln im Großen Ozean, die riesige Lebensformen darstellen. Ihre Rücken sind bewachsen; aber diese Geschöpfe tauchen unter, wenn ein Seefahrer es am wenigsten erwartet.«

»Teela! Wie konntest du dich in so eine Gestalt verwandeln?«

»Ich ahnte vieles, wußte aber nicht alles, Louis. So kam ich nie darauf, wer die Ringwelt gebaut haben konnte, bis es zu spät war.«

»Aber du hattest doch immer Glück!«

Der Protektor nickte. »Ich war für das Glück herangezüchtet worden, von Pierson-Puppetiers, die die Fruchtbarkeitsgesetze der Erde manipulierten und die Geburtsrecht-Lotterien ins Leben riefen. Du warst davon überzeugt gewesen, daß diese Manipulation von Erfolg gekrönt war. Ich hielt das immer für einen Unsinn. Louis, willst du wirklich glauben, daß sechs Generationen von Geburtsrechts-Lotteriegewinnern ein menschliches Wesen zeugen mußten, — daß immer Glück hat?«

Louis antwortete nicht darauf.

»Nur ein einziges Wesen dieser Art?« Sie schien ihn auszulachen. »Denke doch an das Glück aller Nachkommen aller Menschen, die die Geburtsrecht-Lotterie gewonnen haben. In zwanzigtausend Jahren sind diese Glücklichen bestimmt schon längst auf der Flucht vor der Explosion des galaktischen Kerns. Warum nicht an Bord der Ringwelt? Sie bietet drei Millionen mal soviel Wohnfläche wie die Erde, und die Ringwelt kann bewegt werden, Louis. Die Ringwelt ist ein Glückstreffer für alle jene noch ungeborenen Nachkommen der Leute, die für das Glück herangezüchtet wurden. Wenn ich die Ringwelt retten kann, dann ist es für diese Nachkommenschaft ein Glück, daß ich vor dreiundzwanzig Jahren hierher gekommen bin, und es war für sie auch ein Glück, daß Sucher und ich den Eingang der Ringwelt-Zentrale im Mons Olympus fanden. Es war deren Glück, aber nicht meines!«

»Hat auch er sich verwandelt?«

»Sucher starb natürlich. Wir beide wurden fast wahnsinnig vor Hunger nach der Lebensbaum-Wurzel. Aber Sucher war tausend Jahre zu alt dafür. Der Lebensbaum tötete ihn.«

»Ich hätte dich niemals hier zurücklassen dürfen«, sagte Louis.

»Ich ließ dir gar keine Wahl. Ich hatte selbst keine — wenn du an das Glück glaubst. Auch jetzt habe ich kaum eine Alternative. Die Instinkte sind sehr stark in einem Protektor.«

»Glaubst du an das Glück?«

Sie sagte: »Nein. Ich wünschte, ich könnte daran glauben.«

Louis bewegte die Arme — eine Geste der Hilflosigkeit — und wandte sich ab. Hatte er nicht längst gewußt, daß er Teela Brown wiedertreffen würde? Aber nicht in dieser Gestalt! Er stellte das Schlaffeld an und schwebte im freien Fall.

Der Hinterste hatte den richtigen Einfall gehabt. Man mußte sich in seinen eigenen Bauchnabel verkriechen.

Aber die Menschen können leider nicht ihre Ohren verschließen. Louis schwebte halb zusammengerollt nach oben, die Arme vor dem Gesicht. Aber er hörte:

»Dolmetscher, ich beglückwünsche dich dazu, daß du deine Jugend zurückgewonnen hast.«

»Mein Name ist Chmeee.«

»Ich bitte um Entschuldigung«, erwiderte der Protektor. »Chmeee, wie bist du hierher gekommen?«

Der Kzin erwiderte: »Ich bin ein dreifach gefangenes Wesen. Zuerst wurde ich von dem Hintersten entführt, dann von Louis daran gehindert, der Ringwelt zu entrinnen, und jetzt werde ich noch von Teela Brown unter dem Mars festgehalten. Das ist eine Unglückskette, die ich durchbrechen muß. Willst du mit kämpfen, Teela?«

»Nicht eher, bist du mich erreichen kannst, Chmeee.«

Der Kzin wandte sich ebenfalls von ihr ab.

»Was verlangst du von uns?« Das war Kawaresksenjajok, der sich schüchtern in der Sprache der Städtebauer meldete. Seine Frage kam als Interworld-Echo aus dem Übersetzer.

»Nichts«, gab Teela in der Sprache der Städtebauer zurück.

»Weshalb sind wir dann hier?« »Um nichts zu tun. Ich habe dafür gesorgt, daß ihr nichts unternehmen könnt.«

»Das verstehe ich nicht.« Der Junge war den Tränen nahe. »Warum willst du uns hier lebendig begraben?«

»Kind, ich tue, was ich tun muß. Ich muß eins Komma fünf mal zehn hoch zwölf Mordfälle verhindern.«

Louis öffnete jetzt wieder die Augen.

Harkabeeparolyn widersprach mit leidenschaftlicher Stimme: »Aber wir sind doch hierhergekommen, um den Tod so vieler Wesen zu verhindern! Weißt du denn nicht, daß die Welt aus den Fugen geraten ist und in ihre Sonne hineinrutscht?«

»Das weiß ich. Ich stellte den Reparaturtrupp zusammen, der die Steuerdüsen wieder in ihre Halterungen an der Mauerkrone der Ringwelt befestigte, aus denen deine Vorfahren sie gestohlen haben, um den Schaden, den ihr angerichtet habt, wieder auszubessern.«

»Luweewu behauptet, die Steuerdüsen reichten nicht aus!«

»Das ist richtig.«

Louis Wu hörte ihnen jetzt gespannt zu.

Die Bibliothekarin schüttelte den Kopf. »Dann verstehe ich dich nicht.«

»Mit den wenigen Steuerdüsen, die jetzt wieder arbeiten, können wir die Lebensspanne der Ringwelt um ein Jahr verlängern. Ein zusätzliches Lebensjahr für drei mal zehn hoch dreizehn intelligente Wesen entspricht zusätzlich tausend Lebensjahren für jeden Bewohner der Erde. Die Tat lohnte sich also. Meine Mitarbeiter stimmten mir zu, sogar jene, die nicht zu den Protektoren gehören.«

Louis konnte die Linien von Teela Browns Gesicht in der Ledermaske des Protektoren wiedererkennen. Die Gelenke an den Scharnieren der Kiefer waren verdeckt, der Schädel angeschwollen, um das größere Gehirn aufnehmen zu können. aber er erkannte Teela wieder, und das schmerzte ihn tief. Warum geht sie nicht fort?

Eingefahrene Gewohnheiten lassen sich nicht so rasch ausmerzen, und Louis hatte einen analytischen Verstand. Er dachte: Warum geht sie nicht fort? Ein sterbender Protektor auf einer zum Untergang verurteilten Kunstwelt! Sie hat doch keine Minute zu vergeuden, um mit einer Gruppe von zeugungsfähigen Wesen zu sprechen, die in einer Falle sitzen. Was denkt sie sich dabei?

Er wandte sich ihr wieder zu: »Du hast also den Reparaturtrupp zusammengestellt. Woraus besteht er?«

»Die meisten hominiden Wesen hören mir wenigstens zu. Mein Aussehen half mir. Ich stellte einen Trupp von mehreren hunderttausend Mitgliedern der verschiedensten Rassen zusammen. Drei von ihnen brachte ich hierher, damit sie sich in Protektoren verwandelten: einen Vertreter des Schüttberg-Volkes, des Nacht-Volkes und der Vampire. Ich hoffte, daß sie vielleicht einen Ausweg fänden, der mir verborgen geblieben ist. Sie entstammten verschiedenartig mutierten Rassen, und deshalb mußten sie auch einen anderen Standpunkt einnehmen als ich. Der Vampir war vor seiner Verwandlung noch ein nur halb intelligentes Wesen.

Aber sie enttäuschten mich«, fuhr Teela fort. Sie verhielt sich wahrhaftig so, als hättte sie Zeit. Zeit, um sich mit gefangenen fremden Wesen und fortpflanzungsfähigen Hominiden zu unterhalten, bis die Ringwelt mit den

Sonnenblenden zusammenstieß! »Sie fanden keine bessere Lösung. Und deshalb hängten wir die noch vorhandenen Bussard-Rammdüsen an die Mauer der Ringwelt. Wir haben sie inzwischen bis auf eine wieder in Betrieb gesetzt. Unter der Leitung des letzten noch lebenden Protektors wird meine Reparaturmannschaft das letzte noch intakte Raumschiff wieder in Dienst stellen und damit zu einem benachbarten Stern fliegen. Ein paar Bewohner der Ringwelt werden die Katastrophe überleben.«

»Kehren wir zu der Frage zurück, die ich anfangs stellte«, sagte Louis. »Deine Mannschaft ist fieberhaft bei der Arbeit, ein Raumschiff für die Flucht vorzubereiten. Aber du bist hier. Weshalb?« Ich habe recht! Sie will uns etwas mitteilen!

»Ich kam hierher, um den Mord an fünfzehnhunderttausend Millionen intelligenten menschlichen Wesen zu verhindern. Ich ortete die Neutrino-Auspuffgase aus Schubdüsen, die nur im menschlichen Universum gebaut werden, und daher eilte ich zu der Stelle zurück, die allein als Tatort in Frage kommt. Ich wartete. Und jetzt seid ihr hier.«

»Wir sind hier«, gab Louis zu. »Aber du weißt verdammt genau, daß wir nicht herkamen, um einen Massenmord zu begehen.«

»Du wärst auch zum Massenmörder geworden.«

»Wieso?«

»Das kann ich dir nicht sagen.«

Sie zeigte auch keine Neigung, das Gespräch zu beenden. Das war schon ein einzigartiges Spiel, das Teela mit ihnen trieb. Sie mußten die Spielregeln selbst erraten. Louis fragte: »Nehmen wir an, du könntest die Ringwelt retten, indem du eineinhalb Billiarden Bewohner der Ringwelt in den Tod schickst. Anderthalb Billiarden von dreißig Billiarden, die diesen Planeten bewohnen. Einem Protektor würde diese Entscheidung doch nicht schwerfallen, nicht wahr? Fünf Prozent zu opfern, um fünfundneunzig Prozent zu retten. Es scheint mir ein. ein gutes Ergebnis zu sein.«

»Kannst du mit so vielen denkenden Wesen mitfühlen, Louis? Oder kannst du immer nur das Schicksal eines einziges Menschen nachvollziehen, der den Tod erleidet, während du die Rolle des Hauptdarstellers spielst?«

Er gab darauf keine Antwort.

»Dreißig Milliarden Menschen bewohnen das menschliche Universum. Stelle sie dir alle tot vor. Stelle dir fünfzig mal so viel Menschen vor, die an, sagen wir mal, Strahlenvergiftung sterben. Kannst du ihre Schmerzen, ihre Verzweiflung, ihr Mitgefühl für ihre Leidensgenossen nachempfinden? Von einer so riesigen Menge? Diese Zahlen übersteigen dein Fassungsvermögen. Dein Bewußtsein kann sie gar nicht aufnehmen. Aber meines kann das.«

»Oh!«

»Ich bringe das nicht fertig. Ich kann es nicht zulassen. Ich wußte, daß ich dir in die Arme fallen mußte.«

»Teela. Stell dir vor, wie eine Sonnenblende mit einer Geschwindigkeit von siebenhundert Meilen pro Sekunde über die Oberfläche der Ringwelt schleift. Stell dir vor, daß tausend mal so viel Wesen, wie im menschlichen Universum leben, sterben müssen, weil die Ringwelt zerbricht.«

»Ich bin mir dessen bewußt.«

Louis nickte. Teile von einem Puzzlespiel. Teela würde ihnen so viele Teile überlassen, wir ihr das möglich war. Aber sie brachte es nicht über sich, ihnen das fertige Bild auszuhändigen. Also mußte er selbst die Teile zusammensuchen. »Du sprachst von einem zweiten noch lebenden Protektor. Ursprünglich waren es vier, sagtest du am Anfang, und jetzt sind es nur noch einer plus noch einem? Was geschah mit den anderen beiden?«

»Zwei Protektoren verließen gleichzeitig mit mir die Repararurmannschaft. Vielleicht entdeckten sie Indizien, die eure Ankunft meldeten. Ich hielt es für nötig, sie zu verfolgen und an der Ausübung ihrer Pläne zu hindern.«

»Tatsächlich? Wenn es Protektoren waren, konnten sie genauso wenig anderthalb Billiarden denkende Hominiden töten wie du.«

»Sie hätten es irgendwie einrichten können, daß dieser Massenmord geschah.«

»Irgendwie.« Du mußt jetzt sehr vorsichtig mit den Worten umgehen. Louis war froh, daß niemand versuchte, dieses Gespräch zu unterbrechen. Nicht einmal Chmeee, der geschmeidige Diplomat. »Sorge irgendwie dafür, daß fortpflanzungsfähige menschliche Wesen den einzigen Ort auf der Ringwelt erreichen, wo dieses Verbrechen begangen werden kann. Wäre das ihre Strategie gewesen, wenn du sie nicht daran gehindert hättest?«

»Vielleicht.«

»Sorge dafür, daß diese sorgfältig ausgewählten fortpflanzungsfähigen Wesen irgendwie davor bewahrt werden, den Duft des Lebensbaumes einzuatmen.« Druckanzüge! Deswegen hatte Teela nach einem interstellaren Raumschiff Ausschau gehalten. »Sorge dafür, daß sie sich irgendwie der gefährlichen Situation bewußt werden. Und irgendwie muß ein Protektor sich mit seinen Hintergedanken ja einen Ausweg suchen, wie er sie nicht tötet, ehe sie die Lösung erkennen und sie in die Tat umsetzen, dabei astronomische Zahlen von zeugungsfähigen Wesen töten, um eine viel größere Zahl von ihnen zu retten. Ist es das, was du glaubst, verhütet zu haben?«

»Ja.«

»Und wir befinden uns am richtigen Ort?«

»Wo würde ich dich sonst erwartet haben?«

»Es ist immer noch ein Protektor übrig. Wird er hierher kommen, um dir das Leben zu nehmen?«

»Nein. Der Protektor des Nacht-Volkes weiß, daß nur noch er übrig ist, um die Evakuierung zu überwachen. Wenn er versucht, mich zu töten, und ich statt dessen ihn töte, ist die Gefahr groß, daß fortpflanzungsfähige menschliche Wesen auf dem Weg zu einer neuen Heimat sterben.«

»Dir scheint das Töten ja nicht schwerzufallen«, erwiderte Louis bitter.

»Nein, es fällt mir schwer. Ich bringe es nicht fertig, fünf Prozent der Ringwelt-Bevölkerung sterben zu lassen, und ich weiß nicht einmal, ob ich dich töten kann, Louis. Du bist ein zeugungsfähiges Wesen meiner Rasse. Auf der Ringwelt bist du sogar der einzige zeugungsfähige Mann deiner Art.«

»Ich habe mir verschiedene Möglichkeiten überlegt, die Ringwelt zu retten«, antwortete Louis Wu. »Wenn du Kenntnis hast von der Existenz eines gigantischen Materie-Umwandlers, wüßten wir mit ihm umzugehen.« »Die Pak verfügten nicht über ein solches Gerät. Diese Überlegung war keine Meisterleistung, Louis.«

»Wenn wir ein Loch in den Meeresboden des Großen Ozeans bohren könnten und den Abfluß dosieren, könnten wir die Reaktionskräfte dazu benützen, die Ringwelt wieder ins Gleichgewicht zu bringen.«

»Sehr klug. Aber du kannst kein Loch in den Meeresboden bohren, noch viel weniger es verstopfen. Zudem gibt es eine Lösung, die weniger Schaden anrichtet. Trotzdem ist es ein zu großer Schaden, den ich nicht zulassen kann.«

»Wie könntest du die Ringwelt retten?«

Der Protektor erwiderte:

»Ich kann es nicht.«

»Wo sind wir? Was geschah in diesem Teil des Reparaturzentrums?«

Eine lange Pause verstrich. Dann sagte der Protektor: »Ich darf dir nicht mehr sagen, als du bereits weißt. Ich sehe nicht, wie du deinem Gefängnis entrinnen könntest, aber ich muß mit der Möglichkeit rechnen.«

»Ich gebe es auf«, sagte Louis Wu. »Ich gebe mich geschlagen. Tanj mit deinem verrückten Puzzlespiel.«

»Schön, Louis. Wenistens wirst du niemals sterben.«

Louis schloß die Augen und rollte sich im freien Fall zusammen. Frommes Aas, dachte er.

»Ich werde euch Gesellschaft leisten, wenn ihr euch in das Stasis-Feld rettet«, sagte Teela. »Mehr kann ich nicht für eure Bequemlichkeit tun. Du da — wie heißt du, und woher kommst du? Du gehörst doch zur Rasse der Hominiden, die die Ringwelt und die Sterne eroberte.«

Dummes Geschwätz. Warum wurden Menschen nicht mit Scheuklappen geboren, die sie über die Ohren legen konnten? Gab es eine menschenähliche Art auf der Ringwelt, die diese Eigenschaft genetisch entwickelte?

Kawaresksenjajok fragte: »Welche Einstellungen hat ein Zauberer zu Rishathra?«

»Rishathra ist für dich wichtig, wenn du eine neue Gattung kennenlernen willst, nicht wahr, Kind? Rishathra ist etwas für zeugungsfähige Wesen. Das ist meine Einstellung dazu. Aber auch wir empfinden Liebe.«

Der Junge hielt sich großartig. Seine Begeisterungsfähigkeit für wunderbare Geschichten schien grenzenlos zu sein. Teela erzählte ihm von ihrer großen Wanderung. Die Gruppe von Forschungsreisenden, der sie angehörte, wurde von den Grogs auf der Weltkarte von Down gefangengenommen und dann von den seltsamen Bewohnern dieser Weltkarte wieder befreit. Auf Kzin wurden hominide Tiere, die vor langer Zeit von der Weltkarte der Erde eingeführt worden waren, für besondere Aufgaben gezüchtet, bis sie sich so sehr voneinander unterschieden wie die Hunderassen im menschlichen Universum. Teelas Crew hatte sich zwischen diesen Tieren versteckt. Sie hatten ein Kolonialschiff der Kzinti gestohlen und eines von den krillfressenden Inselungeheuern getötet, um sich vor dem Hungertod zu retten. Sie hatten das Fleisch in einem leeren Tank für flüssigen Wasserstoff eingefroren. Davon hatten sie dann monatelang gelebt.

Er hörte noch, wie sie sagte: »Auch ich muß jetz etwas essen. Aber ich werde bald wiederkommen.« Und dann senkte sich Schweigen über die Kabine.


Das Schweigen endete damit, daß sich ein paar stumpfe Zähne sacht über Louis' Handgelenk schlossen. »Louis, wach auf. Wir haben keine Zeit, auf deine Launen Rücksicht zu nehmen.«

Louis drehte sich um und schaltete das Schlaffeld ab. Einen Moment lang genoß er den interessanten Anblick eines Puppetiers, Schulter an Schulter mit einem Tigerwesen in der Blüte seiner Jahre. »Ich dachte, du hättest dich aus der Mannschaft verabschiedet.«

»Eine Illusion, die der Wahrheit sehr nahe kam. Ich war versucht, die Ereignisse treiben zu lassen«, erwiderte der Puppetier. »Teela Brown sagte die Wahrheit, als sie dir versicherte, wir würden nicht sterben. Die Bruchstücke der Ringwelt werden weit in das Weltall verstreut werden. Eines Tages würde man uns dort vielleicht sogar entdecken.«

»Ich denke auch schon in dieser Kategorie. Ich bin bereit, aufzugeben.«

»Die Protektoren müssen schon seit zweihundertfünfzigtausend Jahren tot sein. Wer sagte das nur?«

»Wenn du noch einen Funken Verstand besitzt, solltest du es aufgeben, auf mich zu hören.«

»Pardon, dazu bin ich noch nicht bereit, Ich hatte den Eindruck, als wollte der Protektor uns etwas sagen. Die Pak waren deine Vorfahren, und Teela entstammt deiner eigenen Kultur. Wir verlangen Aufklärung.«

»Sie will, daß wir die schmutzige Arbeit für sie tun«, sagte Louis. »Alles, was sie tut, ist doppelsinnig. Futz, ihr habt die Protokolle studiert, als Brennan nach seiner Verwandlung zum Protektor verhört wurde. Protektoren haben sehr starke Instinkte und verfügen über eine übermenschliche Intelligenz. Diese beiden Veranlagungen müssen miteinander in Konflikt kommen.«

»Ich begreife nicht, was für eine schmutzige Arbeit sie von uns verlangt.«

»Sie weiß, wie die Ringwelt gerettet werden kann. Alle vier Protektoren wußten das. Töte fünf Prozent, rette die übrigen fünfundneunzig Prozent. Aber sie können diese Tat nicht selbst ausführen. Sie können nicht einmal zulassen, daß ein anderer für sie die Rettungstat vollbringt; aber sie müssen einen anderen dazu zwingen, das Notwendige zu tun. Das ist ihre Doppelsinnigkeit, die Ironie ihres Denkens.«

»Was bedeutet das konkret?«

Die Zahlen, die Teela genannt hatte, tickten wie eine Zeitbombe in Louis' Unterbewußtsein. Warum?. Tanj damit! »Teela suchte sich diesen Wolkenkratzer aus, weil er genauso aussah, wie Halrloprillalars fliegendes Gefängnis, das wir während der ersten Expedition erbeuteten. Sie suchte es aus, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Sie brachte es dorthin, wo sie uns haben wollte. Ich habe keine Ahnung, was für eine Funktion dieser Teil des Reparaturzentrums erfüllt, aber es ist die richtige Stelle in einer Schachtel von der Größe einer Milliarde Kubikmeilen. Alles anderen müssen wir selbst herausfinden.«

»Und was dann? Ist sie nicht davon überzeugt, daß wir in der Falle sitzen?«

»Was wir auch unternehmen — sie wird versuchen, uns daran zu hindern. Wir werden sie töten müssen. Das ist es, was sie uns mitteilen wollte. Wir haben nur einen Vorteil. Sie kämpft, um zu verlieren.«

»Das ist mir zu hoch«, erwiderte der Puppetier.

»Sie will, daß die Ringwelt überlebt. Sie will, daß wir sie töten. Und sie erzählte uns so viel, wie sie durfte. Aber selbst wenn wir die übrigen Stücke des Puzzlespieles finden, können wir es verantworten, so viele intelligente Wesen zu töten?«

Chmeee sagte: »Teela tut mir leid.«

»Ja.«

»Und wie können wir sie töten? Wenn du recht hast, muß sie sich doch irgend etwas ausgedacht haben.«

»Das bezweifle ich. Meiner Vermutung nach hat sie ihr Möglichstes getan, nicht daran zu denken, was wir gegen sie unternehmen könnten. Denn dann müßte sie das blockieren. Wir sind auf uns selbst angewiesen. Und sie wird, von ihrem Instinkt geleitet, jedes fremde Lebewesen ermorden. Bei mir könnte sie vielleicht eine halbe, alles entscheidende Sekunde lang zögern.«

»Also gut«, sagte der Kzin. »Alle unsere wirksamen Waffen befinden sich auf dem Landungsboot. Und wir sind in Lava eingeschlossen. Ist die Transportscheiben-Verbindung zum Landungsboot noch offen?«

Der Hinterste kehrte auf das Flugdeck zurück, um das nachzuprüfen. Er berichtete: »Die Verbindung ist offen. Die Weltkarte des Mars besteht aus Scrith, doch die Schicht ist nur ein paar Zentimeter dick. Sie muß nicht die schreckliche Belastung aushalten wie das Fundament der Ringwelt. Meine Instrumente können diese Schicht durchdringen, und das gleiche gilt für die Transportscheiben. Das ist die erste positive Entdeckung am heutigen Tag.«

»Gut. Louis, begleitest du mich?«

»Selbstverständlich. Wie hoch ist die Temperatur an Bord des Landungsbootes?«

»Eine Reihe von Sensoren sind durchgebrannt. Ich kann es dir nicht sagen«, erwiderte der Hinterste. »Wenn ihr das Landungsboot noch benützen könnt, dann tut es. Sonst rafft ihr nur alles zusammen, was ihr benötigt und kehrt sofort wieder in das Raumschiff zurück. Wenn die Bedingungen unerträglich sind, kehrt ihr auf der Stelle wieder um. Wir müssen wissen, über welche Mittel wir verfügen.«

»Der logische nächste Schritt«, stimmte Chmeee dem Puppetier zu. »Und was geschieht, wenn das Landungsboot sich nicht mehr manövrieren läßt?«

»Dann bliebe uns immer noch ein Weg offen«, antwortete Louis, »aber wir müssen uns Druckanzüge beschaffen. Hinterster, warte nicht auf uns. Aber behalte uns mit deinen Ortungsgeräten im Auge. Und suche nach Teela. Sie muß sich in einem offenen Raum befinden, eine Art von Gewächshaus, das groß genug ist für ein Getreidefeld.«

»Aye, aye. Ich vermute, daß wir uns irgendwo unter dem Mons Olympus befinden.«

»Darauf würde ich mich nicht verlassen. Vielleicht nahm sie die Heiße Nadel mit einem schweren Lasergeschütz unter Feuer, damit das Stasisfeld so lange andauerte, bis sie uns an eine Stelle schleppen konnte, wo sie glühende Magma für uns bereithielt. Und diese Stelle ist vermutlich auch der Tatort.«

»Louis, hast du eine Ahnung, was sie von uns erwartet?«

»Nicht einen Schimmer. Also lassen wir das vorläufig auf sich beruhen.« Louis forderte mit der Wählscheibe ein paar Badetücher an und warf Chmeee eines davon zu. Dann schlüpfte er in seine Holzpantoffeln. »Bist du bereit?« fragte er den Kzin. Chmeee sprang auf die Transportscheibe. Louis folgte ihm dicht auf.

31. Das Reparaturzentrum

Es war, als wären sie in einem Backofen materialisiert. Louis hatte wenigstens Holzpantoffeln an den Füßen, aber Chmeees Sohlen wurden nur durch den dünnen Bodenbelag geschützt. Der Kzin lief den Niedergang zur Kabine hinunter und fauchte, als er mit Metall in Berührung kam.

Louis hielt die Luft an. Hoffentlich tat Chmeee das auch. Die Luft war so heiß, daß man sich damit die Lungen verbrennen konnte. Der Boden neigte sich vier oder fünf Grad zur Seite. Louis beging den Fehler, durch eines der Bullaugen zu blicken: er erstarrte ein paar Schrecksekunden lang. Was war das da draußen in dem schlammigen Zwielicht: ein neugieriger Sandhai? Lag das Landungsboot im Wasser?

Er hatte drei Sekunden verloren, als er die Treppe zur Kabine hinunterging. Er trat viel vorsichtiger auf als Chmeee, kämpfte gegen die Regung an, tief einzuatmen, stieß die verbrauchte Luft durch die Nase aus, um diese furchtbare Hitze nicht so rasch in seinen Körper eindringen zu lassen. Es roch nach verschmortem Fleisch, nach Rauch, Hitze und verbrauchter Luft.

Chmeee versuchte, seine verbrannten Hände abzukühlen; der Pelz stand ihm wie ein Kragen um den Hals. Die Griffe der Wandschränke bestanden aus Metall. Louis wickelte Handtücher um seine Hände und fing an, die Schranktüren zu öffnen. Chmeee verwendete sein Taschentuch dazu, die Schränke zu entleeren: Druckanzüge, Fluggeschirre, Zerstäuber, Superleiter-Tuch. Louis stürzte sich sofort auf den Helm seines Druckanzuges und stellte die Luftzufuhr an, wickelte sich ein Handtuch um den Hals und stülpte dann den Helm über den Kopf. Der Wind, der jetzt sein Gesicht fächelte, war nur warm. Er öffnete den Mund weit und sog seine Lungen voll.

Chmeees Anzug hatte keinen abnehmbaren Helm. Er mußte ihn mit den übrigen Teilen seines Schutzanzuges verschrauben. Sein hechelnder Atem hörte sich in Louis' Ohrstöpseln schrecklich an.

»Wir befinden uns unter Wasser«, sagte Louis keuchend. »Warum ist es so verdammt heiß im Landungsboot?«

»Frag mich später. Hilf mir beim Tragen.« Chmeee hob sein Fluggeschirr auf, seinen Schutzanzug, seine Spule mit Superleiter-Draht und eine gehörige Portion Superleiter-Tuch. Obenauf legte er noch den Zerstäuber, auch Slaver-Doppelflinte genannt. Dann lief er zurück zur Treppe, die zum Flugdeck führte. Louis folgte ihm, schwankend unter seiner Last von Prills Fluggeschirr, dem Handscheinwerfer-Laser, den beiden Druckanzügen und dem Schutzpanzer. Seine Haut war krebsrot. Er hatte das Gefühl, als begänne sein Fleisch zu kochen.

Chmeee hielt vor der Instrumentenkonsole auf dem Flugdeck an. Blasiges dunkelgrünes Wasser zeigte sich vor den Bullaugen. Kleine Fische suchten sich ihren Weg in einem Wald aus Seetang. Der Kzin keuchte: »Da, die Instrumentenskalen. geben dir Antwort. Teela überschüttete mich mit Hitze in Gestalt von Mikrowellen. Das Not-Rettungssystem versagte. Die Scrith-Repulsionsdüsen versagten. Das Landungsboot versank im Meer. Das Wasser hielt. die Mikrowellen auf. Das Landungsboot blieb heiß, weil die Hitzepumpen zuerst ausbrannten und die Isolierung zu gut ist. Wir können das Landungsboot nicht mehr verwenden.«

»Zum Teufel damit.« Louis stellte sich auf die Transportscheibe.

Er ließ seine Last fallen. Der Schweiß lief ihm in die Augen und den Mund. Er zog den heißen Schutzhelm aus und schnappte gierig nach kalter Luft. Harkabeeparolyn stemmte ihre Schulter unter seine Achsel und half ihm, sich zum Bett zu schleppen, murmelte etwas Beruhigendes in der Sprache der Städtebauer.

Chmeee war nicht ins Raumschiff zurückgekehrt.

Louis riß sich von Harkabeeparolyn los. Er stülpte den Schutzhelm wieder über den Kopf und ging schwankend zurück zur Transportscheibe.

Chmeee bediente ein paar Instrumente im Leitstand. Er warf Louis seine Ausrüstung zu. »Nimm das so lange. Ich komme gleich nach.«

»Aye, aye.«


Louis hatte seinen Druckanzug zur Hälfte angelegt, als der Kzin in die Heiße Nadel zurückkam. Der Kzin zog seinen Druckanzug aus. »Es eilt nicht. Louis. Hinterster, das Landungsboot ist nicht mehr zu gebrauchen. Ich habe den Leitstand so programmiert, daß es mit seinen Fusionsmotoren startet und zum Mons Olympus fliegt. Das soll ein Ablenkungsmanöver für Teela werden. Vielleicht verliert sie ein paar wertvolle Sekunden damit, das Landungsboot zu vernichten.«

Das Mikrophon antwortete: »Gut. Ich bin auch nicht ganz faul gewesen, aber ich kann euch das Ergebnis nicht mitteilen. Wir wissen bereits, daß Teela auf allen Leitungen mithören kann.«

»Und?«

Der Hinterste setzte mit der Transportscheibe in die Kabine über. Nun konnte er auch ohne mechanische Hilfsmittel sprechen: »Die meisten meiner Instrumente sind natürlich in dieser Lage nicht zu verwenden. Aber ich weiß unseren relativen Standort. Ungefähr zweihundert Meilen backbord von spinnwärts befindet sich eine sehr starke Neutrino-Emissionsquelle, vermutlich ein Fusions-Kraftwerk. Die Tiefenradar-Bilder zeigen, daß wir von Höhlen umgeben sind. Die meisten davon sind nicht größer als ein Zimmer. Manche haben jedoch gewaltige Ausmaße, und darin stehen schwere Maschinen. Ich glaube, daß ich auch die Höhle orten konnte, wo die Hebewerkzeuge und Gerüste aufbewahrt wurden, mit deren Hilfe die Reparaturmannschaft die Steuerdüsen an der Ringweltmauer einhängte. Zudem entdeckte ich eine massive konkave Tür in der Außenwand des Mars, die vom Wasserfall verdeckt wird. Ich entdeckte Lagerräume, in denen Scrith-Ersatzstücke aufbewahrt werden. Vermutlich dienen sie zur Reparatur von größeren Meteoreinschlägen. Zu diesen Lagerräumen gehört wieder eine Luke in der Außenwand. Daneben entdeckte ich kleine Raumschiffe, vermutlich Raum-Abfangjäger — und wieder ein Schott. Alles in allem befinden sich sechs Luken unter dem Wasserfall. Es gelang mir.«

»Hinterster, du solltest Teela Brown für uns suchen!«

»Hattest du nicht vor einiger Zeit Louis gebeten, Geduld zu haben?«

»Louis Wu ist ein Mensch. Er weiß, was Geduld ist. Aber du, du blätterfressendes Untier, besitzt zuviel von dieser Eigenschaft. Bei dir ist Geduld ein Laster.«

»Du machtest den Vorschlag, die menschliche Variante eines Pak-Protektors zu ermorden? Ich hoffe, du stellst dir das nicht wie ein Duell vor, indem du dich mit einem Schrei auf Teela stürzt und sie mit bloßen Händen angreifst! Wir müssen Teela mit unserem Verstand bekämpfen. Das verlangt Geduld, Kzin! Bedenke, was auf dem Spiel steht!«

»Berichte weiter.«

»Es gelang mir, auch die Lage von Mons Olympus zu orten. Er befindet sich achthundert Meilen antispinnwärts von Backbord. Ich vermute, daß Teela mit einem schweren Laser oder einem ähnlichen Gerät die Heiße Nadel unter Feuer nahm, damit wir im Stasisfeld blieben, während sie uns achthundert Meilen weit schleppte. Ich habe keine Ahnung, warum sie sich diese Mühe machte.«

Louis sagte: »Sie schleppte uns bis zu einer Stelle, wo sie geschmolzenes Gestein für uns bereithielt. Dieser Ort wird sich als Stätte des hypothetischen Massenmordes entpuppen. Wir müssen nur noch dahinterkommen, wieso hier die richtige Stelle ist. Tanj, vielleicht hat sie unsere Intelligenz sogar überschätzt!«

»Da kannst du nur für dich selbst sprechen, Louis. Vielleicht befindet sich die Stelle unter uns.« Ein Puppetier-Kopf wölbte sich nach oben. »Vielleicht auch über uns. Dort befindet sich ein Komplex von Räumen mit sehr starker elektrischer Aktivität, ganz zu schweigen von einer Reihe von pulsierenden Neutrino-Quellen. Vermutlich handelt es sich dabei um Tiefenradar-Geräte.

Ich fand auch einen halbkugelförmigen Raum mit einer weiteren Neutrino-Quelle in halber Höhe der Wand. Eine bewegliche Quelle. Der Neutrino-Ausstoß ist unregelmäßig wie in einem Fusions-Kraftwerk. In den fünf Minuten, die ihr von Bord gewesen seid, hat sich die Quelle nicht weit bewegt; aber meiner Berechnung nach wird sie einen halben Kreisbogen von einhundertachtzig Grad in fünfzehn Stunden plus oder minus drei Minuten durchwandert haben. Fleischfresser, Kzin-Krieger, sagt dir das etwas?«

»Es könnte sich um eine künstliche Sonne handeln. Für eine Ackerkultur. Wo befindet sie sich?«

»Zweitausendfünfhundert Meilen in Richtung Steuerbordseite der Weltkarte. Aber da ihr vermutlich durch den Mons Olympus in die Unterwelt eindringt, müßt ihr die Sonne zwölf Grad antispinnwärts von Steuerbord suchen. Vermutlich müßt ihr ein paar Wände durchbrechen, um zu dieser künstlichen Sonne vorzudringen. Habt ihr denn den Zerstäuber mitgebracht?«

»Da ich nicht ganz aufs Hirn gefallen bin, habe ich ihn mitgebracht. Hinterster, sobald das Landungsboot den Mons Olympus erreicht, können wir die Transportscheiben benützen und dann durch die Ladebucht das Landungsboot verlassen. Aber Teela wird uns zuvorkommen, sie wird es abschießen.«

»Warum sollte sie das tun? Wir befinden uns doch nicht an Bord. Sie verfügt über Tiefenradar. Sie wird wissen, daß das Landungsboot nicht besetzt ist.« »Mag sein. Aber dann wird sie das Landungsboot mit dem Zielradar verfolgen und warten, bis wir dort erscheinen. Dann wird sie uns mit dem Landungsboot vernichten. Ist das die Weisheit, die deiner Rasse helfen soll, die Ringwelt zu retten?«

»Ja. Denn du wirst den Mons Olympus ein paar Stunden vor dem Landungsboot betreten. Ich habe den Autopiloten der Sonde so programmiert, daß sie uns folgte. In der Sonde befindet sich ein Transportscheiben-Empfänger. Selbstverständlich könnt ihr von der Sonde nicht auf die Heiße Nadel überwechseln.«

»Hmm. Das könnte gehen.«

»Was für Ausrüstungsgegenstände wollt ihr mitnehmen?«

»Druckanzüge, Fluggeschirre, Handscheinwerfer-Laser und die Slaver-Doppelflinte. Auch das habe ich mitgebracht.« Chmeee deutete auf das Superleiter-Tuch. »Teela weiß davon nichts. Das könnte uns helfen. Wir werden es in die Kleider einnähen, mit denen wir unsere Druckanzüge bedecken. Harkabeeparolyn, kannst du nähen?«

»Nein.«

Louis sagte: »Ich kann es.«

»Ich ebenfalls«, sagte der Junge. »Ihr müßt mir nur zeigen, wo ich es annähen soll.«

»Es muß nicht elegant aussehen. Ich gehe von der Annahme aus, daß Teela uns mit Laserwaffen beschießen wird, nicht mit Bleikugeln oder mit Pfeilen. Unsere Panzeranzüge passen nämlich nicht über die Druckanzüge.«

»Das stimmt nicht ganz«, widersprach ihm Louis. »Zum Beispiel würde dein Panzeranzug sehr wohl über meinen Druckanzug passen, Chmeee.«

»Wenn du dich so mit Kleidern behängst, kannst du dich nicht rasch genug bewegen.«

»Vielleicht nicht. Harkabeeparolyn, wie steht es mit dir?«

»Ich bin verwirrt, Louis. Kämpft ihr nun mit oder gegen den Protektor?«

»Sie kämpft gegen uns, aber sie hofft, den Kampf zu verlieren«, erwiderte Louis mit sanfter Stimme. »Sie kann es uns nur nicht sagen. Die Regeln, nach denen sie verfährt, sind ihr in das Gehirn und die Drüsen eingepflanzt. Kannst du das nachvollziehen?«

Harkabeeparolyn zögerte mit der Antwort. Dann sagte sie: »Der Protektor verhielt sich wie — als ob er Angst hatte, er würde bei allem, was er sagte und tat, überwacht. Ich fühlte mich an meine Ausbildungszeit im Panth-Gebäude erinnert. Da war es auch so.«

»Ich glaube, dein Eindruck war zutreffend. Es ist Teela selbst, die sich überwacht. Kannst du mit einem Protektor kämpfen, wenn du weißt, daß die ganze Welt zugrunde geht, falls du verlierst?«

»Ich denke ja. Wenigstens könnte ich ihn ablenken, falls ich ihm nicht gewachsen bin.«

»Okay. Wir nehmen dich mit. Wir haben eine Ausrüstung mitgenommen, die für eine andere Städtebauer-Frau gedacht war. Ich werde dir erklären, wie du damit umgehen mußt und was du damit ausrichten kannst. Chmeee, sie wird deinen Schutzanzug zwischen ihrem Druckanzug und dem Superleiter-Tuch tragen.«

»Sie kann sich auch Halrloprillalars Scheinwerfer-Laser nehmen. Ich habe meinen durch Unachtsamkeit verloren. Ich werde mich mit der Slaver-Doppelflinte bewaffnen. Ich weiß auch, wie man die Ersatzbatterien so einstellen kann, daß die Doppelflinte ihre Energie in einer Millisekunde abstrahlt.«

»Diese Batterien sind Produkte meines Volkes. Wir entwickelten sie, um Leben zu retten, nicht zu zerstören«, erwiderte der Hinterste voller Zweifel.

»Zeig sie mit trotzdem. Dann mußt du alle Fernmeldekanäle verstopfen. Wir müssen damit rechnen, daß Teela nach ihrer Mahlzeit zurückkehrt, ehe wir mit unseren Vorbereitungen fertig sind. Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit. Louis, zeige Kawaresksenjajok, wie er unsere Tarnkleidung nähen muß. Benütze den Superleiter-Draht als Faden.«

»Ja, daran dachte ich auch schon. Tanj, ich wünschte, wir hätten mehr Zeit!«


In Anzügen und Tarnkleidern, mit der Ausrüstung beladen, sprangen sie auf die Transportscheiben.

Harkabeeparolyn sah in ihren Anzügen aus wie eine formlose Puppe. Ihr Gesicht im Helm war eine starre, konzentrierte Maske. Druckanzug, Fluggeschirr, Laser — sie mochte von Glück sagen, wenn sie sich noch zu erinnern vermochte, wie das alles funktionierte, was sie am Körper trug; daß sie damit noch kämpfen konnte, durfte man kaum von ihr erwarten. Aus einiger Entfernung konnte man sie in ihren vielen Anzügen für Louis Wu halten. Teela mochte dieser Täuschung erliegen und zögern. Jeder Pluspunkt zählte.

Sie verschwand aus der Kabine. Louis folgte ihr, während er noch sein Fluggeschirr befestigte.

Chmeee, Harkabeeparolyn, Louis Wu: Sie schwebten wie Bälle aus schwarzem Seidenpapier über den rostfarbenen Hängen des Mons Olympus. Die Sonde schwebte nicht mehr. Vermutlich hatte sie so lange durchgehalten, bis ihr der Treibstoff ausging. Dann war sie auf den Abhang des Kraters gefallen und hatte sich überschlagen. Sie sah sehr mitgenommen aus, aber die Transportscheiben hatten den Absturz überlebt.

Die Skalen unter Louis' Kinn verrieten ihm, daß die Luft sehr dünn war, sehr trocken und reich an Kohlendioxyd. Es war eine recht gute Imitation der Mars-Atmosphäre, aber die Schwerkraft kam der der Erde sehr nahe. Wie hatten die Marsianer hier überlebt? Sie mußten sich diesen Verhältnissen angepaßt haben, indem sie die Schwerkraft durch den Auftrieb in den Staubmeeren wieder ausglichen, wo sie lebten. Sie waren zäher als ihre bereits ausgestorbenen Vettern. Keine Ablenkungen, bitte!

Der Rand des Kraters befand sich vierzig Meilen hangaufwärts. Sie brauchten eine Viertelstunde dazu, die Entfernung zu überwinden. Harkabeeparolyn bildete die Nachhut. Ihr Flug war sprunghaft, unregelmäßig. Wahrscheinlich spielte sie ständig mit ihren Kontrollhebeln.

Die Luke am Boden des Kraters war aus rostfarbenem Fels geformt und besaß eine rauhe Oberfläche. Sie war aufgesprengt und nach innen gefallen.

Sie schwebten in das dunkle Loch hinein.

Ihr Fluggeschirr hielt sie im schwebenden Zustand. Eigentlich hätte es hier gar nicht funktionieren dürfen.

Die Repulsionseinheiten reagierten auf die flachen, elektronenabweisenden Scrith-Platten über ihnen und unter ihnen. Aber die Scrith-Decke war nicht elektrisch geladen. Sie war viel dünner als der Ringweltboden unter ihnen.

Louis schaltete den Infrarot-Sucher ein (er hoffte, Harkabeeparolyn würde sich an seine Anweisungen erinnern, sonst würde sie erblinden). Hitze strahlte von unten herein kleiner, sehr heller Kreis. Ihre unmittelbare Umgebung war riesig, aber undeutlich. Scheiben, die zu Säulen aufgetürmt waren, schmale Steigleitern an drei Wänden. Und in der Mitte dieses riesigen Raumes erhob sich ein schiefer Turm aus Toroiden. Sie fielen an diesen Ringen entlang nach unten. Ein linearer Beschleuniger, dessen Mittelachse durch den Moris Olympus verlief? Dann konnten diese Scheiben startbereite Kampfbühnen für einen Protektor sein, mit dem sie in den Himmel hinaufgeschossen werden konnten.

Ein Loch war durch den Boden gestanzt worden. Sie ließen sich hindurchfallen. Harkabeeparolyn hatte zum Glück den Anschluß nicht verloren. Die Wärmequelle lag noch unter ihnen, dehnte sich stetig aus.

Zwölf Stockwerke, dicht aneinander, jedes mit einem Loch im Boden. Die Heiße Nadel hatte eine beachtliche Schneise geschlagen. Auch das letzte Loch hatte noch einen beachtlichen Umfang. und ein infrarotes Licht breitete sich darunter aus. Die Kammer unter ihnen war sehr heiß, fast rotglühend. Chmeee segelte vor Louis durch das Loch hinunter, kam eine Sekunde später zurück und ließ sich auf dem Stockwerk über Louis nieder.

Sie hatten Funkstille vereinbart. Louis ahmte das Manöver des Kzin nach: er ließ sich durch die letzte Bresche fallen und war von gleißendem infraroten Licht umgeben. Eine gewaltige Energie war hier freigesetzt worden. Und der Tunnel, der von dieser Stelle wegführte, glühte noch viel heller.

Louis schwebte wieder nach oben und landete neben Chmeee. Er gab Harkabeeparolyn ein Zeichen mit der Hand, und sie plumpste neben ihm zu Boden.

Ja. Die Heiße Nadel war durch diesen Tunnel geschleppt worden. Dabei wurde sie mit soviel Wärme überschüttet, daß das Stasisfeld ausgelöst wurde. Sie hätten dem Tunnel leicht folgen können, aber ss war noch so heiß darin, daß ihr Blut gekocht hätte. Was nun?

Chmeee folgen, der mit großer Geschwindigkeit davon schwebte. Was hatte er vor? Wenn sie sich doch nur hätten verständigen können!

Sie bewegten sich durch einen Wohnbezirk. Unangenehm eng für Leute, die versuchten, mit großer Geschwindigkeit durch die Korridore zu fliegen. Kabuffs ohne Türen, oder wenn mal eine Tür, war sie so dick und massiv wie an einem Safe.

Nirgends ein Vorhang, hinter dem man wenigstens unbeobachtet bleiben konnte. Wie lebten die Pak-Protektoren? Ein Blick in diese zellenartigen Räume verriet spartanische Schlichtheit. Auf dem Boden eines Kabuffs lag ein Skelett mit verdickten Gliedern und einem kammartigen Aufsatz auf dem Schädel. In einem großen Saal entdeckten sie Gegenstände, die aussahen wie Turngeräte. Dahinter ein Kletterturm, der mindestens eine Meile hoch sein mußte.

Stundenlang flogen sie durch diesen unterirdischen Bezirk. Zuweilen trafen sie auf meilenlange schnurgerade Korridore. Sie durchquerten sie mit hoher Geschwindigkeit, und dann kamen sie wieder nur schrittweise und mühsam voran.

Türen blockierten ihren Weg. Chmeee öffnete sie immer auf die gleiche Weise. Er richtete seine Slaver-Doppelflinte darauf, und die Tür löste sich in eine Wolke aus monoatomarem Staub auf.

Als Chmeee den Zerstäuber auf eine besonders große Tür richtete, stäubte es ebenfalls, aber das war nur die oberste Schicht. Eine blanke Fläche blieb zurück, die aus Scrith bestehen mußte.

Chmeee führte sie nach links, umging den Korridor, der von dieser Tür bewacht wurde. Louis ließ Harkabeeparolyn vorangehen und flog ein Stück zurück, um abzuwarten, ob Teela Brown ihnen zu folgen versuchte. Aber die große Tür blieb verschlossen. Wenn Teela Brown sich dahinter versteckte, konnte sie die drei Eindringlinge nicht bemerkt haben. Die Scrith-Tür verhinderte jede Ortung. Selbst Protektoren hatten ihre Grenzen.

Sie hätten dem Tunnel bis zur Heißen Nadel folgen können, indem sie das Stockwerk darüber benützten. Aber sie taten das nicht. Chmeee führte sie ungefähr zwölf Grad nach antispinnwärts von Steuerbord, indem er die Heiße Nadel als Bezugspunkt verwendete. Er führte sie also zu der halbkugelförmigen Höhle, in der sich eine Neutrino-Quelle in halber Höhe der Wand bewegte. Louis konnte das nur recht sein.

Sie wählten den nächsten Korridor, der nach rechts führte. Sie kamen an einer zweiten Scrith-Tür vorbei, aber diesmal blockierte sie nicht ihren Weg. Die Höhle, die sie umrundet hatten, war sehr groß. Vielleicht eine Steuerzentrale für Notfälle? Sie mußten sich diese Tür merken. Vielleicht mußten sie später hierher zurückfinden.

Vierzehn Stunden waren inzwischen vergangen, und sie hatten fast tausend Meilen zurückgelegt, ehe sie eine Ruhepause einlegten. Sie schliefen in einem hüfthohen Metallgefäß, das einem Pfannkuchen glich und sich in der Mitte einer riesigen Fläche befand. Was für einen Zweck dieses Gerät erfüllte, wußten sie nicht; aber hier konnte sie niemand im Schlaf überraschen. Louis bekam einen heftigen Appetit auf eine andere Diät als ihren Nähr-Sirup. Er fragte sich, ob Teela inzwischen ebenfalls gegessen, ihre Vorbereitung getroffen und wieder Hunger bekommen hatte?

Sie flogen weiter. Der Wohnbezirk blieb hinter ihnen zurück, obwohl sie hier und dort noch auf Zellen trafen mit leeren Vorratstruhen für Nahrungsmittel, allen lebensnotwendigen Installationen und einem hübschen flachen Boden für einen kurzen Mittagsschlaf. Aber diese Kabuffs befanden sich in den Seitenwänden riesiger Säle, die alles Mögliche enthalten konnten oder auch gar nichts.

Sie flogen an dem Gehäuse eines Gerätes vorbei, das eine gewaltige Pumpe beherbergen mußte, dem Dröhnen nach zu urteilen, das auf ihre Trommelfelle einstürmte. Chmeee führte sie nach links, sprengte eine Wand, und dahinter gelangten sie in einen Kartensaal, der so riesig war, daß Louis vor Ehrfurcht fast im Boden versank. Als Chmeee eine Bresche in die gegenüberliegende Wand schlug, brach das riesige Hologramm mit einem Blitz in sich zusammen. Sie flogen weiter.

Ein Korridor, dahinter ein Licht und ein Wind, der ihnen in den Rücken blies.

Sie traten unter das Licht.

Die Sonne hatte gerade an einem fast wolkenlosen Himmel den Zenit überschritten. Eine endlose sonnenüberflutete Landschaft dehnte sich vor ihnen aus: Teiche, Haine, Getreidefelder, Reihen von dunkelgrünen Gemüsepflanzen. Louis kam sich wie eine Zielscheibe vor. Eine Schleife aus schwarzem Draht war an seiner Schulter befestigt. Er zog sie jetzt aus dem Stoff und warf sie fort. Das andere Ende war noch mit seinem Anzug verbunden. Der Draht würde die Hitze ableiten, wenn sie jetzt auf ihn schoß.

Wo war Teela Brown?

Offenbar nicht hier.

Chmeee führte sie über eine Hügelgruppe. Er hielt dann auf einen Weiher mit stehendem Wasser zu. Louis folgte ihm. Harkabeeparolyn hielt sich dicht hinter ihm. Der Kzin öffnete seinen Raumanzug. Als Louis sich neben ihm niederließ, drehte Chmeee beide Handflächen nach außen und bewegte sie dann rasch wieder aufeinander zu. Er deutete mit dieser Pantomime an, daß der Anzug hermetisch geschlossen bleiben mußte.

Man hatte ihr schon das Raumschiff erklärt, aber Louis beobachtete sie scharf, bis er überzeugt war, sie würde ihren Anzug nicht öffnen.

Was nun?

Das Land war zu flach. Es eignete sich nicht gut als Versteck — hier ein paar Bäume, dort ein paar sanft gewellte Hügel. Als Versteck viel zu auffällig. Aber vielleicht verbarg sie sich in so einem Teich? Louis rollte den Draht wieder ein, den er weggeworfen hatte. Vermutlich hatten sie ein paar Stunden Zeit, sich auf den Kampf vorzubereiten. Doch wenn Teela kam, würde sie über sie herfallen wie ein Blitz.

Chmeee hatte sich nackt ausgezogen. Nun legte er den Anzug aus Superleiter-Tuch wieder an. Er ging zu Harkabeeparolyn und half ihr, seinen Schutzanzug auszuziehen. Er legte ihn dann selbst an. Damit war sie einer Schutzschicht entkleidet. Louis mischte sich nicht ein.

Ob sie sich hinter der Sonne versteckte? Die kleine fusionsgespeiste, Neutrino aussendende Sonne — dort würde man sie nicht so rasch vermuten. Konnte man sie überhaupt als Versteck verwenden? Wenn er den Superleiter-Draht mit einem Teich verband, konnte er sich nur bis zum Siedepunkt des Wassers erhitzen. Tanj, das wäre ein raffiniertes Versteck für ihn gewesen, wenn die Sonne sich näher an der Oberfläche des Mars befunden hätte, wo das Wasser schon bei einer erträglichen Temperatur zum Kochen kam. Aber sie befanden sich hier nicht über dem Ringwelt-Boden, wo der Luftdruck fast so hoch war wie auf Meereshöhe.

Vielleicht mußten sie hier tagelang auf Teela warten. Das Wasser in ihren Druckanzügen würde ausreichen, auch der Zuckersirup und vermutlich Louis Wus Geduld ebenfalls. Chmeee hatte sich seinen Anzug bereits ausgezogen. Vielleicht gab es hier Tiere, die er jagen konnte.

Und wie stand es mit Harkabeeparolyn? Wenn sie ihren Druckanzug öffnete, würde sie den Geruch des Lebensbaumes in die Nase bekommen.

Chmeee hatte seinen Druckanzug wieder aufgepumpt. Nun steckte er ihn in sein Fluggeschirr. Er legte einen Stein auf jeden Zeh und bediente das Steuergerät am Gürtel, bis der Anzug senkrecht stand. Das war ein verdammt guter Einfall. Wenn er die Steine zur Seite stieß und die Düsen einschaltete, würde ein leerer Druckanzug wie ein Angreifer in den Himmel hinaufsteigen.

Louis war etwas Vergleichbares noch nicht eingefallen.

Vielleicht kam Teela nur selten hierher, alle paar Wochen einmal. Vielleicht bewahrte sie die Lebensbaumwurzeln woanders auf.

Wie sahen diese Lebensbäume überhaupt aus? Waren es diese dunkelgrünen, glänzenden Pflanzen? Louis zog eine davon auf den Boden. Fette Wurzeln hingen daran, die ihn an Yams oder süße Kartoffeln erinnerten. Er hatte diese Pflanze noch nie gesehen, aber das galt auch für die übrigen Gewächse, die hier unter der künstlichen Sonne lebten. Die meisten Lebewesen der Ringwelt und alle unter der Kuppel des Mars gezogenen Pflanzen mußten vom galaktischen Kern importiert worden sein.

Teela lachte in Louis' Ohr.

32. Der Protektor

Louis zuckte nicht nur zusammen. Er schrie in seinem Helm.

Teelas Stimme war voller Lachen. Sie verschluckte die Konsonanten. Das konnte sie nicht verhindern: Lippen und Gaumen hatten sich zu einem harten Schnabel vereinigt. »Ich möchte nie mehr mit einem Pierson-Puppetier kämpfen! Chmeee, du hältst dich doch für ein gefährliches Wesen, nicht wahr? Dieser Puppetier hätte mich um ein Haar besiegt.«

Irgendwie war es ihr gelungen, ihre Ohrenstöpsel wieder zu aktivieren. Konnte sie auf diese Weise ihren Standpunkt erkennen? Dann waren sie so gut wie tot. Also ging Louis lieber von der Annahme aus, daß sie auf diese Weise ihre Feinde nicht zu orten vermochte.

»Ich empfing keine Signale mehr von eurem Schiff. Alle Fernmeldeinstrumente waren abgeschaltet. Aber ich mußte wissen, was in dem Schiff vorging. Deshalb mußte ich eine Vorrichtung zusammenbasteln, mit der ich mich in die Transportscheiben einschalten konnte. Ich kann euch sagen, das war gar nicht einfach. Zuerst mußte ich von der Annahme ausgehen, daß ein Puppetier Transportscheiben von seinem Heimatplaneten mitbrachte, dann stellte sich das Problem, wie sie funktionierten, und dann mußte ich sie nachbauen, und als ich sie einhängte und ich an Bord eures Raumschiffes materialisierte, griff der Puppetier gerade nach dem Schalter für das Stasisfeld! Ich mußte erraten, wo sich die Scheibe des Transportsenders befand, und das verflucht schnell! Aber ich kam gerade noch mit knapper Not hinaus, und euer Schiff muß sich jetzt im Stasisfeld befinden, wo euch keiner zu Hilfe kommen kann. Aber ich komme jetzt zu euch«, sagte Teela, und Louis hörte das Bedauern in ihrer Stimme.

Jetzt konnten sie nur noch warten. Das Hinterste war mit den ganzen Geräten an Bord der Heißen Nadel ausgefallen. Ihnen blieb nur noch das, was sie in den Händen hielten.

Es hatte sich so angehört, als würde es noch eine Weile dauern, bis sie hierherkam — falls sie nicht gelogen hatte. Louis schwebte an seinem Fluggeschirr in die Höhe.

Eine Meile, zwei Meilen, und das Dach dieses Kuppelraumes lag noch weit über ihm. Teiche, Flüsse, sanfte Hügelkuppen: tausend Quadratmeilen Boden in diesem Gewächshaus hatten sich in eine Wildnis verwandelt. Kugelförmige Bäume mit maschenartigen Blättern bildeten einen Dschungel auf Backbord. Hunderte von Quadratmeilen waren spinnwärts und an Steuerbord mit gelben Büschen bewachsen. Man konnte hier und da noch die Reihen erkennen, in denen sie angepflanzt worden waren.

Louis ließ sich wieder hinunterfallen und schwebte dicht über einem Hügel. Sie mußten sich nach allen vier Himmelsrichtungen verteidigen können. Wenn er vielleicht eine Mulde in der Nähe entdeckte. dort, ein Fluß, gesäumt von niedrigen Hügeln. Warum sollten sie nicht mitten im Fluß Stellung beziehen? Er betrachtete ihn von oben mit dem Gefühl, daß er etwas sehr Wichtiges übersehen hatte.

Ja.

Louis schwirrte zu der Stelle zurück, wo Chmeee in Deckung gegangen war.

Er schüttelte Chmeee am Arm und deutete.

Chmeee nickte. Er lief auf den Korridor zu, durch den sie diese unterirdische Welt betreten hatten, und zog seinen Druckanzug wie einen Ballon hinter sich her. Louis schwebte an seinem Fluggeschirr nach oben und gab Harkabeeparolyn das Zeichen, ihnen zu folgen.

Eine sägeblattähnliche niedrige Hügelkuppe mit einem Teich dahinter. Die Stelle eignete sich für einen Hinterhalt. Louis ließ sich auf der Kuppe nieder. Dann streckte er sich flach auf dem Bauch aus und beobachtete den Eingang. Er drehte nur einen Moment den Kopf zur Seite, als er den aufgewickelten Superleiter-Draht zum Teich hinunterwarf. Er mußte sich vergewissern, daß der Draht auch das Wasser erreichte.

Es gab jetzt nur noch einen Ausgang aus dem Raumschiff »Heiße Nadel«. Die Transportscheibe, die Teela in letzter Sekunde erreichte, führte zu einer Sonde, die auf dem Abhang des Mons Olympus lag. Teela mußte die gleiche Route benützen, die sie hierher in dieses riesige Gewächshaus gebracht hatte.

Dreimal saugte er an dem Zucker-Sirup-Spender. Vier Schlucke Wasser hinterher. Versuche, dich zu entspannen. Louis konnte Chmeee nicht mehr sehen. Er hatte keine Ahnung, wo der Kzin sich versteckt hielt, Harkabeeparolyn sah zu ihm herüber. Louis deutete auf den Korridor und scheuchte sie dann mit der Hand fort. Sie verstand seine Geste, verschwand in einer Bodenwelle und versteckte sich hinter einem anderen Hügel. Louis war allein.

Diese Hügel waren viel zu flach. Die hüfthohen, dunklen, glänzend grünen Gewächse boten einem liegenden Mann ein gutes Versteck. Aber wenn er sich rasch bewegen mußte, waren sie ein Hindernis.

Die Zeit verfloß. Louis benützte die sanitären Einrichtungen in seinem Anzug, fühlte sich hilflos und gedemü-tigt. Zurück zu seinem Posten. Sei auf der Hut. Sie kennt alle Möglichkeiten des unterirdischen Transportsystems im Reparaturzentrum. Sie wird kommen wie der Blitz. Entweder erst nach Stunden, oder jetzt...

Jetzt! Teela kam wie eine ferngelenkte Rakete dicht unter dem Dach des Tunnels hervor. Louis erhaschte nur einen Blick, als er sich schon zur Seite rollte, um zu feuern. Sie stand aufrecht auf einer Scheibe, die fast zwei Meter Durchmesser hatte, hielt sich an einer aufrechten Steuersäule fest.

Louis schoß. Chmeee schoß ebenfalls aus seinem Versteck, wo immer sich das befinden mochte. Zwei rubinrote Lichtfäden trafen das gleiche Ziel. Teela hockte jetzt hinter der Brüstung der Scheibe. Sie hatte gesehen, was sie wissen wollte, ihre Positionen auf den Zentimeter genau geortet.

Doch die Flugscheibe stand in rubinroten Flammen und kippte nach unten. Louis erhaschte noch einmal einen Blick auf Teela, ehe sie sich hinter diesen seltsamen Gewächsen mit den Rüschenblättern versteckte.

Sie hatte sich auf einem winzigen Paragleiter ausgestreckt.

Also mußte er annehmen, daß sie lebte und ohne Verletzung davongekommen war. Mit ihrem Fluginstrument konnte sie sich sehr rasch bewegen. Louis stieg auf die Hügelkuppe und beobachtete die Stelle, wo sie verschwunden war, von der Flanke. Sein Superleiter-Draht war immer noch mit dem Wasser des Weihers geerdet.

Wo steckte sie jetzt?

Etwas sprang hinter der Kuppe des Nachbarhügels in die Luft. Grünes Licht durchbohrte das himmelwärts schießende Objekt und hielt es so lange fest, bis es verbrannte und starb. Damit konnte man Chmeees Raumanzug abhaken. Aber ein Bündel handgroßer Raketen flog dorthin, wo der grüne Laserstrahl seinen Ursprung nahm. Ein halbes Dutzend weißer Blitze sprühte hinter der Kuppe auf und — päng! — eine Detonation bezeugte, daß es Chmeee gelungen war, aus Puppetier-Batterien Bomben herzustellen.

Teela war ihnen sehr nahe, und sie benützte wieder einen Laser. Wenn sie gleich hinter der Hügelkuppe jetzt den Teich umrundete. Louis wechselte entsprechend seine Position.

Chmeees verbrannter Raumanzug war zu langsam zu Boden gefallen. Ein Protektor mußte daran erkennen, daß er leer gewesen war. Cthulhu und Allah! Wie konnte man einen für das Glück geborenen Protektor im Kampf besiegen?

Teela kam plötzlich zum Vorschein, über einem ganz anderen, viel niedrigeren Hügel, als Louis angenommen hatte. Ehe Louis auch nur einen Daumen bewegen konnte, wurde er von einer Lanze aus grünem Licht durchbohrt. Louis blinzelte. Die Schutzschicht auf seinem Helm hatte sein Augenlicht gerettet. Teela war wieder verschwunden. Trotz ihrer Instinkte als Protektor war Teela offenbar entschlossen, Louis Wu zu töten.

Wieder kam sie an einer anderen Stelle zum Vorschein. Grünes Licht starb auf schwarzem Tuch. Diemal schoß Louis zurück. Sie war wieder verschwunden. Er wußte nicht, ob er sie getroffen hatte. Aber er hatte ihren geschmeidigen Lederpanzer gesehen, der an manchen Stellen klaffte. Ihre Gelenke waren riesenhaft angeschwollen. An den Fingern waren die Scharniere zwischen den einzelnen Gliedern so groß wie Walnüsse, die Knie und die Ellenbogen glichen Honigmelonen. Sie trug gar keinen Panzer. Was er für einen Lederkoller gehalten hatte, war ihre eigene Haut.

Louis rollte sich zur Seite und dann den Hügel hinunter. Er kroch rasch weiter. Das Kriechen war eine harte Arbeit. Wo würde sie jetzt auftauchen? Dieses Spiel hatte er nie geübt. In seinen zweihundert Lebensjahren war er nie Soldat gewesen.

Zwei Dampfsäulen schwebten über dem Teich.

Links von ihm stand Harkabeeparolyn plötzlich auf und schoß. Wo war Teela? Ihr Laser antwortete nicht. Harkabeeparolyn stand auf der Kuppe wie ein schwarz maskiertes Ziel. Dann duckte sie sich und rannte den Hügel hinunter. Sie stürzte und kroch dann rasch nach links.

Der Felsblock kam von links. Wie hatte Teela so rasch ihre Stellung wechseln können? Der Block traf Harkabeeparolyns Arm, brach den Knochen und riß den Ärmel auf. Die Städtebauer-Frau stand schreiend auf, und Louis wartete darauf, daß Teela ihr jetzt den Fangschuß gab. Futzfutzfutz! Achte auf den Laserstrahl...

Kein Strahl flammte auf. Und er sollte nicht beobachten, sondern handeln. Er hatte doch gesehen, wo der Felsblock herkam. Da war eine Lücke zwischen zwei Hügeln, und er kroch so rasch darauf zu, wie es unter diesen Umständen geraten schien, um eine Hügelwand zwischen sich und Teela zu legen. Dann kroch er auf der anderen Seite des Hügels weiter. Tanj, wo steckte denn Chmeee? Louis riskierte einen Blick über den Hügelkamm.

Harkabeeparolyn hatte aufgehört zu schreien. Sie sog die Luft durch die Nasenlöcher. Sie warf ihr Fluggeschirr weg und riß an dem schwarzen Tuch. Sie konnte nur einen Arm benützen. Ihr anderer Arm hing locker und gebrochen an der Schulter. Sie begann ihren Schutzanzug auszuziehen.

Teela war eben noch dort gewesen. Wohin bewegte sie sich jetzt? Jedenfalls achtete sie nicht auf Harkabeeparolyn.

Harkabeeparolyns Schutzhelm wollte sich nicht lösen lassen. Harkabeeparolyn rollte den Hügel hinunter, riß mit einer Hand an dem Stoff und hämmerte dann mit der Gesichtsplatte des Helms gegen einen Stein.

Inzwischen war viel zuviel Zeit vergangen. Inzwischen konnte Teela überall sein. Louis bewegte sich wieder, diesmal in einer Rinne, die früher ein Bach gewesen sein mußte. Wenn er über den Hügelkamm kroch, mußte sie das sofort sehen.

Konnte sie tatsächlich jede seiner Reaktionen voraussehen? Protektor! Wo steckte sie jetzt?

Vielleicht hinter mir? Louis spürte Spinnenbeine in seinem Nacken. Er schwang herum, obwohl er gar keinen Anlaß dazu hatte, und schoß auf Teela, als ein kleines Metallwerkzeug an seinen Rippen entlangschnitt. Das Geschoß zerriß seinen Anzug und sein Fleisch, verschob seine Visierlinie. Er drückte seinen linken Arm auf den klaffenden Stoff seines Schutzanzuges, während er den Laserstrahl über die Stelle wandern ließ, wo Teela zuletzt gestanden hatte. Dann schoß sie hoch und war schon wieder woanders, ehe der Strahl sie zu erfassen vermochte. Ein dicker Metallball schlug Splitter von seinem Helm.

Er rollte den Hügel hinunter und hielt immer noch mit dem linken Arm den Riß an seinem Anzug zu. Durch die gesprungene Gesichtsplatte sah er, wie Teela auf ihn herunterschoß wie eine große schwarze Fledermaus. Ehe sie ausweichen konnte, hatte er sie mit einem Laserstrahl erfaßt.

Tanj, dammit, sie brauchte ihm nicht auszuweichen! Denn Teela Brown trug jetzt den Anzug aus schwarzem Superleiter-Tuch, den sie für Harkabeeparolyn genäht hatten. Er hielt mit beiden Händen die Laserwaffe fest. Es würde ihr in ihrem Anzug wärmer werden, als ihr lieb war, ehe sie ihn tötete. Der gepanzerte Dämon stürzte auf ihn herunter, während das schwarze Tuch sich in Fetzen auflöste wie nasses Papier.

In Fetzen auflöste? Weshalb? Und woher kam dieser Geruch?

Sie glitt zur Seite und warf den Laser wie einen Stein auf Chmeee. Die Slaver-Doppelflinte und der Handscheinwerfer-Laser flogen Chmeee aus der Hand. Dann prallten sie aufeinander.

Der Geruch des Lebensbaumes erfüllte Louis' Nase und sein Gehirn. Der Geruch war nicht mit dem Wonnestrom vergleichbar. Der Wonnestrom genügte sich selbst, war ein Erlebnis, das keinen Wunsch mehr offenließ, von absoluter Perfektion. Der Geruch des Lebensbaumes war Ekstase, doch er löste einen Heißhunger aus. Louis wußte nun, wie der Lebensbaum aussah. Er hatte glänzende dunkelgrüne Blätter und Wurzeln wie Süßkartoffeln. Er war von Lebensbaumpflanzen umgeben, und der Geschmack... irgend etwas in seinem Gehirn erinnerte ihn an den Geruch und Geschmack des Paradieses.

Er stand mitten in einer Plantage von Lebensbaum-Gewächsen und konnte nicht davon essen. Er konnte es nicht. Er konnte es nicht, weil sein Helm ihn daran hinderte, und er löste gewaltsam seine Hände wieder von den Klammern, die seinen Helm freigeben würden, weil er den Lebensbaum nicht essen konnte; denn die menschliche Variante eines Pak-Protektors brachte Chmeee um.

Er stabilisierte den Laser mit beiden Händen, als hätte die Waffe einen Rückstoß. Der Kzin und der Protektor bildeten ein unentwirrbares Knäuel, das hügelabwärts rollte und Fetzen von schwarzem Superleiter-Tuch hinter sich ließ. Er folgte ihnen mit einem Faden rubinroten Lichtes. Zuerst schießen, dann zielen. Du hast gar keinen echten Hunger nach der Lebensbaumpflanze. Sie würdedich töten. Du bist schon zu alt für die Metamorphose zum Protektor. Das Zeug bringt dich um!

Tanj, dieser Geruch! Sein Gehirn schien sich mit allen seinen Fasern und Zellen danach zu sehnen. Die Anstrengungen, diesem Geruch zu widerstehen, waren entsetzlich. Sie waren genauso schlimm wie der Kampf mit der Versuchung an jedem Abend in den vergangenen achtzehn Jahren seines Lebens, die Schaltautomarik in seinem Wonnestecker abzustellen. Eine schier übermenschliche Anstrengung, dieser Versuchung zu widerstehen! Louis hielt die Strahlenwaffe fest und wartete.

Teela wich einem Tritt aus, der sie ausgeweidet hätte, wenn er sie getroffen hätte. Einen Augenblick lang streckte sie ein Bein nach hinten.

Der rote Faden traf es, und Teelas Schienbein glühte in einem gleißenden Rot.

Er sah noch einen rubinroten Strahl, der erlosch, als er selbst feuerte. Ein Teil von Chmeees nacktem fleischfarbenen Schwanz glühte auf und fiel dann ab, krümmte sich wie ein verletzter Wurm. Chmeee schien gar nicht darauf zu achten. Aber Teela wußte jetzt, woher der andere Laserstrahl kam. Sie versuchte Chmeee in diese rote Lanze hineinzustoßen. Louis bewegte den Strahl zur Seite und wartete.

Chmeee war verletzt; er blutete an mehreren Stellen. Aber er lag jetzt auf dem Protektor, benützte sein Gewicht, um ihn niederzuhalten. Louis entdeckte einen scharfkantigen Stein neben den Kämpfenden. Er sah aus wie ein sorgfältig bearbeiteter Faustkeil, scharf genug, um Chmeees Schädel zu spalten. Er gab den Abzug frei und zielte mit dem Laser jetzt auf den scharfkantigen Stein. Teelas Hand zuckte danach und ging in Flammen auf.

Eine Überraschung, nicht wahr, Teela?

Verflucht, dieser Geruch! Allein der Duft des Lebensbaumes ist Grund genug, um dich zu töten!

Sie hatte eine Hand verloren und ein Bein bis zum Knie. Das sollte ein Handicap für Teela sein; aber wie schlimm hatte es Chmeee getroffen? Offenbar ermüdete er bereits, denn Louis sah jetzt ganz deutlich, daß Teela ihren harten Schnabel in Chmeees dicken Hals bohrte. Chmeee schüttelte sich, und einen Moment lang zeichnete sich hinter Teelas mißgestaltetem Schädel nichts anderes ab als der blaue Himmel. Louis bewegte den Laser und lenkte das rubinrote Licht mitten in ihr Gehirn.


Louis und Chmeee mußten sich beide gegen die Schnabelspitzen stemmen, um Teelas Kiefer zu öffnen, die sich in Chmeees Hals verbissen hatten. »Sie ließ sich bei ihrem Kampf von ihren Instinkten leiten«, sagte Chmeee keuchend. »Sie kämpfte nicht mit ihrem Verstand. Du hattest recht. Sie kämpfte, um zu verlieren. Aber wehe mir, wenn sie gekämpft hätte, um zu gewinnen!«

Und dann war es vorbei, bis auf das Blut, das aus Chmeees Pelz tropfte. Bis auf Louis' verletzte und vermutlich gebrochene Rippen. Der Schmerz war so groß, daß er ganz krumm ging, damit der Brustkorb sich auf einer Seite ja nicht bewegte. Bis auf den Geruch, diesen Geruch des Lebensbaumes, den nichts zu vertreiben vermochte. Bis auf Harkabeeparolyn, die jetzt bis zu den Knien im Wasser stand, mit Wahnsinn in den Augen und Schaum vor dem Mund, weil sie immer noch vergeblich versuchte, mit hämmernden Stößen die Gesichtsplatte ihres Helms zu sprengen.

Sie packten sie beim Arm und führten sie weg. Sie kämpfte verzweifelt gegen ihre Griffe. Auch Louis kämpfte: Er kämpfte um jeden Schritt, der ihn wieder ein Stück von diesen langen Reihen der Lebensbaumpflanzen wegbrachte.

Chmeee hielt im Korridor an. Er löste die Knebel an Louis' Schutzhelm und klappe ihn nach hinten. »Jetzt darfst du wieder atmen, Louis. Der Wind bläst auf das Gewächshaus zu.«

Louis holte tief Luft. Der Geruch war zum Glück nicht mehr in diesem Wind, der sein Gesicht umfächelte. Sie nahmen jetzt auch Harkabeeparolyn den Helm ab, damit der Wind den Geruch des Lebensbaumes aus ihrem Anzug entfernte. Aber es schien wenig zu bewirken. Ihre Augen waren immer noch voller Wahnsinn, starrten ins Leere. Louis wischte ihr den Schaum vom Mund.

Der Kzin fragte:

»Kannst du wieder stehen? Kannst du sie daran hindern, in das Gewächshaus zurückzukehren? Und kannst du dich selbst bezwingen?«

»Ja. Niemand hätte dem Geruch widerstehen können. Nur ein entwöhnter Wonnestrom-Süchtiger.«

»Urrr?«

»Du kannst das nicht nachvollziehen. Du kannst es nicht wissen.«

»Nein, zum Glück nicht. Gib mir dein Fluggeschirr.«

Die Gurte saßen sehr straff. Sie mußten ihm weh tun, da sie in seine Wunden einschnitten. Chmeee blieb nur ein paar Minuten weg. Er kehrte mit Harkabeeparolyns Fluggeschirr, der Slaver-Doppelflinte und zwei Scheinwerfer-Lasern zurück.

Harkabeeparolyn war etwas ruhiger geworden. Vermutlich war ihre Erschöpfung der Grund dafür. Louis kämpfte gegen eine schreckliche Depression an. Er hörte kaum zu, als Chmeee sagte: »Wir scheinen eine Schlacht gewonnen, aber den Krieg verloren zu haben. Was sollen wir jetzt tun? Deine Frau und ich müssen behandelt werden. Das geht nur, wenn wir das Landungsboot erreichen.« »Wir werden uns durch die Heiße Nadel dorthin transportieren lassen. Aber warum sollen wir den Krieg verloren haben?«

»Du hast doch gehört, was Teela sagte. Die Heiße Nadel befindet sich im Stasisfeld, und wir haben nichts mehr außer unseren Händen. Wie sollen wir wissen, wie die Maschinen der Protektoren funktionieren, wenn wir nicht die Instrumente der Heißen Nadel zur Verfügung haben?«

»Wir haben gewonnen.« Louis' Depression war schon schlimm genug, auch ohne den Pessimismus des Kzin. »Teela ist nicht unfehlbar. Sie ist tot, oder etwa nicht? Woher wußte sie, ob der Hinterste überhaupt nach dem Schalter des Stasis-Feldes griff? Und warum sollte er das tun?«

»Er hatte einen Protektor in seinem Schiff, der nur durch eine Wand von ihm getrennt war.«

»Hatte er nicht einen Kzin in der gleichen Kabine gefangengehalten? Die Zwischenwand besteht aus einer General-Products-Zelle. Ich würde sagen, der Hinterste versuchte die Transportscheiben-Anlage abzuschalten. Er war nur ein bißchen zu langsam.«

Chmeee dachte darüber nach. »Noch besitzen wir den Zerstäuber.«

»Aber nur zwei Fluggeschirre. Überlegen wir mal, wie weit wir von der Heißen Nadel entfernt sind. Ungefähr zweitausend Meilen. Futz.«

»Was unternehmen die Menschen gegen einen gebrochenen Arm?«

»Sie schienen ihn.« Louis stand auf. Es war nicht leicht, sich zu bewegen. Er entdeckte ein Stück von einer Aluminiumschiene und mußte sich erst daran erinnern, wofür er sie benötigte. Als Verband stand ihnen nur das Superleiter-Tuch zur Verfügung. Harkabeeparolyns Arm schwoll beängstigend an. Louis schiente ihr den Arm. Er verwendete den schwarzen Draht, um Chmeees schlimmste Wunden zu vernähen.

Ohne Behandlung konnten sie beide sterben. Das war eine erste Hilfe, aber keine Behandlung. Und Louis hätte sich am liebsten niedergesetzt und wäre gestorben, so elend war ihm zumute. Bewegen, bewegen! Futz, es tut auch nicht weniger weh, wenn du nicht gehst. Du mußt irgendwann darüber hinwegkommen. Warum nicht jetzt?

»Ich muß eine Trage zwischen den Fluggeschirren befestigen. Was können wir dazu verwenden? Das Superleiter-Tuch ist nicht kräftig genug.«

»Wir müssen eben etwas finden, Louis. Aber ich bin zu schwer verwundet, um danach zu suchen.«

»Das ist nicht nötig. Hilf mir, Harkabeeparolyn diesen Anzug auszuziehen.«

Er verwendete den Laser dazu. Er schnitt mit dem Strahl den Anzug der Länge nach in zwei Teile. Dann zerschnitt er den losen Stoff in Streifen. Er stanzte Löcher in den Rand der einen Anzugshälfte und fädelte Streifen aus gummiertem Stoff durch die Löcher. Das andere Ende der Bänder befestigte er an den Gurten seines Fluggeschirrs.

Aus dem Anzug war eine Trage mit den Körperformen von Harkabeeparolyn geworden. Sie legten die verletzte Städtebauer-Frau hinein. Sie leistete keinen Widerstand mehr; aber sie rer dete kein Wort mit ihnen.

Chmeee sagte: »Raffiniert.«

»Vielen Dank. Kannst du fliegen?«

»Ich weiß nicht.«

»Versuche es. Wenn du nicht mehr weiter kannst, dich später aber wieder erholst, hast du ja immer noch ein Fluggeschirr. Vielleicht finden wir irgend etwas Auffälliges, wo ich dich zurücklassen kann und dich später wieder finde, wenn ich nach dir suche.«

Sie flogen durch den Tunnel, der sie zum Gewächshaus gebracht hatte. Chmeees Wunden bluteten wieder, und Louis wußte, daß er schreckliche Schmerzen litt. Sie waren drei Minuten unterwegs, als sie auf einen schwebenden Gegenstand trafen — eine Scheibe von fast zwei Metern Durchmesser, beladen mit allerlei Geräten und Werkzeugen. Sie hielten neben der Scheibe an, die ungefähr dreißig Zentimeter über dem Boden schwebte.

»Wir hätten es wissen müssen. Teelas Transportscheibe. Wieder einer von diesen interessanten Zufällen«, sagte Louis.

»Gehört das auch zu ihrem Spiel?«

»Ja. Wenn wir überlebten, mußten wir sie finden.« Alles auf dieser Scheibe erschien ihm seltsam und fremdartig, bis auf eine schwere Metallkiste, deren Haltebolzen abgeschweißt worden waren. »Kannst du dich an diese Kiste erinnern? Es ist das Erste-Hilfe-Paket auf Teelas Flugrad.«

»Es würde einem Kzin nicht helfen. Und die Medizin, die sich darin befindet, ist dreiundzwanzig irdische Jahre alt.«

»Für sie ist es besser als nichts. Du hast ja deine Allergiepillen, und hier gibt es nichts, womit du dich infizieren könntest. Wir sind nicht nahe genug bei der Weltkarte des Kzin, um deine artspezifischen Bakterien einzufangen.«

Der Kzin sah schlecht aus. Er hätte nicht mehr stehen dürfen. Er fragte: »Wirst du dich mit der Steuereinrichtung zurechtfinden? Ich traue es mir nicht mehr zu, sie selbst auszuprobieren.«

Louis schüttelte den Kopf. »Warum sollen wir uns damit abmühen? Du und Harkabeeparolyn — ihr steigt auf die Scheibe. Sie schwebt ja bereits. Ich werde sie schleppen. Ihr schlaft.«

»In Ordnung.«

»Schließe sie zuerst an das Erste-Hilfe-Gerät an. Und binde dich an der Steuersäule fest. Bindet euch beide fest.«

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Die beiden verschliefen die nächsten dreißig Stunden, während Louis die Schwebescheibe schleppte. Seine Rippen auf der rechten Seite des Brustkorbes waren eine einzige große rote Wunde.

Er hielt an, als er bemerkte, daß Harkabeeparolyn wach war.

Sie phantasierte von dem schrecklichen Zwang, der sie überwältigt hatte, von dem Entsetzen und dem Entzücken dieses betörenden Bösen, das im Lebensbaum steckte. Louis hatte versucht, nicht daran zu denken. Sie drückte sich verdammt poetisch aus, und sie konnte nicht aufhören, davon zu reden, und Louis wollte sie auch nicht zum Schweigen bringen. Sie mußte einfach davon reden.

Sie verlangte, daß Louis seine Arme um sie legte, um sie zu trösten. Soviel konnte er noch für sie tun.

Er hängte sich auch eine Stunde lang an Teelas alten Erste-Hilfe-Apparat. Als der Schmerz in seinen Rippen ein wenig nachließ und er sich nicht mehr ganz so elend fühlte, gab er ihr das Instrument zurück. Er hatte immer noch so viel Schmerzen, daß er von dem Geruch abgelenkt wurde, der ihn vollkommen ausfüllte. Vielleicht hatte sein Fluggeschirr an einem Lebensbaum gescheuert. Oder. vermutlich haftete der Geruch in seinem Gehirn. Für immer.

Chmeee hatte hohes Fieber. Louis konnte Harkabeeparolyn dazu überreden, Chmeees Schutzanzug zu tragen. Teela hatte ihn zwar bei dem Zweikampf mit Chmeee aufgeschlitzt, aber er bot einer Frau besseren Schutz als ihre nackte Haut, wenn sie sich neben einem phantasierenden Kzin zum Schlafen niederlegen mußte.

Wenigstens einmal rettete der Anzug Harkabeeparolyn das Leben, als Chmeee mit den Krallen nach ihr schlug, weil sie in seinem Fieberwahn Teela zu ähnlich sah. Sie hingegen pflegte den Kzin so gut sie konnte, flößte ihm Wasser und Nährflüssigkeit aus ihrem Druckanzug-Helm ein. Am vierten Tag war Chmeee wieder im Besitz seines Denkvermögens, aber er war immer noch schrecklich schwach. und furchtbar hungrig. Der Sirup in einem menschlichen Druckanzug reichte ihm als Nahrung nicht hin.

Sie brauchten alle vier Tage, um eine Position in gleicher Höhe mit der Heißen Nadel zu erreichen. Sie benötigten noch einen Tag, sich durch die Wände hindurchzugraben, bis sie einen Steinblock aus gegossenem Basalt fanden.

Eine Woche war vergangen, seit das flüssige Gestein sich verfestigte. Der Basaltblock war immer noch warm. Louis ließ die schwebende Scheibe mit den beiden Passagieren in dem Tunnel zurück, durch den Teela die Heiße Nadel geschleppt hatte. Er setzte den Schutzhelm seines Druckanzuges auf, der ihn mit frischer kalter Luft versorgte, ehe er die Slaver-Doppelflinte mit beiden Händen hochhob und auf den Auslöser drückte.

Ein Hurrikan von Staub hüllte ihn ein. Vor ihm bildete sich ein Tunnel, in den er langsam vorrückte.

Er sah nichts, hörte nur das heulende Geräusch des berstenden Basalts, der in einem Staubsturm an ihm vorbeiwehte und sich irgendwo hinter ihm blitzartig entzündete, wenn die Elektronenladung wieder ihr Vorrecht beanspruchte. Wieviel Lava hatte Teela auf das Raumschiff gegossen? Offenbar hatte sie Stunden mit dem Gießen verbracht.

Dann stieß er auf etwas.

Ja. Er blickte durch ein Fenster auf einen seltsamen Innenraum. Ein Wohnzimmer mit Couchen und einem schwebenden Kaffeetisch. Alles hatte ein merkwürdig sanftes Aussehen. Nirgends eine scharfe Ecke oder eine harte Kante — nichts, an das ein lebendes Wesen mit einem Knie anstoßen konnte. Durch ein zweites Fenster konnte er riesige Gebäude erkennen und einen Schimmer von einem schwarzen Himmel dazwischen. Pierson-Puppetiers bevölkerten die Straßen. Alles stand auf dem Kopf.

Das, was er für eine Couch gehalten hatte, mußte etwas anderes sein. Louis stellte den Handscheinwerfer-Laser auf schwache Energie ein. Er schaltete ihn ein und aus. Eine gute Minute lang passierte nichts. Dann erschien ein flachgedrückter weißer Kopf mit einem langen Hals, um aus einer flachen Schale zu trinken, und zuckte erschrocken zurück, um sich wieder im Bauchnabel zu verstecken.

Louis wartete.

Der Puppetier stand auf. Er führte Louis an der Wand des Schiffes entlang — langsam, weil Louis sich den Weg mit dem Zerstäuber freischaufeln mußte — bis zu der Stelle, wo er einen Transportscheiben-Sender an der Außenseite des Rumpfes angebracht hatte. Louis nickte. Er ging zurück zu der Stelle, wo er seine Begleiter zurückgelassen hatte.

Zehn Minuten später befand er sich im Raumschiff. Elf Minuten später fielen Harkabeeparolyn und er über eine Schüssel her wie die Kzinti. Chmeees Hunger war unbeschreiblich. Kawareksenjajok sah ihnen ehrfürchtig beim Essen zu. Harkabeeparolyn merkt gar nicht, was der Kzin verschlang.


Der Morgen brach an Bord eines Raumschiffes an, das zehn Meilen unter dem Sonnenlicht in erstarrter Lava begraben war.

»Unsere medizinischen Einrichtungen haben schwer gelitten«, sagte der Hinterste. »Chmeee und Harkabeeparolyn müssen zusehen, daß ihre Wunden auf natürliche Weise heilen.«

Der Hinterste stand auf dem Kommandodeck und redete zu ihnen auf der Sprechanlage. Das konnte ein gutes Zeichen sein, konnte es andererseits aber auch nicht sein. Teela war tot, und die Ringwelt hatte vielleicht eine Überlebenschance. Der Puppetier mußte plötzlich eine lange, sehr lange Lebenserwartung verteidigen. Da war es nicht ratsam, sich mit fremden Wesen wieder in einem Raum zusammenzufinden.

»Ich habe den Kontakt mit dem Landungsfahrzeug und einer Sonde verloren«, fuhr der Puppetier fort. »Die Meteor-Verteidigungsanlage flammte ungefähr zur selben Zeit auf, als das Landungsboot seine Signale einstellte. Die Signale von der beschädigten Sonde rissen ab, als Teela Brown versuchte, in die Heiße Nadel einzudringen.

Chmeee hatte geschlafen (ganz allein auf dem Wasserbett) und gegessen. Sein verjüngter Pelz würde wieder einige recht interessante Narben tragen. Aber seine Wunden heilten ab. Er sagte: »Teela muß die Sonde zerstört haben, sobald sie deren Existenz bemerkte. Sie ertrug es nicht, daß ihr ein gefährlicher Feind in den Rücken fallen konnte.«

»In den Rücken? Wer denn?«

»Hinterster, sie sagte, du wärst gefährlicher als ein Kzin. Offenbar war das ein taktischer Schachzug, um uns beide zu beleidigen. Zweifellos.«

»Das hat sie wirklich gesagt?« Zwei flache Köpfe blickten sich einen Moment lang in die Augen. »Nun. Unsere Hilfsquellen sind bis auf eine Sonde und das Raumschiff dahingeschmolzen. Wir ließen die zweite Sonde zurück. Die Sonde hat noch funktionstüchtige Spürgeräte, falls wir sie benötigen sollten. In sechs Tagen Ortszeit wird sie hier sein.

In der Zwischenzeit sind wir wieder mit unserem ursprünglichen Problem konfrontiert, das sich noch um einige Indizien, aber auch Komplikationen erweitert hat. Wie können wir der Ringwelt ihre alte Stabilität zurückgeben? Wir können davon ausgehen, daß wir glauben, wir befinden uns an der Stelle, wo wir die Lösung für dieses Problem finden können«, sagte der Hinterste. »Das stimmt doch? Teelas Verhalten, das sich nicht verträgt mit der Handlungsweise eines Wesens von anerkannter Intelligenz.«

Louis Wu widersprach ihm nicht. Louis war sehr still.

Kawaresksenjajok und Harkabeeparolyn saßen im Schneidersitz an einer Wand so dicht nebeneinander, daß sich ihre Arme berührten. Harkabeeparolyns Arm war in Stoffbahnen eingepreßt und lag in einer Schlinge. Von Zeit zu Zeit warf ihr der Junge einen Blick zu. Ihr Verhalten beunruhigte ihn, gab ihm Rätsel auf. Die schmerzstillenden Tabletten gingen zu Ende; aber das war keine hinreichende Erklärung für ihre Gedankenabwesenheit. Louis wußte, daß er mit dem Jungen reden mußte. wenn er nur gewußt hätte, was er ihm sagen sollte.

Die Städtebauer hatten im Laderaum geschlafen. Die Angst, sie könnte zu Boden stürzen, verbot von vorneherein, daß Harkabeeparolyn das Schlaffeld benützte. Sie hatte ihm Rishathra angeboten, ohne Nachdruck, fast widerwillig, als Louis sich beim Frühstück zu ihnen gesellte. »Aber gib acht auf meinen Arm, Luweewu.«

Es gehörte viel Taktgefühl dazu in Louis' Kulturkreis, das Angebot des Geschlechtsaktes auszuschlagen. Er hatte geantwortet, er fürchtete, an ihren Arm zu stoßen, und das war keine Lüge. Auch konnte er irgendwie kein Interesse für die Sache aufbringen, was er jedoch verschwieg. Er fragte sich, ob der Lebensbaum ihn so sehr verändert hatte. Aber er verspürte auch keine Lust nach den gelben Wurzeln oder nach einem Wonnestrom-Stecker.

An diesem Morgen schien er überhaupt keine Gelüste zu haben.

Fünfzehnhundert Milliarden Leute.

Der Hinterste sagte: »Akzeptieren wir Louis' Urteil über Teela Brown. Teela brachte uns hierher. Sie wollte das gleiche wie wir. Sie gab uns so viele Anhaltspunkte, wie sie konnte. Aber was für Anhaltspunkte? Sie kämpfte an beiden Seiten der Front. War es denn so wichtig für sie, noch drei Protektoren zu erschaffen und dann zwei von ihnen wieder zu töten? Louis?«

Louis, der sich mit ganz anderen Gedanken beschäftigte, spürte vier scharfe Nadelspitzen an der Haut über der Halsschlagader. Er sagte: »Wie war das?«

Der Hinterste schickte sich an, seine letzte Ausführung zu wiederholen. Louis schüttelte heftig den Kopf. »Sie tötete zwei von ihnen mit der Meteor-Verteidigungsanlage. Zweimal schoß sie auf Ziele, an denen sich keiner von uns befand, die wir offenbar für das Überleben der Ringwelt von so entscheidender Bedeutung sind. Wir waren zweimal eingeladen, dieses Manöver zu beobachten, ohne uns in den Zustand der Stasis zu begeben. Auch das sollte eine Botschaft für uns sein.«

Chmeee fragte: »Willst du damit andeuten, sie hätte auch andere Waffen für diesen Zweck verwenden können?«

»Andere Waffen, andere Zeiten, andere Umstände, eine größere Zahl von handlungsfähigen Protektoren — die Wahl stand ihr doch offen.«

»Versuchst du nun, mit uns ein Spiel zu treiben, Louis? Wenn du etwas weißt — warum sagst du es uns nicht?«

Louis warf einen schuldbewußten Blick auf die Städtebauer. Harkabeeparolyn strengte sich an, wachzubleiben. Kawaresksenjajok hörte aufmerksam zu. Ein Paar Eingeborene, die sich selbst zum Helden gewählt hatten und auf ihre Chance warteten, bei der Rettung der Ringwelt zu helfen. Tanj. Er sagte: »Eins Komma fünf Billiarden Leute.«

»Um achtundzwanzig Komma fünf Billiarden und uns selbst zu retten.«

»Du hast sie nicht näher kennengelernt, Chmeee. Nicht so viele jedenfalls. Ich hoffte, jemand von euch würde auch daran denken. Ich schlage mich schon tagelang mit diesem Problem herum, versuche, irgendeinen anderen Ausweg.«

»Wen hätte ich näher kennenlernen sollen?«

»Valavirgillin. Ginjerofer. Den König der Grasriesen. Mär Korssil. Laliskareerlyar und Fotaralispliar. Die Hirten, die Riesen, die Amphibien-Menschen, die Hängenden Leute, die Nachtwesen, den Nachtjäger. Uns ist es aufgetragen, fünf Prozent zu töten, um fünfundneunzig zu retten. Klingen euch diese Zahlen nicht vertraut?«

Es war der Puppetier, der ihm antwortete: »Das Ringwelt-Steuersystem ist nur zu fünf Prozent einsatzfähig. Teelas Reparaturmannschaft hängte die noch vorhandenen Steuerdüsen an fünf Prozent der Ringmauer-Peripherie in den alten Halterungen ein. Sind das die Leute, die sterben müssen, Louis? Alle Wesen, die sich auf den fünf Bogengraden befinden, wo die Steuerdüsen eingehängt sind?«

Harkabeeparolyn und Kawaresksenjajok starrten Louis ungläubig an. Louis breitete mit einer hilflosen Geste die Arme aus und sagte: »Es tut mir leid.«

Der Junge schrie: »Luweewu! Warum?«

»Ich versprach es«, erwiderte Louis. »Wenn ich es nicht versprochen hätte, wäre es eine Entscheidung, die ich treffen müßte. Ich versprach Valavirgillin, daß ich die Ringwelt retten würde, ganz gleich, wieviel es kostete. Ich versprach, auch sie zu retten, wenn ich könnte. Aber ich kann es nicht. Wir haben nicht die Zeit, nach ihr zu suchen. Je länger wir warten, um so größer wird die Kraft, die die Ringwelt aus ihrer richtigen Lage verdrängt. Also befindet, sie sich auf dem Bogen, hinter dem die Steuerdüsen brennen. Auf diesem Abschnitt befindet sich auch die schwebende Stadt, das Imperium der Maschinen-Leute, die kleinen rothäutigen Fleischesser und die grasessenden Riesen. Auch sie müssen sterben.«

Harkabeeparolyn schlug ihre Handballen gegeneinander. »Aber das sind doch alle, die wir auf dieser Welt kennen! Wenn auch nur vom Hörensagen!«

»Das gilt auch für mich.«

»Bei diesem Gedanken bleibt einem jedes Wort in der Kehle stecken! Warum müssen sie sterben? Und wie?«

»Tod ist Tod«, erwiderte Louis. Dann: »An Strahlenvergiftung. Fünfzehnhundert Milliarden menschenähnliche Wesen aus zwanzig oder sogar dreißig Gattungen. Aber auch nur dann, wenn wir alles richtig machen. Zuerst müssen wir feststellen, wo wir uns befinden.«

Der Puppetier stellte eine logische Frage: »Wo sollen wir sein?«

»An zwei Stellen. An den Stellen, die die Meteor-Verteidigungsanlage steuern. Wir müssen in der Lage sein, die Plasmastrahlen, die Solarfackeln, auf eine bestimmte Stelle zu lenken. Wir müssen das Subsystem von der Meteor-Verteidungsanlage abkoppeln, mit dem der Plasmastrahl zu einem Laser gebündelt wird.«

»Ich habe diese beiden Stellen bereits gefunden«, erwiderte der Hinterste. »Während ihr unterwegs wart, feuerte das Meteor-Verteidigungssystem. Wahrscheinlich sollte es das Landungsboot zerstören. Magnetstöße brachten fast die Hälfte meiner Spürgeräte durcheinander. Trotzdem war ich in der Lage, den Ursprung diese Impulse zu orten. Die gewaltigen Ströme im Boden der Ringwelt, mit denen die Solarfackeln erzeugt und manipuliert werden, kommen von einem Punkt unter dem Nordpol der Weltkarte des Mars.«

Chmeee sagte: »Vielleicht muß diese Anlage gekühlt werden.«

»Futz damit! Wie steht es mit dem Lasereffekt?«

»Diese Ströme kamen erst Stunden danach: kleinere elektrische Impulse, die nach einem gewissen Muster verliefen. Ich habe euch bereits deren Ursprung genannt. Er befindet sich genau über unseren Köpfen, wenn ich den Ortungen des Raumschiffes vertrauen darf.«

»Du sagtest, wir müssen dieses System abkoppeln«, fauchte Chmeee.

Louis schnaubte:

»Das ist leicht. Ich könnte das mit einem Scheinwerfer-Laser, einer Bombe oder der Slaver-Doppelflinte erledigen. Die Steueranlage wurde bestimmt nicht für Idioten gebaut, und wir haben nicht mehr viel Zeit zu verlieren.«

»Und was ist dann?«

»Dann richten wir die Lötlampe auf bewohntes Ringwelt-Land.«

»Louis! Gib uns Einzelheiten!«

Er sprach jetzt das Todesurteil über ein paar Dutzend Gattungen der Ringwelt.

Kawaresksenjajok wandte sein Gesicht ab. Harkabeeparolyns Gesicht war hart wie Stein. Sie sagte: »Tue, was du tun mußt.«

Er sagte ihnen, was er tun mußte: »Das Steuersystem der Ringwelt ist nur noch zu 5 Prozent einsatzfähig.«

Chmeee wartete.

»Der Betriebsstoff für die Steuerdüsen sind heiße Protonenströme, die von der Sonne stammen. Die sogenannten Sonnenwinde.«

Der Puppetier sagte: »Ah! Wir fackeln die Sonne an, um die Betriebsstoffversorgung um den Faktor zwanzig zu erhöhen. Die Lebensformen unter der Fackel sterben oder erfahren eine drastische Mutation. Der Schub verstärkt sich um den gleichen Faktor. Die Steuerdüsen schieben uns entweder in die Sicherheit zurück oder sie explodieren.«

»Ich habe wirklich nicht mehr die Zeit dazu, die Schubdüsen umzubauen, Hinterster.«

Chmeee sagte: »Das hätte auch gar keinen Wert, falls Louis sich nicht total irren sollte. Teela prüfte ja diese Motoren, als sie an der Ringmauer eingehängt wurden.«

»Ja. Wenn sie nicht mehr stark genug waren, überredete sie sich dazu, sie noch mit einer Sicherung zu versehen, mit einem Sicherheitsfaktor für den Fall, daß die Sonnenfackel zu üppig werden sollte. Sie wußte, daß dieser Fall eintreten könnte. Die typische Doppelsinnigkeit ihres Denkens. Ironie des Protektors.«

»Es wäre nicht nötig für uns, die Sonnenfackel zu steuern, nur eine Maßnahme, um es doppelt abzusichern«, fuhr der Kzin fort. »Koppeln wir zunächst das Laser-Generatorensystem von der Meteor-Verteidigungsanlage ab. Dann können wir nötigenfalls die Heiße Nadel dort plazieren, wohin wir die Sonnenfackel richten wollen. Wir benützen sie als Ziel für das Meteor-Verteidigungssystem, beschleunigen sie so lange, bis die Anlage die Sonnenfackel auslöst. Der Heißen Nadel kann nichts passieren. Sie ist unverletzbar.«

Louis nickte nachdenklich. »Nicht übel. Aber es wäre mir lieber, wenn wir die Verteidigungsanlage noch präziser ausrichten könnten. Wenn wir die Sache noch schneller erledigen könnten, damit weniger Leute sterben müssen. Aber. ja. Wir können alle Bedingungen erfüllen. Wir können es schaffen.«

Der Hinterste begleitete sie, um die Aggregate der Meteor-Verteidigungsanlage zu besichtigen. Niemand hatte ihn dazu überredet. Aber die Meßinstrumente, die sie aus der Heißen Nadel ausbauten, mußten von den Lippen und der Zunge eines Puppetiers bedient werden. Als er vorschlug, Louis in der Bedienung der Instrumente zu unterweisen, wofür er eine Pinzette und einen Zahnstocher benötigte, lachte Louis ihm in beide Gesichter.

Der Hinterste verbrachte anschließend ein paar Stunden in seinen von allen Blicken abgeschirmten Privatgemächern der Heißen Nadel. Dann folgte er ihnen durch den Tunnel. Er hatte seine Mähne in hundert leuchtende Farben verwandelt und anschließend sorgfältig onduliert. Louis dachte: Jeder möchte bei seiner eigenen Beerdigung gut aussehen, und fragte sich, was der Grund war, weshalb der Puppetier sich so herausgeputzt hatte.

Es war nicht notwendig, mit einem Laser oder einer Bombe das System auszuschalten. Allerdings benötigte der Hinterste einen vollen Tag, den Hauptschalter zu finden. Er verwendete dazu die ganze Sammlung seiner Meßinstrumente, die er auf einer Schwebeplatte mitgebracht hatte. Aber es gab einen Hauptschalter, mit dem man die Anlage vom Netz trennen konnte.

Das Netz der Superleiter-Kabel lief in einem Knoten im Scrith zwanzig Meilen unter dem Nordpol der Weltkarte des Mars zusammen. Sie fanden eine zentrale Säule von zwanzig Meilen Höhe, ein Gehäuse aus Scrith, das die Kühlpumpen des Mars umschloß. Der Komplex am Fuß der Säule mußte das Kontrollzentrum sein, entschieden sie. Sie fanden ein Labyrinth von riesigen Luftschleusen, und ehe man nicht ein mechanisches Bilderrätsel gelöst hatte, konnte man keine von ihnen passieren. Der Hinterste erledigte das für sie.

Dann gingen sie durch die letzte Schleuse. Dahinter lag eine hell erleuchtete Kuppel, darunter ein sehr trocken aussehender Boden mit einem Podium in der Mitte und einem Geruch, der Louis veranlaßte, sich auf dem Absatz zu drehen und um sein Leben zu rennen, wobei er einen verwirrten Kawaresksenjajok an seinem dünnen Handgelenk hinter sich herzog. Die Luftschleuse schloß sich bereits wieder hinter ihnen, ehe der Junge anfing, Widerstand zu leisten. Louis schlug ihm auf den Kopf und lief weiter. Sie hatten mindestens schon drei Luftschleusen passiert, ehe er wieder anzuhalten wagte.

Kurz darauf kam Cfimeee ebenfalls zu ihnen zurück. »Der Weg führte durch einen kleinen Garten unter künstlichem Sonnenlicht. Die automatischen Gartengeräte haben ihren Betrieb schon lange eingestellt, aber ein paar Pflanzen wachsen immer noch. Ich erkannte sie wieder.«

»Ich ebenfalls«, erwiderte Louis ernst.

»Ich erkannte sie an dem Geruch. Ein etwas unangenehmes Aroma.«

Der Junge schrie: »Ich roch überhaupt nichts! Warum schubst du mich so herum? Warum schlugst du mich auf den Kopf?«

»Flup«, erwiderte Louis. Erst jetzt hatte er begriffen, daß Kawaresksenjajok noch viel zu jung war. In seinem Alter bedeutete ihm der Geruch des Lebensbaumes überhaupt nichts.

Deshalb durfte der Städtebauer-Junge auch bei den fremden Wesen bleiben. Nur Louis Wu konnte nicht Zeuge sein, was sie im Kontrollzentrum machten. Er kehrte allein zur Heißen Nadel zurück.


Die Sonde befand sich noch ein gutes Stück von ihnen entfernt auf dem anderen Halbkreis der Ringwelt, Lichtminuten von ihnen entfernt. Ein Hologramm-Fenster, das im schwarzen Basalt-Block vor der Zellenwand der Heißen Nadel leuchtete, vermittelte ihnen den Blick durch die Kamera der Sonde: ein dunstverschleierter teleskopischer Blick auf eine Sonne, die nicht ganz so aktiv war wie Sol im irdischen System. Der Hinterste mußte das Hologramm eingestellt haben, ehe er das Raumschiff verließ.

Der Knochen in Harkabeeparolyns Arm wuchs etwa schief zusammen. Teelas alte Erste-Hilfe-Automatik hatte ihn nicht perfekt einrichten können. Aber der Bruch heilte ab. Louis' Sorge galt vor allem ihrem seelischen Zustand.

Nichts umgab sie, was zu ihrer vertrauten Welt gehörte, und bald würde eine Flamme alles vernichten, an das sie sich erinnerte — man konnte es als Kulturschock bezeichnen. Er fand sie auf dem Wasserbett, in der Betrachtung der vergrößerten Sonne versunken. Sie nickte nur, als er sie begrüßte. Stunden später hatte sie sich noch immer nicht bewegt.

Louis versuchte sie zum Reden zu bringen. Es half nichts. Sie versuchte ihre Vergangenheit zu vergessen. Alles, was dazu gehörte.

Sie reagierte ein wenig, als er ihr die physikalische Situation schilderte. Immerhin hatte sie eine Ahnung von Physik. Er hatte keinen Zugang zum Computer des Raumschiffes und zu den Hologramm-Geräten, und deshalb mußte er sich mit primitiven Zeichnungen an der Kabinenwand begnügen. Was er nicht skizzieren konnte, ergänzte er mit vielen Armbewegungen. Sie schien ihn zu verstehen.

In der zweiten Nacht nach seiner Rückkehr wachte er auf und sah sie mit gekreuzten Beinen auf dem Wasserbett sitzen. Sie betrachtete ihn nachdenklich, hielt einen Handscheinwerfer-Laser in ihrem Schoß. Er blinzelte in die Glasmündung der Waffe, schwang seinen Arm in großen Kreisen herum, um sich auf die andere Seite zu wälzen und schlief in seinem Schlaffeld weiter. Am nächsten Morgen wachte er gesund und heil wieder auf. Also warum sollte er sich im Nachhinein noch Gedanken darüber machen, tanj!

An diesem Nachmittag beobachteten Harkabeeparolyn und er, wie eine Flamme aus der Sonne hochschoß und sich dann wie eine Zunge nach dem Ring der Kunstwelt ausstreckte. Sie sprachen kaum ein Wort miteinander.

Epilog

Einen Falan später: zehn Ringwelt-Umdrehungen.

Hoch oben auf dem Bogen der Ringwelt glühten einundzwanzig Kerzenflammen so hell wie die Korona der hyperaktiven Sonne, die sich als heller Saum um die Ränder einer Schattenblende ausbreitete.

Die Heiße Nadel war immer noch in ihrem Basaltbett unter der Weltkarte des Mars eingeschlossen. Die Besatzung des Raumschiffes beobachtete den Vorgang durch das Hologramm-Fenster, das sie den Kameras der Sonde verdankten. Die Sonde ruhte jetzt auf einer Klippe am Rand der Weltkarte des Mars, von einem Schneefeld aus Karbon-Dioxid umgeben, wo sich die Marsbewohner ganz bestimmt nicht an ihr vergreifen würden.

Alles, was sich zwischen diesen Kerzenflammen und der Sonne auf dem Reifen der Ringwelt befand, würde sterben — Pflanzen, Tiere und Menschen. In so großer Anzahl starben sie, daß im menschlichen Universum kein Leben mehr übrig geblieben wäre, wenn dieser Vorgang sich dort ereignet hätte. Die Pflanzen würden verdorren oder sich auf eine seltsam verdrehte Art entwickeln. Insekten und Tiere würden zwar brüten und Eier legen, aber die Brut würde vollkommen aus der Art schlagen. Valavirgillin würde sich wundern, warum ihr Vater gestorben war und weshalb sie sich so oft erbrechen mußte. War das ein Symptom des allgemeinen Untergangs? Und was unternahm der Mann von den Sternen dagegen?«

Nichts von all dem konnte man aus einer Entfernung von siebenundfünfzig Millionen Meilen erkennen. Sie sahen nur die Flammen der Bussard-Rammdüsen, die mit angereichertem Treibstoff versorgt wurden.

»Es ist mir eine Freude, euch mitzuteilen«, sagte der Hinterste, »daß sich der Schwerpunkt der Ringwelt wieder auf die Sonne zu bewegt. Noch sechs oder sieben Umdrehungen, und wir können die Meteor-Verteidigungsanlage wieder auf das Programm umschalten, wie wir sie vorfanden, nämlich auf die automatische Abwehr von Meteoren. Fünf Prozent der Ringmauer-Steuerdüsen reichen in Zukunft aus, um die Ringwelt auf ihrem richtigen Kurs zu halten.«

Chmeee fauchte zufrieden. Louis und die Städtebauer starrten nur auf das Hologramm, das draußen im schwarzen Basalt glühte.

»Wir haben gewonnen«, sagte der Hinterste. »Louis, du hast mich für eine Aufgabe eingespannt, deren Größe sich nur mit dem Bau dieser Welt vergleichen läßt. Dafür hast du mein Leben aufs Spiel gesetzt. Ich kann jetzt, da wir gewonnen haben, deine Arroganz akzeptieren, aber selbst meiner Toleranz sind Grenzen gesetzt. Ich erwarte jetzt, daß du mir gratulierst, oder ich schneide dir die Luftzufuhr ab.«

»Ich gratuliere«, sagte Louis Wu.

Die Frau und der Junge neben ihm begannen zu weinen.

Chmeee schnaubte: »Es ist das Recht des Siegers zu triumphieren. Belasten dich die Toten und die Sterbenden? Denn jene, die deinen Respekt verdienten, hätten sich freiwillig gemeldet.«

»Ich habe ihnen dazu keine Chance gegeben. Zudem verlange ich nicht, daß du deswegen Gewissensbisse empfindest.« »Warum sollte ich auch? Ich will dich nicht beleidigen, aber die Toten und Sterbenden sind alles hominide Wesen. Sie gehören nicht zu deiner Gattung, Louis, und schon gar nicht zu meiner oder der des Hintersten. Ich bin ein Held. Ich habe die Bevölkerung von vergleichsweise zwei Planeten gerettet, und diese Bevölkerung gehört zu meiner Gattung, oder ist ihr zumindest außerordentlich ähnlich.«

»Schon gut. Ich verstehe ja deinen Standpunkt.«

»Und jetzt, mit Hilfe meiner überlegenen Technologie, beabsichtige ich, hier auf dieser geretteten Welt ein Imperium zu erschaffen.«

Louis mußte jetzt doch lächeln. »Sicher, warum nicht? Auf der Weltkarte der Kzin?«

»Ich hatte daran gedacht, aber ich glaube, ich ziehe die Weltkarte der Erde vor. Teela erzählte uns, daß die Kzinti-Forschungsreisenden jetzt über die Weltkarte der Erde herrschen. In geistiger Beziehung stehen mir diese Welteroberer der Kzinti viel näher als die dekadenten Einwohner der Weltkarte von Kzin.«

»Du hast vermutlich recht.«

»Zudem haben jene, die über die Weltkarte der Erde herrschen, einen uralten Tagtraum meiner Rasse in die Tat umgesetzt.«

»Oh?«

»Indem sie die Erde eroberten, du Idiot.«

Es waren schon viele Tage vergangen, seit Louis Wu zuletzt gelacht hatte. Sie hatten eine Welt voll Affen erobert! »Sic transit gloria mundi. Aber wie willst du zur Weltkarte der Erde gelangen?«

»Es wäre keine große Heldentat, die Heiße Nadel von ihrem Basalt-Panzer zu befreien und sie zurückzulenken auf den Mons Olympus.«

»Mein Schiff«, sagte der Hinterste mit sanfter Stimme. Trotzdem schien sie irgendwie lauter als die von Chmeee zu sein: »Meine Steuereinrichtungen. Die Heiße Nadel fliegt dorthin, wo ich will.«

Die Stimme von Chmeee hatte einen gereizten Unterton: »Und wo, wenn ich fragen darf, soll das sein?«

»Nirgendwohin. Ich habe nicht das dringende Bedürfnis, mich zu rechtfertigen«, erwiderte der Hinterste. »Ihr gehört nicht zu meiner Gattung, und wie wollt ihr mir schaden? Wollt ihr vielleicht meinen Hyperdrive-Motor noch einmal verbrennen? Trotzdem seid ihr meine Verbündeten. Ich werde es euch erklären.«

Chmeee stand an der Trennwand und starrte den Puppetier mit ausgefahrenen Krallen und gesträubtem Fell um den Hals an. Erklärlich.

»Ich habe gegen die Tradition verstoßen«, sagte der Hinterste. »Ich habe nicht aufgehört zu funktionieren, als mich der Tod jede Sekunde ereilen konnte. Mein Leben stand fast zwanzig Jahre lang auf dem Spiel, wobei das Risiko fast asymmetrisch zunahm. Das Risiko ist nun vorüber. Ich bin im Exil, aber ich lebe. Ich möchte mich ausruhen. Könnt ihr vielleicht nachempfinden, wie nötig ich eine lange Ruhepause habe? In der Heißen Nadel habe ich fast so viel Komfort wie zu Hause, wenn ich mein Zuhause jemals wiedersehen werde, heißt das. Mein Schiff ist sicher in einem Felsen eingebettet zwischen zwei Schichten von Scrith, deren Widerstandsfähigkeit sich nur mit dem Rumpf der Heißen Nadel vergleichen läßt. Hier habe ich meine Ruhe und die nötige Sicherheit. Wenn ich später das Bedürfnis empfinden sollte, auf Forschungsreisen zu gehen — nun, eine Milliarde Kubikmeilen des Ringwelt-Reparaturzentrums warten direkt vor meiner Haustür. Ich bin genau dort, wo ich sein will, und dort werde ich auch bleiben.«

Louis und Harkabeeparolyn trieben in dieser Nacht Rishathra (Nein: sie liebten sich). Das hatten sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr getan. Louis hatte schon gefürchtet, daß ihm dazu jedes Bedürfnis verlorengegangen war. Danach sagte sie es ihm:

»Ich habe mich mit Kawaresksenjajok gepaart.«

Das hatte er bereits bemerkt. Aber sie meinte, daß sie sich auf die Dauer mit ihm gepaart hatte, nicht wahr? »Meine Gratulation.«

»Das ist nicht der geeignete Ort, ein Kind großzuziehen.« Sie hatte sich die Mühe gegeben, ihn aufzuklären, daß sie schwanger war. Natürlich war sie schwanger.

»Es muß überall auf der Ringwelt Städtebauer geben. Du kannst dich überall niederlassen. Tatsächlich würde ich gerne mit dir kommen«, sagte Louis. »Wir retteten die Welt. Wir werden alle Helden sein, vorausgesetzt, alle glauben uns, was wir ihnen erzählen.«

»Aber Louis, wir können diesen Ort doch nicht verlassen! Wir können nicht einmal atmen, wenn wir die Oberfläche des Mars betreten! Unsere Druckanzüge sind in Fetzen, und wir befinden uns in der Mitte des Großen Ozeans!«

»Kein Grund, zu verzweifeln«, erwiderte Louis. »Du redest so, als wären wir zwischen den Magellanschen Wolken nackt ausgesetzt. Die Heiße Nadel ist nicht unser einziges Transportmittel. Hier gibt es Tausende von diesen Flugscheiben. Und wir haben ein Raumschiff gefunden, das so groß ist, daß der Hinterste nur mit dem Tiefenradar die Einzelheiten zu erkennen vermag. Wir werden uns irgend etwas heraussuchen, was zwischen einer Transportscheibe und diesem Raumschiff liegt.«

»Wird unser zweiköpfiger alliierter Bundesgenosse versuchen, uns zurückzuhalten?«

»Ganz im Gegenteil. Hinterster, hörst du uns zu?« Die Decke sagte: »Ja«, und Harkabeeparolyn zuckte zusammen.

Louis sagte: »Du befindest dich auf dem sichersten Ort, den man sich auf der Ringwelt vorstellen kann. Das hast du selbst gesagt. Die größte, nicht vorhersehbare Bedrohung, der du dich jetzt noch gegenübersiehst, sind die fremden Wesen an Bord deines eigenen Schiffes. Wie gefiele dir das, wenn du sie loswürdest?«

»Es gefiele mir. Ich habe Vorschläge zu machen. Soll ich Chmeee wecken?«

»Nein, wir werden morgen darüber reden.«


Es war knapp vor dem Rand der Klippe, wo das Wasser sich zu kondensieren begann. Von dort strömte es bergab. Es wurde zu einem senkrechten Fluß, einem zwanzig Meilen hohen Wasserfall. Am Fuße dieses Wasserfalles war ein Nebelmeer, das Hunderte von Meilen auf den Ozean hinausreichte.

Die Kamera der Sonde, die auf diese Seite der Weltkarte des Mars gerichtet war, zeigte ihnen nichts außer stürzendem Wasser und weißem Nebel.

»Aber das infrarote Lichtbild sieht ganz anders aus«, sagte der Hinterste. »Schaut mal.«

Der Nebel verbarg ein Schiff. Ein schmales Dreieck von einem Schiff. Ein eigenartiges Design. Keine Mäste. Moment mal, dachte Louis. Zwanzig Meilen tiefer . . . »Das Ding muß fast eine Meile lang sein!«

»Fast«, stimmte der Hinterste zu. »Teela verriet uns sie habe ein Kolonialschiff der Kzinti gestohlen.«

»Okay.« Louis hatte sich bereits entschlossen. So rasch.

»Ich baute einen intakten Deuterium-Filter aus der Sonde aus, die Teela später zerstörte«, fuhr der Hinterste fort. »Ich kann damit dieses Schiff mit Treibstoff versorgen. Teelas Seereise war eine schreckliche Strapaze. Deine muß es nicht sein. Du kannst dir Transportscheiben für Forschungsreisen mitnehmen und als Handelsgut, wenn du an einer Küste landest.«

»Eine gute Idee.«

»Willst du auch einen noch intakten Wonnestecker haben?«

»Stelle mir nie mehr diese Frage, okay?«

»Okay. Aber deine Antwort ist ausweichend.«

»Richtig. Kannst du ein paar Transportscheiben aus der Heißen Nadel ausbauen und sie auf diesem Schiff installieren? Das wäre ein Rettungsanker, wenn wir ernsthaft in Schwierigkeiten kämen.« Er sah, wie sich der Puppetier selbst in die Augen schaute, und fügte hinzu: »Das könnte auch dein Leben retten. Schließlich befindet sich immer noch ein Protektor auf der Ringwelt, dank unserer Bemühung muß er jetzt die Ringwelt nicht mehr verlassen.

»Ich könnte es so einrichten, wie du es verlangst«, erwiderte der Hinterste. »Nun, ist das nicht das richtige Transportmittel für die Reise zum Festland?«

Chmeee sagte: »Ja. Es ist eine lange Reise. hunderttausend Meilen weit. Louis, deine Rasse ist doch der Meinung, daß eine Seereise der Erholung dient.«

»Auf diesem gewaltigen Meer wird sie wohl eher zu einem Abenteuer. Wir müssen direkt nach spinnwärts fahren. Antispinnwärts gibt es noch eine Weltkarte eines uns unbekannten Planeten, und bis dahin ist es nicht einmal doppelt so weit.« Louis blickte die Städtebauer lächelnd an. »Kawaresksenjajok, Harkabeeparolyn — sollen wir nicht ein paar Märchen und Sagen auf den Grund gehen? Vielleicht können wir den alten Mythen ein paar neue hinzufügen.«

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