3 Die Bibliothek

Ich befestigte die Glöckchen über meinem Knöchel. Es war nach halb 11 und dunkel in der Bibliothek. Wir hatten vor mehr als einer Stunde geschlossen. Mein Erlebnis in der Abteilung für Nachschlagewerke, das in Verbindung mit Harpers »Wörterbuch klassischer Literatur und Altertümer« stand und mich so erschreckt hatte, war über drei Monate her. Ich hatte mich dabei zu Füßen eines Mannes befunden. Sicher, ich kniete nur nieder, um ein Buch zu holen. Ich war Bibliothekarin. Ich wollte nur helfen. Außerdem hatte ich vor dem Mann laut offenbart, dass ich eine Sklavin war. Aber das war sicher eine absurde Interpretation dessen, was geschehen war. Ich las nur vor, was auf einem Blatt Papier stand, das ich in dem Buch gefunden hatte. Das war alles.

Ich hatte das Stück Papier mit nach Hause genommen. Am nächsten Tag, nach einer aufwühlenden, unruhigen Nacht und Stunden voller Angst, Elend und Zaudern hatte ich es plötzlich wie im Fieberwahn verbrannt. Ich hoffte damit davonzukommen, doch die Sache war passiert, die Worte waren gesagt und ihre Bedeutung für solch einen Mann war nicht die, die ich ihnen jetzt inbrünstig zuschreiben wollte.

Das Verbrennen des Papiers war nicht mehr rückgängig zu machen. Der Vorfall hatte mich, wie Sie sich vorstellen können, verstört. Tagelang verfolgte er mich und beherrschte meine Gedanken. Dann, später, als ich allmählich verstand, wie töricht meine Ängste waren, konnte ich glücklicherweise zur Routine meines Alltags zurückkehren, zu meinen Pflichten in der Bibliothek, zum Lesen, Einkaufen und dem allen. Hin und wieder würden sich der Schreck dieses Vorfalls natürlich unerwartet wieder einstellen, aber im Ganzen, so schien es, könnte ich alles vergessen. Mein Verstand lehnte dies alles ab, was die gesündeste Art war, damit umzugehen. Die ganze Sache war einfach albern gewesen. Irgendwann fragte ich mich sogar, ob sie überhaupt geschehen war. Manchmal erinnerte ich mich gern an die Augen des Mannes. Seine Augen hatten mich, abgesehen von seiner Größe, seiner Kraft und seinem Furcht einflößenden Wesen, vielleicht am meisten beeindruckt. Sie waren nicht wie die Augen der Männer, die ich bisher kannte. In ihnen schimmerte eine unglaubliche Intelligenz, eine Wildheit und kompromisslose Heftigkeit. In diesen Augen, diesem Blick konnte ich keinerlei Vorbehalte, Hemmungen, Zweifel oder Schuldgefühle wahrnehmen. Er schien ein Mann zu sein, der tat, was ihm gefiel und sich nahm, was er wollte – der erste dieser Art, den ich bisher getroffen hatte. Wie einen Löwen schien ihn eine Aura der Macht zu umgeben. Ich hatte keinen Zweifel, dass er mir absolut überlegen war.

Indes gab es meiner Meinung nach eine klare Konsequenz aus diesem Vorfall. Er löste etwas aus, das mich dazu brachte, etwas zu tun, was von mir oder auch von anderen Frauen viel Mut erforderte: Ich begann mit meinen Übungen. Ich hatte schon seit Monaten, seit jener unglaublichen Nacht, als ich mich im Spiegel betrachtet hatte, die Idee, Tanzstunden zu nehmen. Ich starb fast am Telefon, als ich mich danach erkundigte und hängte mehr als einmal mitten im Gespräch mit purpurrotem Kopf plötzlich auf, ohne meinen Namen zu nennen. Ich hatte natürlich kein Interesse am Balletttanz. Ich wollte eine grundlegendere, weiblichere Form des Tanzes lernen. Die Form des Tanzes, an der ich interessiert war, und die meine Scheu und mein Zaudern verursachte, war ethnischer Tanz, oder, um es rundheraus zu sagen, Bauchtanz. Glücklicherweise waren nur Frauen am Telefon. Ich glaube nicht, dass ich es gewagt hätte, mit einem Mann über diese Dinge zu sprechen. Wie die meisten modernen Frauen war ich bemüht, meine sexuellen Bedürfnisse zu verbergen. Sie zu offenbaren, wäre entsetzlich peinlich gewesen. Welche Frau würde sich so vor einem Mann zeigen, sich in so aufreizender Weise vor ihm bewegen, dass er sie einfach begehren müsste und auch sie ihr Begehren zeigte und das Bemühen, ihm zu gefallen und ihn in jeder Weise zufrieden zu stellen? Sicherlich keine tugendhafte Frau, sondern nur eine verachtenswerte, sinnliche Hure, die hilflose Gefangene ihrer würdelosen und unwürdigen Leidenschaften.

Am Ende rief ich die erste Frau wieder an, bei der ich einige Tage vorher das Gespräch abgebrochen hatte.

»Haben Sie schon einmal Bauchtanz gemacht?« fragte sie.

»Nicht wirklich.« antwortete ich.

»Sie sind also Anfängerin?«

»Ja.«

Ich hatte nicht viel darüber nachgedacht, aber es schien bei diesem Tanz unterschiedliche Schwierigkeitsgrade zu geben. Ich fand das faszinierend.

»Ich verstehe das als gute Übung.« bemerkte ich.

»Ja«, antwortete sie, »neue Lehrgänge beginnen am Montag, nachmittags und abends. Haben Sie Interesse?«

»Ja.«

Ich hatte »Ja« gesagt. Diese Bestätigung tat gut. Ich hatte öffentlich mein Interesse an dieser Sache bekundet. Irgendwie wurden die Dinge dadurch viel einfacher, viel leichter. Ich hatte meinen Ruf bei dieser Bewerbung verloren, er war jetzt geschädigt, und jetzt musste ich mir darum keine Sorgen mehr machen. Aber die Frau schien weder überrascht noch aufgebracht oder schockiert zu sein.

»Wie ist Ihr Name?« fragte sie.

Ich gab ihr meinen Namen. Ich war entschlossen. Ich hatte Stunden für fast drei Monate im voraus gebucht und in mehr als einem Lehrgang.

Ich verbarg meine neue Ausbildung oder, wenn Sie so wollen, mein neues Hobby vor meinen Kollegen in der Bibliothek und meinen Bekannten. Es mussten nicht alle wissen, dass ich ethnischen Tanz lernte. Sie sollten mich nur als Doreen kennen, ihre Kollegin oder Freundin, die ruhige Bibliothekarin. Sie mussten nicht wissen, dass manchmal, wenn wir andere Kostüme als unsere Trikots und Tücher überzogen, diese ruhige Doreen barfuss, mit Fußkettchen und Armbändern, mit wirbelnden Halsketten, mit nackten Hüften und Schenkeln, mit fransenbesetztem BH und schimmerndem Rock, mit lockenden Schleiern zu einer barbarischen Musik tanzte.

Ich glaube, ich war die Beste in meiner Klasse. Meine Lehrerin, mit der ich telefoniert hatte, schien mir eine unglaublich schöne Frau zu sein. Meine Fortschritte schienen sie zu freuen. Oft gab sie mir Extratipps. Ich war ihre Lieblingsschülerin. Und oft versuchte sie, mich für Auftritte auf Parties und in Clubs zu begeistern. So etwas schien für sie selbstverständlich zu sein. Ich lehnte natürlich jedes Mal ab.

»Aber Sie würden schön und fantastisch aussehen.« versuchte sie mich zu überreden.

»Nein«, lachte ich, »nein, nein! Ich wäre schrecklich!«

Eines der anderen Mädchen wurde dann gefragt und sie nahmen gewöhnlich an. Manche von ihnen fand ich wundervoll. Frauen sind so schön. Aber ich würde niemals den Mut aufbringen, öffentlich zu tanzen. Das schien auch niemand von mir zu erwarten. Sicher hatte mein Tanz seine lieblichen Seiten, was auch immer seine bewussten oder unbewussten Beweggründe waren. Ich kam mir schlanker und gepflegter vor als vorher und vitaler. Außerdem bewegte der Tanz etwas in mir, wenn ich auch nicht wusste, was es war. Vielleicht half er mir, mich meiner Weiblichkeit anzunähern. Sicher machte er mich manchmal traurig, als ob er irgendwie unvollständig wäre, nur ein Teil eines Ganzen, ein reizvoller Teil, der mir nicht völlig zugänglich war.

»Natürlich würde es helfen«, meinte meine Lehrerin, »wenn Sie auftreten würden. Tanz muss gesehen werden. Sie wissen nicht wirklich, wie Sie tanzen, bevor Sie nicht aufgetreten sind.«

»Ich fürchte mich vor einem Auftritt.«, sagte ich.

»Warum?«

Ich senkte meinen Kopf, wollte nicht antworten.

»Weil Männer dabei sind?« fragte sie.

Ich sah auf.

»Ja.«

»Glauben Sie etwa, diese Tänze richten sich an Frauen?« fragte sie. »Das wäre ihr Zweck?«

»Bitte …«, protestierte ich.

»Und wäre nur ein Mann hier, ein richtiger Mann«, fuhr sie fort, »der Sie sehen könnte, halbnackt, mit Ihrem Schmuck und Ihren Schleiern, er würde Sie sofort in Ketten legen und besitzen wollen.«

Ich sah sie erschrocken an.

»Ich sehe, solche Gedanken sind Ihnen nicht ganz neu.« lächelte sie.

Woher wusste sie, dass ich solche Fantasien hatte? Hatte sie sie auch, weil sie eine Frau war?

Ich will noch ein Ereignis während meines Tanzunterrichts berichten. Es geschah gestern Abend. Wir waren zusammen im Tanzsaal. Wir tanzten, zwanzig von uns, in Trikots und Umhängetüchern und Schleiern, zur Musik aus dem Tonbandgerät. Dann rief unsere Lehrerin uns plötzlich verächtlich zu: »Was soll das? Ihr tanzt heute wie freie Frauen. Ihr müsst das überwinden. Ihr müsst tanzen wie Sklavinnen.«

»Wie Sklavinnen?« fragte ich zurück.

»Ja«, forderte sie, »los, macht schon, alle.« Und nach einem Moment: »Das ist besser. das ist viel besser.«

Sie lief zwischen uns. Dann stand sie vor mir. Ich war in der vordersten Reihe.

»Tanz weiter, Doreen.« verlangte sie.

Einen Moment lang fürchtete ich mich vor ihr. Ich tanzte weiter.

»Stellen Sie sich jetzt vor«, sagte sie, »Sie tanzten vor einem Mann, Doreen. Ein Mann stünde jetzt hier. Ein starker Mann. Sie stünden vor ihm. Tanzen Sie! Ah! Gut! Gut!«

Ich nehme an, dass ich gut getanzt habe.

»Gut«, sagte sie, »sehr gut. Das ist sehr gut. Jetzt tanzen Sie wie eine Sklavin.«

»Ich bin keine Sklavin.« protestierte ich.

»Wir sind alle Sklavinnen.« entgegnete sie und ging weg.

Ich lächelte, hielt den scharlachroten BH vor meinen Bauch fest und drehte ihn, steckte meine Arme durch die Träger, zog ihn hoch und zupfte ihn zurecht. Ich bin wie die meisten Frauen etwas üppig, meine Brüste sind aber nur mittelgroß. Ich schloss den Gürtel und ordnete meinen Rock. Ich habe eine schmale Taille und, glaube ich wenigstens, süße breite Hüften. Meine Beine sind kurz, aber wohlgeformt, genau richtig für eine Tänzerin oder jedenfalls für die Art Tänzerin, die ich war, eine ethnische Tänzerin. Ich legte Armbänder an, Armreifen und, entsprechend der Glöckchen an meinem linken, ein goldenes Fußkettchen an meinen rechten Knöchel. Fünf Ketten zierten meinen Hals.

›Mit solch einem Prunk‹, dachte ich, ›schmücken starke Männer ihre Frauen.‹

Ich musterte mich im Spiegel der Damentoilette der Bibliothek. Ich dachte, wie amüsant und absurd, dass unsere Lehrerin gesagt hatte, wir wären Sklavinnen.

Ich war bereit. Ich löschte das Licht in der Toilette und betrat den saalähnlichen Gang zwischen der inneren Mauer neben den Waschräumen, die Teil der Kinderabteilung war, und den Öffnungen zwischen den Regalen im westlichen Teil der Bibliothek. Links war eine der Türen zur Kinderabteilung. Rechts lag der Auskunftsschalter. Manchmal arbeitete ich dort. Ich stand einen Moment in dem hallenähnlichen Gang. Es war dunkel in der Bibliothek, ziemlich dunkel. Dann wandte ich mich nach rechts, ging den hallenähnlichen Gang entlang bis zur offenen zentralen Abteilung der Bibliothek, wo sich der Auskunftsschalter befand und dort nach links zur Abteilung für Nachschlagewerke. Rechts von mir war der Bücherkatalog und dahinter kamen die Kopierer. Auf einem der Tische der Abteilung für Nachschlagewerke hatte ich mein kleines Tonbandgerät liegen lassen. Daneben lagen einige Tonbänder, die ich gekauft hatte. Es waren Tonbänder mit Musik für ethnische Tänze. Ich benutzte sie oft für meine privaten Übungen.

Ich hatte die Gewohnheit angenommen, von Zeit zu Zeit zum Tanzen in die Bibliothek zu kommen. Ein Vorwand mir gegenüber war dabei die Enge meines Appartements. Ich benutzte den Mitarbeitereingang in der unteren Etage nahe des Parkplatzes. Ich genoss es, hier zu tanzen.

Ich glaube nicht wirklich, dass ich es nur des Platzes wegen tat. Vielleicht amüsierte es mich, hier, wo ich arbeitete, zu tanzen. Ich weiß es nicht. Vielleicht genoss ich auch den Gegensatz, den nur ich kannte, zwischen der stillen Doreen, der Bibliothekarin und der geheimen Doreen, der Tänzerin. Auch schien es irgendwie bedeutungsvoll, irgendwie symbolisch, fast aufsässig, hier zu tanzen, an diesem Platz, an dem ich arbeitete, mit seinen Geheimnissen, seiner Leidenschaftslosigkeit, seinem geistigen Anspruch, hier als Frau zu tanzen. Nein, ich glaube nicht, dass es nur eine Platzfrage war. Wie hätten sich meine Kollegen erschreckt, wenn sie mich, Doreen, so gesehen hätte, barfuss, habnackt, mit Glöckchen und Armreifen, tanzend und zwar einen Tanz, dass man fast denken könnte, sie wäre eine Sklavin! Uns so präsentierte ich hier, an diesem privaten, perfekten Platz, meine geheimen Auftritte, die ich natürlich nur für mich absolvierte, die niemand sehen durfte, die hier niemals jemand vermutet hätte, hier, wo ich völlig allein war, wo ich sicher war.

Ich bewegte mich, wärmte mich auf und bereitete meine Muskeln vor. Eine Tänzerin sollte natürlich nicht einfach beginnen zu tanzen. Das wäre gefährlich. Sie sollte sich aufwärmen. Ich nehme an, dass das wie das Aufwärmen eines Sportlers ist. Beim Aufwärmen konnte ich die Bewegungen meines Schmucks hören, das leise Rascheln des Rocks. Das Klingen von Glöckchen begleiteten meine Bewegungen. Ich hatte Glöckchen angelegt, drei Stück, an einem Lederriemen oberhalb meines linken Knöchels. Ich fühlte irgendwie, dass Männer den Anblick einer Frau, die Schmuck, und besonders diese eindeutigen Glöckchen angelegt hat, genießen würden.

Ich ging zum Tisch, wo das kleine Tonbandgerät stand. Ich war aufgeregt, wie immer, bevor ich zu tanzen begann. Ich wählte ein Band, stellte es zurück und nahm ein anderes. Ich würde zur Musik auf dem Band tanzen.

Männer waren für mich schon immer, wenigstens seit meiner Pubertät, beunruhigender, interessanter und attraktiver, als sie für eine heutige Frau sein sollten. Sie waren für mich schon immer wichtiger als sie sein sollten. Schließlich waren sie nur Männer, war mir beigebracht worden. Aber sie waren Männer, selbst wenn das alles war, was sie darstellten. Ich konnte mich nie dazu bringen, an sie als Personen zu denken. Für mich waren sie immer mehr als das, männlich und bedeutungsvoll, sogar die Männer, die ich kannte. Trotz ihrer Feigheit und Schwäche waren sie für mich Männer oder wenigstens die Verheißung von Männern. Darüber hinaus hatte sich nach dieser lange zurückliegenden Nacht in meinem Schlafzimmer, als ich mir meine wahre Natur eingestand, obwohl ich sie seitdem oft genug geleugnet hatte, mein Interesse an ihnen beträchtlich vertieft. Nach meinem Bekenntnis zu meinem wahren Ich, als ich in der Dunkelheit meines Zimmers vor meiner Frisierkommode kniete, waren Männer für mich plötzlich tausendmal realer und beängstigender geworden. Und dieses Interesse an Männern, meine Abhängigkeit von ihnen wurde, denke ich, durch meine Erfahrungen mit dem Tanz noch vertieft.

Ich glaube dabei nicht, dass das nur daran lag, dass ich etwas Gewicht verloren und deshalb eine bessere Figur bekommen und mich mehr als Frau in Kontrast zum Mann sah, oder an den mehr prosaischen Folgen des Tanzens auf meinen Kreislauf, meine körperliche Erscheinung und Gesundheit, denn es ist schwierig für eine Frau, wirklich gesund zu sein und kein dabei Interesse an Männern zu haben, nein, wirklich wichtig war die Natur des Tanzes selbst. Diese Tanz lässt eine Frau die tief greifende, großartige Natur ihrer Sexualität erkennen, dass sie natürlich die Frau ist, schön und begehrenswert und dass sie, die sie genussvoll beobachten, die Augen nicht von ihr wenden, stark und mächtig sind, dass sie Männer sind und das nach der natürlichen Rangfolge sie, das Weibchen ihrer Art, ihnen gehört. Deshalb macht es ihr dieser Tanz unmöglich, vor dem anderen Geschlecht nicht auf der Hut zu sein.

›Gehören wir wirklich ihnen?‹ fragte ich mich.

›Nein‹, lachte ich, ›nein, natürlich nicht! Wie töricht das ist!‹

Ich legte das Band in das Gerät ein. Mein Finger zögerte über dem Schalter.

›Aber vielleicht ist es doch wahr.‹ dachte ich.

Ich zuckte mit den Achseln. Es schien, als ob die Männer uns gar nicht wollten, jedenfalls die Männer, die ich kannte. Wenn sie uns haben wollten, warum nahmen sie uns nicht einfach und machten uns zu ihrem Eigentum? Wenn es unterschiedliche Arten von Männern gibt, fragte ich mich, ob es welche gäbe, die uns wirklich besitzen wollten. Sicher nicht. Männer machten mit Frauen nie das, was sie wirklich wollten. Bestimmt nicht! Nirgends! Nirgends! Aber ich wusste natürlich, dass Männer an tausenden Orten seit tausenden Jahren uns, oder jedenfalls einige von uns Frauen, genauso behandelt hatten, als glücklose, bedauernswerte Geschöpfe, genauso, wie sie das befriedigt hatte, sie hatten uns nicht anders als Hunde oder irgendeine Sache behandelt.

›Wie schrecklich.‹ dachte ich.

Aber solche Männer existierten nicht mehr und meine immer wiederkehrende Sehnsucht nach ihnen, diese verzweifelte Sehnsucht, die ich mir manchmal eingestand, war bestimmt nicht mehr als ein Mitleid erregender, rudimentärer Rückstand einer vergangenen Epoche. Vielleicht war es ein merkwürdiger, unzeitgemäßer ererbter Charakterzug, ein genetisches Relikt, in meinem Fall vielleicht sogar tragisch, weil nicht länger in die Umgebung des Geschöpfes passend.

Ich fragte mich, ob ich in der falschen Zeit geboren war. Sicher wäre eine Frau wie ich in Theben, Rom oder Damaskus besser zurechtgekommen. Aber ich lebte so, wie ich war, in der heutigen Zeit. Zeigte das nicht, dass es irgendwo, irgendwie etwas geben musste, das die Antwort war auf meine Sehnsüchte, meinen Hunger und meine Schreie? Was war es, das mich in die Dunkelheit hinausschreien ließ, wenn dort niemand war, der es hörte?

›Sei doch froh, dass dort niemand ist, du Närrin.‹ beschimpfte ich mich.

Natürlich gab es niemanden. Ich beruhigte mich etwas. Wie schrecklich wäre es, wenn es solch einen Mann gäbe.

Ich beschloss, jetzt zu tanzen. Ich erinnerte mich an den Mann im Gang, der während des Vorfalls vor etwa drei Monaten im Zusammenhang mit Harpers »Wörterbuch klassischer Literatur und Altertümer« von einer längst vergangenen Welt gesprochen hatte, einer Welt, in der Frauen wie ich als Sklavinnen gekauft und verkauft worden waren. Ich unterdrückte diesen Gedanken sofort. Aber ich wusste, dass es noch einen Grund gab, warum ich in die Bibliothek ging um zu tanzen, einen Grund, den ich mir selten eingestand. Hier, an dieser Stelle zu meiner Linken, hatte ich vor einem Mann gekniet und laut gesagt: »Ich bin eine Sklavin.«

Ich wollte jetzt tanzen. In meiner Fantasie, einer aufregenden Fantasie, wollte ich Sklavin auf einer solchen Welt sein und vor meinen Herren tanzen. Oh, ich wollte gut tanzen!

Die Herren, von denen ich träumte, waren natürlich keine Erdenmänner oder jedenfalls anders als die meisten Männer von der Erde. Nein, sie wären anders. Sie wären völlig anders. Sie wären so, dass ein Mädchen, das vor ihnen tanzte, dies voller Angst um ihr Leben tun würde, realistisch und verzweifelt, hoffend, ansprechend oder akzeptabel gefunden zu werden. Sie wären richtige Männer. Sie wären ihre Herren.

Ich drückte die Taste des Tonbandgerätes und tanzte dort, in der Dunkelheit, in der Bibliothek, meine bloßen Füße fühlten den dünnen, fleckigen Teppich, zum weichen Klang der Glöckchen, die an meinen Knöchel gebunden waren. Ich tanzte eine Zeitlang, verloren in meinen Wonnen, ich tanzte oder versuchte es, so wie ich es mir vorgestellt hatte, als ängstliche Sklavin, vor denen, die über Leben und Tod bestimmten, vor ihren Herren.

Plötzlich schrie ich erschrocken auf. Ich blieb stehen, mit einem Klingen der Glöckchen und schwingendem Rock. Ich schreckte zurück, meine Hand fuhr an meinen Mund.

»Wer sind Sie?« rief ich der Gestalt zu, die im Schatten einige Fuß entfernt stand, aber ich wusste die Antwort schon.

Ich wich zurück, meine Hand an meiner Brust. Ich wurde mir plötzlich meiner bloßen Füße, der Glöckchen an einem, der Fußkettchen am anderen Knöchel, der Nacktheit meiner Beine unter dem schwingenden, schleierähnlichen Rock, meiner entblößten Taille, Arme und Schulter, des Schmucks an mir bewusst. Meine Brüste hoben sich, ich rang nach Luft in dem scharlachroten Gewand, das sie bedeckte. Ich streckte abwehrend meine Hand aus, als wollte ich die Gestalt zurückstoßen.

»Wer sind Sie?« rief ich.

»Denkst du, du kannst mit mir spielen?« fragte er.

»Was wollen Sie hier?« schrie ich.

»Kannst du das nicht erraten?« fragte er.

»Sie haben hier nichts zu suchen«, sagte ich, »verschwinden Sie!«

»Ich habe hier geschäftlich zu tun.« sagte er.

Ich schaute wild um mich, bereit, mich umzudrehen und zu fliehen, als ich wieder aufschrie. Rechts von mir war plötzlich noch ein Mann. Ich wirbelte herum. Links hinter mir, nur wenige Fuß entfernt, war noch jemand!

Der Mann rechts von mir schaltete das Tonbandgerät aus. Ich stand da, mit schwingendem Rock und Glöckchen. Dann floh ich plötzlich zwischen dem Mann vor mir und dem zu meiner Rechten hindurch, zwischen die Tische und rannte in Richtung der Regale. Ich glaube, der Kerl rechts von mir verfolgte mich. Ich flüchtete mit klingenden Glöckchen die Treppen hinunter zur unteren Etage. Dort rüttelte ich heftig an der schweren Tür. Ich war in Panik. Ich wollte in die Nacht hinauslaufen, so wie ich war.

Die Tür bewegte sich nicht. Die Klinke schien seltsam warm zu sein, genauso wie das Schloss. Ich keuchte auf. Der Bereich schien gewellt. Offenbar war er großer Hitze ausgesetzt gewesen, war dadurch geschmolzen und dann wieder erstarrt. Die Tür wollte nicht aufgehen. Sie schien irgendwie zugeschweißt.

Ich hörte die Männer hinter mir, oder einen von ihnen, und flüchtete zur anderen Treppe, dort wieder nach oben, zur Hauptetage der Bibliothek. Ich eilte zum Haupteingang. Der Kerl, den ich zuerst gesehen hatte, stand jetzt dort und versperrte die Tür. Er sah mich an. Er steckte ein kleines Gerät in seine Tasche.

›Die Tür‹, dachte ich verzweifelt, ›ist jetzt auch dicht. Sie verriegeln Tür für Tür!‹

Zweifellos könnten sie genauso leicht mit Hitze Türen öffnen. Diese Technik erschreckte mich. Ich drehte mich wieder um und flüchtete dorthin zurück, wo ich ursprünglich überrascht worden war. Links war jetzt der Rückgabeschalter, der Auskunftsschalter vorn und rechts von mir. Ich drehte mich unvermittelt nach links und floh den hallenähnlichen Gang zwischen den Regalen und den Toiletten entlang. Am Ende des Gangs erspähte ich noch einen Mann. Ich glaube, das war der, der mir zuerst gefolgt war. Ich lief nach links, um mich auf der Damentoilette einzuschließen, aber die Tür hing schief in den Scharnieren. Ich hatte nichts brechen gehört. Sie mussten es wieder mit ihrem Hitzegerät getan haben. Die Tür konnte mir nichts nützen! Dort konnte ich mich nicht verstecken! Ich schluchzte in meiner Not auf.

Aber dann fiel mir ein, dass ich ertappt worden wäre, wenn ich mich dort versteckt hätte. Sie hätten diese Tür sicher genauso leicht geöffnet, wie sie die anderen Türen geöffnet und versperrt hatten. Warum hatten sie dann diese Tür mit Gewalt geöffnet? Niedergeschmettert erkannte ich, sie hatten sich amüsiert und mir zeigen wollen, dass es dort kein Versteck für mich gab!

Gleichzeitig war das auch symbolisch. In meiner Kultur betraten Männer die Damentoilette einfach nicht. Diese Grenze durften sie nicht überschreiten. Es war ein Platz, wo Frauen hingehen und sich sicher fühlen konnten. Aber jetzt wurde mir gezeigt, dass es diese symbolische Sicherheit, diese armselige Erfindung der Konventionen, für mich nicht mehr gab. Es gab kein Versteck! Es gab keinen sicheren Platz! Diese Männer, fürchtete ich, kamen von dort, wo Frauen, oder Frauen einer bestimmten Art, nicht sicher waren. Sie kamen von dort, wo Frauen von ihnen überallhin verfolgt werden konnten.

Ich floh den hallenähnlichen Gang zurück zum Auskunftsschalter und blieb plötzlich, mit lautem Klingeln der Glöckchen kurz vor dem Ende des Gangs stehen. Gehetzt sah ich mich um. Ich hatte Angst, unversehens einem der Männer in die Arme zu laufen. Ich warf einen Blick über meine Schulter. Der Verfolger kam näher. Ich wandte mich nach rechts, wieder zum Haupteingang zurück. Vielleicht versperrte der erste Mann, den ich als ersten gesehen hatte, den ich kannte, ihn nicht mehr! Aber er war immer noch da! Ich schrie in meiner Not auf, rannte über die offene Fläche, am Auskunftsschalter und dem Büro vorbei, hinter die Zeitschriftenregale zum Lesesaal in Richtung der Haupthalle. Diese Tür war auch versperrt. Ich versuchte, einen der kleinen Sessel anzuheben, um ihn durch eines der hohen, schmalen Fenster zu werfen, aber er war zu schwer für mich und der Mann war außerdem jetzt dicht hinter mir. Selbst wenn ich den Sessel hätte hochheben können, hätte er mich eingeholt, bevor ich das rettende Fenster erreicht hätte.

Wieder rannte ich zurück zur Hauptabteilung der Bibliothek. Die Männer, so schien es, hatten keine Eile, mich einzufangen. Sie ließen mich rennen, vielleicht, um mich fühlen zu lassen, wie vergeblich das war. Ich überquerte die offene Fläche des Zentralabschnitts der Bibliothek und rannte die eiserne Treppe mit dem Holzgeländer hoch zur oberen Etage mit den Biographien und der Belletristik. Meine bloßen Füße machten ein seltsames Geräusch, als sie die Stufen berührten. Ich fragte mich, ob sie jemals mit bloßen Füßen erklommen worden waren. Ich glaubte es nicht. Die geriffelte Oberfläche der Stufen fühlte sich merkwürdig an.

Meine Sohlen erreichten die oberste Stufe. Hier begann wieder der Teppichboden. Ich floh den Gang hinunter. Ich hörte, wie ein Mann langsam hinter mir heraufkam und versteckte mich zwischen zwei Regalen, die quer zum Gang standen. Meine Knöchel bewegten sich leicht. Sofort war das leise Klingeln der Glöckchen zu hören. Das würde mich verraten! Ich musste weiter! Ich sprang hoch, schrie auf und flüchtete wieder, irrational, erschreckt, verzweifelt, weinend, mit jedem Schritt die Glöckchen zum Klingen bringend, dieses Mal weg vom Ende des Ganges, wo ich den Mann vermutete. Dann versteckte ich mich wieder zwischen zwei Regalen und versuchte fieberhaft in der Dunkelheit, die Glöckchen loszubinden. Es gelang mir nicht.

›Ich habe die Glöckchen zu gut befestigt.‹ dachte ich bitter.

Ich hatte die Glöckchen wie eine Sklavin umgetan, die weiß, dass sie gut befestigt werden mussten, erstens aus psychologischen Gründen, damit sie sich der erotischen und erniedrigenden Aspekte des ständigen Klingelns bewusst wurde und zweitens und drittens natürlich aus mechanischen Gründen, damit die Glöckchen jeden ihrer Schritte begleiteten, besonders die langsamen, subtilen Tanzschritte und sich bei schnellen Drehungen nicht lösen konnten.

Ich weinte leise. Ich konnte mich nicht von den Glöckchen befreien. Wenn ich es weiter versuchte, würden sie sogar dabei ihr leises Klingeln ertönen lassen. Ich versuchte, absolut still zu sein, hielt die Glöckchen mit beiden Händen und versuchte, meinen Knöchel völlig ruhig zu halten. Aber ich atmete schwer. Ich konnte mir nicht helfen. Tränen liefen meine Wangen hinunter.

Mein Atemgeräusch würde mich sicher verraten. Außerdem würden die Glöckchen bei der kleinsten Bewegung, sogar beim Atmen, klingeln. Ich sah hoch. Dort, wo meine Seitengang auf den Hauptgang stieß, zeichnete sich in der Dunkelheit ein Mann ab, der auf mich heruntersah. Es war einer der drei, die ich bisher gesehen hatte, er war mir die ganze Zeit lautlos und hartnäckig gefolgt, erst in die untere Etage, dann über die andere Treppe wieder hinauf, den hallenähnlichen Gang entlang über die offene Fläche der Vorhalle und nun die Treppe hinauf.

Ich sprang auf und floh vor ihm, huschte durch die enge Stelle zwischen dem Sicherheitsgeländer und den Regalen zur zweiten Treppe an der Ostseite der ersten Etage, die zum Hauptflur führte. Niemand war dort. Ich eilte die Treppen hinunter. Ich stürzte zwischen den Tischen in Richtung der Regale im Erdgeschoss, wo sich der Großteil unserer Nachlagewerke befand. Ich hörte ihn die Eisentreppe hinter mir herunterkommen und eilte zu einem der Gänge zwischen den Regalen der Nachschlagewerke. Dort kauerte ich mich am Ende des Gangs nieder und spähte zurück. Er hatte den Gang betreten. Mit einem verzweifelten Schrei sprang ich auf und floh zum Ende des Regalbereichs, drehte mich wild mit herumwirbelnden Rock und lautem Glöckchenklingeln, lief zu angrenzenden Gang und war gefangen!

Er hatte anscheinend an dieser Stelle gewartet. Seine Hände hielten meine Oberarme fest. Ich war hilflos wie ein Kind, ich war buchstäblich, ohne stoppen zu können, mit einem Verzweiflungsschrei gegen ihn gerannt. Es schien, als hätte ich mich in seine Arme geworfen. Er stieß mich ein wenig zurück und hielt mich dann an den Oberarmen fest, hilflos, seine Hände umklammerten wie Eisen meine Arme.

Es war der Mann, dem ich vor drei Monaten in der Bibliothek begegnet war, genau in diesem Gang, bei dem rätselhaften, beängstigenden Vorfall mit Harpers »Wörterbuch klassischer Literatur und Altertümer«. Minuten vorher, vor der Flucht, hatte ich ihn erkannt. Ich hatte ihn schon erkannt, bevor er etwas gesagt hatte. Ich hatte ihn sofort mit dem Herzen einer Frau erkannt, sogar im Dunklen.

Ich fürchtete ihn schrecklich. Jetzt hatte er mich im Griff. Er hob mich etwas hoch, so leicht, als wäre ich ein Kind. Ich wand mich hilflos. Nur meine Zehenspitzen berührten gerade noch den Boden. Er blickte mich an, sah mir in die Augen, seine Hände waren so fest auf meinen Armen. Ich begann zu zittern, konnte ihn nicht ansehen, war erschrocken und schwach. Dann ließ er mich herunter, so dass ich wieder hätte stehen können, aber ich konnte es nicht. Nur der Griff seiner Hände hielt mich auf meinen Füßen. Der andere Mann stand jetzt hinter mir. Dann ließ er meine Arme los und ich sank, schwach und ohne etwas dagegen tun zu können, vor ihm auf die Knie.

»Sieh hoch.«, sagte er.

Ich gehorchte.

»Du weißt natürlich, wo du bist.« stellte er dann fest.

»Ja.« antwortete ich.

Ich sah nach rechts. Dort, in der Dunkelheit, ich hätte es auf dem unteren Brett berühren können, stand Harpers »Wörterbuch klassischer Literatur und Altertümer«. Wahrscheinlich war es nicht angefasst worden, seit es vor Monaten seinen neuen Platz bekommen hatte. Ich sah wieder hoch zu dem Mann.

Ich befand mich an derselben Stelle, an der ich vor Monaten, in einer sehr unterschiedlichen Realität, vor diesem Mann gekniet hatte. Damals war ich freilich eine hilfsbereite Bibliothekarin gewesen, die pflichtbewusst und gehorsam die Wünsche eines gebieterischen Kunden erfüllt hatte. Es war ein heller Nachmittag gewesen. Ich war vollständig und unauffällig bekleidet gewesen. Ich hatte einfache, schlichte, gediegene Kleidung getragen, die keine Geräusche von sich gab, eine langärmlige Bluse, eine dunkle Strickjacke, einen glatten Rock, dunkle Strümpfe und Schuhe mit niedrigen Absätzen. Solche Kleidung wurde uns in unserer Kleiderordnung vorgeschrieben, die an der Wand unseres Aufenthaltsraums ausgehängt war.

Aber jetzt lagen die Dinge völlig anders. Es war nicht mehr heller Nachmittag. Es war spät in der Nacht. Niemand anderer war hier. Wir waren allein, völlig und erschreckend allein. Ich kniete jetzt nicht in Bluse, Pullover und Rock vor dem Mann. Ich kniete halbnackt vor ihm, mit Schmuck und mit einem seidenen Gewand bekleidet.

»Erinnerst du dich an Harpers ›Wörterbuch klassischer Literatur und Altertümer‹?« fragte er mich.

»Ja.«

»Erinnerst du dich an das Stück Papier in dem Buch?«

»Ja.«

»Was stand darauf?«

»›Ich bin eine Sklavin‹ stand darauf.«

»Sag’ es.« befahl er.

Ich sagte die Worte. Er langte hinunter, packte mich am linken Arm, zog mich auf meine Füße und dann weiter den Gang hinunter zum offenen, nördlichen Teil der Bibliothek, in die Nähe des Schalters für Nachschlagewerke. Dort angekommen ließ er mich frei.

»Knie nieder.« befahl er.

Ich kniete mich auf den Teppichboden. Ohne nachzudenken drapierte ich den schleierartigen Rock um mich, bis er eine reizvolle, kreisförmige Form hatte. Er lächelte. Ich sah zu Boden. Der dritte Mann kam zu uns, trat an einem der Tische und öffnete dort einen Attaché-Koffer.

»Haben Sie mich tanzen gesehen?« fragte ich.

»Sieh her.« befahl er.

Ich tat es.

»Ja.« sagte er.

Ich sah unglücklich zu Boden. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich jemand tanzen sehen würde, besonders nicht so, wie ich heute Nacht getanzt hatte.

»Aber du hast vor dem Ende des Tanzes aufgehört, ohne Erlaubnis«, fuhr er fort, »deshalb wirst du jetzt noch einmal tanzen.«

Ich sah erschrocken zu ihm auf.

»Und«, sagte er, »das wird das erste Mal sein, dass du bewusst vor Männern tanzt.«

»Woher wissen Sie, dass ich noch nie vor Männern getanzt habe?« fragte ich.

»Denkst du, dass wir haben dich nicht überwacht haben«, sagte er, »dass wir nicht alles über dich wüssten?«

»Ich kann vor Männern nicht tanzen.« sagte ich.

Er lächelte.

»Ich werde nicht tanzen.« sträubte ich mich.

»Steh auf.« befahl er.

Ich stand auf. Der Mann am Tisch legte das Band in das Tonbandgerät.

»Du wirst mit dem Anfang beginnen«, sagte er, »und uns den gesamten Tanz vorführen, von Anfang bis Ende.«

»Bitte nicht.« flehte ich.

Ich konnte den Gedanken, den schrecklichen Gedanken nicht ertragen, mich vor Männern wie diesen in der Schönheit des Tanzes zu verlieren. Ich hatte nicht im Traum daran gedacht, dass solche Männer mich jemals tanzen sehen würden. Das war völlig undenkbar gewesen. Ich hätte es nicht einmal gewagt, mich vor gewöhnlichen Männern zu zeigen, vor alltäglichen, ungefährlichen, harmlosen, gewöhnlichen, angepassten Männern, Männern von der Art, wie ich sie kannte. Wer konnte wissen, auf welche Gedanken diese Männer kommen könnten, wozu sie angeregt werden könnten zu tun, was sie von mir fordern würden?

Der Mann drückte den Knopf am Tonbandgerät und ich tanzte. Das Band dauerte 11 Minuten und 17 Sekunden. Das Stück war gut, in seine melodischen Linien und seiner Stimmung. Es war eines meiner Lieblingsstücke. Aber noch nie hatte ich in einer derartigen Panik zu ihm getanzt. Noch nie hatte ich vor Männern zu ihm getanzt. Dann endete es mit einem Wirbel, ich drehte mich noch einmal und sank vor den Männern auf die Knie, den Kopf gesenkt, meine Hände auf meinen Schenkeln, in der passenden Endposition für solch einen Tanz. Ich glaube, ich war niemals vorher so tief betroffen von der Bedeutung dieser Endposition, sie entsprach der Schönheit des Tanzes und präsentierte die Tänzerin in einer Körperhaltung der Unterwerfung.

»Du wirkst verängstigt.« sagte er.

»Ja.« antwortete ich.

Er holte ein kleines, weiches Tuch aus seiner Tasche. Er reichte es mir und ich nahm es.

»Erkennst du das?« fragte er.

»Ja.« sagte ich ängstlich.

Es war das winzige Stück Seide, das ich mir vor langer Zeit genäht und nur ein einziges Mal, in der von Kerzen erhellten Verschwiegenheit meines Schlafzimmers, getragen hatte.

»Zieh deine Sachen aus und lege es an.« befahl er. »Lass die Glöckchen am Knöchel, sie helfen uns, auf dich zu achten.«

Ich sah ihn protestierend an.

»Du kannst dich natürlich auch im Waschraum umziehen, wenn du willst.« erlaubte er mir.

Ich ging zwischen den beiden anderen Männern hindurch zur Toilette und schob die kaputte Tür beiseite. Sie warteten draußen, als hätten sie Respekt vor meiner Privatsphäre.

Ich schaltete das Licht ein. Ich nahm den Schmuck ab, den ich um Fußgelenk und Hals getragen hatte. Dann langte ich an meinen Rücken, hakte den scharlachroten BH auf und schlüpfte heraus. Ich sah meine Brüste an. In dem winzigen Stück Seide, das ich anziehen sollte, war ihre Form und ihr Reiz nicht zu übersehen. Dann zog ich Strümpfe und Rock aus. Bis auf den Lederriemen mit den Glöckchen um mein Fußgelenk war ich nackt. Ich fühlte mich fremd hier, nackt in der Damentoilette der Bibliothek. Dann zog ich das kleine Stück Seide über meinen Kopf.

Offensichtlich hatten sie mein Zimmer durchsucht und es gefunden. Sie schienen alles über mich zu wissen. Vielleicht war es ihr Job, mich auszuspionieren. Vielleicht gab es wenig über mich, dass sie nicht schon wussten. Sie wussten ja sogar von dem Stück Seide, das jetzt meinen Körper bedeckte, und das war mein bestgehütetstes Geheimnis.

Ich schaltete das Licht in der Damentoilette aus und ging, mit leisem Klingeln der Glöckchen an meinem Fußgelenk, zurück.

»Bleib dort stehen.« sagte der Mann.

Ich tat es.

»Jetzt dreh dich langsam vor uns.« sagte er.

Ich gehorchte.

»Gut.« sagte er.

Ich sah ihn an.

»Knie nieder« forderte er.

Ich kniete nieder.

»Bei deinem Tanz«, stellte er fest, »warst du verängstigt.«

»Ja.« sagte ich.

»Dennoch«, sagte er, »ist es offensichtlich, dass du nicht ohne Talent bist, vielleicht hast du sogar beachtliches Talent.«

Ich war still.

»Aber es ist auch offensichtlich, dass du dich zurückgehalten hast, dass du wie eine typische Frau von der Erde versuchst, Männer zu täuschen, dass du ihnen nicht alles gibst, was du hast. Das ist dir jetzt nicht länger erlaubt.«

»– von der Erde?« fiel ich ihm ins Wort.

»Frauen sehen gut aus in Kleidung, wie du sie trägst.« fuhr er fort, ohne darauf einzugehen. »Sie entspricht ihnen.«

Wieder ich war still. Es war dunkel in der Bibliothek, aber natürlich nicht vollkommen dunkel. Es gab viel Schatten aber auch hellere Stellen, dunkle und hellere Bereiche. Auf den Platz, an dem wir uns befanden fiel Mondlicht und das Licht einer etwa hundert Fuß entfernten Straßenlaterne. Sie stand am westlichen Ende des Parkplatzes, am Bürgersteig, hauptsächlich wohl, um die Straße neben der Bibliothek zu beleuchten. Vor dem Haupteingang endet eine Straße.

Es war Frühling, aber ich hatte die Anzeichen dafür noch nicht bemerkt. Das Gebäude war warm.

»Bist du eine ›Frau‹«, fragte der Mann.

»Ja.« antwortete ich.

Wieder fiel mir nichts weiter zu sagen ein. Er hatte mich das schon vor Monaten gefragt, auf dem Gang, während unserer ersten Begegnung. Ich nahm an, dass meine Antwort zutraf, in gewissem Sinn.

»Es ist leicht genug, das von einer Frau zu bekommen.« sagte er.

Ich sah ihn verblüfft an.

»Bist du eine Intellektuelle?« fragte er weiter.

»Nein.« antwortete ich, genauso, wie ich während unserer ersten Begegnung vor langer Zeit geantwortet hatte.

»Und doch gibt es unter den privaten Büchern in deiner Unterkunft solche wie Rosovtzeffs ›Geschichte der antiken Welt‹ und Mommsens ›Geschichte Roms‹.« sagte er. »Hast du sie gelesen?«

»Ja.« antwortete ich.

»Die werden beide nicht mehr aufgelegt.« sagte er.

»Ich kaufte sie in einem Antiquariat.« entgegnete ich.

Er hatte »Unterkunft« gesagt und nicht zum Beispiel »Zimmer« oder »Appartement«. Das erschien mir merkwürdig. Auch war jetzt, als er länger als jemals zuvor gesprochen hatte, sein Akzent hörbar. Aber ich konnte ihn immer noch nicht zuordnen. Ich war sicher, dass seine Muttersprache nicht Englisch war. Ich wusste nicht, wo er herkam. Ich war noch nie auf einen Mann wie ihn gestoßen. Ich hatte nicht gewusst, dass es sie gab.

»Frauen wie du«, sagte er, »benutzen solche Bücher mehr als Kosmetik und Ornament, mehr als intellektuelle Verzierung. Sie bedeuten dir nicht mehr als dein Lippenstift und Lidschatten, als der Tand in deinem Schmuckkasten. Ich verachte Frauen wie dich.«

Ich sah ihn erschrocken an. Ich verstand seine Feindseligkeit nicht. Er schien mich oder die Art von Frau, der ich seiner Meinung nach entsprach, zu hassen. Ich fürchtete, dass er mich nicht verstehen wollte. Er schien nicht erkennen zu wollen, dass mein Interesse an diesen Dingen, an ihrer Schönheit und ihrem Wert, durchaus ehrlich gemeint war. Sicher war meine Motivation zum Kauf dieser Bücher zum Teil auch Eitelkeit gewesen sein, aber jetzt, da war ich mir sicher, stand echtes Interesse dahinter. Es musste dahinter stehen!

»Hast du aus diesen Büchern irgend etwas lernen können?« fragte er.

»Ich glaube schon.«

»Verstehst du die Welten, von denen sie sprechen?«

»Ein wenig.«

»Vielleicht nützt es dir ja ein wenig.« sagte er nachdenklich.

»Ich verstehe nicht.«

»Aber solche Bücher«, sagte er abrupt, »liegen jetzt hinter dir.«

»Ich verstehe nicht.« wiederholte ich ratlos.

»Du wirst sie dort, wo du hingebracht wirst, nicht brauchen.« sagte er nachdrücklich.

»Ich verstehe nicht.« sagte ich noch einmal.

»Solche Dinge werden nicht mehr zu deinem Leben gehören.« sagte er. »Dein Leben wird sich völlig ändern.«

»Ich verstehe nicht«, sagte ich erschrocken, »wovon reden Sie?«

»Du bist zweifellos eine Frau mit intellektuellen Ansprüchen.« sagte er.

Ich schwieg.

»Denkst du, dass du intelligent bist?« fragte er.

»Ja.«

»Das bist du nicht.« widersprach er.

Ich schwieg.

»Aber du besitzt zweifellos eine Art Intelligenz«, fuhr er fort, »auf deine kleine, gemeine Weise.«

Ich sah wütend zu ihm auf.

»Und du wirst jedes bisschen davon brauchen, das versichere ich dir«, sagte er weiter, »nur um am Leben zu bleiben.«

Ich sah erschrocken zu ihm auf.

»Abscheuliche Schlampe.« schrie er mich an.

Ich wand mich unter dieser Beschimpfung. Ich war mir der dünnen Seide auf meinem Körper bewusst. Die Glöckchen an meinem Fußgelenk klingelten.

»Ja«, sagte er an mich gewandt, »du bist eine moderne Frau mit einer intellektuellen Anmaßung. Ich sehe es genau, eine dieser modernen Frauen, die die Männer zerstören wollen.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« entgegnete ich.

»Aber es gibt Wege, Frauen wie dich zu behandeln«, fuhr er fort, »Wege, die sie nicht nur unschädlich, sondern sogar hervorragend verwendbar machen.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« protestierte ich.

»Lüg’ mich nicht an.« knurrte er wütend.

Ich senkte kläglich den Kopf. Die Glöckchen an meinem Fußgelenk bewegten sich.

»Dein Gewand ist interessant«, sagte er, »es enthüllt dich gut.«

Ich sah erschrocken zu ihm auf.

»Selbstverständlich«, sagte er, »ist es etwas weiter als nötig, nicht so verlockend wie möglich, nicht so hoch an den Schenkeln und so tief am Hals ausgeschnitten wie es sein sollte, und ich habe gleich bemerkt, dass es nicht durchsichtig genug ist.«

Ich sah auf.

»Zieh es aus.« befahl er.

Wie betäubt zog ich das winzige Kleidungsstück über meinen Kopf und legte es neben mich auf den Teppichboden.

»Es kann lange dauern«, sagte er, »bis dir Kleidung wieder erlaubt wird.«

Ich zitterte, nackt. Der dritte Mann ging zum Tisch, auf dem der Attaché-Koffer lag. Er nahm etwas aus dem Koffer. Er gab das Ding dem Mann vor mir. Es war eine Peitsche. Sie hatte einen einzigen, kräftigen, gewellten Riemen. Ich keuchte panisch auf.

»Was denkst du, was war dein Name?« fragte er.

»Doreen«, antwortete ich, »Doreen Williamson.«

Es war merkwürdig, dass er nach meinem Namen fragte. Sie wussten so viel von mir, sie mussten doch meinen Namen kennen. Was meinte er damit, »was ich dachte, was mein Name war«?

»Gut, Doreen«, sagte er, »denkst du noch an Harpers ›Wörterbuch klassischer Literatur und Altertümer‹?«

»Ja.« antwortete ich.

Die Art, wie er meinen Namen ausgesprochen hatte, beunruhigte mich irgendwie. Es war fast, als wäre dieser Name nicht wirklich meiner. Es war fast, als wäre der Name nur eine Bequemlichkeit für ihn, um Zeit zu sparen, wenn er mich rief.

»Bring es her.« verlangte er.

Ich blickte auf die Peitsche. Ich sprang auf die Füße und eilte mit klingenden Glöckchen zu der Stelle, wo das Buch war. Nach einem Moment hatte ich es und kniete damit wieder vor ihm.

»Küss es.« befahl er.

Ich tat es.

»Leg es hin«, sagte er, »auf die Seite.«

Ich tat es. Und dann hielt er mir die Peitsche hin.

»Küss die Peitsche.« befahl er.

Ich tat es.

»Küss meine Füße.« befahl er.

Ich beugte erschrocken meinen Kopf, legte meine Handflächen auf den Teppichboden und küsste seine Füße. Dann richtete ich mich wieder auf und sank zurück auf meine Fersen.

»Leg deine Hände auf die Schenkel, Handflächen nach unten.« kam der nächste Befehl.

Ich gehorchte.

»Anscheinend hast du doch einige Intelligenz.« stellte er fest. »Jetzt spreize deine Knie.«

»Bitte nicht.« bettelte ich.

»Vielleicht lag ich doch falsch.« sagte er nachdenklich.

Schnell spreizte ich meine Knie.

»Vielleicht wirst du überleben.« sagte er.

Dann nickte er dem Mann zu seiner Linken zu. Zu meinem Entsetzen ging der zurück zum Attaché-Koffer und holte diesmal aufgewickelte Ketten heraus. Im Halbdunkel konnte ich nicht richtig sehen, was es war. Dann war er hinter mir. Entsetzt fühlte ich einen Metallkragen sich um meinen Hals schließen. Es war ein sehr stabiler Metallkragen. Anscheinen hatte er ein Anhängsel, eine Art Ring, ich glaube an der Rückseite, an dem eine lange Kette befestigt war. Der Mann hinter mir hatte sie um seine Hand gewickelt und hielt sie fest.

Der Kragen umschloss eng meinen Hals. Ich berührte ihn verängstigt. Ich schob meine Finger unter den erbarmungslosen Ring. Es war höchsten ein halbes Zoll Spielraum zwischen dem Metall und meiner Kehle. Ich fühlte das Gewicht der Kette. Ich war angeleint. Ich lag an einer Kette. Mir graute. Niemand kann meine Gefühle nachvollziehen, wenn er nicht auch hilfloser Gefangener solch eines Dings gewesen war.

»Schlampe.« redete mich der Mann an.

»Ja.« sagte ich.

»Bist du noch Jungfrau?« fragte er.

»Ich soll also vergewaltigt werden.« stellte ich fest.

»Vielleicht.« sagte er.

»Ihre Frage ist sehr persönlich.« sagte ich.

Dann fühlte ich, wie die Eisenkette an der Rückseite des Kragens brutal nach vorn gezogen wurde. Der Kragen schnitt in meinen Nacken ein und schnürte mein Kinn ab. Ich versuchte, meinen Kopf soweit unten wie möglich zu halten, um den Druck des unteren Randes des Kragens gegen meine Kehle zu verringern. Dies zwang mich auch, meinen Kopf unterwürfig zu senken. Ich wurde halb erdrosselt. Ich konnte nicht sprechen. Ich erschauderte. Ich kniete nicht mehr auf meinen Fersen. Ich war nicht von den Füßen gerissen worden. Dann wurde der Kragen plötzlich an meinem Hals gedreht, der Druck auf meine Halsschlagader ließ nach, und der Kragen wurde nach vorn gezogen. Mein Kopf und Hals folgten ihm. Die lange Kette wurde zwischen meine Beine geworfen, herumgewickelt und fesselten meine Knöchel. Ich wurde kniend niedergedrückt, mein Kopf unten, mein Hals im Kragen. Ich strengte mich an, hochzusehen, hob meine Augen. Zu meinem Schrecken sah ich, dass der Mann vor mir die Peitsche abwickelte.

»Ich bin Jungfrau.« flüsterte ich. »Ich bin Jungfrau.«

Er machte ein Zeichen, die Kette löste sich von meinen Knöcheln und der Kragen rutschte an meinem Hals herunter. Ich wurde zurückgerissen, halb erstickt, aber der Druck an meinem Hals war immer noch hoch, zweifellos mit Absicht und dann lag ich vor ihnen auf dem kurzhaarigen groben Teppichboden.

»Spreiz deine Beine.« befahl er.

Ich tat es gehorsam. Trotz meines Schreckens fühlte ich mich unglaublich lebendig, als ich es tat, als ich ihm gehorchte. Er kauerte sich neben mich und legte die Peitsche auf den Teppichboden.

»Du bist also Jungfrau?« fragte er.

»Ja.« stieß ich hervor.

»Lügst du etwa?« fragte er.

»Nein.«

»Wenn du lügst«, sagte er, »wirst du ausgepeitscht.«

Ich sah ihn von unten an. Ich konnte nicht begreifen, wie ein Mann so stark sein konnte. Wie absurd das alles war! Wusste er nicht, dass Frauen immer straflos blieben, egal was sie taten, auch wenn es die Männlichkeit eines Mannes zerstörte und sein Leben ruinierte? Dass Frauen nie dafür bestraft wurden? Und jetzt wollte dieser Mann mich für so etwas geringfügiges wie eine Lüge bestrafen, für so etwas bedeutungsloses wie ihm nicht vollständig zufrieden gestellt zu haben. Welche Art von Mann war das? Er war fast so, als wäre er gar kein Mann von der Erde! Wie hatte er seiner Schwächung ausweichen können? Ist er nicht genügend trainiert und konditioniert worden? Wie anders er war im Vergleich zu einem Mann von der Erde! War er einer der seltenen Erdenmänner, fragte ich mich, der die Taktiken der Schwächung und Erniedrigung der Männer durch die Gesellschaft durchschaut hatte, der sie fernhielt, wie Gift von seinem Körper, diese unnatürlichen und pathologischen Konditionierungsprogramme, denen er ausgesetzt war?

»Verstehst du das?« fragte er weiter.

»Ja.« beteuerte ich.

»Ich frage mich, ob du das wirklich tust.« zweifelte er.

Meine Lippe zitterte.

»Du glaubst vielleicht, dass du einen Mann jetzt noch anlügen kannst«, sagte er, »aber ich versichere dir, meine Teure, bald wird dir davor grauen, auch nur daran zu denken, einen Mann zu belügen.«

Ich schwieg.

»Bleib so.« befahl er.

Ich verkrampfte mich.

»Es wird nur einen Augenblick dauern.« kündigte er an. »Ich werde äußerst behutsam sein.«

Ich scheute etwas zurück. Aber er war wirklich behutsam, außerordentlich behutsam.

»Ist sie noch Jungfrau?« fragte der dritte Mann, der am Tisch mit dem Attaché-Koffer stand.

»Ja.« antwortete der Mann neben mir.

Ich wurde glutrot. Der Mann neben dem Attaché-Koffer wandte sich ihm zu und schien sich durch einige Dinge in ihm hindurchzuwühlen. Dann fand er etwas und stellte es auf den Tisch. Ich weiß nicht, ob ich hätte sagen können, was da im Schatten stand. Es wäre natürlich gelogen, dass ich aus meiner Position nichts erkennen konnte, selbst wenn der Raum in helles Licht getaucht wäre wie vor langer Zeit, vor drei Monaten, am hellen Nachmittag, als ich zum ersten Mal den Blick meines jetzigen Kidnappers gespürt hatte. Was auch immer es war, es schien nicht groß zu sein. Es machte ein metallenes Geräusch, als es auf den Tisch gestellt wurde.

»Haben Sie vor, mich jetzt zu vergewaltigen?« flüsterte ich.

»Nein.« sagte er.

»Nein.« vergewisserte ich mich.

»Nein.« wiederholte er.

»Warum nicht?« fragte ich.

»Du bist noch Jungfrau.« antwortete er.

»Ich verstehe nicht.« sagte ich verwirrt.

Er lächelte.

»Aber, wenn Sie nicht vorhaben, mich zu vergewaltigen«, sagte ich, »was soll das alles dann?«

»Geh auf deine Knie.« sagte er und stand auf. Ich erhob mich auf meine Knie, die Glöckchen klingelten leise, die Kette war an meinem Hals befestigt. Er schien ein bisschen ärgerlich zu sein. Auch die beiden anderen Männer, der in der Nähe des Attaché-Koffers, und der, der meine Kette jetzt in seiner Faust nahe hinter meinen Nacken hielt, schienen aufgebracht. Ich nehme an, dass sie nicht besonders erfreut gewesen waren, zu erfahren, dass ich eine Jungfrau war. Ich nahm an, wenn das nicht so gewesen wäre, hätte ich sie erfreuen müssen.

»Wenn ich nicht vergewaltigt werden soll«, sagte ich, »dann verstehe ich nicht, was los ist. Wozu dann dies alles?«

»Keine Sorge«, sagte der Mann, »in deinem neuen Leben wirst du regelmäßig und gut vergewaltigt werden. In Wirklichkeit wird dein ganzes Leben eine einzige Vergewaltigung sein.«

»Mein neues Leben?« fragte ich verständnislos. »Ich verstehe das nicht.«

»Sie ist dumm.« sagte der Mann hinter mir, der meine Kette unter Kontrolle hatte und mir nur geringen Spielraum ließ.

»Nein«, sagte der Mann vor mir, »sie hat einen winzigen Funken Intelligenz, gemein, kleinlich und unbedeutend, doch wird der ihr das Überleben hoffentlich erleichtern. Es ist nur so, dass die ganze Sache über ihren Horizont geht.«

»Ich verstehe nicht.« sagte ich wieder.

»Kannst du es nicht erraten, kuschelige Schöne?« fragte er.

»Nein.« sagte ich.

»Erinnerst du dich«, sagte er, »als wir uns vor langer Zeit zum ersten Mal trafen und über eine alte, schöne Welt sprachen?«

»Ja.« sagte ich ratlos.

»Eine Welt, in der Frauen wie du«, fuhr er fort, »als Sklavinnen gekauft und verkauft wurden?«

»Ja.« sagte ich unruhig.

»Vielleicht erinnerst du dich, dass du behauptetest, diese Welt wäre vergangen.« sagte er.

»Ja.«

»Und vielleicht erinnerst du dich auch«, sprach er weiter, »wie ich sagte, dass es eine andere Welt gäbe, die nicht anders wäre als diese.«

»Ja.«

»Du behauptetest, das wäre absurd, wie ich mich entsinne.« sagte er.

»Ja«, antwortete ich, »und es ist auch absurd.«

Ich bemerkte, wie die Hand des Mannes die Kette etwas straffer zog. Das machte mir den Kragen um meinen Hals noch bewusster.

»Entsinnst du dich, was ich darauf sagte?« fragte er.

»Ja.« antwortete ich und schauderte.

»Was?« bohrte er.

»Dass Sie sie gesehen haben.« sagte ich.

»Das stimmt.« sagte er. »Und du, meine Teuerste, wirst sie auch sehen.«

»Das ist absurd!« sagte ich. »Sie sind wahnsinnig! Sie sind wahnsinnig!«

Er langte hinunter und hob die Peitsche auf.

»Du musst lernen, Respekt vor Männern zu haben«, sagte er, »absoluten Respekt.«

Ich schreckte zurück, aber er wickelte die Peitsche nur auf. Dann befestigte er sie an seinem Gürtel. Ich fiel fast in Ohnmacht.

»Es gibt solch einen Platz nicht.« rief ich aus.

»Ich bin dort geboren«, antwortete er, »genauso wie meine Begleiter.«

»Es gibt auf der Erde solch einen Platz nicht!« bekräftigte ich.

»Das stimmt.« sagte er.

»Was sagen Sie da?« keuchte ich. »Wer sind Sie?«

»Ich bin Teibar«, sagte er, »meine Kollegen sind Hercon links und Taurog, der deine Kette hält, hinter dir.«

»Ich kenne solche Namen nicht.« sagte ich.

Sie klangen nicht wie Namen von Erdenmännern!

»Ich glaube, sie sind ungewohnt für dich«, sagte er, »es gibt sie hier nicht oder nur selten.«

»Hier?« fragte ich ängstlich.

»Ja«, antwortete er, »hier auf der Erde.«

»Ich verstehe nicht.« sagte ich.

»Ich spreche von einer anderen Welt als der Erde.« sagte er ungeduldig.

»Einer anderen Welt?« fragte ich erstaunt.

»Ja.« sagte er.

»Ein anderer Planet?« fragte ich noch erstaunter.

»Ja doch.« antwortete er.

»Aber Sie sind doch offensichtlich Menschen« stellte ich fest, »jedenfalls eine Art Menschen, wenn auch vielleicht von einer anderen Art, als ich sie kenne.«

»Du befürchtest, ich könnte ein Alien sein?« fragte er belustigt.

»Ja.« flüsterte ich scheu.

»Das ist in einer Hinsicht sogar wahr, von deinem Standpunkt aus bin ich ein Alien«, sagte er, »nämlich in der Hinsicht, dass ich von einer anderen Welt komme. In anderer Hinsicht bin ich aber kein Alien, weil ich zu deiner eigenen Art gehöre.«

Ich sah ihn erstaunt an.

»Meine Vorfahren kamen von der Erde«, erklärte er, »genauso, wie deine aus Europa kamen. Also keine Angst, ich bin genauso ein Mensch wie du.«

»Ich versehe.« sagte ich unsicher.

»Und aus diesem Grund bin ich so gefährlich für dich«, fuhr er fort, »weil ich von deiner Art bin, weil ich dich verstehe, weil ich weiß, wie du denkst, weil ich deinen gemeinen, kleinen Geist und deine Gefühle kenne, deine Durchtriebenheit, Kleinlichkeit, deinen Egoismus, deine dummen kleinen Tricks, ich weiß alles über dich.«

»Aber diese Welt, von der Sie sprechen«, flüsterte ich, »angenommen sie existiert wirklich, ist sie wie diese verschwundene Welt, über die wir sprachen?«

»Ja.« antwortete er.

»In welcher Hinsicht?« wollte ich wissen.

»In vielerlei Hinsicht.« sagte er, scheinbar amüsiert. »Denkst du an etwas Besonderes?«

»Ist es eine Welt –«

Ich zögerte.

»Ja?«

»Ist es eine Welt, in der Frauen wie ich«, fragte ich zögerlich, »als Sklavinnen gekauft und verkauft werden?«

»Ja.« antwortete er knapp.

»Was werden Sie mit mir machen?« wagte ich zu fragen.

»Kannst du das nicht erraten?« fragte er.

Ich sprang hoch, wurde aber sofort mit einer geschickten Drehung der Kette niedergeworfen und lag keuchend und mit dem Bauch auf den Teppich. Ich war erschrocken, wie leicht und glatt das ohne große Überlegung erledigt wurde. Ich war völlig hilflos und stand völlig unter Taurogs Kontrolle. Ich spürte seinen Fuß auf meinem Rücken, der mich erbarmungslos auf den Teppichboden drückte. Der Kragen hatte meinen Hals aufgeschürft. Einige Kettenglieder lagen neben meiner Kehle. Ich hob meinen Kopf, soweit ich konnte.

Der Mann vor mir gab ein Zeichen und Taurog nahm seinen Fuß von meinem Rücken. Ich konnte seinen Druck immer noch dort spüren. Ich hatte Angst. Ich konnte das raue Teppichmuster unter mir fühlen. Es gab einen Unterschied, dieses Muster am Rücken zu fühlen wie vorhin, zu dem Gefühl jetzt auf meinem Bauch. Es hatte sich hart und kratzig an meinem Rücken angefühlt, gut geeignet, wie ich annahm, um die Jungfräulichkeit eines Mädchens zu testen. Aber jetzt, als ich den Teppich an meinem weichen Körper, an Bauch, Brüsten und Schenkeln spürte, war das ein merkwürdiger Unterschied. Ich spürte den Teppich jetzt viel mehr, die Unregelmäßigkeiten seiner Oberfläche, die winzige, plötzliche Rauheit, wo ein Schuh seinen Abdruck hinterlassen hatte. Tausende Male war ich auf diesem Teppichboden entlang gegangen. Aber niemals zuvor hatte ich nackt auf ihm auf dem Bauch gelegen.

»Knie nieder.« befahl mein Entführer.

Ich kämpfte mich hoch auf meine Knie. Mein Körper fühlte immer noch den Teppichboden. Taurog war nicht gerade sanft zu mir gewesen. Ich konnte immer noch den Druck seines Fußes auf meinem Rücken fühlen. Ich nahm an, dass ich kein Ding war, mit dem man Geduld haben müsste.

Ich sah meinen Entführer an.

»Es interessiert dich vielleicht, dass du schon einige Zeit auf unserer Liste stehst.« bemerkte er.

»Liste?« entgegnete ich.

»Ja«, sagte er, »Liste, tatsächlich. Du standest ein Jahr auf unserer Aufklärungsliste, sechs Monate auf unserer Erwägungsliste und drei Monate auf unserer aktiven Liste.«

»Ich bin keine Sklavin.« schluchzte ich.

Langsam kam der Mann näher und ich schrak zurück. Er packte mich an den Oberarmen und zog mich von meinen Knien hoch, bis ich halb stand.

»Im Gegenteil«, sagte er, »meine abscheuliche kleine Schmeichlerin, du bist es. Ich garantiere dir das. Da gibt es nicht den geringsten Zweifel. Wir kennen unsere Arbeit. Für ein erfahrenes, kritisches Auge, das darin geübt ist, so etwas zu erkennen, bist du ganz offensichtlich eine Sklavin. Den Zustand einer Frau wie dich erkennen wir völlig klar, magst du dich auch noch so winden und versuchen, es abzuleugnen.«

»Nein, nein.« wimmerte ich und drehte meinen Kopf von ihm weg.

»Glaubst du, ich erkenne eine Sklavin nicht?« fragte er. »Das ist schließlich mein Job.«

Ich stöhnte nur. Er schüttelte mich, mein Kopf flog nach hinten und ich schrie meine Not heraus.

»Sieh mich an.« befahl er.

Ich tat es voller Angst.

»Ich, wie viele andere«, sagte er, »kann Sklaven erkennen und dich habe ich als Sklavin erkannt.«

»Nein«, wimmerte ich, ohne ihn anzusehen, »nein.«

»Schon vor Monaten«, sagte er, »als ich in deine Augen blickte und du in deiner albernen Kleidung hinter deinem blöden Schreibtisch saßt, bemerkte ich, unter all der Baumwolle war eine nackte Sklavin.«

»Nein.« weinte ich.

»Und wenn ich dir jetzt in die Augen sehe«, urteilte er, »sehe ich, dass das wahr ist.«

»Nein, nein, nein!« schluchzte ich und drehte meinen Kopf weg.

Ich wagte es nicht, diesen leidenschaftlichen Augen zu begegnen, die mich so erschreckten, die mich irgendwie zu durchschauen schienen, sich wie Feuer in mich einbrannten, mit unerträglichen Fackeln mein geheimstes Dunkel erhellten und zu meinen tiefsten und am besten geschützten Geheimnissen vordrangen, die im geheimsten Winkel meines Herzens versteckt waren.

»Soll ich dich wieder vor Männern tanzen lassen?« fragte er.

»Nein«, wimmerte ich, »nein!«

»Keine Sorge«, sagte er, »du wirst wieder vor ihnen tanzen und zwar so, wie sich nie eine Frau hätte träumen lassen, dass sie vor Männern tanzen könnte.«

»Nein«, schluchzte ich, »nein, nein!«

Er ließ mich los und ich sank kraftlos vor ihm auf meine Knie. Es schien, dass man wenig anderes tun konnte, als vor einem solchen Mann zu knien. Dann stopfte er ärgerlich das Stück Seide, das ich vorhin ausziehen musste, als Knebel in meinen Mund. Ich war zum Schweigen gebracht.

»Auf alle vier.« befahl er grob.

Ich ging vor ihm auf alle vier. Eine Stück der Kette hing mir etwa einen Fuß vom Hals herunter und lief dann zu seiner Befestigung. Ich konnte ihr Gewicht fühlen, es zog meinen Kragen etwas nach rechts.

Die Männer sprachen dann einige Augenblicke miteinander. Ich konnte ihre Sprache nicht verstehen. Sie schien ausdrucksstark und komplex zu sein. Der Anführer wandte sich mir zu. Ich sah, wie er die Peitsche aus seinem Gürtel zog. Ich legte meinen Kopf auf den Boden und biss in die Seide, die meinen Mund ausfüllte. Ich wusste, dass ich sie nicht ohne Erlaubnis herausnehmen durfte. Er hatte sie mir hineingestopft. Ich sah den blanken Riemen der Peitsche herunterhängen. Ich wimmerte mit der Seide in meinem Mund. Ich wimmerte, um nicht ausgepeitscht zu werden.

»Erkennst du die Peitsche, du Schlampe?« fragte er.

Ich wimmerte flehend.

»Das ist eine der wenigen Dinge, die ein kleines Tier wie du eindeutig versteht.« sagte er nachdenklich.

Ich wimmerte.

»Sieh sie dir an«, sagte mein Entführer Teibar zu seinem Gefährten Taurog, der meine Kette hielt, »sie hat sie noch nie gespürt und doch fühlt sie, wie es ist, sie zu spüren, was sie ihr antun kann.«

»Ja.« antwortete Taurog.

»Aber ich glaube« fuhr Teibar fort, »alle Frauen verstehen die Peitsche, oder, wenn sie dumm sind und es nicht tun, werden sie sehr schnell dazu gebracht, sie gut zu verstehen.«

»Ja.« stimmte Taurog zu.

Dann fühlte ich den Riemen der Peitsche leicht über meinen Rücken streichen. Ich schauderte. Ich wollte schreien, aber ich konnte nur klagend wimmern.

Die Peitsche schien mir seltsamerweise nicht fremd. Es war, als würde ich sie kennen. Ich fragte mich plötzlich, ob ich sie in einem früheren Leben schon gespürt hatte. Irgendwie regten sich schreckliche Erinnerungen in mir. Ich fragte mich, ob das Erinnerungen von einer sonnigen Sandbank in Memphis waren, von einer Terrasse in Athen, von einer Säule in Rom oder einer Fessel, die meine Handgelenke in einem Frauengemach in Bokara, Basra, Samarkand oder Bagdad zusammenschnürte? Hatte ich so etwas schon einmal gefühlt, irgendwo, an vielen Plätzen und es auch durch eine Reihe gelebter Leben nicht vergessen? Nein, das wäre ziemlich unwahrscheinlich, sagte ich mir. Andererseits hatte ich wenig Zweifel daran, dass in der Vergangenheit an solchen Plätzen und tausenden anderen das Benehmen vieler Frauen durch solche Instrumente und ihre Verwandten, wie die Rute, den Riemen, die Bastonade bis zur Vollendung verbessert worden war. Irgend etwas in mir schien die Peitsche zu kennen und fürchtete sie schrecklich.

Ich glaubte, das konnte nur aus meiner aufgeschreckten Phantasie herrühren, die mich lebhaft daran erinnern wollte, wie so ein Schlag sich anfühlen würde, aber trotzdem hatte ich den Verdacht, dass mehr dahinter steckte. Ich vermutete, es gab eine Seelenverwandtschaft zwischen der Peitsche und mir, dass wir in mancherlei Hinsicht vielleicht füreinander geschaffen waren, dass ich sie, auch wenn ich sie noch nie gefühlt hatte, als etwas anerkannte, das mir und dem, was ich in meinem geheimsten Herzen war, etwas Respekteinflößendes, Vertrautes und Wichtiges antat.

Ich fühlte, wie der Peitscheriemen zum zweiten Mal meinen Rücken streichelte. Er schien es irgendwie nachdenklich und grübelnd zu tun. Ich wimmerte leise und biss in die nasse Seide. Von meinen Augen tropften Tränen auf den Teppichboden. Ich wimmerte leise, in einem bittenden, um Erbarmen bettelnden Ton. Der Mann kümmerte sich nicht darum.

Ich war sicher, dass ich eine moderne Frau im 20. Jahrhundert war. Aber genauso gut könnte ich nur eine üppige, schöne, barbarische Dienerin in Epidaurus sein oder ein persisches Tanzmädchen, dass in der Gewalt der Kreuzfahrer, in den Zelten der Mongolen gehalten wurde, es interessierte ihn nicht. Er wollte mich buchstäblich schlagen. Wir waren alle Frauen. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass er mich schlagen würde, wenn ihm der Sinn danach stand. Ich fühlte, dass er mit mir tun würde, was immer er wollte.

»Nein, kleine Schlampe«, sagte er dann aber, nahm die Peitsche weg und befestigte sie wieder an seinem Gürtel, »besser später.«

Ich zitterte vor Erleichterung. Ich schluchzte befreit auf. Ich sollte nicht gepeitscht werden! Ich sollte nicht gepeitscht werden! Dann aber schauderte ich plötzlich zusammen. Was könnte er gemeint haben mit »besser später«? Ich sah zu ihm hoch.

»Du köstliches, bedeutungsloses, durchtriebenes, klebriges, abscheuliches Ding.« knurrte er.

Ich konnte diese Feindseligkeit, diesen scheinbaren Hass auf mich nicht verstehen.

»Bring sie mir aus den Augen«, sagte er zu Taurog, »sonst könnte ich in Versuchung geraten, sie umzubringen.«

»Komm, kleine Schlampe.« befahl Taurog darauf.

Er trat vor mich und ich fühlte den Druck der Innenseite des Kragens hinten an meinem Hals, dann links und dann ruckte die Kette. Durch die Bewegung verschob sich der Kragen an meinem Hals. Anscheinend war die Kette doch nicht an einem Ring befestigt, sondern fest an den Kragen angeschweißt. Der Punkt, an dem die Kette befestigt war und ihre Kraft ausübte, befand sich jetzt rechts unter meinem Kinn.

Ich folgte Tautrog auf allen vieren mit dem Stück Seide in meinem Mund. Er zog mich hinter die Kopierer, wo Teibar mich nicht sehen konnte. Dort berührte er mit seinem Fuß meine Arme und Beine an der Außenseite und bedeutete mir so, mich hinzulegen. Ich ließ mich erst auf meine Ellenbogen und dann auf meinen nackten Bauch nieder.

Ich glaube, Taurog sprach nicht viel Englisch. Er hatte mir aber seinen Befehl deutlich gemacht. Ich verstand, während ich auf der kühlen, glatten Fläche vor den Kopierern lag, dass man nicht immer die Sprache eines Mannes verstehen musste, um ihm zu gehorchen, genauso wenig wie er sie benötigt, um dir zu befehlen.

Ich hörte Teibar mit Hercon sprechen, Hercon ging dann weg, später fand ich heraus, dass er meine Sachen aus der Damentoilette holte. Teibar, der für mich der wichtigste meiner Entführer war, blieb bei dem Tisch, auf dem der Attaché-Koffer lag. Ich glaubte zu hören, wie er einige Dinge dort hin- und herbewegte. Nach kurzer Zeit kehrte Hercon zum Tisch zurück. Einen Augenblick später sagte Taurog etwas, wahrscheinlich zu Taurog.

Der zog zweimal leicht an der Kette. Es gab ein leises Klirren der Kettenglieder und zweimal einen leichten Ruck an meinem Kragen. Es war ein Signal für mich. Taurog machte ein zustimmendes Geräusch, als ich sofort auf alle vier ging. Dann führte er mich zurück zum Tisch mit dem Attaché-Koffer, wo Teibar, der Chef meiner Entführer, den ich am meisten fürchtete, wartete. Ich sah einen Stapel mit meinen Sachen auf dem Boden neben dem Tisch, das Tanzkostüm, meine Börse, meine Kleidung, die ich in der Bibliothek getragen hatte. Das hielt ich für das Resultat von Hercons kurzer Abwesenheit. Jetzt war er wieder da. Taurog sagte etwas zu Teibar.

»Taurog«, sagte Teibar dann zu mir, »ist zufrieden mit dir. Er denkt, dass du ein instinktives Verständnis für Kettensignale haben könntest.«

Mit der nassen Seide im Mund konnte ich nicht sprechen. Ich konnte nur zu ihm aufsehen.

»Das kann durchaus sein«, fuhr er fort, »du bist schließlich eine Frau.«

Ich sah ungehalten zu ihm hoch. Er holte ein kleines Objekt aus seiner Tasche. Ich glaube, ich hatte ihn schon damit gesehen, beim Haupteingang der Bibliothek, als ich vor ihm geflohen war. Er zielte damit auf den Kleiderstapel am Boden. Ein blendendheller Lichtstrahl fuhr aus dem Objekt, ich schrie auf, halbblind. Als ich wieder sehen konnte, war der Teppich an der Stelle fort und nur noch Asche lag dort.

»Hier ist noch etwas.« sagte Hercon und hob das Tonbandgerät an. Zweifellos waren die Tonbänder auch dabei.

»Lass das und die Musik«, sagte Teibar, »die, die es entdecken, sollen etwas zum Nachdenken haben.«

Hercon legte das Gerät auf den Tisch. Ich zitterte. Ich hatte gesehen, was aus meinen Kleidung auf dem Boden geworden war. Ich kannte die Technik nicht, die diesen Männern zur Verfügung stand. Sie schien aber mächtig und hoch entwickelt. Merkwürdig, sie schien so gar nicht zu der Welt zu passen, von der Teibar gesprochen hatte. Konnte es sein, dass solche Geräte auf dieser Welt nicht erlaubt waren?

Ich sah das kleine Objekt auf mich zielen. Ich schüttelte heftig meinen Kopf, biss wimmernd auf die Seide, Tränen traten mir in die Augen. Ich wusste, sein blendender, intensiver Strahl konnte mich in einem Augenblick mit verzischender Flüssigkeit kochen und zerschneiden.

»Du weißt, was wir tun könnten, wenn wir wollten?« fragte er.

Ich nickte nachdrücklich, mit Tränen in den Augen.

Daraufhin steckte er das Gerät in seine Tasche. Ich brach auf dem Teppichboden zusammen, außerstande, mein Gewicht weiter zu tragen.

»Leg sie auf den Tisch.« sagte er.

Taurog bückte sich, hob mich mit Leichtigkeit auf und legte mich rücklings auf den Tisch neben den Attaché-Koffer. Die Männer schoben die Stühle zurück, so dass sie oberhalb des Tisches standen. Ich sah verschreckt hoch zu Teibar. Er zog die Seide aus meinem Mund.

»Bitte.« weinte ich.

»Hast du die Erlaubnis zu sprechen?« fragte er streng.

»Nein.« flüsterte ich.

»Vielleicht will ich dich nicht sprechen hören.« sagte er.

Er öffnete das Stück Seide, das ich in meinem Mund gehabt hatte, und faltete es ordentlich zusammen. Danach war es ein weiches, feuchtes Päckchen, etwas 6 oder 7 Zoll im Quadrat. Er legte es neben meine linke Hüfte.

»Darf ich sprechen?« fragte ich schüchtern.

Ich merkte plötzlich, dass gar kein Knebel nötig war, um mich zum Schweigen zu bringen. Es bedurfte dazu nur des Willens oder einer Laune von Männern wie diesen hier, um das einfach und effektiv zu bewirken. Solche Männer konnten mich mit einem Wort, einer Geste oder einem Blick zum Verstummen bringen.

»Entferne ihre Glöckchen.« sagte er zu Hercon. »Leg’ ihr Fußketten an. Die Jungfrauen-Ketten.«

»Bitte …« wagte ich zu sagen.

»Sehr gut.« sagte er.

»Was bedeutet das alles?« fragte ich bittend. »Was wollen Sie mit mir machen?«

Ich spürte, wie Hercons starke Finger den Lederriemen an meinem linken Fußgelenk lösten. Ich hörte das Klingen der Glöckchen.

»Wer sind Sie?« verlangte ich zu wissen.

»Teibar.« antwortete er.

Ich schüttelte frustriert den Kopf. Der Kragen lag so eng und schwer um meinen Hals und schränkte seine Bewegung ein. Ich hörte, wie die Kette sich hinter mir bewegte, wo sie über der Kante des Tisches baumelte.

»Aber was sind sie?« fragte ich dringlicher.

»Menschen«, sagte er, »genau wie du, auf deine kleinliche, gemeine Art.«

»Warum hassen Sie mich?« fragte ich.

»Wegen dem, was du bist und was du Männern antun würdest.« sagte er.

»Was?« fragte ich.

»Sie zu zerstören.« sagte er.

»Ich habe nicht vor, Männer zu zerstören.« wehrte ich ab.

»Ich weiß«, sagte er, »jetzt nicht mehr.«

»Ich verstehe nicht.« schluchzte ich.

Dann spürte ich, wie sich die Glöckchen von meinem Fußgelenk lösten. Hercon gab sie weiter an Teibar, der sie, die Riemen darunter, auf das weiche, feuchte Stück Seide neben mir legte.

»Warum tun sie das?« versuchte ich es noch einmal. »Was sind Sie wirklich?«

»Ich bin Geschäftsmann.« sagte er.

»Was ist Ihr Geschäft?« fragte ich klagend.

»Ich bin Exporteur.« sagte er.

Ich fühlte, wie sich eine stabile Fußkette um mein linkes Fußgelenk schloss, an dem die Glöckchen befestigt gewesen waren. Ein Schloss schnappte zu. Ich zweifelte nicht daran, dass es verschlossen war. Ich nahm an, dass es unterschiedliche Arten dieser Fußketten gab. Diese hier, begriff ich plötzlich, war eine »Jungfrauen-Kette«.

»Was exportieren Sie.« fragte ich weiter.

»Frauen.« antwortete er.

Ich bäumte mich auf, wurde aber sofort mit einem Rasseln der Kette an meinem Kragen zurück auf den Rücken gezerrt.

»Bleib liegen.« befahl er.

Ich sah, wie Hercon einen großen Ledersack hochhob und ausschüttelte. Er war schwer, dunkel, lang und eng. Er hatte Riemen und ein Schloss an einem Ende.

»Ich habe die Maske und das Mittel vorbereitet.« sagte Teibar zu Hercon.

Ich strengte mich an, um den Sack zu betrachten. Hercon faltete ihn dreimal und legte ihn auf den Tisch.

»Du kommst da hinein, mit dem Kopf zuerst, geknebelt und an Händen und Füßen gefesselt«, wandte sich Teibar an mich, »aber selbst wenn du nicht gefesselt wärst, könntest du wegen der Enge darin nur wenig mehr machen, als ein bisschen zu wackeln.«

Ich versuchte aufzustehen, aber eine kegelförmige, steife Gummimaske wurde mir über Nase und Mund gestülpt und mit ihrer Hilfe wurde ich zurück auf den Tisch gedrückt. Taurog hielt mich an den Handgelenken fest auf der Tischplatte. Hercon hielt meine Knöchel. Ich kämpfte. Meine Augen starrten wild über der Maske. Teibar goss eine Flüssigkeit aus einer kleinen Flasche in eine Öffnung mit Gaze an der Spitze der Maske und presste sie fest über meinen Mund und meine Nase.

»Langsam, halt still, kleine Schlampe«, sagte er beruhigend zu mir, »kein Grund zu kämpfen. Kämpfen wird dir nichts nutzen.«

Ich versuchte, die Maske abzustreifen, schaffte es aber nicht. Ich wurde festgehalten. Ich wurde hilflos festgehalten. Meine Kraft, die einer Frau, war nichts gegen die ihre, die von Männern. Ich fragte mich, was das in einer Welt, die der Natur entsprach, bedeutete.

»Atme tief ein.« sagte Teibar.

Ich versuchte, meinen Kopf zu bewegen, wegen der Steife der Maske und weil er sie fest auf mich presste, konnte ich es nicht. Ich versuchte, die Luft anzuhalten. Ich fühlte das Kitzeln eines Tropfens der Flüssigkeit, der von meiner Nase seinen Weg hinunter an meiner rechten Wange fand.

»Tief atmen.« sagte Teibar mit beruhigender Stimme.

Ich kämpfte darum, die Luft anzuhalten. Hercon sagte etwas.

»Komm schon«, sagte Teibar, »du enttäuschst Hercon.«

Ich sah wild zu ihm hoch.

»Tief atmen« wiederholte er, »du willst Hercon doch nicht enttäuschen. Taurog war auch so stolz auf dich. Du willst ihn doch auch nicht enttäuschen. Nicht, nachdem du dich an der Kette so gut gemacht hast. Ich versichere dir, bald wirst du äußerst besorgt sein, Männer in keiner Hinsicht zu enttäuschen.«

Ich musste plötzlich, unter der Maske halb erstickt husten. Ich rang verzweifelt nach Luft in der engen Maske. Es war stickig und bedrückend.

»Gut«, forderte Teibar, »jetzt atmest du langsam, regelmäßig und tief.«

Ich sah über den festsitzenden Gummirand der Maske flehend hoch zu ihm.

»Du weißt doch, das Widerstand zwecklos ist.« bekräftigte er.

Ich schluchzte auf. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich atmete tief ein.

»Gut«, lobte Teibar, »gut.«

Die Maske schien sich mit Schwere zu füllen. Es war wie ein allmähliches Einschlafen, mit meinem ersten Atemzug schwand das Bewusstsein nicht auf einen Schlag. Es war anders. Es ging langsam und sanft vonstatten. Ich atmete tief und langsam regelmäßig ein und aus. Gleichzeitig war es aber auch erbarmungslos und unerbittlich.

»Gut.« lobte Teibar.

Hercon ließ meine Knöchel los. Ich bewegte träge meine Füße. Ich fühlte die Kette um meinen rechten Fuß und versuchte schwach, sie abzustreifen, aber das ging natürlich nicht. Es tat nur an meiner rechten Fußseite und der Innenseite meines linken Knöchels ein wenig weh. Ich konnte die Kette nicht entfernen. Sie war an mir solange, bis sie jemand, nicht ich, entfernen würde. Ich war angekettet, was immer das auch bedeutete.

»Atme tief«, redete Teibar auf mich ein, »gut, gut.«

Taurog gab meine Handgelenke frei. Er legte meine Hände neben mich. Ich konnte sie nicht einmal mehr anheben.

»Tiefer, tiefer.« sagte Teibar mir beruhigender Stimme.

Ich fühlte, wie ein Schlüssel in das Schloss meines Kragens gesteckt wurde. Dann wurde er abgenommen. Mir wurde schemenhaft bewusst, wie Taurog die Kette aufwickelte und in den Attaché-Koffer legte.

»Jetzt kannst du dagegen ankämpfen«, sagte Teibar, »du Schlampe.«

Aber ich konnte mich kaum bewegen. Ich konnte nicht einmal meine Arme heben. Ich konnte mit meinen Händen nicht an die Maske fassen, und selbst wenn ich es gekonnt hätte, wäre ich zu schwach gewesen, sie zu entfernen.

Mein Gesichtsfeld schien sich von außen zu verdunkeln. Es war heiß unter der Maske. Ich fühlte einen neuen Tropfen der Flüssigkeit.

»Jetzt gehörst du uns, ›moderne Frau‹.« sagte Teibar.

Ich hörte und verstand ihn kaum. Ich glaubte, in gewisser Hinsicht war ich eine »moderne Frau«. Ich erinnerte mich vage daran, dass Teibar früher gesagt hatte, das könne mir ausgetrieben werden. Ich zweifelte nicht mehr daran. Dann verlor ich das Bewusstsein.

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