Kapitel zehn

Wohin wolltet Ihr denn fliehen?«

»Wales.«

Das Mädchen saß auf einem Hocker in der Ecke von Adelias und Gylthas Zimmer. Sie hatte sich den Schleier vom Kopf gerissen, und ihr langes, weißblondes Haar fiel ihr übers Gesicht, während sie vor und zurück schwankte. Allie, die von den Äußerungsformen einer solchen Trauer ganz verstört war, hatte angefangen zu brüllen und wurde jetzt zur Beruhigung wieder in den Armen ihrer Mutter gewiegt. Wächter, der gleichfalls ein unerwartetes Mitgefühl zeigte, hatte den Kopf auf Emmas Stiefel gelegt.

Sie hatte im wahrsten Sinne des Wortes darum gekämpft, herkommen zu können. Nachdem sie endlich von dem Leichnam weggezogen worden war, hatte sie die Arme nach Adelia ausgestreckt. »Ich geh mit ihr, mit ihr. Sie versteht, sie weiß.«

»Auf jeden Fall mehr als ich«, hatte Master Bloat gesagt, und Adelia hätte fast Mitleid mit ihm haben können, doch dann hatte er versucht, seine Tochter wegzuschleppen, und ihr dabei eine Hand auf den Mund gelegt, damit ihre Schreie nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregten, als sie es ohnehin schon getan hatten. Emma war ihm ebenbürtig gewesen, hatte sich gewunden und kreischend gewehrt.

Schließlich hatte Schwester Jennet zur Nachsicht geraten. »Lasst sie vorläufig mit dieser Lady hier gehen. Sie hat einige medizinische Kenntnisse und kann sie vielleicht beruhigen.«

Es blieb ihnen nichts anderes übrig, aber die Blicke, die Master und Mistress Bloat ihr zuwarfen, als sie ihrer Tochter zum Gästehaus half, verrieten Adelia, dass sie ihrer immer länger werdenden Liste von Feinden zwei weitere hinzufügen konnte.

Sie konnte das Mädchen überreden, eine Tasse Frauenschuhaufguss zu trinken, der sie so weit beruhigte, dass sie Fragen beantwortete, obwohl Gyltha, die Emma den Nacken sanft mit Rosenöl einrieb, jedes Mal die Stirn runzelte, wenn Adelia eine neue Frage stellte.

Um Himmels willen, lass das arme Ding doch in Ruhe.

Ich kann nicht.

Ihr bricht das Herz.

Es wird wieder heilen. Talbots nicht.

Gyltha mochte ja auf der Seite der Trauernden sein, doch Adelia sah sich zuerst Talbot aus Kidlington verpflichtet, der Emma Bloat geliebt hatte und durch den Schnee zum Kloster geritten war, um sie abzuholen und zu heiraten. Ein Plan, dessen Umsetzung eine so große finanzielle Katastrophe für einen Dritten dargestellt hätte – Adelia dachte dabei an Lord Wolvercote –, dass er seine Ermordung angeordnet hatte.

Master Nagelschuh und Master Holzschuh hatten nicht in einer kalten Schneenacht an einer einsamen Brücke auf irgendeinen beliebigen Reisenden gelauert. Sie waren zweifellos gemeine Verbrecher, aber sie waren nicht völlig hirnlos. Sie wussten, weil es ihnen jemand erzählt hatte, dass zu einer bestimmten Stunde ein bestimmter Mann zum Klostertor reiten würde … Tötet ihn.

Sie hatten ihn getötet, und dann waren sie über die Brücke ins Dorf geflohen – um selbst getötet zu werden.

Von demselben Mann, der ihnen zuvor den Mordauftrag erteilt hatte?

O ja, Wolvercote war das zuzutrauen.

Aber vielleicht doch nicht ganz. Adelia rätselte noch immer, warum jemand unbedingt gewollt hatte, dass Talbots Leiche identifiziert wurde. Sie vermutete, falls Wolvercote doch dahintersteckte, wollte er, dass Emma so bald wie möglich vom Tod ihres Geliebten erfuhr, damit sie wusste, dass ihre Hand – und ihr Vermögen – wieder ihm gehörte.

Ja, aber das wäre auch passiert, wenn Talbot nicht wieder aufgetaucht wäre. Warum musste ihr die Leiche sofort gleichsam vor die Nase gelegt werden? Und warum unter Umständen, die den Verdacht so offenkundig auf Wolvercote lenkten?

Seht Ihr, was sie getan haben?

Wen meinte Emma mit »sie«?

Adelia setzte Allie auf den Boden, gab ihr den Beißring, den Mansur aus Knochen für das Kind geschnitzt hatte, und setzte sich neben Emma. Sie strich ihr das lange Haar zurück und formte über ihren Kopf hinweg lautlos mit den Lippen »Ich muss einfach« in Gylthas Richtung.

Das Mädchen war fast apathisch vor Schock. »Lasst mich hier bei Euch bleiben.« Das sagte sie wieder und wieder. »Ich will sie nicht sehen, keinen von ihnen. Ich kann nicht. Ihr habt einen Mann geliebt, Ihr habt sein Kind. Ihr versteht mich. Die nicht.«

»Klar kannst du bleiben«, beruhigte Gyltha sie.

»Mein Geliebter ist tot.«

Der meine auch, dachte Adelia. Die Trauer des Mädchens war ihre eigene. Sie zwang sie nieder. Ein Mord war geschehen, und der Tod war ihr Metier. »Ihr wolltet nach Wales?«, fragte sie. »Im Winter?«

»Wir mussten doch warten. Bis er einundzwanzig war. Um sein Erbe zu bekommen.« Sie sprach abgehackt mit geistesabwesender Teilnahmslosigkeit.

An Talbot aus Kidlington, mögen der Herr und seine Engel Euch an diesem Tage segnen, an dem Ihr in das Mannesalter eintretet.

Und an diesem Tag war Talbot aus Kidlington aufgebrochen, um Emma Bloat zu entführen, mit, wenn Adelia sich recht erinnerte, den zwei Mark in Silber, die Master Warins Brief beilagen.

»Sein Erbe waren zwei Mark in Silber?« Dann fiel ihr ein, dass Emma nichts von dem Geld wusste, da sie ja auch nichts von dem Brief wusste.

Das Mädchen nahm ihren Einwurf kaum wahr. »Das Land in Wales. Seine Mutter hat es ihm hinterlassen, Felin Fach …« Sie gab dem Namen einen weichen Klang, als hätte sie ihn oft ausgesprochen, eine Liebesgabe aus dem Mund ihres Geliebten. »›Felin Fach‹, hat er oft gesagt, ›das Tal des Aeron, wo die Lachse an die Angel springen und die Erde selbst Gold gebiert.‹«

»Gold?« Adelia sah Gyltha fragend an. »Gibt es Gold in Wales?«

Gyltha zuckte die Achseln.

»Es sollte ihm gehören, sobald er ins mündige Alter kam. Es war Teil seiner Erbschaft, versteht Ihr. Dort wollten wir hin. Pfarrer Gwilym wartete auf uns, um uns zu trauen. ›Ulkiger kleiner Mann, spricht kein Wort Englisch …‹« Sie zitierte erneut und lächelte fast dabei. »›… aber auf Walisisch kann er ein ebenso festes Eheband knüpfen wie jeder Priester im Vatikan.‹«

Es war unendlich traurig. Gyltha wischte sich über die Augen. Und auch Adelia empfand tiefes, tiefes Mitgefühl. Einen solchen Schmerz zu sehen war so, wie ihn selbst zu erleiden, aber sie musste ihre Antworten bekommen.

»Emma, wer wusste, dass ihr fliehen wolltet?«

»Niemand.« Jetzt lächelte sie tatsächlich. »›Kein Umhang, sonst merken sie was. Ich bringe einen für dich mit. Fitchet macht das Tor auf …‹«

»Fitchet?«

»Ja, natürlich wusste Fitchet über uns Bescheid. Talbot hat ihm Geld gegeben.«

Offenbar war der Torwärter in Emmas Wahrnehmung ein Niemand.

Das Gesicht des Mädchens verzog sich. »Aber er ist nicht gekommen. Ich hab im Torhaus gewartet … Ich hab gewartet … Ich dachte … Ich dachte … O Jesus Christus, erbarme dich, ich war böse auf ihn …« Sie begann, mit den Händen durch die Luft zu fahren. »Warum haben sie ihn getötet? Hätten sie ihm nicht einfach die Börse abnehmen können? Warum ihn töten?«

Wieder trafen sich Adelias und Gylthas Blicke. Gut so. Emma glaubte, ihr Geliebter wäre von Räubern getötet worden, und im Augenblick war es vermutlich am besten, sie in dem Glauben zu lassen. Es war sinnlos, sie gegen Wolvercote aufzubringen, ehe seine Schuld bewiesen war. Vielleicht war er ja sogar unschuldig. Falls er nichts von den Fluchtplänen gewusst hatte … Aber Fitchet war eingeweiht gewesen.

»Dann war es also ein Geheimnis?«

»Die kleine Priscilla wusste es, sie hat es erraten.« Wieder diese Verzauberung, als sie an die Vergangenheit dachte; die Heimlichkeiten waren aufregend gewesen. »Und Fitchet hat unsere Briefe rein- und rausgeschmuggelt. Und natürlich Master Warin, weil er den Brief nach Felin Fach senden musste, damit Talbot es in Besitz nehmen konnte, aber alle haben geschworen, nichts zu verraten.« Plötzlich packte sie Adelias Arm. »Fitchet. Er wird den Räubern doch nichts gesagt haben, oder? Das kann er nicht gemacht haben.«

Adelia beruhigte sie wider besseres Wissen. Die Anzahl der Niemande, die von ihrem Plan gewusst hatten, wuchs stetig. »Nein, nein. Bestimmt nicht. Wer ist Master Warin?«

»Haben sie ihm aufgelauert?« Sie grub die Nägel in Adelias Haut. »Wussten sie, dass er Geld bei sich hatte? Wussten sie es?«

Gyltha ging dazwischen. »Natürlich nich.« Sie zog Emmas Hand von Adelias Arm und umschloss sie mit beiden Händen. »Das war bloß Gesindel. Die Straßen sind heutzutage einfach nich sicher, für keinen.«

Emma blickte Adelia mit großen Augen an. »Hat er leiden müssen?«

Endlich wieder sicherer Boden. »Nein. Ein Armbrustbolzen traf ihn in die Brust. Er wird an Euch gedacht haben und dann … nichts.«

»Ja.« Das Mädchen sank zurück. »Ja.«

»Wer ist Master Warin?«, fragte Adelia erneut.

»Aber wie soll ich ohne ihn weiterleben?«

Wir tun es, dachte Adelia, wir müssen.

Allie hatte sich vorgerobbt, um Wächter zu vertreiben und ihr Hinterteil auf Emmas Stiefel zu platzieren. Sie legte ein rundliches Händchen auf das Knie des Mädchens. Emma starrte auf sie hinunter. »Kinder«, sagte sie. »Wir wollten viele Kinder haben.« Ihre Trostlosigkeit war so greifbar, dass der vom Feuerschein erhellte Raum zu einer kahlen winterlichen Ödnis wurde, die sich in alle Ewigkeit erstreckte.

Sie ist jung, dachte Adelia. Eines Tages wird der Frühling vielleicht zu ihr zurückkehren, doch nie mehr mit derselben Frische. »Wer ist Master Warin?«

Gyltha schnalzte missbilligend mit der Zunge. Das Mädchen begann zu zittern. Hör jetzt auf.

Ich kann nicht. »Emma, wer ist Master Warin?«

»Talbots Vetter. Sie standen sich sehr nahe.« Die armen Lippen dehnten sich erneut. »›Mein Immer-mit-der-Ruhe-Warin. Ein vorsichtiger Mann, Emma, noch nie hatte ein Mündel einen umsichtigeren Vormund.‹«

»Er war Talbots Vormund? Er hat seine geschäftlichen Angelegenheiten geregelt?«

»Oh, belästigt ihn jetzt nicht damit. Er wird so … Ich muss ihn sehen. Nein, ich kann nicht … Ich ertrage seine Trauer nicht … Ich ertrage nichts mehr.«

Emmas Lider senkten sich, erschöpft vom Schmerz.

Gyltha wickelte eine Decke um sie, führte sie zum Bett, setzte sie hin und hob ihre Beine darauf, so dass sie zurücksank. »Schlaf jetzt.« Sie kehrte zu Adelia zurück. »Und du kommst mit.«

Sie gingen in die hinterste Ecke des Raumes, um sich im Flüsterton zu unterhalten.

»Du denkst, Wolvercote hat den Burschen von diesem Mädchen umgebracht?«

»Möglich, obwohl mich inzwischen der Verdacht beschleicht, dass dieser Vetter-Vormund viel zu verlieren hatte, als Talbot sein Erbe antreten wollte. Wenn er alles für Talbot geregelt hat … Es sieht für mich mehr und mehr nach einer Verschwörung aus.«

»Für mich nich. Der Junge is schlicht und einfach ausgeraubt worden, und dabei haben sie ihn umgebracht.«

»So war es nicht. Die Räuber wussten, dass er kommt.«

»Nein, verdammt noch mal, wussten sie nich.«

»Wieso?« So hatte sie Gyltha noch nie erlebt.

»Weil die arme Kleine den alten Wolf jetzt heiraten muss, ob sie will oder nich, und dann is es besser, wenn sie nich denkt, dass er ihren Schatz umgebracht hat.«

»Unsinn, sie werden sie doch nicht zwingen, ihn …« Adelia musterte die ältere Frau aus zusammengekniffenen Augen. »Oder doch?«

Gyltha nickte. »Höchstwahrscheinlich. Die Bloats sind ganz wild drauf. Er ist ganz wild drauf. Deshalb wollte sie ja weglaufen, damit die sie nich zwingen können.«

Dergleichen kam vor. Weil Adelia selbst nicht davon betroffen gewesen war, hatte sie gar nicht daran gedacht. Ihre freigeistigen Zieheltern hatten ihr erlaubt, ihren Beruf zu erlernen und auszuüben, doch um sie herum wurden überall in Salerno junge Frauen aus gutem Hause gegen ihren Willen mit Männern vermählt, die ihre Väter für sie aussuchten, weil es nach Ansicht der Eltern dem Wohl der Familie diente. Denjenigen, die sich sträubten, blühten unaufhörliche Schläge. Oder die Straße. Oder ein Kloster.

»Nun, sie könnte sich entscheiden, Nonne zu werden.«

»Sie ist ihr einziges Kind«, sagte Gyltha. »Master Bloat will keine Nonne, er will eine Lady in der Familie – is besser fürs Geschäft.« Sie seufzte. »Meine Tante is Köchin bei den De Pringhams gewesen, und die haben ihre arme kleine Alys unter Heulen und Zähneknirschen mit Baron Coton verheiratet, diesem bösen alten Mistkerl.«

»Man muss doch ›ja‹ sagen, sonst ist es nach Ansicht der Kirche nicht rechtsgültig.«

»Pah. Die kleine Alys hat keiner ›ja‹ sagen hören.«

»Aber Wolvercote ist ein Tyrann und ein Idiot. Das weißt du.«

»Na und?«

Adelia starrte in Emmas Zukunft. »Sie könnte sich an die Königin wenden. Eleanor weiß, wie es ist, unglücklich verheiratet zu sein. Sie hat sich von Ludwig scheiden lassen.«

»O ja«, sagte Gyltha und schlug die Augen zur Decke. »Klar legt sich die Königin mit ’nem Burschen an, der ihre Schlacht für sie schlägt. Ganz bestimmt.« Sie tätschelte Adelias Schulter. »Es wird schon nich so schlimm werden für die kleine Emma …«

»Nicht so schlimm?«

»Sie wird Kinder kriegen, und das wollte sie doch, nich? Und überhaupt, ich schätze, sie muss sich nich lange mit ihm rumschlagen. Nich, wenn König Henry ihn zu fassen kriegt. Wolvercote is ein Verräter, und Henry wird ihm den Hals umdrehen.« Gyltha legte den Kopf schief und dachte noch mal darüber nach. »Eigentlich überhaupt nich schlimm.«

»Ich dachte, sie tut dir leid?«

»Tut sie auch, aber ich hab mir überlegt, was auf sie zukommt. Mit ein bisschen Glück is sie noch vor Jahresende Witwe, und dann hat sie sein Baby und seine Ländereien … ja, ich denke, am Ende wird’s noch wie im Märchen.«

»Gyltha.« Adelia wusste, dass Gyltha eine praktisch denkende Frau war, doch dieser Pragmatismus schreckte sie ab. »Das ist abscheulich.«

»Das is Geschäft«, sagte Gyltha. »Und genau das sind doch die Ehen von den Hochwohlgeborenen, oder?«

Jacques hatte an diesem Tag viel damit zu tun, den Frauen im Gästehaus Botschaften zu bringen. Die erste kam von der Priorin: »An Mistress Adelia, es grüßt Euch Schwester Havis und teilt Euch mit, dass das Mädchen Bertha auf dem Friedhof der Nonnen bestattet werden wird.«

»Ein christliches Begräbnis. Ich hab gedacht, das würd dich freuen«, sagte Gyltha, die Adelias Reaktion beobachtete. »Das wolltest du doch, oder?«

»Ja. Ich bin froh.« Die Priorin hatte ihre Ermittlung beendet, und es war ihr gelungen, die Äbtissin davon zu überzeugen, dass Bertha nicht durch eigene Hand gestorben war.

Aber Jacques war noch nicht fertig. Pflichtschuldig fügte er hinzu: »Und ich soll Euch ermahnen, Mistress, Ihr möget nicht vergessen, dass der Teufel durch die Abtei schleicht.«

Das war der Pferdefuß. Seit die Nonne eingeräumt hatte, dass ein Mörder in Godstow sein Unwesen trieb, war dessen Anwesenheit realer geworden und das Leben dunkler.

Später am Morgen tauchte der Bote erneut auf. »An Mistress Adelia, es grüßt Euch Mutter Edyve, und Ihr mögt Mistress Emma bitte zurück ins Kloster bringen. Um den Frieden zu wahren, sagt sie.«

»Wessen Frieden denn?«, wollte Gyltha wissen. »Wahrscheinlich haben sich die Bloats beschwert.«

»Und Lord Wolvercote auch«, sagte Jacques. Er verzog das Gesicht, kniff die Augen zusammen und bleckte die Zähne, als sträube sich alles in ihm, noch eine weitere schlechte Nachricht zu überbringen. »Er sagt … also, er sagt …«

»Was denn?«

Der Bote atmete geräuschvoll aus. »Es wird gesagt, Mistress Emma ist von Mistress Adelia verzaubert worden, damit sie sich gegen ihren rechtmäßigen zukünftigen Mann wendet.«

Gyltha trat vor: »Du kannst diesem gottlosen arschgesichtigen Schweinehund von mir bestellen …«

Eine Hand auf der Schulter gebot ihr Einhalt. Emma zog sich bereits ihren Mantel an. »Es hat schon genug Ärger gegeben«, sagte sie.

Und noch ehe sie reagieren konnten, war Emma schon die Treppe hinunter verschwunden.

Die verschiedenen Gruppen, die hinter den Mauern der Abtei festsaßen, verhärteten sich wie gefrorenes Gras. Über Godstow senkte sich eine Dunkelheit, die nichts mit dem dämmrigen Winterlicht zu tun hatte.

Als Protest gegen die Besatzung verschwanden die Nonnen in ihrem Bezirk, nahmen ihre Mahlzeiten in der Küche des Hospitals ein und absolvierten ihre Gebete im Kloster.

Die Anwesenheit von zwei verschiedenen Söldnertruppen erwies sich als immer schwieriger. Schwyz’ Leute waren erfahrener, hatten in ganz Europa gemeinsam gekämpft und hielten fest zusammen. Sie verachteten Wolvercotes Männer als bloße Bauernlümmel, die für die Rebellion angeworben worden waren – und auf viele von ihnen traf das tatsächlich zu.

Aber Wolvercotes Männer hatten bessere Kleidung, bessere Waffen und einen Anführer, der das Sagen hatte – und überhaupt, sie waren bei weitem in der Überzahl. Sie beugten sich niemandem.

Schwyz’ Männer begannen, in der Schmiede Schnaps zu brennen, und betranken sich, Wolvercotes Männer plünderten den Klosterkeller und betranken sich. Hinterher kam es unweigerlich zu Schlägereien zwischen ihnen.

Die Nächte wurden grauenhaft. Godstows Bewohner und Gäste verschanzten sich in ihren Räumen, horchten auf die Kämpfe in den Gassen, fürchteten, ihre Türen könnten eingetreten werden und berauschte Söldner hereinstürmen, um zu rauben oder zu vergewaltigen.

Um Besitz und Frauen zu beschützen, stellte das Kloster eine Art Bürgerwehr auf. Auch Mansur, Walt, Oswald und Jacques beteiligten sich als pflichtgetreue Männer an den Patrouillen, was lediglich zur Folge hatte, dass nun drei gegnerische Seiten nächtliche Kämpfe ausfochten.

Ein Versuch von Klosterkaplan Egbert, die von den Nonnen verlassene Gemeinde geistlich zu betreuen, endete damit, dass Schwyz während der abendlichen Sonntagskommunion Wolvercote anschnauzte: »Wollt Ihr Eure Männer nun zügeln, oder soll ich das für Euch übernehmen?«, woraufhin zwischen ihren Anhängern ein Kampf ausbrach, der sich sogar bis in die Marienkapelle ausbreitete und bei dem ein paar Lampen, ein Chorpult und etliche Köpfe Schaden nahmen. Einer von Wolvercotes Männern verlor ein Auge.

Es war, als wäre die Welt eingefroren und hätte aufgehört, sich zu drehen, so dass kein anderes Wetter das leidende Oxfordshire erreichen konnte als immer nur eine strahlende Sonne bei Tag und ein sternenübersäter Himmel bei Nacht, wobei weder das eine noch das andere Erlösung von der Kälte brachte.

Jeden Morgen stieß Adelia kurz die Fensterläden auf, um frische Luft hereinzulassen, und hielt Ausschau nach … was? Henry Plantagenet und seinem Heer? Rowley?

Aber Rowley war tot.

Es hatte erneut geschneit; die Seitenwände des Pfades, den man hinunter zur Themse gegraben hatte, stürzten unter der Schneelast ein. Es war unmöglich, den Fluss vom Land zu unterscheiden. Da draußen war kein menschliches Leben und kaum tierisches.

Ein Gewirr von Spuren, wie gestickt, zeugte davon, dass Vögel im Morgengrauen, von Durst gepeinigt, herumgetrippelt waren und die Schnäbel mit Schnee gefüllt hatten, doch wo waren sie? Vielleicht suchten sie Schutz in den Bäumen, die wie eiserne Wächter auf der anderen Seite des Flusses standen. Konnten sie der brutalen Witterung widerstehen? Wo waren die Rehe? Schwammen noch Fische unter dem Eis?

Eine einsame Krähe flatterte am blauen Himmel, und Adelia fragte sich, ob sie von oben eine tote unberührte Welt sah, in der Godstow der einzige noch lebende Kreis war. Während sie den Vogel beobachtete, zog er seine Flügel ein und stürzte zur Erde, ein kleines, zerzaustes schwarzes Opfer in all dem Weiß.

Als wären die Nächte nicht schon schlimm genug, wurden die Tage in Godstow von dem schauerlichen Geräusch der Spitzhacken untermalt, die Gräber in die gefrorene Erde brachen, während die Kirchenglocke für die Toten schlug und schlug, als hätte sie die Fähigkeit verloren, für irgendetwas anderes zu läuten.

Adelia blieb so viel wie möglich im Gästehaus. Wenn sie mal hinausging, jagten ihr die Blicke der Menschen, die ihr entgegenkamen, ebenso Angst ein wie die Tatsache, dass sie sich immer öfter bekreuzigten und das Zeichen des bösen Blicks machten, wenn sie an ihr vorbeigingen. Aber es gab einige Beerdigungen, an denen sie teilnehmen musste.

Zum Beispiel die von Talbot aus Kidlington. Selbst die Nonnen kamen. Ein kleiner Mann ganz vorne in der Trauergemeinde, in dem Adelia den Vetter Master Warin vermutete, weinte ohne Unterlass, doch von ihrem Platz im hinteren Teil aus hielt sie den Blick auf Emma gerichtet, die bleich und trockenen Auges im Chor saß, während die kleine Schwester Priscilla fest ihre Hand hielt.

Eine Beerdigung für Bertha. Sie fand nachts in der Abgeschiedenheit der Kapelle der Nonnen statt. Anwesend waren das gesamte Klosterkapitel, eine Melkerin sowie Jacques und Adelia, die Berthas Hände um eine zerrissene Kette und ein silbernes Kreuz gefaltet hatte, ehe der schlichte Kiefernsarg auf dem Friedhof der Nonnen in die Erde gesenkt wurde.

Eine Beerdigung für Giorgio, den Sizilianer. Diesmal waren keine Nonnen dabei, aber fast alle von Schwyz’ Söldnern und Schwyz selbst. Wie schon bei Talbots Beerdigung kamen auch Mansur, Walt und Jacques. Und Adelia. Sie hatte einer zunächst widerstrebenden Schwester Havis abringen können, Giorgio als Christen zu behandeln, weil sie außer seinem Beruf nichts Schlechtes über ihn wussten. Es war ihr zu verdanken, dass der Sizilianer mit dem Segen der heiligen Agatha in ein kaltes christliches Grab gesenkt wurde.

Von seinem Freund Cross kam kein Wort des Dankes. Nach der Beerdigung verließ er schweigend den Friedhof, aber drei Tage später lagen drei Paar schön gefertigter Schlittknochen mit Riemen und allem Drum und Dran vor Adelias Tür.

Eine Beerdigung für zwei Dorfbewohner aus Wolvercote, die an Lungenentzündung gestorben waren. Schwester Jennet und ihre Pflegerinnen nahmen dran teil, nicht jedoch Lord Wolvercote.

Eine Beerdigung für die Gehenkten. Außer dem Priester war sonst niemand dabei, obwohl auch diese beiden Leichen auf dem Friedhof bestattet wurden.

Nachdem er seine Pflicht getan hatte, schloss Kaplan Egbert die Kirche ab und zog sich ebenso wie die Nonnen in die Abgeschiedenheit zurück. Er würde keine Gottesdienste mehr abhalten, sagte er, wenn damit zu rechnen war, dass sich irgendwelche Söldner unter den Gläubigen befanden. Die Gnadenzeit vor dem Fest von Christi Geburt dürfte nicht durch einen Haufen zerstrittener Heiden entweiht werden, die die Friedenstaube nicht mal erkennen würden, wenn sie ihnen auf den Kopf kacken würde. Was sie doch bitte tun möge.

Es war ein Urteil, das die ganze Gemeinde traf. Kein Weihnachten?

Ein Schrei stieg auf, am lautesten von den Bloats. Sie waren gekommen, um zu erleben, wie ihre Tochter am Julfest heiratete. Und ihre Tochter sagte jetzt unter dem unheilvollen Einfluss einer Frau von loser Moral, sie wolle überhaupt nicht heiraten. Dafür hatten sie ihren Zehnten nicht bezahlt.

Eine Stimme aber erhob sich noch über die der Bloats. Und mit größerer Wirkung. Schwester Bullard, die Cellerarin, war wirtschaftlich gesehen die wichtigste Person in der Abtei, und sie sah sich am ärgsten geprüft. Denn selbst die neue Bürgerwehr des Klosters konnte nicht verhindern, dass des Nachts aus dem großen Vorratskeller Ale- und Weinfässer sowie Lebensmittel geplündert wurden.

Voller Sorge, dass ganz Godstow bald Hunger leiden müsste, wandte sie sich an die einzige irdische Macht, die ihr noch blieb – an die Königin von England.

Eleanor war in ihren Gemächern geblieben und hatte sich um nichts anderes gekümmert als um ihr eigenes Amüsement. Da sie den Rest der Abtei langweilig fand, waren ihr deren Sorgen gleichgültig. Doch sie saß nun mal auf der Insel Godstow fest, solange der Schnee die Weiterreise verhinderte, und so musste sie sich von Schwester Bullard anhören, dass Zwietracht und Hunger drohten.

Die Königin erwachte.

Lord Wolvercote und Master Schwyz wurden zu ihr ins Haus der Äbtissin bestellt, wo sie ihnen erklärte, dass sie nur unter ihrer königlichen Fahne Verbündete gewinnen würden und dass sie nicht beabsichtige, so ein Gesindel anzuführen, wie es die beiden samt ihren Männern offenbar zunehmend darstellten.

Regeln wurden festgelegt. Es würden wieder Gottesdienste stattfinden, an denen nur Nüchterne teilnehmen durften. Ab sofort würden Wolvercotes Männer nachts die Brücke überqueren und im Herrenhaus ihres Lords im Dorf schlafen. Nur sechs von ihnen sollten zurückbleiben, um gemeinsam mit Schwyz’ Männern dafür zu sorgen, dass die Ausgangssperre eingehalten wurde.

Keine weiteren Plünderungen des Vorratskellers, von niemandem – jeder Söldner, der dabei oder bei einer Prügelei erwischt wurde, sollte öffentlich ausgepeitscht werden.

Bei dem Gespräch hätte eigentlich Lord Wolvercote besser abschneiden müssen als sein Widersacher. Schließlich wurde Schwyz für seine Dienste bezahlt, während Wolvercote die seinen ohne Entlohnung leistete. Doch der Abt von Eynsham war ebenfalls anwesend, und er war nicht nur mit Schwyz befreundet, sondern besaß außerdem Intelligenz und Überzeugungskraft.

Diejenigen, die Lord Wolvercote sahen, als er das Zimmer der Königin verließ, bemerkten, dass er förmlich die Zähne fletschte. »Weil er jetzt nich mal die junge Emma kriegt«, berichtete Gyltha. »Jedenfalls noch nich.«

»Bist du sicher?«

»Ganz sicher«, sagte Gyltha. »Das Mädchen hat sich an Mutter Edyve gewandt, und die hat um Eleanors Schutz gebeten. Worauf die Königin gesagt hat, der alte Wolf soll warten.«

Wieder einmal hatte sie das in der Klosterküche erfahren, wo Polly, eine Freundin von Gyltha, den königlichen Dienern geholfen hatte, bei dem Gespräch zwischen Königin und Söldnerführern Erfrischungen zu servieren, und dabei hatte Polly unter anderem aufgeschnappt, dass die Königin der Bitte von Mutter Edyve entsprochen hatte, Emmas Vermählung mit Wolvercote auf unbestimmte Zeit zu verschieben. »… bis die junge Frau sich von dem Kummer erholt hat, der ihren Geist derzeit heimsucht.«

Polly berichtete, dass »Seine Wölfische Lordschaft nicht gerade erfreut war«.

Adelia dachte erleichtert, dass es den Bloats ähnlich ergehen würde. Doch mittlerweile wussten alle, welcher Kummer Emmas Geist heimgesucht hatte, und laut Gyltha herrschte allgemeines Mitgefühl für sie, was wiederum zu großen Teilen aus der gleichfalls allgemeinen Abneigung gegen Wolvercote erwuchs.

Es gab noch mehr gute Nachrichten aus der Küche. Nachdem die Ordnung wiederhergestellt war, hatte Eleanor offenbar verkündet, dass die Kirche wieder geöffnet und Gottesdienste gefeiert werden sollten und dass Weihnachten mit einem Fest begangen werden würde.

»Und zwar ein schönes altes englisches Fest«, sagte Gyltha mit einem heidnischen Glimmen in den Augen. »Lieder, Festschmaus, Mummenschanz, Weihnachtsklotz, alles, was dazugehört. Die sind schon dabei, die Gänse zu schlachten …«

Es war typisch für Eleanor, dachte Adelia, dass sie die Nahrungsvorräte des Klosters erst rettete und dann selbst in Gefahr brachte. Die ganze Gemeinde zu bewirten würde ein gewaltiges und teures Unterfangen werden. Andererseits waren die Anweisungen der Königin notwendig und umsichtig gewesen und würden hoffentlich eine Lage entschärfen, die unerträglich geworden war. Und wenn ein Fest Freude nach Godstow bringen konnte – bei Gott, die konnten sie alle gebrauchen.

Das Wiedererwachen von Eleanors Energie hatte eine Einladung zur Folge, die Jacques überbrachte: »Unsere huldvolle Lady, Königin Eleanor, wünscht Mistress Adelia zu sehen.«

»Bist du jetz der ihr Laufbursche?«, fragte Gyltha an der Tür. Der Bote hatte irgendwo buntere Kleidung aufgetrieben, gelocktes Haar verbarg seine Ohren, und sein Parfüm drang quer durch den Raum bis zu Adelia.

Er hatte auch eine neue Würde gefunden. »Mistress, ich schätze mich glücklich. Und jetzt muss ich zu Master Mansur. Auch er ist zu ihr bestellt worden.«

Gyltha sah ihm nach. »Der äfft ihre Höflinge nach«, sagte sie abschätzig. »Unser Rowley tritt ihn in den Hintern, wenn er zurückkommt.«

»Rowley kommt nicht zurück«, sagte Adelia.

Als Mansur das königliche Gemach betrat, murmelte einer der Höflinge hörbar: »Jetzt empfangen wir schon Heiden.« Und als Adelia ihm mit Wächter auf den Fersen folgte: »Großer Gott, seht euch die Kappe an. Und den Hund, ach du meine Güte …«

Eleanor jedoch war die Freundlichkeit in Person. Sie kam angerauscht und bot den Gästen ihre Hand zum Kuss. »Master Mansur, Wir sind entzückt, Euch zu sehen.« An Adelia gerichtet: »Mein liebes Kind, Wir waren nachlässig. Natürlich waren Wir mit Staatsangelegenheiten beschäftigt, aber dennoch, ich fürchte, Wir haben jemanden vernachlässigt, mit dem Wir gegen die Teufelsbrut gekämpft haben.«

Der langgestreckte obere Raum hatte der Äbtissin gehört, doch jetzt hatte ihn unverkennbar Eleanor in Beschlag genommen. Mutter Edyve hätte ihn gewiss nicht mit dem schweren Aroma des heidnischen Ostens durchtränkt oder ihn mit so buntem Zierrat gefüllt – Tücher, Kissen, ein herrlich herbstliches Triptychon –, wodurch die naiven biblischen Zeichnungen an den Wänden dahinter nahezu verschwanden. Mutter Edyve hatte nie an einem goldenen Betpult gekniet, auf ihren Bettpfosten hatten sich keine geschnitzten Löwen getummelt, vom Baldachin des Himmelbetts hatte sich kein hauchdünner Stoff federleicht wie Spinnweben über ihre Kopfkissen ergossen, keine Höflinge hatten sie wie bewundernde Statuen umstanden, kein schöner Minnesänger hatte die Luft ihres Raumes mit einem Liebeslied erfüllt.

Und doch, dachte Adelia, während sie sich noch immer über das Bett wunderte – wie hatte sie das Ding auf die Barkasse bekommen? –, war die Wirkung nicht sexuell. Sinnlich, gewiss, aber es war nicht der Raum einer Haremsdame, es war lediglich … Eleanor.

Auf jeden Fall hatte er Jacques in seinen Bann gezogen. Der Bote stand lässig in einer Ecke, verbeugte sich in Adelias Richtung, strahlte sie an und winkte neckisch. Hier war er also, und die Freude, die von ihm ausging, seine inzwischen noch höheren Stiefel und die neue Frisur, die seine abstehenden Ohren kaschierte, ließen darauf schließen, dass er ins aquitanische Modeparadies eingegangen war.

Die Königin belagerte Mansur mit getrockneten Datteln und Süßigkeiten aus Mandelcreme. »Wir, die wir in Outremer waren, wissen sehr wohl, dass Wir Euch keinen Wein anbieten können, Mylord, aber …«, elegante königliche Finger schnippten einem Pagen, »… Unser Koch zaubert ein ganz leidliches Sorbet.«

Mansurs Gesicht zeigte keine Regung.

»Oje«, sagte Eleanor, »versteht der Doktor mich etwa nicht?«

»Ich fürchte, nein, Lady«, sagte Adelia. »Ich übersetze für ihn.« Mansur beherrschte das normannische Französisch, das hier gesprochen wurde, recht gut, doch der Anschein, dass er nur Arabisch sprach, hatte sich für sie beide als durchaus nützlich erwiesen und würde es wahrscheinlich wieder tun. Es war erstaunlich, was er alles erfuhr, wenn er unter Menschen war, die glaubten, er könne sie nicht verstehen. Und falls Berthas Mörder sich irgendwo in dieser Gesellschaft befand …

Was konnte man von ihm wollen? Er wurde fast ehrfürchtig behandelt, und doch war die Königin auf einem Kreuzzug gewesen, um seine Rasse zu besiegen.

Aha, Eleanor bat sie, Mansur ein Lob für seine medizinischen Fähigkeiten auszusprechen. Immerhin hatte er »einem der Söldner unseres guten Schwyz« das Leben gerettet, und Schwester Jennet hatte ihn über alle Maßen gerühmt.

Das war es also. Ein guter Arzt war immer gern gesehen. Die christliche Verachtung für Araber und Juden bezog sich nicht auf ihre Ärzte, die aufgrund ihrer Heilungserfolge bei ihresgleichen – was, wie Adelia glaubte, zum Teil auch auf die strengen Speisevorschriften ihrer jeweiligen Religion zurückzuführen war – hohes Ansehen genossen.

Dann war sie selbst also lediglich als Vermittlerin hier.

Aber nein, allem Anschein nach sollte sie als Zeugin für Eleanors Mut herhalten; die Geschichte wurde einfach umgedichtet.

Die Königin legte ihr eine Hand auf die Schulter, schob sie im Kreis herum und erzählte, was im obersten Zimmer von Wormhold Tower geschehen war, als in Gegenwart einer verwesenden Leiche ein schwertschwingender Dämon erschienen war.

Allem Anschein nach hatte Eleanor ihm seelenruhig eine erhobene Hand entgegengestreckt. »Du bist ein Plantagenet-Unhold, denn diese Sippe stammt von Dämonen ab. Im Namen unseres Erlösers: Kehre zurück zu deinem Herrn.«

Und siehe, der Unhold hatte sein Schwert fallen lassen und war dorthin zurückgekrochen, wo er hergekommen war.

Was hab ich denn eigentlich gemacht?, dachte Adelia.

»… und dann nahm diese kleine Frau hier, meine Mistress Adelia, das Schwert, das der Unhold verloren hatte, in beide Hände, obwohl es noch sehr heiß war und nach Schwefel stank, und warf es aus dem Fenster.«

Schön, dass ich behilflich sein konnte. Adelia überlegte, ob die Königin diesen Unsinn nun selbst glaubte oder nicht, und entschied, dass sie es nicht tat. Vielleicht hatte Dakers’ Angriff sie derart verstört und beschämt, dass sie ihre eigene Rolle nun beschönigen musste. Oder vielleicht amüsierte sie sich nur. Sie langweilte sich, all diese Leute langweilten sich.

Die Höflinge, die während der ganzen Schilderung Oooohs und Aaaahs ausgestoßen hatten, applaudierten nur – außer Montignard, der Adelia einen gehässigen Blick zuwarf und rief: »Aber ich war es, der Euch danach versorgt hat, nicht wahr, Lady?« Als er jedoch aufzählen wollte, was er alles getan hatte, wurde das von einem betont langsamen Händeklatschen des Abtes von Eynsham übertönt, der lässig an einem Bettpfosten lehnte.

Eleanor fuhr ihn an: »Unsere Nachlässigkeit ist in Wahrheit Eure, Mylord. Wir hatten Euch doch beauftragt, Euch um unsere tapfere Mistress Adelia zu kümmern, oder etwa nicht?«

Der Abt musterte Adelia von den Spitzen ihrer schneenassen Stiefel bis zu der unschönen Kappe mit Ohrenklappen auf dem Kopf und wieder hinunter, so dass sich ihre Blicke trafen. »Lady, ich dachte, das hätte ich getan«, sagte er.

Die Königin redete noch immer. Adelia war so erschrocken, dass sie gar nicht mehr hinhörte. Der Mann wünschte ihr Übel und hatte versucht, es herbeizuführen. Zugleich jedoch empfand sie seinen Blick wie den eines alten Kämpfers, der einen anderen grüßt. Aus bislang unerfindlichen Gründen nahm der ehrwürdige Abt von Eynsham sie ernst, sie, Vesuvia Adelia Rachel Ortese Aguilar, die hier doch eigentlich nur als Buhlin des Bischofs von St. Albans und als nützliche Schwertaufheberin bekannt war. Das hatte er ihr gerade gezeigt.

Die Hände der Königin waren fragend geöffnet, und sie lächelte. Die Höflinge lachten. Einer von ihnen sagte: »Das arme Ding ist sprachlos vor Ehrfurcht.«

Adelia blinzelte. »Verzeihung, Lady.«

»Meine Gute, ich sagte gerade, dass Ihr zu uns ins Haus ziehen müsst. Wir können unsere kleine Helferin doch nicht in einem von diesen Löchern wohnen lassen, die die Abtei zu bieten hat. Ihr werdet zu meinen Zofen ziehen, die haben bestimmt noch Platz, und Ihr werdet an unserem Zeitvertreib teilhaben. Da draußen langweilt Ihr Euch doch sicherlich furchtbar.«

Du langweilst dich, dachte Adelia erneut. Wahrscheinlich hatte Eleanor insgeheim doch das Gefühl, in ihrer Schuld zu stehen, weil sie ihr das Leben gerettet hatte, aber vor allem brauchte sie ein neues Spielzeug. Ennui war allenthalben spürbar: in dem schrillen Tuscheln der Frauenstimmen im Nebenzimmer, wo die Zofen sich aufhielten. In dem abfälligen Gelächter, das ihr galt, in dem Gefühl, dass ihnen die Zielscheiben für ihre spöttischen Bemerkungen ausgegangen waren und sie eine neue brauchten.

Schließlich waren die Königin und ihr Hof daran gewöhnt, eine Burg hinter sich zu lassen, sobald sie anfing zu stinken, und weiter zur nächsten zu ziehen, um zu jagen, sich zu unterhalten und unterhalten zu lassen und um von einem ganzen Heer von Köchen, Tuchwalkern, Wäscherinnen und Dienern umhegt zu werden. Ein Großteil dieses Heeres war bei Eleanors Aufbruch in den Krieg zurückgelassen worden, und ein weiterer Teil war später im Schnee verlorengegangen. Ohne ihre dienstbaren Geister begann ihr Hofstaat zu gären.

Einer der Höflinge hielt sich demonstrativ über Wächter die Nase zu, obwohl der junge Mann selbst kaum besser roch, von seiner Kleidung ganz zu schweigen.

Zu ihnen ziehen? Herr, steh mir bei. Sie würde die Einladung in eine überfüllte Hölle nicht annehmen, selbst wenn sie von einer Königin ausgesprochen wurde.

Andererseits, wenn einer von ihnen Berthas Mörder war, wie sollte sie ihm dann besser auf die Schliche kommen als dadurch, dass sie Fragen stellte und hoffentlich auch Antworten erhielt. Bei ihnen einziehen? Nein, aber wenn sie tagsüber Zugang zu den königlichen Räumen hätte …

Adelia verbeugte sich. »Lady, Ihr seid die Güte in Person. Solange mein Säugling Eure Nachtruhe nicht stört …«

»Ein Kind?« Die Königin merkte auf. »Wieso habt Ihr mir das nicht gesagt? Ein kleiner Junge?«

»Ein Mädchen«, antwortete Adelia. »Sie zahnt gerade und ist daher unruhig …«

Montignard schrie leise auf. »Sie zahnt?«

»Das ist gleichbedeutend mit ›sie brüllt‹, glaube ich«, sagte Eynsham.

»Die beiden Lords mögen keine Kinder«, sagte Eleanor vertraulich zu Adelia.

»O doch, liebste Lady«, entgegnete der Abt. »Und wie. Knusprig gebraten mit ein wenig Petersilie finde ich sie ganz köstlich.«

Adelia ließ sich nicht beirren. »Außerdem muss ich unserem Master Mansur hier assistieren, wenn er nachts ins Hospital gerufen wird, was häufig vorkommt. Ich kümmere mich um seine Arzneien.«

»Was wiederum gleichbedeutend ist mit Gestank und klappernden Töpfen«, sagte der Abt.

Montignard faltete flehend die Hände. »Lady, Ihr werdet kein Auge zutun. Nicht genug damit, dass die Glocke zu jeder Stunde schlägt und die Schwestern ständig singen, dann hätten wir es auch noch mit Kindergeschrei und Gott weiß was für Teufelskram zu tun … Das wird Euch alle Kraft rauben.«

Gott segne ihn, dachte Adelia.

Eleanor lächelte. »Was seid Ihr doch für ein Hedonist, mein Lieber.« Sie dachte nach. »Es stimmt, ich brauche meinen Schlaf, aber mir liegt daran, die Gute zu belohnen.«

»Ach, lasst sie kommen und gehen«, sagte Eynsham verdrossen, »aber bitte nicht in dieser Kleidung.«

»Natürlich, natürlich. Wir werden sie neu einkleiden.«

Das war etwas Neues, ein Zeitvertreib.

Es war außerdem Adelias Passierschein – obwohl sie dafür zahlen musste. Sie wurde in das Zimmer der Frauen geschleppt, dessen Tür ein wenig offen blieb, so dass immer mal wieder Männerköpfe hereinspähen und mit einem aufgeregten Chor von Kommentaren begrüßt werden konnten. Das steigerte die Demütigung nur noch, bis aufs Hemd ausgezogen zu werden, während Stoffe an ihren Körper und den seiner Kappe beraubten Kopf gehalten wurden, um dann als zu sehr dieses oder zu sehr jenes befunden zu werden – doch nicht mauve, meine Liebe, nicht bei dem Teint – wie bei einer Leiche. Wo um alles in der Welt hatte sie dieses feine weiße Linnen für ihr Hemd gefunden? War sie mit ihrer hellen Haut etwa Angelsächsin? Nein, nein, die hatten blaue Augen; wahrscheinlich Wendin.

Sie wurde nicht mal gefragt, ob sie überhaupt ein neues Gewand wollte. Sie wollte keins; sie kleidete sich, um unsichtbar zu werden. Adelia war eine Beobachterin. Wirkung wollte sie höchstens bei ihren Patienten erzielen, und dann auch nicht als Frau. Nun ja … auf Rowley hatte sie wirken wollen, und es war ihr auch gelungen, aber da war sie gänzlich unbekleidet gewesen …

Auch die armen Näherinnen unter den Zofen der Königin wurden nicht konsultiert, obwohl es eine mühsame Arbeit werden würde, den Stoff, für den man sich dann letztlich entschied, in einen Bliaut für sie zu verwandeln, oben anliegend, weit ausgestellter Rock, Ärmel bis zum Ellbogen eng, dann lose fast bis zum Boden hängend, vor allem, da Eleanor auch noch eine Filigranstickerei an Halsausschnitt und Ärmeln verlangte und das Ganze bis zum Weihnachtsfest fertig sein sollte.

Adelia war fassungslos, dass man sogar Näherinnen mit auf den Kriegszug genommen hatte, samt Truhen voller buntschillernder Brokatbahnen, Seidenballen, Leinen und Samt.

Schließlich entschied sich Eleanor für einen tief dunkelblauen Samtstoff, der, wie sie sagte, »den Glanz der Trauben Aquitaniens« hatte.

Wenn die Königin etwas tat, dann auch richtig. Ein hauchdünner Schleier – sie selbst machte vor, wie er an der Barbette, der Kinnbinde, befestigt wurde –, ein schmaler Goldreif, ein kunstvoll gewebter Gürtel, bestickte Schuhe, ein Kapuzenumhang aus so feiner Wolle, dass er durch einen Ring gezogen werden konnte, all das sollte Adelia gehören.

»Ihr habt es Euch verdient, meine Liebe«, sagte Eleanor und tätschelte ihr den Kopf. »Es war ein sehr böser Dämon.« Sie drehte sich zu Eynsham um. »Wir sind doch jetzt vor ihm sicher, nicht wahr, Abt? Ihr sagtet ja, Ihr habt ihn unschädlich gemacht, hab ich recht?«

Dakers. Was haben sie mit Dakers gemacht?

»Ich konnte die Kreatur ja schlecht umherlaufen und die Dame meines Herzens erneut angreifen lassen.« Der Abt gab sich vergnügt. »Ich hab sie versteckt zwischen den Klosterbüchern gefunden. Ich glaube kaum, dass sie lesen kann, und am liebsten hätte ich sie gleich dort aufgehängt. Aber unsere frommen Schwestern haben ein großes Geschrei veranstaltet, also musste ich sie, pendent opera interrupta, stattdessen ins Klostergefängnis sperren. Wir werden sie bei unserem Aufbruch mitnehmen und dann aufhängen …« Er zwinkerte. »Vorausgesetzt, sie ist bis dahin nicht erfroren.«

Das erntete anerkennendes Gelächter, in das Eleanor mit einfiel, obwohl sie widersprach. »Nein, nein, Mylord, das Weib ist besessen, wir können keine Wahnsinnige hinrichten.«

»Besessen vom Bösen ihrer Herrin. Sie wäre besser tot, Lady, besser tot. Wie Rosamund.«

Es wurde eine lange Nacht. Niemand durfte sich zurückziehen, ehe die Königin die Erlaubnis erteilte, und Eleanor schien einfach nicht zu ermüden. Es gab Gesellschaftsspiele, Brettspiele wie »Fuchs im Hühnerhof« oder Alquerque, und es wurde gewürfelt. Reihum musste jeder seine Sangeskunst zum Besten geben, sogar Adelia, die keine nennenswerte Stimme hatte und nur Gelächter erntete.

Als Mansur an die Reihe kam, war Eleanor hingerissen und neugierig. »Wunderbar, wunderbar, ist er ein Kastrat?«

Adelia, die auf einem Hocker zu Füßen der Königin saß, bejahte.

»Wie faszinierend. In Outremer hab ich Kastraten singen gehört, aber noch nie in England. Sie können einer Frau Lust bereiten, glaube ich, müssen aber kinderlos bleiben, richtig?«

»Das weiß ich nicht, Lady.« Es war richtig, doch Adelia war nicht gewillt, in dieser Gesellschaft darüber zu sprechen.

Es wurde heiß im Raum. Noch mehr Spiele, noch mehr Gesang. Adelia begann einzunicken, wurde aber immer wieder durch einen kalten Luftzug von der Tür her geweckt, wenn Leute kamen und gingen.

Jacques war fort – nein, er brachte gerade Essen aus der Küche herein. Montignard war fort und Mansur, nein, da waren sie wieder, wo auch immer sie gewesen sein mochten. Der Abt war fort und kam mit einer Schnur zurück, weil Eleanor unversehens Lust auf ein Fadenspiel bekommen hatte. Da war er wieder, diesmal mit Mansur, ein Tisch zwischen ihnen, die Köpfe über ein Schachbrett geneigt. Ein Höfling kam mit einem Armvoll Schnee herein, um den Wein zu kühlen … Ein anderer junger Mann, derjenige, der die Nonnen mit Schneebällen beworfen hatte, sang zur Laute …

Adelia zwang sich auf die Beine. Sie ging zu dem Schachtisch hinüber und warf einen Blick auf das Brett.

»Du verlierst«, sagte sie auf Arabisch.

Mansur blickte nicht auf. »Er ist der bessere Spieler, möge Allah ihn verfluchen.«

»Sprich noch ein wenig.«

Er schnaubte. »Was soll ich denn sagen? Ich bin diese Leute satt. Wann gehen wir endlich?«

Adelia wandte sich an Eynsham. »Mylord Mansur bittet Euch, ihm zu sagen, was Ihr über den Tod dieser Rosamund Clifford wisst, Mylord.«

Der Abt hob den Kopf, um sie anzusehen, und wieder spürte sie diese durchdringende Verbindung zwischen ihnen. »Ach ja? Wahrhaftig? Und wieso sollte Mylord Mansur solcherlei Erkundigungen einziehen?«

»Er ist Arzt, er interessiert sich für Gift.«

Eleanor hatte Rosamunds Namen gehört. Sie rief quer durch den Raum: »Wie bitte? Wovon sprecht Ihr?«

Sofort wurde der Abt ein anderer Mensch, rustikal und lustig. »Unser wackerer Arzt möchte mehr über den Tod der Hure Rosamund wissen. Ich war doch bei Euch, als wir davon erfuhren, nicht wahr, meine Werteste? War das nicht, als wir gerade aus der Normandie übergesetzt waren, gleich nach der Landung? Bin ich da nicht niedergesunken und hab dem großen Rächer aller Sünden auf Knien gedankt?«

Eleanor streckte ihm die Hände entgegen. »Das habt Ihr, Abt, das habt Ihr.«

»Aber Ihr kanntet Rosamund doch schon früher«, sagte Adelia. »Das habt Ihr gesagt, als wir in Wormhold waren …«

»Ob ich Rosamund kannte? O ja, ich kannte sie. Hätte ich denn eine solche Schändlichkeit in meinem eigenen Land ungezügelt wuchern lassen sollen? Dafür hätte sich mein alter Pa geschämt. Ach, wie viele Tage hab ich in der Höhle dieser verruchten Isebel verbracht und sie wie ein Daniel ermahnt, hinfort der Hurerei abzuschwören!« Seine Vorstellung richtete sich an die Königin, doch er ließ Adelia dabei nicht einen Moment aus den Augen.

Noch mehr Lieder, noch mehr Spiele, bis selbst Eleanor müde wurde. »Zu Bett, ihr Lieben. Geht zu Bett.«

Als Mansur Adelia nach Hause begleitete, war er mürrisch und ärgerlich über seine Niederlage beim Schach, das er doch meisterhaft beherrschte. »Er ist ein exzellenter Spieler, dieser Priester. Ich mag ihn nicht.«

»Er war irgendwie an Rosamunds Tod beteiligt«, sagte Adelia. »Ich weiß es, er hat mich damit verhöhnt.«

»Er war nicht dort.«

Zugegeben, Eynsham war auf der anderen Seite des Ärmelkanals gewesen, als Rosamund starb.

Aber irgendwas war da …

»Wer war denn der Dicke mit Syphilis?«, fragte Mansur. »Er hat mich mit rausgenommen, um’s mir zu zeigen. Er will eine Salbe haben.«

»Montignard? Montignard hat die Syphilis? Geschieht ihm recht.« Adelia war vor Übermüdung gereizt. Es war fast Morgen. Während sie weitertrotteten, war von der Kapelle her eine Vigil-Antiphon zu vernehmen.

Mansur hob die Laterne, um ihr am Gästehaus die Treppe hinaufzuleuchten. »Hat die Frau die Tür für dich unverriegelt gelassen?«

»Ich denke, ja.«

»Das sollte sie nicht. Es ist zu gefährlich.«

»Dann würde ich sie aber wecken müssen«, sagte Adelia, während sie die Stufen hinaufstieg. »Und sie heißt Gyltha. Wieso sprichst du den Namen nie aus?« Verdammt, dachte sie, sie sind schließlich so gut wie verheiratet.

Auf der oberen Stufe stolperte sie über etwas Großes, das dadurch fast über den Rand hinunter in die Gasse gestürzt wäre. »Großer Gott. Mansur. Mansur.«

Gemeinsam trugen sie die Wiege ins Zimmer. Das schlafende Kind darin war warm zugedeckt und schien die Kälte unbeschadet überstanden zu haben.

Die Kerze war ausgegangen. Gyltha saß reglos am Fenster, wo sie auf Adelias Rückkehr gewartet hatte. Einen grauenhaften Moment lang dachte Adelia, sie wäre ermordet worden – Gylthas Hand hing schlaff über der Stelle, wo sonst die Wiege stand.

Ein Schnarchlaut beruhigte sie.

Zu dritt kauerten sie sich um die Wiege herum und sahen Allie beim Schlafen zu, als hätten sie Angst, die Kleine könnte sich in Luft auflösen.

»Hier is wer reingekommen und hat sie gestohlen? Draußen auf die Treppe gestellt?« Gyltha kam gar nicht darüber hinweg.

»Ja«, bestätigte Adelia. Ein Zoll weiter auf der Stufe, bloß ein einziger Zoll … Im Geist sah sie unentwegt die Wiege durch die Luft trudeln und rund sechs Meter tief hinab in die Gasse stürzen.

»Hier is wer reingekommen? Und ich hab nix gehört? Hat sie draußen auf die Treppe gestellt?«

»Ja, ja.«

»Aber wozu denn?«

»Ich weiß nicht.« Aber sie wusste es.

Mansur sprach es aus: »Er hat dich gewarnt.«

»Ich weiß.«

»Du stellst zu viele Fragen.«

»Ich weiß.«

»Was für Fragen?« In ihrer Panik kam Gyltha nicht mehr mit. »Wer will nich, dass du Fragen stellst?«

»Ich weiß nicht.« Hätte sie es gewusst, sie wäre vor ihm zu Kreuze gekrochen, hätte sich ihm zu Füßen geworfen. Du hast gewonnen. Du bist schlauer als ich. Geh, wohin du willst, ich werde dich nicht daran hindern. Aber lass mir meine Allie.

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