1. EIN KATER IN GEHEIMER MISSION

Prolog – oder warum man an manchen Tagen besser im Bett geblieben w?re …

»Los, nun mach schon!« Leonie l?chelt mich an. Aber es ist kein aufmunterndes L?cheln, so viel ist selbst mir klar. Es wirkt eher irgendwie … h?hnisch. Okay, damit ist es wohl eher ein Grinsen. »Oder traust du dich etwa nicht?«

Ich muss trocken schlucken.»Klar traue ich mich. Also, ich meine, ich w?rde mich schon trauen, aber …«

»Was, aber?« Nun grinst nicht nur Leonie, sondern auch Emilia, Ruth und Helene sehen aus, als h?tten sie gerade den Spass ihres Lebens.

»?h, ich meine, dass es sehr unklug w?re, in ein Gesch?ft hineinzuspazieren, das von sch?tzungsweise vier Kameras ?berwacht wird, und dort ein T-Shirt zu klauen. Die juristischen Probleme w?ren unvermeidlich.«

Jetzt reisst Leonie die Augen auf. »Die juristischen Probleme w?ren unvermeidlich? Was redest du da f?r einen M?ll?« Sie dreht sich auf dem Absatz um und l?sst mich einfach stehen. Die drei anderen folgen ihr.

Verdammt. So wird das nichts. Ich weiss einfach zu wenig dar?ber, was es wirklich bedeutet, ein Mensch zu sein. Geschweige denn ein M?dchen. Das hatte ich mir deutlich einfacher vorgestellt.

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Hinterher ist man immer schlauer– aber wenn mir vorher jemand gesagt h?tte, wie zickig meine neuen Mitsch?lerinnen sind, dann h?tte ich mir nie und nimmer gew?nscht, mit Kira zu tauschen. Dann w?re ich liebend gern der wundersch?ne, schlaue und vielleicht ein bisschen verw?hnte Rassekater geblieben, der ich bis zu diesemverfluchten Gewitter war. Dann l?ge ich jetzt weiterhin auf meinem gem?tlichen Sofa in der Hochallee und mein menschlicher Mitbewohner, Professor Werner Hagedorn, w?rde irgendetwas ?ber Quantenphysik vorlesen. Oder ?ber Schr?dingers Katze und wie man mit der den Nobelpreis gewinnen kann. F?rden f?hrt man dann nach Stockholm, kriegt sehr viel Geld und lernt den K?nig von Schweden kennen. Was ?berhaupt mal wieder der Beweis daf?r w?re, dass wir Katzen sehr wichtige Haustiere sind. Ach, was sage ich: die wichtigsten Tiere ?berhaupt! Aber statt auf meinem Sofa zu liegen, stehe ich hier und … bei meinen ?lsardinen, was f?r ein gigantomanischer Schlamassel! Aber jetzt der Reihe nach, damit hier alle noch mitkommen. Beginnen wir also mit dem Anfang, mit dem ersten Kapitel meiner unglaublichen Geschichte …

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Eine Dose wird ge?ffnet.

Und das bleibt nicht die einzige b?se ?berraschung.

Was in aller Welt ist das? Es riecht seltsam und sieht noch seltsamer aus… aber es liegt in meinem Napf! Ich vermute also, dass ich es fressen soll. Ach du heiliges Katzenklo! Das muss ein Missverst?ndnis sein. Und zwar ein grosses. Ich werde das aufkl?ren, sofort! Denn ich, der vornehme Hauskater Winston Churchill, werde keinesfalls etwas fressen, was meinem edlen Gaumen nicht bekommt. Noch dazu, wenn ich es gar nicht bestellt habe!

Missmutig trabe ich aus der K?che, um Olga zu suchen. Olga ist unsere Haush?lterin und somit bestimmt verantwortlich f?r das Desaster in meinem Fressnapf. Normalerweise bekocht Olga mich und meinen Professor ganz vorz?glich, aber heute ist da offensichtlich etwas schiefgelaufen.

Ich werde mich also beschweren. Wenn ich Olga?berhaupt finde, denn momentan fehlt von ihr jede Spur. Sie ist nicht im Wohnzimmer und nicht im Esszimmer, auch im Arbeitszimmer: Fehlanzeige. Komisch. Ich setze mich in die Mitte unseres langen Flurs und blicke abwechselnd mal in die eine, mal in die andere Richtung. In der Wohnung ist es ganz still. Wenn sie irgendwo w?re, m?sste ich sie doch h?ren. Als Kater habe ich n?mlich richtig gute Ohren.

Da! Ein leises Rascheln kommt aus dem Schlafzimmer! Sofort sause ich an das andere Ende des Flurs und schl?pfe durch die T?r, die einen Spalt ge?ffnet ist. Olga steht mit dem R?cken zu mir vor dem Kleiderschrank und sortiert W?sche ein. Mit Schwung will ich mich an ihre Beine schmeissen, als ich eine Vollbremsung einlegen muss: Das sind gar nicht Olgas Beine! Vor mir steht eine mir v?llig unbekannte Frau. MAUNZ! Wer ist das?

Die fremde Frau dreht sich zu mir um und schaut mich erstaunt an. Ich habe sie offenbar genauso?berrascht wie sie mich. Sie b?ckt sich und will mir ?ber den Kopf streicheln. Ich lege den R?ckw?rtsgang ein. Mit Fremden kuschele ich grunds?tzlich nicht!

»Oh, wer bist du denn?«, will sie von mir wissen. Ihre Stimme hat den gleichen Klang wie die von Olga. Erstaunlich! Und auch sonst sieht ihr die Fremde ?hnlich: schlanke Figur, lange blonde Haare, Pferdeschwanz. Etwas j?nger vielleicht, aber da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich kann das Alter von Menschen nicht besonders gut sch?tzen. Wenn sie erst mal keine Kinder mehr sind und ihre endg?ltige Gr?sse erreicht haben, sehen sie f?r mich alle ziemlich gleich alt aus.

Ich mache wieder einen Schritt auf die Frau zu und mustere sie. Sie l?chelt mich freundlich an, als ob sie auf eine Antwort warten w?rde. Tja, wer bin ich? Wenn ich sprechen k?nnte, w?rde ich mich der Dame nat?rlich formvollendet vorstellen. Und ihr erz?hlen, dass ich Winston Churchill heisse, mich aber alle immer nur Winston nennen. Dass ich schon ziemlich lange hier bei Professor Werner Hagedorn in der vornehmen Hamburger Hochallee 106a lebe. Dass ich am liebsten auf dem gem?tlichen Sofa im Wohnzimmer oder dem flauschigen Teppich vor dem Kamin liege. Dass meine Leibspeise frisch gekochtes Gefl?gelherz mit einem Hauch Petersilie ist. Und dass ich ein reiner Hauskater bin, also die Wohnung niemals verlasse. Schon gar nicht freiwillig, denn wenn ich vom Fenster die struppigen Katzen im Hof beobachte, dann graust es mich vor der ungem?tlichen Welt da draussen.

K?nnte ich sprechen, w?rde ich dieser fremden Frau vielleicht all das ?ber mich erz?hlen. Oder zumindest einen Teil davon. Aber ich kann ja nicht sprechen und deswegen sage ich einfach nichts. Ist aber auch wurscht, denn die viel wichtigere Frage lautet doch: Wer ist die Frau? Und was macht sie hier?

Ich setze mich vor die Frau, maunze ein wenig und schlage mit dem Schwanz hin und her. Sie streckt noch einmal die Hand aus und krault mich hinter den Ohren. Ich lasse es geschehen und es f?hlt sich sogar ziemlich gut an. Trotzdem: K?nnt ihr Menschen euch nicht einmal richtig vorstellen? Man krault keine fremde Katze, der man sich noch nicht vorgestellt hat. Die meisten Menschen haben einfach kein Benehmen!

Die T?r zum Schlafzimmer schwingt auf und Olga kommt herein. Ich laufe zu ihr hin?ber und begr?sse sie st?rmisch, indem ich meinen Kopf an ihren Beinen reibe und laut miaue.

»Hallo, Winston«, begr?sst sie mich lachend, »hast du mich vermisst? Ich war nur kurz draussen. Und ich sehe, dass du Anna schon kennengelernt hast.«

»Klar, wir sind gerade dabei, uns anzufreunden«, antwortet die fremde Frau, die offensichtlich Anna heisst. Wir freunden uns an? Na, das w?sste ich aber!

»Ach, das ist sch?n!« Olga l?chelt. »Weisst du, Winston, ich hatte gehofft, dass du Anna magst. Anna ist n?mlich meine Schwester.«

Donnerwetter– Olgas Schwester! Daher also die ?hnlichkeit! Wenn ich nicht so viele Haare im Gesicht h?tte, w?rde ich jetzt ?berrascht gucken. So bleibt mir nur ein leises Miauen.

»Winston ist Professor Hagedorns Katze«, erkl?rt Olga ihrer Schwester. »Du musst dich also nicht nur um den Herrn Professor, sondern auch um seinen Kater k?mmern.«

Anna nickt.»Das hat mir der Professor bereits erkl?rt. Ich habe Winston gleich etwas zu fressen gegeben.«

Ha! DIE war das! Ich schnaube laut– aber Anna und Olga bemerken es nicht, sondern unterhalten sich munter weiter.

»Du hast ihm schon etwas gegeben? Was denn?«

»Na, ich habe Katzenfutter gekauft. Eben, als ich das Waschmittel besorgt habe. Sie hatten einen ganzen Karton Dosenfutter im Angebot. Den habe ich gleich mitgenommen.«

»Dosenfutter? F?r Winston?« Olga lacht.

Was, bitte sch?n, ist daran so lustig?, frage ich mich. Und was ist ?berhaupt Dosenfutter?

»Ja, nat?rlich. Warum denn nicht? Ich habe mir den Inhalt durchgelesen und es klang sehr lecker. Pute mit Reis.«

Olga lacht immer noch, ich bin fassungslos. Das, was ich in meinem Napf gesehen habe, war niemals Pute mit Reis. Es sah eher aus wie die feuchte Blumenerde, die Olga im Fr?hling immer auf dem Balkon stehen hat, wenn sie die Zimmerpflanzen umtopft.

»Ich glaube nicht, dass unser Winston Dosenfutter frisst. Daf?r ist er viel zu verw?hnt. Ich koche immer frisch. F?r den Kater und den Professor. Das kannst du dir schon mal merken.«

Erstens: Olga hat recht. Zweitens: Warum soll sich Anna das merken? Versteh ich nicht. Hauptsache, Olga weiss, was Werner und mir schmeckt.

»Okay, schreib ich mir gleich in mein Buch. Hoffentlich mache ich nicht alles falsch, wenn du nicht mehr da bist.« Anna seufzt.

»Keine Sorge. Das wird schon. N?chste Woche kann ich dir noch alles zeigen. Und du kannst mich auch immer anrufen, wenn du Fragen hast.«

Moment mal! Was heisst denn:wenn du nicht mehr da bist? Da muss ich mich wohl verh?rt haben! Olga geh?rt so sehr in die Hochallee 106a wie Werner, mein zwei Meter hoher Kratzbaum aus Samt und unsere Regalwand mit den vielen B?chern. Und nat?rlich ich. Andersherum: Hochallee 106a ohne Olga funktioniert nicht. Da kommen dann solche Sachen wie »Pute mit Reis« aus der Dose beiraus.

Aber tats?chlich zieht diese Anna jetzt ein B?chlein und einen Stift aus ihrer Hosentasche und beginnt, darin herumzukritzeln. Muss ich daraus schliessen, dass Olga ernsthaft plant, uns zu verlassen? Ein sehr unangenehmes Gef?hl beschleicht mich, ein sanfter, aber dauerhafter Druck auf meinen Katerbauch.Gut, dass der noch so leer ist, sonst w?re dieses Gef?hl wahrscheinlich sogar schmerzhaft.Wenn du nicht mehr da bist– je l?nger ich ?ber diesen Satz nachdenke, desto schneller schl?gt auch mein Herz. Ich mag es n?mlich gar nicht, wenn sich Liebgewonnenes in meinem Leben ?ndert. Ich w?rde sogar sagen: Ich hasse es!

Klick, klick– ein Schl?ssel dreht sich im Schloss der Wohnungst?r. Werner! Der muss den ganzen Unsinn stoppen, und zwar sofort! Mit meinem Professor lebe ich schon so lange zusammen, dass er mich auch ohne Worte versteht. Ich flitze also zur Wohnungst?r, und kaum steht Werner im Flur, beginne ich, wehleidig zu maunzen und mich vor ihm auf dem Boden hin- und herzuw?lzen.

»Mensch, Winston, was ist denn mit dir los?« Werner zieht seine Cordjacke aus und b?ckt sich zu mir. »Hast du Bauchweh?« Liebevoll streicht er ?ber mein B?uchlein. Dann richtet er sich wieder auf. »Olga? Ich bin zur?ck! Ich glaube, Winston geht’s nicht gut.« Mein Professor! Einfach Weltklasse. Hat sofort geblickt, dass es ein Problem gibt.

»Moment!«, t?nt es aus der anderen Ecke der Wohnung. »Komme gleich!«

Ich beschliesse, die Mitleidsnummer noch ein wenig auszubauen, bevor Olga hier aufkreuzt und vielleicht findet, dass ich mich zu sehr anstelle. Also miaue ich noch wimmernder und bleibe schliesslich auf dem R?cken liegen, alle viere von mir gestreckt. Wenn das kein Bild des Jammers und des Elends ist!

»Oh, was hat der Kater?«

»Tja, er scheint sich gar nicht wohlzuf?hlen. Haben Sie ihn heute schon gef?ttert?«

Olga nickt.»Anna hat ihn gef?ttert. Allerdings mit Dosenfutter. Ich habe noch gar nicht nachgeschaut, ob Winston das ?berhaupt anger?hrt hat. Vielleicht hat er einfach nur Hunger, weil es ihm nicht geschmeckt hat.«

»Dosenfutter?« Werner sch?ttelt den Kopf. »Das geht nat?rlich nicht, dass Sie in Zukunft Ihren Dieter bekochen und wir hier mit Fast Food vorliebnehmen m?ssen.«

Fast was? Versteh ich nicht. Aber macht nichts, denn es ist offenbar etwas, das sowieso nicht schmeckt. Der Hinweis auf Dieter ist allerdings interessant… ich habe n?mlich irgendwie das Gef?hl, dass mir dieser Kerl noch einige Probleme bereiten wird. Zumindest ist der Name in letzter Zeit verd?chtig h?ufig aufgetaucht, verbunden mit einem schw?rmerischen Seufzen von Olga. Dieter ist wohl jemand, der ihr viel bedeutet. Und zwar so viel, dass sie in Zukunft lieber f?r ihn anstatt f?r Werner und mich kochen m?chte. Zum Fellraufen ist das!

Olga lacht.

»Keine Sorge, ich werde meiner Schwester noch zeigen, was ihr hier gern esst. Dieter setze ich ?brigens erst mal auf Di?t, der hat in letzter Zeit ganz sch?n zugelegt.«

»Kein Wunder. Wer sich die beste K?chin der Welt als Frau angelt, der kommt um ein paar zus?tzliche Pfunde wohl nicht herum. Und wissen Sie was?« Werner macht eine Kunstpause.

»Nee.« Olga sch?ttelt den Kopf.

»Ich beneide Dieter gl?hend. Ich w?rde, ohne zu z?gern, f?nf Kilo zunehmen, wenn ich Sie daf?r behalten d?rfte. Von mir aus auch zehn. Dass Sie uns verlassen, betrachte ich als echte Katastrophe!«

WAS? Es ist wirklich wahr? Olga wird gehen und Werner kann es nicht verhindern? Dasist eine echte Katastrophe! Egal wie man es betrachtet! Ich rolle mich vom R?cken auf die Seite und lege den Kopf ganz schlapp auf den Boden. Mir ist schwindelig. Vor Kummer – oder vom vielen Rumrollen.

»Schauen Sie mal, Olga: Winston sieht schon ganz mickrig aus. Dem gef?llt es auch gar nicht, dass wir bald ohne Sie auskommen m?ssen.«

»Ach, Herr Professor, nun h?ren Sie auf damit! Sonst f?hle ich mich richtig schlecht! Ausserdem haben wir doch bereits die perfekte Nachfolgerin f?r mich gefunden. Meine Schwester Anna wird sich als neue Haush?lterin bestimmt noch viel liebevoller um Sie beide k?mmern, als ich es bisher getanhabe. Anna ist schliesslich Mutter. Die hat viel ?bung im K?mmern.«

Na und? Das leuchtet mir nun gar nicht ein. Was hat denn Muttersein mit K?mmern zu tun? An meine eigene Mutter kann ich mich nur schwach erinnern. Falls die sich sehr um mich gek?mmert hat, hat sie das jedenfalls nicht besonders lang getan – ich war schliesslich noch ziemlich klein, als mich Werner beim Z?chter abgeholt hat. Seitdem sorgt er gemeinsam mit Olga f?rmich, und das klappt so gut, dass ich keinen Grund zur Beschwerde habe.

»Ach, Ihre Schwester hat ein Kind?« Werner klingt erstaunt.

Olga nickt.»Eine Tochter, zw?lf Jahre alt. Ein s?sses M?dchen. Sehr gut in der Schule, vor allem in Sprachen. Als meine Schwester mit Kira vor vier Jahren nach Deutschland kam, sprach das M?dchen noch kein Wort Deutsch, und nun h?rt man gar nicht mehr, dass sie nicht hier geboren wurde.«

Aha. Woran soll man das auch h?ren? Verstehe ich nicht. Kann man den Menschen sonst anh?ren, wo sie geboren wurden? Das wusste ich nicht.

Olga l?chelt. »Kira begleitet ihre Mutter bestimmt gern mal hierher und spielt ein wenig mit Winston. Dann ist dem auch nicht mehr langweilig.«

Hallo? Mir ist?berhaupt nicht langweilig! Woher hat Olga nur so eine abwegige Idee? Mein Leben gef?llt mir genau so, wie es jetzt ist. Ich m?chte keine Ver?nderung. Und erst recht m?chte ich kein Kind zu Besuch, das mit mir spielen will. Im Gegenteil: Ich HASSE Kinder! Sie sind laut und ungezogen, und bisher hat mich noch jedes Kind, das mir begegnet ist, irgendwann ge?rgert. Mich zum Beispiel an meinen langen Schnurrbarthaaren gezogen. Oder gar versucht, diese abzuschneiden.

Werner hat einen Bruder mit drei besonders ungezogenen Rotznasen: zwei kleine M?dchen, Zwillinge, und einen etwas gr?sseren Jungen. Die drei qu?len mich jedes Mal, wenn sie in der Hochallee zu Besuch sind. Weihnachten, Ostern – egal welches Familienfest gefeiert wird, diesen Kindern fallen immer die hirnrissigsten Sachen ein. Beim letzten Weihnachtsfest haben sie zum Beispiel versucht, mir eine rote Zipfelm?tze auf dem Kopf zu befestigen, damit ich aussehe wie der Weihnachtsmann. Mit Klebstoff! Das muss man sich mal vorstellen! Nat?rlich hat Werner mit den drei Mini-Terroristen geschimpft, aber da war es schon zu sp?t: Die M?tze klebte so fest in meinen Haaren,dass Olga sie mir mit einer Nagelschere aus dem Fell schneiden musste. Danach sah ich aus wie der letzte Idiot. Einfach furchtbar! Ich, Winston Churchill, v?llig entstellt.

Also egal, was hier noch passiert und wer Olga ersetzt, wenn sie zu ihrem Dieter geht: alles, bloss keine Kinder in der Hochallee 106a! Heilige ?lsardine, BITTE keine Kinder!

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Erst ein Ende. Dann ein Anfang.

Und was f?r einer!

Falls es einen Katzengott gibt, hat er meine Gebete nicht erh?rt. Denn nat?rlich geht meine Geschichte mit KINDERN weiter. Und mit Olgas Abschied. Ein schwerer Schlag f?r einen treuen Kater wie mich!

Ein paar Tage sp?ter steht Olga n?mlich mit ihren Koffern an der T?r, w?hrend Dieter neben ihr bereits ungeduldig von einem Bein aufs andere tappt. Ich be?uge ihn misstrauisch.

Wie ich von langen Fernsehabenden mit Werner weiss, bilden Menschen gern Paare. Ein Mann verliebt sich zum Beispiel in eine Frau und dann sind sie ein Paar und bleiben zusammen. So jedenfalls w?nschen es sich die meisten Menschen. Viele der Filme, die ich gemeinsam mit Werner geschaut habe, handeln von den Problemen, die sich ergeben, wenn das mit der Liebe nicht richtig klappt. Das kann dann oft ziemlich kompliziert werden, und ich habe mir schon h?ufiger gedacht, dass die Menschen weniger Stress h?tten, wenn es dieses Liebesding gar nicht g?be. Werner zum Beispiel hat den ganzen ?rger nicht. Und das liegt eindeutig daran, dass er nicht mit einer Frau, sondern mit mir in der Hochallee lebt. Mann und Kater passen einfach besser zusammen als Mann und Frau. Olga wird das vermutlich auch noch merken, wenn sie diesen Dieter erst mal den ganzen Tag am Hals hat. Da wird der Traummann schnell zum Albtraum. Und dann wird sie sich w?nschen, sie w?re hiergeblieben und w?rde sich noch um Winston und Werner anstatt um Dieter k?mmern. Uns verl?sst man eben nicht so einfach!

Olga greift in ihre Hosentasche und zieht einen Schl?sselbund heraus.

»Hier ist mein Wohnungsschl?ssel.«

Werner nickt. Er l?chelt nicht mehr, sondern guckt so traurig, wie ich mich gerade f?hle. Nach ein paar Jahren als Haustier kann man ziemlich viel am menschlichen Gesicht ablesen. Ich jedenfalls weiss nach einem Blick auf Werner meistens sofort, wie er gerade gelaunt ist. Das kann sehr praktisch sein, etwa wenn ich etwas ausgefressen habe. Ein Blick auf sein Gesicht und ich erkenne, ob es richtig ?rger gibt oder Werner dar?ber lacht. Und je nachdem kann ich mich schnell verkr?meln oder eher ein bisschen mit ihm kuscheln.

»Tja, dann heisst es jetzt Abschied nehmen, richtig?«, will Werner wissen. Ob er auch hofft, dass es sich Olga in letzter Sekunde noch anders ?berlegt?

»Richtig«, sagt Olga und macht einen Schritt den Flur hinunter. »Anna«, ruft sie dann laut, »Dieter ist da, wir wollen los!«

»Moment!«, t?nt es aus der K?che. »Ich komme gleich.«

Kurz darauf steht Anna bei uns. Ich schnuppere an ihrem Hosenbein. Anscheinend kocht sie gerade etwas. Riecht ganz lecker. Komisch nur, dass sie gar keine Sch?rze tr?gt. Ohne Sch?rze hat Olga nie gekocht. Aber offenbar geht es auch so. Interessant.

Olga friemelt an ihrem Schl?sselbund herum und reicht Anna einen Schl?ssel.

»Hier, meine Liebe! Pass gut darauf auf! Und nat?rlich nicht nur darauf, sondern auch auf den Herrn Professor. Nicht zu vergessen Winston.«

Anna nimmt den Schl?ssel mit der einen Hand und reckt die andere in die Luft.

»Ich schw?re!« Jetzt lachen alle, und die traurige Stimmung, die sich eben wie Bodennebel in der ganzen Wohnung auszubreiten drohte, wird von dem Gel?chter ein wenig verscheucht. Olga sch?ttelt Werner zum Abschied die Hand. Der z?gert kurz, dann zieht er sie in seine Arme und dr?ckt sie kurz.

»Olga, machen Sie es gut! Ich werde Sie vermissen!«

Miau, ich auch! Aber wie sage ich das, ohne zu reden? Ich entscheide mich f?r einen rasanten Sprung vom Boden auf die Kommode unter dem Schl?sselbrett und von dort auf Olgas Arm. Lasst Taten sprechen! Zwei Sekunden sp?ter lande ich zielsicher in Olgas Armen.

»Oh, hoppla! Angriff von vorn!«, kommentiert Olga meinen Sensationssprung und krault mich hinter den Ohren. »Ich glaube, Winston will mit uns gehen!«

»Nee, nee, hiergeblieben!«, ruft Werner. »Ihr k?nnt jetzt nicht alle abhauen!«

»Das w?r mir auch nicht recht«, erg?nzt Dieter. »Ich habe n?mlich eine leichte Katzenallergie. Auf Dauer w?rde das mit mir und der Katze nicht gut gehen.«

Unm?glich! Olga hat sich einen Mann ausgesucht, der keine Katzen vertr?gt? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Was f?r einen schlechten M?nnergeschmack sie hat! Beleidigt h?pfe ich von Olgas Arm und verkr?mele mich in die K?che. Dort bleibe ich so lange, bis Olga und Dieter die Wohnung verlassen haben.

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Als ich mich in dieser Nacht in mein K?rbchen lege, um zu schlafen, geht es mir, Gott sei Dank, schon ein kleines bisschen besser. Anna hat etwas sehr Leckeres f?r mich gekocht – Gefl?gelleber mit echtem Reis. Dann hat sie fr?hlich pfeifend die Wohnung geputzt – ganz so, wie Olga das immer gemacht hat. Vielleicht ?ndert sich doch gar nicht so viel in meinem Katerleben. Mit diesem Gedanken rolle ich mich zufrieden zusammen, schlafe ein und beginne, s?ss zu tr?umen. Von Gefl?gelleber. Und einem frisch geputzten, sonnigen Pl?tzchen auf der Fensterbank.

Rrrriiiing! Rrriiiing! Riiiiiiiiinnng! Im Traum hat mich Werner auf das Tischchen neben dem Telefon gesetzt, als dieses zu l?uten beginnt. Erst z?gerlich, dann ziemlich aufdringlich. Miau! Das st?rt meinen sch?nen Traum aber empfindlich! Nun geh schon ans Telefon, Werner! Aber Werner reagiert nicht. Er sitzt einfach nur da und l?sst es klingeln. Unm?glich! Merkt der nicht, dass dieses Ger?usch nervt?Rrrriiiiinnng! Rrrriiiiinnng! Mann, Werner, geh ran! Ich kann mit meinen Pfoten wohl kaum den H?rer abheben.

Aber Werner geht einfach nicht ans Telefon, und je l?nger es klingelt, desto mehr f?llt mir auf, dass das Ger?usch nicht nur in meinem Traum, sondern auch in echt da ist. Und es ist gar nicht das Telefon, sondern die T?rklingel, an der jemand Sturm l?utet. Und das mitten in der Nacht. Gibt’s doch gar nicht!

M?de rappele ich mich hoch. Wer zum Teufel ist das? Jetzt taumelt Werner, noch halb im Schlaf, an mir vorbei.

»Was ist denn hier los, Winston?«, will er von mir wissen. Aber diese Frage kann ich ihm nicht beantworten. »Drei Uhr nachts! Das ist ein bisschen sp?t f?r Besuch.« Er g?hnt und wirft einen Blick durch den Spion in der T?r. Von dort kann man sehen, wer im Hausflur steht.

»Ach du liebe G?te!«, entf?hrt es ihm. Offenbar ist der Besuch nicht nur ?berraschend, sondern sehr ?berraschend. Werner legt die Kette zur?ck, die unsere Haust?r von innen versperrt. Dann ?ffnet er die T?r einen Spalt. Davor steht Anna. Und ein sehr d?nnes, traurig dreinblickendes M?dchen.

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Erstens kommt es anders.

Und zweitens als man denkt.

Anna hat ganz geschwollene Augen und sieht irgendwie anders aus als noch vor ein paar Stunden. Das M?dchen scheint zu frieren, jedenfalls zittert es ein bisschen. Oder hat es vielleicht Angst? Und falls ja: warum? An Werner und mir kann es nicht liegen. Werner sieht in seinem gestreiften Bademantel bestimmt nicht besonders gef?hrlich aus – und ich bin hier ja nur die Katze. Schliesslich habennicht mal die ungezogenen Rotzg?ren von Werners Bruder Angst vor mir. Und die sind eindeutig j?nger als das M?dchen.

»Hallo. Ich wollte nicht einfach so reinkommen, deswegen habe ich geklingelt.« Annas Stimme h?rt sich unsicher an. Das M?dchen neben ihr schweigt. Ob das Kira ist? Bestimmt. Zumindest sieht sie Anna ?hnlich. Die gleichen hellen Haare, die gleichen grossen Augen.

Auch Werner hat bisher noch kein Wort gesagt. Wahrscheinlich hat es ihm die Sprache verschlagen. Jetzt r?uspert er sich.

»Hallo, Anna! Das ist ja eine ?berraschung! Ist etwas passiert?«

Anna nickt.

»Ich … ?h …« Sie spricht ganz leise. »Ja, es ist etwas passiert. Ich habe grossen ?rger mit meinem Freund und ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Zu Hause konnten Kira und ich nicht bleiben. Es …«, sie z?gert, »gab ein Problem.«

»Oh.« Mehr sagt Werner erst mal nicht, aber er ?ffnet die T?r ganz. Anna und das M?dchen kommen in die Wohnung. Jetzt erst sehe ich, dass Anna eine ziemlich grosse Tasche dabeihat.

»Sie k?nnen mit Ihrer Tochter im G?stezimmer schlafen. Wir reden weiter, wenn wir alle so richtig wach sind«, schl?gt Werner dann vor.

Anna nickt, Kira sagt noch immer kein Wort. Die beiden gehen den Flur entlang Richtung G?stezimmer. Kurz bevor sie hinter der Zimmert?r verschwinden, dreht sich Anna noch einmal um.

»Danke, Herr Professor!«

»?h, keine Ursache. Schlafen Sie gut. Das versuche ich jetzt auch.«

Mit diesen Worten macht sich Werner ebenfalls wieder in Richtung seines Bettes auf. Ich trolle mich in mein K?rbchen. Was f?r eine aufregende Nacht! Ich glaube nicht, dass ich nun einfach weiterschlafen kann.

Kann ich auch nicht. Unruhig w?lze ich mich hin und her und versuche, an etwas Sch?nes zu denken. Zum Beispiel an eine grosse Sardinenlasagne. Zwecklos. Ich bin zwar m?de, doch mir geht einfach zu viel durch den Kopf. Welche Probleme kann Anna haben, dass sie mitten in der Nacht ihre Tochter einpackt und bei uns auf der Matte steht? Das muss ja etwas ganz Wildes gewesen sein. Irgendwie werde ich das Gef?hl nicht los, dass es in der Hochallee 106a von nun an ein wenig aufregender zugehen wird als bisher.

Werner ist ja eher ein ruhiger Vertreter der Menschenart. Tags?ber ist er meist an der Universit?t und forscht – und zwar an Teilchen, die so klein sind, dass man sie mit blossem Auge nicht sehen kann. Atome nennt man die. Auch Werner kann sie nicht sehen, aber er weiss trotzdem, dass sie da sind. Genau wie seine Schwester. Die ist Pastorin und glaubt auch an irgendwas Unsichtbares. Alle komisch, diese Menschen. Ich glaube nur an Gefl?gelherz mit Petersilie. Und beides KANN ich sehen!

Nein, es hilft nichts. Ich kann einfach nicht einschlafen. Ausserdem bekomme ich langsam Hunger vom vielen Wachherumliegen. Ich beschliesse, einen Blick in meinen Fressnapf zu werfen. Vielleicht ist ja ein Wunder geschehen und es hat sich noch etwas Leckeres hineinverirrt.

Auf der H?he der K?che angelangt, h?re ich ein seltsames Ger?usch. Es kommt aus dem G?stezimmer. Ich schleiche hin?ber. Je n?her ich tapse, desto klarer wird mir, dass das Ger?usch ein Schluchzen ist. Jemand weint. Vielleicht Anna? Ich dr?cke meine Schnauze gegen die T?r. Sie ist nicht fest verschlossen und ich kann sie ?ffnen. Leise husche ich in das Zimmer.

Eine Gestalt sitzt aufrecht auf der einen Seite des Doppelbetts. Hier im Dunkeln dauert es einen kurzen Moment, bis ich sie genauer erkenne: Es ist nicht Anna, sondern Kira. Und sie weint tats?chlich. Okay, sie ist zwar ein Kind, das mich mit Sicherheit irgendwann nerven wird, aber dass sie weint, tut mir trotzdem leid. Ich schleiche zu ihr, h?pfe auf ihre Seite des Betts und beginne, ihre H?nde abzuschlecken. Normalerweise ist das H?pfen von Katern in Menschenbetten in dieser Wohnung zwar streng verboten, doch ich habe beschlossen, dass hier ein Notfall vorliegt. Ausserdem verr?t mir ein sanftes Schnarchen auf der anderen Seite des Betts, dass Anna tief und fest schl?ft. Die wird nicht mit mir schimpfen.

»Ui! Das kitzelt!« Kira, die eben noch geweint hat, kichert jetzt ein bisschen. Dann streckt sie ihre H?nde nach mir aus und streichelt mich.

Wie auf Kommando beginne ich zu schnurren. Wenn ich etwas gelernt habe?ber die Kommunikation mit dem Menschen, dann, dass er Best?tigung braucht. So kann man sich seinen Menschen am besten erziehen. Wenn er also etwas macht, was einer Katze gef?llt, ist sie gut beraten, ihn daf?r zu loben. Und Schnurren ist f?r den Menschen ein Lob – jedenfalls freuen sich diemeisten dar?ber. Also schnurre ich, was das Zeug h?lt, und tats?chlich versiegen so langsam auch die letzten Schluchzer von Kira und sie nimmt mich auf den Arm.

»Du bist ja s?ss! Mama hat schon von dir erz?hlt!« Kira klingt gar nicht so wie Olga oder Anna. Sie rollt das R ?berhaupt nicht und insgesamt h?rt sich alles, was sie sagt, ein bisschen weicher an. Sie spricht also eher wie Werner – eben nur mit kindlicher Stimme. Ob die Menschendaran erkennen, woher jemand kommt? Bevor ich noch l?nger dar?ber nachdenken kann, krault mich Kira hinter den Ohren. Ich rekle mich und mache mich ganz lang, dann drehe ich mich auf den R?cken, damit mich Kira auch auf dem Bauch kraulen kann. Herrlich!

»Das gef?llt dir, nicht wahr?«

Am liebsten w?rde ichJa! rufen, aber weil das nicht geht, schnurre ich einfach noch lauter. Kira kommt mit ihrem Gesicht ganz nah an mich heran, dann vergr?bt sie es in meinem Fell. Eine Weile hockt sie so gebeugt ?ber mir, bevor sie sich wieder aufsetzt.

»Das tut gut. Weisst du, ich hatte heute einen ganz f?rchterlichen Tag. Na ja, eigentlich eine ganz f?rchterliche Nacht.« Ich rolle mich von ihrem Schoss und setze mich vor sie aufs Bett. Das klingt nach einer spannenden Geschichte. Vielleicht erz?hlt Kira sie, wenn ich aufmerksam genug gucke?Ich spitze die ?hrchen und mache mein schlaustes und interessiertestes Katzengesicht in der Hoffnung, dass Kira es trotz der Dunkelheit bemerkt.

»Du wirst echt nicht glauben, was mir passiert ist! Ich kann es ja selbst kaum glauben. Wenn du willst, erz?hle ich es dir.«

Bingo, sie hat gemerkt, dass ich die Geschichte h?ren will! Dieses M?dchen hat offenbar einen Draht zu Katzen. Ich lege den Kopf auf ihren Schoss und lausche gespannt.

»Also, es war n?mlich so: Ich war schon fast im Bett, als Vadim nach Hause kam. Vadim ist der Freund meiner Mama. Wir leben seit einem Jahr mit ihm zusammen. Oft ist er sehr nett, aber manchmal kann er total ausrasten. Und heute war wieder so ein Moment. Ich habe es schon gemerkt, als er zur T?rrein ist – er war angespannt wie ein Flitzebogen! Mama hat ihm von ihrem neuen Job erz?hlt, aber es war ihm v?llig egal. Er war w?tend, weil er sich mit einem Freund gestritten hatte. Richtig w?tend! Ich habe mich schnell ins Bett verzogen, weil es nicht gut ist, da zu sein, wenn Vadim w?tend ist. Dann hat er angefangen, sich mit Mama zu streiten. Er hat sie angebr?llt. Ich habe mir die Bettdecke ?ber den Kopf gezogen, aber ich habe trotzdem alles mitbekommen.«

Menschen, die rumschreien, kann ich pers?nlich nicht leiden. Mein Geh?r ist n?mlich ausgezeichnet. Es ist ?berhaupt nicht n?tig, laut zu werden, wenn man mir etwas erz?hlen will. Zum Gl?ck kenne ich so gut wie niemanden, der diese Unart pflegt. Werner sagt immer, wenn die Studenten zu laut werden, muss man selbst leiser werden. Dann h?ren sie einem zu. Recht hat er – wenn er fl?stert, h?re ich auch besser hin.

»Dann hat es irgendwann an unserer Wohnungst?r geklingelt. Und zwar nicht nur einmal, sondern ununterbrochen.«

Tja, was soll ich sagen? Das kommt mir nun sehr bekannt vor.

»Vadim hat aber nicht aufgemacht und meine Mama auch nicht, weil Vadim es ihr verboten hat. Und man h?lt sich besser daran, was Vadim sagt. Vor allem, wenn er sauer ist.«

Brrrr, das scheint ja ein sehr unangenehmer Zeitgenosse zu sein! Meine Nackenhaare stellen sich auf. Rumschreien und dann auch noch andere rumkommandieren, das geht gar nicht! Gerade als Katze kann ich mit so einem Verhalten?berhaupt nichts anfangen. W?re ich ein Hund, w?rde das vielleicht anders aussehen. Ich glaube n?mlich, dass sich Hunde ganz gern von Menschen rumscheuchen lassen. Aber eine Katze: niemals! Ich schnurre ein bisschen lauter, um Kira klarzumachen, dass ich v?llig auf ihrer Seite stehe. Nicht dass sie noch denkt, ich w?rde so ein Verhalten wie das von Vadim gutheissen. Sie l?chelt mich an und streichelt mich weiter.

»Schliesslich h?rte das Klingeln auf und jemand h?mmerte an die T?r und rief laut: ›Aufmachen! Polizei!‹ Ich habe einen Riesenschreck bekommen. Stell dir mal vor – die Polizei! Mitten in der Nacht!«

Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich gar nicht so genau weiss, was die Polizei eigentlich ist. Also, ich weiss schon, dass man irgendwie ?rger hat oder welchen bekommt, wenn die Polizei mit viel Tat?tata auftaucht. So habe ich es jedenfalls im Fernsehen gesehen. Im wirklichen Leben habe ich aber noch nie mit der Polizei zu tun gehabt. Das liegt haupts?chlich daran, dass ich Werners Wohnung h?chstens mal verlasse, wenn ich zum Tierarzt muss. Und eine Tierarztpraxis scheint nicht der Ort zu sein, an dem man normalerweise auf die Polizei trifft. Im Fernsehen habe ich jedenfalls noch nie erlebt, dass sich ein Polizist mit einem Tierarzt unterh?lt. Ich habe mich allerdings schon oft gefragt, ob es zwischen dem Leben im Fernseher und dem ausserhalb der Flimmerkiste grosse Unterschiede gibt. Aber um das zu erkunden, m?sste ich mal rausgehen. Und das habe ich definitiv nicht vor!

»Na ja, jedenfalls hat es auf einmal m?chtig geknallt. Und dann m?ssen die Polizisten irgendwie in die Wohnung gekommen sein. Wahrscheinlich haben sie die T?r eingetreten – Vadim hat ihnen bestimmt nicht freiwillig aufgemacht. Es gab ein grosses Geschrei auf dem Flur und kurz darauf flog die T?r zum Schlafzimmer auf. Mama hat mich aus dem Bett gezogen und gesagt, dass ich mich ganz schnell anziehen sollte. Die Polizisten haben ihr n?mlich geraten, mit mir die Wohnung zu verlassen. Die haben irgendetwas gesucht und meinten, es w?re besser, wenn wir gingen. Also hat Mama ein paar Sachen f?r uns eingepackt. Den Rest kennst du ja.« Kira g?hnt. »Weisst du, Winston, auch wenn das heute Nacht alles total schrecklich war: Ich bin echt froh, dass wir da weg sind. Und ich glaube, Mama will auch gar nicht mehr zu Vadim zur?ck. Die haben sich n?mlich total oft gestritten.«

Was f?r eine Geschichte! Schon beim Zuh?ren bekomme ich Herzrasen. Die Vorstellung, hier nachts rauszum?ssen und in eine v?llig fremde Wohnung verfrachtet zu werden, macht mir eine Heidenangst – das gebe ich ehrlich zu! Und das, obwohl ich doch eigentlich ein sehr furchtloser Stubentiger bin. Wie viel schlimmer muss das also erst f?r so ein zartes M?dchen wie Kira gewesen sein. Es schaudert mich! Ich hoffe stark, Kira und Anna haben nur die grosse Tasche mit zu uns in die Hochallee gebracht – und nicht etwa auch ihre Probleme mit der Polizei. Auf alle F?lle sollten wir aufpassen, dass dieser Vadim nicht bald vorunserer T?r steht.

So leid es mir tut: Vielleicht w?re es schlau, wenn Anna und Kira bald wieder von hier verschwinden w?rden. Am besten gleich morgen nach dem Fr?hst?ck. Auf die Bekanntschaft mit einem unangenehmen Typen wie Vadim lege ich n?mlich ?berhaupt keinen Wert. Wie mache ich das bloss Werner begreiflich? Ich beschliesse, sp?ter dar?ber nachzudenken. Jetzt bin ich erstaunlicherweise pl?tzlich doch sehr m?de. Und weil mir der Weg in mein K?rbchen zu weit erscheint, rolle ich mich einfach zu Kiras F?ssen zusammen und schlafe ein. Morgen ist schliesslich auch noch ein Tag.

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Neue Mitbewohner? Lieber nicht.

Oder lieber doch?

Wer h?tte gedacht, dass es so kuschelig ist, mit einem Menschen zusammen im Bett zu schlafen? Ich habe das mit Werner noch nie ausprobiert. Sein Schlafzimmer ist f?r mich sowieso verboten. Aber hier, so dicht neben Kira, f?hlt es sich doch ziemlich gut an. Ihr Atem geht regelm?ssig und anders als ihre Mutter schnarcht sie auch nicht.

Bis eben habe ich noch tief und fest geschlafen, aber nun f?llt langsam Morgenlicht durch das Zimmerfenster und k?ndigt den neuen Tag an. Vorsichtig, um Kira nicht zu wecken, krieche ich zum Kopfende des Bettes hoch und betrachte sie. Ihr Gesicht sieht friedlich und entspannt aus. Sch?n! Ich lege mein Gesicht ganz nah neben ihres, rolle mich ein St?ck unter die Bettdecke und schliesse wieder die Augen. Das ist genau die richtige Position, um vor dem Fr?hst?ck noch eine M?tze Schlaf zu bekommen.

Ich bin gerade erneut eingenickt, als mit einem Ruck die Decke weggerissen wird und ein kalter Luftzug mich sehr unsanft ins Hier und Jetzt bef?rdert. He, was soll das denn? Vorsichtig ?ffne ich ein Auge, nur um es gleich wieder zu schliessen. ?ber dem Bett baumelt n?mlich eine Lampe, die geradezu eklig helles Licht in mein Gesicht strahlt. Okay, irgendjemand will uns mit Gewalt aus dem Bett schmeissen. Die Frage ist nur: wer und warum?

»Kira, aufwachen! Du musst aufstehen! Sonst kommst du zu sp?t zur Schule!« Anna steht neben uns und ist erschreckend wach.

Kira rappelt sich hoch.

»Mann, Mama, ich bin noch total m?de!«

»Ja, ich weiss. Tut mir auch leid, aber von der Hochallee bis zu deiner Schule brauchst du bestimmt fast eine Stunde. Da musst du gleich los, wenn du es bis acht Uhr schaffen willst.«

Brrr, ich weiss nicht genau, wann acht Uhr ist. Aber es ist mit Sicherheit eine Uhrzeit, zu der Werner normalerweise noch im Bett liegt. Oder gerade den ersten Kaffee trinkt. Wir beide starten n?mlich gern gem?tlich in den Tag. Das scheint aber unm?glich zu sein, wenn man zur Schule geht. Ob das wohl bedeutet, dass alle Kinder zur selben Zeit dort sein m?ssen? Und falls ja: Wer hatte denn diese bl?de Idee? Es w?re doch viel entspannter f?r alle, wenn jeder kommen k?nnte, wann er wollte!

Gut, dass Kira und Anna nur ausnahmsweise hier geschlafen haben. Ich h?tte wirklich keine Lust, jeden Morgen so fr?h geweckt zu werden!

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»Was m?ssen Sie bloss von mir denken! Es ist mir so unangenehm!« Anna und Werner sitzen auf dem grossen Sofa im Wohnzimmer, ich liege auf dem Fensterbrett. Seit einer Viertelstunde redet Anna ununterbrochen und erz?hlt Werner dieselbe Geschichte, die ich heute Nacht von Kira geh?rt habe. Nur die Sache mit der Polizei l?sst sie weg. Stattdessen behauptet sie, dass dieser bl?de Vadim sie einfach mit Kira vor die T?r gesetzt h?tte. Komisch … ob Werner vielleicht nichts von der Polizei wissen soll?

Beim Reden fuchtelt Anna so wild mit den Armen, dass ich mich ab und zu wegducken muss, um nicht eins auf die Nase zu kriegen. Also, das unterscheidet sie definitiv von Olga: W?hrend Olga immer ziemlich ruhig war, scheint Anna ein echtes Energieb?ndel zu sein – sie ist eigentlich immer in Bewegung. F?r jemanden wie mich, der den ganzen Tag am liebsten auf dem Sofa herumliegt, ist das schwer zu verstehen. Wozu so viel Stress?

Allerdings muss auch ich zugeben, dass die letzte Nacht so aufregend war, dass Anna jetzt v?llig zu Recht Nervenflattern hat. Auch Kira war vorhin noch ganz aufgescheucht, als sie zur Schule aufgebrochen ist. Ich bin immer noch ganz entsetzt, wie fr?h das arme Kind losgegangen ist. Allein bei dem Gedanken daran muss ich g?hnen und strecke mich ein wenig. Wenn Anna mit ihrer Fuchtelei fertig ist, w?rde ich gern noch ein bisschen schlafen. So ein Nickerchen vor dem Mittagessen wird mir bestimmt guttun. Dann noch einesnach dem Essen und der Tag ist mein Freund!

Also: Anna soll mit ihrer Geschichte mal zum Ende kommen! Schliesslich sitzt sie aufmeinem Sofa und blockiert dortmeinen Platz. Werner benutzt es so gut wie nie, wenn wir allein sind, und so hat es sich eingeb?rgert, dass vor allem ich darauf liege. Wenn die Sonne ab dem fr?hen Nachmittag auf die Polster scheint, gibt es keinen Platz in der Wohnung, der gem?tlicher ist als dieses Fleckchen. Ich hoffe stark, Anna macht ihn mir in Zukunft nicht streitig – aber die soll hier schliesslich arbeiten und nicht auf dem Sofa sitzen.

Es klingelt. Das ist bei uns tags?ber ungew?hnlich. Da bekommen wir eigentlich nie Besuch – genauso wenig wie mitten in der Nacht. Werner seufzt und steht von der Couch auf.

»Das ist bestimmt die Post. Moment, ich bin gleich wieder da.« Richtig. Ab und zu gibt die Postbotin ein P?ckchen f?r uns ab. Langweilig. Da bleibe ich lieber auf dem Fensterbrett liegen und hoffe, dass Werner doch nicht wiederkommt und sein Platz frei wird.

Aus dem Flur h?rt man Stimmen. Werner, klar. Die zweite Stimme ist aber nicht die der Postbotin. Sondern die von Kira. Nanu – ist die Schule etwa schon vorbei? Das ist dann ja echt eine kurze Veranstaltung. Wenn Werner zur Uni geht, ist er immer ein paar Stunden verschwunden. Dass Kira nun schon vor dem Mittagessen zur?ckkommt, h?tte ich nicht gedacht. Sei’s drum, mir wird sie schon nichts wegfressen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich an meinem Napf vergreift.

Ich h?pfe vom Fensterbrett, um Kira zu begr?ssen. Das Kuscheln heute Nacht war nicht so schlecht. Vielleicht kann ich noch ein paar Streicheleinheiten bei ihr abstauben.

Bevor ich aber bei der T?r zum Flur angekommen bin, stehen Werner und Kira schon im Wohnzimmer. Und auf den ersten Blick aus meinen gr?nen Augen kann ich sehen, dass hier etwas nicht stimmt. Und zwar?berhaupt nicht stimmt! Kira sieht noch aufgel?ster aus als gestern Nacht vor unserer T?r. Ihr Gesicht ist ganz nass und ?bers?t mit Flecken. Sie hat offenbar heftig geweint. Nein, eigentlich weint sie immer noch. Ihre langen Haare, die Anna ihr heute Morgen sorgf?ltig geflochten hat, sind wirr und zerzaust, und ihre Jeans hat ein grossesLoch auf dem Knie, wo vorher definitiv keines war. Ich merke, wie sich die Haare an meiner Schwanzspitze langsam aufrichten: ein untr?gliches Zeichen f?r Gefahr!

Anna springt vom Sofa auf.

»Mein Gott, Kira! Was ist passiert?«

Weinend f?llt Kira ihrer Mutter in die Arme.

»Mama! Ich hatte solche Angst! Vadim – er war bei meiner Schule! Er wollte wissen, wo du jetzt bist, und als ich es ihm nicht gesagt habe, ist er v?llig ausgerastet.« Kira schluchzt so sehr, dass sie nicht weitersprechen kann. Anna streichelt ihr ?ber den Kopf und murmelt etwas, das wieSchhhh, Schhhhh klingt. Kira beruhigt sich etwas.

»Er hat rumgeschrien und gesagt, dass er so lange vor der Schule wartet, bis ich ihm verrate, wo wir geschlafen haben.«

»Hat er dich geschlagen?«, will Anna wissen. »Du siehst furchtbar aus!« Kira sch?ttelt den Kopf.

»Nein. Aber ich hatte nat?rlich Angst, dass er mir etwas tut. Deswegen bin ich schnell weggerannt und dabei hingefallen. Mein Knie hat etwas abgekriegt, aber sonst ist nichts passiert.«

Werner r?uspert sich.

»Dieser Vadim, kennen Sie ihn?« Anna nickt.

»Ja, das ist mein Freund, von dem ich Ihnen erz?hlt habe.«

»Sie m?ssen die Polizei rufen, sofort!«

Anna sch?ttelt heftig den Kopf.

»Nein! Keine Polizei! Auf keinen Fall!«

»Aber warum denn nicht? Der Mann ist doch offenbar gef?hrlich! Er hat Ihre Tochter bedroht!«

»Ich weiss, aber wenn die Polizei kommt, wird alles nur noch schlimmer.«

Aha? Alles wird schlimmer, wenn die Polizei kommt? Bei den Gr?ten im Hering – dann sollten wir sie besser nicht rufen! Hier ist es gerade schon aufregend genug, zumindest f?r einen braven Kater wie mich. Werner legt den Kopf schief und mustert Anna und Kira nachdenklich.

»Okay, Ihre Entscheidung. Aber Sie gehen unter keinen Umst?nden zur?ck in Ihre Wohnung. Und Kira kann auch nicht wieder an ihre Schule zur?ck. Das ist viel zu gef?hrlich!«

Anna zuckt mit den Schultern.

»Ja, wahrscheinlich haben Sie recht. Aber was sollen wir machen? Kira muss doch zur Schule gehen.«

»Hm.« Werner denkt nach. Und wenn er nachdenkt, wird er immer etwas einsilbig. Wir anderen warten gespannt, ob ihm etwas einf?llt.

Werner macht noch einmal»Hm«, dann holt er Luft.

»Sag mal, Kira, bist du eine gute Sch?lerin?«

Bevor Kira antworten kann, kommt es wie aus der Pistole geschossen von Anna:»Ja, nat?rlich! Kira ist eine sehr gute Sch?lerin! Immer nur Einsen und Zweien – ich muss mir nie Sorgen machen!«

Ein klarer Fall: Mutterstolz pur. Anna klingt jetzt fast so wie ein Z?chter, der von den Erfolgen seines Nachwuchses auf der Katzenausstellung berichtet. Ich weiss, wovon ich rede. Ich selbst stamme aus einer sehr edlen Zucht von Britisch Kurzhaarkatzen. Und wenn ich mich recht entsinne, bogen sich die Regale im Wohnzimmer meines Z?chters unter den Pokalen seiner Katzenchampions. Die bekannteste Britisch-Kurzhaar-Zucht der Welt. Na gut, vielleicht nur Deutschlands – auf jeden Fall war unser Z?chter stolz auf seine Katzen. Kira scheint dieser Ausbruch ihrer Mutter aber ziemlich peinlich zu sein. Verlegen schaut sie auf ihre Schuhspitzen und knetet ihre H?nde.

»Ach, Mama, gib bitte nicht so mit mir an. Sooo toll bin ich nun auch wieder nicht. Ich bin doch keine Streberin!«

Werner l?chelt.

»Nat?rlich keineStreberin! Ich wollte nur wissen, ob du in der Schule ganz gut mitkommst. Aber das scheint ja der Fall zu sein. Das ist klasse. Ich habe da n?mlich eine Idee: Nicht weit von der Universit?t gibt es ein Gymnasium, dessen Direktorin ich kenne. Ich lade ihre Klassen manchmal in meine Vorlesung ein, damit sich die Sch?ler das Fach Physik besser vorstellen k?nnen. Sie schuldet mir also einen Gefallen. Ich k?nnte sie fragen, ob Kira erstmal ihre Schule besuchen kann – zumindest, bis sich die Wogen gegl?ttet haben und dieser Vadim Ruhe gibt. Allerdings soll die Schule ziemlich anspruchsvoll sein, deswegen meine Frage.«

Anna reckt das Kinn nach oben.

»Eine schwere Schule ist f?r meine Tochter kein Problem.« Kira seufzt, sagt aber nichts.

»Bestens. Dann ist das mein Angebot: Ihr wohnt erst mal hier und Kira besucht dasWilhelminen Gymnasium. Ich k?mmere mich darum.« Er streckt Anna die Hand entgegen. Die z?gert erst, schl?gt aber schliesslich ein.

»Danke. Ich versteh nur nicht, warum Sie uns so nett helfen.«

Werner grinst.

»Erstens: weil ich eben nett bin. Zweitens: weil ich noch nie mit einer Familie zusammengelebt habe. Diese Erfahrung ist v?llig neu f?r mich und vielleicht spannend. Auf jeden Fall habe ich hier den Platz und die M?glichkeit zu helfen – also warum nicht?«

»Na gut. Dann auf ein sch?nes Zusammenleben!«

»Genau. Willkommen, neue Mitbewohner!« Jetzt lachen die beiden und sogar Kira ringt sich ein L?cheln ab. Sie scheint die Idee auch nicht schlecht zu finden.

Wasich allerdings dar?ber denke, interessiert wieder mal keinen der Zweibeiner. Typisch. Dabei wohne ich hier genauso. Und im Gegensatz zu Werner finde ich nicht, dass uns beiden die Familienerfahrung fehlt. Es war doch alles wunderbar, so wie es war!

Andererseits: Ob mich Kira noch einmal in ihrem Bett schlafen l?sst? Das war nicht so schlecht. Bis auf das elendig fr?he Aufstehen. So etwas brauche ich wirklich nicht noch einmal! Ich beschliesse, die ganze Angelegenheit mal ein paar Tage zu beobachten und mir dann eine Meinung zu bilden. Hinterher ist man ja bekanntlich immer schlauer. Und das gilt ausnahmsweise nicht nur f?r Menschen, sondern auch f?r Katzen.

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Die Welt da draussen ist voller Gefahren. Aber spannend ist sie auch! Glaube ich jedenfalls.

»Waaaas? Winston geht nie raus? Er ist immer in der Wohnung? Immer?« Kira ist fassungslos. Warum nur? Ist doch sehr sch?n in unserer Wohnung. Werner hat Kira gerade erkl?rt, dass ich ein reiner Hauskater bin und deswegen niemals draussen spazieren gehe. Das Ergebnis dieser Erkl?rung ist, dass Kira mich jetzt sehr mitleidig anguckt und mir ?ber den Kopf streicht.

»Du Armer! Dir muss ja schrecklich langweilig sein.« So ein Quatsch! Mir ist ?berhaupt nicht langweilig. Mir geht es bestens. Vor allem, wenn mich ein Mensch so ausdauernd am Bauch krault, wie es Kira in der letzten halben Stunde getan hat. Dann allerdings hat sie Werner gefragt, ob es f?r micheine Leine gibt, damit sie mal mit mir spazieren gehen k?nne. Spazieren! An derLeine!!! Ich bin doch kein Hund!

Werner schaut mich nachdenklich an.

»Nein, eine Leine habe ich nicht. Ich dachte bisher immer, Winston sei mit seinem Leben ganz zufrieden. Aber vielleicht hast du recht und er m?sste mal ?fters raus. Scheint mir auch so, als sei der Gute in letzter Zeit ziemlich f?llig um die H?ften geworden. Offenbar verw?hnt deine Mutter ihnzu sehr.« Er grinst, ich sch?ume. Gut, in den drei Wochen, in denen Anna nun schon bei uns arbeitet, habe ich vielleicht ein klitzekleines bisschen zugenommen – aber vonganz sch?n f?llig kann?berhaupt nicht die Rede sein. Frechheit!

Beleidigt will ich in Richtung K?rbchen schleichen, da nimmt mich Kira mit Schwung auf den Arm und dreht mich mit dem Kopf zu ihrem Gesicht. Dann schaut sie mir direkt in die Augen.

»Du willst auch mal raus, ich sehe es dir genau an. Wir m?ssen uns nur noch ?berlegen, was ich als Leine nehmen k?nnte, dann geht es los. Versprochen!«

Das ist kein Versprechen, das ist eine Drohung! Ich WILL NICHT! Ich miaue, so laut ich kann, um Kira von ihrem dusseligen Plan abzubringen.

»Oh, h?ren Sie mal, Professor Hagedorn, Winston freut sich schon!« Kira strahlt und setzt mich wieder auf den Boden. Argh, es ist doch zum Schnurrbarthaarerausreissen!

Sie verschwindet im G?stezimmer und ich verkr?mele mich schnell in mein K?rbchen. Einen Moment sp?ter taucht Kira wieder auf. In der Hand h?lt sie ein glitzerndes langes Band.

»Guck mal, Winston, mein Gummitwistband. Daraus kann ich eine Leine f?r dich basteln.« Kira schlingt ein Ende des Bandes zu einer grossen Schlaufe, kniet sich neben mich und legt diese um meinen Hals. Urgs! Sofort kriege ich das Gef?hl zu ersticken und maunze mitleiderregend.

»Ja, ist ja gut!« Kira streichelt mich. »Wir starten gleich! Kannst es ja gar nicht mehr erwarten!« Dann steht sie auf und l?uft zur Wohnungst?r. Als sie kurz davor steht, spannt sich die Leine und zieht mich sanft in ihre Richtung. Ich bleibe stur sitzen.

»Komm, Winston! Auf ins Abenteuer!«

Kira zieht fester. Das Gummiband dehnt sich, wird aber auch straffer. Ein sehr unangenehmes Gef?hl an meinem Hals bewegt mich schliesslich dazu, doch das K?rbchen zu verlassen. Eine Schande ist das: Ich, Winston Churchill, muss mich roher Gewalt beugen!

Je n?her ich jedoch der T?r komme, desto mehr beginnt meine Nase vor Aufregung zu kribbeln. Das letzte Mal, dass ich die Wohnung verlassen habe, ist immerhin schon ganz sch?n lange her. Was mich wohl draussen erwartet? Ich meine – ich habe mich wirklich nicht um diesen Spaziergang gerissen, aber vielleicht w?re es doch ganz spannend, auf einen anderen Kater oder eine andere Katze zu treffen. Bisher war ich zwar nicht scharf auf so eine Begegnung, aber wer weiss? Hauptsache, wir treffen keinen Hund. Hunde sind mir unheimlich. Ich weiss nat?rlich, dass ich ihnen intellektuell v?llig ?berlegen bin. Oder, um es einfacher auszudr?cken: Ich bin viel schlauer als ein Hund. Aber im wahren Leben habe ich noch nie einen gesehen, und es w?re ja m?glich, dass Hunde nicht nur d?mmer, sondern auch st?rker als ich sind. Also: alles, nur kein Hund!

Im Treppenhaus nimmt mich Kira kurz auf den Arm. Ich schaue mich um. Ein paarmal war ich hier schon unterwegs, aber ich habe nie so richtig auf die Umgebung geachtet. So viel steht fest: Das Treppenhaus ist ziemlich langweilig. Es riecht nach dem Putzmittel, mit dem Anna die Fussb?den in unserer Wohnung wischt. Ausserdem ist es recht dunkel. Und keine andere Katze weit und breit. Wahrscheinlich kommen die Hofkatzen nicht durch die untere Eingangst?r. Allerdings auch kein Hund. Wenn unser kleiner Ausflug nichtmehr Abenteuer bereith?lt, h?tte ich wirklich auf dem Sofa bleiben k?nnen.

Unten angekommen,?ffnet Kira die Haust?r, und mit einem Mal f?llt helles Sonnenlicht in den Flur. Sofort verengen sich meine Pupillen zu schmalen Schlitzen. Nur noch ein Schritt, dann steht Kira mit mir vor der T?r. Hier weht mir ein ziemlich frischer Wind um die Nase. Sofort riecht es nach Bl?ttern und Autos und Zigarettenrauch und … tats?chlich nach anderen Katzen! Wie elektrisiert strample ich mich aus Kiras Umarmung und h?pfe auf den B?rgersteig. Aua! Ein Ruck an meinem Hals erinnert mich daran, dass ich immer noch die bl?de Leine trage. Egal, die ist schliesslich aus Gummi, und wenn ich schon einen Spaziergang machen muss, bestimmeich, wo es langgeht. Ich st?rze mich also in Richtung Katzengeruch.

»He, Winston, nun mach mal halblang! Wo willst du denn so schnell hin?« Kira h?lt die Leine zwar fest, kommt aber trotzdem hinter mir her. Braves M?dchen! Wer sagt’s denn? Ich werde mir als gestandener Kater doch meinen Menschen erziehen k?nnen! Mit der Nase dicht ?ber dem Boden folge ich der F?hrte meiner Artgenossen. Ich kann sie genau riechen. Sie waren hier, mindestens zwei oder drei. Auf einmal komme ich mir herrlich wild und gef?hrlich vor! Die Spur verl?uft vom B?rgersteig vor unserem Haus direkt in den Hinterhof. Dachte ich es mir doch! Ich habe die Hofkatzen erschn?ffelt!

H?tte man mir vor ein paar Wochen gesagt, dass ich mich schon bald auf die Suche nach diesen struppigen Kollegen machen w?rde, h?tte ich mich schlappgelacht. Nein, ich w?re emp?rt gewesen. Aber seitdem Kira da ist, hat sich mein Leben irgendwie ge?ndert. Es ist einfach nicht mehr so ruhig. Undauch wenn ich nicht scharf auf diesen Ausflug war, finde ich ihn jetzt doch spannend. Warum nicht mal etwas Neues ausprobieren? Okay, vielleicht hat sich also nicht mein Leben ge?ndert, sondern ich, Winston. Zumindest ein ganz kleines bisschen.

Im Hof riecht es so stark nach den Katzen, dass ich sie vor meinem inneren Auge f?rmlich sehen kann. Das sind bestimmt die drei, die ich auch immer durch unser K?chenfenster beobachte: Eine ist getigert und ziemlich dick, eine weitere struppig und hellbraun. Und dann ist da noch eine weisse, die ganz h?bsch sein k?nnte, wenn sie sich etwas besser pflegen w?rde und nicht immer so viele Schmutzflecken auf ihrem Fell h?tte. Vom Fenster aus konnte ich nat?rlich nicht sehen, ob M?nnlein oder Weiblein, aber so, wie ich die F?hrte hier beurteile, ist beides dabei: Kater und Katze.

»He, da ist ja der Typ aus dem zweiten Stock!« Schr?g rechts ?ber mir h?re ich eine Stimme, die eindeutig einem Kater geh?rt. Und richtig: Dort, auf dem Unterstand der M?lltonnen, sitzt der fette Tiger und grinst mich an. »Leute, ich glaub’s ja nicht – der wird an der Leine spazieren gef?hrt! Ich lach mich tot! Gibt’s ja nicht, wie bekloppt ist das denn?«

»Ehrlich? Lass sehen!« Eine zweite Stimme, von etwas weiter hinten. Aha. Der struppige Braune ist ebenfalls ein Kater. Er sitzt auf einem der Fenstersimse und glotzt mich an. Jetzt h?pft er von dort herunter und kommt zu mir gestromert. Ich merke, wie mein Hals ganz trocken wird. Ob der mir was tun will? Was macht denn ein Kater, wenn er einem anderen Kater begegnet. Krrrrhhh! Winston, ganz ruhig bleiben! Ein echter Britisch Kurzhaar kennt keine Angst!

»Hallo, Kumpel!«, begr?sst mich der Braune nun betont l?ssig. »Das ist ja nett, dass du dich auch mal hier unten blicken l?sst. Wir haben uns ehrlich gesagt schon gefragt, warum du nie das Haus verl?sst. Ob du irgendwie krank bist, vielleicht gel?hmt oder sonst wie nicht in Ordnung. Aber bis auf diese l?cherliche Leine scheint ja alles chicco bei dir zu sein.«

Chicco? H?? Versteh ich nicht. Der Braune schleicht einmal um mich rum. Kira beugt sich zu ihm hinunter und streichelt ihn am R?cken.

»Oh, guck mal, Winston! Da haben wir doch gleich einen Freund f?r dich gefunden! Wie sch?n!«

Na, ob das mit dem Freund so stimmt? Ich habe da meine Zweifel. Mr. Chicco klingt irgendwie eher… unversch?mt. Aber Kira kann als Mensch nat?rlich nicht verstehen, was der Braune zu mir gesagt hat. Ich r?uspere mich, um das trockene Gef?hl aus meinem Hals zu bekommen.

»?hm. Gestatten, dass ich mich vorstelle? Winston. Eigentlich Winston Churchill. Und nein, ich bin nicht gel?hmt. Mir gef?llt es nur in meiner Wohnung ziemlich gut – warum sollte ich also in diesem dunklen Hof herumlaufen? So h?bsch ist es hier auch wieder nicht.« Ha! Zack! Das hat hoffentlich gesessen. Der Struppige starrt mich an.

»Winston Churchill? Was ist das denn f?r ein beknackter Name?«

Wie bitte? Frechheit!

»Der Name liegt doch wohl auf der Hand. Ich bin ein reinrassiger Britisch Kurzhaar und Winston Churchill ist der ber?hmteste britische Premierminister aller Zeiten.«

»Premierwas? Kenn ich nicht. Na, ich heisse jedenfalls Karamell. Ganz einfach, kann man sich gut merken. Wie die Farbe meines Fells.«

»Angenehm.«

»H??«

»Angenehm. Das sagt man in meinen Kreisen so, wenn sich jemand vorstellt.«

»Du hast ja echt ’ne Schraube locker.In deinen Kreisen. Aber egal. Was mich viel mehr interessiert: Wieso tut die Kleine so, als w?rst du ein Hund? Mit Leine spazieren gehen, das ist doch das Allerletzte. Oder wie seht ihr das?« Er dreht sich um und ich tue es ihm gleich. Tats?chlich ist der Getigerte n?her gekommen und weiter hinten entdecke ich auch die Weisse. Sie ist offensichtlich eine Katze.

»He, Spike, hast du schon mal ’ne Katze an der Leine gesehen?« Der Getigerte, der offenbar Spike heisst, sch?ttelt den Kopf.

»Nee. Hab ich doch eben schon gesagt. Ich lach mich tot! Odette, was sagst du?«

Die weisse Katze schleicht n?her an mich heran. Ich muss sagen, dass sie f?r eine Hofkatze einen unglaublich eleganten Gang hat. Fast wie eine Dame. Ach was. Sieist eine Dame. Das verr?t auch die aristokratische Art, in der sie den Kopf h?lt. Und, fleckiges Fell hin oder her: Odette ist ziemlich h?bsch. Mir wird die ganze Sache hier langsam richtig peinlich. Vor mir sitzt eine sch?ne Frau und ich trage ein Glitzergummitwist als Katzenleine. MAUNZ!

»Britisch Kurzhaar?« Odette legt den Kopf schief und mustert mich. »Tja, ihr Rassekatzen seid eben nichts gewohnt. Wahrscheinlich tr?gt Winston eine Leine, weil er seine Wohnung nicht mehr finden w?rde, wenn er nur einmal die Strasse ?berquert. Falls er dabei nicht sofort vom Auto ?berfahrenwerden w?rde. Total verweichlicht eben.«

Autsch! Die sch?ne Odette h?lt mich f?r ein Weichei. Das tut weh. Mit einem Mal habe ich wirklich ?berhaupt keine Lust mehr auf diesen bl?den Ausflug. Mit einem Satz springe ich auf Kiras Arm und kralle mich in ihren Pullover.

»Aua, Winston! Was soll das denn? Spiel doch ein bisschen mit deinen neuen Freunden.«

Pah, das sind nicht meine Freunde! Ich will hier weg! Kira versucht, mich wieder auf den Boden zu setzen, aber ich kralle mich immer fester, bis sie schliesslich aufgibt.

»Hm, was ist bloss los mit dir? Doch nicht so toll mit den anderen Katzen? Willst du wieder rein?« Ich schnurre. Genau. Ich will wieder rein. Kira seufzt.

»Okay, ich hab verstanden. Als Neuer hat man es echt nicht leicht, richtig? Ich weiss das. Habe n?mlich gerade genau das gleiche Problem. Komm, wir kuscheln oben eine Runde!«

Erstens: eine ganz hervorragende Idee! Zweitens: Wieso hat Kira das gleiche Problem?

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Von Menschen und Ziegen.

Und menschlichen Ziegen.

»Also, am schlimmsten ist diese Leonie. Die ist so was von fies zu mir – einfach unglaublich! Eine totale Ziege!«

Kira und ich liegen auf dem Sofa im Wohnzimmer und erholen uns von dem anstrengenden Ausflug in den Hinterhof. Das heisst,ich erhole mich von dem Ausflug, w?hrend Kira mich wieder am Bauch krault und mir gleichzeitig von ihrer neuen Schule erz?hlt. So langsam verstehe ich, warum es auch Kira als Neue nicht leicht hat. Es liegt vor allem an dieser Leonie und daran, dass die eine Ziege ist. Wobei ich erstaunt war zu h?ren, dass Zweibeiner gleichzeitig Vierbeiner sein k?nnen. Also M?dchen auch Ziegen. Bisher dachte ich, Ziegen stehen nur auf irgendeiner Wiese, meckern und fressen Gras. Ist aber nicht so. Sie sitzen auch in der 7b desWilhelminen Gymnasiums, meckern und machen andere M?dchen fertig. ?tzend. Gegen die sind Karamell, Spike und Odette offenbar die reinsten Engel.

»Weisst du, die haben da alle viel mehr Geld als Mama und ich. Und deswegen die viel cooleren Klamotten. NurHollister oderHilfiger. Sieh mich mal an– ich habe nurH&M und so’n Zeug.«

Aha. Sagt mir alles gar nichts. Aber warum sollte ich auch Ahnung von coolen Klamotten haben. Ich hab schliesslich ein Fell. Das reicht. Es ist nat?rlich ein besonders sch?nes Fell, ganz dicht und schwarz. Aber eben ein Fell. Kein Bedarf also, mich in irgendwelche Kleidungsst?cke zu h?llen, selbst wenn sie von Hollister w?ren. Was also ist das Tolle daran? Ich gebe Kira einen Stups, damit sie weitererz?hlt. Sie kichert.

»He, Winston, was soll das? Langweile ich dich?« Nein, ganz im Gegenteil! Ich finde diese Infos ?ber die Menschen sehr interessant. Werner hat mir noch nie von solchen Problemen berichtet.

»Leonie ist leider ziemlich wichtig in der Klasse. Wer in ihrer Clique ist, geh?rt dazu. Und wer bei ihr unten durch ist, findet auch keine anderen Freunde. Oder nur solche, die v?llig uncool sind und mit denen sonst keiner etwas zu tun haben will. Und so langsam habe ich Angst, dass ich bald bei den Uncoolen lande. Das w?re ganz schrecklich, dann w?re ich erledigt! Da k?nnte ich gleich zur?ck in meine alte Schule gehen und mich von Vadim fertigmachen lassen.« Sie seufzt so schwer, als ob ein riesiger Haufen Steine auf ihrer Brust l?ge. Die Arme! Leonie muss wirklich schlimm sein, wenn es Kira sogar lieber mit Vadim aufnehmen w?rde. »Ach Winston, wenn ich bloss w?sste, womit ich Leonie beeindrucken k?nnte!«

Miau! Mir f?llt da auf Anhieb auch nichts ein. Wobei ich in Sachen »Eindruck schinden« sowieso kein Experte bin. Ich schaffe es ja nicht mal, drei bl?de Hofkatzen zu beeindrucken. Wenn ich nur daran denke, f?hle ich mich schon wieder schlecht. Ist ja auch eine unglaubliche Geschichte: Winston Churchill, edler Rassekater, hockt mit einem Gummiband um den Hals im Hinterhof und l?sst sich von drei Stromern dumm anreden. Grrrr, was f?r eine Schmach! Ich bin mir sicher, diese Odette lacht sich jetzt noch kringelig, wenn sie an mich denkt.

»Hm, ich kann sie nicht nach Hause einladen, denn das hier ist die Wohnung vom Professor. Und ich kann Mama nicht bitten, mich mit einem dicken Auto vor der Schule abzuliefern, denn wir haben keins. Nicht mal ein kleines. Ich habe leider ?berhaupt nichts Wertvolles, was ich mal mit in die Schule nehmen k?nnte.«

Hm. Etwas Wertvolles. Vielleicht k?nnte siemich mitnehmen. Ich glaube, ich bin ziemlich wertvoll. Schliesslich bin ich der Abk?mmling zweier internationaler Champions. Meine Mutter war Bundessiegerin in ihrer Altersgruppe und Papa hat seine Leistungsschau mit Auszeichnung bestanden. Und ich finde, das sieht man mir auch an! Ein eleganter Rassetyp – das beschreibt mich wohl am besten. Wobei ich einen kleinen Makel habe: gr?ne Augen. Die m?ssten laut Rassestandard eigentlich gelb sein, aber niemand ist vollkommen. Wertvoll bin ich trotzdem. Ich sollte Kira also davon ?berzeugen, mich in die Schule mitzunehmen. Leonie w?re bestimmt beeindruckt und Kiras Problem gel?st. Nur: Wie mache ich ihr das klar?

Kira seufzt noch einmal.

»Und Leonie ist nicht mein einziges Problem. Momentan ist echt alles Mist.«

Mist? Von den Ziegen? Da scheint ja eine ganze Herde unterwegs zu sein!

»Weisst du, Winston, mit Mama stimmt irgendetwas nicht. Wir haben doch diesen ?rger mit Vadim gehabt. Aber komischerweise ist Mama immer noch nicht froh, obwohl wir ihn doch endlich los sind. Nachts, wenn sie denkt, dass ich schon schlafe, heult sie heimlich in ihr Kissen. Ich glaube, sie hat wegen des Mistkerls richtig Stress mit der Polizei.«

Oje, das ist gar nicht gut!?rger mit der Polizei klingt deutlich schlechter als ?rger mit Ziegen. Egal, ob mit vier- oder zweibeinigen! Ich kuschle mich enger an Kira. K?rperkontakt ist schliesslich immer gut in dieser b?sen Welt! Kira streichelt ?ber meinen Bauch und erz?hlt weiter:

»Mama will es zwar nicht zugeben, aber ich habe gesehen, dass sie neulich einen Brief von der Polizei erhalten hat. Sie muss auf das Pr?sidium kommen und dort Fragen beantworten.«

Kiras Stimme klingt nun ganz d?ster. Und auch ohne dass ich weiss, was genau ein Pr?sidium ist, ahne ich, dass es hier um richtig viel ?rger geht. Und zwar die Sorte ?rger, die sich auch nicht dadurch beheben l?sst, dass man irgendwo mit einem dicken Auto hinf?hrt oder Klamotten von Herrn Hollister tr?gt.

In meinem Hals bildet sich ein Kloss. Als Kater bin ich eher ein Einzelg?nger und h?nge mein Herz nicht gleich an den erstbesten Zweibeiner – aber ich muss zugeben, dass ich Kira mittlerweile schon ganz sch?n gern mag und die Aussicht, dass sie in ernsthafte Schwierigkeiten geraten k?nnte, mir gerade ?berhaupt nicht gef?llt. Wie kann ich ihr bloss helfen?

»Wenn mir Mama doch bloss erz?hlen w?rde, was das Problem ist! Dann k?nnten wir gemeinsam einen Schlachtplan entwerfen und vielleicht k?nnte uns sogar dein Herrchen, der Professor, helfen. Der ist doch so schlau, dem f?llt bestimmt etwas ein. Aber leider will Mama wohl auf keinen Fall, dass Professor Hagedorn etwas von ihren Schwierigkeiten mitbekommt. Und ich soll auch nichts merken. Es ist echt zum Verzweifeln! Mein Leben gef?llt mir gerade ?berhaupt nicht!« Wieder ein abgrundtiefer Seufzer.

Also nein– das darf auf keinen Fall so bleiben! Bei meinen langen Schnurrbarthaaren: Ich, Winston, werde daf?r sorgen, dass Kira schon bald wieder ein gl?ckliches M?dchen sein wird. Oder zumindest kein ungl?ckliches mehr. Ich weiss zwar noch nicht, wie ich das anstellen kann. Aber irgendetwas wird mirschon einfallen. Schliesslich bin ich ein Kater und einem Kater kommt immer eine gute Idee. Sonst h?tte ich ja gleich ein Hund werden k?nnen!

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Der erste Gedanke ist oft der beste. Ich beschliesse deshalb, meine Idee, mich in Kiras Schule zu mogeln und dort die doofe Leonie zu beeindrucken, gleich am n?chsten Tag in die Tat umzusetzen. An dem ?rger mit der Polizei kann ich als Kater vermutlich sowieso nichts ?ndern. An dem ?rger mit den Ziegen schon! Ich muss nur eine g?nstige Gelegenheit abpassen, um aus der T?r zu kommen, dann laufe ich einfach hinter Kira her. Kann so schwer eigentlich nicht sein.

W?hrend ich mir in den letzten Wochen angew?hnt habe, mich wieder aufs Ohr zu hauen, sobald Kira im Bad verschwunden ist, springe ich an diesem Morgen aus meinem K?rbchen und sause zur Wohnungst?r. Vor dem Fr?hst?ck holt Anna n?mlich immer die Zeitung von unten, und das ist meine Chance, unbemerkt aus der Wohnung zu kommen. Denn Anna l?sst die T?r normalerweise einen Spalt offen. Mein Plan ist, dass ich mich im Flur verstecke und so lange warte, bis Kira die Wohnung verl?sst. Das d?rfte niemandem auffallen.

Tats?chlich achtet Anna ?berhaupt nicht auf mich, als sie die T?r ?ffnet und zum Zeitungskasten geht. Ich schleiche nach draussen und springe die Treppenstufen zum n?chsten Stockwerk hoch. Hier warte ich, bis ich Kiras Schritte h?re, sause hinter ihr her und erwische sie, kurz bevor sie die Haust?r ?ffnet.

»He, Winston, was machst du denn hier?« Kira ist nat?rlich v?llig ?berrascht, schickt mich aber nicht wieder in die Wohnung. Sehr gut! Teil eins meines Plans hat schon mal geklappt. Jetzt muss ich Kira nur noch klarmachen, dass ich sie begleiten will. Und zwar ohne Leine!

»Willst du wieder zu deinen neuen Freunden in den Hof?« Ich fauche laut und deutlich und hoffe, dass das als klares Nein zu verstehen ist. Kira guckt mich ratlos an. »Willst du nicht? Hm, was willst du dann? Einfach spazieren gehen? Aber daf?r habe ich jetzt leider keine Zeit. Ich muss in die Schule.« Genau! Ich auch! Ich versuche es mit einem lang gezogenen Schnurren. Kira sch?ttelt ungl?ubig den Kopf.

»Willst du etwa mit in die Schule?« Bingo! Hundert Punkte! Sehr schlaues M?dchen! Ich streiche ihr um die Beine und schnurre weiter. »Hm, ich glaube nicht, dass ich dich dahin mitnehmen darf. Das ist bestimmt gegen die Regeln.« Pah! Regeln sind etwas f?r Feiglinge – und nichts f?r Katzen! Wir m?ssen es der fiesen Leonie zeigen! Da k?nnen wir uns mit solchen Kleinigkeiten wie den Schulregeln nicht lange aufhalten.

Ich klebe mittlerweile f?rmlich an Kiras Beinen. Sie kichert, b?ckt sich und hebt mich hoch.

»Okay, Winston. Ich nehme dich mit. Aber du musst mir versprechen, dich eins a zu benehmen. Noch mehr ?rger kann ich momentan ?berhaupt nicht gebrauchen. Klar?«

Klar wie Klossbr?he. Ich maunze laut.

»Gut. Dann komm mit!«

Hurra! Auf zu den Ziegen!

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Ein seltsamer Ort namens Schule.

Oder: Wie ich den halben Tag in einer Umh?ngetasche verbrachte.

Das Geb?ude ist riesig. RIESIG. Also, ich dachte immer, unser Haus sei gross. Doch dieses hier ?bertrifft alles, was ich jemals gesehen habe. Gut, das ist nicht besonders viel, aber trotzdem! Wow! Ein gigantisches weisses Haus mit einer grossen Eingangst?r und einem Turm. Fast wie ein Schloss! Ich bin tief beeindruckt. Ob alle Schulen so aussehen? Irgendwie wird mir gerade ein bisschen unheimlich und ich muss mich sehr beherrschen, um mich nicht in Kiras Arme zu krallen.

Reiss dich zusammen, Winston!, fauche ich mir selbst zu.Du willst hier schliesslich ein paar Ziegen beeindrucken – als versch?chtertes Schmusek?tzchen wird das kaum gehen! Also: Haltung annehmen! Entschlossen straffe ich meinen R?cken und springe von Kiras Arm – direkt vor die F?sse eines anderen M?dchens, das gleichzeitig mit uns ankommt.

»Morgen, Kira! Hast du etwa eine Katze mitgebracht?«

»Hallo, Emilia. Nein, das ist ein Hund.«

»H??« Das M?dchen guckt Kira v?llig verst?ndnislos an.

»Mann, Emilia: Das war ein Scherz. Nat?rlich ist das eine Katze! Sieht man doch. Genau genommen ist Winston ein sehr edler Rassekater.«

Das M?dchen sch?ttelt seinen blondgelockten Kopf.

»Kira, man darf keine Tiere mit in die Schule nehmen. In Russland geht das vielleicht, aber hier sicher nicht!«

»Was weisst du schon von Russland!«, erwidert Kira sehr knapp, nimmt mich wieder auf den Arm und stapft die Stufen zur Eingangst?r hoch. He, warum auf einmal so schlecht gelaunt? Eben hat Kira sogar noch fr?hlich gesummt, jetzt kann ich ihren ?rger f?rmlich riechen. Versteh ich nicht. Aber vielleicht geh?rt diese Emilia auch zu den Ziegen und Kira kriegt schon Pickel, wenn sie Emilia nur sieht.

In der Schule sind unglaublich viele Kinder. Gut, das habe ich mir nat?rlich so vorgestellt, aber diese Horden dann tats?chlich zu sehen, ist etwas v?llig anderes. Es ist unglaublich wuselig und vor allem: laut! Einen Moment lang f?rchte ich, mir k?nnten meine sensiblen ?hrchen abfallen. Vielleicht war mein Ausflug doch keine so gute Idee?

Bevor ich noch l?nger dar?ber nachdenken kann, ert?nt ein schriller Klingelton. Was das wohl bedeutet? Ist das ein Warnsignal? Falls ja, wovor? Kira presst mich etwas enger an sich.

»Komm, Winston, der Unterricht f?ngt gleich an!«

Sie kniet sich hin und holt ein paar B?cher aus ihrer Umh?ngetasche. Dann nimmt sie mich hoch, setzt mich in die entstandene L?cke und schliesst die Tasche vorsichtig ?ber meinem Kopf. He! Ich sehe nichts mehr! Und vor allem: Man sieht mich nicht mehr! Wie soll ich denn so auch nur eine einzelne Ziege beeindrucken? Lautstark protestiere ich. Bellen kann ich zwar nicht, aber wenn ich anfange zu fauchen und zu jaulen, ist das auch nicht ohne. Kira ?ffnet die Tasche ein St?ckchen und lugt hinein.

»Winston, du hast doch versprochen, dich zu benehmen! Also h?r auf damit! Ich packe dich doch nur in meine Tasche, damit du nicht gleich rausfliegst. In der n?chsten Pause hole ich dich wieder raus. Versprochen!«

Na gut. Sie wird es wissen. Schliesslich verbringt sie jeden Tag hier. Ich h?re auf zu jaulen und schliesse die Augen. Offenbar ist Kira wieder aufgestanden und tr?gt mich eine Treppe hoch, jedenfalls schaukelt es nun ganz sch?n. So laut wie eben ist es auch nicht mehr – entweder die Kinder haben sich etwas beruhigt oder ich h?re durch den Stoff der Tasche einfach nicht so gut.

Jetzt scheint Kira anzuhalten. Das Schaukeln h?rt auf und die Tasche wird auf dem Boden abgestellt. Ich glaube, dass St?hle ger?ckt werden. Dann klappt eine T?r.

»Guten Morgen, 7c!« Eindeutig die Stimme einer erwachsenen Frau. »Guten Morgen, Frau Wettstein!«, antwortet ein ganzer Chor.

»Setzt euch!« Wieder das St?hler?cken. Ein Stuhl scheint mir dabei sehr nahe zu kommen – jedenfalls kriege ich einen Schubs und die ganze Tasche wackelt. Hilfe! Hoffentlich passt Kira gut auf mich auf!

»Wir haben uns in der letzten Stunde mit der indirekten Rede und dem Konjunktiv besch?ftigt. Kira, erkl?rst du uns bitte, wann wir den Konjunktiv 2 benutzen?« Kira r?uspert sich. Sie ist nerv?s, das sp?re ich genau.

»Den Konjunktiv 2 verwende ich, wenn ich mir etwas vorstelle oder w?nsche, was zurzeit nicht m?glich ist.«

»Sehr gut. Leonie, bildest du bitte ein Beispiel?«

Grrr, miau Das muss die Oberziege sein! Am liebsten w?rde ich jetzt aus der Tasche h?pfen und es der mal richtig zeigen! Aber weil ich mein heiliges Katzenehrenwort gegeben habe, mich zu benehmen, reisse ich mich zusammen und maunze nur kurz vor mich hin.

»Gern, Frau Wettstein. H?tte Kira Geld, z?ge sie sich vern?nftig an.« Die ganze Klasse bricht in schallendes Gel?chter aus. Uahrgh! Was f?r eine Unversch?mtheit! Und ich kann nicht eingreifen! Es ist zum Schwanzhaareausreissen!

»Pst, Kinder beruhigt euch!«, schimpft Frau Wettstein. Vergebens, denn die meisten Kinder lachen immer noch. Nur Kira bleibt ganz stumm. Es gibt einen Knall. Frau Wettstein scheint mit der Hand auf einen Tisch geschlagen zu haben. »Leonie Weichert, was soll das? So etwas will ich nicht noch einmal von dir h?ren! So behandelt man seine Mitsch?ler nicht!«

»Entschuldigen Sie, Frau Wettstein. Es war eben das erste Beispiel, was mir in den Sinn kam«, behauptet die fiese Leonie mit unschuldiger Stimme.

»Entschuldige dich nicht bei mir, sondern bei Kira!«, fordert die Lehrerin sie auf.

»Oh, entschuldige bitte, Kira. Es wird nicht wieder vorkommen.« Ihre Stimme verr?t, dass das glatt gelogen ist. Wenn ich in all den Jahren als Haustier etwas gelernt habe, dann ist es, auf die Stimmlage der Menschen zu achten. Denn leider meinen Menschen h?ufig nicht, was sie sagen. Oder sie sagen nicht, was sie meinen. Der Klang einer Stimme aber verr?t fast immer ihre wahren Gedanken. Und mir verr?t die Stimme von Leonie gerade, dass sie noch viel boshaftere Sachen mit Kira plant.

Der Rest der Schulstunde pl?tschert vor sich hin. Als ich gerade beginne einzud?sen, ert?nt die Klingel erneut. Ich hoffe, dass ich jetzt endlich aus der doofen Tasche darf! Und tats?chlich ruckelt es nun an der Seite und Kira ?ffnet mein Verlies.

»So, Winston. Jetzt haben wir gleich Biologie bei Herrn Pr?torius. Der ist total nett, und ich habe mir auch schon eine super Geschichte ausgedacht, warum ich dich unbedingt mitbringen musste. Ist auf Dauer ja langweilig in der Tasche, oder?« Sie streichelt mir ?ber den Kopf, ?ffnet die Taschenoch weiter und hebt mich heraus. Endlich, Freiheit

»He, cool! Wo kommt die denn auf einmal her?« Ein Junge mit einer riesigen Brille kniet sich neben Kira und mich.

»Das ist Winston. Er wohnt bei mir. Ich dachte, ich bringe ihn mal mit. Passt doch gut zum Thema, das wir gerade haben.«

»H?? In Bio?«

»Klar, in Bio«, erkl?rt Kira im Brustton der ?berzeugung. Der Junge kratzt sich am Kopf.

»Aber wir machen doch gerade wirbellose Tiere. Regenw?rmer und so. Welche Gemeinsamkeit hat denn diese Katze mit einem Regenwurm? Versteh ich nicht.«

»Tja, Tom, warte es einfach ab. Du wirst es schon erfahren.«

»Was wird er erfahren?« Eine allzu bekannte Stimme mischt sich in das Gespr?ch der beiden. Leonie. Endlich sehe ich sie auch mal, anstatt nur zu h?ren, wie sie ihr Gift verspritzt. Sie ist ungef?hr so gross wie Kira, mit etwas k?rzeren, leicht gewellten Haaren. Als sie mich entdeckt, schnapptsie nach Luft.

»He, ist das deine Katze?« Kira nickt.

»Ja. Ist sie. Oder besser: er. Winston ist ein sehr edler Rassekater. Ich dachte, er k?nnte uns heute zeigen, dass es auch Wirbeltiere gibt, die sehr beweglich sind.«

»Edler Rassekater? Pfff, wo willst du den denn herhaben? Oder haste den geklaut?«

MAUNZ! Mit einem Riesensatz springe ich auf den Tisch, der neben Kira steht, und recke stolz meinen Kopf in die Luft. Von hier oben bemerke ich, dass der Raum, in dem wir uns befinden, recht gross ist und mit vielen kleineren Tischen und St?hlen ausgestattet. So schaut also ein Zimmer aus, in dem Kinder lesen und schreiben lernen. Interessant.

»Oh, hallo. Wo kommst du denn her?« Ein erwachsener Mann taucht in diesem Moment im Klassenzimmer auf.

»?h, guten Morgen, Herr Pr?torius«, stammelt Kira. »Das ist Winston. Ich habe ihn mal mitgebracht, um zu zeigen, dass nicht nur Regenw?rmer sehr beweglich sind.« Sie l?chelt scheu, der Mann grinst. Ich kenne mich mit Regenw?rmern und Biologie nicht so gut aus, aber selbst f?r meine Katerohren klingt das wie eine ziemlich bl?de Ausrede. Hoffentlich schluckt Herr Pr?torius sie und ich darf hierbleiben. So richtig beeindruckt sieht Leonie n?mlich noch nicht aus. Ich sch?tze, da muss ich noch ein wenig Gas geben.

»Tja, Kira, das ist zwar ein etwas sonderbarer Einfall, aber kein schlechter. Vielleicht habt ihr euch nach dem letzten Test wirklich mal eine Unterrichtsstunde mit lebendigem Anschauungsmaterial verdient.«Anschauungsmaterial? He, ich heisse Winston Churchill – ich bin doch kein Material! »Dann komm mal mit deiner Katze nach vorne, Kira!«

Kira krault mich hinter den Ohren und beugt sich?ber mich.

»Siehst du«, fl?stert sie mir zu, »hab ich dir doch gesagt – der Pr?torius ist wirklich total nett!« Sie geht mit mir nach vorn und setzt mich auf den Tisch, hinter dem ihr Lehrer steht.

»Danke, Kira. So, liebe 7c, nachdem wir uns in den letzten Stunden ja recht ausf?hrlich mit wirbellosen Tieren besch?ftigt haben, hat uns Kira heute ein Wirbeltier mitgebracht, n?mlich ihre Katze. Ein sch?nes Exemplar. Kira, willst du uns etwas zu deinem kleinen Freund hier erz?hlen?« Kira nickt.

»Ja, also das ist Winston Churchill. Er ist ein Kater. Britisch Kurzhaar. Wie der Name schon sagt, kommt die Rasse aus England. Sie wird seit ?ber hundert Jahren gez?chtet. Winston ist also sehr edel.«

»Nun gib mal nicht so an!«, ruft Leonie dazwischen.

»Genau!«, stimmt ihr das M?dchen zu, das wir heute Morgen schon getroffen haben. Emilia, oder wie die hiess. Geh?rt offenbar zu Leonies Fanclub. Jetzt mischt sich der Junge mit der Brille ein.

»Also, ich finde das sehr interessant. Ist doch toll, dass Winston hier ist. Ich mag Katzen!«

»Ja, Tom, ich auch«, stimmt ihm Herr Pr?torius zu. »Und weil das so ist, frage ich euch: Weiss denn jemand, wie lange der Mensch schon Katzen als Haustiere h?lt?«

Schweigen. Nicht mal die oberschlaue Leonie sagt etwas.

»Der Mensch h?lt Katzen schon seit ungef?hr zehntausend Jahren als Haustiere«, erkl?rt Pr?torius. »Ganz sch?n lang, was?« Sch?tze, da hat er recht. Ich kenne mich zwar mit der menschlichen Zeit nicht so aus, aber zehntausend Jahre klingen ziemlich lang. Sch?tze, in zehntausend Jahren sitze ich l?ngst auf einer Wolke im Katzenhimmel.

»Die ?ltesten Knochenfunde von den Vorfahren der Katzen sind sogar schon dreissig Millionen Jahre alt. Dein Winston hier hat also eine ganz sch?n alte Sippe. Steinalt gewissermassen«, erz?hlt Pr?torius weiter.

Ein M?dchen meldet sich.

»D?rfen wir Winston mal streicheln?«

»Oh ja, bitte, Kira – d?rfen wir ihn mal streicheln?« Kira nickt.

»Klar, aber vielleicht einzeln und nacheinander. Nicht, dass Winston noch Angst bekommt.« Sofort bildet sich eine Schlange von neugierigen M?dchen und Jungen. Hrrr, normalerweise ist das ?berhaupt nicht mein Fall, aber wenn es dazu f?hrt, dass Kira hier neue Freunde findet, dann opfere ich mich gern. Und tats?chlich sieht Kira so aus, als w?re sie seit Beginn der Schulstunde um ein paar Zentimeter gewachsen. Sehr gut! Mein Plan geht auf! Geduldig bleibe ich also auf dem Tisch hocken, w?hrend mich ein fremdes Kind nach dem n?chsten krault.

Auf einmal steht Leonie vor mir und streckt die Hand nach mir aus. Dabei ist mir ausgesprochen unwohl. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie mich einfach nur ganz lieb streicheln will. Zumal mir ein Blick in ihr Gesicht verr?t, dass sie sich unglaublich ?ber die viele Aufmerksamkeit ?rgert, die Kira nun bekommt. Aber egal – soll sie mich eben auch streicheln. Was kann sie dabei schon B?ses anstellen?

Kaum hat sie mich ber?hrt, zieht Leonie auf einmal ihre Hand zur?ck, als h?tte sie ein Stromschlag getroffen. Dann beginnt sie zu keuchen.

»Hilfe!«, kr?chzt sie dramatisch. »Hilfe! Ich bekomme keine Luft mehr!« Sie wankt einen Schritt zur?ck und l?sst sich direkt in die Arme des v?llig ?berraschten Herrn Pr?torius fallen.

»Oh mein Gott! Schnell, Kira, pack deine Katze wieder ein!«, ruft er. »Ich f?rchte, die arme Leonie hat einen allergischen Schock erlitten! Schnell!«

Kira braucht einen Moment, um sich aus der Schreckstarre zu l?sen, dann packt sie mich und rennt mit mir zu ihrem Tisch. Keine zwei Sekunden sp?ter stecke ich v?llig verdattert wieder in der dunklen Tasche.

Wer oder was auch immer ein allergischer Schock ist: Das Jucken in meiner Schwanzspitze verr?t mir, dass es dieser Leonie nicht halb so schlecht geht, wie sie gerade behauptet. Und meine Schwanzspitze irrt sich nie!

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Manchmal ver?ndert ein Tag dein Leben. Und du merkst es erst gar nicht.

Als wir wieder zu Hause ankommen, parkt ein Polizeiwagen vor der T?r. Himmel, ja! Vielleicht war es nicht die beste Idee, Kira in die Schule zu begleiten. Aber deswegen gleich mit der Polizei hier anzur?cken, erscheint mir nun doch ein wenig ?bertrieben. Schliesslich haben wir gar nichts gemacht. Und wenn die bl?de Leonie nicht eine so ausgezeichnete Schauspielerin w?re, w?re mein erster Schultag ganz entspannt zu Ende gegangen. Stattdessen hatte ich das zweifelhafte Vergn?gen, auch gleich die Direktorin desWilhelminen Gymnasiums kennenzulernen. Frau Rosenblatt. Aber w?hrend ihr Name so zart und blumig klingt, ist sie in Wirklichkeit eine Frau der klaren Ansage. Und die lautete in unserem Fall: keine Haustiere in der Schule! Ich glaube, wenn Herr Pr?torius nicht einfach behauptet h?tte, dass Kira seine Erlaubnis f?r die Aktion hatte – es h?tte ein echtes Donnerwetter im Direktorenzimmer gegeben. So war es lediglich eine steife Brise, die uns hier entgegenwehte. Nicht sch?n, aber verkraftbar.

Dachte ich jedenfalls. Nun aber steht hier die Polizei. Mist. Was machen wir da bloss? Ob mich Kira besser wieder in ihrer Tasche verstecken sollte? Im Fernsehen nimmt die Polizei h?ufiger mal Menschen mit und sperrt sie in eine Zelle. Ob die das mit Katzen auch so machen? Oder bringen die mich dann direkt ins Tierheim? Ich merke, wie mein Herz rast. Bloss nicht ins Tierheim! Dort gibt es bestimmt kein so sch?nes Fleckchen wie mein Wohnzimmersofa!

Allerdings wohnen wir nicht allein in der Hochallee. Vielleicht wollen die gar nicht zu uns. Sondern zu Frau von Basewitz im Stockwerk?ber uns. Falls siedie mitnehmen, w?rde es mich nicht weiter st?ren. Die alte Basewitz mag keine Katzen im Allgemeinen und mich im Besonderen nicht. Behauptet immer, schwarze Katzen w?rden Ungl?ck bringen und dass es auch etwas damit zu tun h?tte, ob ich von links nach rechts durch den Flur laufe – oder von rechts nach links.V?llig gaga also, die Alte. Die k?nnte die Polizei ruhig mal ein bisschen einsperren. Ich weiss, es ist gemein, aber dieser Gedanke beruhigt mich etwas und so trabe ich wieder halbwegs entspannt neben Kira die Treppen zu unserer Wohnung hoch.

Kurz bevor wir an der Wohnungst?r ankommen, ?ffnet sich diese von allein und heraus kommen: MIAU! Zwei Polizisten! Vor Schreck springe ich auf Kiras Arm. Wahrscheinlich ist das nicht besonders klug, denn hier sehen die mich nat?rlich sofort, aber ich kann nicht anders. Auch Kira scheint sich beim Anblick der M?nner erschreckt zu haben. Ich kann h?ren, dass ihr Herz fast so schnell schl?gt wie meins.

»Guten Tag!«, begr?ssen sie die beiden M?nner. Wahrscheinlich werden sie Kira nun bitten, ihnen ohne Gegenwehr den Kater, also mich, auszuh?ndigen. Und dann: Ade, du meine sch?ne Heimat! Ich kralle mich vorsorglich schon mal in Kiras Pullover.

»Hallo«, erwidert Kira. »Suchen Sie etwa mich?«

»Nein, wir suchen deine Katze!«

AAAHH! Ich hab’s gewusst! Hilfe! Sie werden mich verhaften wegen gef?hrlichen Eingriffs in eine Schulstunde. Ich werde mein geliebtes Sofa nie wiedersehen! In diesem Moment brechen beide Polizisten in Gel?chter aus. Was, bitte, ist daran komisch? Der gr?ssere der beiden M?nner h?rt schliesslich auf zu lachen und r?uspert sich.

»Nein, nein. Kleiner Scherz. Wir suchen niemanden. Wir hatten nur ein paar Fragen an Frau Kovalenko.«

Kira zuckt zusammen.

»Oh, das ist meine Mutter!« Die Polizisten z?gern kurz, als wollten sie dazu etwas sagen, lassen es dann aber und verabschieden sich stattdessen. Ein sehr seltsamer Auftritt.

Anna steht im Wohnungsflur und wartet schon auf uns.

»Kira! Da bist du ja! Ich hatte eben einen Anruf aus deiner Schule. Erfreulich war der nicht gerade! Wie kommst du auf die verr?ckte Idee, Winston mit in deine Klasse zu schleppen?«

»Aber Mama, so war das gar nicht«, verteidigt sich Kira. »Winston wollte unbedingt mitkommen.«

Anna schnaubt emp?rt.

»Sag mal, du h?ltst mich wohl f?r bl?d, oder? Es war nicht deine Idee, sondern die einer Katze? Ein M?dchen ist ernsthaft krank geworden. Ich kann nur hoffen, dass da nicht noch eine Menge ?rger auf uns zukommt. Das ist das Letzte, was ich gerade brauchen kann.« Jetzt ist es an Kira zu schnauben.

»Ich glaube, die doofe Leonie ist gar nicht krank. Die hat nur so getan, um mich zu ?rgern. Alle anderen fanden Winston toll! Es war eine klasse Aktion!«

»Was deine Mitsch?ler finden, interessiert mich nicht. Mich interessiert nur, was deine Direktorin findet, und die war alles andere als begeistert von der Aktion.« Annas Stimme bebt. Sie ist richtig w?tend.

»Na klar, meine Mitsch?ler sind dir egal. K?mmert dich ja nicht, ob ich an der neuen Schule Freunde finde. Hauptsache, du hast deine Ruhe. Meine Probleme interessieren dich nicht.« Bei den letzten Worten f?ngt Kira an zu weinen. Ich f?hle mich mit einem Mal sehr, sehr schlecht. Es war ja tats?chlich meine Idee.

»Das stimmt doch gar nicht, Schatz. Wenn es ein Problem gibt, kannst du es mir erz?hlen – das weisst du ganz genau. Wir vertrauen uns gegenseitig, schon vergessen?«

»Nein, hab ich nicht. Aber ich glaube, du hast es vergessen. Oder warum erz?hlst du mir nicht von deinem ?rger mit der Polizei?« Anna zuckt zusammen.

»Das ist nichts, was ein Kind etwas angeht.«

»Ach, auf einmal bin ich wieder das kleine M?dchen, was? Du bist so … so … du bist so ?TZEND!« Mit diesen Worten macht Kira auf dem Absatz kehrt und rennt wieder aus der Wohnung. Bevor sie die T?r zuschlagen kann, renne ich hinterher. Ich habe den Mist hier verbockt, ich halte jetzt zu ihr! Ehrensache! Auch wenn ich momentan keine Idee habe, wo Kira ?berhaupt hinwill.

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Sie weiss es anscheinend selbst nicht. Unten auf der Strasse steht sie jedenfalls erst einmal unschl?ssig herum und starrt mal auf den Boden, mal in die Luft. So geht es eine ganze Zeit lang, bis ich beschliesse, selbst die Initiative zu ergreifen. Sonst stehen wir wom?glich noch morgen hier. Ich fauchelautstark.Hallo, Erde an Kira! Bist du da irgendwo?

»Oh, Mist, Winston, ich weiss nicht, was ich jetzt machen soll. Wieder nach oben gehen will ich nicht, aber ich habe keine Ahnung, wohin ich sonst k?nnte. Ich kenne mich in der Gegend noch gar nicht aus und Freunde habe ich hier auch keine. Was f?r ein doofer Tag!«

Da hat sie vollkommen recht. Der Tag ist bisher richtig doof, und hier wie angenagelt stehen zu bleiben, ist sogar noch doofer. Ich trabe Richtung Hinterhof. Heute ist schon so viel schiefgegangen, da k?nnen wir auch gleich meine unfreundlichen Kollegen wieder besuchen. Vielleicht bringt das Kira auf andere Gedanken. Schliesslich mag sie Katzen. Und schlimmer wird der Tag schon nicht werden. Kann er ja gar nicht.

Kann er doch. Denn schlimmer geht’s immer: Ich bin noch nicht bei den M?lltonnen angekommen, da stellt sich mir schon der dicke Tiger namens Spike in den Weg.

»Hall?chen, Pop?chen! Der Herr Stubenkater gibt sich die Ehre!« Er grinst von einem Ohr zum anderen. Oder besser: Er w?rde garantiert so grinsen, wenn es ihm als Katze m?glich w?re. Das h?re ich seinem sp?ttischen Tonfall genau an. »Ich dachte, wir sehen dich hier nie wieder.«

»Wie kommst du darauf?«, gebe ich mich m?glichst selbstbewusst.

»Tja, ich weiss gar nicht, wie ich darauf gekommen bin. Moment, lass mich ?berlegen. Hm, vielleicht, weil wir nicht in deine besseren Kreise passen? Oder nein, das war es nicht. Jetzt hab ich’s: Ich dachte, du findest den Hof hier gar nicht wieder. So ohne deine Leine. Das war ja wirklich ein sehr sch?nes Teil. Und so glitzerig!« Er prustet los.

Haha, sehr witzig.

»Nat?rlich finde ich den Hof. Ich sehe ihn schliesslich jeden Tag von meinem Fenster aus«, erwidere ich genervt.

»Wie auch immer. F?r den Notfall hast du ja wieder dein Frauchen dabei. Bist du sicher, dass du kein Hund bist?«

Grrrr, so eine bodenlose Unversch?mtheit! Zu gern w?rde ich Spike jetzt mit einer unglaublich geistreichen Antwort abservieren – aber leider f?llt mir keine ein. Wo ist nur meine Schlagfertigkeit, wenn ich sie brauche? In der Zwischenzeit ist auch Odette herangestromert. Grossartig. Das wird mein neues Hobby: in Anwesenheit einer h?bschen Katze dumm aus der W?sche gucken.

»Ach, schau an: der Premierminister. Wenn das kein hoher Besuch ist! Und nun schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage. Toll!«

»Hallo, Odette. Wollte nur checken, was bei euch gerade so abgeht«, versuche ich es betont l?ssig. Odette legt den Kopf schief.

»Checken, so abgeht…??? Wo hast du denn den Spruch her? Der passt ja nun gar nicht zu so einem steifen Typen wie dir. Willst wohl einen auf locker machen. Pffff, wie uncool!«

Warum in aller Welt ist die eigentlich so verdammt unfreundlich zu mir? Und warum in aller Welt macht mir das so viel aus? K?nnte mir doch egal sein, was diese dahergelaufene Hofkatze von mir denkt. Ist es mir aber leider nicht. Im Gegenteil. Odettes Spott versetzt mir einen sehr schmerzhaften Stich in der Brust. Betreten schaue ich zu Boden. Mein Versuch, hier als ganz entspannter Gentleman-Kater aufzutrumpfen, ist gr?ndlich in die Hose gegangen.

»He, ich wollte nur mal gucken, wie es euch so geht!«, verteidige ich meinen Besuch. »Ich meine, wir sind schliesslich Nachbarn, da wird man doch noch vorbeikommen d?rfen.«

Odette mustert mich kritisch.

»Ja? Wird man? Hat dich doch bisher auch nicht interessiert, wie es uns hier geht. Ich sehe dich immer an eurem Fenster sitzen und auf uns hinabschauen. Und das meine ich jetzt nicht nur w?rtlich. Nee, nee – ich weiss doch, wie du ?ber uns denkst. Ich habe es an deinem Blick gesehen. Du h?ltst dich f?r etwas Besseres, nur weil du mit deinem Professor da oben wohnst und ihr sogar ’ne K?chin habt, die dir deine Extrawurst br?t.«

Jetzt bin ich baff. Woher weiss Odette das? Offenbar sieht sie mir meine ?berraschung an, denn sie legt sofort nach.

»Jetzt verrat ich dir mal was: Deine feine Olga hat nicht nur f?r euch gekocht. Nein, immer wenn etwas ?brig geblieben ist, kam sie in den Hof und hat uns auch etwas gegeben. Sehr lecker! Am besten schmeckte mir immer Gefl?gelleber mit Petersilie. Einfach ein Traum.«

Bitte? Olga hat MEINE Gefl?gelleber an die Kollegen im Hof verf?ttert?

»Da bist du platt, richtig? Und stell dir vor, was sie immer gesagt hat, wenn sie kam. Sie sagte, dass es ihr viel mehr Spass machen w?rde, f?r uns zu kochen, als f?r dich. Weil wir das Essen n?mlich zu sch?tzen wissen, w?hrend du total verw?hnt bist!«

Ich fasse es nicht– so hat Olga ?ber mich gesprochen? Der Stich in meiner Brust ist jetzt hundertmal schlimmer als der, den ich vorhin gesp?rt habe. Nein, genau genommen tut mir nicht nur die Brust weh, sondern alles. Ich taumle zur Seite, als ob mich ein heftiger Schlag getroffen h?tte. Aber Odette macht unbarmherzig weiter.

»Auf so einen ?berkandidelten, arroganten Kater wie dich habe ich hier garantiert nicht gewartet. Am besten, du verziehst dich wieder.«

Ich nehme all meine Kraft zusammen, um Odette m?glichst fest in die Augen zu blicken. Es f?llt mir schwer, aber es muss sein.

»Hatte sowieso nicht vor, l?nger zu bleiben. Irgendwie ziemlich schlechte Luft hier. Tsch?ss.« Dann drehe ich mich um und laufe hoch erhobenen Hauptes weiter.

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»Warte doch mal, Winston! Wo willst du denn auf einmal so schnell hin?« Kira folgt mir. Sie hat nat?rlich ?berhaupt nicht mitbekommen, dass mir gerade etwas Furchtbares zugestossen ist. Ich maunze mitleiderregend und sie b?ckt sich zu mir.

»Du Armer, stimmt etwas nicht? Du siehst ja auf einmal furchtbar aus!« Sie krault mich am Hals und ihre Streicheleinheiten tun mir sehr gut. Bl?de Olga. Du bist nicht der einzig nette Mensch auf der Welt. Suche ich mir eben einen anderen Zweibeiner zum Kuscheln. Genau genommenbist du nicht mal nett gewesen. Hat sich gerade gezeigt. Verr?terin!

»Heute ist nicht so unser Tag, was? Ich schlage vor, wir erkunden jetzt mal gemeinsam das Viertel und machen das Beste daraus. Vielleicht finden wir eine Eisdiele. Und wenn wir an einem Fischgesch?ft vorbeikommen, kriegst du einen riesigen Hering. Versprochen!«

Okay, der Plan klingt nicht so schlecht. Und Kira hat nat?rlich v?llig recht: Man muss versuchen, auch aus so einem verkorksten Tag noch etwas zu machen. Wenn dabei ein grosser Hering f?r mich rausspringt – umso besser!

Kira schaut sich kurz um und geht dann mit entschlossenen Schritten die Strasse hinunter. Ob sie dort das Fischgesch?ft vermutet? Neugierig und schon deutlich besser gelaunt, trabe ich hinter ihr her. Irgendwie macht Spazierengehen mit einem Menschen doch Spass. Vor allem, wenn ich dabei keine Leine tragen muss.

Die neugewonnene Freude an dem Tag w?hrt allerdings nicht lang. Denn kaum sind wir einen Moment unterwegs, bekomme ich einen Wassertropfen auf die Nase. Nanu, was ist das?

»Och nee, jetzt f?ngt es auch noch an zu regnen! So ein Mist!«, schimpft Kira vor sich hin. Ach so, das ist also Regen. Interessant. Aber auch unpraktisch. Wasser von oben – da werden wir ja nass! Das mag ich als Kater nun ?berhaupt nicht.

Der Regen wird immer st?rker. In der Ferne f?ngt es an zu donnern. Am liebsten w?rde ich sofort umdrehen und nach Hause laufen. Leider weiss ich nicht genau, wo unser Zuhause ?berhaupt liegt. Ich f?rchte, Spike hatte recht: Mein Orientierungssinn ist nicht der beste.

»Komm, Winston, wir m?ssen uns was zum Unterstellen suchen!«, ruft Kira und rennt los. Ich renne hinterher. Mittlerweile sch?ttet es wie aus Eimern, und ich merke, wie mein Fell langsam durchweicht.

»Da vorn! Das Baustellenh?uschen. Komm!« Kira hat eine kleine H?tte entdeckt. Sie steht auf einem Platz mit riesigen Fahrzeugen und einer Grube und ist an der Vorderseite offen. Wir k?nnen uns also ohne Probleme unter ihr Dach stellen, was wir auch tun. Ich schaue mich um und nehme neben mir eine grosse runde Spule wahr, auf die hell gl?nzendes Kabel gewickelt ist. Was mag das sein? Gesehen habe ich so etwas noch nie. Das Ding hat in etwa die H?he einer Parkbank, weswegen sich Kira einfach obendrauf setzt. Dann nimmt sie mich auf den Schoss. Klitschnass, zitternd und frierend hocken wir dort und warten, dass der Regen aufh?rt. Leider tut er das nicht. Stattdessen kommt das Donnern immer n?her.

Sagte ich vorhin, der Tag sei doof? Ich korrigiere mich. Er istentsetzlich. Erst der?rger in der Schule, dann das Desaster mit Odette. Und jetzt der Regen. Ich w?nschte, ich w?re nicht hier. Ach was: Ich w?nschte, ich w?re jemand anderes. Irgendjemand anderes. Hauptsache nicht mehr Winston Churchill, wohnhaft bei Professor Hagedorn.

Kira f?hrt mir mit den H?nden durch mein nasses Fell. »Winston, ich bin wirklich froh, dass es dich gibt«, seufzt sie, w?hrend sie mich weiter krault. »Ich meine, ohne dich h?tte ich ?berhaupt keinen Freund. Du hast es ja heute in der Schule erlebt – die sind da echt gemein zu mir. Ach, manchmal w?nschte ich, ich w?re jemand anderes. Irgendjemand. Hauptsache nicht mehr Kira Kovalenko.«

In diesem Moment leuchtet direkt?ber uns ein unglaublich grelles Licht auf. Dann trifft mich ein Schlag. Und zwar so unvermittelt und gewaltig, dass ich erst gar nicht begreife, wo der ?berhaupt herkommt. Er hebt Kira und mich regelrecht in die Luft und sch?ttelt uns von Kopf bis Fuss durch. Dann schleudert er uns zu Boden. Estost und donnert, die Erde bebt. Dann ist es wieder dunkel. Stockdunkel. Und ganz still.

Bin ich jetzt tot?

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Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht.

Oder etwa doch?

Nein. Ich bin nicht tot. Aber irgendetwas ist trotzdem anders. Sehr anders. Als ich die Augen wieder aufschlage, sieht die Welt um mich herum v?llig ver?ndert aus. Sie ist so … farbig! Genau: Sie ist auf einmal richtig bunt. Es scheint, als seien ein paar Farben dazugekommen, die vorher nicht da waren. Ausserdem sieht alles sch?rfer aus. Ich erkenne auf einmal Details, die mir noch nie aufgefallen sind. Direkt neben mir auf dem Bodenkrabbelt ein kleiner K?fer. Er hat eine Farbe, die mir v?llig neu ist, und viele kleine schwarze Punkte auf seinem R?cken. Unglaublich. Was ist bloss passiert?

Ich rappele mich hoch und sch?ttele mich. Das heisst: Ich will mich sch?tteln, aber weil ich dabei anfange, ganz furchtbar zu schwanken, h?re ich sofort wieder damit auf. Es ist, als habe ich meinen K?rper nicht mehr im Griff. Und wenn ich mich jetzt umsehe, weiss ich auch, warum: Ich bin pl?tzlich wahnsinnig gross. Also,ich meine: lang. Mein Kopf muss auf einmal hoch ?ber der Erde schweben – ein schwindelerregendes Gef?hl! Zuschwindelerregend passt?brigens auch, dass ich rasende Kopfschmerzen habe. Ich will maunzen, aber mein Maul verl?sst ein Laut, der mich erschaudern l?sst: Ich habe gerade eindeutig »Aua« gesagt. Aua. A-U-A. Ein Wort. Ein menschliches Wort. Seit wann kann ich sprechen?

Direkt unter mir h?re ich ein sehr kl?gliches Miauen. Ich schaue hinunter und sehe eine schwarze Katze, die lang gestreckt neben der Spule liegt und sich hin und her windet. Die schwarze Katze kommt mir auf eine seltsame Art und Weise sehr bekannt vor. Sie sieht aus wie … ich schaue noch einmal genau hin … tats?chlich: Sie sieht aus wie ich! Und zwar haargenau! Auf dem Boden vor mir liegt Winston Churchill. Kein Zweifel! Ein kalter Schauer jagt ?ber meinen R?cken. Langsam d?mmert mir, dass der Schlag von vorhin etwas ganz gewaltig durcheinandergebracht haben muss. Wenn dort unten Winston liegt, bin ich dann etwa …? Aber nein, das kann doch nicht sein! Das darf doch nicht sein!

Ich nehme all meinen Mut zusammen und schaue vorsichtig an mir hinunter. Tats?chlich. Blaue Jeans. Kn?chelhohe Turnschuhe, deren Farbe ich erst jetzt so richtig bemerke. Sehr knallig. Das muss wohl Pink sein. Ich kenne diese Schuhe. Sie geh?ren Kira. Nun hebe ich mein linkes Vorderbein und betrachte meine Pfote. Fehlanzeige. Dort wo eben noch eine Pfote war, befindet sich jetzt eine Hand. Heilige ?lsardine! Ich habe mich in einen Menschen verwandelt! Und zwar nicht in irgendeinen, sondern in Kira!

»Winston, was ist hier los? Was ist passiert?«

Kira. Eindeutig Kiras Stimme. Aber wo kommt die her? Ich bin doch Kira und ich habe nichts gesagt. Ich bin n?mlich immer noch sprachlos.

»He, Winston – kannst du mich h?ren?«

Da das einzige Lebewesen in meiner N?he die Katze zu meinen F?ssen ist, muss sie es wohl sein, die mit mir spricht. Also gewissermassen spricht Winston mit mir. Winston spricht mit Winston. Was f?r ein unglaublicher Schlamassel! Mein Sch?del brummt noch lauter. Ich sollte wohl besser antworten, aber die Vorstellung, nun zu sprechen, macht mir Angst.Nur Mut!, versuche ich mich selbst zu beruhigen und r?uspere mich.

»?h, ich, ?h – ich bin hier oben.«

Die Katze guckt erstaunt zu mir hoch.

»Bist du das, Winston?«, h?re ich sie sagen.

Tats?chlich. Ich kann sie eindeutig h?ren und es klingt wie Kiras Stimme. Allerdings hat die Katze weder miaut noch etwas gesagt. Offenbar h?re ich ihre Stimme in meinem Kopf! Das ist echt zu viel f?r mich, zumal wenn ich auf zwei Beinen stehen muss. Ich setze mich auf den Boden.

»Hast du etwas gesagt?«, will ich dann von der Katze, die wie Winston aussieht, wissen. »Also, ich meine, so richtig etwas gesagt?«

Die Katze r?ckt n?her an mich heran und mustert mich.

»Keine Ahnung, ich bin so durcheinander. Rede ich denn? Es f?hlt sich nicht so an. Ich … ich … ich glaube, ichdenke eher.«

Genau. Das ist es. Ich h?re Kiras Stimme in meinem Kopf, weil ich ihre Gedanken h?re. Um Himmels willen! Grosser Katzengott, wenn es dich gibt: Was hast du uns denn da eingebrockt und vor allem: warum?!

Ob das auch umgekehrt funktioniert? Ich schaue die Katze an und denke:Kannst du mich jetzt auch h?ren?

»Ja, so kann ich dich auch h?ren«, kommt die Antwort prompt. Faszinierend. Ich kann mich mit der Katze, die wie Winston aussieht und wie Kira klingt, in Gedanken unterhalten. Gehen wir der Sache also mal auf den Grund.

»Wer bist du?«, will ich von der Katze wissen, obwohl ich mir die Antwort eigentlich schon denken kann.

»Ich glaube, ich bin Kira. Allerdings habe ich gerade festgestellt, dass ich nicht mehr aussehe wie Kira. Sondern wie Winston.«

»Hm, geht mir genauso. Na ja, eigentlich umgekehrt: Also, ich bin Winston, sehe aber aus wie Kira.«

»Das ist ja verr?ckt! Haben wir etwa getauscht?«

Ich nicke.

»Sieht ganz so aus.«

»Warum bloss?«

»Keine Ahnung. Aber es hat bestimmt etwas mit diesem grellen Licht zu tun und dem Schlag, der uns getroffen hat«, mutmasse ich.

»Du meinst den Blitz?«, will Kira, die jetzt im alten Winston steckt, von mir wissen.

»War das ein Blitz?«

»Ich glaub schon. Wir sind doch in ein Gewitter geraten. Das grelle Licht, der heftige Schlag: Ich w?rde sagen, wir sind vom Blitz getroffen worden. Es ist ein Wunder, dass wir das ?berlebt haben.«

Vermutlich hat sie recht. Es ist ein Wunder. Allerdings habe ich es leider nicht in meinem alten K?rper ?berlebt. Das begreife ich immer noch nicht. Wie ist das nur m?glich?

»Vielleicht hat es ja mit meinem Wunsch zu tun«, denkt Kira nach.

»H?? Welcher Wunsch?«

»Na ja, kurz bevor der Blitz eingeschlagen hat, habe ich mir gew?nscht, jemand anders zu sein.«

»Stimmt«, erinnere ich mich. »Das hast du auch gesagt. Und interessanterweise habe ich kurz vorher genau das Gleiche gedacht.«

Wir seufzen. Und zwar gleichzeitig.

»Tja«, stellt Kira fest, »dann ist uns wohl ein Wunsch erf?llt worden und wir haben miteinander getauscht. Jetzt bin ich du und du bist ich. Kira ist Winston und Winston ist Kira. Oh Mann, was f?r ein Chaos!«

Da hat sie ganz recht. Bei meinem Schnurrbart, den ich nun nicht mehr habe: so ein verfluchter Mist!

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Als wir wieder in der Hochallee ankommen, bin ich schweissgebadet. Ich h?tte nie gedacht, dass das Laufen auf zwei Beinen so anstrengend ist. Sobald ich nicht genau schaue, wo ich hinwill, beginne ich schon zu schlingern – ich kann mit meiner neuen K?rpergr?sse noch nichts anfangen. Zum Gl?ck sind weder Anna noch Werner da, als wir heimkehren. Wirbieten bestimmt einen sehr merkw?rdigen Anblick, und das Letzte, was ich jetzt brauche, sind neugierige Fragen von Menschen, mit denen ich dann reden m?sste.

Auch Kira ist mit ihrer neuen Gestalt alles andere als zufrieden. In der Wohnung angekommen, l?sst sie sich in mein K?rbchen fallen und streckt alle viere von sich.

»Winston, dieser Tausch ist eine Katastrophe! Wir m?ssen unbedingt wieder zur?cktauschen! So schnell wie m?glich – ehrlich! Ich kann doch nicht den Rest meines Lebens eine Katze bleiben!«

»Tja, ich w?re auch gern so schnell wie m?glich wieder ein Vierbeiner«, stimme ich ihr zu. »Nur – wie wollen wir das machen? Ich habe das ungute Gef?hl, dass das nicht so einfach wird.«

»Vielleicht m?ssen wir noch mal vom Blitz getroffen werden und uns dann w?nschen, dass alles wieder beim Alten ist?«, schl?gt Kira vor. Ich sch?ttle den Kopf.

»Uns noch mal vom Blitz treffen lassen? Geht denn das so einfach? Und ?berhaupt: Wir wissen doch gar nicht, wie das wirklich passiert ist. Ob es an dem Blitzschlag lag – keine Ahnung. Oder hast du schon mal irgendwo von Leuten geh?rt, die vom Blitz getroffen wurden und dann jemand anders sind?«

Kira schl?gt mit dem Schwanz hin und her und maunzt ungl?cklich.

»Nein, habe ich nicht. Und wenn mir vorher jemand erz?hlt h?tte, dass so etwas m?glich ist, h?tte ich ihn f?r verr?ckt erkl?rt.«

»Na siehst du. Was uns passiert ist, ist also offenbar nicht normal. Und ich glaube, bevor wir nicht herausgefunden haben, warum wir nun im falschen K?rper stecken, haben wir keine Chance, wieder rauszukommen.«

Kira gibt seltsame Schnaufger?usche von sich.

»He, alles in Ordnung?«, will ich wissen.

»Nein, ?berhaupt nicht! Ich w?rde am liebsten heulen – und selbst das kann ich als Katze nicht! Es ist einfach furchtbar!«

Ich f?rchte, Kira hat recht. Es ist wirklich furchtbar. Und es wird bestimmt noch viel furchtbarer, wenn ich mich das erste Mal mit Anna unterhalten muss und sie denkt, dass ich Kira bin. Was sage ich dann bloss zu ihr? Was sagen Zw?lfj?hrige so zu ihren M?ttern? Okay, ich habe die beiden jetzt ein paarmal zusammen erlebt – als Experte w?rde ich mich deswegen noch lange nicht bezeichnen. Einen Streit, wie ihn die beiden heute Mittag hatten, stehe ich mit Sicherheit noch nicht auf zwei Beinen durch. Jedenfalls nicht, ohne zwischendurch umzufallen. Oje! Insgeheim hoffe ich sehr darauf, morgenfr?h wach zu werden und festzustellen, dass alles nur ein b?ser Traum war.

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Mein Leben als M?dchen.

Oder: Aller Anfang ist schwer…

»Guten Morgen, mein Schatz! Draussen ist zwar scheussliches Wetter, aber ich f?rchte, du musst trotzdem aufstehen! Daf?r habe ich dir etwas besonders Leckeres zum Fr?hst?ck gemacht.«

Nein. Es war leider kein b?ser Traum. Vor mir im Halbdunkeln steht Anna und r?ttelt sanft an meiner Bettdecke. Ich murmle etwas, das hoffentlich wie »Guten Morgen, Mama« klingt, setze mich auf und reibe mir die Augen. Da haben wir den Heringssalat! Ich bin immer noch ein Mensch!

Anna setzt sich auf die Bettkante neben mich.

»Na, wollen wir uns nicht wieder vertragen?«

Ich nicke stumm. Vertragen ist eine gute Idee. Vor allem f?r jemanden wie mich, der sich noch nie mit seiner Mutter gestritten hat.

»Dann also wieder Frieden, okay?« Anna zieht mich zu sich und dr?ckt mir einen Kuss auf die Wange – ein wirklich komisches Gef?hl, ihre Lippen direkt auf meiner Haut zu sp?ren. Zum einen hat mich noch nie ein Mensch gek?sst und zum anderen trage ich normalerweise schliesslich ein Fell!

Anna steht auf und geht aus dem Zimmer. Als sie aus der T?r ist, kommt Kira hineingeschlichen.

»Morgen, Winston. Ich hatte so gehofft, dass alles nur ein b?ser Traum war. Aber wie es aussieht, bin ich tats?chlich noch ein Kater.« Sie springt zu mir aufs Bett und legt ihren Kopf auf meinen Schoss.

»Tja, geht mir genauso. Meine Begeisterung, heute noch ein M?dchen zu sein, h?lt sich auch sehr in Grenzen.«

Kira schnurrt und in Gedanken h?re ich sie kichern.

»Was ist denn daran so lustig?«, will ich von ihr wissen.

»Och, nichts.«

»Glaub ich dir nicht. Also was?«

»Na ja, du redest wie ein Erwachsener. So geschwollen. Hast du das als Kater auch schon gemacht?«

»?h, weiss nicht. Ich habe als Kater ja gar nicht mit Menschen geredet. Aber – ja, was du jetzt h?rst, ist eben die Art und Weise, wie ich sonst denke.«

Kira dreht sich auf den R?cken und mustert mich.

»Klingt auf alle F?lle ziemlich uncool. Also, pass bloss auf, dass du in der Schule meinen Ruf nicht v?llig ruinierst. Der ist eh schon nicht der beste.«

»Moment mal: wiesoSchule?«

»Na, du glaubst doch nicht etwa, dass Mama dich zu Hause bleiben l?sst?«

»?h, aber ich will da nicht hin!« Jetzt kichert Kira nicht, sondern lacht. Eindeutig.

»Tja, Pech gehabt. Ob man in die Schule geht, kann man sich leider nicht aussuchen. Manmuss, sonst gibt’s ?rger. Und zwar zuallererst mit meiner Mama. Die nimmt das Thema n?mlich sehr ernst. Also, wenn du nicht gerade Sch?ttelfrost und Fieber hast oder deinen Kopf unter dem Arm spazieren tr?gst, hast du keine Chance hierzubleiben.«

Oh nein. Das sind richtig schlechte Nachrichten. Ich in der Schule– mit lauter fremden Kindern! Ein echter Albtraum! St?hnend lasse ich mich wieder ins Bett sinken.

»Kira, steh schon auf! Du kommst zu sp?t!«, t?nt Annas Stimme ?ber den Flur. Sie klingt tats?chlich sehr entschlossen. Und wenn ich einfach behaupte, krank zu sein?

»?h, mir geht’s nicht so gut!«, kr?chze ich m?glichst schw?chlich und schliesse die Augen. Sofort h?re ich Annas Schritte auf dem Weg zu mir. Im Zimmer angekommen, legt sie ihre Hand auf meine Stirn.

»Fieber hast du eindeutig nicht. Komm, eine sch?ne Tasse Tee, dann bist du wieder fit! Vielleicht gehst du heute einfach mal fr?her ins Bett, dann bist du morgens auch wacher. Auf, auf, meine Dame! Ich m?chte nicht, dass du in der neuen Schule einen schlechten Eindruck hinterl?sst.«

Es ist genau, wie Kira gesagt hat: Wenn es um die Schule geht, scheint Anna keinen Spass zu verstehen. Als sie wieder verschwunden ist, winde ich mich aus dem Bett und wanke zur T?r. Heilige ?lsardine – Laufen auf zwei Beinen ist wirklich schwierig!

»Ich kann nicht in deine Schule gehen. Das ?berleb ich nicht.«

»Quatsch. So schlimm ist es auch wieder nicht«, versucht mich Kira zu tr?sten.

»Aber dann musst du mitkommen. Ohne dich bin ich dort v?llig aufgeschmissen«, flehe ich Kira an. Die sch?ttelt nur kurz den Kopf.

»Geht leider nicht. Hast du vergessen, welchen ?rger ich gestern deinetwegen bekommen hab? Wenn ich – ?h, also du – jetzt noch mal mit einer Katze aufkreuzt, ist der Ofen endg?ltig aus.« Stimmt wahrscheinlich. Ich st?hne gequ?lt.

»Was mache ich zuerst?«, denke ich laut nach.

»Na, du musst dich waschen und anziehen«, erkl?rt Kira. Stimmt. Gute Idee! Ich strecke meine Arme nach vorn, schlage die Nachthemd?rmel zur?ck und beginne, meine H?nde abzuschlecken.

»Miau! Doch nicht so! Du musst ins Badezimmer gehen und Wasser benutzen!«

Igitt! Wasser? Zum Waschen? Eine grauenhafte Vorstellung! Aber stimmt… wo ich so dar?ber nachdenke: Werner macht das auch immer. Grundg?tiger Katzenschnurrbart: Ich habe noch nicht einmal gefr?hst?ckt und schon zwei sehr unangenehme Dinge ?ber das Menschsein gelernt: Kinder m?ssen zur Schule gehen und gewaschen wird der Mensch mit Wasser. Wenn das so weitergeht, bin ich lange vor dem Mittagessen erledigt!

Ich taumle ins Badezimmer, Kira folgt mir.

»So, jetzt als Erstes Z?hneputzen! Mit der Zahnb?rste!«, erkl?rt sie.

Ratlos schaue ich mich im Badezimmer um. Wie k?nnte wohl eine Zahnb?rste aussehen? Ich greife nach etwas, das mich stark an meine Fellb?rste erinnert – ungef?hr gleich gross und mit Metallborsten. Ob ich mir damit die Z?hne putzen kann?

»Falsch!«, kommt es sofort von Kira. »Das ist eine Haarb?rste. Meine Zahnb?rste steht da dr?ben in dem Becher. Sie ist lila.« Lila. Aha. Wie mag lila aussehen? Als Katze bin ich kein Fachmann, wenn es um das Unterscheiden von Farben geht. Ich seufze und greife nach einer der kleinen Minib?rsten mit dem langen Stil, die sich in dem Becher auf der Ablage befinden. Es scheint die richtige zu sein, jedenfalls protestiert Kira nicht. Dann stecke ich mir das Teil in den Mund und kaue darauf herum. So mache ich es auch immer mit den Zahnpflege-Leckerlis, die Olga extra f?r mich gekauft hat.Leider ist die B?rste steinhart und schmeckt ?berhaupt nicht. Ich lege sie wieder ins Waschbecken.

»Nee, Winston! Du musst nat?rlich erst mal Zahncreme auf die B?rste tun und dann die Z?hne damit abschrubben. Sonst bringt das nichts.« Mit einem Satz landet Kira auf der Ablage neben dem Waschbecken und schl?gt mit der Pfote nach etwas, das wohl die Zahncreme sein muss. Ich nehme die Tube, schraube sie auf und dr?cke den Inhalt auf die B?rste.

»Kira! Gib mal Gas!« Anna steht vor der Badezimmert?r und wundert sich anscheinend schon, warum das heute so lange dauert. Ich merke, wie es auf meiner Stirn pl?tzlich nass wird. Ihhhh … was ist das? Etwa Schweiss? Dieses Ph?nomen habe ich schon mal bei Werner beobachtet. Letztes Jahr im Hochsommer. Aber jetzt ist es eigentlich gar nicht heiss … Ob der Schweiss mit dem ganzen Stress hier zusammenh?ngt? Wahrscheinlich! Warum haben es die Zweibeiner auch immer so verflucht eilig?

»Ich komme gleich!«, wiegle ich ab. Dann schnappe ich mir die Zahnb?rste und schrubbe drauflos, was das Zeug h?lt. Uah, was f?r ein komisches Gef?hl! Es schmeckt ?usserst gew?hnungsbed?rftig und nun bildet sich auch noch Schaum vor meinem Mund.

Ich betrachte mich im Spiegel. An diesen Anblick werde ich mich bestimmt nicht gew?hnen: Winston als Mensch. Allerdings scheinen Kira und ich die gleiche Augenfarbe zu haben. Zumindest kommt mir das Gr?n, was mir hier aus dem Spiegel entgegenblickt, sehr vertraut vor. Es ist immerhin eine Farbe, die ich auch als Kater ganz gut erkennen konnte. Irgendwie beruhigt mich das ein bisschen.

»He, Kira, du hast ja auch gr?ne Augen. Das war mir bisher gar nicht so klar. Aber anscheinend kann ich als Mensch Farben deutlich besser voneinander unterscheiden.«

Kira miaut erstaunt.

»Gr?ne Augen? Das gibt’s ja gar nicht!«

»Wieso?«

»Na, ich habe eigentlich gar keine gr?nen Augen. Sondern blaue.« Kira h?pft auf meine Schulter und starrt in den Spiegel. In diesem Moment sehe ich es auch: Kater Winston hat auf einmal blaue Augen. Und ich als Kira gr?ne. Wir haben also nicht nur unser Wesen, sondern auch unsere Augenfarbe getauscht!

»Auweia!«, maunzt Kira. »Wenn das meine Mutter sieht – die flippt garantiert v?llig aus und denkt, das h?tte ich extra gemacht. Mit Kontaktlinsen oder so. Und dabei ist sie schon echt sauer, wenn ich mich mal schminken will. Also, das darf sie nicht mitkriegen, sonst gibt’s ?rger, verstanden?«

?h, ich hab’s geh?rt. Verstanden habe ich es allerdings nicht. Wie soll ich denn verhindern, dass mir Anna in die Augen schaut? Kira scheint mir meine Zweifel anzumerken.

»Da musst du dir eben etwas einfallen lassen. Wir hatten gestern sowieso ziemlich Stress. Wenn du also so tust, als w?rst du immer noch beleidigt, und ihr aus dem Weg gehst, wird sie das nicht wundern. Mach ich meistens so. Ist ja nur f?r kurze Zeit. Bestimmt tauschen wir bald zur?ck.«

Kiras Optimismus in allen Ehren– aber das mit dem Zur?cktauschen scheint mir noch keine klare Sache zu sein.

»Wieso bist du dir da so sicher? Ich habe nicht die geringste Idee, wie wir das bewerkstelligen k?nnten.«

Kira seufzt.

»Uns wird schon irgendetwas einfallen. Vorher m?ssen wir nur verhindern, dass Mama davon Wind bekommt und Stress macht. Es wird n?mlich garantiert schwieriger, eine L?sung zu finden, wenn sie uns erst mal auf Schritt und Tritt folgt. Das siehst du doch auch so, oder?«

Ich nicke langsam. Gut, das leuchtet nat?rlich ein. Trotzdem: Anna aus dem Weg zu gehen, wird nicht so einfach werden. Wenn ich das in den letzten Wochen richtig beobachtet habe, passt sie immer ziemlich gut auf ihre Tochter auf.

Es klopft wieder an die Badezimmert?r.

»Kira, was ist denn heute los mit dir?«

»Ich komm sofort!« Bei meinem Fressnapf, ich werde noch irre hier! »Also gut, ich geh da gleich raus. Aber ich garantiere f?r nichts! Ich weiss nicht, was es heisst, ein Mensch zu sein. Trotzdem werde ich mir M?he geben!« Noch mal tief durchatmen, dann ?ffne ich die T?r und verlasse das Bad. Anna steht im Flur und guckt vorwurfsvoll.

»Da bin ich schon!«, murmle ich und blicke dabei zu Boden.

»Schon ist gut! Los, zieh dich schnell an, sonst schaffst du es nicht mehr!«

Zehn Minuten sp?ter sitze ich mit Anna am Fr?hst?ckstisch und versuche, so l?ssig wie m?glich mein Br?tchen zu essen. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass mich Anna unabl?ssig anstarrt. Ich r?uspere mich schliesslich.

»Stimmt was nicht, Mama?« Also, an meiner Kleidung kann es eindeutig nicht liegen. Die Auswahl hat Kira getroffen, indem sie in meinem – oder besser: ihrem – Kleiderschrank herumgesprungen ist und die passenden Teile auf den Boden geworfen hat. Dabei ist ihr sogar eine richtig gute Idee wegender falschen Augenfarbe gekommen.

Anna mustert mich weiterhin durchdringend.

»Nein, es ist alles in Ordnung. Ich frage mich nur, warum in aller Welt du hier in der Wohnung morgens um halb acht eine Sonnenbrille zum Fr?hst?ck tr?gst.«

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In der H?hle des L?wen.

Nee, falsch: In der Schule von Kira!

Mir ist unwohl. Sehr unwohl. Fand ich Kiras Schule gestern noch beeindruckend, kommt sie mir heute angsteinfl?ssend vor. Ausserdem f?rchte ich, jede Sekunde als Kater enttarnt zu werden.

W?hrend ich noch dar?ber nachgr?ble, wie ich aus dieser Nummer wieder heil herauskomme, trifft mich auf einmal ein fester Schlag auf den R?cken, genau zwischen meine Schulterbl?tter. Aua, ein Anschlag!

»Morgen, Kira!«, ruft eine Stimme hinter mir fr?hlich. Ich drehe mich um. Es ist der Junge mit der grossen Brille. Tom – glaube ich jedenfalls, denn Namen kann ich mir nicht sonderlich gut merken. Der war eigentlich ganz nett. Aber warum haut der mir so einfach auf die Schultern? Macht man dasbei den Menschen so?

»Also, deine Show mit der Katze, eins a! Und als Leonie dann aus den Latschen gekippt ist: Weltklasse! Wobei ich der Schnepfe im Leben nicht abnehme, dass sie wirklich keine Luft mehr bekommen hat. Die wollte sich doch nur wieder in den Mittelpunkt stellen.«

»?h …« Mehr f?llt mir dazu nicht ein. Nicht besonders intelligent, das gebe ich zu. Der g?tige Katzengott will es, dass in diesem Moment wieder die Klingel ert?nt. Tom erwartet keine Antwort mehr von mir, sondern hastet die Treppen zum Eingang hoch. Ich laufe einfach hinter ihm her – ich glaube nicht, dass ich mein Klassenzimmer selbst finden w?rde.

Kurz darauf stehen wir in dem Raum, den ich schon von gestern kenne. Aber wo ist mein Platz? Das konnte ich aus Kiras Schultasche heraus nat?rlich nicht erkennen. Oder gibt es gar keine festen Pl?tze und man setzt sich einfach irgendwohin? Mist, ich h?tte besser aufpassen sollen, als ich mit Kira hier war – aber wer konnte auch ahnen, dass ich in solch eine Situation geraten w?rde?

»He, du stehst im Weg.« Nat?rlich. Leonie. Unfreundlich wie bei unserer letzten Begegnung. Eigentlich habe ich ganz wenig Lust, mich von dieser Rotzg?re bl?d anreden zu lassen.

»Ah, du bist wieder genesen. Hervorragend. Ganz hervorragend. Ich schlage vor, du zeigst mir mal kurz, wo ich sitze. Es ist mir in der Sorge um deine Gesundheit tats?chlich vor?bergehend entfallen.« Leonie starrt mich an, als h?tte ich zwei K?pfe.

»Was?«

Ich seufze.

»Erstens: Das heisstWie bitte!. Und zweitens: Wo? Sitze? Ich?«

»?h, da dr?ben, neben Emilia«, stottert Leonie, zeigt auf den Platz neben der Blondgelockten, die ich schon kenne, und verschwindet ganz schnell. Okay. Deutliche und klare Ansagen wirken bei der dummen Pute. Gut zu wissen! Ein M?dchen, das direkt neben mir steht, pfeift.

»Cool, der hast du’s aber gegeben. Geschieht ihr recht. Die ist so eine bl?de Kuh.« Sehr sch?n. Es ist ganz beruhigend, jemanden kennenzulernen, der meine Abneigung in Sachen Leonie teilt. »H?tte ich dir ?brigens gar nicht zugetraut. Ich dachte, du w?rst so sch?chtern.«

»Danke, ?h …«

»Pauli, also eigentlich Paula, aber so nennen mich nur die Lehrer«, stellt sich das M?dchen vor und l?chelt mich aufmunternd an. Sie sieht v?llig anders aus als die ?brigen Sch?ler hier. Irgendwie … wilder! Ihre Haare stehen vom Kopf ab und ihre Augen sehen aus, als h?tte sie das M?dchenmit schwarzem Filzstift umrandet. Ausserdem hat sie ziemliche L?cher in ihrer Hose und tr?gt ein Shirt, das ihr viel zu gross ist. All das macht aber nicht den Eindruck, als h?tte sie heute fr?h im Kleiderschrank danebengegriffen, sondern vielmehr, als sei der seltsame Aufzug Absicht. Fragt sich nur: warum?

»Pauli, richtig«, tue ich so, als h?tte ich ihren Namen schon mal geh?rt. »Das ist nett von dir.«

»Keine Ursache. Sind ganz sch?n viele Namen, wenn man neu ist. Da f?hlt man sich wie der erste Mensch, richtig?« Pauli grinst, ich nicke. Wenn die w?sste, wie recht sie mit ihrer Bemerkung hat!

»Ja, ich glaube, es dauert noch ein bisschen, bis ich alle Namen kenne.« In diesem Moment habe ich eine Idee: Pauli scheint in Ordnung zu sein, vielleicht kann sie mir ein bisschen helfen? »Auch bei den Lehrern hapert es bei mir noch – bei wem haben wir denn gleich Unterricht?«

»Bei Frau Schiffer. Englisch.«

Ach du gr?ne Neune! Wenn ich mich nicht t?usche, ist Englisch eine andere Sprache als die, in der sich alle Menschen, die ich kenne, unterhalten. Und eine v?llig andere Sprache als die, die ich verstehe. Das kann ja heiter werden – hoffentlich fragt mich Frau Schiffer nichts.

Und da kommt sie auch schon durch die T?r geweht: eine zarte Gestalt, ganz in Schwarz, die Haare zu einem strengen Knoten gedreht. Mit schnellen Schritten l?uft sie zum Lehrerpult und knallt ihre Tasche auf den Stuhl dahinter. Ich mag mich t?uschen, aber auf den ersten Blick wirkt Frau Schiffer sehr ungem?tlich. Sie zieht einen Stapel Hefte aus ihrer Tasche und legt ihn auf das Pult, dann guckt sie mit ernster Miene in unsere Runde.

»Guten Morgen!«

»Guten Morgen, Frau Schiffer!«, antworten meine Mitsch?ler im Chor. Mir hat es gerade die Sprache verschlagen.

»Setzt euch.«

St?hler?cken, Gemurmel, alle setzen sich.

»Ich habe euch heute eure Englischarbeit mitgebracht. Und ich muss leider sagen: Sie ist miserabel ausgefallen.« Ein St?hnen und Seufzen geht durch die Klasse. »Allerdings gibt es eine Ausnahme. Ihr wisst, dass ich normalerweise keine einzelnen Noten bekannt gebe. In diesem Fall weiche ich abervon meiner Regel ab. Zum einen, weil diese Arbeit wirklich ganz besonders gut ist. Zum anderen, weil sie eine Sch?lerin geschrieben hat, die erst seit Kurzem auf diese Schule geht. Ich schliesse daraus, dass es mit den Englischkenntnissen dieser Klasse nicht weit her ist. Wir m?ssen uns hier alsoalle viel mehr M?he geben. Und wenn ichalle sage, dann meine ich auchalle. Also sowohl euch als auch mich.«

Frau Schiffer nimmt eines der Hefte und kommt damit in meine Richtung, dann bleibt sie vor mir stehen.»Kira, das hast du wirklich sehr gut gemacht. Von deinem Englisch k?nnen sich hier alle eine Scheibe abschneiden!«

»Oh, danke!«, stottere ich und hoffe, dass sie nicht gleich anf?ngt, mit mir Englisch zu reden. Dann w?re ich nach h?chstens einer Minute enttarnt. Es sei denn, ich kann in Kiras Gestalt nicht nur sprechen, sondern auch alle anderen Sachen, die ein zw?lfj?hriges M?dchen so draufhat. Also Lesen und Schreiben. UND Englisch. Auf einen Versuch m?chte ich es in diesem Augenblick aber nicht ankommen lassen!

»Du hast ja schon erz?hlt, dass deine Mutter Lehrerin ist. Wahrscheinlich unterrichtet sie auch Englisch, nicht wahr?«

»Was, meine Mutter? Nein, die ist keine Lehrerin. Die ist Haush?lterin bei Professor Hagedorn«, plappere ich ohne nachzudenken los.

»Ach wirklich? Haush?lterin?« Frau Schiffer schaut mich ganz erstaunt an. »Na ja, da habe ich dich wohl falsch verstanden.«

Emilia f?ngt an zu kichern.

»Hihi, Kiras Mutter ist Putzfrau!«

In diesem Moment wird mir klar, dass ich einen Fehler gemacht habe. Verdammt! Offenbar hat Kira etwas ganz anderes?ber Anna erz?hlt. Ich verstehe zwar nicht, warum – aber ich h?tte einfach die Klappe halten sollen. Emilia kichert immer noch und nat?rlich lacht mittlerweile auch die fiese Leonie. Frau Schiffer schnappt nach Luft.

»Ruhe, ihr beiden! Ihr habt nun wirklich keinen Grund f?r ?bertrieben gute Laune. Du, Emilia, hast eine F?nf plus. Und mit einer Vier minus bist du, Leonie, auch nicht viel besser. Also, anstatt euch ?ber Mitsch?ler lustig zu machen, solltet ihr lieber Vokabeln lernen. Da h?tten wir alle mehr von.«

Leonie sagt dazu nichts, Emilia zischt mir etwas ins Ohr. H?rt sich an wie »Streber«. Was meint sie damit? Besonders nett klingt es jedenfalls nicht.

Den Rest der Stunde behandelt mich Emilia wie Luft. Sch?tze mal, die brauche ich nicht um Rat zu fragen, wenn ich hier in der Schule nicht weiterweiss. Ich kenne mich zwar mit menschlichen Freundschaften noch nicht so aus, aber dass Emilia nicht Kiras Freundin ist, habe selbst ich dummer Kater schon gemerkt. Ob Freunde f?r Menschen wohl wichtig sind?Als Winston bin ich Einzelg?nger und f?hle mich sehr wohl dabei – wenn ich nicht gerade Spike, Karamell und Odette ?ber den Weg laufe. Aber vielleicht sind Menschen anders gestrickt.

Der Klingelton reisst mich aus meinen Gedanken ?ber Menschen und Freundschaften. Die meisten meiner Mitsch?ler stehen auf und laufen in der Klasse herum. Anscheinend ist hier Schluss. Oder zumindest Pause. Auch gut. Soeben habe ich meine erste Schulstunde einigermassen unfallfrei ?ber die B?hne gebracht. Bis aufden Fehltritt mit der Putzfrau. Und so schlimm wird der schon nicht sein.

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»WAS? Du hast gesagt, dass meine Mutter eine Putzfrau ist? Bist du v?llig WAHNSINNIG?«

»Na ja, also, das mit der Putzfrau hat Emilia gesagt. Ich habe nur erz?hlt, dass Anna unsere Haush?lterin ist. Also, die von Professor Hagedorn.«

Kira st?sst einen kl?glichen Schrei aus und l?sst sich zur Seite kippen.

»Erledigt. Ich bin v?llig erledigt. Endg?ltig fix und fertig. Da brauch ich gar nicht mehr hingehen.«

»Ich finde, du ?bertreibst. Erstens wusste ich nicht, dass du erz?hlt hast, deine Mutter sei Lehrerin. Und zweitens ist Haush?lterin doch ein sehr ehrenhafter Beruf. Vor allem ein sehr wichtiger. Ich w?rde sogar sagen: der wichtigste. Gleich hinter Physikprofessor.«

Ein heiseres Fauchen.

»Du hast doch gar keine Ahnung. Die anderen Eltern sind alle Rechtsanw?lte oder Zahn?rzte. Oder haben eine Werbeagentur. Lehrerin ist das Mindeste, womit man da aufkreuzen muss. Und es war nicht mal gelogen: Schliesslichwar Mama in Russland Lehrerin. Aber du musstest ihnen unbedingt erz?hlen, dass meine Mutter Putzfrau ist. Ich w?rde sagen, damit bin ich eindeutig das uncoolste M?dchen der ganzen Klasse. Die Clique von Leonie kann ich jetzt endg?ltig abhaken. Vielen Dank, Winston!«

Okay, ich gebe zu, ich habe mich nicht besonders geschickt verhalten. Aber dass es nun so ein Drama ist, Annas wahre Arbeit zu verraten, will ich trotzdem nicht einsehen.

»Aber … aber … was willst du ?berhaupt mit der Clique von Leonie? Du hast doch selbst gesagt, dass sie total doof ist. Und dabei gibt es in deiner Klasse auch richtig nette Leute. Zwei habe ich schon kennengelernt: Pauli und Tom. Mach doch lieber etwas mit denen.«

MAUNZ. Kira windet sich hin und her.

»Pauli und Tom? Du spinnst wohl komplett. Pauli ist eine Punkerin, die v?llig verr?ckt ist, und Tom ein Computer-Nerd, der sich lieber mit seinem Laptop als mit einem Menschen unterh?lt. Man merkt, dass du ?berhaupt keine Ahnung hast. Das sind die beiden Klassenspinner, die du dir da ausgesucht hast. Wenn du jetzt auch noch mit denen rumh?ngst, will garantiert niemand von den anderen mehr mit mir befreundet sein. Abgesehen davon ist Toms Vater auch Arzt. Ob Tom also so scharf auf die Freundschaft mit der Tochter einer Putze ist, weiss ich nicht.«

Ach, dieses Freundschaftsding nervt mich. Das ist eindeutig zu hoch f?r ein M?dchen, das eigentlich ein Kater ist. Ich bin dringend f?r einen Themenwechsel!

»Wie war eigentlich dein Tag?«, denke ich deshalb in Richtung Kira.

»Oh, der war gut. Sogar ziemlich gut. Ich glaube, ich bin Mamas Geheimnis auf der Spur. Daf?r ist meine neue Gestaltsehr praktisch. Wer glaubt schon, von einer Katze beschattet zu werden?«

»Wie meinst du das? Was heisstbeschattet?«

»Na ja, ich konnte mich heute mal so richtig gr?ndlich in Mamas Sachen umsehen, ohne dass sie etwas gemerkt hat. Und dabei habe ich eine ausgedruckte E-Mail von Vadim gefunden, die sehr interessant ist. Ich glaube, er versucht, Mama zu erpressen. Er will n?mlich unbedingt, dass sie wieder zu ihmzur?ckkommt. Und mit irgendetwas hat er sie in der Hand. Ich weiss nur noch nicht, was das sein k?nnte. Aber das finde ich schon noch heraus.«

»Moment: Heisst das, du konntest die E-Mail lesen?«

»Klar. Warum auch nicht?«

»Na, weil ich gar nicht lesen kann. Und du bist doch quasi ich.«

»Also, ich hatte keine Probleme damit. Ich glaube, ich sehe in der N?he nur nicht ganz so scharf wie sonst. In der Ferne daf?r etwas besser. Kannstdu denn jetzt nicht lesen? Ich meine, immerhin kannst du sprechen, wenn du ich bist.«

Ich zucke mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Ich habe es noch nicht ausprobiert. Bevor es heute in der Schule brenzlig werden konnte, habe ich behauptet, ich h?tte Kopfschmerzen, und bin gegangen. War mir zu gef?hrlich.«

»Tja, aber das ist keine Dauerl?sung. Solange du in meinem K?rper steckst, musst du zur Schule gehen. Und wenn ich deinetwegen schon keine Freunde mehr habe, will ich wenigstens nicht sitzen bleiben. Da m?ssten wir uns dann etwas anderes einfallen lassen. Aber zuerst m?ssen wir mal rausfinden,was du als Mensch alles kannst. Moment, bin gleich wieder da.«

Kira rappelt sich auf und springt dann mit einem eleganten Satz auf die kleine Anrichte im G?stezimmer. Kurz darauf steht sie mit einem Blatt Papier im Maul neben mir.

»Hier, die E-Mail. Versuch mal!«

Ich nehme das Blatt und starre darauf. Vor meinen Augen entstehen aus den einzelnen Kringeln pl?tzlich Muster. Und aus den Mustern formen sich S?tze:

Geliebte Anna,

warum hast du mich verlassen? Du weisst, wie sehr ich dich liebe. Ich habe immer alles f?r dich und dein Kind getan. Bitte ?berlege es dir noch einmal. Wenn du stur bleibst, muss ich leider bei meiner Geschichte bleiben. Dann wirst du wohl bald Besuch von den Bullen bekommen – falls die nicht sogar schon da waren …

Ich lasse das Blatt sinken. Unglaublich!Unglaublich erstens: Ich kann tats?chlich lesen! Undunglaublich zweitens: Anna scheint wirklich in Riesenschwierigkeiten zu stecken! Wir m?ssen ihr helfen!

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Erst Kater, dann M?dchen, dann Agent. Was passiert noch alles? Ach ja, Odette wird ertappt …

Fassen wir mal zusammen: Ich kann sprechen. Ich kann lesen. Und ich kann auch schreiben– haben wir gerade getestet. Ich kann Englisch, das grosse und das kleine Einmaleins. Und, jetzt kommt der Knaller: Ich kann sogar Russisch. Zumindest verstehe ich es. Um es kurz zu machen: Ich bin Super-Winston! Ich bin der schlauste Kater des Universums! Ich bin Weltklasse!

Das Bl?de ist nur, dass ich meine Freude mit niemandem teilen kann, denn Kira ist gerade mit ganz anderen Sachen besch?ftigt. Sie ?berlegt n?mlich fieberhaft, wie wir das Geheimnis ihrer Mutter l?ften und Vadim endg?ltig loswerden k?nnten. Jetzt, wo wir wissen, was ich alles kann, ist Kira davon ?berzeugt, dass wir das perfekte Ermittlerteam sind. Finde ich nat?rlich auch! Ermittlerteam – das h?rt sich grossartig an! Wenn Kira mir jetzt noch erkl?rt, was das Wort bedeutet, bin ich dabei!

»Sag mal, dieses Ermittlerteam – was macht das eigentlich?«, schicke ich also meine Frage in Gedanken an Kira.

»Ganz einfach«, kommt die Antwort zur?ck, »das l?st unseren Fall! Wir erg?nzen uns n?mlich super, Winston: Ich kann unauff?llig alle Beweisst?cke sichten, du kannst die Zeugen befragen. Und zwischendurch tauschen wir unsere Ermittlungsergebnisse aus, und dann wissen wir schon bald, womit Vadim meine Mutter erpresst.«

»Okay, so weit kann ich folgen. Aber was machen wir denn, wenn wir es wissen? Was ist, wenn deine Mutter wirklich was verbrochen hat?«

»Also echt!«, faucht Kira. »Nat?rlich hat Mama gar nichts verbrochen! Jede Wette, Vadim behauptet das nur! Wenn wir aber die Wahrheit kennen, k?nnen wir ihn als echten B?sewicht ?berf?hren. Ganz so, wie es die Polizei machen w?rde. Oder Geheimagenten. Ist doch sonnenklar, oder?«

Geheimagenten? Sofort muss ich an einen Film denken, den ich mit Werner zusammen geguckt habe. Da gab es auch einen Agenten. An den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, aber der Typ hatte irgendeine Nummer. 006 oder 7 oder so. Weiss nicht, ob das seine Telefonnummer war oder seine Klasse in der Agentenschule oder vielleicht seine Schuhgr?sse. Auf jeden Fall war der so, wie ich als Mensch auch gern w?re: sehr elegant und schlau, irgendwie witzig. Und egal, wie gef?hrlich es wurde, der hatte immer einen l?ssigen Spruch auf den Lippen. Alle Frauen haben ihn bewundert – ein Klassetyp. Tja, so k?nnte ich als Mensch auch sein – wenn ich nicht bl?derweise im K?rper eines zw?lfj?hrigen M?dchens stecken w?rde. Aber man kann es sich eben nicht aussuchen … Der Gedanke, nun ein Agent zu sein, gef?llt mir trotzdem.

Aproposalle Frauen haben ihn bewundert– was mich tats?chlich brennend interessiert: Kann ich mich mit Odette noch unterhalten? Oder habe ich diese F?higkeit beim K?rpertausch verloren? Das muss ich glatt mal testen, denn mit der Dame habe ich noch ein H?hnchen zu rupfen. Ich beschliesse, diese Frage sofort zu kl?ren. Ein klarer Vorteil, wenn man ein Mensch ist: Man kann einfach die Wohnung verlassen und gehen, wohin man will. Enorm praktisch.

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Ich sehe mich im Hof um. Von den Katzen keine Spur. Hm. Wie ruft man als Mensch eine Katze? Ich versuche es mit dem Klassiker.

»Miez, miez, miez!«

Keine Reaktion. Gut, ich selbst w?rde nat?rlich auch nicht gleich losrennen, nur weil irgendein Kind im Hof steht und ruft. Oder haben sie es vielleicht nicht geh?rt? Ich probiere es noch mal lauter.

»Miez, miez, MIEZ!!!«

Immer noch nichts. Die drei sind wie vom Erdboden verschluckt. Einen Moment stehe ich ratlos herum, dann kommt mir eine Spitzenidee. Wie heisst es so sch?n? Mit Speck f?ngt man M?use. Und mit Gefl?gelleber bestimmt Katzen. Vor allem, wenn die drei es gewohnt sind, mit MEINEM Fressen gef?ttert zu werden. Wenn ich mich nicht t?usche, hat Anna gerade eine Portion Gefl?gelleber frisch gekocht …

Kurze Zeit sp?ter kehre ich mit einem Blechnapf voll leckerem Futter in den Hof zur?ck. Diesmal rufe ich nicht, sondern stelle den Napf einfach an die Stelle, wo ich die drei das letzte Mal getroffen habe. Dann gehe ich zum M?lltonnenunterstand, schwinge mich darauf und warte.

Tats?chlich dauert es nicht lange, da kommt Spike angeschlichen, dicht gefolgt von Karamell. Nur von Odette ist nichts zu sehen. Die beiden sind so gierig, dass sie mich nicht mal bemerken. Hastig schlingen sie das Futter hinunter. Ich h?re genau hin, um zu verstehen, was sie sagen. Bei so einer leckeren Verpflegung m?ssten sie doch in Begeisterungsst?rme ausbrechen! Aber ich h?re gar nichts, nur Maunzen.

Langsam d?mmert es mir: Ich kann die beiden nicht verstehen. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Ich, Winston Churchill, kann andere Katzen nicht mehr verstehen. Meine schlimmste Bef?rchtung ist also tats?chlich wahr geworden. Warmes Wasser l?uft meine Wangen hinunter. Was ist das? Ich wische mit der Hand ?ber mein Gesicht. Das Wasser kommt aus meinen Augen. Es m?ssen also Tr?nen sein. Ich weine. Und es f?hlt sich ganz seltsam an. Irgendwie schrecklich. Aber auch erleichternd.

In diesem Moment streift etwas sehr Weiches meine Hand. Kurz darauf leckt eine raue Zunge die Tr?nen von meinen Fingern. Odette. Sie ist zu mir auf den M?lltonnenunterstand gesprungen. Ich betrachte sie und stelle wieder einmal fest, dass sie wundersch?n aussieht. Odette guckt mich ebenfalls an, dann legt sie ihren Kopf auf meinen Schoss und f?ngt an zu schnurren. Okay, auch wenn ich michnicht mehr mit ihr unterhalten kann, bin ich mir ganz sicher, was das heisst:Streichle mich!

Ich lasse meine Finger durch ihr Fell gleiten. Eigentlich wollte ich Odette geh?rig zusammenfalten, so boshaft wie sie mich das letzte Mal behandelt hat. Schliesslich bin ich nun ein Mensch und viel gr?sser als sie. Da h?tte eine Standpauke bestimmt geh?rig Eindruck gemacht. Aber nun geniesse ich einfach das Gef?hl, sie so nah bei mir zu haben. Gleichzeitig vermisse ich in diesem Moment mein Leben als Katze so stark, dass ich fast maunzen k?nnte. Wenn ich gerade jetzt ein Kater w?re – und ich s?sse hier mit Odette so zusammen … Ich merke, wie mein Herz anf?ngt zu rasen und sich ein seltsames Gef?hl in meinem Magen ausbreitet. Herzrasen und Magendr?cken – ob ich wohl krank werde?

Kurz?berlege ich, ob ich Odette einfach erz?hlen soll, dass ich eigentlich Winston bin. Vermutlich kann sie Menschen verstehen. Ich konnte es jedenfalls, als ich noch ein Kater war. Aber selbst wenn sie es kann, wird sie mir wahrscheinlich nicht glauben, sondern mich f?r v?llig durchgedreht halten.Die Geschichte ist ja auch total verr?ckt.

»Ach, hier bist du! Ich habe dich schon ?berall gesucht. Aber ich komm ja nicht allein aus der Wohnung. Das ist vielleicht doof!«

Kira springt zu uns auf den Unterstand. Schade, jetzt ist es mit der Zweisamkeit nat?rlich vorbei! Odette zieht ihren Kopf weg und faucht kurz, dann legt sie sich wieder hin. Da kommt mir eine Idee.

»Kannst du h?ren, was sie gesagt hat?«, will ich von Kira in Gedanken wissen.

»Na klar. Ist aber nicht besonders schmeichelhaft f?r dich«, erwidert sie.

»Das habe ich mir schon gedacht. Ich will’s trotzdem wissen«, sage ich tapfer.

Kira kichert in Gedanken.

»Okay, du hast es nicht anders gewollt! Sie hat gesagt:Hallo, du Weichei, traust du dich auch wieder hierher? Beste Freunde seid ihr nicht, oder? Na ja, was sich liebt, das neckt sich.«

»Wie meinst du das denn?«, will ich wissen.

»Ach, das ist nur so ein Spruch. Wenn sich zwei Leute richtig gern haben, dann kann es sein, dass sie sich deswegen besonders h?ufig streiten. So ist das jedenfalls bei Menschen. Wie das bei Katzen ist, weiss ich nicht.«

Ich merke, wie mir warm wird. Verstohlen betrachte ich Odette, die immer noch entspannt auf meinen Beinen liegt.

»Also, ich glaube nicht, dass mich Odette mag. Sie h?lt mich f?r einen eitlen, verw?hnten Kater. Und f?r arrogant. Dabei stimmt das gar nicht.«

Kira legt den Kopf schief und mustert mich.

»Stimmt nicht?«

Ich sch?ttle heftig den Kopf.

»Nein! Das stimmt ?berhaupt nicht! Ich bin vielleicht gebildet. Aber eingebildet bin ich ganz sicher nicht. Und wenn, dann nur ein ganz kleines bisschen.« Dazu schweigt Kira. Vielsagend, wie mir scheint. Das ?rgert mich.

»?berhaupt ist das alles nur Olgas Schuld«, f?ge ich deshalb trotzig hinzu.

»Was hat denn meine Tante damit zu tun?«, will Kira erstaunt wissen.

»Sie war es, die Odette erz?hlt hat, dass ich so verw?hnt sei. Richtig gemein ist das! Odette kennt mich gar nicht wirklich, ich war ja immer in der Wohnung. Das sind also alles nur Ger?chte und deine Tante hat sie in Umlauf gebracht.«

Jetzt ist es an Kira, trotzig zu reagieren.

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Das sieht meiner Tante gar nicht ?hnlich.«

»Hat sie aber gemacht. Und mein wertvolles Futter hat sie der Bande auch gegeben. Frag Odette!«

»Mach ich!«

Kira r?ckt ein bisschen n?her an uns heran und maunzt. Odette hebt ?berrascht den Kopf und maunzt ebenfalls. Faszinierend. Die beiden unterhalten sich offenbar – und ich kann kein Wort verstehen. Eine Weile geht das so hin und her, dann rappelt sich Odette auf, springt vom Unterstand und verschwindet im hinteren Teil des Hofs.

»Was ist los?«, will ich von Kira wissen.

»Ich habe gerade was klargestellt,« lautet die Antwort. »N?mlich, dass meine Tante garantiert nie behauptet hat, dass du arrogant bist.«

»H?? Aber wie hast du das Odette verklickert? Hast du ihr etwa von unserem Tausch erz?hlt?«

»Nat?rlich nicht. Das w?rde sie mir sowieso nicht glauben. Nein, ich habe ihr einfach gesagt, dass ich noch mal nachgedacht habe. Und dass ich inzwischen weiss, dass meine Olga nie so etwas Gemeines ?ber mich erz?hlt h?tte.«

»Und dann? Wie hat Odette reagiert?«, frage ich neugierig.

»Sie hat ziemlich schnell eingeknickt und zugegeben, dass ihre Geschichte nur eine L?ge war, um mich, also eigentlich dich, zu ?rgern.«

»Na, dann bin ich ja beruhigt.« Zumindest wegen Olga. Die bl?de Odette kann mir in Zukunft so was von gestohlen bleiben!

»Gef?ttert hat meine Tante Odette und ihre Freunde allerdings wirklich. Sie liebt eben Katzen!«, f?gt Kira hinzu.

Ich nicke und beim Gedanken an Olgas Freundlichkeit werde ich wieder ein bisschen traurig. Aber schon spricht Kira weiter.

»Jetzt vergiss mal die ganze Sache mit Olga und Odette, Winston! Wir m?ssen ?ber etwas sehr viel Wichtigeres reden.«

»Ach ja, und ?ber was?«

»?ber unsere Ermittlungsstrategie. Wir m?ssen uns ?berlegen, wie wir Vadim am besten auf die Schliche kommen.«

»Aha.« Meine Begeisterung f?r das Thema h?lt sich momentan arg in Grenzen. Lieber w?rde ich ein wenig im Selbstmitleid schwelgen, weil ich so ein armer, von Odette unverstandener Kater bin. Gefangen im K?rper einer Zw?lfj?hrigen, die mich ebenfalls nicht versteht.

»Nun komm schon, Agent Winston. Ich habe da auch bereits eine gute Idee. Ach was – sie ist brillant!«

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Erste Gehversuche als Agent.

Wenn nur nicht so viel Mathe daf?r n?tig w?re!

»Also, wenn du diesen einfachen Text nicht auswendig lernen kannst, dann musst du ihn dir wohl oder ?bel aufschreiben.«

»Auswendig lernen? Was ist das denn?«

»Mann, Winston! F?r einen Professorenkater k?nntest du schon etwas schlauer sein.«

Wie bitte? So eine Frechheit!

»Ich kenne keine Katze, die schlauer ist als ich!«, schnaube ich emp?rt.

»Odette hat recht. Du bist echt ziemlich eingebildet. Umso seltsamer, dass du nicht weisst, was Auswendiglernen heisst. Aber was soll’s, ich erkl?re es dir: Beim Auswendiglernen liest du einen Text so oft, bis du ohne nachzuschauen weisst, was du sagen willst. Und genau so machen wir es hier. Ich schreibe dir etwas auf, womit du meine Mutter eine Zeit lang ablenken kannst. Du lernst es auswendig, und sobald sie vom Einkaufen zur?ck ist, sprichst du mit ihr. W?hrend sie mit dir Mathe ?bt, filze ich ihre Handtasche und suche nach Hinweisen. Irgendwo muss sie ihr Tagebuch doch haben. Im Zimmer habe ich es jedenfalls nicht gefunden. So weit alles klar?«

»Wie Klossbr?he.« Das klingt wirklich einfach. Eine Sache fuchst mich allerdings sehr. Am besten, ich kl?re sie gleich. Ich schicke ein paar b?se Gedanken an Kira. Die zuckt zusammen.

»He, alles in Ordnung? Warum bist du pl?tzlich so fies zu mir? Ich will dir doch nur helfen!«

»Nein, es ist nicht alles in Ordnung, Kira«, antworte ich aufgebracht. »Daf?r, dass du auch erst seit Kurzem in einem neuen K?rper steckst, bist du n?mlich ganz sch?n frech. Ich meine, du kannst zu Hause auf meinem Lieblingssofa rumliegen und musst die Wohnung ?berhaupt nicht verlassen, w?hrend ich in der Schule und sonst wo meinen Kopf f?r dich hinhalten soll. Beziehungsweise deinen Kopf. Na, du weisst schon, was ich meine. Wenn du mich fragst – ich habe von uns beiden den eindeutig schwereren Job. Deine Vorhaltungen, was ich schon alles wissen m?sste, kannst du dir also echt sparen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du zurzeit auch eine miserable Katze abgibst.« So. Zack. Ich hoffe, das hat jetzt mal gesessen. Kira guckt mich mit grossen Augen an.

»Oh, Winston, das tut mir sehr leid! Ich wollte dich nicht bevormunden. Ich bin nur so aufgeregt, weil ich vielleicht meiner Mama helfen kann. Anscheinend bin ich dabei ?bers Ziel hinausgeschossen. Entschuldigung! War nicht so gemeint!«

Jetzt klingt Kira so traurig, wie man in Gedanken nur klingen kann. Vielleicht war ich auch ein bisschen zu empfindlich, weil ich es eben nicht gewohnt bin, nicht der schlauste Kater in der Wohnung zu sein. Okay, Werner ist nat?rlich noch schlauer, aber der ist immerhin kein Kind. Eventuell bin ich also tats?chlich ein bisschen eingebildet. Auf alle F?lle habe ich gerade das Gef?hl, dass mir die ganze Geschichte ?ber den Kopf w?chst.

»Entschuldigung angenommen!«, beruhige ich Kira. »Aber sag mal, meinst du nicht, es w?re doch besser, wenn wir uns von den Erwachsenen Hilfe holen w?rden? Vielleicht ist das alles zu viel f?r uns. Werner k?nnte uns bestimmt helfen zur?ckzutauschen. Der ist n?mlich richtig schlau! Ich kennekeinen Menschen, der kl?ger ist als er.«

Sofort macht Kira einen Buckel und faucht.

»Nein, Winston! Ich habe gerade die einmalige Chance, hinter das Geheimnis meiner Mama zu kommen. Wir k?nnen den Fall gemeinsam l?sen – wenn ich erst wieder ein M?dchen und du eine Katze bist, schaffen wir das nicht.«

Ich seufze.»Na gut, versuchen wir es also. Aber wenn wir nicht weiterkommen, erz?hle ich es Werner.«

»Wenn wir nicht weiterkommen. Aber ich schw?re dir: Wirwerden weiterkommen!«, gibt sich Kira k?mpferisch. »Jetzt schreiben wir erst mal auf, was du gleich zu meiner Mama sagen kannst. Und immer dran denken: Lass dir nicht in die Augen gucken, sonst merkt sie sicher, dass mit dir etwas nicht stimmt.«

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»Aber Schatz, was verstehst du daran denn nicht? Es ist doch ganz einfach!« Anna schaut mich ratlos an.

»Na, ich versteh’s eben nicht. Nichts davon!« Und das ist nicht mal gelogen. Anna und ich sitzen am K?chentisch, vor uns ein Blatt Papier, auf dem18/x = 6 steht. Was bedeutet das bloss? Das reinste Mysterium. Anna runzelt die Stirn.

»Also, Gleichungen mit einer Unbekannten sind leicht zu l?sen. Du musst sie dir nur wie eine Waage vorstellen, die immer im Gleichgewicht bleiben soll, egal was du tust.«

»Aha.« ?ber Annas Schulter hinweg kann ich sehen, wie sich Kira an der grossen Umh?ngetasche ihrer Mutter zu schaffen macht. Gerade hat sie sie geschickt vom Garderobenhaken geholt, um sie jetzt ins G?stezimmer zu schleifen.

»Kira, h?rst du mir noch zu?«

»?h … ich? Ja, klar.«

»Du musst dich schon ein bisschen konzentrieren, wenn ich dir helfen soll.«

»Nat?rlich. ’tschuldigung.«

»Ausserdem musst du mal wieder dringend zum Friseur. Dein Pony f?llt mittlerweile so in dein Gesicht, dass ich deine Augen gar nicht mehr erkennen kann. Bestimmt kannst du kaum noch etwas sehen. Vielleicht liegt dein Matheproblem daran, dass du langsam blind wirst!« Sie lacht, ich ringe mir ein L?cheln ab.

»Ja, vielleicht, Mama. Aber jetzt geht’s erst mal um Mathe«, wechsle ich schnell das Thema, bevor sie noch auf die Idee kommt, mir die Haare aus der Stirn zu streichen und in meine Augen zu gucken.

»Du hast recht. Wenn du also x vom Nenner zum Z?hler machst, dann …«

In diesem Moment taucht Katzen-Kira wieder in der K?che auf und springt auf meinen Schoss. Irgendetwas will sie mir sagen.

»Winston, ich brauche deine Hilfe. Ich kriege die Tasche nicht allein auf. Sie hat einen Reissverschluss und den kann ich nicht ?ffnen.« Grrr, so wird das hier nie etwas! Wenn ich bei Annas Nachhilfeunterricht nicht gleich richtig mitmache, werde ich m?chtig ?rger gekommen.

»… dann musst du es auf der anderen Seite nat?rlich auch machen, also mal x auf beiden Seiten der Gleichung, verstanden?«, erkl?rt Anna geduldig weiter.

»?h, was?«

»Auf beiden Seiten, Kira. Du musst das auf beiden Seiten der Gleichung machen.«

»’tschuldigung, ich muss mal zur Toilette«, behaupte ich. Eine bessere Ausrede f?llt mir auf die Schnelle nicht ein.

Anna verdreht die Augen.

»Wirklich, Kira, was ist denn bloss los mit dir? Du bist so unruhig.«

»Nein, ich muss nur mal ganz dringend.« Ich h?pfe von meinem Stuhl und laufe in den Flur. Hoffentlich folgt Anna mir nicht, denn in Wirklichkeit will ich doch ins G?stezimmer, um Kira die Tasche zu ?ffnen. Ein Blick ?ber die Schulter: Nein, die Luft ist rein. Ich schl?pfe schnell ins Zimmer und ziehe den Reissverschluss auf. Kira st?rzt sich auf den Tascheninhalt. Kurz darauf sitze ich wieder in der K?che und gebe mein Bestes, um Anna noch ein bisschen abzulenken.

»Also, der Nenner und der Z?hler – wie war das noch mal?«, frage ich m?glichst unschuldig.

»Du musst multiplizieren. Ganz einfach. Aber eben auf beiden Seiten. Verstanden?«

Ich nicke.

»Klar. Auf beiden Seiten. Logisch.« Auweia. Nenner. Z?hler. Multiplizieren. Ich bin sehr froh, dass ich im wirklichen Leben ein Kater und keine Siebtkl?sslerin bin!

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»Und? Hast du es gefunden?«, will ich von Kira wissen, als ich nach meiner kleinen Mathestunde ins G?stezimmer zur?ckkomme und mich auf Kiras Bett fallen lasse.

»Ja! Es war so, wie ich dachte: Sie hatte das Tagebuch in ihrer Handtasche. Ich habe es gelesen. Jetzt musst du es nur wieder dort verstauen, damit sie keinen Verdacht sch?pft.«

»Mach ich gleich! Steht denn etwas drin, was uns weiterhilft?«

»Ich denke schon. Sie schreibt, dass sie mit der Sache von Vadim nichts zu tun hat und entsetzt ist, dass er sie da mit reingezogen hat. Er hat sogar behauptet, das alles sei ihre Idee gewesen und er habe ihr nur aus Liebe geholfen. Und nun macht sich meine Mutter Sorgen, dass die Polizei Vadim glauben k?nnte.«

»Aha. Aber um welche Sache geht es denn?«

Kiras Schwanzspitze zuckt hin und her.

»Das steht da leider nicht. Das Tagebuch ist ziemlich neu, es geht nur um die letzten beiden Wochen. Aber immerhin k?nnen wir nun sicher sein: Mama hat nichts Unrechtes getan.«

Ich strecke meine Arme nach Kira aus und nehme sie auf den Schoss.

»Gut, aber damit wissen wir immer noch nicht,was eigentlich geschehen ist. Wie sollen wir das herausfinden?«

Kira dreht sich vom Bauch auf den R?cken und guckt mir ins Gesicht.

»Vielleicht m?ssen wir zu Vadim gehen und ihm mal richtig auf den Zahn f?hlen.«

Ich merke, wie sich mein Puls beschleunigt.

»Zu Vadim gehen und ihm auf den Zahn f?hlen? Ist das eine gute Idee? Ich dachte, der Typ wird gern mal gewaltt?tig – sollte man nicht besser auf Abstand zu so jemandem bleiben?«

»Nein. Mit Abstand werden wir nicht herausfinden, was der Kerl verbrochen hat.«

Leuchtet mir zwar einerseits ein, macht mich aber immer noch nicht gl?cklich. Ich schlage einen Kompromiss vor.

»Sag mal, es gibt doch Menschen, die sich professionell mit Verbrechern besch?ftigen. Wie hiessen die doch gleich? Irgendetwas mit P, oder?« Ich mache eine kleine Kunstpause, aber Kira ignoriert meine Frage, also beantworte ich sie mir selbst. »Polizei, richtig? Also, warum gehen wir nicht zur Polizei und erz?hlen ihnen, was wir wissen?«

Kira sch?ttelt sich.

»Weil sie uns nicht glauben werden. Deswegen! Die waren doch schon hier und haben Mama befragt. Und die hat ihnen gesagt, dass sie nichts damit zu tun hat. Haben sie ihr aber nicht abgenommen, steht in ihrem Tagebuch. Und deshalb ermittelt die Polizei weiter gegen sie. Nein, nein, wir m?ssen selbst herauskriegen, was passiert ist.«

Heilige?lsardine und verflixter Heringssalat! Dieses Kind ist wirklich stur! Ich sehe uns beide schon mit Betonkl?tzen an den F?ssen in der Elbe landen, versenkt von einem Verbrecher namens Vadim. So etwas geschieht nach meinen Fernsehkenntnissen n?mlich h?ufig mit Leuten, die Kriminellen in die Quere kommen. Ich starte einen letzten Anlauf, um Kira von ihrem Plan abzubringen.

»Also, wenn wir da schon hingehen, dann auf keinen Fall allein! Und wenn ich Werner nicht einweihen soll und deine Mutter nichts erfahren darf, dann m?ssen wir uns andere Unterst?tzung organisieren.« Vielleicht gibt Kira auf, wenn ich damit drohe, jemanden mitzunehmen.

»Feigling!«, ruft Kira. »Und wer soll diese Unterst?tzung denn sein? Du kennst doch hier ?berhaupt niemanden. Oder willst du Odette und Spike mitnehmen? Damit sich Vadim schlapplacht, wenn du da mit drei Katzen im Schlepptau aufkreuzt?«

»Nat?rlich kenne ich hier auch andere Menschen!«, behaupte ich einfach ins Blaue hinein. Bloss keine Schw?che zeigen.

»Ach ja?«

»Genau. Ich weiss schon, wen ich frage.«

»Okay, lass h?ren.«

»Ich frage … ?h … ich frage … also, ich k?nnte …« Und in genau diesem Moment fallen mir tats?chlich zwei Menschen ein, die ich fragen k?nnte. Und die ich fragen werde. Ob es Kira nun passt oder nicht.

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Ich habe mutige Freunde.

Und Russland ist ein fernes, fremdes Land.

Ich glaube, um Menschen von einer Sache zu?berzeugen, ist es nicht unbedingt klug, zu hundert Prozent die Wahrheit zu sagen. Tom und Pauli gucken mich jedenfalls gerade mit sehr grossen Augen an. Vielleicht war es doch nicht so schlau, ihnen vorher zu verraten, was f?r ein Mistkerl dieser Vadim ist. Wenn sie nun beide nicht mitkommen wollen, habe ich es eindeutig vermasselt.

»Also, du meinst, der Typ ist gef?hrlich und k?nnte richtig ?rger machen?« Tom legt die Stirn in Falten.

»?h, ja, na ja … also …« Wenn ich jetzt behaupte, dass Vadim im Gegenteil ein ganz netter Zeitgenosse ist, dann glauben sie mir das wohl nicht mehr. Das h?tte ich mir eher ?berlegen m?ssen. »Also, Vadim ist manchmal ein bisschen aufbrausend und er hatte auch schon mal ?rger mit der Polizei. Aber ansonsten …«

»Also ist er richtig,richtig gef?hrlich.« Tom grinst. »Cool.«

Cool? Heisst das, Tom findet die Vorstellung gut, Vadim mal ein bisschen auf die Finger zu klopfen? Das w?re ja grossartig!

»Also, ich w?rde sagen, wenn du zwei Partner f?r eine gef?hrliche Mission brauchst, dann bist du bei Tom und mir an der richtigen Adresse«, f?gt nun auch Pauli l?chelnd hinzu. Super! Dann war meine Idee ja doch nicht so falsch!

»Wie genau ist denn der Plan?«, erkundigt sich Tom. »Ich meine, nur so in zwei S?tzen. Die Pause ist ja gleich vorbei.«

Gute Frage. Sehr gute Frage. Wie genau ist eigentlich der Plan?

»Tja, ich dachte … ?h …« Hm. Im Grunde gibt es noch keinen Plan. Also, bis auf den Teil, dass ich und Kira nicht allein bei Vadim auftauchen, sondern Verst?rkung mitbringen.

»Kann es sein, dass du dir noch nichts Genaues ?berlegt hast?«, hakt Pauli nach. Schlaues Kind. Treffer mitten ins Schwarze. Abstreiten zwecklos.

»Leider hast du recht«, gebe ich zu. Pauli seufzt.

»Okay. Dann lass uns mal ?berlegen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann hat dieser Vadim bei der Polizei behauptet, dass deine Mutter gemeinsam mit ihm irgendetwas verbrochen hat. In Wirklichkeit war er es aber allein. Und nun will er nicht mit der Wahrheit rausr?cken, weil deine Mutter nicht zu ihm zur?ckkommen will.«

»Genau. So war es.«

»Dann brauchen wir also eine Falle.«

»Eine Falle?« Ich pers?nlich kenne nur Mausefallen. Da legt man ein St?ck K?se rein, und wenn die Maus es sich holen will, dann schnappt die Falle zu und die Maus baumelt darin. Solche Fallen sind allerdings sehr klein. Auch wenn ich ihn noch nie gesehen habe, glaube ich nicht, dass Vadim da reinpassen k?nnte.

»Ja, klar. Eine Falle. Wieso guckst du so erstaunt?«, wundert Pauli sich.

»Ich weiss nicht. Vadim und K?se? Und ?berhaupt, gibt es denn so grosse …« Bevor ich noch n?her ausf?hren kann, wo ich das Problem sehe, ist die Pause zu Ende.

»Merk dir, was du sagen wolltest. Wir reden sp?ter dar?ber. Vielleicht f?llt mir w?hrend Bio noch etwas Schlaues ein.«

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Biologie bei Herrn Pr?torius ist mein momentanes Lieblingsfach. Nicht so sehr, weil mich Biologie interessiert, sondern weil ich Herrn Pr?torius gleich als Katzenfreund erkannt habe. Und Katzenfreunde sind einfach gute Menschen!

Im Gegensatz zu meiner Sitznachbarin Emilia. Die ist einfach kein guter Mensch, sondern die Pest. Jetzt zum Beispiel schreibt sie sich gerade Zettelchen mit der fiesen Leonie, und ich weiss ganz genau, dass sie irgendetwas mit mir zu tun haben. Auf einem der Briefchen habe ich schliesslich meinen Namen gelesen. Sch?tze mal, das sind keine Liebesbriefe. Aber was soll’s. Ich habe schliesslich Wichtigeres zu tun, als mich ?ber die beiden bl?den Schnepfen zu ?rgern. Ich bin ein Kater mit einer Mission!

Auch Herr Pr?torius scheint die innige Brieffreundschaft zwischen den beiden bemerkt zu haben, denn jetzt schiesst er auf Leonie zu und nimmt ihr ein Blatt Papier weg.

»Liebe Leonie, hat das etwas mit den Nervenzellen des menschlichen K?rpers zu tun, die wir gerade durchnehmen? Also, ausser der Tatsache, dass du mir damit auf die Nerven gehst?« Pr?torius grinst.

»Geben Sie das wieder her!«, schnaubt Leonie emp?rt. »Das d?rfen Sie gar nicht!«

»Leonie Weichert, was ich darf und was nicht, das bestimmst garantiert nicht du. Und wenn du und Emilia Briefe austauscht, anstatt an meinem Unterricht teilzunehmen, dann gibt’s gleich richtig ?rger. Also, dann wollen wir doch mal sehen, was du gerade geschrieben hast.«

Pr?torius r?uspert sich, dann liest er laut vor.

Hey, Emmi,

weisst du, was mein Vater ?ber die Russen sagt? Entweder sind die kriminell, dann sind sie stinkreich. Oder sie sind ehrlich, dann sind sie so arm, dass sie nicht mal richtiges Klopapier haben. Vielleicht sollten wir Kira also mal besser ’ne Rolle Klopapier schenken, denn reich ist die garantiert nicht, wenn die Mutter putzen geht …

???

Ich sp?re, wie mir heiss und kalt wird. Nat?rlich gelten die Zeilen nicht mir, Winston, sondern Kira als M?dchen. Trotzdem ist selbst dem d?mmsten Kater klar, wie gemein dieser Brief ist. Und wie b?se!

Herr Pr?torius l?sst den Zettel sinken und sagt erst mal gar nichts. Auch in der Klasse ist es mucksm?uschenstill. Ich habe keine Ahnung, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Oder gar keins. Schliesslich holt Pr?torius tief Luft.

»Leonie, ich bin entsetzt! Ich kann nicht glauben, dass du ernsthaft so etwas Dummes auf ein Blatt Papier schreibst. Was hast du mir dazu zu sagen?«

Leonie sagt erst mal gar nichts, sondern wird ziemlich rot im Gesicht. Das Farbensehen ist wirklich einer der Vorteile am Menschsein. Solche Gesichtsverf?rbungen sind mir fr?her nie aufgefallen. Interessant!

»Leonie, was sagst du dazu?« Die Stimme von Pr?torius bekommt jetzt einen sehr scharfen, unangenehmen Klang.

»Ich … ?h … ich wollte …«, f?ngt Leonie an herumzustottern. Ihr ?bergrosses Selbstbewusstsein scheint wie weggeblasen zu sein.

»Was?«, hakt Pr?torius nach. »Was wolltest du? Eine Klassenkameradin zutiefst beleidigen? Oder Geschichtchen ?ber ein Land erz?hlen, in dem du noch nicht warst?«

»Nein, ich wollte doch nur … und ?berhaupt war das doch nur ein Spass!«, verteidigt sich Leonie mit einer Stimme, die vermuten l?sst, dass sie gleich anf?ngt zu heulen. Pr?torius steht nun genau vor ihrem Tisch und mustert sie mit sehr finsterer Miene.

»Ein Spass? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Oder h?rst du hier jemanden lachen?«

»Nein.« Leonie klingt sehr kleinlaut. Pr?torius seufzt.

»Mein liebes Fr?ulein, ich denke, Frau Rosenblatt w?rde das f?r einen Verweis reichen.«

»Oh nein!«, ruft Leonie, dann f?ngt sie tats?chlich an zu weinen. Was mag ein Verweis bloss sein? Anscheinend etwas sehr Schlimmes. Auf einmal tut Leonie mir leid.

»Ich sagte, ihrw?rde das reichen. Ich sage nicht, dass wir jetzt zu ihr hinmarschieren. Obwohl ich eigentlich grosse Lust dazu h?tte, denn ich finde dieses Geschreibsel wirklich unterirdisch. Stattdessen habe ich aber noch eine andere Idee, wie du es wiedergutmachen kannst. Sozusagen ein T?ter-Opfer-Ausgleich.«

Leonie reisst erstaunt die Augen auf. Anscheinend versteht sie kein Wort. Da geht es ihr wie mir. Pr?torius setzt zu einer Erkl?rung an.

»Statt dich sofort zu Frau Rosenblatt zu schleifen, habe ich mir ?berlegt, dass es besser w?re, wenn du dich bei Kira entschuldigst. Und zwar, indem du deine neue Mitsch?lerin zu einem Eis einl?dst. Bei der Gelegenheit kann sie dir vielleicht etwas ?ber ihre alte Heimat erz?hlen, damit du das n?chste Mal ein bisschen nachdenkst, bevor du so einen Unsinn behauptest. Ist das klar?«

Leonie nickt.

»Und am besten nimmst du Emilia gleich mit«, f?hrt Pr?torius fort. »Mir scheint, auch bei ihr besteht noch ein gewisser Informationsbedarf ?ber eines der gr?ssten L?nder der Erde. Und in Sachen Freundlichkeit sowieso. Bist du damit einverstanden, Kira?«

Ich nicke langsam.

»Gut. Dann ist das so weit geregelt. Heute nach der Schule kommt euer Einsatz. Entschuldigen d?rft ihr euch allerdings jetzt schon bei Kira.«

»Entschuldige bitte, Kira!«, kommt es wie im Chor von Leonie und Emilia. »Das war wirklich bl?d von mir«, erg?nzt die auf einmal ganz sanfte Leonie noch. »Ich mach’s mit einem riesigen Eis wieder gut. Kannst dir eins in meiner Lieblingseisdiele aussuchen, okay? Und dann k?nnen wir auch mal in Ruhe reden.«

Ich nicke wieder. Und hoffe, die beiden wollen nachher nicht wirklich etwas?ber Russland wissen.

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Ziemlich beste Feindinnen

»Los, nun mach schon!« Leonie l?chelt mich an. Aber es ist kein aufmunterndes L?cheln, so viel ist selbst mir klar. Es wirkt eher … h?hnisch. Okay, damit ist es wohl eher ein Grinsen. »Oder traust du dich nicht?«

Ich muss trocken schlucken.»Klar traue ich mich. Also, ich meine, ich w?rde mich schon trauen, aber …«

»Was, aber?« Nun grinst nicht nur Leonie, sondern auch Emilia, Ruth und Helene sehen aus, als h?tten sie gerade den Spass ihres Lebens.

»?h, ich meine, dass es sehr unklug w?re, in ein Gesch?ft hineinzuspazieren, das von sch?tzungsweise vier Kameras ?berwacht wird, und dort ein T-Shirt zu klauen. Die juristischen Probleme w?ren unvermeidlich.«

Jetzt reisst Leonie die Augen auf. »Die juristischen Probleme w?ren unvermeidlich? Was redest du da f?r einen M?ll?« Sie dreht sich auf dem Absatz um und l?sst mich einfach stehen. Die drei anderen folgen ihr.

Verdammt. So wird das nichts. Ich weiss einfach zu wenig dar?ber, was es wirklich bedeutet, ein Mensch zu sein. Geschweige denn ein M?dchen. Das hatte ich mir deutlich einfacher vorgestellt. Ich h?tte auch nicht gedacht, dass eine simple Einladung zum Eisessen, die doch eigentlich als Entschuldigung gedacht war, so enden w?rde: ander Eingangst?r eines Klamottenladens. Verbunden mit der Aufforderung, hier mal schnell ein T-Shirt zu klauen.

Aber genau das ist gerade passiert: Erst waren wir zu f?nft ein Eis essen. Leonie, Emilia, ich und zwei weitere M?dchen aus Leonies Clique. Eigentlich war es ganz nett. Wir haben ?ber die Schule gequatscht, und Leonie hat noch mal gesagt, dass ihr die Sache mit dem Brief leidtue. Tja, und dann haben die vier beschlossen, dass sie mich liebend gern in ihre Clique aufnehmen w?rden. Ich m?sste allerdings vorher eine Mutprobe bestehen. Und die Aufgabe w?re nun mal, hier, beiTK Moritz, ein T-Shirt mitgehen zu lassen.

Nun bin ich ja kein Experte in menschlichen Angelegenheiten, aber selbst ich weiss, dass man sich mit so einer Aktion eine Menge ?rger einhandeln kann. Ich sollte es also besser lassen.

Andererseits: Vielleicht w?re Kira wirklich gern Mitglied dieser M?dchentruppe und ich vermassle ihr eine einmalige Chance?! Ich stelle mir vor, Odette w?rde versuchen, sich mit mir anzufreunden, und w?rde sich von Kira, die zuf?lligerweise gerade in meinem K?rper steckt, eine Abfuhr einfangen. Und dann w?re die Chance vertan und Odette w?rde nie wieder ein Wort mit mir reden. Ich glaube, ich w?re stinksauer auf Kira. Also doch reingehen und das T-Shirt klauen?

Ich drehe mich um und rufe Leonie hinterher.

»He, nun wartet doch mal! Wenn es euch so wichtig ist, dann mache ich das eben.«

Leonie und die anderen kehren wieder um und kommen zu mir zur?ck.

»Cool. Dann lass mal sehen, was du so draufhast!«

Ich versuche, ganz l?ssig zu wirken, dabei ist mir ?berhaupt nicht wohl in meiner Haut.

»Klar, kein Problem!«

Zu f?nft spazieren wir wie zuf?llig in den Laden und laufen an den Verkaufstischen vorbei.

»Da!«, sagt Leonie schliesslich und zeigt auf ein weisses T-Shirt mit einem glitzernden Schriftzug auf der Brust. »Das h?tte ich gern. Los, hol’s f?r mich!«

Ich schlucke und nicke. Wie komme ich da wohl am besten ran? Vorsichtig schaue ich mich um– auf den ersten Blick kann ich hier keine Kamera entdecken. Dann entscheide ich mich f?r die Variante »Augen zu und durch!«. Ich greife mir schnell das T-Shirt und stopfe es in meine Jackentasche. Leonie starrt mich an und fl?stert:

»Und? Hast du es?«

»Ja!«

»Dann nix wie weg!«

M?glichst unauff?llig schlendern wir zum Ausgang. Mein Herz rast und ich merke, wie ich schon wieder anfange zu schwitzen. Hoffentlich schaffen wir es hier heil raus – je n?her wir der T?r kommen, desto mehr beginnt nun auch mein Magen, sich zusammenzukrampfen. Durchhalten!

Der Ausgang ist vielleicht noch einen Meter von mir entfernt, da l?st sich von der Seite ein Schatten. Ich kann ihn nur aus den Augenwinkeln sehen, aber ich erkenne sofort die Umrisse eines Mannes. Auweia! Das ist bestimmt der Kaufhausdetektiv! Auch die anderen M?dchen haben ihn gesehen, jedenfalls rennen sie sofort los Richtung T?r. Ich st?rze ihnen nach undwill gerade direkt hinter Leonie aus dem Laden raus – da schl?gt sie mir regelrecht die T?r vor der Nase zu, sodass ich eine Vollbremsung einlegen muss. Eine Sekunde sp?ter sp?re ich schon eine Hand auf meiner Schulter.

Das gibt’s doch gar nicht! Leonie hat mich absichtlich zur?ckgelassen, da bin ich mir ganz sicher! H?tte sie nicht schnell die T?r zugeworfen, h?tte ich es auch noch rausgeschafft! Fassungslos beobachte ich durch das Schaufenster, wie Leonie und die anderen M?dchen davonlaufen und sich dabei aussch?tten vor Lachen. Wie kann man nur so gemein sein?

»So, junges Fr?ulein«, spricht mich der Schatten an, der eine ziemlich dunkle Stimme hat, »dann zeig doch mal, was du da in deiner Tasche hast!« Er greift in meine Jackentasche, ich lasse es geschehen. Widerstand erscheint mir hier zwecklos. Dann zieht er das T-Shirt heraus. »Aha. Sieh an, sieh an. Na, dann komm bitte mal mit nach hinten in mein B?ro.«

Ergeben und mit gesenktem Haupt trotte ich hinter dem Mann her. Er ist nicht besonders gross, aber daf?r ziemlich breit. Alles in allem sieht er nicht aus wie jemand, mit dem ich gern Streit h?tte. Der Detektiv f?hrt mich in sein kleines B?ro und bedeutet mir mit einer Handbewegung, auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Dann setzt er sich ebenfalls.

»Also, wie heisst du?«

»Winston Chur…, ?h, ich meine Kira Kovalenko.«

Der Mann zieht die Stirn in Falten und mustert mich streng.

»H?r mal, M?dchen, das ist hier eine ernste Sache, also keine Sp?sse mit mir! Wie heisst du denn nun wirklich?«

»Tut mir leid!«, murmle ich zerknirscht. »Aber ich heisse wirklich Kira Kovalenko. Mein Spitzname ist nur Winston, weil … weil … ?h, weil ich so gut Englisch kann.«

»Soso. Und wie alt bist du?«

Grundg?tige ?lsardine – immer diese Fachfragen! Wie alt war ich denn noch mal? Zw?lf oder dreizehn? Ich bin mir nicht sicher. Aber wenn ich jetzt sage, dass ich es nicht genau weiss, wird der Typ es nicht glauben. Wahrscheinlich wird er dann noch ungem?tlicher werden. Also sage ich mit fester Stimme:

»Zw?lf.«

»Also noch keine vierzehn.«

»Nein.«

»Aha. Gl?ck gehabt.«

Ich bin verwirrt. Wieso habe ich dann Gl?ck gehabt? Offenbar sieht mir der Mann meine Verwirrung an.

»Na, wenn du vierzehn w?rst, dann w?rst du schon strafm?ndig. Dann m?sstest du jetzt vor Gericht und w?rdest zu einer richtigen Strafe verknackt werden. So rufe ich jetzt zwar auch die Polizei, aber die werden im Wesentlichen nichts anderes machen, als mit deinen Eltern zu schimpfen.«

Bei dem WortPolizei zucke ich zusammen. Nicht schon wieder die! Wenn die Polizei erst mal hier aufkreuzt, wird es garantiert unm?glich, diesen Vorfall irgendwie vor Anna und Werner zu verheimlichen. Und dann gibt’s bestimmt richtig ?rger – da habe ich den Heringssalat!

»Muss denn das mit der Polizei sein?«, mache ich einen zaghaften Versuch in Richtung Schadensbegrenzung. »Ich k?nnte das T-Shirt doch einfach bezahlen. Dann w?re alles wieder gut.« Okay, ich habe zwar gar kein Geld, aber vielleicht l?sst sich der Detektiv auf Verhandlungen ein.

Der sch?ttelt entr?stet den Kopf.

»Nee, kommt gar nicht infrage! Das h?ttest du dir eher ?berlegen m?ssen. Und ?berhaupt – auff?lliger ging es ja wohl kaum. Da kannst du dich mal bei deinen feinen Freundinnen bedanken. Ich glaube, wenn die eine nicht noch in die Kamera gewunken und auf dich gezeigt h?tte, h?tte ich dich gar nicht bemerkt.«

WAS? Die haben mich absichtlich reingeritten? Also, nicht nur absichtlich hiergelassen, sondern mir auch den Detektiv auf den Hals gehetzt? Ist es vielleicht das, was Pauli heute Morgen mit»eine Falle stellen« meinte? Ich merke, wie Tr?nen in meine Augen schiessen. Aber nicht, weil ich traurig bin. Sondern w?tend. SO W?TEND!

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Die Polizistin auf der Wache ist eigentlich ganz nett zu mir. Ich habe ihr mein Herz ausgesch?ttet und ihr von der Mutprobe erz?hlt. Und von dem Vormittag in der Schule und dem Zettel, den Leonie geschrieben hat. Sie hat sehr verst?ndnisvoll genickt und mir immer wieder Taschent?cher gereicht, weil ich einfach nicht aufh?ren konnte zu weinen. Wegen der Schlechtigkeit der Menschenwelt!Und wegen meiner eigenen Bl?dheit, auf diese dummen Ziegen reingefallen zu sein! Ein toller Kater bin ich – werde von vier Schulm?dchen ausgetrickst.

Leider l?sst sich die Polizistin trotz ihres Mitgef?hls nicht davon abbringen, meine Mutter anrufen zu wollen. Also Anna. Nicht meine Katzenmutter nat?rlich. Was sollte die auch zu der ganzen Geschichte sagen? Die kann ja gar nicht mit Menschen sprechen.

Oje, was mache ich nur, wenn Anna hier aufkreuzt? Ich glaube, ich bin noch nicht gewappnet f?r einen richtigen Streit mit meiner Menschenmutter. Wenn doch bloss Kira hier w?re! Sie k?nnte mir heimlich Tipps geben, was ich am besten antworte oder auch besser lasse, wenn mich Anna richtig in die Mangel nimmt.

Das bringt mich auf eine geniale Idee… Ob ich mich mit Kira wohl ?ber gr?ssere Entfernungen in Gedanken unterhalten kann? So wie bei einem Telefonat? Da k?nnen Menschen schliesslich mit Menschen sprechen, die gar nicht im selben Raum und manchmal sogar furchtbar weit weg sind. Das habe ich sowohl bei Werner als auch bei Anna und Olga schon beobachtet. Sollte das klappen, w?re es nat?rlich ungemein praktisch. Ach was: Es w?re sensationell! Dann k?nnte ich Kira bestimmt herbeidenken.

Ich konzentriere mich also auf Kira:

Liebe Kira, ich stecke hier wirklich knietief im Schlamassel. Ach was, sogar bis zum Hals. Also, wenn Anna gleich einen Anruf bekommt und das Haus verl?sst, dann bitte, bitte, bitte versuche unter allen Umst?nden, sie zu begleiten. Ich brauche dich hier ganz dringend! Drei Ausrufezeichen!!!

»Kira?« Offenbar hat die Polizistin mich gerade etwas gefragt und wartet auf eine Antwort.

»?h, ja?«

»Alles in Ordnung bei dir? Du wirkst auf einmal so weggetreten.«

»Schon gut. Alles in Ordnung. Ich musste nur gerade an etwas denken.«

»Okay. Dann rufe ich jetzt deine Mutter an.«

Ich seufze. Und hoffe sehr, dass meine Gedanken?bertragung funktioniert hat.

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Etwas Licht kommt ins Dunkel.

Und ein Plan wird gefasst.

»Mama!« Als Anna in das B?ro auf der Polizeiwache tritt, springe ich von meinem Stuhl auf und werfe mich in ihre Arme. Gleichzeitig versuche ich, m?glichst unauff?llig an ihr vorbei auf den Flur zu linsen. Ob Kira mitgekommen ist? Tats?chlich! Sie sitzt direkt auf der T?rschwelle und schwenkt ihren Schwanz nerv?s hin und her.

»Kira, was ist passiert?«, will Anna aufgeregt von mir wissen. »Wie konntest du nur auf so eine Idee kommen?«

»Genau, Winston, was hast du da angestellt?«, h?re ich nun auch Kiras Gedanken.

»Also, im Wesentlichen habe ich versucht, deine Ehre zu retten«, erwidere ich.

»Bitte was? Und warum endete dieser Versuch auf einer Polizeiwache?« Kira schleicht vorsichtig in das B?ro und setzt sich neben Anna, die mich immer noch im Arm h?lt.

»He, Sie«, spricht die Polizistin Anna daraufhin an, »haben Sie etwa ein Tier mitgebracht? Das ist hier aber nicht erlaubt!«

Anna l?sst mich los und dreht sich zu der Polizistin um. »Ich weiss und es tut mir auch leid. Aber ich habe es nicht geschafft, das Haus ohne den Kater zu verlassen. Er hat sich wie verr?ckt aufgef?hrt und sich in meiner Kleidung festgekrallt. Wenn ich ihn nicht mitgenommen h?tte, w?re ich jetzt noch nicht da.«

Die Polizistin zieht die Augenbrauen so hoch, dass sie fast ihren Haaransatz ber?hren. Man kann ihr deutlich ansehen, dass sie Anna kein Wort glaubt. Anna seufzt und versucht es mit einer anderen Erkl?rung.

»Na ja, und ausserdem ist Winston Kiras bester Freund. Ich dachte, es w?re gut, wenn ich ihn dabeih?tte. Sie klang am Telefon so aufgew?hlt.«

Da hat Anna recht. Als mir die Polizistin eben kurz den H?rer reichte, habe ich mir die gr?sste M?he gegeben, m?glichst dramatisch zu klingen. Ich dachte mir, wenn sich Anna Sorgen um mich macht, dann stimmt sie das vielleicht ein wenig gn?diger.

»Los, Winston, nimm mich auf den Arm!«, h?re ich Kiras Gedanken. »Wenn Mama schon behauptet, dass sie mich zu deiner Beruhigung mitgenommen hat, musst du dich auch ein bisschen um mich k?mmern. Ausserdem w?rde sie das vielleicht ein wenig bes?nftigen. Sie ist n?mlich echt sauer. Am besten, du lieferst eine gute Show!«

Richtig. Bevor die Polizistin Kira gleich wieder an die Luft setzt und es ein Donnerwetter von Anna gibt, sollte ich aktiv werden. Mit einem lautenJa, wo ist denn meine Miez-Miez? b?cke ich mich also zu Kira und nehme sie auf den Arm.

»Liebster Winston, ich habe dich sooo vermisst«, fl?te ich dann, was das Zeug h?lt, und hoffe, dass meine pl?tzliche Tierliebe ?berzeugend wirkt. Ich dr?cke Kira ganz fest an meine Brust und vergrabe mein Gesicht in ihrem Fell.

»Ey, pass auf, ich krieg fast keine Luft mehr!« Kira faucht und ich lockere meinen Griff ein wenig. Im Schmusen mit Katzen habe ich als Mensch offenbar zu wenig ?bung. Konnte ja nicht ahnen, dass Katzen so empfindlich sind!

Die Polizistin mustert mich.

»Na gut, wenn es Kira dann besser geht und sie nicht mehr weint, kann die Katze ausnahmsweise dableiben. Ich muss sowieso ein paar Formalien mit Ihnen erledigen, Frau Kovalenko. Also, Kira, dein Winston darf bleiben, wenn du ruhig hier sitzt und kein Theater machst, w?hrend ich mit deiner Mutter nebenan ein paar Sachen bespreche. Verstanden?«

Ich nicke, Anna und die Polizistin verlassen das B?ro. Kira h?pft von meinem Arm und setzt sich vor mich auf die Schreibtischplatte.

»So, jetzt mal der Reihe nach: Anna war nach dem Anruf der Polizei total aufgeregt. Und deine Gedankenbotschaft habe ich ?berhaupt nicht richtig verstanden. Was ist eigentlich los?«

Ich gebe Kira eine kurze Zusammenfassung meines turbulenten Nachmittags. Dabei vergesse ich nat?rlich nicht zu erw?hnen, dass ich das bl?de T-Shirt nur f?r sie geklaut habe. Bevor ich diesen Punkt aber noch weiter er?rtern kann, klappt die T?r auf und ein Polizist schaut ins B?ro. Als er mich sieht, sagt er nur kurz »’tschuldigung« und verschwindet wieder. Allerdings schliesst er die T?r nicht ganz, und so k?nnen Kira und ich h?ren, dass er sich mit einem Kollegen auf dem Flur unterh?lt.

»Wer ist denn das Kind?«, will er von ihm wissen.

»Kira Kovalenko. Ist beim Klauen erwischt worden. Na ja, das ?bliche. Mutter ist schon da. Claudia unterh?lt sich gerade mit ihr.«

»Kovalenko? Der Name kommt mir bekannt vor. Und das M?dchen habe ich auch schon mal gesehen, als ich mit Dieter einen Hausbesuch gemacht habe. Das ist ja eine saubere Familie! Die Mutter von der Kleinen hatten wir neulich auf unserer Wache in Altona. Die haben wir n?mlich …«

Was sie haben, kann ich leider nicht mehr h?ren, denn in diesem Moment klingelt das Telefon auf dem Schreibtisch vor mir und ?bert?nt das Gespr?ch.

»Mist«, denke ich, »Kira, wir m?ssen unbedingt wissen, was sie ?ber deine Mutter erz?hlen!«

»Genau. Das ist unsere Chance! Ich hefte mich jetzt an die Fersen der beiden Polizisten! Ich wette, sie werden sich noch weiter ?ber Mama unterhalten, und dann wissen wir Bescheid.«

»Aber pass bloss auf! Nicht, dass du noch im Tierheim landest. Dort soll es gar nicht sch?n sein!«

Kira streckt sich und rollt sich danach einmal um die eigene Achse. Ich meine fast, sie kichern zu h?ren.

»Quatsch! Ich habe es dir doch gesagt: Wir sind Agenten, und zwar Top-Agenten! Uns erwischt so schnell keiner!«

Undzusch! ist sie von der Schreibtischplatte auf den Boden gesprungen und aus dem B?ro verschwunden. Donnerwetter, dieses M?dchen ist wirklich mutig!

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»Also, Moment.« Tom kratzt sich nachdenklich am Kopf, »Nur dass ich es richtig verstehe: Deine Mutter ist Zigarettenschmugglerin und hat deswegen ?rger mit Vadim.«

Ich sch?ttle den Kopf.

»Falsch. Genau so ist es eben nicht.«

Zu dritt sitzen wir auf einer Schulhofbank und ich versuche, Tom und Pauli zu erkl?ren, was ich auf der Polizeiwache herausgefunden habe. Oder besser gesagt: was Kira herausgefunden hat. Aber dieses Detail behalte ich lieber f?r mich. Ich bin mir n?mlich nicht sicher, ob mir Pauli und Tom die Tatsache, dass icheigentlich ein Kater bin, so ohne Weiteres abkaufen w?rden. Falsch: Ich bin mir sicher, dass sie es nicht tun w?rden. Und nicht nur das: Falls mich Tom und Pauli dann f?r v?llig durchgeknallt hielten, h?tte ich in meiner Klasse ?berhaupt keine Freunde mehr. Das Vers?hnungseisessen mit dem Zickenclub von Leonie und Emilia ist schliesslich grandios in die Hose gegangen. Als ich denen heute fr?h vor der Schule begegnet bin, haben sie so breit gegrinst, dass sie eine Banane quer h?tten essen k?nnen. Bei meinem nicht vorhandenen Schnurrbart – das tat weh!

So sicher ich mir bin, dass Tom und Pauli die Katzengeschichte nicht glauben w?rden, so sicher bin ich mir ?brigens auch, dass die beiden gar kein Verst?ndnis f?r meine T-Shirt-Aktion h?tten. Sie sind sowieso keine grossen Fans von der fiesen Leonie. Dass ich f?r die Zickenclique bei einer saudoofen Mutprobe mitgemacht habe, ist mir vor ihnen echt peinlich. Deswegen verschweige ich, warum ich wirklich auf der Polizeiwache war, und tue so, als ob das nur mit meiner Mutter zusammenhing.

»Also: Auf der Wache habe ich zwei Polizisten belauscht. Und die haben sich dar?ber unterhalten, dass meine Mama verd?chtigt wird, Zigaretten geschmuggelt zu haben. Das hat jedenfalls Vadim behauptet, als sie in unserer alten Wohnung die vielen Zigarettenpackungen gefunden haben. Er hat behauptet, meine Mutter sei der Kopf eines Schmugglerrings und er habe ihr nur aus Liebe geholfen. Alle Kontakte habe aber meine Mutter gehabt. Sie h?tte auch immer den Nachschub an Schmuggelware bestellt. Er, Vadim, habe die Zigaretten nur ab und zu f?r sie verteilt. Damit hat er elegant die Hauptschuld auf meine Mama geschoben und deswegen haben wir jetzt den ganzen ?rger.«

Pauli legt die Stirn in Falten.

»Aber eins verstehe ich daran nicht: Wieso denn ?berhaupt Zigarettenschmuggel? Man kann Zigaretten an jeder Tankstelle oder in der Kneipe kaufen. Die braucht man doch nicht schmuggeln.«

»Klar«, gebe ich Pauli recht, »das stimmt nat?rlich. Aber die Zigaretten, die du hier im Laden kaufst, sind viel teurer als Schmuggelzigaretten. Weil man f?r die Tabaksteuer bezahlen muss.«

»H??« Tom und Pauli gucken mich ratlos an und sehen dabei in etwa so aus, wie Kira geklungen hat, als sie mir von dem Gespr?ch der Polizisten berichtet hat. Die konnte mit dem Begriff »Schmuggelzigaretten« und »Tabaksteuer« auch gar nichts anfangen. Und was soll ich sagen: Wie gut, dass ichso ein schlauer Kater bin! Denn ich habe in meinen Jahren mit Werner nat?rlich schon so manches Erwachsenengespr?ch verfolgt und bin voll im Bild. Deswegen kann ich Pauli und Tom nun erkl?ren, wasSteuer bedeutet.

»Es ist so: Steuern sind das Geld, das alle Menschen, die hier leben, an den Staat, also Deutschland, abgeben m?ssen. So kann der Staat wiederum alle Sachen bezahlen, die wir hier so brauchen. Etwa die Lehrer an den Schulen und die Erzieher in den Kinderg?rten. Jeder von uns bezahlt Steuern, wenn er irgendwas einkauft. Dann geht n?mlich ein Teil von dem Geld an Deutschland. Und bei den Zigaretten nennt man das Tabaksteuer. Wenn jemand also heimlich Zigaretten verkauft, dann sind die viel billiger als im Laden – weil n?mlich Deutschland nichts von dem Geld abbekommt. Und das ist streng verboten und man kriegt richtig ?rger mit der Polizei, wenn man erwischt wird. Verstanden?«

»Puh«, seufzt Pauli, »so halbwegs. Also die Polizei verd?chtigt deine Mutter, verbotenerweise mit Zigaretten zu handeln. Das stimmt aber nicht, sondern in Wirklichkeit ist allein Vadim der B?se.«

Ich nicke.

»Genau so ist es. Und er will nun nicht die Wahrheit sagen, weil er immer noch sauer ist, dass meine Mama ihn verlassen hat. Das ist das Problem.«

»Hm«, sagt Tom und kratzt sich dabei wieder am Kopf. »Vermutlich geht es nicht nur um Liebe, sondern auch um die spannende Frage, wie viel Zeit der gute Vadim im Knast verbringen muss. Wenn er deiner Mutter wirklich nur geholfen h?tte, w?rde man ihn bestimmt nicht so streng bestrafen. Wir m?ssen also beweisen, dass Vadim der alleinige Schmuggler ist. Richtig?«

»Ja!«, kommt es von Pauli und mir im Chor.

»Pauli«, meine ich dann, »du hast doch gestern gesagt, dass wir Vadim eine Falle stellen m?ssten. Da wussten wir aber noch nicht, was genau er eigentlich verbrochen hat. Nun haben wir das herausgefunden. Kannst du jetzt nicht noch einmal ?ber die Falle nachdenken?«

»Stimmt, das wolltest du gestern schon machen. Jetzt m?sste es einfacher gehen!« In Toms Augen blitzt es unternehmungslustig.

»Ihr habt recht. Lasst mich mal nachdenken.«

Eine Weile sitzen wir schweigend nebeneinander auf der Bank. Dann springt Pauli auf.

»Ich hab’s!« Sie grinst, sagt aber nichts mehr.

»Och, Pauli, nun komm! Raus damit!« Tom knufft ihr in die Seite. »Wenn du schon unser superschnelles Detektiv-Brain bist, dann darfst du uns auch nicht unn?tig auf die Folter spannen.«

»Na gut. Ich glaube, wir m?ssen daf?r sorgen, dass Vadim wieder anf?ngt, Zigaretten zu schmuggeln. Dann machen wir Fotos davon und zeigen sie der Polizei. So beweisen wir, dass Anna nicht die Schmugglerchefin ist und Vadim gelogen hat. Ganz einfach!«

»Klar, ganz einfach!« Tom klingt sp?ttisch. So, als w?rde er nicht meinen, was er sagt. Wundert mich nicht. Ich habe auch meine Zweifel. Wie in aller Welt sollen wir Vadim dazu bringen, wieder zu schmuggeln?

»Nun guckt nicht so d?ster!« Pauli grinst immer noch. »H?rt euch lieber an, was ich mir ?berlegt habe.«

»Na gut«, stimme ich zu, »dann leg mal los!«

»Also: Wenn Vadim so viel Geld mit Zigaretten verdient hat, wird er das wieder tun, wenn er denkt, dass ein gutes Gesch?ft winkt. Die alten Zigaretten hat die Polizei einkassiert. Er muss sich also erst mal neue besorgen. Und das macht er bestimmt, wenn er glaubt, dass er die ganz schnell loswerden kann. Wenn also jemand bei ihm schon welche bestellt hat, verstanden? Wir m?ssen so tun, als wollten wir Zigaretten bei ihm kaufen. Dann muss er sich welche besorgen und wir k?nnen das fotografieren.«

»Aber wie soll denn das mit der Bestellung gehen?« Diesmal bin ich es, der skeptisch klingt. »Wir k?nnen doch nicht einfach bei ihm klingeln. Ich sowieso nicht, weil er mich kennt. Und ausserdem verkauft der doch keine Zigaretten an Kinder. Da merkt er doch gleich, dass irgendwas faul ist!«

Pauli lacht.

»Wer sagt denn, dass er uns sieht, wenn wir die Zigaretten bestellen? Wir rufen ihn an und verstellen unsere Stimmen. Wenn er sich bei uns meldet und sagt, dass die Zigaretten da sind, schleichen wir uns heimlich bei ihm rein. Bestimmt hat deine Mutter noch einen Wohnungsschl?ssel.«

Ich zucke mit den Schultern.

»Weiss nicht. Kann nat?rlich sein. Muss ich mal gucken.«

»Und wir brauchen Vadims Telefonnummer. Kennst du die?«, will Pauli wissen.

»Nee, weiss ich nicht.«

»Aber du hast doch auch da gewohnt«, wundert sich Tom. »Du musst doch wissen, wie man den Typen erreicht.«

»?h … ich … nee. Weiss ich eben nicht. Aber ich k?mmere mich drum.« Puh, noch ein paar Fragen in die Richtung und ich komme richtig ins Schwitzen. Ich beschliesse, die Sache abzuk?rzen.

»Pauli, deine Idee ist spitze. Ich werde mich zu Hause gleich um die Telefonnummer k?mmern. Und nach dem Schl?ssel schaue ich auch. Wenn ich die Sachen zusammenhabe, legen wir los. Einverstanden?«

Tom und Pauli nicken und sehen nun ziemlich begeistert aus. Ich hoffe, ich muss sie nicht entt?uschen und finde die Sachen wirklich. Das wird schwierig. Anna kann ich schliesslich nicht fragen. Die ist ausserdem noch stocksauer wegen der T-Shirt-Geschichte. Auch wenn mich Kira geschickt durch das Krisengespr?ch mit ihrer Mutter gelotst hat – Tochter des Monats werde ich bei Anna momentan nicht.

Ach, was f?r ein Schlamassel! Warum ist es nur so verdammt kompliziert, ein Kind zu sein?

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Warum schlecken sich Menschen eigentlich nie die Ohren ab?

Zu Hause werde ich schon dringend erwartet. Und zwar von Kira,?ber die ich fast stolpere, als ich in die Wohnung komme.

»Na endlich, da bist du ja!« Kira miaut aufgeregt.

»Ich war nur in der Schule. Da muss ich momentan jeden Tag hin – deinetwegen, falls du das vergessen haben solltest!«

»Schon gut, so war es nicht gemeint. Aber hier braut sich gerade etwas Ungutes zusammen und als Katze kann ich nichts dagegen machen.«

»Wieso? Was ist denn passiert?«

»Meine Mama ist kurz vorm Nervenzusammenbruch. Vorhin hat schon wieder die Polizei angerufen. Und jetzt weint sie und telefoniert mit Tante Olga. Auf Russisch! Das macht sie nur im aller?ussersten Notfall, also wenn richtig Feuer unterm Dach ist!«

»Feuer unterm Dach? Oh Gott, dann m?ssen wir sofort die Feuerwehr rufen!« Ich merke, wie mein Puls anf?ngt zu rasen. Wie alle Katzen habe ich eine Heidenangst vor jeder Art von Feuer. Erst recht, wenn es auf dem Dach meines eigenen Hauses lodert!

Kira kichert.

»Was ist denn daran so lustig? Ich rufe sofort die Feuerwehr!«

»Quatsch. Das war doch nicht w?rtlich gemeint!«

»War es nicht?«

»Nein, nat?rlich nicht. Oder meinst du, dann w?rde ich hier noch so ruhig sitzen?«

»Na ja, immerhin habt ihr Menschen nicht ganz so grosse Angst vor Feuer.«

»Das stimmt. Aber irgendwie habe ich das Gef?hl, dass ich immer mehr zur Katze werde. Also, ich meine, auch innerlich. Heute Morgen hatte ich sogar richtig Appetit auf Fisch. Den esse ich sonst nie!«

Ich weiss genau, wovon Kira spricht. Mir geht es da nicht anders. Heute in der Pause habe ich fast eine ganze T?te Gummib?rchen gegessen – dabei h?tte ich das s?sse, z?he Zeugs fr?her nie anger?hrt. Feuer finde ich allerdings immer noch gef?hrlich – umso besser, dass Kira offenbar etwas anderes gemeint hat. Nur was eigentlich?

»Okay, aber wenn es nicht wirklich brennt, was ist dann los?«, will ich deswegen von ihr wissen.

»Wie ich schon sagte: Meine Mama ist ganz aufgeregt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es wieder mit dieser Zigarettengeschichte zu tun hat. Oder mit deinem T-Shirt-Klau. Oder mit beidem.«

»Oh, dazu muss ich dir sp?ter auch noch etwas erz?hlen. Aber zuerst erkl?r mir mal, warum du so dringend auf mich gewartet hast.«

»Ganz einfach: Wenn jemand meine Mama beruhigen kann, dann du. Also, damit meine ich nat?rlich mich. Kira eben. Meist beruhigt sich meine Mama schnell, wenn ich richtig lieb zu ihr bin. Dann geht es ihr gleich besser.«

»?h, schon klar – aber wie ist man denn als M?dchen lieb zu seiner Mutter? Soll ich ihr die Ohren abschlecken? Das habe ich fr?her bei meiner Mutter immer gemacht.«

Kira kichert und dreht sich auf den R?cken.

»Die Ohren abschlecken? Na, da w?rde meine Mutter aber komisch gucken! Eine lustige Idee! Aber nee – Mama tr?sten geht anders. Komm, ich erkl?r’s dir!«

Ich beuge mich zu Kira hinunter, hebe sie vorsichtig hoch und trage sie auf dem Arm zum Sofa. Zeit f?r eine Lehrstunde im Elternverstehen!

»Am besten ist es immer, Mama mit grossen Augen traurig anzugucken«, meint Kira, w?hrend wir auf dem Sofa sitzen und uns die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. »Das geht nur in deinem Fall leider nicht, weil sie dann garantiert merken w?rde, dass deine – also meine – Augen auf einmal gr?n sind. Diese Taktik musst du leider weglassen, aber es gibt noch genug andere Mittel und Wege, Mama um den Finger zu wickeln.«

»Na, hoffentlich! Falls Anna immer noch heult, wenn Werner nach Hause kommt, macht das die Sache nicht unbedingt besser. Er will bestimmt wissen, was hier los ist. Ich kenn doch meinen Professor, der l?sst garantiert nicht locker! Und dann wird er sich einmischen, weil er helfen will. So ist er, mein Zweibeiner!«

»Uah – ich stelle mir gerade vor, wie Professor Hagedorn bei Vadim klingelt, um dem mal so richtig die Meinung zu sagen. Dann brennt hier nicht nur das Dach, sondern gleich das ganze Haus!« Diesmal muss sogar ich lachen – obwohl von Feuer die Rede ist. Bei meinen Samttatzen, ich werde noch ein richtiger Zweibeiner!

»Ja, das sollten wir verhindern. Am besten ist es, wir l?sen das Problem allein. Also, wie kriege ich deine Mutter vom Kratzbaum herunter?«

»H?? Was f?r ein Kratzbaum?« Kira schaut mich v?llig verst?ndnislos an.

Ich seufze. Dieses M?dchen hat wirklich keine Ahnung von Katzen. Na ja, ausser dass sie gerade selbst eine ist. »Ich meine, wie schaffen wir es, dass sich deine Mutter wieder beruhigt?«, erkl?re ich nachsichtig.

»Ach so, jetzt hab ich’s kapiert! Also, richtig gut kommt es, wenn du ihr sagst, dass sie die liebste Mama der Welt ist und es dir furchtbar leidtut, dass sie deinetwegen solch einen ?rger hat.«

»F?r meine Ohren klingt das ziemlich platt und dick aufgetragen, findest du nicht?«

Kira sch?ttelt den Kopf.

»Nein. Im Gegenteil. F?r Eltern kann es gar nicht dick genug sein – die m?gen so etwas!«

Ist es denn zu fassen? Ich glaube, ich w?re sehr misstrauisch, wenn jemand so zuckers?ss bei mir ank?me.

»Du meinst also, mit so einer billigen Nummer kann ich bei deiner Mutter landen?« Kira nickt.

»Ja. Versuche dabei, m?glichst kuschelig zu sein. Dann kann sie garantiert nicht widerstehen und f?hlt sich bestimmt gleich besser.«

»Kuschelig sein? Also doch mit Ohrenablecken?«

»Was hast du nur mit diesem Ohrenablecken?« Kira klingt belustigt.

»Ja. So ein grosser Schlecker links und rechts – das finde ich ziemlich kuschelig.«

»Nein. Das lass mal lieber. Kommt bestimmt nicht so gut.« Schade. Ich h?tte das gern mal ausprobiert.

»Am besten setzt du dich mit ihr auch aufs Sofa und legst deinen Kopf auf ihren Schoss. Wenn sie dann anf?ngt, dir die Haare zu streicheln, hast du schon gewonnen. Dann sagst du noch dein Spr?chlein auf, so von wegen dass es dir leidtut, und die Sache ist geritzt. Garantiert!«

»Okay, sobald deine Mutter mit Olga zu Ende telefoniert hat, werde ich sie ankuscheln und den reuigen S?nder geben. Wenn Werner nach Hause kommt, hat sie sich hoffentlich wieder beruhigt und alles ist in bester Ordnung. Hier in der Hochallee jedenfalls. Um Vadim m?ssen wir uns allerdings noch k?mmern. Und da ist uns auch schon etwas eingefallen«, leite ich elegant zu dem Thema ?ber, das mir unter den Krallen brennt. Oder brennen w?rde, wenn ich noch Krallen h?tte.

»Wer ist dennuns?«, erkundigt sich Kira neugierig.

»Tom, Pauli und mir. Na gut, vor allem Pauli.«

»Oh nein – h?ngst du etwa immer noch mit denen rum?«

»Besser als mit Oberzicke Leonie«, entgegne ich trotzig. Ich merke, dass es mich gewaltig wurmt, wenn Kira etwas gegen Tom und Pauli sagt. Zum ersten Mal in meinem Leben sp?re ich, dass mir jemand ausserhalb der Hochallee 106a wichtig ist. Es ist nicht das gleiche Gef?hl wie f?r meinen Professor und auch nicht wie f?r Kira, die mittlerweile schon zur Familie geh?rt. Nein, es ist eine andere Art von Verbundenheit. Ich freue mich, Tom und Pauli zu sehen, und ich ?rgere mich, wenn Kira schlecht ?ber sie redet. Da habe ich sofort den Wunsch, die beiden zu verteidigen. Ich bin mir sicher,umgekehrt w?rden sie es auch f?r mich tun. Und das ist sch?n! Ob das Freundschaft ist?

Kira seufzt.

»Winston, das verstehst du nicht. Du bist eben ein Kater, kein M?dchen. Es kann ja sein, dass Tom und Pauli nett sind. Aber sie sind eben so was von out, outer geht’s nicht! Und wenn man sich zu sehr mit Aussenseitern abgibt, ist man irgendwann selbst einer. So einfach ist das. Ich habe noch keine einzige Freundin in der Klasse, aber wenn Leonie nett zu mir w?re, dann w?rde ich bald richtig dazugeh?ren. Und das ist einfach wichtig f?r mich, verstehst du?«

Ich nicke.

»Ja, das verstehe selbst ich, der alte Katzen-Einzelg?nger. Und deswegen habe ich auch versucht, mich mit den M?dels anzufreunden. Ich h?tte doch sonst nie ein T-Shirt geklaut! Das habe ich f?r dich gemacht! Aber wenn ich hier als weiser Kater mal einen Tipp geben darf: Die anderen m?ssen dich respektieren, sonst wird das mit der Freundschaft nichts. Und je kleiner du dich machst, um den anderen zu gefallen, desto weniger Respekt werden sie vor dir haben.«

Genau. Respekt. Seeehr wichtig! Ich mag zwar von Freundschaft nicht so viel Ahnung haben wie ein Mensch, aber mit Respekt kenne ich mich als Katze aus. Der ist unter Katzen entscheidend– siehe meine Erfahrungen mit den Hofkatzen. Schon bei dem Gedanken an Odette und ihre Freunde bekomme ich sofort richtig, richtig schlechte Laune. Aber damit muss ich mich sp?ter besch?ftigen. Ich kann mich nicht um mehrere Probleme gleichzeitig k?mmern. Und nun ist erst mal Vadim dran. Ich r?uspere mich.

»Okay, mal abgesehen von diesem Freundschaftsding – Pauli und Tom haben eine tolle Idee, wie wir Vadim drankriegen k?nnten!«

»Ja?« Kira klingt interessiert.

»Ja. Wir stellen Vadim eine Falle. Einer von uns ruft ihn mit verstellter Stimme an und bestellt viele Zigaretten. Daraufhin wird Vadim ein gutes Gesch?ft wittern und welche besorgen. Und dann lassen wir ihn auffliegen.«

Kira legt den Kopf schief und mustert mich.

»Nicht schlecht, Winston. Nicht schlecht!«

»Wir brauchen nur noch zwei Sachen, die du besorgen musst: eine Telefonnummer von Vadim und seinen Wohnungsschl?ssel. Pauli und Tom waren sich sicher, dass ich beides haben m?sste. Ich habe dazu erst mal nichts gesagt, aber hoffe, das wird kein Problem.«

»Nein, das ist leicht zu besorgen. Die Telefonnummer kenne ich auswendig und den Schl?ssel besorge ich, wenn du mit meiner Mama kuschelst. Dann ist sie genug abgelenkt. Dass ein Schl?ssel von ihrem Bund fehlt, wird sie garantiert nicht so schnell merken.«

»Super! Also, wenn deine Mutter ihr Telefonat beendet hat, legen wir los. Du als Agent, ich als liebe Tochter!« Kira kichert schon wieder.

»Was ist daran so lustig?«, will ich von ihr wissen.

»Och, ich stelle mir gerade nur vor, wie du meiner Mama die Ohren abschleckst.«

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Zigaretten, Ziegen und Chinesen.

Und gute Werbung.

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