»Hallo, spreche ich mit Vadim?«

Tom hat ein Taschentuch?ber den Telefonh?rer gest?lpt und redet nun mit einer Stimme, die vermuten l?sst, dass er schwer erk?ltet ist. Ich bin beeindruckt. Er klingt mit einem Mal viel ?lter. Hoffentlich l?sst sich Vadim davon t?uschen.

»Wer will das wissen?«, kommt eine dunkle Stimme aus dem Lautsprecher des Telefons.

»Das tut nichts zur Sache. Sagen wir einfach, ich heisse Joe«, erkl?rt Tom, ganz so, wie wir es vorher besprochen haben. »Und ich habe geh?rt, dass du eins a Ware im Angebot hast.«

»Soso. Hast du geh?rt. Was willst du?«

»Kannst du mir f?nfhundert StangenWest besorgen?« Tom klingt wirklich wie die Gangster, die ich schon im Fernsehen gesehen habe. Toll! Auch wenn ich nicht genau weiss, wasLucky Strike West eigentlich bedeutet. Ist wohl eine bestimmte Zigarettenmarke, es scheint da Unterschiede zu geben. Pauli und Tom waren sich jedenfalls sicher, dass echte Profis immer eine Marke angeben, wenn sie Schmuggelzigaretten bestellen. Allerdings h?llt sich Vadim am anderen Ende der Leitung nun erst mal in Schweigen. Hm, warWest vielleicht doch nicht die richtige Sorte?

»Ich hab nur die Ziege.« Ziege? H?? Wir wollen doch keine Tiere kaufen, sondern Zigaretten. Selbst wenn das Schmuggeln von Ziegen auch verboten sein sollte – das passt nicht zu unserem Plan. Denn die bewahrt Vadim doch bestimmt nicht in seiner Wohnung, sondern auf der n?chsten Wiese auf. Vadims Antwort gef?llt mir also gar nicht. In diesem Moment mischt sich Kira ein. Ich habe sie mit zu unserem Geheimtreffen in Toms Haus genommen. Tom und Pauli haben sich zwar gewundert, aber sicher ist sicher. Schliesslich ist Kira die Einzige, die Vadim kennt. Und das macht sich in diesem Moment bezahlt.

»Richtig, die Ziege!«, denkt Kira. »Vadim hatte immer Zigarettenpackungen mit einer Ziege drauf. Die hiessenDim Sin oder so. Hatte ich noch nie vorher gesehen. Wahrscheinlich handelt er mit denen.«

Schnell wiederhole ich laut, was mir Kira gerade gesteckt hat. Pauli st?hnt auf.

»Mensch«, fl?stert sie, »das h?ttest du auch mal eher sagen k?nnen!« Tom nickt zustimmend, reagiert aber sofort.

»Tja, Vadim, die Ziege, na klar! Ich dachte halt, dass du noch besseren Stoff als die Ziege im Angebot hast. Aber notfalls nehme ich auch die.«

Miau, ist Tom cool! So eine Antwort w?re mir in hundert Jahren nicht eingefallen! Man h?rt Vadim schnaufen.

»Die Ziege ist top. Kein besseres Gesch?ft als mit der. Von wem hast du meine Nummer?«

»Vom Chinesen!«, denkt Kira.

»Vom Chinesen!«, fl?stere ich daraufhin.

»Vom Chinesen!«, brummt Tom schliesslich laut ins Telefon.

»In Ordnung. Dann f?nfhundert Stangen. Sch?tze, ich brauche daf?r zwei Tage. Ich melde mich.«

»Nein.Ich melde mich.«

»Na gut. Wie du willst. In zwei Tagen.«

Klick. Vadim hat aufgelegt. Uah, bei allen Sardinen, die ich schon verspeist habe– der Fisch scheint am Haken zu zappeln! Auch Tom und Pauli sind ganz aufgeregt.

»He, ich glaube, er hat’s geschluckt!«, ruft Pauli und macht einen kleinen Luftsprung.

»Glaube ich auch!«, ruft Tom. »Aber wer zum Teufel ist der Chinese?«

Kira maunzt.

»Sag ihnen, das ist ein undurchsichtiger Typ, der ab und zu mal bei uns aufgekreuzt ist. In Wirklichkeit ist der wohl Vietnamese, doch Vadim hat ihn immerden Chinesen genannt. Es war nur so ein Gef?hl, dass der damit etwas zu tun haben k?nnte. Ist aber anscheinend richtig.«

Ich erkl?re es Tom und Pauli kurz, die mich daraufhin mit grossen Augen angucken. Tom bl?st die Backen auf und pustet dann laut los.

»Puh – das klingt schwer nach organisierter Kriminalit?t. Hoffentlich ist das f?r uns nicht eine Nummer zu gross.«

»Ach was!« Pauli stemmt die H?nde in die H?ften. »Wir m?ssen doch gar nichts Besonderes tun! ?bermorgen rufst du an. Und wenn er sagt, dass er die Zigaretten hat, dann schleichen wir mit dem Schl?ssel von Kiras Mutter heimlich in die Wohnung, fotografieren sein Versteck und rufen die Polizei. Damit haben wir bewiesen, dass Vadim gelogen hat. Kiras Mutter ist aus dem Schneider, denn dann glaubt ihr die Polizei bestimmt. Ganz einfach!«

»Und was, wenn er die Zigaretten gar nicht mehr in der Wohnung versteckt, sondern woanders?«

»He, Tom, seit wann bist du denn so ein Miesepeter? Das wird schon alles klappen!«

»Hoffentlich … Ich will ja nur sichergehen, dass wir Kiras Mutter nicht noch mehr Probleme machen, als sie ohnehin schon hat. Denn schliesslich«, sagt Tom und schaut mich mit einem sehr netten L?cheln an, »sind wir doch Freunde. Und Freunde helfen sich, wenn’s brenzlig wird.«

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Auf dem R?ckweg von Tom ist Kira ungew?hnlich schweigsam. Ich frage mich, wor?ber sie wohl gerade nachdenkt. Kurz bevor wir in der Hochallee ankommen, r?ckt sie schliesslich damit heraus.

»Okay, vielleicht ist das mit den Aussenseitern auch Quatsch. Also, dass die einen runterziehen. Tom und Pauli sind jedenfalls schwer in Ordnung. Da hattest du echt den richtigen Riecher. Danke, Winston!«

Sie reibt ihren Kopf an meinen Beinen. Ich b?cke mich und streichle ?ber ihr Fell.

»Tja, wahrscheinlich ist es immer leichter, wenn es nicht um die eigenen Probleme geht. Ich komme zwar mit Tom und Pauli super aus, aber daf?r m?gen mich die Hofkatzen ?berhaupt nicht. Vor allem Odette … Die findet mich total doof! Ich w?nschte, ich k?nnte das ?ndern.«

Kira schnurrt.

»Hm, warte mal. Vielleicht f?llt uns f?r dein Problem auch eine L?sung ein. Lass mich kurz dar?ber nachdenken.«

»Tja, sch?n w?r’s. Aber ich f?rchte, bei der Dame bin ich untendurch.«

»He, Winston, Kopf hoch! Ich dachte, du seist ein K?mpfer. Und ausserdem habe ich schon eine Idee, wie wir dir helfen k?nnen. H?r zu: Wenn wir oben in der Wohnung sind, schnappst du dir meinen – also deinen – Napf und bringst den Katzen im Hof etwas zu essen. Und dann erz?hlst du ihnen, dass das ein Geschenk von Winston ist. Die verstehen doch, was Menschen sagen, oder?«

»Ja, klar. Ich habe dich ja auch verstanden, als ich noch ein Kater war.«

»Sehr gut. Stell Odette also den vollen Napf hin, mit den besten Empfehlungen quasi. Bei den Menschen kann man Frauen mit einer Essenseinladung sehr beeindrucken. W?hrend sie dann leckere Gefl?gelleber mampft, erkl?rst du ihr, was f?r ein toller Kater Winston eigentlich ist. Was sagst du dazu?«

»Eigenlob stinkt.«

»Quatsch. Imagepflege ist alles. Es ist wie mit der Werbung. Angeblich finden sie alle doof, aber was man im Fernsehen sieht, ist trotzdem interessant.«

»Hofkatzen gucken kein Fernsehen.«

»Mann, Winston, sei nicht so negativ! Ausserdem weiss Odette doch gar nicht, dass dudu bist.«

Da hat Kira nat?rlich recht. Vielleicht ist ihr Plan also gar nicht so verkehrt. Und vor allem ist es immerhin ein Plan. Ich habe ja nicht mal den.

»Tja, wenn du meinst … dann mache ich das.«

»Gut so! Und wenn sie gefressen hat und du wieder weg bist, tauche ich irgendwann auf und erz?hl ihr mal ein paar Sachen, die sie bestimmt gern h?rt. Du wirst sehen: Die kriegen wir schon auf deine Seite!«

»Ach ja? Aber woher willst du denn wissen, was Odette gern h?rt? Du bist doch gar keine Katze. Nicht so richtig, auf jeden Fall.«

Kira gibt ein prustendes Ger?usch von sich.

»Mann, Winston! Ich meine doch nicht, was sie alsKatze gern h?rt. Ich meine, womit man sie alsFrau beeindruckt. Und damit kenne ich mich garantiert aus! Ich bin schliesslich auch eine Frau. Wenn auch noch eine ziemlich junge. Aber das macht nichts. Ich glaube, ich weiss, wie das funktioniert.«

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Wenig sp?ter stehe ich also tats?chlich mit einem Napf voll mit feinster Gefl?gelleber im Hof. Es riecht wirklich extrem verf?hrerisch. Kein Wunder, dass die drei Hofbewohner Spike, Odette und Karamell schon auftauchen, bevor ich ?berhaupt an den M?lltonnen angelangt bin.

»Miez, miez, miez!«, rufe ich laut, obwohl ich als Katze diesen Lockruf immer oberbescheuert fand. Aber momentan f?llt mir nichts Besseres ein. Denn ich bin doch ein wenig aufgeregt. Klar, Odette weiss gar nicht, dass ich Winston bin. Trotzdem sorgt der Gedanke an ein Gespr?ch mit ihr bei mir f?r Herzrasen.

Ich b?cke mich und stelle den Napf auf den Boden. Dann hocke ich mich daneben und beobachte, wie die drei erst vorsichtig um ihn herumschleichen, nach kurzem Z?gern aber kr?ftig zulangen. Bevor der Napf leer ist und die Katzen wieder abhauen, starte ich die Operation Imagepflege.

»Das ist ?brigens eine ?berraschung von eurem Freund Winston. Er l?sst euch sch?n gr?ssen.«

Spike und Karamell fressen v?llig unbeeindruckt weiter, aber Odette mustert mich. Erstaunt, wie es mir scheint. Wahrscheinlich fragt sie sich gerade, ob ich, also ob Kira wom?glich eine Vollmeise hat. Aber das ist mir im Moment egal und ich quassele munter drauflos.

»Winston macht sich viele Gedanken um euch. Er ist n?mlich ein sehr feiner Kerl und sehr r?cksichtsvoll.«

Odette setzt sich und wendet den Blick nicht mehr von mir.Vollmeise. In ihren Augen kann ich ganz klar das WortVollmeise lesen. Mir doch wurscht!

»Ihr werdet es nicht glauben, aber heute Morgen hat er tats?chlich versucht, seinen Napf aus der K?che ins Treppenhaus zu schleppen. Mitsamt dem Futter! Und als ich dazukam, hat er laut miaut, ist dann auf die Fensterbank gesprungen und hat mit der Tatze in den Hof gedeutet. Da war mir sofort klar, was er will: euch Futter bringen!«

Ich nicke bed?chtig und spreche langsamer, um meinen Worten noch mehr Gewicht zu verleihen. »Ja, Winston ist ein feiner Kerl. Das wird nur oft ?bersehen, weil er auch so schlau und vornehm ist. Da h?lt man ihn oft f?r arrogant und eingebildet. Das ist er aber gar nicht! Nein, er ist ein gaaanz feiner Kerl,ein ganz feiner!«

Okay, Winston. Das war jetzt vielleicht ein bisschen dick aufgetragen. Ich beschliesse, dass es mit meiner Lobeshymne auf mich selbst nun reicht. Stattdessen strecke ich die Hand vor und kraule Odette am Hals und hinter ihren Ohren. Sie l?sst es geschehen, kommt sogar ein St?ckchen n?her.

Es ist ziemlich schade, dass ich mich als Mensch nicht mit ihr unterhalten kann. Aber irgendwie habe ich das Gef?hl, dass sie tats?chlich ?berlegt, ob Winston vielleicht doch nicht der aufgeblasene Fatzke ist, f?r den sie ihn bisher gehalten hat.

Sollte Werbung auch bei Katzen funktionieren? Selbst ohne Fernsehen? Erstaunlich!

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Ein Plan wird in die Tat umgesetzt.

Eigentlich eine sehr gute Idee. Eigentlich.

Zwei Tage sp?ter sitzen wir wieder in Toms Zimmer – Tom, Pauli, ich und nat?rlich Kira. Falls sich meine Freunde wundern, warum ich eigentlich immer meine Katze dabeihabe, lassen sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Ich bin ziemlich nerv?s, meine Handfl?chen sind feucht. Allerdings gibt es daf?r auch gute Gr?nde: Schliesslich wird Tom gleich bei Vadim anrufen. Und wenn der die Zigaretten tats?chlich besorgt hat, dann tritt unser Plan in Kraft: Tom verabredet sich mit Vadim erst f?r morgen zur ?bergabe – damit stellen wir sicher, dass Vadim die Zigaretten so lange zu Hause beh?lt. Dann rufe ich Vadim an und verabrede mich mit ihm f?r heute Nachmittag an der Alster – so locken wir ihn aus dem Haus. Ich werde einfach behaupten, ich habe eine Nachricht von Anna f?r ihn und m?sse sie ihm pers?nlich geben. Wenn er das Haus verl?sst, gehen wir in seine Wohnung und suchen die Zigaretten. Die fotografieren wir, und zwar zusammen mit einer Tageszeitung, auf der man das Datum lesen kann. So k?nnen wir beweisen, dass Vadim immer noch schmuggelt. Das werden wir Vadim dann auch auf den Kopf zusagen – ihn damitkonfrontieren, nennt Pauli das. Tolles Wort! Und wenn er nicht aufh?rt, L?gen ?ber Anna zu verbreiten, werden wir mit den Fotos zur Polizei gehen. Aber wir hoffen nat?rlich, dass Vadim seine Falschaussage von allein zur?ckzieht, wenn er erkennt, dass er in unsere Falle getappt ist. Ein gigantomanischer Plan, oder?

Tom legt das Stofftaschentuch?ber den H?rer, holt tief Luft und w?hlt. Es klingelt nur kurz, bevor Vadim rangeht.

»Hallo?«

»Hallo, hier ist Joe.« Tom klingt wieder ganz l?ssig und entspannt. Teufelskerl! Ich verwette meinen Kratzbaum, dass Tom diesem Agenten 006 oder 7, f?r den Werner so schw?rmt, in Sachen Abgebr?htheit in nichts nachsteht.

»Ich hab die Ware.« Vadim hingegen klingt angespannt. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass der Lautsprecher des Telefons seine Stimme verzerrt.

»Gut. Ich habe die Kohle.« Diesmal mache ich nicht den Fehler wie mit den Ziegen: Ich weiss jetzt, dass Tom Geld meint und nicht etwa Briketts, mit denen man im Sommer den Grill anschmeissen kann. Als schlauer Kater lerne ich schliesslich schnell!

»Dann lass uns um f?nf Uhr treffen. Auf dem Parkplatz vomTOOM-Markt. Kennst du den?«, will Vadim wissen.

»Kenn ich. Aber heute schaff ich es nicht. Lass uns morgen um f?nf treffen.«

Aufgeregt halte ich die Luft an. Hoffentlich geht Vadim darauf ein und sch?pft nicht etwa Verdacht!

»Okay, morgen, f?nf Uhr,TOOM-Markt.«

»Wie erkenne ich dich?«

»Schwarze Lederjacke. Stehe bei den Einkaufswagen.«

»Gut. Ich trage ein rotes Basecap. Bis morgen!«

Klick. Diesmal hat Tom zuerst aufgelegt. Aber das war auch seine Taktik: Kein Wort zu viel, sonst verr?t man sich noch!

»Uff«, sagt Pauli und wischt sich melodramatisch den Schweiss von der Stirn. »Teil eins hat schon mal geklappt. Jetzt ist Kira dran. Hast du dein Handy mit?« Ich nicke. Erst hatten wir beschlossen, dass ich Vadim mit unterdr?ckter Telefonnummer anrufe, so wie es Tom gemacht hat. Aber dann dachten wir, dass es eigentlich ganz gut ist, wenn er gleich sieht, wer bei ihm durchklingelt.

Meine Hand zittert ein bisschen, als ich Vadims Nummer eintippe. Es klingelt wieder nur kurz, dann geht Vadim ran.

»Kira!«, ruft er und klingt ?berrascht, aber eigentlich ganz freundlich. »Was gibt’s? Wie geht es Anna?«

»Gut«, sage ich knapp, denn ich habe nicht vor, mich von dem Verbrecher in ein Gespr?ch verwickeln zu lassen. »H?r mal, Vadim, ich muss dich heute treffen. Ich habe eine Nachricht von Mama an dich und ich muss sie dir pers?nlich geben.«

»He, warum machst du so ein Geheimnis? Was ist los?«

»Das kann ich dir nur pers?nlich sagen. Also, hast du Zeit?«

»Ja. Um f?nf. Ein anderer Termin ist gerade geplatzt.«

»Dann treffen wir uns beiBodos Bootssteg an der Alster. Das ist ein Caf?. Du kannst es nicht verfehlen. Es ist direkt am F?hranleger Alte Rabenstrasse.«

Tom und Pauli haben sich?berlegt, dass es schlau w?re, Vadim m?glichst weit von seiner Wohnung wegzulocken. Zur Alster braucht er locker eine halbe Stunde hin und eine halbe zur?ck. Wir haben also genug Zeit f?r unsere Hausdurchsuchung mit Fototermin.

»Bodos Bootssteg? Na gut, warum nicht. Vielleicht lade ich dich zu einem Eis ein.« Vadim klingt blendend gelaunt und will bei Kira offensichtlich gut Wetter machen. Perfekt! Der ahnt schon mal nichts! Ich bedanke mich f?r sein Angebot, dann lege ich auf. Und f?hle mich auf einmal wirklich wie ein Agent!

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»Da! Das ist er!« Kira wedelt ganz aufgeregt mit ihrem Schwanz hin und her, als ein ziemlich grosser, ziemlich unsympathisch aussehender Mann das graue Mehrfamilienhaus verl?sst, vor dem wir schon fast eine halbe Stunde herumlungern. Gut versteckt durch ein Geb?sch haben wir darauf gewartet, dass Vadim endlich herauskommt, um zur Alster zu fahren und sich dort mit Kira zu treffen.

»Das ist Vadim!«, informiere ich Pauli und Tom.

»Okay! Lass uns warten, bis er um die Ecke ist – und dann los!« Tom scheint richtig heiss auf unseren Einsatz zu sein. Ich muss zugeben, dass ich noch ein bisschen ?ngstlich bin. Immer wieder umfassen meine klammen Finger den Wohnungsschl?ssel, der in meiner Hosentasche steckt und den ich Anna von ihrem Schl?sselbund geklaut habe.

Als von Vadim schliesslich nichts mehr zu sehen ist, kommen wir aus unserem Versteck gekrabbelt. Kira l?uft vorweg und ich kann einfach so tun, als w?rde ich mich hier bestens auskennen.

»Na, ’ne tolle Gegend ist das hier nicht gerade«, bemerkt Pauli sp?ttisch, als wir auf das Haus zugehen. Sie hat recht: W?hrend die Hochallee eigentlich nur aus wundersch?nen gepflegten Villen besteht, sieht es hier ganz sch?n rumpelig aus. Der Vorgarten des Hauses ist ungepflegt, leere Dosen und Zeitungen liegen herum, das Unkraut spriesst. Die Hausfassade ist vollgekritzelt und den Gehsteig k?nnte auch mal jemand fegen. Hier m?chte ich wirklich nicht wohnen! Tom runzelt die Stirn.

»Mann, Pauli, du klingst schon wie die doofe Leonie oder eine ihrer Anh?ngerinnen! Es haben eben nicht alle Leute so viel Kohle wie in unserer Gegend. Heisst ja nicht, dass die hier nicht genauso nett sind.«

»Prrr! Tom, unser Arztsohn! Immer auf der Seite der Armen.« Pauli kichert. »Nee, die sind hier bestimmt alle richtig nett. Vor allem der Vadim!«

»Die sollen sich mal konzentrieren!« Kira klingt genervt. »Gedanken ?ber die Unterschiede zwischen armen und reichen Ecken in Hamburg k?nnen wir uns noch machen, wenn wir wieder zu Hause sind. Wir sollten hier mal Gas geben!«

Stimmt genau. Gas geben! Ich treibe meine Freunde an.

»Also, nun lasst uns endlich den Job erledigen, f?r den wir hergekommen sind!« Ich schliesse die Haust?r auf.Miau! Der Schl?ssel passt. Sehr gut!

»Dritter Stock, rechte T?r!«, dirigiert mich Kira. Ich laufe los, Tom und Pauli hinterher. Vor der Wohnungst?r bleibe ich stehen und hole tief Luft. Jetzt geht’s um die Wurst! Ich stecke den Schl?ssel vorsichtig ins Schloss.

Klick, klick! Die T?r ?ffnet sich und wir stehen im kleinen Flur einer noch kleineren Wohnung. Jedenfalls kommt sie mir im Vergleich zu Werners Wohnung so vor. Die Decken sind viel niedriger, auf dem Boden liegt ein ausgeblichener grauer Teppich, und das Zimmer, das wir direkt vor uns sehen, ist in etwa so gross wie der Vorratsraum unserer K?che. Gut, vielleicht ein bisschen gr?sser, aber nicht viel. Zwei weitere T?ren gehen noch vom Flur ab, das war’s. Kann man hier wirklich zu dritt wohnen? Mit drei Menschen, wohlgemerkt? Aber vielleicht hat Odette auch recht und ich bin wirklich nur verw?hnt.

Kira l?uft geradewegs in das kleine Zimmer vor uns.

»Lass uns im Schlafzimmer anfangen! Wir sollten systematisch Schrank f?r Schrank durchsuchen. Irgendwo m?ssen die Zigaretten schliesslich sein, wenn Vadim sie in der Wohnung versteckt hat.«

Ich folge ihr ins Zimmer und?ffne eine T?r des Schranks, vor den sich Kira gesetzt hat.

»Also, fangen wir mal hier an!«, rufe ich Tom und Pauli zu, bevor ich meinen Kopf im Schrank versenke. Auf den ersten Blick sehe ich nichts, auf den zweiten auch nicht. Mist!

»Hm, ich glaube, hier sind sie schon mal nicht. Wir m?ssen woanders suchen.«

»Alles klar! An die Arbeit!« Tom klingt nicht im Geringsten entmutigt, sondern so, als w?rde ihm die Geschichte hier richtig Spass machen. Gemeinsam mit Pauli ?ffnet er vorsichtig die T?ren der anderen Schr?nke in dem kleinen Raum. Aber auch hier: Fehlanzeige!

»Kommt, wir suchen jetzt mal Raum f?r Raum ab«, schl?gt Pauli vor. »Oder hast du noch einen bestimmten Verdacht, Kira? Irgendein Versteck oder so was in der Richtung?«

»?h … also …« Ich versuche durch Stammeln etwas Zeit zu gewinnen und schiele in Richtung Katze. F?llt ihr noch etwas ein?

Ja, tut es!

»Hm, eine Idee habe ich tats?chlich noch. Vadim hat vor Kurzem die Dielen in der K?che ausgetauscht. Ich habe ihm geholfen. Die Bretter haben so einen Unterbau, eine Art Holzgitter, wo man tats?chlich etwas verstecken k?nnte. Wir haben noch Witze dar?ber gemacht, dass das ein gutes Versteck f?r Schmuck und Geld w?re, wenn wir welches h?tten. Vielleicht dort?«

»?h, wir sollten mal unter die Dielen in der K?che gucken«, schlage ich also vor. »Die sind neu verlegt. Vielleicht k?nnen wir eine hochheben. Zigarettenstangen w?rden jedenfalls drunter passen.«

Wir laufen in die K?che und Tom beginnt, auf den einzelnen Dielen herumzuh?mmern. Die dritte oder vierte, die er erwischt, gibt tats?chlich nach. Er zieht sie hoch und: heilige ?lsardine! Zigarettenstangen! Und zwar so viele, dass ich sie gar nicht so schnell z?hlen kann!

»Bingo!«, jubelt Pauli. »Jetzt haben wir ihn!«

Tom zieht noch eine Diele hoch– das gleiche Bild: wieder jede Menge Zigarettenstangen! Und alle tragen auf der Vorderseite das Bild einer Ziege. »Unsere« Ware, kein Zweifel.

»Schnell, die Kamera und die Zeitung!«, ruft Tom mir zu und ich laufe zur?ck in den Flur, wo ich den Beutel mit unserer Ausr?stung abgelegt habe. Ich will ihn mir gerade schnappen, als die Wohnungst?r ge?ffnet wird. Nein, das darf nicht wahr sein … das ist doch nicht … Vadim!

Ich bin vor Schreck wie versteinert. Grundg?tiger Katzengott! Bitte mach, dass ich mir das alles nur einbilde!

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Was Verbrecher mit Schn?rsenkeln zu tun haben? Manchmal eine ganze Menge.

Nein, ich bilde es mir leider nicht ein. Vadim steht tats?chlich vor mir. Das heisst, er steht nicht mehr, sondern macht einen Schritt auf mich zu und packt mich stinkw?tend am Arm.

»Was soll das?«, schreit er mich an. »Ich denke, du wartest beiBodos Bootssteg auf mich? Ich bin nur kurz zur?ckgekommen, weil ich mein Geld vergessen habe – ich wollte dich doch einladen. Also, was machst du hier?« Die Adern an Vadims Hals schwellen bedenklich an, was ihm einen furchterregenden Anblick verleiht.

»Ich, ?h, also …« Da habe ich den Heringssalat! Mir f?llt absolut nichts ein, womit ich meine Anwesenheit hier sinnvoll erkl?ren k?nnte. Ausser mit der Wahrheit nat?rlich – aber die w?rde ich Vadim ungern auf die Nase binden.

Das ist auch leider gar nicht n?tig, denn in diesem Moment kommt Tom aus der K?che und stolpert fast ?ber Vadim.

»Oh, Scheibenkleister!«

Vadim blickt zwischen Tom und mir hin und her, dann st?rmt er an uns vorbei in die K?che und bleibt vor dem Loch im Boden stehen. Er b?ckt sich und hebt eine der Zigarettenstangen hoch. Ob der Hauch einer Chance besteht, dass er nicht gleich begreift, was er dort sieht?

»Ach, das habt ihr euch ja fein ausgedacht! Lasst mich raten, der Milchbubi hier ist Joe, richtig? Und jetzt wollt ihr bei den Bullen Alarm schlagen, was? Kira, Kira, das h?tte ich dir echt nicht zugetraut!«

Schade. Doof ist Vadim leider nicht. Unseren Plan hat er jedenfalls sofort durchschaut.?ber sein Gesicht breitet sich ein Grinsen aus.

»Es wird auch Alarm bei den Bullen geben, das schw?re ich euch. Aber nicht so, wie ihr euch das vorstellt!«

Er packt mich wieder am Arm und zerrt mich ins Schlafzimmer. V?llig verdattert bleibe ich dort stehen und sehe zu, wie er auch Tom und Pauli zu mir in den Raum schubst. Dann verpasst er Kira einen Tritt, sodass sie fauchend zu uns rennt, schmeisst die T?r zu und schliesst sie von aussen ab. Wir sitzen in der Falle!

»Jetzt h?rt mir mal gut zu, meine Lieben!«, br?llt Vadim durch die T?r. »Ich werde Anna anrufen und ihr von der kleinen ?berraschung erz?hlen, die hier auf mich gewartet hat. Und dann werde ich ihr klarmachen, dass sie besser zur Polizei geht und endlich ein verdammtes Gest?ndnis ablegt, das zu meiner Aussage passt. Und sie wird es noch ein bisschen erg?nzen. Und zwar wird sie sagen, dass ich mit dem ganzen Schmuggel ?berhaupt nichts zu tun hatte. Dass sie es ganz allein war!«

»Das wird sie niemals tun!«, ruft Tom emp?rt. Vadim grinst.

»Weisst du, ich glaube schon, dass sie das tun wird. Denn sonst sieht sie ihr braves T?chterlein nicht so h?bsch wieder, wie sie es gewohnt ist.«

Oh nein, das ist ja eine Katastrophe! Nun haben wir alles viel schlimmer gemacht, als es ohnehin schon war. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen, um Vadim von seinem Plan abzubringen.

»Also, wenn du das zu meiner Mutter sagst, kehrt sie garantiert nie wieder zu dir zur?ck. Und das ist es doch, was du eigentlich wolltest.«

»Tja, Kira, die Zeiten ?ndern sich. Inzwischen will ich nur noch, dass deine Mutter die ganze Schuld auf sich nimmt. Das erspart mir mindestens ein Jahr im Knast. Bestimmt Zeit genug, eine andere nette Frau kennenzulernen!« Er lacht laut und b?sartig. »Ach, und bevor ihr auf dumme Gedanken kommt: Legt eure Handys auf die T?rschwelle, damit ich sie einsammeln kann. Ich z?hle bis drei, dann schliesse ich noch mal auf. Und wenn ich dann keine Handys dort liegen sehe, werde ich wohl die Katze aus dem Fenster schmeissen m?ssen, damit ihr wisst, dass ich es ernst meine!«

Geschockt gucken wir uns an. Der ist ja total verr?ckt! Hektisch kramen wir unsere Handys aus den Taschen.

»So, jetzt noch der Schl?ssel! Aber zack, zack!«

Schnell lege ich den Bund neben die Handys auf die T?rschwelle. Vadim greift sich die Sachen, dann knallt er die T?r zu und schliesst wieder ab. Wir h?ren seine Schritte im Flur und die Wohnungst?r ins Schloss fallen. Er ist tats?chlich gegangen und l?sst uns hier eingesperrt zur?ck.

Eine Weile sagt keiner von uns ein Wort. Schliesslich r?uspert sich Tom.

»Mann, Mann, Mann – das haben wir aber ganz sch?n vergeigt. Was machen wir denn jetzt?«

Ich zucke mit den Schultern.

»Weiss nicht.«Am liebsten w?rde ich auch heulen, f?ge ich in Gedanken hinzu.

»Sag mal«, fragt mich Pauli, »meinst du, deine Mutter l?sst sich tats?chlich von Vadim erpressen?«

»Ich f?rchte schon. Welche Mutter w?rde nicht aus Angst um ihr Kind alles machen, was man von ihr verlangt?«

»He, Winston, nicht aufgeben!«, will Kira mir Mut machen. »Uns wird schon etwas einfallen. Wir m?ssen auf alle F?lle verhindern, dass meine Mama zur Polizei geht!«

»Ja, aber wie?«, sage ich laut. Tom und Pauli schauen mich verwundert an.

»Redest du mit uns?«, will Pauli wissen.

»?h, ich habe nur laut gedacht. Ich ?berlege, wie wir verhindern k?nnten, dass meine Mutter zur Polizei geht.«

»Ist doch klar: Wir m?ssen hier so schnell wie m?glich raus!«, meint Pauli.

»Richtig. Aber wie sollen wir das machen? Vielleicht die T?r eintreten?«, schlage ich vor. Tom nickt und wirft sich sofort mit vollem Schwung gegen die Zimmert?r. Es kracht heftig, sonst passiert nichts.

»Aua!« Tom reibt sich die Schulter. »Die T?r ist bombenfest. Ich glaube nicht, dass wir die aufbekommen. Aber was ist denn mit dem Fenster? Vielleicht k?nnen wir rausklettern?«

Wir?ffnen es und gucken raus.

»Hm, ziemlich hoch. Eben dritter Stock. Wenn man es auf den Balkon der Nachbarn schafft, kann man sich vielleicht runterhangeln, aber einfach wird das nicht. Und wenn wir runterfallen, sind wir so platt wie Kartoffelbrei«, stellt Pauli trocken fest.

»Ich hab’s!« Mit einem Satz springt Kira auf das Fensterbrett und wirft einen Blick nach draussen. »Ich werde nach unten klettern! Bis zum Balkon von Familie Petkovic schaffe ich es locker und dann h?pfe ich von Balkon zu Balkon, bis ich unten bin.«

»Tja, sch?ne Idee«, denke ich diesmal leise, um Pauli und Tom nicht zu verwirren, »aber wie willst du Hilfe holen? Du kannst nicht sprechen, schon vergessen?«

»Nat?rlich nicht. Aber wie w?re es, wenn ihr mir eine Nachricht mitgebt? Zum Beispiel, indem ihr mir einen Zettel um den Hals bindet? Am besten laufe ich damit zu Werner.«

»Zu Werner? Aber der sollte doch von der ganzen Geschichte nichts mitbekommen!«

»Stimmt. Aber die Lage hat sich leider ziemlich verschlechtert und wir brauchen jetzt einen Erwachsenen, der einen k?hlen Kopf bewahrt.«

»Na gut. Vielleicht ist die Idee wirklich nicht schlecht. Ich bespreche es mit Tom und Pauli.« Ich drehe mich zu den beiden um.

»Ich hab’s! Wir k?nnten Winston einen Zettel um den Hals binden und ihn aus dem Fenster lassen. Dann hangelt er sich zum Boden – das ist f?r ihn als Kater kein Problem. Wenn er unten angekommen ist, holt er Hilfe, und wir werden gerettet!«

Pauli und Tom gucken skeptisch.

»Aber woher wissen wir denn, dass Winston wirklich den n?chsten Menschen ansteuert und der uns auch rettet?«

»Winston ist sehr schlau. Ich erkl?re es ihm vorher genau. Ihr werdet schon sehen – das klappt!«

Tom legt den Kopf schief und denkt nach.

»Andererseits – zu verlieren haben wir schliesslich nichts. Schlimmstenfalls haut der Kater einfach ab. Brauchen wir also nur noch einen Zettel, einen Stift und eine Schnur.«

Wir sehen uns in dem kleinen Zimmer um. Leider l?sst die B?roausstattung zu w?nschen ?brig. Auf einem der Schr?nke finden wir immerhin einen alten Briefumschlag. Beim Stift hingegen Fehlanzeige.

»Wartet mal, ich habe immer einen Kajalstift dabei.« Pauli zieht einen Stummel aus ihrer Hose und zeigt ihn uns. »Der verschmiert zwar ein bisschen, aber besser als nichts.«

»Gute Idee. Und als Schnur opfere ich jetzt einen Schn?rsenkel«, erkl?rt Tom und beginnt sofort, einen seiner Chucks auszuziehen.

Pauli gibt mir den Kajal. Ich?berlege kurz und beginne dann zu schreiben:

Lieber Werner,

ich bin von Vadim entf?hrt worden. Er h?lt mich in seiner Wohnung in der Sethmannstr. 12, 3. Stock rechts, gefangen und will Mama erpressen. Bitte hilf mir!

Kira

Tom schielt?ber meine Schulter.

»Lieber Werner? Woher willst du denn wissen, dass Winston jemanden zur Hilfe holt, der Werner heisst?«

»Werner ist der Professor, f?r den meine Mutter arbeitet. Wir wohnen bei ihm in der Hochallee und Winston ist sein Kater.«

»Aha. Aber von hier bis in die Hochallee ist es richtig weit. Das schafft dein Kater nie. Oder jedenfalls nicht schnell genug.«

»Mit der U-Bahn braucht er nur zwanzig oder dreissig Minuten.«

Pauli und Tom fangen an zu lachen.

»Mit der U-Bahn? Du glaubst doch nicht etwa, dass der Kater U-Bahn f?hrt! Er mag ein schlaues Kerlchen sein, aber damit ?berforderst du ihn doch etwas.«

»Lacht ihr nur«, erwidere ich eingeschnappt. »Ich weiss, dass Winston das kann. Katzen k?nnen alles.« Jawoll!

»Reg dich nicht auf!«, beruhigt mich Kira. »Ist doch logisch, dass sie dir nicht glauben. Ich schaffe das schon.«

»Bei meinem Fressnapf – ich hoffe, du hast recht! Aber bitte melde dich zwischendurch mal, damit ich weiss, dass alles in Ordnung ist!«

»Mach ich. Und jetzt los – wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn meine Mama erst bei der Polizei war, ist es zu sp?t!«

Ich nehme den Briefumschlag, ziehe den Schn?rsenkel durch ein kleines Loch, das ich zuvor gebohrt habe, und binde das Ganze schliesslich um Kiras Katzenhals. Dann nehme ich sie auf den Arm, ?ffne wieder das Fenster und setze sie vorsichtig auf das Fensterbrett. Kira z?gert nur kurz, dann macht sie einen Satz und landet sicher auf dem Nachbarbalkon. Ruck, zuck hangelt sie sich nach unten und ist kurze Zeit sp?ter tats?chlich am Boden angekommen. Uff, das w?re schon mal geschafft.

Pauli und Tom blicken ihr hinterher.

»Also, wenn dein Kater das schafft, dann fress ich ’nen Besen.« Besonders zuversichtlich klingt Tom nicht. Ich bin es, offen gestanden, auch nicht. Was haben wir da bloss angezettelt!?

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Mit Speck f?ngt man M?use.

Und beim Menschen nimmt man einfach etwas anderes.

Komm schon, Kira, melde dich! Ich weiss nicht, wie oft ich das in der vergangenen Stunde gedacht habe. Aber leider keine Antwort. ?berhaupt keine. Hoffentlich ist ihr nichts passiert. Vielleicht lag Tom richtig und als Katze kann man gar nicht U-Bahn fahren! Vielleicht wird man dann gleich eingefangen und ins Tierheim verfrachtet! Auweia – Kira, melde dich endlich!

»Alles in Ordnung bei dir?« Pauli streicht mir ?ber den Arm. Ich hebe den Kopf und schaue sie an.

»Wieso? Alles gut hier. Ich sitze mit meinen Freunden eingesperrt in der Wohnung des Exfreundes meiner Mutter, niemand hilft uns und wahrscheinlich kommt der Typ gleich zur?ck und verm?belt uns. Also, alles bestens.« Ich fange an zu weinen. Es f?hlt sich gut an. Erleichternd.

Tom setzt sich neben mich auf den Boden und legt seinen Arm um meine Schultern.

»He, Kira, komm schon! Wir schaffen das! Und bestimmt hat dein Kater bereits Hilfe geholt. Alles wird gut, du wirst sehen.«

Klick, klick. Der Schl?ssel wird in der Wohnungst?r gedreht. Das bedeutet nichts Gutes, denn einen Schl?ssel zur Wohnung hat jetzt nur noch Vadim. Kurz darauf steht er auch schon vor unserer T?r, schliesst auf und ?ffnet sie einen Spalt.

»So, ich erreiche deine Mutter nicht. Da werdet ihr also noch ein bisschen hierbleiben m?ssen.«

In diesem Moment klingelt es.

»H??«, brummt Vadim, »Besuch?« Er zieht die T?r wieder zu und schliesst ab. »Keinen Mucks da drinnen! Klar?«

Mein Herz f?ngt an zu rasen. Ob das Werner ist? Werden wir nun vor diesem Verr?ckten gerettet? Tom und Pauli tauschen Blicke.

»Na also«, fl?stert Pauli. »Das wurde aber auch Zeit.« Tom nickt.

»Hoffentlich ist das wirklich Hilfe. Langsam habe ich keine Lust mehr auf diese Entf?hrungsnummer!«

»Wer ist da?«, h?ren wir Vadim im Flur rufen.

»Hagedorn mein Name«, erklingt eine sehr bekannte Stimme. »Darf ich kurz reinkommen?«

Werner! Endlich! ENDLICH!

»Nein, das passt mir gerade nicht. Ausserdem habe ich deinen Namen noch nie geh?rt.«

»Es dauert nur einen Moment. Ich habe eine wichtige Frage.«

»Hau ab!«

Nein, bitte, bitte, lieber Werner, lass dich nicht abwimmeln! Du musst uns helfen, unbedingt!

»Also dann geh?rt das ganze Geld hier draussen nicht Ihnen?«

»Welches Geld?«

»Na, hier vor Ihrer T?r. Bestimmt zweitausend Euro. Aber dann sammle ich es besser ein und bringe es mal zur Polizei.«

Kurz darauf h?ren wir die Wohnungst?r klappen. Dann ein Stimmengewirr. Es poltert und die T?r wird wieder zugeschlagen. Schliesslich h?mmert es kr?ftig.

»He, lassen Sie mich rein!« Vadims Stimme. Er ist richtig w?tend, das h?rt man. Aber er scheint nicht mehr im Wohnungsflur, sondern im Hausflur zu stehen. Was ist passiert?

»Kira, wo bist du?« Werners Stimme. Und er ist eindeutig in der Wohnung. Hurra! Mein Herz macht einen Sprung!

»Hier! Wir sind hier!«, rufe ich. »Vadim hat uns eingeschlossen. Gehen Sie geradeaus!«

Tom und Pauli beginnen, an die T?r zu h?mmern. Der Schl?ssel wird im Schloss gedreht, dann endlich ?ffnet sich die T?r und Werner steht davor. Ich falle ihm um den Hals.

»Danke, danke, danke!«, rufe ich und muss schon wieder ein bisschen weinen. Beim grossen Katzengott – als Mensch bin ich echt eine Heulsuse!

Werner dr?ckt mich kurz, dann l?sst er mich wieder los.

»Mensch, Kira, was machst du f?r Sachen? Sind das deine Freunde?« Er deutet auf Tom und Pauli.

»Ja, meine besten Freunde – Tom und Pauli! Sie haben mir geholfen, Vadim eine Falle zu stellen. Hat nur leider nicht ganz geklappt.«

Tom und Pauli winken Werner zu. Der nickt knapp.

»Was f?r eine Falle? Und warum? Und wie habt ihr Winston dazu bekommen, mir diese Botschaft zu bringen? Na egal, das k?nnt ihr mir hinterher erkl?ren. Jetzt m?ssen wir erst mal mit dem da draussen fertig werden.« Er deutet zur Wohnungst?r, gegen die Vadim immer noch bollert und h?mmert. »Ich konnte ihn zwar mit dem alten Geldtrick reinlegen, aber irgendwann m?ssen wir ja mal aus der Wohnung raus. Und er macht auf mich nicht den Eindruck, als w?rde er uns zum Abschied nur die Hand sch?tteln wollen. Am besten rufe ich die Polizei an.« Werner z?ckt sein Handy und tippt eine Nummer ein.

»Hallo? Hagedorn am Apparat. Ich habe hier einen Notfall …«

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Im Nachhinein ging dann alles ganz schnell. Keine zehn Minuten nach Werners Anruf st?rmten vier Polizisten den Hausflur und ?berw?ltigten den v?llig verdutzten Vadim. Eine f?nfte Polizistin kam danach zu uns in die Wohnung und liess sich die ganze Geschichte von uns erz?hlen und auch das Zigarettenversteck zeigen. Danach fuhren wir gemeinsam auf die Polizeiwache. Tja, und hier sitzen wir nun und geben alles noch einmal der Reihe nach zu Protokoll.

Werner, der uns begleitet, sch?ttelt zwischendurch immer wieder den Kopf und murmelt etwas, das wieIhr wart so leichtsinnig! klingt, sagt aber sonst nichts dazu.

»Kinder, Kinder, da habt ihr ja ganz sch?n was angezettelt!«, stellt die Polizistin am Ende unserer Aussage fest, l?chelt aber milde. »Wenn ihr das n?chste Mal denkt, dass ihr einem Verbrecher auf der Spur seid, dann ruft bitte gleich die Polizei an. Was da alles h?tte passieren k?nnen!«

»Das stimmt schon«, r?ume ich ein, »aber wir mussten doch beweisen, dass Vadim gelogen hat, damit Sie meiner Mutter endlich glauben.«

Jetzt l?chelt die Polizistin.

»Ich muss zugeben, dass euch das gelungen ist. Diesen Vadim haben wir nun endlich hinter Schloss und Riegel gebracht!«, sagt die Polizistin bestimmt. »Ihr k?nnt also ganz beruhigt nach Hause fahren und euch ausruhen.« Sie schaut den Professor an. »Die Kinder sehen sehr, sehr m?de aus.«

Stimmt. Ich bin unglaublich m?de. Und besorgt. Denn von Kira habe ich nichts mehr geh?rt, seitdem ich sie aus dem Fenster gesetzt habe. Klar, sie ist heil bei Werner angekommen. Aber warum meldet sie sich bloss nicht bei mir?

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Ursachenforschung.

Oder: Warum es immer gut ist, einen Professor f?r Physik im Haus zu haben.

»Da bist du ja! Ich habe dich schon ?berall gesucht – warum antwortest du denn nicht, wenn ich an dich denke? Ich habe mir richtig Sorgen um dich gemacht!«

Ich habe Kira in Annas Zimmer aufgest?bert. Sie liegt zusammengerollt auf dem Bett und r?hrt sich nicht. Als ich mich neben sie auf die Bettkante setze und sie streichle, hebt sie den Kopf und schaut mich an.

»Ich will keine Katze mehr sein. Ich will wieder ich sein. Und ich will mich wieder von Mama tr?sten lassen. Als sie dich eben so lieb begr?sst und im Arm gehalten hat, bin ich richtig eifers?chtig geworden.«

»Und deswegen liegst du hier im Bett?«

»Ich liege auf Mamas Kissen. Das riecht so gut nach ihr.« Kira seufzt. »Ach, Winston! Ich glaube, ich habe gerade ganz schlimmes Heimweh nach meinem alten Ich.«

Heimweh. Was soll das nun wieder sein?

»Wie f?hlt sich denn Heimweh an?«, will ich von ihr wissen.

»Das ist schwer zu beschreiben. Ein bisschen, als ob man Hunger h?tte und ganz m?de w?re. Auf alle F?lle ist man traurig. Und es schn?rt einem die Brust zu. Ich kann gerade gar nicht tief durchatmen.«

Ich muss zugeben, dass mir die Vorstellung, bis ans Ende meiner Tage im falschen K?rper zu stecken, genauso wenig gef?llt wie Kira. Insofern kann ich sie gut verstehen. Ich m?chte auch lieber wieder auf meinem Sofa liegen und von Werner gekrault werden. Und ich m?chte Odette im Hof besuchen. Als Kater, nicht als Mensch.

Bei dem Gedanken an Odette packt mich ein Gef?hl, das tats?chlich eine Mischung aus Hunger und M?digkeit sein k?nnte. Den Druck auf der Brust nicht zu vergessen, gepaart mit leichtem Herzrasen. Ob ich also auch Heimweh habe?

»Tja, aber was k?nnen wir bloss tun, um wieder zu tauschen?«, ?berlege ich. »Ich f?rchte, solange wir nicht wissen, warum das ?berhaupt passiert ist, haben wir ganz schlechte Karten.«

»So weit waren wir mit unseren ?berlegungen doch schon mal«, stellt Kira fest. »Dann m?ssen wir uns nun endlich auf die Suche nach den Ursachen machen. So jedenfalls will ich nicht bleiben!«

Ich seufze. Es stimmt nat?rlich. Wir m?ssen Ursachenforschung betreiben.

»Aber wo fangen wir damit bloss an?«

»Ganz einfach: Wir gehen noch einmal zu der Stelle, wo der ganze Schlamassel begonnen hat. Vielleicht f?llt uns da etwas Besonderes auf.«

»Na gut«, sage ich und muss gleichzeitig g?hnen. »Aber vor morgen fr?h bringen mich keine zehn Pferde mehr aus dem Haus!«

»Okay, dann gleich morgen fr?h! Das passt gut: Samstags ist keine Schule und du kannst behaupten, dass du Br?tchen holen gehst.«

»Von mir aus«, murmle ich ergeben. Heilige ?lsardine, Kira ist ganz sch?n hartn?ckig!

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Am n?chsten Morgen stehen wir tats?chlich wieder vor der Baustelle, wo uns damals das Gewitter ?berrascht hat. Das H?uschen, in dem wir Unterschlupf gefunden haben, ist noch genau so, wie ich es in Erinnerung hatte. Vielleicht wuchert auf dem Boden ein wenig mehr Unkraut, sonst hat sich nichts ver?ndert. Sogar die Spule liegt noch in der Mitte des Unterstands. So weit, so unspektakul?r.

»Also, fassen wir mal zusammen: Wir sassen auf dieser Kabeltrommel und haben uns beide gew?nscht, jemand anderes zu sein. Dann schlug der Blitz ein und wir waren erstaunlicherweise nicht tot, sondern hatten den K?rper getauscht.« Kira legt den Kopf schief, was ihr f?r eine Katze ein sehr nachdenkliches Aussehen verleiht.

Ich nicke.

»Genau so war es. Jedenfalls, wenn du mitKabeltrommel die grosse Spule meinst.«

»Wir m?ssen uns alles gr?ndlich anschauen. Irgendwo hier liegt die L?sung f?r unser Problem, das sp?re ich!« Kira nimmt einen kurzen Anlauf und springt dann mit einem beherzten Satz auf die Trommel.

»Guck mal, der Holzdeckel ist tats?chlich richtig verkokelt. Der Blitz ist also direkt in die Trommel eingeschlagen.«

»Mag sein. Aber wie bringt uns das weiter?«, frage ich ratlos. »Wo ist der Unterschied, ob ein Blitz in einen Baum oder in eine Kabeltrommel einschl?gt? Ist doch beides Holz.«

»Nicht ganz«, stellt Kira fest. »Um die Trommel ist ein Kabel gewickelt, um den Baum nicht.«

Ich zucke mit den Schultern.

»Na und? Was macht das schon?«, wiederhole ich.

»Das weiss ich auch nicht. Es ist ja nur so eine Idee. Vielleicht ist es einfach der Strohhalm, an den ich mich gerade klammere.«

»An welchen Strohhalm?«

»Ach, Winston, das sagt man so, wenn man wenig Hoffnung hat!«, erkl?rt Kira. »Dann klammert man sich eben an einen Strohhalm. Das bedeutet, man st?rzt sich selbst auf das kleinste F?nkchen Hoffnung.«

»Hm.« Ich gehe um die Kabeltrommel herum und betrachte sie. Der Deckel ist wirklich ganz schwarz und russig. In der Mitte hat er sogar einen Spalt. Das muss die Stelle sein, die der Blitz genau getroffen hat. Wir haben riesiges Gl?ck gehabt, dass er uns nicht direkt erwischt hat. Sonst w?re Kira jetzt nicht katzenlebendig, sondern mausetot. Und ich gleich mit.

»Es muss einfach etwas mit dem Blitz zu tun haben. Und mit dem Ort hier. Es muss eine logische Erkl?rung daf?r geben. Solche Dinge passieren doch nicht einfach so!« Kira klingt mittlerweile ziemlich verzweifelt.

»Ehrlich gesagt, dachte ich noch vor Kurzem, sie w?rden gar nicht passieren!«

Wir setzen uns beide auf den Boden neben der Trommel. Eine Weile sagt oder denkt keiner von uns beiden etwas. Schliesslich rappelt sich Kira wieder hoch.

»Komm, Winston. Wir m?ssen jemanden fragen, der sich mit Blitzen gut auskennt. Wir brauchen einen Experten. Und ich weiss auch schon, wen.«

»Echt? Du kennst einen Experten f?r Blitze?«

»Ja. Und du kennst ihn auch.«

Erstaunt schaue ich sie an.

»Ich kenne einen Experten f?r Blitze?«

»Tust du: Werner.«

»Werner ist Experte f?r Blitze?«

»Klar. Denn Blitze sind doch eigentlich Strom. Strom ist in der Physik ein wichtiges Thema – und Werner ist Professor f?r Physik. Also, wenn uns jemand hier weiterhelfen kann, dann ist es Werner.«

»Na grossartig. Und deswegen gehen wir jetzt zu Werner und erz?hlen ihm mal schnell die Geschichte von dem K?rpertausch. Und dann fragen wir ihn, ob er eine Idee hat, was der Blitz damit zu tun haben k?nnte. Eine tolle Idee. Warum bin ich da nicht selbst draufgekommen?« Die spinnt doch, die Kira. Ich kenne meinen Professor. Der glaubt nicht an Wunder. Eher geht der mit mir zum Arzt, wenn ich ihm so eine Geschichte auftische. Und zwar nicht zum Kinderarzt, sondern zum Seelenklempner!

»Mann, Winston! Nun sei doch nicht immer so negativ! Nat?rlich sagen wir das Werner nicht so direkt. Wir machen das viel geschickter.«

»Aha. Und wie?«

»Also, als Erstes m?ssen wir ihn mal hierherlocken. Das machen wir am besten, indem du auf das sch?ne Wetter hinweist und fragst, ob ihr nicht zur Feier des Tages alle einen kleinen Spaziergang machen wollt. Nach dem Fr?hst?ck ein bisschen frische Luft schnappen. Du wirst sehen: Wenn man als Kind einen Spaziergang vorschl?gt, sagen Erwachsene nie Nein.«

»Bist du sicher?«

»Ganz sicher. Erwachsene wollen immer, dass wir Kinder uns an der frischen Luft bewegen. Ich laufe als Katze vor und lenke euch in diese Richtung. Wenn du vor dem H?uschen stehst, behauptest du einfach, dass ihr in Physik gerade Gewitter und Blitze durchnehmt. Und dass du dich fragst, ob wohl etwas Besonderes passieren w?rde, wenn in diese Trommel der Blitz einschlagen w?rde. Das f?ndest du n?mlich total spannend.«

Ich?berlege einen Moment.

»Okay. Das k?nnte klappen. Werner mag es ganz gern, wenn er anderen etwas erkl?ren kann.«

»Siehst du! Sag ich doch. So sind Erwachsene eben. Voll nervig. St?ndig wollen sie, dass man etwas lernt. Aber in unserem Fall ist das ganz praktisch. Du wirst sehen: Das funktioniert!«

Hoffentlich hat Kira recht.

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Kirahat recht. Kaum sage ich das magische WortSpaziergang, schon nicken Anna und Werner begeistert.

»Das ist eine gute Idee«, lobt mich Werner. »Nach der ganzen Aufregung gestern sollten wir heute mal die Seele baumeln lassen. So ein Spaziergang ist dann genau richtig.«

Kaum haben wir also unser Fr?hst?ck beendet und das Geschirr vom Esszimmer in die K?che getragen, greifen Anna und Werner auch schon nach ihren Jacken. Mir soll es recht sein. Ich ziehe mir einen d?nnen Pullover ?ber und nehme Kira auf den Arm.

»Soll Winston denn auch mitkommen?«, will Anna von mir wissen.

»Auf alle F?lle! Ohne ihn s?ssen wir vielleicht noch bei Vadim in der Wohnung! Gut, dass er gestern einfach hinter uns hergelaufen ist, als wir Vadim besucht haben. Ich finde, Winston hat sich wirklich einen Spaziergang verdient.«

Werner nickt.

»Ja, es ist wirklich erstaunlich, wozu eine Katze in der Lage ist. Ich habe immer gedacht, so ein Wohnungskater wie Winston sei in der Stadt v?llig orientierungslos. Da sieht man mal, wie man sich t?uschen kann! Also, Dicker, komm ruhig mit!«

Wieso Dicker? So eine Frechheit! Ich bin ganz schlank! Erst recht, seitdem Kira in meinem K?rper steckt. Manchmal glaube ich, sie isst ein bisschen weniger als ich. Jedenfalls ist sie als Kater eine sehr elegante Erscheinung.

Unten angekommen, springt Kira von meinem Arm und l?uft Richtung Baustelle los. Wir schlendern hinterher. Anna und Werner unterhalten sich angeregt. Kein Wunder: Nachdem die Zigarettenschmuggelgeschichte ans Licht gekommen ist, haben die beiden sich jede Menge zu erz?hlen. Anna jedenfalls wirkt erleichtert, dass Werner nun die Wahrheit kennt. Sielacht viel und auch Werner ist super gelaunt. Es ist sch?n, dass die beiden sich so gut verstehen. Vielleicht bleibt Anna einfach mit Kira bei uns wohnen, auch wenn sie jetzt keine Angst mehr vor Vadim haben muss. Ich w?rde mich dar?ber jedenfalls sehr freuen.

Kurze Zeit sp?ter haben wir unser Ziel erreicht. Nun muss ich Werner nur noch etwas n?her an das Baustellenh?uschen lotsen und ihn aus seinem Plausch mit Anna reissen. Dann kann ich meine Frage loswerden. Kira ist schon auf die Trommel gesprungen und schl?gt ungeduldig mit dem Schwanz hin und her.

»Winston, nun mach schon! Nicht, dass die beiden gleich an der Baustelle vorbeilaufen.«

»Momentchen! Ich muss kurz ?berlegen, wie ich die Frage am besten verpacke.«

»Mein Tipp: Stell sie einfach! Frag ihn, was wohl passieren w?rde, wenn genau an der Stelle, wo ich sitze, der Blitz einschl?gt.«

Was Unterhaltungen mit Menschen anbelangt, hat Kira deutlich mehr Erfahrung als ich. Also ran an den Mann!

»?h, Werner …« Ja, wie jetzt weiter?

»Was ist denn, Kira?«

»Also, du bist doch Physiker. Kannst du mir sagen, ob irgendetwas Besonderes passieren w?rde, wenn in diesem Moment ein Blitz genau dort einschlagen w?rde, wo Winston gerade sitzt?«

Mann, das klingt ja total bescheuert! Werner schaut mich erstaunt an.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Ich … ?h … also, wir besch?ftigen uns in der Schule gerade mit Blitzen und … ?h …« Was f?r ein grauenhaftes Gestammel! Werner muss sich fragen, ob ich als Kind wirklich so schlau bin, wie Anna immer behauptet. Los, Winston! Denk nach! Bring diesen Satz irgendwie sinnvoll zu Ende!

»Also, wie gesagt, wir besch?ftigen uns mit Blitzen und jeder soll drei verschiedene Stellen aufschreiben, an denen der Blitz einschlagen k?nnte. Und dann sollen wir auch beschreiben, was an diesen Stellen so passiert.« Puh. Das war knapp.

Werner lacht.

»Na, wenn dort der Blitz einschl?gt, dann wird dem armen Winston bestimmt ganz sch?n warm im Pelz.«

Gut. Diese Antwort ist nicht wirklich ergiebig. Ich beschliesse nachzuhaken.

»Und es macht gar keinen Unterschied, ob der Blitz in einen Baum einschl?gt oder in dieses Trommeldings?«

»Hach, du willst es also wirklich genau wissen. Na gut, dann schauen wir uns die Trommel mal n?her an.« Er stapft in den Unterstand und begutachtet die Kabeltrommel. »Hm, da hast du dir tats?chlich ein interessantes Objekt f?r einen Blitzschlag ausgesucht: Wenn ich das richtig sehe, dann ist das im Grunde genommen eine riesige Kupferspule.«

»?h, was?« Ich sag’s ja – ich habe wirklich null Peilung und Werner wird glauben, Kira sei ein bisschen langsam im Kopf.

»Also: Das Besondere an dieser Kabeltrommel ist, dass sie nicht mit Kabel umwickelt ist, das durch Plastik gesch?tzt ist, sondern dass es blankes Kupferkabel ist. Wir haben also eine Kupferspule. Und was passiert wohl, wenn ein Blitz in eine Kupferspule einschl?gt?«

Ich zucke mit den Schultern.

»Keine Ahnung.«

Werner grinst.

»F?r den Bruchteil einer Sekunde entsteht ein sehr starker Elektromagnet. Wenn n?mlich Strom durch eine Metallspule fliesst, wird die Spule zum Magneten. So ist es bestimmt auch hier: In dem Moment, in dem der Strom des Blitzes fliesst, entsteht in der Kupferspule ein Magnetfeld. Also, wenn der arme Winston etwas Magnetisches an sich hat, dann wird das von dem entstandenen Elektromagneten angezogen. Und zwar ziemlich stark.«

Ich starre Werner mit aufgerissenen Augen an. Das ist es! Ein Magnet! Kann es sein, dass Kira und ich durch einen starken Magneten gewissermassen aus uns selbst herausgezogen wurden? Sollte unser »Ich« also auf irgendeine Art und Weise magnetisch sein? Und sind wir auf dem R?ckweg ungl?cklicherweise im falschen K?rper gelandet? Durch unseren bescheuerten Wunsch oder was auch immer? Bedeutet das gleichzeitig, dass wir durch einen Magneten auch wieder zur?cktauschen k?nnten? Und falls ja: Wo bekommen wir auf die Schnelle so einen starken Magneten her? Fragen ?ber Fragen! Hoffentlich gibt’s dazu bald die passenden Antworten!

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Echten Freunden kann man alles erz?hlen. Falsch – man kann nicht nur, man muss es auch!

Zum ersten Mal, seit ich im K?rper eines M?dchens stecke, bin ich froh, als endlich wieder Montag ist und ich zur Schule gehen kann. Das ganze Wochenende haben Kira und ich uns das Hirn zermartert, wo wir einen starken Magneten herbekommen k?nnten, um unsere R?cktauschtheorie auszuprobieren. Uns wieder in das Baustellenh?uschen zu setzen und darauf zu warten, dass noch mal ein Blitz in die Kupferspule einschl?gt, erschien uns wenig Erfolg versprechend. Etwas Besseres ist uns allerdings auch nicht eingefallen und deshalb ?berlege ich, ob ich nicht Pauli und Tom von meinem Problem erz?hlen sollte. Nat?rlich ohne zu erw?hnen, dass ich ein Kater bin.

Bevor ich aber dazu komme, meine Freunde auf ihr physikalisches Expertenwissen zu testen,?berrascht uns Herr Pr?torius mit einer neuen Superlehrer-Idee.

»So, ich habe mir am Wochenende Gedanken gemacht, wie man eure Klassengemeinschaft verbessern k?nnte. Und ich glaube, ich habe eine L?sung gefunden: Gruppentische. Wir werden jetzt also Folgendes tun: Jeder von euch schreibt auf einen Zettel die beiden Leute, mit denen er am liebsten, und die beiden, mit denen er auf keinen Fall an einem solchen Tisch sitzen m?chte. Dann sammle ich die Zettel ein, wir machen eine Viertelstunde Pause und danach verk?nde ich die neue Sitzordnung.«

Ein St?hnen geht durch die Klasse. Die anderen sind von dieser Idee offenbar nicht begeistert. Ich kann mir darunter gar nichts vorstellen, deswegen verzichte ich aufs Mitjammern. Stattdessen krame ich ein Blatt Papier aus meiner Tasche, kritzle »Am liebsten: Tom und Pauli. Gar nicht: Leonie und Emilia« darauf und falte es. Herr Pr?torius l?uft durch die Reihen und sammelt die Bl?tter ein. Als er wieder vorn am Lehrerpult steht, klatscht er in die H?nde.

»Okay, dann jetzt f?nfzehn Minuten Pause. Aber seid nicht so laut, die anderen Klassen haben Unterricht.«

Ich stehe auf und gehe zu Paulis Tisch.

»Hallo! Wie war dein Wochenende?«, will ich von ihr wissen.

»So weit okay. Meine Eltern waren nat?rlich aufgeregt wegen der Sache mit Vadim. Als sie mich von der Polizeiwache abgeholt haben, waren sie noch total geschockt, aber mittlerweile geht es.«

»War bei mir ?hnlich.« Tom hat sich neben mich gestellt. »Zum Gl?ck haben sich meine Alten wieder beruhigt. Wie sieht es denn bei deiner Mutter aus?«

»Och, eigentlich gut. Sie ist froh, dass sie Vadim endlich dingfest gemacht haben. Aber mal was ganz anderes: Kennt sich jemand von euch beiden mit Physik aus?«

Pauli zuckt mit den Schultern, Tom mustert mich erstaunt.

»Mit Physik? Wieso? Brauchst du da Nachhilfe?«

Ich sch?ttle den Kopf.

»Nicht direkt. Aber ich bin auf der Suche nach einem starken Magneten. Also, einem RICHTIG starken. Und ich habe keine Ahnung, wo ich so einen finden k?nnte.«

»Was willst du denn damit?«, fragt Pauli neugierig.

»Ich brauche ihn gewissermassen f?r ein Experiment.«

»Meine Mutter hat im B?ro Magnete, die sehr stark sind. Die sehen aus wie kurze Stifte – man kann aber einen ganzen Stapel Papier mit ihnen an eine Magnetwand pinnen.«

Hm. Ohne dass ich genau sage, wozu ich den Magneten brauche, wird es schwer werden, Pauli und Tom auf die richtige Spur zu bringen.

»Also, ich glaube, der Magnet m?sste schon viel gr?sser sein. In den Bereich, der magnetisch wird, m?sste richtig viel reinpassen.«

Tom runzelt die Stirn.

»Du meinst, du brauchst ein grosses Magnetfeld?«

Stimmt! Magnetfeld! So hat Werner das genannt! Ich nicke begeistert.

»Richtig. Ich brauche einen Magneten, der ein grosses Magnetfeld erzeugt.«

»Wie gross denn? Wie ein Buch?«

»Nee, eher so ein Meter f?nfzig auf ein Meter.«

Tom reisst die Augen auf.

»Was? Das ist ja riesig!«

Ich zucke mit den Schultern.

»Tom, Kira, setzt euch bitte wieder!« Pr?torius scheint mit seiner neuen Sitzordnung schon fertig zu sein. »Ich habe insgesamt f?nf Tische gebildet und lese jetzt die Tischnummern und die Namen der f?nf oder sechs Sch?ler vor, die an diesen Tischen sitzen werden. Diese Sch?ler stellen sich bitte zu Gruppen zusammen. Danach werden wir gemeinsam Tische r?cken. Also, Tisch 1: Luna, Ben, June, Smilla und Mats. Tisch 2: Victor, Nele, Finn, Torben, Marie und Nils. Tisch 3: Kira, Tom, Paula, Leonie und Emilia. Tisch 4 …«

Oh nein! Was soll das denn? Pauli und Tom sind nat?rlich toll, aber mit den beiden Oberzicken an einem Tisch? Ich habe doch deutlich geschrieben, dass ich mit denen AUF KEINEN FALL zusammensitzen will!

»So, Kinder, nicht lang quatschen, sondern Gruppen bilden. Und dann eure Tische zusammenstellen. Immer zwei gegen?ber und einer am Kopfende. Hopp, hopp! Ein bisschen Tempo, wenn ich bitten darf!«

Ich stehe auf und trotte mit gesenktem Haupt zur?ck zu Pauli.

»Mann, das geht ja gar nicht! Ich will nicht mit den beiden Nervens?gen zusammensitzen. Bei wem kann ich mich denn da mal beschweren?«

Pauli grinst.

»Gar nicht. Lehrers Wort ist Gesetz. He, wird schon nicht so schlimm werden.« Sie steht auf und r?ckt ihren Tisch in die Richtung, in der meiner steht. Tom tritt hinzu und schiebt beide zusammen. Dann hilft ihm ein Mitsch?ler, einen weiteren Tisch an das kurze Ende zu stellen. Fertig ist die Sitzinsel des Grauens.

Leonie kommt zu uns und l?sst ihre Tasche haarscharf neben meine F?sse fallen.

»Na, da werden meine Eltern ja begeistert sein, wenn sie erfahren, dass ich bei einer Kriminellen sitzen muss. Hoffentlich passiert mir da nichts.« Sie wirft mir einen sp?ttischen Blick zu.

»Wie meinst du denn das?«, erkundigt sich Pauli. Oh nein, jetzt liefert mich Leonie garantiert mit dieser T-Shirt-Geschichte ans Messer!

»Ach, wisst ihr noch gar nicht, was f?r ein sch?nes Hobby eure neue Freundin hat? Hat sie nicht von unserem kleinen Ausflug zuTK Moritz erz?hlt?« Leonie schnaubt die letzten Worte fast. Emilia steht neben ihr und grinst doof.

»Ich … ?h …«, will ich mich stammelnd verteidigen, doch Leonie macht einfach weiter.

»Geklaut hat sie da. Und erwischt worden ist sie auch noch. Voll peinlich, die Nummer. Ich dachte, ich sehe nicht richtig, als sie einfach das T-Shirt eingesteckt hat.«

Tom und Pauli starren erst mich an, dann wandert ihr Blick zu Leonie.

»Tja, da seid ihr platt, was? Na ja, ich dachte, es sei wichtig, dass ihr mal davon erfahrt. Man will doch wissen, mit wem man es so zu tun hat, nicht wahr?«

Heiliger Kratzbaum, ich w?rde am liebsten vor Scham im Boden versinken. Oder mich in einer ?lsardinendose verkriechen, wenn ich denn eine zur Hand h?tte. Blut schiesst mir in die Wangen. Ich bin bestimmt schon ganz rot im Gesicht.

»Also, Leonie«, beginnt Tom ganz langsam und mir graut schon davor, was jetzt kommt, »ich weiss ?berhaupt nicht, was du hier f?r ein Fass aufmachst. Nat?rlich hat uns Kira davon erz?hlt. Schliesslich sind wir Freunde!«

H?? Ich traue meinen Ohren nicht! Und auch Leonie sieht v?llig verdattert und ausserdem ziemlich entt?uscht aus. Jetzt g?hnt Tom sogar, als w?re die Geschichte von mir und dem T-Shirt so ziemlich das Langweiligste, was er jemals geh?rt hat. Nun mischt sich Pauli ein.

»Tom hat recht. Kira hat uns sofort alles erz?hlt. Gewundert hat es mich allerdings ?berhaupt nicht. Schliesslich war sie mit euch da. Und was man so h?rt, lasst ihr ganz gern mal was mitgehen. Wahrscheinlich war das sowieso eure Idee. Kennt man ja von euch.«

Leonie macht den Mund erst auf, als wolle sie antworten, macht ihn dann aber ohne ein Wort wieder zu. Eine sprachlose Leonie: eigentlich ein ganz sch?ner Anblick.

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In der Mittagspause sitzen wir endlich ohne Leonie und Emilia zusammen. Eine gute Gelegenheit, Pauli und Tom noch einmal auf die Sache mit dem T-Shirt anzusprechen– schliesslich ist mir die Geschichte immer noch richtig peinlich!

»Also, wegen eben – das w?rde ich euch gern erkl?ren. Es ist n?mlich nicht so, als w?rde ich st?ndig klauen. Im Gegenteil. Aber …«

Weiter komme ich nicht, denn Tom legt seine Hand auf meine und schaut mich ernst an.

»Kira, du musst das nicht erkl?ren. Jeder baut mal Mist. Ich, du und nat?rlich auch Pauli. Aber eine Sache ist unter Freunden wichtig: dass man sich vertraut. Und dass man dem anderen erz?hlt, wenn man was vergeigt hat oder wenn einen was bedr?ckt. Verstehst du? Wahrheit ist wichtig unter Freunden!«

Ich nickte langsam. Obwohl ich als Kater so gut wie keine Erfahrung mit Freundschaft habe, erscheint mir das einleuchtend. Es ist ja auch schwierig, eng befreundet zu sein, wenn man Geheimnisse vor dem anderen hat. Leider ist es f?r mich unm?glich, hier gleich alle Geheimnisse auf den Tisch zu packen. Ich seufze schwer.

»Gibt’s noch etwas, das du gern erz?hlen w?rdest?« Pauli ist wirklich schlau und hat sofort gemerkt, dass mir noch etwas auf der Seele liegt. Aber ich kann den beiden unm?glich erz?hlen, dass ich in Wirklichkeit Winston bin. Die w?rden mich f?r komplett durchgeknallt halten! Ich sch?ttlealso den Kopf und murmele etwas, das wienein, nein klingt. Tom mustert mich.

»Kira, irgendetwas hast du! Was ist los? Nun sag schon!«

Miau, es ist doch zum Schnurrbarthaareausreissen! Was soll ich bloss machen? Soll ich vielleicht doch …? Ich gebe mir einen Ruck und beschliesse, Tom und Pauli einzuweihen.

»Ich habe tats?chlich etwas auf dem Herzen. Allerdings ist die Geschichte ziemlich unglaublich und ihr m?sst mir versprechen, dass ihr mich nicht f?r verr?ckt erkl?rt.«

Tom und Pauli heben gleichzeitig eine Hand in die Luft, was ziemlich lustig aussieht. Dann rufen sie mit feierlicher Stimme wie im Chor:

»Grosses Indianerehrenwort!«

Dann mal los!

»?hm, was w?rdet ihr sagen, wenn ich euch erz?hle, dass ich in Wirklichkeit gar nicht ich bin? Sondern jemand anderes?«

Die beiden gucken ratlos. Tom r?uspert sich.

»Du meinst, du bist gar nicht Kira Kovalenko?«

»Ja. ?h, ich meine, nein. Also, doch, schon irgendwie. Aber andererseits auch nicht.« Himmel, das ist ja v?llig wirr! So kriege ich das nie vern?nftig erkl?rt. Ich setze noch mal zu einem Versuch an. »Was ich meine, ist Folgendes: ?usserlich bin ich schon Kira Kovalenko. Aber innerlich, innerlich bin ich kein M?dchen, sondern …«

»Ein Junge?«, fragt Pauli. »Von solchen F?llen habe ich schon mal gelesen. M?nner, die im K?rper einer Frau geboren werden, oder umgekehrt. Die nennt man dann … ?h … warte mal, das sind … ?h … Trans… ?h … gleich hab ich’s …«

Ich sch?ttle den Kopf.

»Nein, das meine ich nicht. Ich bin kein Junge.« Ich hole tief Luft, dann bringe ich es raus: »Ich bin ein Kater.«

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Besondere Umst?nde erfordern besondere Massnahmen. Diese Regel gilt auch f?r Kater!

»Du bist Winston? Kiras Katze?«

»Falsch. Winston. Professor Hagedorns Kater.«

»Na gut, dann eben Hagedorns Kater. Aber ansonsten bist du echt dieses schwarze Viech, das du … ?h … also Kira ?berall mit hinschleppt? Eine echte, eine richtige Katze? So mit allem Drum und Dran?«

Tom ist fassungslos. Wer k?nnte es ihm verdenken? Aber zumindest sind er und Pauli inzwischen so weit zu ?berlegen, ob ich vielleicht tats?chlich die Wahrheit sage. Der Weg dahin war allerdings lang: Erst haben sich die beiden k?niglich ?ber meinen tollen Witz am?siert. Dann haben sie mich gedr?ngt zu erz?hlen, was mir wirklich unter den N?geln brennt. Und schliesslich wurden sie ziemlich sauer, weil ich mich nicht von der Katzengeschichte abbringen liess. Am Ende mussten sie aber zugeben, dass sie sich schon das eine oder andere Mal ?ber die F?higkeiten von Kiras Katze gewundert hatten. Stichwort: U-Bahn-Fahrt!

»Ja, ich bin eine echte Katze. Mit allem Drum und Dran. Genauer gesagt: Britisch Kurzhaar. Sehr edel. Deswegen auch mein Name. Ich bin alter englischer Adel. Nur momentan eben nicht. Da bin ich Kira. Aber das habe ich euch schon erkl?rt.«

Pauli be?ugt mich, als habe ich zwei K?pfe. Dann will sie es genauer wissen.

»Nimm’s mir nicht ?bel, Kira, oder Winston, oder wie auch immer wir dich jetzt nennen sollen, aber gibt es irgendeinen Beweis f?r diese unglaubliche Geschichte? Ich meine, ihr werdet vom Blitz getroffen, w?hrend ihr auf einer Kabeltrommel sitzt, und als ihr aus einer Ohnmacht erwacht, habt ihr die K?rper getauscht und k?nnt eure Gedanken lesen – das ist starker Tobak, weisst du?! Also, daf?r brauche ich einen richtig harten Beweis. Und ich rede hier nicht von ungew?hnlichen Kunstst?ckchen, die deine Katze auff?hrt. Klar war es krass, dass sie Werner wirklich gefunden hat, aber wer weiss? Vielleicht ist sie einfach gut trainiert!«

Das ist ein berechtigter Einwand. Ich w?rde an ihrer Stelle genauso zweifeln. Wenn mir Odette im Hof anvertraut h?tte, dass sie in Wirklichkeit Klaus-Dieter, der b?rtige Zahnarzt aus dem dritten Stock, sei, h?tte ich bestimmt auch einen Beweis verlangt. Nur: Was sage ich jetzt dazu? Ich k?nnte nat?rlich Kira noch mal in Gedanken bitten hierherzukommen. Aber reicht das? Oder f?llt das auch unter Zufall und Kunstst?ckchen? Ich seufze. Vielleicht war es doch keine gute Idee, meinen Freunden dieses Geheimnis anzuvertrauen.

»Kannst du etwas, das eigentlich ganz ausgeschlossen f?r Menschen ist? Also, k?nntest du jetzt deine Krallen ausfahren?«, schl?gt Tom vor.

Ich halte meine H?nde vors Gesicht und betrachte meine Fingern?gel. Nein, ausfahren kann ich die nicht. Ich sch?ttle also den Kopf.

»Nee, leider nicht.«

»Oder vielleicht aus dem zweiten Stock springen? Katzen k?nnen das doch. Die rotieren mit dem Schwanz so lange, bis die Pfoten wieder nach unten zeigen, und dann landen sie ganz sicher und unbeschadet.«

»?h, nat?rlich kann ich das als Katze. Aber als Mensch probiere ich das bestimmt nicht aus.«

Tom grinst.

»Ja, war nicht ernst gemeint. Selbst wenn deine Geschichte nicht stimmt und du einfach nur ein bisschen gaga bist, will ich nicht, dass du dir den Hals brichst. Meine Freundin bist du ja trotzdem. Ich nenne dich dann einfach Gaga-Kira.« Er lacht, Pauli l?chelt zumindest. Okay, sie sind wenigstens nicht b?se. Trotzdem: Ich will, dass sie mir glauben! Nur dann k?nnten sie Kira und mir vielleicht beim R?cktausch helfen – auch wenn wir vorhin beim Thema Magnet noch nicht weitergekommen sind. Was also k?nnte ich den beiden zeigen?

W?hrend ich noch nachdenke, werde ich zum zweiten Mal vom Blitz getroffen: vom Geistesblitz! Ich springe so heftig von meinem Platz hoch, dass das Tablett mit meinem Teller bedenklich wackelt und fast vom Tisch f?llt.

»Ich hab’s! Die Augen!«

Pauli und Tom schauen mich erstaunt an.

»Na, Kira und ich haben nicht nur den K?rper, sondern auch die Augenfarbe getauscht. Seht doch mal genauer hin!« Ich starre die beiden an.

»?h, ja. Sch?ne gr?ne Augen«, sagt Pauli.

»Genau: Das ist es doch! Kira hat eigentlich blaue Augen.«

Tom zuckt mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Du oder sie – ich sag jetzt mal: ihr – also, ihr seid erst seit Kurzem auf der Schule. Ich kenn euch noch nicht so lang. ?ber Kiras Augenfarbe habe ich mir vorher nie Gedanken gemacht oder genauer hingeguckt.«

Pauli nickt.

»Tom hat recht. Geht mir genauso. Selbst wenn Kira noch vor ein paar Wochen blaue Augen hatte, w?re mir das nicht aufgefallen.«

»Oh.« Entt?uscht setze ich mich wieder hin. »Aber es ist wirklich wahr. An unserer Augenfarbe kann man es sehen. Meine, also Winstons, sind gr?n. Die von Kira als M?dchen blau. Und wir haben unsere Augenfarbe beim Tausch behalten.«

»Aber ist das denn Kiras Mutter nie aufgefallen?«

»Nein. Kira und ich haben alles getan, um es geheim zu halten. Also habe ich in letzter Zeit zu Hause h?ufiger mal eine Sonnenbrille getragen oder mir den Pony in die Stirn fallen lassen. Wir haben auch schon ?ber farbige Kontaktlinsen nachgedacht, aber die sind so teuer.«

»Okay. Das w?re dann also tats?chlich ein echter Beweis.« Tom schaut nachdenklich. »Dann m?ssten wir jetzt nur irgendwie feststellen, dass Kira fr?her wirklich blaue Augen hatte.«

»Aber es stimmt! Glaub’s mir doch!«

»Sorry, Kira oder Winston oder wer auch immer – die Geschichte ist so abgefahren, da brauche ich etwas Handfestes.«

Ich st?hne innerlich. Etwas Handfestes! Was k?nnte das sein? Ein Foto vielleicht? Aber auf Fotos kann man Augenfarben nur schwer unterscheiden. Und ich habe sowieso kein Foto von Kira griffbereit.

»Mir f?llt gerade was ein! Warum rufen wir nicht einfach Anna an und fragen sie?«, schl?gt Pauli vor.

»Ja, gute Idee!«, stimmt Tom zu.

»Wir rufen einfach an und fragen? Aber wird sie sich dar?ber nicht wundern? Sie denkt doch, ich sei ihre Tochter. Dann kenne ich doch meine Augenfarbe.«

»Mach dir mal keinen Kopf, Kira. Oder Winston. Ruf jetzt deine Mutter an und gib mir das Handy, okay?«

Ich nicke ergeben, ziehe mein Handy aus der Hosentasche und w?hle die Nummer von Anna. Als es klingelt, gebe ich den H?rer weiter.

»Hallo, Frau Kovalenko! Nein, hier ist nicht Kira, sondern Pauli. Ich brauche mal kurz Ihre Hilfe! Wir sollen hier in der Schule gerade unseren Klassenkameraden genau beschreiben, ohne dass er im Raum ist. Ich sitze also in der Kantine und beschreibe Kira. Aber ehrlich gesagt bin ich mir bei ihrerAugenfarbe nicht sicher. Ist die gr?n oder blau?« Schweigen. Sie h?rt offenbar zu, was Anna sagt. »Okay. Danke. Das ist sehr nett. Ja, ich gr?sse sie. Danke! Tsch?ss.«

Pauli legt auf. Dann schaut sie uns an.

»Kiras Augen sind strahlend blau. Eine ganz tolle Farbe. Sagt ihre Mutter.«

»Ups«, macht Tom. Und mir f?llt ein Stein vom Herzen.

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Nach der Schule gehen wir alle in die Eisdiele. Und wenn ich alle sage, dann meine ich: Kira Katze ist auch dabei. Ich habe sie angemorst und ihr von den neusten Entwicklungen erz?hlt. Daraufhin hat sie uns von der Schule abgeholt und zum Eisessen begleitet. Also habe ich Kira auf dem Schoss, w?hrend ich mein Schokoeis schlecke. Begeistert ist sie allerdings nicht davon, dass ich unser Geheimnis gel?ftet habe.

»Bestimmt denken die beiden jetzt, du h?ttest eine Vollklatsche. Damit bin ich dann auch die letzten beiden Freunde los, die ich noch in der Klasse hatte«, jammert sie vor sich hin, w?hrend sie gleichzeitig versucht, etwas von dem Eis zu erwischen, das gerade haarscharf an meinem Bein vorbeitropft. Schwierig, so ein Eis zu essen! Muss ich eindeutig noch ?ben.

»Nun beruhige dich mal, Kira! Sie glauben uns doch!« Dass Pauli sogar in meinen Augen rumgefummelt hat, um sicherzugehen, dass ich keine farbigen Kontaktlinsen trage, verschweige ich mal lieber. Kiras Laune ist sowieso schon auf dem Tiefpunkt. Kein Wunder. Schliesslich sind wir mit unserem R?cktausch-Plan bisher noch ?berhaupt nicht weitergekommen. Ich nehme daher einen neuen Anlauf.

»Ich w?rde gern noch mal mit euch ?ber die Sache mit dem Magneten sprechen. Kira und ich haben uns n?mlich ?berlegt, dass uns ein Magnet beim R?cktausch helfen k?nnte. Ich habe schliesslich nicht vor, f?r den Rest meiner neun Katzenleben ein M?dchen zu bleiben. Und ich glaube, Kira vermisst euch auch schon.« Wie zur Best?tigung miaut Kira laut auf. Tom und Pauli gucken sie beeindruckt an.

»Sie versteht uns. Wahnsinn!« Pauli sch?ttelt den Kopf.

»Wieso sollte euch ein Magnet beim R?cktausch helfen k?nnen?«, will Tom von mir wissen.

»Ganz einfach: Durch den Blitzeinschlag auf der Baustelle muss ein riesiges Magnetfeld entstanden sein. Der Blitz ist doch in eine Kabeltrommel eingeschlagen, die mit Kupferkabel umwickelt war. Wenn du aber eine Kupferspule an Strom anschliesst, bekommst du einen Elektromagneten. Und da Kira und ich auf der Kabeltrommel sassen, waren wir mitten im Magnetfeld. Das muss den Tausch bewirkt haben. Anscheinend hat uns der Magnet irgendwie aus unseren K?rpern rausgezogen. Und auf dem R?ckweg vertauscht. Zumindest hoffe ich, dass es so war.«

»Wow!«, ruft Pauli beeindruckt. »Du bist mit weitem Abstand der schlauste Kater, den ich kenne.«

»Na ja«, gebe ich zu, »der Tipp mit dem Elektromagneten stammt von Werner. Der ist Physikprofessor. Von selbst w?re ich wahrscheinlich nicht draufgekommen. Leider hilft uns der Tipp allein aber nicht weiter. Wir brauchen jetzt ein Magnetfeld, das so gross ist, dass ein M?dchen und ein Kater gemeinsam reinpassen.«

In diesem Moment schl?gt Tom so heftig mit seiner Faust auf den Tisch, dass die Eisbecher scheppernd aneinanderkrachen.

»Genau das ist es: ein grosses Magnetfeld! Ich weiss, wo wir eins herkriegen!«

Miau! Kira springt auf seinen Schoss, Pauli und ich starren ihn an. Als er weiterspricht, h?ngen wir regelrecht an seinen Lippen.

»Ihr wisst doch, dass mein Vater Arzt ist.«

Wir nicken.

»Genau genommen ist er Radiologe«, f?hrt Tom fort.

»?h, was ist das?«, will ich wissen.

»Na, ein R?ntgenarzt. Er kann Leute quasi von innen fotografieren«, erkl?rt Tom.

»Das ist ja sehr sch?n, aber wir brauchen keinen Arzt, wir brauchen einen Magneten.« Heilige ?lsardine, hat der mir nicht richtig zugeh?rt?

»Moment, Moment, das kommt ja gleich«, beschwichtigt Tom. »Also, mein Vater hat eine grosse radiologische Praxis. Und da stehen nicht nur R?ntgenger?te rum, sondern auch MRTs.«

»Aha«, sagt Pauli, »vielen Dank f?r die Information. Ehrlich gesagt, interessiert mich die Praxisausstattung deines Alten jetzt eher weniger. Was hat das mit Kira und Winston zu tun?«

»Mensch, Pauli! Denk doch mal nach!«, ruft Tom laut. »MRT! F?llt der Groschen? Wof?r steht das wohl?«

Pauli zuckt mit den Schultern.

»Keine Ahnung. Vielleicht f?r Multi-Risiko-Transporter oder so was in der Art?«

Tom lacht.

»Quatsch. MRT heisst Magnetresonanztomografie. Das Ger?t dazu heisst Magnetresonanztomograf.«

H?? Mir fallen gleich die Ohren ab.Was heisst das? Tom sieht unsere erstaunten Gesichter und wiederholt ganz langsam:

»Magnet-Resonanz-Tomograf. Das ist ein Apparat, der ?hnlich wie ein R?ntgenger?t funktioniert: Du schiebst jemanden rein und kannst Fotos von seinem K?rperinneren machen. Und zwar nicht mit R?ntgenstrahlen, sondern mit Magnetwellen. Verstanden?«

Pauli und ich gucken uns kurz an.

»Na, so halbwegs«, sagt Pauli dann.

»Dieser Apparat sieht aus wie eine grosse R?hre und im Inneren dieser R?hre entsteht ein Magnetfeld, wenn man den MRT anschaltet. Die Magnetwellen gehen durch den Menschen, der in der R?hre liegt, und machen ein Bild von ihm. So ungef?hr jedenfalls.«

»Mann, woher weisst du denn so was?«, frage ich Tom. Der grinst.

»Ich bin eben superschlau. Nee, mal im Ernst: Ich habe in den letzten Ferien in der Praxis meines Vater gejobbt. Telefondienst und so. Seine Assistentin hat mir den MRT und die anderen Ger?te gezeigt, weil ich mich doch so f?r Computer und Technik interessiere.«

»Und du glaubst, wenn ich mich mit Kira in diese R?hre lege, dann entsteht auch ein Magnetfeld und wir k?nnen wieder tauschen?«

Tom nickt.

»Jepp. Das glaube ich.«

Jetzt mischt sich Kira ein.

»Frag ihn mal, ob das nicht gef?hrlich w?re. R?ntgenstrahlen sind jedenfalls nicht ohne. Wer weiss, wie das mit Magnetwellen ist.«

Ich wiederhole Kiras Frage laut. Tom sch?ttelt den Kopf.

»Keine Sorge. Das MRT-Ger?t verursacht keine gef?hrlichen Strahlen. Das ist ja gerade sein grosser Vorteil im Vergleich zum R?ntgen. Wir m?ssten euch beide also nur reinlegen und den MRT anschalten. Aber das traue ich mir zu. Das war gar nicht so schwer.«

»?h, Moment mal –du willst das machen? Warum fragen wir nicht lieber deinen Vater?« Stimmt. Eine berechtigte Frage, die Pauli da aufwirft. Tom allerdings guckt, als l?ge Pauli total daneben.

»Mann, hast du eine Ahnung, wie teuer dieses Teil ist? Das ist doch kein Spielzeug. Wenn ich meinen Alten frage, ob wir da nicht mal ein M?dchen mit einer Katze reinlegen k?nnten, zeigt der mir garantiert einen Vogel. Nee, nee – wenn, dann m?ssten wir das heimlich machen.«

Okay, das leuchtet selbst mir ein. Ich hole tief Luft.

»Gut, dann sollten wir es probieren.«

Tom lacht und hebt die Hand zum High Five. Ich schlage ein, dann klatschen wir uns mit Pauli ab.

»Also abgemacht. Ich besorge heimlich den Praxisschl?ssel, und sobald ich den habe, legen wir los. Vielleicht klappt es schon heute Nacht!«

Heute Nacht. Schluck! Hoffentlich weiss Tom wirklich, wie das Teil funktioniert!

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Ein Experiment.

Und eine Verabredung: beste Freunde f?r immer!

Das Ding ist wirklich riesig. Und damit meine ich nicht einfach sehr gross, sondern RIESIG! Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gesehen: Es ?hnelt einer grossen Liege aus weissem Plastik, ganz so wie das Ding, das Werner auf dem Balkon stehen hat. An einem Ende m?ndet die Liege allerdings in einen riesigen dicken Plastikzylinder, der vom Boden fast bis zur Decke reicht. Das Zylinderinnere bildet eine lange R?hre, in die die angeh?ngte Liege bestimmt komplett reinpasst. Insgesamt ist das Ding mit Zylinder und Liege so gross, dass man es vermutlich nicht in unser G?stezimmer stellen k?nnte. Oder jedenfalls nur sehr knapp. Man kann ohne ?bertreibung sagen,dass das Teil so aussieht, als w?rde es beiStar Wars eine wichtige Rolle spielen. Also irgendwie spacig. Und vor allem: be?ngstigend! Da soll ich mich reinlegen? Bei dem Gedanken ist mir ?berhaupt nicht wohl.

Kira geht es ganz?hnlich. Sie maunzt und streicht unruhig um meine Beine. War es wirklich eine gute Idee, nach Ende der Sprechstunde heimlich in die Praxis von Toms Vater zu schleichen? Gerade f?hlt es sich gar nicht so an. Eigentlich w?rde ich lieber wieder von hier verschwinden. Tom hingegen ist bester Dinge. Er streichelt sanft ?ber die glatte Oberfl?che der Liege.

»Schickes Baby, oder?« Er l?chelt so verz?ckt, als habe er gerade ein Kleinkind get?tschelt. »Und ganz neu. Papa hat ihn erst seit drei Monaten. Er sagt, das sei der beste Magnetresonanztomograf in der Gegend.«

Pauli guckt zweifelnd.

»Ich weiss nicht, ob unser Plan so toll ist. Und ?berhaupt: Normalerweise wird das Ding von einem Arzt bedient. Bist du sicher, dass du mit dem Riesenteil klarkommst? Nicht, dass den beiden etwas passiert, wenn wir sie da reinschieben.«

Tom sch?ttelt den Kopf.

»Quatsch! Die Assistentin meines Vaters hat mir ganz genau erkl?rt, wie man das macht. Bei einigen Patienten habe ich ihr sogar geholfen. Und was soll auch schon passieren? Die elektromagnetischen Felder im MRT sind wirklich ungef?hrlich. Damit werden sogar schon kleine Kinder untersucht.«

»Aha.« Mehr f?llt mir dazu momentan nicht ein. Ich hoffe einfach, dass dieses Abenteuer einen guten Ausgang nimmt.

»Winston?« Kira schaut zu mir hoch.

»Ja?«

»Wir machen das Richtige, oder?«

»Bestimmt. Wir wollen doch beide in unseren alten K?rper zur?ck. Mit etwas Gl?ck klappt das gleich und du spazierst hier ganz munter als Kira Kovalenko wieder raus.«

»Aber das Dings schaut so gruselig aus. Und so riesig. Ich glaube, ich habe Angst.«

Ich verstehe Kira zwar vollkommen, beschliesse aber, Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen.

»Ach was, das kommt dir nur so vor. In Wirklichkeit ist es gar nicht gross. Das schaut f?r dich nur so aus, weil du momentan sehr klein bist. Du wirst sehen: Alles wird gut. Hauptsache, du w?nschst dir ganz fest, wieder du selbst zu sein, wenn wir in der R?hre liegen.«

»Sag mal, wenn der Tausch klappt … Meinst du, wir k?nnen uns dann immer noch in Gedanken unterhalten?«

Ich zucke mit den Schultern.

»Weiss nicht. Konnten wir ja vorher auch nicht. Also, wenn alles so wird wie vor dem Gewitter, dann hast du als Kira blaue Augen, ich als Winston gr?ne und Gedanken?bertragung gibt es nicht mehr.«

»Hm. Das w?re ja schade. Aber vermutlich hast du recht.« Kira klingt traurig.

Stimmt. W?re schade. Wenn ich so dar?ber nachdenke, habe ich mich ziemlich gern mit Kira unterhalten. Aber noch lieber will ich wieder Kater sein. Und ausserdem wird sich auch nicht alles ?ndern.

»Weisst du, ein paar Sachen werden nach dem Tausch trotzdem bleiben wie jetzt«, tr?ste ich Kira deshalb. »Du wirst immer wissen, wie es sich anf?hlt, ein Vierbeiner zu sein. Und ich verstehe euch Menschen jetzt viel besser. Du hast mit Pauli und Tom zwei neue, richtig gute Freunde. Und mit mirsowieso – wir sind jetzt beste Freunde f?r immer! Und auch wenn wir beide uns nicht mehr direkt unterhalten k?nnen – ich glaube, den Draht zueinander werden wir behalten, oder? Immerhin haben wir ein grosses Verbrechen gemeinsam aufgekl?rt.«

»Klar!«, stimmt mir Kira zu. »Das kann man uns nicht mehr wegnehmen. Wir sind immer noch Kira und Winston, die Superagenten!«

»Na siehst du! So gef?llst du mir schon besser.«

»Eine Sache sollten wir aber vorher machen.«

»N?mlich?«

»Wir sollten einen Code verabreden.«

»Einen Code?«

»Ja. Irgendein Zeichen f?r die Zeit danach, wenn wir uns nicht mehr unterhalten k?nnen. Damit wir wissen, dass wir aneinander denken. Ich habe Angst, dass wir sonst irgendwann glauben, wir h?tten das alles nur getr?umt.«

Ich?berlege kurz. Die Idee ist nicht schlecht.

»Aber was k?nnte das f?r ein Zeichen sein?«

»Vielleicht … hm …« Kira denkt nach, ich tue es ebenfalls. »Was h?ltst du davon: Wenn ich als Mensch sage ›Winston, h?rst du mich?‹, dann legst du dich auf den R?cken und rollst dich einmal um die eigene Achse. In etwa so …« Kira wirft sich auf den Boden und rollt einmal herum, bissie auf dem R?cken zum Liegen kommt. Pauli, die das beobachtet hat, schaut verwundert.

»?bt ihr noch Kunstst?cke?«

»Nein.« Mehr sage ich dazu nicht. Ich habe das Gef?hl, dass dieses Gespr?ch und diese Verabredung nur f?r Kira und mich bestimmt sind. Ich richte meine Gedanken wieder an Kira:

»Und wenn ich dir zeigen will, dass wir immer noch echte Freunde sind, dann werde ich Folgendes machen: Ich springe auf deine Schultern und schlecke einmal dein rechtes und einmal dein linkes Ohr ab. Das ber?hmte Ohrenschlecken, verstehst du?«

Kira maunzt.

»Okay. Ohrenschlecken heisst: beste Freunde f?r immer!«

Ich muss schlucken, weil sich in meinem Hals ein dicker Kloss bildet.

»Genau. Beste Freunde f?r immer!«

Ich setze mich auf den Boden neben Kira und streichle ihr?ber den Kopf, bis sie anf?ngt zu schnurren. Einen Moment sp?ter kniet sich Tom zu uns herunter.

»So, meine Damen, meine Katzen – seid ihr bereit f?r unsere ultimative Umwandlungsshow?«

Ich nicke.

»Dann mal los! Vorher aber einige kleine Sicherheitshinweise: Habt ihr irgendwelche Piercings oder Ohrringe? Die m?sst ihr abmachen, denn das Metall kann von dem Magneten im MRT angezogen werden oder sich erhitzen. Herzschrittmacher sind auch gef?hrlich – falls ihr einen habt, m?ssen wir die ganze Sache leider lassen. Also?«

»?h, nein, ich glaube nicht.«

»Wundverb?nde oder metallhaltige Pflaster?«

Ich sch?ttle den Kopf.

»Moment mal, Winston, bist du gechippt?«, will Pauli wissen.

»Was ist denn das?«

»Also, Hunde bekommen manchmal einen kleinen Chip unter die Haut gesteckt. Wenn sie verloren gehen und jemand findet sie, kann man mit einem Ger?t die Chipnummer lesen und dann weiss man, wem sie geh?ren. Aber in so einem Chip ist bestimmt auch Metall drin. Also, wenn du so ein Ding hast, bekommst du sicherlich einen warmen Pelz an der Stelle.«

»Ich glaube nicht, dass ich so was habe. Kann mich jedenfalls nicht erinnern, einen verpasst bekommen zu haben. Bis vor Kurzem war ich ein reiner Wohnungskater, da habe ich so etwas gar nicht gebraucht. Und selbst wenn: Das Risiko gehe ich ein. Dann bekomme ich eben warme ?hrchen.«

»Also, so gef?hrlich, wie das jetzt klingt, ist es gar nicht. Die Assistentin muss nur jeden Patienten danach fragen«, beruhigt uns Tom. »Das ist wie im Flugzeug. Da erkl?rt die Stewardess auch die Sauerstoffmaske und die Lage der Notausg?nge, obwohl man die h?chstwahrscheinlich nicht braucht.«

Einleuchtend. Ich merke, wie sich ein Kribbeln in meinem Bauch ausbreitet. Eindeutig die Aufregung.

»Los, Tom! Wir sollten anfangen, bevor ich mir die Sache anders ?berlege!«

»Gut. Dann erkl?re ich euch kurz den Gebrauch der Schwimmwesten …«

»Schwimmwesten?!«

Tom lacht.

»Kleiner Scherz! Eine Sache gibt es aber tats?chlich noch zu sagen: Das MRT-Ger?t wird ziemlich laut. Es ist so ein starkes Klopfger?usch. Nicht erschrecken – das ist ganz normal und kommt durch das An- und Abschalten der Spulen im Inneren des Ger?ts. Ist ja, wie schon gesagt, eigentlich einriesiger Elektromagnet. Es gibt auch einen Kopfh?rer mit Musik, damit man das Klopfen nicht so h?rt. Ich f?rchte nur, dass der Kira als Katze nicht passt, und wir haben auch nur einen.«

»Dann verzichte ich drauf. Das stehen wir jetzt gemeinsam durch. Oder, Kira?« Kira wirft sich auf den Boden und macht wieder ihre Rolle. Ich muss grinsen, Tom und Pauli gucken ratlos. »Das ist unser neues Zeichen f?rJa.«

»Okay. Dann legt euch mal auf die Liege. Winston, du auf den R?cken, und ich denke, am besten platzieren wir Kira auf deinem Bauch. Pauli und ich m?ssen den Raum verlassen. Das Ger?t wird aus dem Nebenzimmer gesteuert. Wir k?nnen euch aber durch das Fenster in der Wand da sehen. So weit klar?«

»Ja. Sonnenklar.« Ich ziehe meine Schuhe aus und lege mich auf die Liege. Pauli setzt mir Kira auf den Bauch. Ich kann sp?ren, wie Kiras Herz rast. Meines ?brigens auch.

Tom macht sich nun irgendwie an dem Ger?t zu schaffen. Die Liege f?hrt langsam in den Zylinder, bis ich vollst?ndig von der R?hre umschlossen bin. Heilige ?lsardine und grosser Katzengott, steht mir bei!

»So«, h?re ich Toms Stimme, die nun ganz dumpf klingt, »Pauli und ich gehen r?ber in den Nebenraum. Von dort schalte ich das Ger?t an. Ich denke, zehn Minuten sollten reichen. Der Blitzeinschlag war ja viel k?rzer. Seid ihr bereit?«

Kira maunzt, ich rufe:»Bereit!«

»Gut. Viel Gl?ck ihr beiden!«

Die T?r klappt zu, dann wird es ganz still um uns.

»So, Kira, jetzt geht’s um alles«, ermahne ich meine Menschenfreundin. »Immer dran denken: Wir wollen zur?cktauschen. ZUR?CKTAUSCHEN!«

»Wird gemacht, Winston. Ich denke an nichts anderes: ZUR?CKTAUSCHEN!«

Mit einem Mal beginnt ein ohrenbet?ubendes Klopfen, das mir einen wahnsinnigen Schrecken in die Glieder jagt. H?tte ich doch besser den Kopfh?rer nehmen sollen? Egal. Jetzt bloss nicht ablenken lassen! Es z?hlt nur ein Gedanke: ZUR?CKTAUSCHEN! ZUR?CKTAUSCHEN! Ich will wieder ich selbst sein und in meinen K?rper zur?ck! Ich Wieder! Winston! Sein!

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Alles wieder beim Alten.

Oder doch nicht?

»Kira, bist du wach? Geht es dir gut?« Jemand r?ttelt an der Liege. Der Stimme nach Pauli. Puh, ?berlebt habe ich es also schon mal!

»Ja, bei mir ist alles in Ordnung.«

Kiras Stimme! Obwohl ich nichts gesagt habe. Das kann nur eines bedeuten: Es hat tats?chlich geklappt! Hurra! Ich bin ich! Ein vorsichtiger Blick an mir entlang: Ja – ich habe ein schwarzes Fell und vier Pfoten. Bei meinem Lieblingskratzbaum! Da fallen aber ganze Wagenladungen von Steinen von meinem kleinen Katerherzen.

Langsam rappele ich mich von Kiras Bauch hoch und schaue mich um. Wie gross auf einmal alles um mich herum aussieht! Das hatte ich schon v?llig vergessen – als Kater bin ich ziemlich klein. Ich springe auf den Boden und strecke und dehne mich kr?ftig. Dann setze ich mich vor das Ger?t und warte darauf, dass auch Kira aufsteht. Sie hockt auf der Liege, baumelt mit den Beinen und sieht dabei gut gelaunt aus. Meine G?te, von hier unten ist das Teil nicht nur riesig, sondern gigantisch! Ich weiss nicht, ob ich mich in Katzenform in die R?hre getraut h?tte – gut, dass Kira als Katze so mutig war. Aber wie es scheint, haben wir das waghalsige Experiment beide heil ?berstanden. K?rperlich zumindest.

Ob wir uns wohl noch in Gedanken unterhalten k?nnen? Ich starte einen Versuch.

»Kira, kannst du mich h?ren?«, denke ich in ihre Richtung. »Steh doch mal auf und komm zu mir r?ber!« Aber nichts passiert. Hm. Es scheint leider so zu sein, wie wir vorher vermutet haben: Unterhalten k?nnen wir uns in Gedanken nur, wenn wir vertauscht sind. Ich merke, dass mir diese Erkenntnis einen kleinen Stich versetzt.

Mittlerweile ist auch Tom aus dem Nebenraum gekommen und steht bei dem MRT-Ger?t.

»Wie geht es dir?«, will er von Kira wissen.

»Eigentlich ganz gut. Mir ist nur noch ein kleines bisschen schwindelig. Aber ich glaube, es hat geklappt. Ich bin wieder Kira.«

»Guck mich mal an.« Dann langes Schweigen. Leider kann ich von hier unten nicht genau sehen, was Tom und Kira gerade machen, aber ich sp?re eine gewisse Anspannung. Nun tritt Tom einen Schritt von der Liege zur?ck.

»Wahnsinn!«, ruft er laut. »Kira, du hast wirklich strahlend blaue Augen!« Er b?ckt sich zu mir herunter und schaut mich an. »Und Winston hat tats?chlich gr?ne! Ich fasse es nicht! Unglaublich!«

Warum die Aufregung? Wir haben ihm doch gesagt, dass es so ist? Hat der uns etwa doch nicht geglaubt? Das Gleiche denkt sich offenbar auch Kira.

»He, he – hast du uns etwa nicht vertraut? Winston hat doch gesagt, dass ich als Mensch blaue Augen habe.«

»Ich habe euch schon geglaubt. Hundert Prozent sicher war ich mir allerdings nicht«, antwortet Tom lachend.

»Ist nicht schlimm«, mischt sich Pauli ein. »Ich w?rde sogar sagen, das ist ziemlich normal. Oder h?ttest du uns umgekehrt sofort und ohne Zweifel geglaubt, wenn wir erz?hlt h?tten, dass man Tom und mich vertauscht hat?«

»Nee!« An Kiras Stimme kann ich h?ren, dass sie gerade grinst.

»Na also«, sagt Tom. »Und nun sollten wir mal schnell die Biege machen. Bisher ist alles gut gegangen. Nicht, dass wir auf den letzten Metern noch von der Putzfrau erwischt werden. Die kommt n?mlich irgendwann sp?tabends und w?rde bestimmt den Schreck ihres Lebens kriegen, wenn sie uns hier sieht.«

»Hast recht! Ab nach Hause!« Kira h?pft von der Liege und steht nun direkt neben mir. »Aber eine Sache muss ich noch ausprobieren: Winston, kannst du mich h?ren?«

Ah! Das Codewort! Ich schmeisse mich auf den R?cken und drehe mich einmal um mich selbst. Kira klatscht in die H?nde.

»Klasse, Winston! Es funktioniert tats?chlich – wir haben also nicht getr?umt!«

Nein, das haben wir wirklich nicht! Im Gegenteil: Wir haben ziemlich viel erlebt!

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Am n?chsten Tag wache ich als Kater in meinem eigenen K?rbchen auf. Und das f?hlt sich einfach grossartig an! Ich habe so tief und fest geschlafen, dass ich nicht mal wach geworden bin, als Kira aufgestanden und zur Schule gegangen ist.

In der Wohnung herrscht himmlische Ruhe und ich beschliesse, erst zu fr?hst?cken und dann den restlichen Tag auf meinem Lieblingsplatz zu verbringen: dem Sofa im Wohnzimmer. HERRLICH!

Nach einem kleinen Nickerchen und einem weiteren Gefl?gellebersnack muss ich allerdings einr?umen, dass es in der Wohnung nicht nur ruhig, sondern fast ein bisschen langweilig ist. Werner ist an der Uni, Anna b?gelt und summt dabei vor sich hin – hm, will sich denn niemand mit mir unterhalten? Ich laufe von Zimmer zu Zimmer, aber nat?rlich ist hier keiner, mit dem ich ein kleines Schw?tzchen halten k?nnte. Komisch, dass mir bis heute noch nie aufgefallen ist, wie still die Wohnung tags?ber ist und wie wenig hier passiert. Mit was habe ich mich denn fr?her die ganze Zeit besch?ftigt?

Ob ich Anna davon?berzeugen kann, mich mal aus der Wohnung zu lassen? Bestimmt. Als Kira noch Katze war, hat das schliesslich auch geklappt. Wie hat sie das gemacht? Ich versuche es auf die platte Tour, laufe zu Anna, maunze laut und laufe dann weiter zur Wohnungst?r. Dort bleibe ich sitzen und maunze weiter. Undtats?chlich: Anna folgt mir und ?ffnet die T?r.

»Na, du kleiner Streuner? Willst du wieder raus? Ich glaube, wir brauchen irgendwann mal eine Katzenklappe! Also, pass gut auf dich auf!«

Schwupp, schon stehe ich vor der T?r. Das war einfach. Nur: Wie geht es jetzt weiter? Als Kind war ich draussen schon viel unterwegs, als Kater allerdings kaum. Und allein war ich als Winston sowieso nie draussen. Aufregend! Ich beschliesse, erst mal dem Hof einen Besuch abzustatten. Dort kenne ich mich schliesslich am besten aus.

Als ich um die Ecke des Hofeingangs biege, sehe ich sie sofort: Odette! Mein Herz macht einen Sprung und ich?berlege ernsthaft, den R?ckw?rtsgang einzulegen.Quatsch!, ermahne ich mich dann aber selbst,du hast doch die ganze Zeit gehofft, ihr endlich mal wieder als Kater zu begegnen! Also ran an die Frau! Ich atme tief durch und trabe weiter. Schon bin ich bei dem kleinen Unterstand, auf dem Odette sitzt. Leider ist sie nicht allein. Spike und Karamell hocken auch auf dem Dach. Und nat?rlich sehen sie mich sofort.

»Oh, hoher Besuch!«, macht sich Spike gleich wieder ?ber mich lustig.

»Hallo, Jungs«, erwidere ich m?glichst freundlich. Von diesem M?chtegern-Tiger lasse ich mich doch nicht provozieren! »Hallo, Odette!«

»He, Winston!« T?usche ich mich oder klingt Odette erfreut? Sie kommt an den Rand des Unterstands und guckt zu mir hinunter. »Das ist ja nett, dass du mal vorbeischaust!« Nein, ich t?usche mich nicht. Odette freut sich offensichtlich, mich zu sehen. Mit einem Mal wird mir ganz warm ums Herz. Ein sehr sch?nes Gef?hl!

»Ja, ich dachte, ich komme mal runter zu euch. Mir war oben so langweilig. Ein bisschen nette Gesellschaft kann schliesslich nicht schaden.« Ich hoffe, Odette ist klar, dass mit netter Gesellschaft nur sie gemeint sein kann. Auf Spike und Karamell trifft diese Beschreibung ganz sicher nicht zu! Sie maunzt fr?hlich.

»Ich wollte mich noch bedanken, dass du neulich das M?dchen mit dem Futter vorbeigeschickt hast. Das war wirklich sehr freundlich von dir! Und sehr lecker!«

»Och, das habe ich doch gern gemacht! Keine grosse Sache«, gebe ich mich bescheiden.

Odette springt zu mir herunter und setzt sich neben mich.

»Doch, schon eine grosse Sache. Ich glaube, ich war nicht immer besonders nett zu dir. Trotzdem gibst du mir etwas von deinem wertvollen Futter ab. Das war sehr grossz?gig! Ich habe dich mit ganz falschen Augen gesehen, das tut mir leid!« Sie reibt ihren Kopf kurz an meinem und mein Herz macht daraufhin einen riesigen Satz. Fast habe ich Angst, dass es aus meinem Hals herausspringen k?nnte!

»Kein Problem, Schwamm dr?ber!«, bringe ich gerade noch kr?chzend hervor.

»Weisst du, eigentlich w?re es doch sch?n, wenn du h?ufiger hier dabei w?rst. Ich w?rde mich jedenfalls dar?ber freuen!« Odette strahlt mich an.

»Wir uns nicht!«, kommt es nun leider sehr energisch von oben. Spike lugt ?ber die Ecke des Unterstands und funkelt uns b?se an. Nein, falsch: Er funkeltmich b?se an. »Wir w?rden uns ?berhaupt nicht freuen, wenn der aufgeblasene Wohnungstiger nun st?ndig hier aufkreuzt!«

Ich will gerade etwas Giftiges erwidern, da streicht Odette noch einmal an meinem Kopf entlang.

»Ach, beachte den gar nicht. So ist er immer, wenn jemand Neues zur Gruppe kommt. War bei Karamell nicht anders und heute sind sie beste Freunde. Lass uns lieber eine Runde spazieren gehen. Dann hat Spike Zeit, sich wieder abzuregen.«

Ein sehr guter Plan! Auf Dauer ist es mir im Hof sowieso zu dunkel und mit Odette an meiner Seite traue ich mir eine kleine Runde durch den Stadtteil durchaus zu.

Als wir auf dem B?rgersteig vor dem Haus angekommen sind, habe ich eine Idee.

»Odette, was h?ltst du davon, mit mir zu Kiras Schule zu laufen? Weisst du, das ist das M?dchen, das dir das Futter gebracht hat. Die Schule m?sste jetzt irgendwann zu Ende sein, und ich glaube, sie w?rde sich freuen, uns zusammen zu sehen.«

»Klar, warum nicht? Kennst du den Weg?«

Ich nicke und trabe los. Hoffentlich treffen wir wirklich auf Kira. Ich m?chte ihr so gern zeigen, dass ihre Taktik erfolgreich war und Odette mich nun nicht mehr doof und arrogant findet.

Zweimal rechts abbiegen, dann ein St?ck geradeaus, dann wieder links – dann stehen wir vor dem Schulgeb?ude. Allerdings sind noch keine Kinder zu sehen. Entt?uscht maunzt Odette.

»Das ist aber schade! Wo ist denn das M?dchen? Hier ist ja niemand. Ich dachte immer, in einer Schule ist ganz viel Trubel!?«

»Ja, ist es auch. Wahrscheinlich m?ssen wir noch einen Moment warten. Du wirst sehen: Wenn die Schule vorbei ist, ist hier gleich die H?lle los.«

Dingdongding! In diesem Moment ert?nt die Klingel. Danach dauert es tats?chlich keine zwei Minuten und wir sind von Sch?lern umringt.

»Ui, guck mal, wie s?ss! Eine weisse und eine schwarze Katze!«

»Wie niedlich!«

Die Kinder dr?ngeln sich um uns herum. Einige wollen uns sogar streicheln. Hoffentlich hat Odette starke Nerven! Ich mustere sie von der Seite: Sie zuckt nicht mal mit der Wimper! Sehr gut! Odette ist wirklich eine coole Katze!

»Guck mal, Kira!«, ruft jemand. »Ist das nicht deine Katze hier dr?ben?«

»Moment! Ich komme!« Kiras Stimme, eindeutig. Mein Plan scheint aufzugehen. Kurz darauf steht sie neben uns.

»Oh, Winston! Was machst du denn hier? Und sogar mit Odette. Na, da freue ich mich aber!« Sie b?ckt sich und streichelt erst mich, dann Odette.

»Woher kennt die denn meinen Namen?«, wundert sich Odette.

»?h … ?hem … ich habe nicht die leiseste Ahnung«, flunkere ich. Die Wahrheit w?rde entschieden zu weit f?hren! Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass auch Leonie und Emilia direkt auf uns zusteuern und schliesslich neben uns stehen bleiben.

»Also, eins muss man der Russin lassen«, fl?tet Emilia. »Mit Tieren kann sie wirklich gut umgehen.«

»Ha!«, schnaubt Leonie. »Das kann ich auch!« Nee, war ja klar. Die bl?de Kuh kann anderen einfach nichts g?nnen. Und zum Beweis ihres unglaublich guten Drahts zu Tieren streckt sie die Hand nach mir aus.

Ich will schon fast zur?ckweichen, da bemerke ich pl?tzlich, dass auch Frau Rosenblatt auf dem Weg zu uns ist. Wahrscheinlich will sie Kira gleich wieder eine Standpauke zum Thema »Tiere auf dem Schulgel?nde« halten. Das bringt mich auf eine geniale Idee! Also – ich hoffe jedenfalls, dass sie genial ist!

Noch bevor Kira, Emilia und Leonie Frau Rosenblatt gesehen haben, springe ich auf Leonies Arme und kuschele mich richtig an sie. Ich reibe meinen Kopf an ihrer Brust und schnurre, was das Zeug h?lt. Kira guckt entsetzt, Leonie lacht triumphierend.

»Siehst du! Deine Katze mag mich lieber als dich! Sie hat n?mlich gleich erkannt, dass ich der gr?ssere Katzenfreund bin. Ich LIEBE Katzen. Nicht war, Miezi?« Sie streichelt mich und ich schnurre weiter. »Ja, Miez, Miez, du hast es gut bei mir, nicht wahr? Vielleicht solltest du lieber bei mirbleiben, da h?ttest du es bestimmt besser.«

In diesem Moment f?llt ein dunkler Schatten auf Leonie und mich und eine allzu bekannte Stimme donnert:

»Leonie Weichert! Hattest du nicht neulich noch eine ganz schlimme Katzenallergie?« Frau Rosenblatt steht direkt neben uns und guckt Leonie sehr, sehr b?se an. Die zuckt erschrocken zusammen und l?sst mich unsanft auf den Boden fallen.

»?h, ja, habe ich ja auch! Ich … ?h … die Katze hat mich angefallen. Ich kann nichts daf?r!«

»Komisch, f?r mich sah das eher so aus, als w?rdet ihr euch blendend verstehen, du und die Katze. Sollte das also bedeuten, dass du mich neulich angelogen hast, nur um dich aufzuspielen und einer Mitsch?lerin eins auszuwischen?«

»Nein! Gar nicht, ich …« Weiter kommt Leonie mit ihren Rechtfertigungsversuchen nicht.

»Still, Leonie! Ich will nichts mehr h?ren. Du kommst jetzt mit in mein B?ro und da werden wir mal ein ernstes Wort miteinander reden.« Frau Rosenblatt macht auf dem Absatz kehrt, Leonie trottet mit gesenktem Haupt hinterher. Tschakka! Winston, der Superagent, hat wieder zugeschlagen!

»Was war das denn?« Mittlerweile stehen auch Tom und Pauli neben uns und wundern sich, denn nat?rlich haben sie den Anfang meines genialen Schlachtplans verpasst.

»Och«, grinst Kira, »ich w?rde sagen, da hat sich gerade jemand selbst gaaanz tief reingeritten.« Die drei lachen. Ein sehr sch?nes Bild: Kira mit Tom und Pauli. Echte Freunde eben.

Aber halt, da fehlt doch noch was! Ich nehme einen kurzen Anlauf und springe auf Kiras Schultern. Dann lecke ich blitzschnell erst ihr linkes, dann ihr rechtes Ohr ab. Kira begreift sofort, nimmt mich auf ihren Arm und fl?stert mir etwas zu:

»Genau, Winston. Unser Code. Beste Freunde f?r immer!«

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Wer h?tte das gedacht? Ich und ein Kind! Aber Kira hat recht: wir zwei. Beste Freunde f?r immer. Wer weiss, welche Abenteuer wir noch zusammen erleben werden!? Ich freue mich jedenfalls schon darauf!

2. AGENT AUF LEISEN PFOTEN

Prolog – Ich bin ein Held. Oder etwa nicht?

»Gleich habe ich dich, du dummes Vieh!« Der Mann streckt seine Riesenpranke nach Odette aus. Die dr?ckt sich ver?ngstigt in die Ecke, so weit sie nur kann. Aber es ist zwecklos: Gleich wird der Kerl sie am Nacken packen. Glaubt er jedenfalls. Denn er hat nat?rlich nicht mit mir gerechnet: Winston Churchill, Kater ohne Furcht und Tadel! Ich sch?tze kurz die Entfernung ab, dann springe ich. Furchtlos und unerschrocken! Den Bruchteil einer Sekunde sp?ter lande ich auf den Schultern des Verbrechers. Er stinkt nach Zigarettenqualm und – wie ein Tannenbaum! Also tats?chlich wie das Ding, das Werner an Weihnachten immer in die Wohnung schleppt. Erstaunlich! F?r weitere Gedanken ?ber Weihnachtsb?ume bleibt mir allerdings keine Zeit, denn nun f?ngt der Typ an, sich kr?ftig zu sch?tteln, um mich loszuwerden. Entschlossen fahre ich mit meinen Krallen ?ber seine Wange.

»Aaaah! Was ist das?« Sofort zieht er seinen Arm von Odette zur?ck und versucht stattdessen, nach mir zu schlagen. Aber er erwischt mich nicht, ich bin einfach zu geschickt. Odette, die sch?nste weisse Katze von allen, springt aus ihrer Ecke hervor.

»Lauf, Odette, lauf weg!«, rufe ich ihr zu. »Ich werde ihn so lange ablenken!«

»Nein, Winston, ohne dich werde ich nicht gehen!«

»Doch, es ist besser so! Lauf!«, rufe ich noch einmal, aber mein kleines Katzenherz macht einen freudigen Sprung, weil Odette bei mir bleiben will. Bevor mich der Kerl absch?tteln kann, verpasse ich ihm noch einen Tatzenhieb. Er heult auf und schl?gt wieder nach mir.

»Oh, Winston«, haucht Odette, »du bist so …

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… dick geworden! Mach mal Platz!«

DICK geworden? Odette!!! Was soll das? Ich reisse die Augen auf und starre Odette fassungslos an. Wie kann sie mich nur so beleidigen? Ich bin doch ihr Held und Retter!

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Gestatten:

Winston Kater, M?dchenberater. Keinesfalls Stubentiger!

Es ist gar nicht Odette, die mich aufs?belste beleidigt hat. Es ist mein menschlicher Mitbewohner, Professor Werner Hagedorn, der sich offensichtlich hinsetzen will. Und zwar auf das Sofa, auf dem ich gerade liege und davon tr?ume, wie ich Odette vor einem b?sen Verbrecher rette. Mist! Es war so ein toller Traum und ich h?tte wirklich gern gewusst, was Odette gerade zu mir sagen wollte. Im wirklichen Leben haben wir uns n?mlich noch nicht so furchtbar h?ufig miteinander unterhalten. Schliesslich wohne ich hier oben im zweiten Stock der Hochallee 106a und Odette stromert meist im Hinterhof unseres Hauses herum. Aber anstatt zu erfahren, was Odette mir ins Ohr gehaucht h?tte, werde ich von Werner unsanft zur Seite geschoben. Dann l?sst er sich neben mich auf das Sofa plumpsen. Frechheit! Beleidigt h?pfe ich auf den Boden. Wenn Werner denkt, dass ich mich jetzt von ihm kraulen lasse, hat er sich get?uscht. F?r Streicheleinheiten bin ich ?berhaupt nicht auf ihn angewiesen, pah! Jedenfalls nicht mehr, denn seit Kurzem wohnen Werner und ich nicht mehr allein in unserer grossen Altbauwohnung in Hamburgs vornehmem Stadtteil Harvestehude. Wir haben n?mlich zwei sehr nette Mitbewohnerinnen bekommen – Anna und Kira. Erst hat Anna nur tags?ber als Haush?lterin bei uns gearbeitet, aber seit sie vor ihrem Exfreund gefl?chtet ist, lebt sie mit ihrer Tochter Kira bei uns.

Kira und ich haben schon ein unglaubliches Abenteuer zusammen erlebt, und obwohl ich immer dachte, dass ich Kinder nicht ausstehen kann, sind wir mittlerweile die besten Freunde. Ein Grund mehr, den doofen Werner auf dem Sofa sitzen zu lassen und jetzt nach Kira zu suchen!

Ich laufe bis zum Ende des langen Wohnungsflures. Dort befindet sich unser ehemaliges G?stezimmer, das jetzt von Kira bewohnt wird. Die T?r ist nur angelehnt. Mit meiner Nase stupse ich sie einen Spaltbreit auf und husche ins Zimmer. Kira sitzt an dem kleinen Schreibtisch unter dem Fenster. Wahrscheinlich erledigt sie gerade ihre Schularbeiten. Mit zwei S?tzen springe ich erst vomBoden auf das Bett, dann von dort auf den Schreibtisch. Tats?chlich: Kira schreibt gerade irgendetwas in ein Schulheft.

»Hallo, Winston!«, ruft sie fr?hlich und krault mich hinter den Ohren. Maunz, das ist doch mal eine angemessene Begr?ssung! Ich mogle mich von der Tischplatte auf Kiras Schoss und beginne zu schnurren. Wenn ich schon meinen sch?nen Traum nicht weitertr?umen durfte, habe ich mir jetzt wenigstens ganz ausgiebige Streicheleinheiten verdient. Ich schnurre lauter.

»Ja, mein S?sser! Das gef?llt dir, stimmt’s?« Kira l?chelt. »?brigens haben sich Pauli und Tom nach dir erkundigt. Wollten wissen, wie es dir geht.«

Pauli, die eigentlich Paula heisst, und Tom sind Klassenkameraden von Kira und zugleich ihre besten Freunde. Gemeinsam besuchen sie die 7c des Wilhelminen-Gymnasiums. Die beiden sind wirklich schwer in Ordnung – davon konnte ich mich schon h?chstpers?nlich ?berzeugen. Wie mir das als Kater gelungen ist? Ganz einfach: Indem ich mit Kira den K?rper getauscht und selbst als zw?lfj?hriges M?dchen die Schulbank gedr?ckt habe. UNM?GLICH? Nein. So war es wirklich! Und dann haben wir sogar noch einem Verbrecher das Handwerk gelegt und Annas Mutter vor Riesen?rger mit der Polizei bewahrt, bevor wir wieder zur?ckgetauscht haben. Heilige ?lsardine, das war vielleicht eine aufregende Geschichte!

Aber der Reihe nach: Vor einigen Wochen sind Kira und ich auf einer Baustelle in ein Gewitter geraten und vom Blitz getroffen worden. Und zwar genau in dem Moment, in dem wir uns beide gew?nscht hatten, jemand anderes zu sein. Tja, der Wunsch wurde uns erf?llt, denn als wir nach dem Blitzschlag wieder zu uns kamen, war nichts mehr wie vorher: Ich, Winston, steckte in Kiras M?dchenk?rper. Sie, Kira, war auf einmal der schwarze Britisch-Kurzhaar-Kater Winston. Und wir beide konnten auf einmal die Gedanken des anderen lesen! Obwohl Letzteres ziemlich praktisch war, hat uns dieser Tausch ?berhaupt nicht gepasst. Mir schon deshalb nicht, weil ich auf einmal jeden Morgen als Kira zur Schule gehen musste – das fand ich anfangs ganz schrecklich! Die fiese Leonie und ihre ?tzende M?dchenclique haben versucht, mich fertigzumachen. Vielleicht h?tten sie das sogar geschafft, wenn es Tom und Pauli nicht gegeben h?tte. Aber so konnte mir nichts passieren. Ein bisschen stolz bin ich schon darauf, dass ich die beiden f?r Kira als Freunde gewinnen konnte – die wussten schliesslich anfangs nicht, dass ich eigentlich ein Kater bin, und von selbst w?re Kira wohl nicht auf die Idee gekommen, sich mit ihnen anzufreunden. Also wurde ich gewissermassen zum M?dchenberater.

Trotz dieser spannenden Erfahrung wollte ich nicht bis in alle Ewigkeit in Kiras K?rper stecken bleiben. Im Grunde meines Herzens bin ich eben ein Vier- und kein Zweibeiner. Aber wie sollten wir den Tausch bloss r?ckg?ngig machen? Als es schon ganz aussichtslos schien, kam Tom die rettende Idee, f?r die wir nicht einmal einen Blitz brauchten … Ich mache es kurz: Die Geschichte bekam ihr Happy End – Kira war wieder ein M?dchen, ich wieder ein Kater. Unsere Gedanken k?nnen wir seitdem leider auch nicht mehr lesen. Jedenfalls nicht mehr w?rtlich. Richtig gut verstehen tun wir uns aber trotzdem noch. Und deswegen weiss Kira, dass ich mich auch riesig freuen w?rde, Tom und Pauli einmal wiederzusehen!

»Ich habe mir ?berlegt, dass ich dich zu unserem n?chsten Treffen einfach mitnehme. Das findetzuf?lligerweise heute Nachmittag in der Eisdiele statt. Und bevor wir dort aufkreuzen, k?nnten wir eigentlich noch einen Schlenker ?ber den Hinterhof machen und deine Kollegen besuchen. Oder eine bestimmte Kollegin.« Kira grinst. Nat?rlich weiss sie, wie toll ich Odette finde. Schliesslich haben wir uns oft genug dar?ber unterhalten, als wir noch unsere Gedanken lesen konnten. Odette ist die sch?nste Katze, die ich kenne. Sie hat schneeweisses, seidig schimmerndes Fell und tiefschwarze Augen, in denen ich regelrecht ertrinken k?nnte. Und obwohl sie als wilde Hofkatze lebt, ist sie eine echte Dame. Leider hat sie mich lange Zeit f?r einen aufgeblasenen, arroganten und verweichlichten Stubentiger gehalten. Was nat?rlich kompletter Bl?dsinn ist! Ich bingebildet, nichteingebildet– ein Riesenunterschied! Deswegen hat Kira mir Tipps gegeben, wie ich bei Odette punkten k?nnte. Und die waren nicht mal schlecht. So sind Odette und ich nun immerhin lose befreundet, und wenn wir uns zuf?llig im Hof begegnen, plaudern wir nett ?ber Belanglosigkeiten wie das Wetter oder die letzte Mahlzeit. F?r einen Helden – so wie in meinem Traum – h?lt mich Odette aber mit Sicherheit nicht.Noch nicht. Denn ich bin wild entschlossen, das zu?ndern!

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Ob man Tr?ume teilen kann?

Und wieso kann man sich seine Mitsch?ler nicht aussuchen?

Eine Stunde sp?ter ist Kira mit ihren Hausaufgaben fertig und wir machen uns auf den Weg zur Eisdiele. Nat?rlich nicht ohne den versprochenen Schlenker ?ber den Hinterhof. Kira hat als Gastgeschenk einen Napf mit Gefl?gelleber dabei – das ist nicht nur eine meiner Lieblingsspeisen, sondern auch Odette frisst es gern. Vor allem, wenn Anna sie so wie heute ganz frisch gekocht hat.

»Miez, miez, miez!«, ruft Kira meine Hofkollegen und steuert den Unterstand f?r die M?lltonnen an. Hier ist gewissermassen der Katzentreffpunkt. Das flache Dach des Unterstands ist n?mlich so ziemlich der einzige Ort im gesamten Hinterhof, auf den fast den ganzen Tag die Sonne scheint. Sch?n warm ist es da und meist ganz windstill. Der perfekte Platz also, um ein bisschen abzuh?ngen.

Heute allerdings ist der Platz verlassen. Weder Odette liegt dort noch ihre Freunde Karamell und Spike. Ersteres ist nat?rlich schade, Letzteres bedaure ich hingegen ?berhaupt nicht. Zwar streite ich mich nicht mehr mit ihnen, wie noch vor ein paar Wochen, als ich das erste Mal mit Kira den Hof besucht habe. Beste Kumpels sind wir aber immer noch nicht. Werden wir bestimmt auch nie werden, denn daf?r sind wir einfach zu unterschiedlich: W?hrend ich, Winston Churchill, ein wahnsinnig edler Rassekater bin und aus einer ber?hmten Britsch-Kurzhaar-Zucht stamme, ein sehr gepflegtes tiefschwarzes Fell und beste Manieren habe, sind Spike und Karamell genau genommen zwei gew?hnliche Stromer. Spike ist ziemlich fett und getigert, Karamell hat braunes, v?llig struppiges und ungepflegtes Fell. Und beide sind ungehobelte Gesellen. Es ist ein wahres Wunder, dass eine Dame wie Odette sich in ihrer Gesellschaft so wohlzuf?hlen scheint. Nat?rlich spricht es enorm f?r ihren Charakter, dass sie sich trotz ihrer zweifellos noblen Herkunft nicht zu fein f?r die beiden ist. Odette ist also nicht nur nobel, sondern auch grossherzig. Mit anderen Worten: Sie ist einfach toll. Nur eben leider gerade nicht da.

»Miez, miez, miez!«, ruft Kira noch einmal, dann stellt sie den vollen Fressnapf auf den Unterstand und schaut sich suchend im Hof um. »Na, wo sind denn deine Freunde?«

Ich springe vom Boden auf den Unterstand und recke den Hals. Dann schaue ich Kira an. Die deutet meinen Blick sofort richtig.

»Entt?uscht, oder? Du h?ttest Odette gern mal wieder gesehen, nicht wahr?« Ich maunze laut, Kira l?chelt. »Komm, wir warten noch einen Moment. Wenn sie erst mal das leckere Fressen riecht, kommt sie bestimmt. Wir haben noch ein bisschen Zeit, bis wir in der Eisdiele sein m?ssen.« Sie schwingt sich neben mich auf den Unterstand und krault mich hinter den Ohren. Miau, herrlich! Ich strecke mich ganz lang und lege den Kopf in den Nacken.

Nach einer Weile scheppert etwas im hinteren Teil des Hofs. Odette! Ich rieche sie sofort! Schnell springe ich auf und versuche, mich m?glichst vorteilhaft zu pr?sentieren. Also mache ich mich ganz gross und strecke meine Brust vor. Jetzt m?sste ich ziemlich elegant aussehen. Hoffe ich jedenfalls!

»Hallo, Winston«, begr?sst mich Odette freundlich. »F?hlst du dich nicht wohl?«

»?h, hallo, Odette! Doch, wieso?«

»Dann ist ja gut. Du hockst da so verkrampft, ich dachte, du h?ttest vielleicht Schmerzen.«

Grmpf. Ich sehe verkrampft aus? Dabei habe ich mir doch solche M?he gegeben! Entt?uscht lockere ich meine Haltung und sch?ttle mich kurz.

»Im Gegenteil. Mir geht’s blendend. Ich freue mich, dich zu sehen.«

»Ja, ich finde es auch sch?n, dass wir uns treffen. Und so ein Zufall! Stell dir vor: Ich habe letzte Nacht von dir getr?umt.«

Echt? Gibt’s ja gar nicht! Sie hat auch von mir getr?umt?

»?h, wirklich? Was denn?«, will ich von Odette wissen.

»Hm, ich erinnere mich nicht mehr so genau – aber ich glaube, du hast mich gerettet. Vor einem Ungeheuer. Oder einem b?sen Menschen. Ich war jedenfalls irgendwie in Gefahr und du hast mir geholfen. Lustig, nicht?«

Lustig ist nicht das richtige Wort. Ich finde es tats?chlich unglaublich!

»Stell dir vor, Odette, das habe ich auch …« Aber noch bevor ich ihr genauer erkl?ren kann, dass ich denselben Traum hatte, schiebt mich Kira zur Seite und nimmt Odette auf den Arm.

»Guck mal, Odette. Wir haben dir ein bisschen Futter mitgebracht. Meine Mutter hat heute frisch gekocht. Und nat?rlich wieder viel zu viel!«Menno, Kira– wir haben hier gerade Wichtigeres zu besprechen als die Verpflegung. Aber schon ist der Moment vorbei und Odette bedankt sich artig bei Kira, indem sie sanft schnurrt. Dann wendet sie sich wieder mir zu.

»Wo waren wir?«

»Bei deinem Traum!«

»Ach ja – aber ich habe ihn eigentlich schon wieder vergessen. War auch nicht so wichtig.«Mist!»Dass ihr mir etwas zu fressen mitgebracht habt, ist allerdings sehr nett! Leider habe ich gar nicht so viel Appetit. Ich habe vorhin eine ziemlich fette Maus gefangen.«

Was? Igitt! M?usejagd. Die kenne ich als Wohnungskater nat?rlich nur vom H?rensagen und ich kann nicht glauben, dass das wirklich Spass macht. Ausserdem: Wie kommt auf eine selbst gefangene Maus eigentlich die Petersilie, die eine Mahlzeit erst perfekt macht? Eben! Da lasse ich mich lieber weiter von Anna bekochen. Aber nat?rlich will ich Odette ihr Essen nicht schlechtmachen, deshalb bin ich lieber still.

»Ich sage mal Spike und Karamell Bescheid, die haben bestimmt noch Hunger.«

Och n?! Nicht die beiden! Bevor ich etwas erwidern kann, ist Odette schon von dem Unterstand gesprungen und im hinteren Teil des Hofes verschwunden. Maunz! Heute klappt auch nichts! Und ich habe wirklich keine Lust, jetzt auf Karamell und Spike zu warten. Ich h?pfe also ebenfalls auf den Boden und mache mich auf den Weg zum Hofausgang. Kira l?uft mir hinterher.

»Hey, Winston! Wo willst du so schnell hin? Odette hat doch noch gar nichts gefressen. Die kommt bestimmt bald wieder. Nun warte doch mal einen Moment!«

Kira klingt entt?uscht. Verst?ndlich, schliesslich wollte sie mir mit der Fressnapfaktion einen Gefallen tun. Ich w?nschte, ich k?nnte ihr erkl?ren, warum ich jetzt wegwill. Als wir noch vertauschte K?rper hatten, war das auch kein Problem, wir konnten uns ja in Gedanken unterhalten. Nun geht das nicht mehr.Schade, aber nicht zu ?ndern. Ein M?dchen will ich trotzdem nicht mehr sein, denn das war mir echt zu anstrengend. Zu viel Zickenalarm f?r einen Kater wie mich!

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»Na endlich, da seid ihr ja!« Tom und Pauli haben offenbar schon auf uns gewartet. Sie sitzen auf den Korbst?hlen der Terrasse vonEismarie. Das ist die erkl?rte Lieblingseisdiele aller Wilhelminen – so nennen sich die Sch?lerinnen und Sch?ler des Wilhelminen-Gymnasiums. Pauli steht auf, kommt uns entgegen und b?ckt sich dann, um mich auf den Arm zu nehmen.

»Mensch, Winston, alter Kater! Dich habe ich aber lange nicht mehr geknuddelt. Ich habe dich schon richtig vermisst.«

Schnurr, schnurr, SCHNURR! Das geht mir umgekehrt genauso. Was allerdings erstaunlich ist. H?tte man mir vor ein paar Monaten erkl?rt, dass ich mich mal freiwillig von einem Kind auf den Arm nehmen lassen w?rde – ja, dass ich mich sogar darauf freuen w?rde –, ich h?tte mich schlappgelacht. Bevor ich Kira und ihre Freunde kennenlernte, mochte ich Kinder n?mlich ?berhaupt nicht.Sie waren mir meistens zu laut und zu wild. Mittlerweile muss ich aber zugeben, dass mein Leben ohne Kinder ganz sch?n langweilig war. So … RUHIG!

»So, ihr beiden Schmusekatzen«, mischt sich Tom ein, guckt dabei vorwurfsvoll ?ber den Rand seiner grossen braunen Hornbrille und kr?uselt seine Nase mit den vielen Sommersprossen, »genug gekuschelt! Ich brauche jetzt ganz dringend ein Spaghettieis mit extra viel Raspelschokolade. Lasst uns endlich bestellen. Der heutige Schultag hat mich echt v?llig geschrottet!«

»Wieso? Was war denn so schlimm bei dir?«, erkundigt sich Kira mitf?hlend. »Ich fand’s eigentlich ganz in Ordnung.«

»Tja, wenn ich ’ne Zwei statt ’ner Vier in Mathe zur?ckbekommen h?tte, w?rde ich mich auch nicht beschweren. Aber vor allem«, Tom seufzt schwer, »killt mich die neueKlassen-Buddy-Idee von Herrn Pr?torius. Aber so was von!«

Herr Pr?torius ist der Biologielehrer der 7c und gleichzeitig ihr Klassenlehrer. Ein sehr netter Mensch – und ein grosser Katzenliebhaber, nat?rlich! Insofern wundert es mich, dass er eine Idee gehabt haben soll, die Tom so schrecklich findet. Auch wenn ich mir unter einemKlassen-Buddy rein gar nichts vorstellen kann, bin ich mir sicher, dass es eine gute Sache ist. Mit dieser Meinung stehe ich offensichtlich nicht allein da.

»Was hast du denn gegen die Idee? Ich fand sie ganz gut«, wundert sich Pauli und f?hrt sich mit den H?nden durch ihre Haare, die ziemlich wild in alle Richtungen abstehen und pechschwarz sind. Pauli sagt von sich selbst immer, sie sei ein Punker, was offenbar bedeutet, dass sie die Haare so tragen muss. Und zerrissene Jeans und T-Shirts noch dazu, gekr?nt von dick schwarz umrandeten Augen. »Wenn klar ist, wer sich um deine Arbeitsbl?tter und Hausaufgaben k?mmern soll, falls du mal krank bist, kannst du wenigstens sicher sein, dass es auch wirklich einer macht. Das war doch sonst eher Gl?ckssache und hat auch ?fter mal ?berhaupt nicht geklappt.«

»Stimmt«, gibt ihr Tom recht. »Dagegen habe ich auch nichts. Aber dass die Buddys ausgelost worden sind, das finde ich einfach doof. Ich meine, wir h?tten uns doch selbst um die Verteilung der Partner k?mmern k?nnen. Dann h?tte jeder einen Buddy bekommen, der halbwegs nett ist.«

Kira und Pauli zucken fast gleichzeitig mit den Schultern.

»Ist doch nicht so schlimm«, sagt Kira dann. »So oft kommt das schliesslich auch nicht vor. Man kann ruhig mal Arbeitsbl?tter f?r jemanden mitnehmen, den man nicht so toll findet.«

»Ach ja?« Tom schaut sehr skeptisch. »Wen hast du denn zugelost bekommen?«

Kira z?gert einen Moment, dann r?ckt sie mit der Sprache raus. »?h, ich habe Pauli gezogen.«

Tom reisst die Augen auf. »Ernsthaft?«

»Ja, echt ein Riesenzufall.«

»Wie bitte? Wir haben achtundzwanzig Sch?ler in der Klasse, es waren also vierzehn Namen in der Lostrommel, die die ?brigen vierzehn ziehen mussten – und du erwischst ausgerechnet Paulis Zettel? Das glaube ich nicht! Du hast bestimmt geschummelt.«

Kira sagt nichts, Pauli f?ngt an zu kichern.

»Na ja, ein bisschen nachgeholfen haben wir schon. Kira hatte erst Emilia, aber den Zettel hat sie schnell wieder in die Schachtel geworfen.«

Verstehe ich vollkommen. Emilia ist zusammen mit ihrer Freundin, der fiesen Leonie, das mit Abstand schrecklichste M?dchen in der 7c. Unfreundlich, arrogant – und auch nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte. Alles in allem also eine sehr unerfreuliche Mischung. Der w?rde ich auch nicht gern die Hausaufgaben vorbeibringen, wenn sie krank ist.

»Tja, beim zweiten Mal Ziehen hatte ich dann mehr Gl?ck«, best?tigt Kira. »Da hatte ich Pauli. Gut, oder?«

Tom seufzt noch einmal sehr tief.

»Wen hast du denn erwischt?«, will Pauli von ihm wissen. Tom holt tief Luft und bl?st seine Backen auf, bevor er antwortet.

»Emilia. Ich habe Emilia gezogen.«

Maunz! Als Kater bin ich nat?rlich kein Experte in Sachen Losverfahren – aber ich denke, die beiden M?dchen sollten Tom schleunigst ein sehr, SEHR grosses Spaghettieis ausgeben!

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Musik liegt in der Luft.

Und M?nner sind auch Menschen.

»Danke, Herr Professor! Wirklich vielen Dank!«

Nanu, was ist denn hier los? Kira, Pauli und ich kommen gerade in dem Moment in die Wohnung, in dem Anna Werner mit Schwung um den Hals f?llt. Das ist sonst eigentlich nicht ihre Art. Also, ich meine, normalerweise halten Werner und Anna immer ein bisschen Abstand. Nicht so, dass man denken k?nnte, dass sie sich nicht m?gen. Im Gegenteil – ich glaube, die beiden verstehen sich sogar richtig gut. Aber so wie ich meinen alten Werner kenne, wird der sch?chtern, wenn er jemanden sehr mag. Und ich glaube, er mag Anna sehr. Seitdem Anna und Kira bei uns wohnen, benimmt er sich jedenfalls anders als all die Jahre davor. Zum Beispiel achtet er mehr auf sein ?usseres. Gepflegt war Werner nat?rlich immer, aber neuerdings verbringt er verd?chtig mehr Zeit vor dem Spiegel. Dann wuschelt er sich seine braunen Locken mit den grauen Str?hnen mal in die eine, mal in die andere Richtung. Das ist allerdings v?llig sinnlos, denn bei Werners Frisur macht es gar keinen Unterschied, ob die Locken nach links oder rechts springen: Sie sieht immer ziemlich verwegen aus. Seit Kurzem scheint sich Werner ?berdies auch genau zu ?berlegen, was er anzieht. Und wenn ihm dann nicht gef?llt, was er im Spiegel sieht, zieht er sich sogar noch mal um. Das ist v?llig neu! Als Olga, Annas Schwester, noch unsere Haush?lterin war, hat er das jedenfalls nie gemacht. Ich werde das genauer beobachten!

Jetzt will ich allerdings erst einmal wissen, warum Anna mein Herrchen denn nun so begeistert umarmt hat. Anna strahlt immer noch?ber das ganze Gesicht und Werner steht ein bisschen verlegen da. Ich trabe n?her an die beiden heran und spitze die ?hrchen.

»Gern geschehen, Anna. Es w?re doch viel zu schade, wenn dieser sch?ne Fl?gel zu einem reinen M?belst?ck verk?me. Also, wenn Sie ab und zu darauf spielen w?rden, w?rde ich mich sehr dar?ber freuen.«

Ach so. Es geht um dieses komische Klavierdings, das neuerdings unser Wohnzimmer blockiert. DerFl?gel. Komischer Name f?r ein Klavier, oder? Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Werners Mutter Erika von einem grossen Haus in eine kleine Wohnung gezogen und konnte das Unget?m nicht mitnehmen. Da Werner von seinen Geschwistern mit Abstand die gr?sste Wohnung hat, haben wir das Riesenteil geerbt. Offenbar ist es wertvoll und sollte daher nicht, wie die anderen M?bel, auf den Sperrm?ll. Tja. Und so verstellt es jetzt unser sch?nes Wohnzimmer. Und das, obwohl es ganz offenbar ein Instrument ist und Werner v?llig unmusikalisch.

Kira r?uspert sich. »Hallo, Mama, hallo, Herr Hagedorn! Ich habe Pauli mitgebracht – ich hoffe, das ist in Ordnung! Die letzte Stunde ist ausgefallen, Pauli hat ihren Schl?ssel vergessen und ihre Mutter ist noch nicht zu Hause.«

»Kein Problem«, brummt Werner und Anna nickt zustimmend.

»Ich habe sowieso mal wieder zu viel gekocht«, sagt sie und lacht. »Da k?nnen wir jede Unterst?tzung beim Essen gebrauchen.«

»Super, danke!«

Wir pilgern weiter in Richtung Kiras Zimmer. Als Kira und Anna bei uns eingezogen sind, haben sie sich zun?chst das G?stezimmer geteilt. Aber als dann klar wurde, dass die beiden bleiben w?rden, hat Werner sein grosses Arbeitszimmer ger?umt und seinen Schreibtisch in das kleine Zimmer neben der K?che gestellt. Das war bis dahin eine Rumpelkammer mit Fenster, aber nun, aufger?umt und frisch gestrichen, sieht es gar nicht mal so schlecht aus. Kira wohnt im alten G?stezimmer und Anna im ehemaligen Arbeitszimmer und Werner hat es jetzt deutlich k?rzer zum K?hlschrank, wenn er f?r das Nachdenken ?ber irgendein wahnsinnig kompliziertes physikalisches Problem dringend einen Joghurt oder ein Wurstbr?tchen braucht. Nur f?r mich hat sich nichts ge?ndert: Mein K?rbchen steht immer noch in dem langen Flur, schr?g gegen?ber der Wohnungst?r.

Erstaunlicherweise hat Werner sein Zimmer nicht einmal schweren Herzens aufgegeben. Im Gegenteil:»Die Bude hier war f?r einen sowieso viel zu gross. Jetzt passt es!«, stellte er zufrieden fest, nachdem alle M?bel umger?umt waren. Wer h?tte gedacht, dass Werner auf seine alten Tage noch mal eine Familie bekommen w?rde!

In Kiras Zimmer angekommen, lassen sich die M?dchen auf das Bett fallen. Ich warte einen kurzen Augenblick, dann h?pfe ich hinterher und lege mich daneben.

»Sag mal, sind deine Mutter und Professor Hagedorn jetzt irgendwie zusammen?«, erkundigt sich Pauli bei Kira.

»Nee! Wie kommst du denn auf die Idee?«, wundert die sich.

»Na ja, das sah ja eben sehr kuschelig aus. Eben nach zwei Leuten, die sich echt m?gen.«

»Klar m?gen die sich. Aber zusammen sind sie deswegen nicht. Mama mag den Professor als Mensch. Nicht als Mann.«

Heilige?lsardine! Das ist wieder so ein typischer Menschensprech! Mann oder Mensch – wo ist denn da der Unterschied? M?nner sind doch auch Menschen, oder etwa nicht? Auch Pauli scheint diese Unterscheidung seltsam zu finden. Jedenfalls legt sie die Stirn in Falten und sagt »Aha«.

Kira seufzt.»Also, Pauli, es ist so: Nach der Pleite mit ihrem Exfreund Vadim hat meine Mutter von M?nnern die Nase voll. Ich glaube, sie ist echt froh, wieder Single zu sein.«

Man kann Werner und Vadim zwar?berhaupt nicht miteinander vergleichen, weil Ersterer ein sehr netter, f?rsorglicher Professor und Letzterer ein unsympathischer, gef?hrlicher Verbrecher ist – aber mal abgesehen davon finde ich diese Nachricht gar nicht schlecht. Schliesslich ist uns Annas Schwester Olga abhandengekommen, weil sie sich in einen gewissen Dieter verliebt hat und mit ihm an einen fernen Ort namens K?ln gezogen ist. Nur deswegen hat Werner Anna als Haush?lterin eingestellt. Wenn sich nun aber auch Anna wieder in einen Mann verlieben w?rde und wir deswegen auf einmal ohne sie dast?nden, w?re das schlecht. Zum einen, weil es keine weiteren Schwestern von Anna und Olga gibt. Zum anderen, weil dann auch Kira wegziehen w?rde, und das w?re wirklich schlimm. Schliesslich sind wir mittlerweile beste Freunde. Also ist es gut, dass Anna von M?nnern nichts mehr wissen will. Etwas anderes w?re es nur, wenn sie sich in Werner verlieben w?rde. Dann m?sste sie nicht wegziehen. Aber wenn Kira mit ihrer M?nnerthese recht hat, dann bleibt hier auch so alles beim Alten. Sehr sch?n. Ich f?r meinen Teil bin n?mlich kein Freund von grossen Ver?nderungen.

Pauli kichert.»Also alle M?nner sind Schweine?«

H?? Schweine? Mit vier Beinen und einem R?ssel? Wie kommt sie denn darauf? Dass Menschen Ziegen sein k?nnen, weiss ich ja mittlerweile, aber M?nner Schweine? Das ist doch bestimmt nicht nett gemeint! Wieso m?ssen eigentlich immer wir Tiere daf?r herhalten, wenn es um die unangenehmen Eigenschaften von Menschen geht? Das ist wirklich eine Frechheit!

Kira sch?ttelt den Kopf. »Nee, so auch wieder nicht. Wie gesagt, Werner als Mensch mag sie ja gern. Gegen M?nner generell hat meine Mutter nichts. Nur gegen M?nner als M?nner.«

Ach, was ist das wieder f?r eine komplizierte Menschenlogik. So ein Unsinn! M?nner sind auch Menschen, miau!

»Also meine Mutter w?re liebend gern nicht mehr Single«, erz?hlt Pauli. »Das sagt sie zwar nicht so offen, aber ich weiss, dass es so ist. Jedes Mal wenn ein halbwegs gut aussehender Typ auftaucht, gibt sie sich mit ihren Klamotten richtig M?he und schminkt sich auch und so. Ausserdem hat siesich bei so einer Kontaktb?rse im Internet angemeldet, wo man andere Singles kennenlernen kann.« Pauli kichert. »Das ist aber streng geheim. Sie hat es nicht mal mir erz?hlt, aber ich habe es gesehen, weil sie ihren Rechner neulich angelassen hat.«

Kontaktb?rse im Internet? Was das wohl ist? Ich dachte bisher immer, das Internet sei ein Ort in dem kleinen Fernseher, der sich Computer nennt. Kira hat es mir mal gezeigt, als sie an Annas Schreibtisch ihre Hausaufgaben gemacht hat. Da hat sie im Internet nach irgendwelchen L?sungen f?r Mathe gesucht.Das Internet schien mir eine Art Lexikon zu sein. Also kein Ort, an den man wirklich gehen kann. Wie soll man da jemanden kennenlernen?

»Echt?« Jetzt kichert auch Kira. »Deine Mutter ist auf der Suche nach einem Typen?«

Pauli nickt.»Ja, ich glaube, sie will sich endlich mal wieder richtig verlieben.«

Interessant! Das menschliche Konzept von Liebe ist mir nach wie vor schleierhaft. Wenn man mit jemandem zusammen sein will, ist es offenbar wichtig, verliebt zu sein. Sonst k?nnten ja auch Werner und Anna einfach zusammen sein. Wir wohnen alle in einer Wohnung, verstehen tun wir uns auch – wieso reicht das nicht? Und wieso kann man im Computer jemanden kennenlernen, in den man sich verliebt? Ohne dass man ihn ?berhaupt schon mal gesehen hat? Verstehe ich nicht. Ehrlich: Ich bin sehr froh, dass mein Werner mit diesem ganzen Liebeszeugs nichts am Hut hat. Liebe scheint etwas sehr Kompliziertes zu sein, das wir hier absolut nicht brauchen. Wir leben einfach weiter friedlich zusammen in der Hochallee – miau!

»Vor allem, seit mein Vater wieder geheiratet hat, ist das Thema f?r meine Mutter wichtig«, erz?hlt Pauli weiter. »Das hat sie richtig ge?rgert und wahrscheinlich beneidet sie ihn deswegen.«

»Hm.« Mehr sagt Kira dazu nicht.

Pauli betrachtet sie nachdenklich.»Was ist eigentlich mit deinem Vater? Lebt der auch in Hamburg?«

Kira richtet sich vom Bett auf und zuckt mit den Schultern.»Keine Ahnung. Ich glaube aber nicht. Mama spricht nie ?ber ihn. Er hat uns verlassen, als ich noch ganz klein war. Ich kann mich kaum an ihn erinnern.«

»Vermisst du ihn?«, fragt Pauli neugierig nach.

Kira sch?ttelt den Kopf. »Nee. Ich sag ja: Ich weiss kaum noch etwas von ihm. Ein bisschen so, wie wenn man morgens versucht, sich an einen Traum zu erinnern. Man weiss, dass da etwas war, aber man weiss nicht mehr genau, was.«

»Na ja, ist ja auch nicht so wichtig. Manchmal denke ich, es w?re sowieso einfacher, wenn man von vornherein nur ein Elternteil h?tte. Einer allein kann sich schliesslich nicht mit sich streiten. Es w?re also immer friedlich. Ein echter Vorteil!«

»Ja.« Mehr sagt Kira dazu nicht und ich habe das Gef?hl, dass sie einfach nicht mehr ?ber das Thema reden will. Woran das wohl liegt? Sonst ist sie doch nicht so schweigsam. Ich bin nun richtig neugierig geworden und versuche mir vorzustellen, wie Kiras Vater wohl aussehen k?nnte. Kira sieht eigentlich ihrer Mutter ziemlich ?hnlich: Sie ist schmal und blond, mit blauen Augen. Die hatte sie lustigerweise auch behalten, als sie in meinem K?rper steckte, ich wiederum hatte als M?dchen immer noch meine gr?nen Winston-Augen. Wir mussten h?llisch aufpassen, damit Anna das nicht merkte. Sie h?tte sonst gleich gewusst, dass etwas mit uns nicht stimmt. Ich bin deshalb h?ufiger mit einer Sonnenbrille am Fr?hst?ckstisch aufgekreuzt. Aber das nur am Rande … also, was k?nnte Kira von ihrem Vater haben? Vielleicht die Art, wie sie manchmal den Kopf schief legt? Das macht Anna nie. Oder die leichten Wellen in Kiras langen Haaren? Schliesslich sind die von Anna ganz glatt.

»Nun lass uns mal mit den Hausaufgaben anfangen«, wechselt Kira schliesslich das Thema. »In Englisch m?ssen wir uns richtig reinh?ngen, da schreiben wir n?chste Woche eine Arbeit.«

Pauli nickt.»Ja, du hast recht. Meine letzte Arbeit war nicht so glanzvoll. Fast so schlecht wie die von Emilia und die hat nun wirklich ?berhaupt keinen Plan.« Sie kichert. »Das wird noch lustig f?r Tom, wenn er jetzt f?r ihre Hausaufgaben zust?ndig ist.«

»Na ja, ich hab schon irgendwie ein schlechtes Gewissen«, r?umt Kira ein. »So richtig korrekt ist die Verlosung ja nicht abgelaufen. Ich hoffe, Tom ist nicht allzu sauer auf uns.«

Pauli zuckt mit den Schultern.»Er wird’s ?berleben.«

»Trotzdem – ich habe mich heute schon ein bisschen schlecht gef?hlt, als wir es ihm gebeichtet haben.«

»Na gut, als Busse k?nnen wir ihn begleiten, wenn er seinen ersten Einsatz hat. Ich hoffe, es wird nicht so bald sein.«

Kira lacht.»Nee, bestimmt nicht. Emilia ist doch eigentlich nie krank – du weisst schon: Unkraut vergeht nicht.«

Die n?chste Stunde verbringen die M?dchen damit, sich gegenseitig Englischvokabeln abzufragen. Laaaangweilig! Das einzig Spannende daran ist, dass ich einen Teil der Vokabeln kenne, weil ich seit meiner Zeit in Kiras K?rper auch ein bisschen Englisch kann. Als Mensch konnte ich n?mlich auf einmal solchen Schulkram wie Lesen, Schreiben und Rechnen und – jetzt kommt’s: Diese F?higkeiten habe ich auch nach dem R?cktausch nicht verloren. Somit d?rfte ich die einzige Katze auf der Welt sein, die lesen kann. Leider weiss keiner diese Sensation zu w?rdigen, denn meine Mitkatzen interessieren sich nicht daf?r und den Menschen kann ich es schliesslich nicht erz?hlen. Nicht einmal Kira, denn mit dem Gedankenlesen ist es ja vorbei. Maunz! Es ist grausam, ein verkanntes Genie zu sein!

Ich schleiche mich davon und lege mich auf die Fensterbank. Hier kann ich die letzten Sonnenstrahlen des warmen Sommernachmittags geniessen. Das Fenster ist gekippt, von draussen str?mt warme Luft herein. Herrlich! Wer will schon ein Mensch sein, wenn er ein Kater sein kann?

Kurz bevor mir endg?ltig die Augen zufallen, holt mich ein lautes Scheppern wieder in die raue Wirklichkeit zur?ck. Nanu? Was ist denn da los? Kaum hat das Scheppern aufgeh?rt, beginnt ein unglaublich wehleidiges Maunzen und Fauchen. Das klingt ja grauenhaft! ?ngstlich werfe ich einen Blick durch das Fenster in den Hof. Ich kann nichts erkennen, aber das j?mmerliche Fauchen und Miauen wird immer lauter. Grundg?tiges Katzenklo! Da muss etwas Furchtbares passiert sein! Hoffentlich ist Odette nicht in Schwierigkeiten!

Ich presse mein Ohr an den unteren Fensterspalt, um noch besser h?ren zu k?nnen, und tats?chlich: Das ist Odettes Stimme. Sofort stehen meine Nackenhaare senkrecht und mir l?uft ein kalter Schauer den R?cken bis zur Schwanzspitze hinunter. Zwar kann ich nicht verstehen, was sie sagt, aber der Klang ihrer Stimme verr?t, dass sie grosse Angst hat. Der Fall ist klar: Ich muss ihr helfen! Und daf?r muss ich runter in den Hof – und zwar SOFORT!

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Wie ich das Richtige tue und trotzdem in einer M?lltonne lande.

Mit einem Satz hechte ich von der Fensterbank in Richtung Wohnzimmert?r. Dann schnell auf den Flur und wieder zu Kira und Pauli ins Zimmer. Laut fauchend werfe ich mich an Kiras Beine:M?dels, macht mir die T?r auf! Und zwar flott!

Aber nicht nur, dass Kira meine Gedanken nicht mehr lesen kann, sie ist offenbar gerade auch v?llig unempf?nglich f?r meine hochintelligente Zeichensprache. Anstatt n?mlich mit mir zur Wohnungst?r zu laufen und diese f?r mich zu ?ffnen, b?ckt sie sich und nimmt mich auf den Arm. »Winston, wie kann es denn sein, dass du schon wieder Hunger hast? Ausserdem sollst du nicht betteln.«

Maunzmiaumiaumioooo! Ich habe keinen Hunger! Und ich bettle NICHT! Das musst du doch wissen, Kira! Ich brauche Hilfe, und zwar SOFORT! Ein neuer Anlauf meinerseits– diesmal versuche ich, mich zappelnd aus Kiras Umarmung zu winden, um sie dann aus ihrem Zimmer zu schieben. Was nat?rlich eigentlich aussichtslos ist, aber irgendwie muss ich ihr begreiflich machen, was ich von ihr erwarte.

Es ist vergeblich: Kira kichert und h?lt mich noch ein bisschen fester.

Pauli betrachtet mich neugierig.»Also, wenn er ein Hund w?re, w?rde ich denken, er will mal raus.«

Erstens: Was f?r eine Mega-Unversch?mtheit. Ich bin doch kein Hund! Zweitens: V?llig richtig!Los, Kira, h?r auf deine Freundin und lass mich raus!

Kira zuckt mit den Schultern und macht Anstalten, mich wieder runterzulassen.»Wenn du meinst …«

Meine Pfoten haben noch nicht ganz den Boden ber?hrt, da sause ich schon los und bleibe erst wieder stehen, als ich die Wohnungst?r erreicht habe. Kira und Pauli kommen hinter mir hergelaufen, diesmal scheinen sie meinen Wink tats?chlich verstanden zu haben. Endlich! Kaum hat Kira die T?r ge?ffnet, bin ich im Hausflur und renne die Treppe hinunter. Im Erdgeschoss habe ich Gl?ck: Die Haust?r steht sperrangelweit auf, weil Klaus-Dieter, der b?rtige Zahnarzt aus dem dritten Stock, gerade sehr umst?ndlich seine Wocheneink?ufe vor der T?r abstellt und dann sein Fahrrad in den Flur hievt. Schwupps! bin ich draussen und biege sofort Richtung Innenhof ab.

Dort angekommen, suche ich gleich nach Odette. Aber ich sehe sie nicht und h?ren kann ich sie auch nicht mehr. Ratlos setze ich mich in die Hofmitte und schaue mich noch einmal um. Nichts.

Oder etwa doch? Kommt da nicht ein leises Wimmern aus dem Unterstand f?r die M?lltonnen? Ich laufe hin?ber und horche noch einmal genau hin. Tats?chlich!

»Odette!«, rufe ich. »Bist du das?«

Aus dem Unterstand dringt ein Rumpeln, dann kriecht Odette zwischen zwei M?lltonnen hervor. Sie sieht furchtbar aus: Ihr weisses Fell ist verklebt und dreckig, ausserdem riecht sie so streng, dass es mir fast den Atem verschl?gt. »Odette! Heilige ?lsardine! Was ist passiert?«

Odette setzt sich neben mich, sie ist offenbar v?llig ersch?pft. »Winston – dich schickt der Himmel!«

Na, das ist ja mal eine Begr?ssung nach meinem Geschmack. Ich werfe mich in Positur. Wennschon Held, dann richtig!

»Wie kann ich dir helfen?«, erkundige ich mich mit m?glichst markiger Stimme.

»Karamell ist in einen der Container gefallen und hat sich eingeklemmt. Ich habe schon versucht, ihn zu befreien, aber ich komme einfach nicht an ihn ran. Er steckt ganz fest zwischen der Containerwand und einer Obstkiste und bekommt kaum noch Luft. Es ist einfach schrecklich! Aber vielleicht schaffen wir es ja zu zweit!«

Ach so. Es geht um den doofen Karamell. Ich merke, wie mein Heldenmut schlagartig schwindet. Also, Odette w?rde ich nat?rlich ?berall und immerzu helfen, da w?rde mich nichts schrecken – aber Karamell? F?r den soll ich in einen dunklen, stinkenden M?llcontainer klettern? Maunz, so hatte ich mir das nicht vorgestellt!

»Hm, wo steckt denn Spike?«, versuche ich, Odette auf das Naheliegende zu bringen. Soll der seinem Kumpel doch helfen!

»Keine Ahnung. Nicht da. Vielleicht mit seinem Frauchen beim Tierarzt.«

»Ach so. Na, der kommt bestimmt bald wieder. Also, ich … ?h …« Ich z?gere, weil ich ?berlege, wie ich Odette klarmachen kann, dass ich keine Lust habe, mich f?r Karamell in die M?lltonne zu st?rzen.

»Sag mal, das heisst doch jetzt nicht etwa, dass ich auf Spike warten soll? Weil du uns nicht helfen willst?« Odette klingt unheimlich entt?uscht.

»?h … nein … ich dachte nur … ?h …«

»Winston, Karamell braucht JETZT Hilfe, nicht irgendwann. Und Spike w?re sowieso zu dick – der passt da gar nicht rein! Los, lass uns gemeinsam in den Container springen und versuchen, die Obstkiste irgendwie von Karamell wegzur?cken.«

Ich gucke zwischen Odette und dem Container hin und her, immer noch unentschlossen.

»WINSTON!« Odette schnaubt emp?rt. »Hier ist ein Kollege in Not! H?r doch mal hin – Karamell schnauft schon richtig j?mmerlich! Ich weiss, ihr versteht euch nicht besonders. Aber wenn ein anderer in Schwierigkeiten steckt, muss man ihm helfen. Nicht, weil man ihn mag. Sondern, weil es einfach das Richtige ist! Verstanden?«

Ich seufze. Vorsichtshalber nur innerlich, denn ich will nicht noch mehr?rger mit Odette. Okay, also ab in die M?lltonne! Ich habe den ersten Schritt Richtung Container gemacht, da kommt mir eine bessere Idee.

»Pass auf, Odette, jetzt hab ich’s! Kira und ihre Freundin Pauli sind in der Wohnung. Die haben mich gerade rausgelassen, weil ich so ein Theater veranstaltet habe, als ich dich geh?rt habe. Wahrscheinlich fragen sie sich sowieso, wo ich so dringend hinwollte. Ich sprinte also rasch nach oben und lotse die beiden hier herunter. F?r die ist es doch nur ein Griff, dann haben sie Karamell befreit. Er m?sste bloss ein bisschen L?rm machen, wenn die beiden vor dem Unterstand stehen, okay? Also, du erkl?rst ihm das, ich hole die Damen.«

Odette guckt erst skeptisch, aber dann steht sie auf.»Gut, vielleicht hast du wirklich recht und wir brauchen menschliche Hilfe. Ich klettere zu Karamell und erkl?r’s ihm. Dann bleibe ich auch gleich bei ihm, ich glaube, er braucht jetzt eine freundliche Seele an seiner Seite.«

»Genau. Mach das. Ich bin unterwegs!«

Schnell laufe ich zum Hofausgang, um wieder ins Haus zu gelangen. Hoffentlich k?mpft Klaus-Dieter im Eingang noch mit seinem Fahrrad!

Nein– er tut es leider nicht. Die Haust?r ist zu, nur die Einkaufst?ten vom Zahnarzt stehen noch davor. Von Kira und Pauli ist weit und breit nichts zu sehen. Mist! Wie komme ich denn jetzt wieder ins Haus? Ich beschliesse, mich erst mal auf die Fussmatte zu legen. Bestimmt dauert es nicht lang undKlaus-Dieter taucht wieder auf, um seine T?ten zu holen. Gut, Karamell ist wirklich in einer misslichen Lage, aber so viel Zeit muss nun einfach sein.

Es dauert ungef?hr zwei Sekunden, dann erkenne ich, dass so viel Zeit definitiv nicht mehr ist. Ich erkenne es an einem riesigen Auto, das in diesem Moment in die Hofeinfahrt unseres Nachbarhauses f?hrt. Das ist doch das … M?LLAUTO!!! Oh nein! Und wenn die M?llabfuhr beim Nachbarhaus fertig ist, dann f?hrtsie bestimmt in unseren Innenhof und leert dort die Container! Mitsamt dem armen Karamell und … ODETTE!

Der Schreck f?hrt mir so heftig in die Glieder, dass ich sofort aufspringe und um ein Haar mit den gesammelten Eink?ufen von Klaus-Dieter die Eingangsstufen hinunterpurzele. Ich rase weiter Richtung Innenhof, zum Unterstand und dann: springe ich tats?chlich in den M?llcontainer. Sofort umgibt mich ein ekelerregender Gestank – aber wenigstens lande ich weich auf einer Art Kissen.

»Aua!« Gut, kein Kissen, sondern Odette. »Was machst du denn da? Und wo bleibt Kira? Ich glaube, Karamell ist schon ohnm?chtig geworden.«

»Odette, wir haben keine Zeit mehr! Gleich kommt die M?llabfuhr und kippt diesen Container mit allem, was drin ist, in das M?llauto. Ich habe es schon oft genug von meinem Fenster aus beobachtet – glaub mir, da wollen wir nicht rein!«

»Aber was machen wir mit Karamell? Er h?ngt immer noch kopf?ber neben der Obstkiste und ich kriege ihn nicht da raus!«

»Warte, ich schau mal.« Ich zw?nge mich an Odette vorbei und tauche tiefer in den Container. Irgendwo unter mir h?re ich Karamell st?hnen. Es ist stockdunkel hier drin, aber als ich genauer hinsehe, meine ich, die Umrisse von Karamells Hinterteil zu erkennen. Er ist tats?chlich eingeklemmt zwischen einer Kiste und der Containerwand, garniert mit etwas, das wie ein alter Salat oder ein welker Blumenstrauss aussieht. Und auch so stinkt. Igitt!

Ich robbe zu ihm vor und r?ttle ihn. Keine Reaktion. Heilige ?lsardine! Das gibt’s doch gar nicht!Wach auf! Wieder R?tteln, wieder nichts. Ich stemme mich gegen die Kiste, aber sie bewegt sich keinen Millimeter.Mist, Mist, Mist!

»Und? Kriegst du ihn raus?«, ruft Odette schr?g ?ber mir.

»Nee, keine Chance! Wie ist er da ?berhaupt reingeraten? Ich meine, wer kommt auf die bekloppte Idee, kopf?ber in eine M?lltonne zu springen?«

»Er wollte an ein Mettbr?tchen, das irgendjemand in den Container geworfen hatte. Es roch so lecker.«

»Es roch so lecker? Ich wundere mich, wie er das bei dem ganzen Gestank hier?berhaupt erschnuppert hat. Aber egal, wir m?ssen uns jetzt dringend etwas einfallen lassen, bevor …«

In diesem Moment gibt es einen gewaltigen Rums und die Tonne bewegt sich. Odette und ich werden mitsamt dem unappetitlichen Inhalt durcheinandergesch?ttelt.

»Odette, das sind die M?llm?nner! Spring sofort hier raus!«

»Aber was wird mit Karamell?«

»Um den k?mmere ich mich. Raus mit dir!«

Sie z?gert.

»Odette, du kannst mir hier nicht helfen, also behindere mich auch nicht. Raus!« Okay, das ist zwar kompletter Schwachsinn, denn woran sollte sie mich schon hindern, aber der Gedanke, dass sie auch gleich im M?llwagen landen k?nnte, ist unertr?glich f?r mich. Dann lieber den Helden mimen und zusammen mit Karamell untergehen. Odettes Hinterpfoten, die ich eben noch an meiner Seite gesp?rt habe, verschwinden.

»Hey, was machst du denn da drin?« Ich h?re eine ?berraschte M?nnerstimme. Der M?llmann. »Du hast vielleicht Nerven! Noch zwei Minuten, und du w?rst in der M?llpresse gelandet! Los, weg mit dir!«

MAUNZ! M?llpresse? Das klingt gar nicht gut! ?berhaupt nicht gut! Ich merke, wie ich panisch werde.Coolbleiben,Winston, versuche ich, mich selbst zu beruhigen,du musst das Richtige tun! Ich nehme noch einmal Anlauf, tauche wieder zu Karamell und r?ttle an der Obstkiste, so fest ich kann. Keine Chance! So wird es nichts werden. Ich habe einfach nicht genug Kraft in meinen Vorderl?ufen. Wenn ich jetzt Arme wie ein M?llmann h?tte, ja dann …

Moment mal! Das ist es! Arme wie ein M?llmann! Ich w?hle mich aus dem M?ll heraus und klettere zum Rand der M?lltonne. Kaum sehe ich wieder Tageslicht, befinde ich mich auch schon Auge in Auge mit dem Menschen, der versucht, den Container aus dem Unterstand zu wuchten.

»Guck mal, Gerd«, ruft er, »hier ist noch eine Katze! Wahnsinn, was machen die denn alle im M?ll?« Er will nach mir greifen, aber ich ducke mich weg und fauche laut. »Hey, Miezekatze, komm da raus oder willst du als gepresstes Wollkn?uel auf der M?llkippe landen?« Er fasst hinterher, erwischt mich im Nacken, aber ich bekomme den oberen Rand der Obstkiste zu fassen und kralle mich dort fest. Ha! So leicht kriegt der mich da nicht mehr runter! Auf meine Krallen ist eindeutig Verlass, damit habe ich auf der Flucht vor Werners nichtsnutzigen kleinen Nichten und Neffen ganze Vorh?nge vonder Wand geholt!

»Nun sieh dir das an, Gerd – der Kollege hier will wohl unbedingt in die M?llpresse! Ich kriege ihn nicht aus der Tonne!«

»Hm«, ert?nt eine zweite, sehr dunkle Stimme, »vielleicht ist da noch irgendwas anderes in der Tonne. Muss doch ’nen Grund geben, dass die Katze da nicht wegwill.«

Sehr gut, der Mann! Hundert Punkte! Mit einer m?glichst auff?lligen Mischung aus Maunzen, Schnurren und Fauchen versuche ich, ihm begreiflich zu machen, dass er auf der richtigen Spur ist. Ich h?pfe wieder tiefer in den Container.Los, folgt mir! Grabt doch mal da, wo ich jetzt grabe!

Tats?chlich gucken nun zwei M?llm?nner neugierig in den Container. Ich dr?cke mich neben die Obstkiste und versuche, Karamells Schwanz nach oben zu holen, damit die beiden ihn sehen k?nnen. Zwar muss ich daf?r den ollen Salatkopf mit der Schnauze zur Seite schieben – aber egal! Das kann Super-Winston nicht davon abhalten, einen Kater in Not zu retten!

»Guck mal, Murat – da ist tats?chlich noch etwas. Eine andere Katze. Ich kann den Schwanz sehen.« Ich mache ein bisschen Platz, damit Gerd und Murat Karamell besser erkennen k?nnen. Vorsichtig dr?ckt Gerd die Obstkiste zur Seite und greift nach Karamell. »Oh, der steckt hier irgendwie fest.Zieh mal die Kiste da raus.« Ein Griff, ein Ruck, dann ist die Kiste aus der Tonne. Toll, was Menschen mit ihren Armen und H?nden so alles machen k?nnen! Das hat mir auch gut gefallen, als Kira und ich die K?rper getauscht hatten. Ich schnurre laut und vernehmlich.

»Donnerwetter, ich glaube, der schwarze Kollege hier wollte den anderen retten.« Murat kratzt sich am Hinterkopf. »Wie mutig von ihm! H?tte ja auch schiefgehen k?nnen. Da siehst du mal, was es unter Tieren f?r enge Freundschaften gibt.«

Gerd nickt and?chtig. »Ja, wirklich toll.« Dann streichelt er mir ?ber den Kopf. »Da haste deinem Freund aber echt geholfen. Den musste ja wirklich m?gen!«

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Manchmal findet man auf dem Weg ins Badezimmer einen Freund.

Okay, vielleicht h?tte ich mich nach meiner M?lltonnen-Rettungsaktion nicht gleich auf die weissen Sofakissen schmeissen sollen – aber ich bin so ersch?pft, dass ich dringend ein Nickerchen brauche. Ausserdem kann man die Kissenbez?ge bestimmt waschen, dann sehen sie wieder aus wie neu und stinken auch nicht mehr so nach M?lltonne. Alles in allem gibt es meiner Meinung nach jedenfalls keinen Grund, sich so anzustellen, wie es Anna gerade tut. Sie steht vor dem Sofa, fuchtelt mit ihrem Zeigefinger vor meiner Nase herum und schimpft, als h?tte ich mein Katzenklo durch die ganze Wohnung verteilt.

»Also wirklich, Winston! Wie siehst du aus? Und was f?llt dir ein, dich so im Dreck zu suhlen und dann auf das sch?ne Sofa zu springen! Wie soll ich die Flecken da wieder rausbekommen?« Sie beugt sich ?ber mich. »IGITT! Und wie du stinkst! Als ob du dich durch die M?lltonne gew?hlt h?ttest! Unm?glich ist das, einfach unm?glich!«

Na gut, dann lege ich mich eben woandershin. Auf euer doofes Sofa bin ich gar nicht angewiesen! Ich will gerade springen, da packt mich Anna mit festem Griff und h?lt mich am Nacken fest.AUA! Nicht so grob!

»Hiergeblieben, mein Gutster! Wenn du denkst, dass du hier noch die restliche Wohnung verw?sten kannst, hast du dich geirrt. Du wirst jetzt erst einmal gebadet! Also ab in die Wanne.«

MAUNZ! Gebadet? Das ist doch wohl nicht Annas Ernst! Werner badet mich nie und das ist auch gut so. Ich hasse Wasser! Mein Fell saugt sich voll damit und das f?hlt sich ganz furchtbar an. Ein einziges Mal habe ich bisher Bekanntschaft mit der Badewanne gemacht und das war f?rchterlich. Werners Mutter hatte mich dort reingesteckt, nachdem ich als K?tzchen n?here Bekanntschaft mit einem K?bel Blumenerde gemacht hatte und in etwa so aussah wie ein Wiener Schnitzel. Also, nicht etwa platt, sondern paniert. Jedenfalls f?hlte ich mich in der Badewanne hilflos und ausgeliefert und anschliessend stank ich entsetzlich nach dem Rosenduschgel von Frau Hagedorn. Alles in allem also keine Erfahrung, die ich wiederholen m?chte, und deswegen beginne ich, nach Leibeskr?ften zu zappeln.

»Winston Churchill, halt gef?lligst still!«

Auweia– wenn mich Anna bei meinem vollen Namen nennt, ist die Lage ernst. Sehr ernst sogar. Augenblicklich h?re ich auf, mich zu wehren, und gehorche damit einer alten Katzenweisheit: Leg dich nie mit der Person an, die f?r dein Futter zust?ndig ist!

Gottergeben und mit h?ngendem Kopf lasse ich mich in Richtung Badezimmer tragen, als es an der T?r klingelt.

»Nanu? Wer ist denn das?« Anna setzt mich ab und ?ffnet die Wohnungst?r. Neugierig sp?he ich durch ihre Beine hindurch. Vor der T?r stehen Gerd und Murat! Und sie tragen Karamell auf dem Arm, der immer noch etwas benommen zu sein scheint.

»?h, ja, also, guten Tag«, sagt Gerd und klingt dabei ein bisschen unsicher. »K?ster mein Name und das ist mein Kollege Ciftci. Wir haben eben in Ihrem Innenhof eine kranke Katze im M?llcontainer gefunden. Sie scheint da reingefallen zu sein und konnte sich nicht selbst befreien. Jetzt suchenwir den Besitzer. Ihre Nachbarin im Hochparterre sagte uns, dass Sie hier eine Katze haben.«

Anna?ffnet die T?r weiter und betrachtet Karamell, der noch ganz schlapp in Murats Armen liegt.

»Oje, der sieht ja ganz j?mmerlich aus! Aber unsere Katze ist das nicht, die ist n?mlich …«

Bevor sie den Satz zu Ende bringen kann, streckt Gerd den Kopf durch die T?r und zeigt auf mich.

»Da! Der Kollege hat die andere Katze gerettet! Ich bin mir ganz sicher: der isses!«

Anna guckt verwirrt, ich versuche, mich hinter ihren Beinen zu verstecken. Zwecklos, daf?r sind Annas Beine eindeutig zu schlank.

»Ja«, erkl?rt Murat, »das war n?mlich so: Wir wollten gerade den Container auf die Kippvorrichtung laden, da sprang uns diese schwarze Katze entgegen. Sie kam aber nicht ganz aus dem Container raus und liess sich auch nicht wegscheuchen. Festgekrallt hatte sie sich – da war nichts zu machen.Und dann haben wir gesehen, dass sie sich direkt neben die andere Katze gehockt hatte. Die h?tten wir sonst glatt ?bersehen, so tief steckte die im M?ll.« Gerd nickt.

»Als wir die braune Katze ausgebuddelt hatten, ist die schwarze – zack! – aus dem Container raus und weg war sie.«

Das stimmt. Nach Karamells Rettung gab es f?r mich auch keinen Grund mehr, l?nger vor Ort auszuharren. Ich meine: H?tte ich Karamell noch das Pf?tchen halten sollen? Also habe ich mich lieber schnell vom Acker gemacht, bevor etwa jemand auf die Idee gekommen w?re, mich gemeinsam mit Karamell zum Tierarzt oder – noch schlimmer! – ins Tierheim zu verfrachten.

Der Katzengott war mir hold– Klaus-Dieter klaubte n?mlich genau in diesem Moment seine Eink?ufe von den Eingangsstufen und hatte die Haust?r ge?ffnet, ausserdem hatten Kira und Pauli unsere Wohnungst?r noch einen Spalt f?r mich offen gelassen. Und schwupps war ich in unserer sch?nen, sicheren Wohnung und auf dem noch sch?neren, sichereren Sofa. Bis Anna auf die Idee kam, mich zu baden.Maunz. Der Rest ist bekannt: Nun sitze ich hier mit zwei M?llm?nnern in unserem Wohnungsflur und Anna starrt mich an, als h?tte ich mindestens zwei K?pfe.

»Du hast eine andere Katze gerettet?«, fragt sie mich v?llig ungl?ubig und ich bin mir nicht sicher, ob mir dieser Tonfall gef?llt.Ja, warum denn nicht?, w?rde ich erwidern, wenn ich noch sprechen k?nnte. Kann ich aber nicht und deshalb beschr?nke ich mich auf ein m?glichst w?rdevollesMiau.

»Tjaaaa«, seufzt Gerd lang gezogen. »Was machen wir denn nun mit der braunen Katze? Wenn Sie Ihnen nicht geh?rt, ist es vielleicht am besten, sie ins Tierheim zu bringen.«

FAUCH! Allein bei dem WortTierheim stellen sich mir schon s?mtliche Haare vom Nacken bis zur Schwanzspitze auf. Ich war zwar noch nie dort – aber alles, was ich dar?ber aufgeschnappt habe, klang einfach FURCHTBAR! Es ist ein riesiges Haus mit vielen Katzen. Auch solchen, die man auf den Tod nicht ausstehen kann. Man hat KEIN Sofa f?r sich allein. Man hat KEINEN Kratzbaum f?r sich allein. Ja, man hat nicht einmal einen FRESSNAPF f?r sich allein. Alles muss man teilen, es ist unglaublich laut und st?ndig kommen wildfremde Menschen, die einen in ihr wildfremdes Zuhause mitnehmen wollen. Ist das nicht unfassbar schrecklich? Das w?nsche ich meinem ?rgsten Feind nicht und Karamell ist ja nicht mal mein ?rgster Feind. Das w?re wenn schon die fiese Leonie, die aber aus naheliegenden Gr?nden gar nicht ins Tierheim kommt. Obwohl sie eine solche Ziege ist!

Karamell geh?rt jedenfalls eindeutig nicht dorthin und deshalb fauche ich immer lauter, wage mich aus der Deckung und laufe auf Murat zu, der Karamell immer noch auf dem Arm h?lt.

»Hey, Kleiner, das mit dem Tierheim scheint dir ja gar nicht zu passen!«, schlussfolgert Murat messerscharf und grinst. Ich w?sste nicht, was daran komisch ist! FAUCH!

Anna streckt die Hand aus und streicht Karamell?ber den Kopf.

»Hm, irgendwoher kenne ich dich auch. Dass du immer im Hof rumstromerst, weiss ich ja.« Sie wendet sich an Murat und Gerd. »Meine Tochter Kira bringt den Hofkatzen manchmal Futter. Ich glaube, ich habe schon mal gesehen, dass das kranke Kerlchen aus irgendeinem der umliegenden H?user gekommen ist. Ich k?nnte Kira fragen, aber die bringt gerade eine Freundin nach Hause. Was halten Sie davon: Sie lassen die Katze hier, ich fahre nachher mit ihr zum Tierarzt und dann frage ich meine Tochter, ob sie die Katze kennt. Falls nicht, k?nnte Kira in der Nachbarschaft Zettel mit einem Foto von ihmaufh?ngen. Bestimmt meldet sich jemand. Und so lange kann er hierbleiben.«

Die beiden M?llm?nner nicken. »Ja, das klingt nach einer guten Idee!«

Anna l?chelt. »Und du, Winston? Bist du damit nun auch einverstanden?«

Ich schnurre zur Best?tigung.

Murat und Gerd reissen die Augen auf. »Wahnsinn! Hat der Sie etwa verstanden?«

Anna nickt.»Nat?rlich. Winston ist ein sehr, sehr schlauer Kater. Ich bin mir sicher, der versteht jedes Wort. Wahrscheinlich«, sie kichert, »kann er sogar lesen und schreiben.«

Wenn Anna w?sste, wie recht sie damit hat!

»So, dann nehmen Sie mal.« Vorsichtig legt Murat Karamell in Annas Arme. Karamell hebt nur einmal schwach den Kopf und wimmert kl?glich. Heilige ?lsardine, hoffentlich ist ihm nicht wirklich etwas passiert. Die M?llm?nner verabschieden sich, dann schliesst Anna die T?r und geht mit Karamell auf dem Arm in Richtung Wohnzimmer.

»So, mein Lieber: Das Sofa ist sowieso dreckig, da kannst du dich ein bisschen ausruhen.« Sie legt ihn auf eines der Kissen, die gerade sehr einladend von der Sonne angeschienen werden. Eine hervorragende Idee! Viel besser als die Sache mit der Badewanne! Mit einem Satz liege ich neben Karamell. Herrlich!

»Halt, stopp! Du nicht, Winston! Wir haben schliesslich noch eine Verabredung im Badezimmer. Komm schon.« WAAAS? Bei meinen Schnurrbarthaaren – was f?r eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! DER darf auf MEINEM Sofa liegen und ich muss baden? H?tte ich das gewusst, h?tte ich ihn nicht vorm Tierheim gerettet! Ich schnappe emp?rt nach Luft und hoffe, dass Anna mir meine Entr?stung anmerkt.

Aber die schert sich?berhaupt nicht darum. Stattdessen klaubt sie mich von dem kuscheligen, warmen Kissen und klemmt mich unter den Arm, Widerstand zwecklos! Ich verfluche die Tatsache, dass ich in meiner Britisch-Kurzhaar-Gestalt so klein und wehrlos bin. Jedenfalls verglichen mit einer ?usserst entschlossenen Haush?lterin.

»Hey, Kumpel!« Nanu? Ich drehe den Kopf – ist das Karamell? Tats?chlich, er liegt immer noch zusammengekr?mmt auf dem Sofa, hat aber den Kopf gehoben. »Vielen Dank! Du hast mich gerettet. Erst vor der M?llabfuhr, dann vor dem Tierheim. Sch?tze mal, du bist ein echter Freund.« Dann l?sst er den Kopf wieder sinken und schliesst die Augen.

Ich weiss gar nicht recht warum, aber auf einmal breitet sich in meinem gesamten B?uchlein ein ganz warmes Gef?hl aus. Ich f?hle mich gut. Richtig gut. Heute ist ein toller Tag. Ich glaube n?mlich, ich habe einen neuen Freund! Heilige ?lsardine, was so ein Ausflug in eine M?lltonne doch alles bewirken kann. Soll mich Anna also ruhig baden. Ist mir wurscht. Nee, viel besser: Das ist es mir wert!

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Ich betrete Bretter, die die Welt bedeuten.

»Hurra, die Englischarbeit ist geschafft!« Kira kommt nach Hause und wirft jubelnd ihre Schultasche in die Ecke. Dabei verfehlt sie mich nur ganz knapp – fauchend hechte ich zur Seite. Heilige ?lsardine! Da werde ich in meiner eigenen Wohnung mit Gegenst?nden beworfen, ist es denn zu fassen?

»Oh, sorry, Winston. War nicht so gemeint. Ich bin nur einfach sooo gl?cklich! Vor Englisch hatte ich richtig Bammel, aber es war gar nicht so wild. Und deswegen bin ich jetzt echt gut drauf.« Sie b?ckt sich, nimmt mich auf den Arm und tr?gt mich zum Sofa. »Ich meine, du weisst ja selbst, wie?tzend Schule sein kann.« Sie legt sich auf ein sonniges Fleckchen und mich netterweise gleich daneben. Okay, die Sache mit der Schultasche ist vergessen!

»Aber n?chste Woche f?ngt etwas richtig Cooles an, auf das ich mich schon riesig freue!« Sie senkt die Stimme geheimnisvoll, als w?rde sie darauf warten, dass ich errate, was das wohl sein k?nnte. Aber das wird nat?rlich nicht passieren, denn obwohl ich gezwungenermassen einige Zeit in KirasK?rper und somit auch in ihrer Klasse verbracht habe, bin ich noch lange kein Experte in Sachen Schule. »Wir haben eine Projektwoche zum ThemaDarstellendes Spiel! Eine ganze Woche– total super! Und es kommt sogar einDramaturg von einem richtigen Theater und hilft uns. Das ist krass, oder?«

Aha. Das sagt mir gar nichts. Darstellendes Spiel– was mag das sein? Werner spielt gern Schach, Anna Klavier und Werners Mutter, der das Klavier vorher geh?rte, spielt gern Bridge. Mit keiner dieser T?tigkeiten haben sie sich allerdings bisher wochenlang aufgehalten, vielleicht meint Kira also etwas anderes. Immerhin macht ja auch ein Dramaturg mit, wer oder was auch immer das ist. Ich schaue Kira ratlos an, sie grinst.

»Du weisst nicht, wovon ich rede, richtig? Also, Darstellendes Spiel bedeutet Theater spielen! Und der Dramaturg ist ein Fachmann, der uns bei der Erarbeitung des Theaterst?cks hilft. Hat uns unsere Lehrerin heute so erkl?rt.«

Mensch, Kira– als ob diese Erkl?rung die Sache f?r mich klarer machen w?rde! F?r mich ist Theater lediglich eine Veranstaltung, bei der ich selbst noch nie dabei war und die ich nur daran bemerke, dass sich Werner abends in Schale schmeisst, weggeht und erst relativ sp?t wieder nach Hause kommt. Ich g?hne demonstrativ, Kira rollt mit den Augen.

»Was ist denn bloss mit meinem schlauen Winston los? Du weisst immer noch nicht, was ich meine, oder? Also – Theater spielen heisst, dass Menschen eine Geschichte spielen. Die Menschen tun dann so, als ob sie jemand anderes w?ren, und spielen etwas vor, was in Wirklichkeit ?berhaupt nicht passiert, verstanden?«

Heisst das, Theater ist so was wie Fernsehen? Werner hat mir mal erkl?rt, dass die Dinge, die dort zum Beispiel in einer Sendung namensTatort vonstattengehen, gar nicht wirklich passieren, sondern von Menschen, die man Schauspieler nennt, nur vorget?uscht werden. Na gut, Werner hat es eigentlich nicht mir erkl?rt, sondern einem seiner kleinen Neffen, auf den er aufpassen sollte. Mit dem haben wir dann Fernsehen geguckt, dort wurde jemand erschossen, der Neffe fing an zu heulen und dann hat es Werner ihm erkl?rt, dass die alle nurso tun,als ob. So hat er es genannt. Damit der Kleine endlich aufh?rt zu weinen. Und ich habe zugeh?rt und war erstaunt, auf was f?r Ideen Menschen so kommen.So tun,als ob– wozu soll das denn gut sein? Aber ich schweife ab. Kira wird also die gesamte n?chste Woche so tun, als ob. Und darauf freut sie sich. Seltsam, seltsam … aber so sind sie halt, die Menschen. Als Kater weiss man nicht immer, woran man bei ihnen ist.

»Und weisst du, was das Tollste ist?«

Ich lege den Kopf schief, r?cke ein bisschen von Kira ab und mustere sie gr?ndlich von der Seite.

»Also genau genommen gibt es gleich zwei tolle Sachen. Erstens: Das Theaterst?ck ist ein Musical – es wird also gesungen. Und zweitens: Du darfst mitkommen! Wir f?hren n?mlichDer Gestiefelte Kater auf und ich habe unsere Musiklehrerin und den Dramaturgen?berzeugt, dass eine echte Katze auf der B?hne der Knaller w?re. Der Dramaturg fand es sogarexperimentell.«

Experimentell? Soll mich das beruhigen? Ich finde zwar, das klingt eher gef?hrlich nach Tierversuch, aber Kira ist so begeistert, dass sie munter weiterplappert.

»Die Direktorin hat es auch schon abgesegnet – ausnahmsweise! Also darfst du zwischen den Kulissen herumlaufen, um der ganzen Sache die richtige Atmosph?re zu verpassen. Toll, oder?« Jetzt strahlen Kiras Augen richtig.

F?r mich sind das allerdings zwei schlechte Nachrichten auf einmal. Was ist f?r empfindliche Katerohren n?mlich schlimmer als redende Menschen? Richtig: singende Menschen. Der menschliche Musikgeschmack ist mir ein Graus. Meistens klingt das, was Menschen f?r Musik halten, f?r mich einfach nur zum Davonlaufen! Die Kombination aus »Musik« und »Du darfst mitkommen« klingt also nur schrecklich! Ich dachte immer, Katzen in der Schule seien verboten – immerhin hat Kira nach meinem ersten und letzten Ausflug in die Schule richtig ?rger bekommen. Seitdem war ich nur noch in Menschengestalt da – und ich habe es bisher wirklich nicht vermisst. Ich will da nicht wieder hin! Weil ich leider nicht jaulen kann wie ein Hund, beschr?nke ich mich auf m?glichst j?mmerliches Maunzen.

Kira hat allerdings beschlossen, dies zu ignorieren. Stattdessen krault sie mich im Nacken und fl?stert in mein Ohr: »Morgen werden schon die Rollen und Aufgaben verteilt, damit wir Montag richtig loslegen k?nnen. Bevor ich also morgen fr?h abschwirre, wecke ich dich und nehme dich mit. Frau Heinson, unsere Musiklehrerin, hat gesagt, sie will erst mal gucken und dann zusammen mit Herrn Fernandez, dem Dramaturgen, entscheiden, ob meine Idee wirklich etwas taugt. Also, wenn du dich gut anstellst, darfst du richtig mitmachen.«

Korrigiere– es sind nicht zwei, sondern drei schlechte Nachrichten: Musik. Mitmachen. Fr?h aufstehen. Uaaahhhgrrrrr! ICH! WILL!! NICHT!!!

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Herr Fernandez ist ein kleiner Mann mit einer grossen Hornbrille und einem sehr freundlichen L?cheln. Ausserdem ist er von oben bis unten schwarz angezogen, was ich spontan sehr sympathisch finde – schliesslich bin ich selbst von Kopf bis Fuss schwarz. Jetzt b?ckt er sich zu mir, bleibt vor mir knien und mustert mich genau.

»Du bist wirklich ein ganz h?bscher Kerl. Mal sehen, was wir so mit dir anfangen k?nnen.«

Ich beginne zu schnurren. Ein bisschen Reklame f?r mich kann bestimmt nicht schaden. W?hrend ich heute Morgen n?mlich noch der ungl?cklichste Kater der Welt – na gut: der ungl?cklichste Kater der Hochallee war, finde ich die Theateridee mittlerweile doch gar nicht mehr so schlecht. Immerhin ist es eine gute Gelegenheit, meine Freunde Tom und Pauli mal wieder in freier Wildbahn zu sehen.

»Hey, Tiere sind hier aber nicht erlaubt!« Ein anderer Mann steckt den Kopf durch die T?r zur Aula, kommt dann ein paar Schritte auf uns zu und deutet mit dem Zeigefinger auf mich.

Frau Heinson blickt ihn erstaunt an.»Darf ich fragen, wer Sie sind?«

»Albert Schmidt vom Hausmeisterservice. Ich vertrete in den n?chsten Wochen den Schulhausmeister. Herr L?ttge hat’s im Kreuz und ist krankgeschrieben.« Er schaut unfreundlich und zeigt wieder auf mich. »Wie gesagt, Tiere sind hier nicht erlaubt.«

Frau Heinson reicht ihm die Hand.»Heinson mein Name, ich bin die Musiklehrerin. Die Katze ist mit der Direktorin Frau Rosenblatt abgestimmt. Sie ist Teil der Inszenierung.«

Schmidt zuckt mit den Schultern.»Na gut. Hauptsache, das Viech pinkelt hier nirgendwohin. Dann schmeiss ich es raus.« Er dreht sich um und geht. Einen Moment lang liegt ein Geruch in der Luft, der mich an irgendetwas erinnert. Was f?r ein ungehobelter Kerl! Als ob ich, Winston Churchill, einfach in eine Ecke machen w?rde! Ohne mein Katzenklo! Also wirklich, Frechheit! Aber offenbar darf ich nun wirklich bleiben und das ist doch die Hauptsache.

Obwohl ich heute Morgen fast noch um diesen Ausflug herumgekommen w?re: Anna wollte mich erst nicht aus der Wohnung lassen. Sie fand, ich h?tte f?r diese Woche schon genug Freigang gehabt. Was ich nicht ganz nachvollziehen kann: Immerhin weiss sie doch jetzt, dass ich mich nicht zum Spass im M?ll gew?lzt habe. Der Tierarzt, zu dem sie Karamell noch geschleppthat, hat sogar gesagt, dass Karamell in der warmen M?lltonne irgendwann am Hitzschlag eingegangen w?re und dass die Rettung keine Minute zu fr?h kam. Ich bin also ein Held, kein Stinktier!

Zum Gl?ck konnte Kira ihre Mutter aber davon ?berzeugen, dass ich eine wichtigeRequisite f?r die Theaterwoche sei, was auch immer das sein mag. Und deswegen sitze ich nun hier, auf der B?hne der Aula.Bretter,die die Welt bedeuten, hat Frau Heinson das Podest gerade genannt. Ich verstehe nicht ganz, was sie damit meint. Quatsch: Ich verstehe?berhaupt nicht, was sie damit meint. F?r mich sehen die Bretter, aus denen die B?hne besteht, n?mlich nach v?llig normalem Holz aus. Gewissermassen bedeutungslos. Aber weil ich hier nur der Kater bin, lege ich mich einfach auf die Seite und h?re zu, was Herr Fernandez den Kindern erkl?rt.

»Ihr wart ja bestimmt alle schon mal im Theater. Also habt ihr auch einen Teil der Menschen, die man f?r ein Theaterst?ck braucht, schon gesehen. Wen n?mlich?« Er schaut in die Runde der Kinder, die sich brav vor der B?hne aufgestellt haben. Ein M?dchen hebt die Hand.

»Die Schauspieler?«

Fernandez nickt und l?chelt. »Genau. Das war einfach, oder? Es geh?ren aber noch mehr Menschen dazu, wenn ein Theaterst?ck auf die B?hne kommt. Kennt ihr noch welche?«

Wieder heben ein paar Kinder die Hand. Diesmal nickt Fernandez der doofen Leonie zu.

»Ganz entscheidend ist auch der Regisseur«, erkl?rt sie mit wichtiger Miene.

»Richtig!«, lobt der Dramaturg sie. »Weiss denn hier jeder, was ein Regisseur ist?«, erkundigt er sich dann. Ich weiss es nicht, kann es aber nat?rlich nicht sagen. Das ist allerdings auch gar nicht n?tig, denn bevor jemand von den anderen reagieren kann, plappert Leonie schon drauflos: »DerRegisseur ist der Chef im Theater. Die Schauspieler m?ssen machen, was er sagt! Er ist also eigentlich die wichtigste Person bei einem Theaterst?ck. Ein total interessanter Job. Ich k?nnte mir gut vorstellen, das sp?ter mal zu machen.«

Aha. War ja klar, dass Leonie sich mit Jobs auskennt, bei denen man andere Leute herumkommandieren kann. Das passt wie die Faust aufs Auge!

Frau Heinson mischt sich ein.»Ganz so ist es nicht, Leonie. Ein Theaterst?ck zu produzieren, ist immer Teamarbeit. Der Regisseur ist zwar tats?chlich der Spielleiter, der mit den Schauspielern das St?ck erarbeitet – aber ohne sein Team kommt er auch nicht weit. Neben den Schauspielern gibt es da noch den Techniker, der sich um das Licht oder die Musik k?mmert, die Kost?mbildnerin, den B?hnenbildner, die Souffleuse und, und, und … Den Dramaturgen habt ihr mit Herrn Fernandez ja schon kennengelernt – noch ein wichtiger Beruf am Theater.«

»Tja, und weil so viele Leute bei einem Theaterst?ck mitmachen, kann auch jeder von euch bei diesem Projekt einen Job ?bernehmen. Dann ist es auch wirklich euer eigenes St?ck«, erkl?rt der Dramaturg.

Sofort schiesst Leonies Arm wieder nach oben. »Ich will Regisseurin sein!«

»Dum?chtest, Leonie«, korrigiert Frau Heinson sie sanft.

»Okay, ichm?chte Regisseurin werden«, schiebt Leonie schnell hinterher.

Frau Heinson blickt in die Runde ihrer Sch?lerinnen und Sch?ler. »Gibt es noch andere Interessenten?«

Schweigen. Kein Wunder. Die meisten hier haben vor der fiesen Leonie ein bisschen Angst. Das weiss ich von meinem kurzen Gastspiel als Sch?ler der 7c nur zu gut. »Okay, Leonie. Dann hast du den Job.«

»Dann kommen wir mal zu den einzelnen Rollen«, f?hrt der Dramaturg fort. »Da w?re nat?rlich als Erstes der Gestiefelte Kater. Wer von euch denkt, dass er sich gut in eine Katze hineinversetzen kann? Und dabei noch gut singt? Schliesslich hat der Kater so einige Solo-St?cke zu bew?ltigen. Viel Text hat er auch. Also, wer traut sich das zu?«

Kira und Emilia melden sich gleichzeitig. Bei Kira wundert mich das?berhaupt nicht – schliesslich ist sie f?r die Rolle perfekt geeignet. Sie kann sich nicht nur in eine Katze hineinversetzen, sie war schon mal eine! Von Emilia bin ich allerdings ?berrascht. Sich in jemanden hineinversetzen, bedeutet doch wohl auch, ab und zu mal ?ber andere nachzudenken. Ich glaube nicht, dass Emilia das schon mal gemacht hat. Sie ist genau so eine Ziege wie Leonie und der Rest ihrer Clique. Ich kann ein Lied davon singen! Wenn ich nur daran denke, was f?r eine linke Nummer diese M?dchen mit mir abgezogen haben, als ich noch Kira war … Ein T-Shirt sollte ich klauen, als angeblicheMutprobe. In Wirklichkeit wollten sie aber nur, dass ich richtig?rger bekomme, und haben deshalb sogar den Kaufhausdetektiv auf mich aufmerksam gemacht. MAUNZ, bei meinen Schnurrhaaren – wer solche Schweinereien begeht, kann einfach kein edles Gesch?pf wie eine Katze darstellen!

»Noch mehr Bewerber?«, will Fernandez wissen. Nein. Niemand meldet sich mehr. Warum auch – mit Kira haben wir schon die ideale Besetzung gefunden. Wahrscheinlich haben das alle bis auf Emilia einfach gleich gemerkt. »Wenn es mehrere Bewerber f?r eine Rolle gibt, dann l?sst der Regisseur sie normalerweise vorsprechen, um dann zu entscheiden. Nun seid ihr nat?rlich keine Schauspieler, die uns schon eine Rolle darstellen k?nnten. Deshalb stelle ich euch eine Frage: Warum denkt ihr, dass ihr ein guter Gestiefelter Kater w?rt?« Er nickt Kira freundlich zu.

»Also, ich singe schon sehr lange im Chor und spiele Klavier. Ich glaube also, dass ich musikalisch bin.« Ehrlich? Kira kann auch auf diesem Klavierdings spielen? Das wusste ich nicht. An unseren Fl?gel hat sie sich noch nicht gesetzt – wor?ber ich recht froh bin. Wie ich schon erw?hnte, haben Menschen und Kater sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was sch?ne Musik ist. »Ausserdem habe ich selbst einen Kater«, f?hrt Kira fort, »ich denke deswegen, dass ich schon viel ?ber diese Figur weiss.«

Fernandez und Heinson nicken eintr?chtig. Kira scheint sie ?berzeugt zu haben.

Emilia r?uspert sich. »Ich finde, ich bin eine tolle Schauspielerin. Ich habe zwar keine Katze. Aber das ist egal – ich will ja schliesslich keine Katze werden, sondern sie nur spielen. Im Chor bin ich auch, ich bekomme ausserdem sogar privat Gesangsunterricht. Klavierunterricht selbstverst?ndlich auch. Ich glaube, es ist klar, wer hier die Bessere von uns beiden ist. Die Rolle ist einfach perfekt f?r mich.«

Frau Heinson sch?ttelt unwillk?rlich den Kopf und ich sehe, dass Tom und Pauli mit den Augen rollen. Sie scheinen dasselbe zu denken wie ich. Was f?r eine unsympathische Vorstellung. Ist doch wohl v?llig klar, wer diese Rolle verdient!

Aber zu meiner grossen ?berraschung zeigt Herr Fernandez nun auf Leonie. »Wir haben die beiden Bewerberinnen geh?rt. Nun ist es an der Regisseurin zu entscheiden. Wie im richtigen Leben.«

WAS? Das ist doch nicht sein Ernst! DIE darf das entscheiden?

Leonie grinst von einem Ohr zum anderen.»Emilia bekommt die Rolle.«

Fernandez wiegt den Kopf hin und her.»Gut. So soll es sein. Gl?ckwunsch, Emilia.«

Ich fasse es nicht. Das ist ja wohl eindeutig ein Griff ins Katzenklo! Ganz klar: Das hier sind nicht die Bretter, die die Welt bedeuten. Es sind die Bretter, die gewisse Leute vor dem Kopf spazieren tragen!

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Eis. Und Mettbr?tchen.

Und eine alte Geschichte mit vier starken Typen.

»So eine Schweinerei! So eine Frechheit!« Pauli kann sich ?berhaupt nicht mehr beruhigen. Das Theatertreffen ist vorbei, wir sitzen wieder in unserem Lieblingseiscaf? und Pauli schimpft wie ein Rohrspatz. Ich kann sie verstehen. Auch die weitere Rollenverteilung war eine Katastrophe. Kira hattesich noch um die Rolle der K?nigstochter beworben, war aber an Leonies Freundin Ruth gescheitert. Danach hatte sie keine Lust mehr, noch mal die Hand zu heben. Also gingen auch fast alle anderen gr?ssere Rollen an Leonies Clique und f?r Kira blieb nur der Chor ?brig. Der einzige Lichtblick: Ichdarf an der ganzen Geschichte teilnehmen, weil Herrn Fernandez meine elegante Art, im B?hnenhintergrund von links nach rechts zu schleichen,enorm beeindruckt hat. Zudem k?mmert sich Tom um das B?hnenbild und die Technik und Pauli wird die Kost?mbildnerin, aber so richtig freuen k?nnen sie sich dar?ber nicht. Kira sagt schon seit einer halben Stunde nichts mehr – sie ist bitter entt?uscht.

»Und am meisten regt mich auf, dass Frau Heinson gar nichts weiter dazu gesagt hat. Obwohl das sooo ungerecht war! Dabei ist die sonst so nett!« Paulis Gesicht sieht mittlerweile richtig finster aus. Es fasziniert mich immer wieder, wie viele Gef?hle man am Gesicht eines Menschen ablesen kann. Freude, Wut, Trauer – wenn man weiss, worauf man achten muss, ist das Gesicht wie ein offenes Buch. Die zusammengezogenen Augenbrauen und der verkniffene Mund von Pauli sagen eindeutig, dass hier jemandrichtig sauer ist!

Tom zuckt mit den Schultern.»Tja, aber bei diesem Theaterprojekt ist Fernandez der Chef. Und du hast ja geh?rt, was er gesagt hat: Er will es machen wie im wirklichen Leben – da hat eben der Regisseur das letzte Wort.«

Pauli sch?ttelt den Kopf. »Wie im wirklichen Leben– nee! Da glaube ich schon eher, dass Leonies Vater ordentlich f?r den Schulverein gespendet hat. Oder es liegt daran, dass Emilias Klavierlehrer auch die Orchester-AG leitet und Frau Heinson ihn noch dringend f?r unser Musical braucht. Klar, dass da vor allem die Sch?ler bevorzugt werden, dieer auch privat unterrichtet. UNGERECHT!« Sie schnaubt und sieht dabei sehr w?tend aus.

»Aber andererseits hat sich Kira auch nur zweimal gemeldet. Das war vielleicht ein Fehler. Der M?llersohn w?re ja auch noch was gewesen – ich glaube, wenn du gewollt h?ttest, h?tte Benni sich nicht beworben. Der hat das nur gemacht, weil niemand etwas gesagt hat.«

»Hey!« Pauli schnappt nach Luft. »Willst du jetzt etwa sagen, Kira sei selbst schuld?«

»Nein, ich meine nur …«

»Du bist ihr Freund, du musst zu ihr halten!«

»Das mache ich doch auch. Aber auch als Freund darf man mal eine Frage stellen. Oder sagen, wenn was falsch l?uft. Das heisst ?berhaupt nicht, dass man gegen den anderen ist.«

So etwas?hnliches habe ich auch schon mal von Werner geh?rt, der sich mit seinem Bruder ?ber die Frage gestritten hat, ob man Menschen, die man mag, sagen kann, wenn sie einen Fehler machen. Und ob die dann dar?ber sauer sein d?rfen oder sich eher freuen sollten, dass ihnen ein Freund das ehrlich sagt. Ich habe bisher noch nicht weiter dar?ber nachgedacht, ob da was dran ist. So viele Freunde hatte ich als Kater bisher nicht. Bevor ich Kira kennenlernte, war ich sogar ein richtiger Einzelg?nger. Das hat sich nun ja ziemlich ge?ndert – mit Odette und seit Neuestem Karamell habe ich immerhin schon zwei vierbeinige und mit Kira, Pauli und Tom sogar drei zweibeinige Freunde. Wird also Zeit, dass ich mehr dar?ber lerne, worauf es bei einer Freundschaft ankommt.

»Warum sagst du eigentlich nichts?«, will Tom von Kira wissen.

Die legt nur den Kopf schief und schleckt an ihrem Schokoeis. Dann holt sie tief Luft.»Ach, ich weiss nicht. Vielleicht findet mich Frau Heinson auch einfach schlecht und ist ganz froh, dass ich keine der Hauptrollen abgekriegt habe.«

»Quatsch!«, rufen Tom und Pauli wie aus einem Mund. »Sie weiss doch, wie toll du singen kannst«, beruhigt Pauli sie. »Und wahrscheinlich hat Tom recht – das mit dem Kater und der K?nigstocher war einfach Pech. Wenn du dich gemeldet h?ttest, h?ttest du noch eine andere Hauptrolle bekommen.Daf?r h?tte Frau Heinson bestimmt gesorgt. Der Fernandez kennt dich eben nicht, der weiss doch gar nicht, wie toll du bist.«

Kira seufzt.»Ihr habt recht. Ich sollte das nicht pers?nlich nehmen. Vorhin war ich aber viel zu sauer, um mich noch mal zu bewerben. Ich hatte mich so auf das Projekt gefreut – da war ich eben entt?uscht, dass meine beiden Lieblingsrollen gleich weg waren.«

Tom klopft ihr auf die Schulter.»Wer weiss – mit den Proben werden wir in der Projektwoche sowieso nicht komplett fertig. Wenn wir erst mal neben dem Unterricht proben m?ssen, wird es der doofen Emilia vielleicht zu anstrengend und sie gibt auf. Du solltest mal vorsichtshalber ihren Text mitlernen.« Er grinst Kira schr?g an, sie l?chelt zur?ck.

»Ja, das ist bestimmt eine gute Idee. So mache ich’s.« Jetzt lachen beide.

»Ha, ich hab’s!« Pauli springt mitsamt Eis von ihrem Stuhl auf. »Wenn Emilia nicht freiwillig aufgibt, entf?hren wir sie einfach und sperren sie so lange im Schulkeller ein, bis die Auff?hrung um ist.«

Im Ernst? Ich traue meinen Katerohren nicht! Das ist doch bestimmt total verboten und f?hrt unweigerlich zu ziemlich viel ?rger mit der Polizei.

Die drei Freunde lachen wieder. Kira kichert so, dass sie mit dem Eis ihre Hose bekleckert.

»Wow, eine Spitzenidee! W?re doch toll, wir k?nnten das wirklich machen. Verdient h?tte es die doofe Kuh!«

Ach so, das war bloss ein Witz! Dann bin ich beruhigt.

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»Als ich das Mettbr?tchen so knapp verfehlt hatte und dann kopf?ber in dem Container hing, dachte ich, mein letztes St?ndlein h?tte geschlagen.« Karamell sieht noch immer ganz mitgenommen aus. Dabei ist das ganze Drama nun schon eine Weile her. Ich habe den R?ckweg von der Theaterprobe, an der ich jetzt jeden Tag teilnehme, genutzt, um mal im Hof vorbeizuschauen. Dazu bin ich seit meiner unfreiwilligen Begegnung mit Gerd und Murat nicht mehr gekommen – was schade ist, denn nat?rlich war ich schon sehr neugierig, ob ich durch meine Heldentat ein paar Sympathiepunkte bei den Hofkatzengesammelt habe.

Habe ich. Eindeutig. Ich war noch nicht ganz beim Unterstand angelangt, da kamen mir Odette und Karamell schon entgegen und sogar der alte Miesepeter Spike erhob sich zur Begr?ssung von seinem Stammplatz. Und nun sitzen wir alle auf einem sonnigen Fleckchen vor dem Container und Karamell lobt und preist noch einmal meine F?higkeiten als Super-Winston. Was f?r ein grossartiger Tag! Karamell erz?hlt und erz?hlt und Odette und Spike reissen abwechselnd die Augen und die Schnauzen auf und staunen um die Wette. Gut, mir ist ein bisschen schleierhaft, wie Karamell die dramatischen Ereignisse ?berhaupt mitbekommen hat – immerhin war er ohnm?chtig –, und so ganz stimmen seine Schilderungen auch nicht mit der Wirklichkeit ?berein. Schliesslich wollten Gerd undMurat uns ja helfen und an den Teil der Geschichte, in dem ich zwei fiese M?llm?nner attackiere und sie in die Flucht schlage und danach Karamell mit meinen eigenen Pfoten aus dem M?ll ausgrabe, kann ich mich pers?nlich ?berhaupt nicht erinnern – aber egal. Es ist einfach sch?n, ein Held zusein! Deshalb korrigiere ich Karamell auch nicht, sondern nicke nur huldvoll und murmle zum Schluss bescheiden: »Ach, das h?ttest du doch umgekehrt f?r mich auch getan.«

»?h, hoffentlich. Ich meine, wir haben uns ja fr?her nicht so gut verstanden … ?h …«

»Ach, Karamell«, sage ich betont gelassen und gebe ihm einen kleinen Stups in die Flanke, »das sind doch alte Geschichten. Die sollen nicht mehr zwischen uns stehen.« Dass ich genau das Gleiche dachte, als mich Odette gebeten hat, Karamell zu helfen, lasse ich mal lieber weg. »Ab jetzt gilt: Einer f?r alle, alle f?r einen!«

Die drei schauen and?chtig.

»Ein toller Spruch«, meint Spike anerkennend. »Stammt der von dir?« Ich nicke. Odette schl?gt ihren Schwanz hin und her, offenbar denkt sie nach.

»Irgendwo habe ich den schon mal geh?rt. Bist du sicher, dass der von dir ist?«

Mist. Ertappt. Nat?rlichk?nnte er von mir stammen. Genau genommen habe ich ihn aber aus einer Geschichte aufgeschnappt, die Werner mal den ungezogenen Kindern seines Bruders vorgelesen hat. Die Geschichte von den drei… ?h … Moment, wie hiessen die doch gleich? Mist, ich komme einfach nicht drauf.

»Also, der Spruch istfast von mir. Es gibt da noch so eine Geschichte von drei Typen, die sind total schlau und stark und die treffen eines Tages auf einen andern Kerl, der ist auch schlau und stark. Erst zoffen sie sich, aber dann werden sie Freunde. Und dann gilt eben der SpruchEiner f?r alle, alle f?r einen.«

Spike reisst die Augen noch weiter auf als vorhin. »Donnerknispel! Das ist ja GENAU wie bei uns! Genau so! Wie heisst denn die Geschichte?«

Pling! In diesem Moment f?llt es mir endlich ein.

»Die drei Muskeltiere. Es ist die Geschichte von den drei Muskeltieren. Klar, weil die Typen so stark sind. Sie ist schon sehr alt, aber immer noch sehr spannend.«

Karamell und Spike maunzen anerkennend?ber so viel Literaturverst?ndnis meinerseits. Nur Odette guckt komischerweise leicht zweifelnd.

Dann holt Spike tief Luft und verk?ndet feierlich: »Gut. Dann sind wir ab heute dievierMuskeltiere. Einer f?r alle, alle f?r einen!«

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Miiiiiaaauuuuuiiiiaaaaiiiimaunz-

maunzmaunz, miimiiimiiiiauauiauu! Oder: Niemand singt so sch?n wie ich!

»Wo bleibt denn Emilia?« Frau Heinson sieht sich fragend um. »Weiss jemand, wo sie steckt? Du vielleicht, Leonie?« Aber Leonie zuckt nur mit den Schultern. Der f?nfte Probentag ist angebrochen, alle M?dchen und Jungen der 7c haben sich vor der B?hne versammelt und eigentlich sollte nun der erste komplette Durchlauf desGestiefelten Katers stattfinden. Noch nicht auswendig gespielt und gesungen, sondern vorgelesen, aber immerhin das ganze Musical einmal am St?ck. Schliesslich ist heute der letzte Tag der Projektwoche und der will gut genutzt sein. Ab n?chstem Montag werden die Proben nur noch nachmittags stattfinden k?nnen. Alle sind also aufgeregt und warten darauf, dass es endlich losgeht mit dem Gestiefelten Kater – aber es fehlt: der Gestiefelte Kater. Beziehungsweise Emilia.

»Mann, das gibt’s doch nicht – die bl?de Kuh!«, regt sich Ben, der M?llersohn, auf. »Ohne Bescheid zu sagen! Jetzt stehen wir hier und warten. Was denkt die sich eigentlich? Voll daneben!«

»Sie muss krank geworden sein. Komisch nur, dass ihre Eltern noch nicht im Sekretariat angerufen haben«, wundert sich Frau Heinson. »Was machen wir denn jetzt bloss?«

Auch Fernandez schaut zun?chst etwas ratlos, dann bleibt sein Blick an Pauli h?ngen, die erste Entw?rfe ihrer Kost?me ?ber dem Arm tr?gt.

»Pauli, hast du schon etwas f?r uns fertig?«

Sie nickt.»Ja, ich habe die letzten vier Tage mit Frau Eichst?tt im Werkraum an der N?hmaschine gesessen. Wir haben schon mal ein paar grobe Entw?rfe zusammengeheftet. Ich wollte heute mit dem Anprobieren beginnen. Frau Eichst?tt schaut nachher vorbei, um mir zu helfen.«

»Frau Eichst?tt?« Herr Fernandez hat den Namen offenbar noch nie geh?rt. Kein Wunder, ich auch nicht.

»Das ist die Kunstlehrerin. Sie ist aber auch sehr fit im Bereich Handarbeit«, erkl?rt Frau Heinson.

»Ach so. Na, dann w?rde ich sagen, wir schauen uns mal an, was unsere junge Gewandmeisterin hier schon geschafft hat«, beschliesst Fernandez, »vielleicht kommt unser Kater ja, bis wir damit fertig sind.«Kater? Maunz! Hier bin ich doch! Fernandez lacht, b?ckt sich und streicht mir ?ber den Kopf. »Dich sehe ich doch, Winston. Aber leider kannst du nicht singen, sonst w?rde ich dich sofort in ein Paar Stiefel stecken.«Leider? Ich w?rde sagen: Dem Katzengott sei Dank!

Pauli legt die Kost?mentw?rfe auf einen Tisch, der neben der B?hne steht. »Okay, dann gebe ich am besten allen, f?r die ich schon etwas gemacht habe, ihren Entwurf zum Anprobieren. Ich hole in der Zwischenzeit Frau Eichst?tt. Wenn ihr die Sachen angezogen habt, kommt bitte wieder zu mir, damit wir sehen, ob dasschon in die richtige Richtung geht.« Schnurr! Pauli klingt so entschieden, als ob sie ihr ganzes Leben schon nichts anderes als Kost?mbildnerin am Theater gewesen sei. Ich bin beeindruckt!

»Also, wenn ihr hier erst noch ?ber die Kost?me sprecht, k?nnte ich doch so lange in den Werkraum gehen und mit June und Smilla weiter am Entwurf f?r unser B?hnenbild basteln, oder?« Tom ist tats?chlich dabei, aus Sperrholz ein B?hnenmodell f?r unser Theaterst?ck zu bauen. Er hat es mir schon einmal kurz gezeigt – sah ein bisschen aus wie das Puppenhaus, das Werner einer seiner Nichten zu Weihnachten geschenkt hat.

Frau Heinson nickt.»Ja, macht ruhig, ich hole euch, wenn es hier weitergeht.«

Gut gelaunt pfeifend zieht Tom ab, die Projektwoche scheint ihm ziemlich viel Spass zu machen.

Wer hingegen gerade?usserst schlecht gelaunt wirkt und offenbar versucht, sich unsichtbar zu machen, ist Kira. Seltsam, dabei k?nnte das doch heute ihre Chance sein! Sie hat n?mlich in den letzten Tagen wirklich zu Hause Emilias Text ge?bt. W?hrend ich den Vorschlag von Tom zun?chst f?r einen Scherz gehalten habe – was er mit Sicherheit auch war –, hat Kira daraus Ernst gemacht. Ich w?rde sagen, den Gestiefelten Kater hat sie mittlerweile drauf! Dabei hat sie sogar am Klavier die Lieder gespielt und gesungen, die im St?ck der Kater maunzt. Klang gar nicht mal so schlecht. Also, f?r menschliche Verh?ltnisse.

Ich streiche Kira um die Beine und versuche, sie dadurch aufzumuntern. Funktioniert nicht. Traurig lehnt sie an dem Tisch, auf dem Pauli gerade den Haufen mit den Kost?mentw?rfen abgelegt hat, und reagiert nicht auf mich. Was hat sie bloss? Vielleicht sollte ich sie mal daran erinnern, dass sie ihren besten Freund dabeihat und sich also keine Sorgen ?ber irgendetwas machen muss. Kurz bevor wir nach unserem letzten Abenteuer wieder unsere K?rper zur?ckgetauscht haben, haben wir n?mlich ein geheimes Zeichen verabredet, mit dem wir uns jederzeit gegenseitig an unsere Freundschaft erinnern k?nnen. Falls das mal n?tig sein sollte. Und jetzt scheint es mir n?tig. Ich nehme also Anlauf, h?pfe auf den Tisch und von dort auf ihre Schultern.

Erschrocken zuckt sie zusammen.»Hey, Winston, was soll das?« Sie f?ngt an, sich zu sch?tteln.Nix da– mich wirst du nicht so schnell los! Ich kralle mich in den Stoff ihres T-Shirts, strecke meinen Kopf neben ihren und schlecke einmal blitzschnell links und rechts ihre Ohren ab. Kira h?lt kurz inne, dann greift sie nach oben, pfl?ckt mich von ihren Schultern und nimmt mich in den Arm.

»Du hast recht, Winston: Beste Freunde f?r immer! Finde ich lieb, dass du mich ausgerechnet jetzt daran erinnerst. Hast du gemerkt, dass ich nicht so gut drauf bin?«

Ich beginne zu schnurren.

Kira seufzt.»Ach, ich weiss auch nicht. Eigentlich f?hle ich mich ja mittlerweile total wohl an meiner neuen Schule. Ich habe mit Tom und Pauli zwei richtig gute Freunde gefunden und Leonie, die Zicke, l?sst mich meistens in Ruhe. Aber trotzdem … manchmal w?re ich lieber wieder in meiner alten Klasse. Dah?tte jeder gewusst, dass ich wirklich gut singen kann, und ich h?tte mich gar nicht gross um eine Hauptrolle bewerben m?ssen. Man h?tte mich gefragt – ganz sicher! Aber hier: Fehlanzeige.«

Maunz! Am liebsten w?rde ich ihr jetzt sagen:Dann m?ssen die Leute dich eben kennenlernen! Aber dazu musst du ihnen auch die Gelegenheit geben und die kommt sicherlich nicht, wenn du hier weiter am Tisch klebst und Tr?bsal bl?st. Los, geh zu Frau Heinson und sag ihr, dass du f?r Emilia einspringen kannst, wenn die nicht aufkreuzt!

Aber leider kann Kira meine Gedanken nicht mehr lesen und deswegen klingt mein toller Ratschlag f?r sie nur wieSchnurr, schnurr, schnurr, miau, miau! Grrrr, so ein Mist!

»Weisst du, ich freue mich nat?rlich f?r Pauli, dass ihr diese Kost?mgeschichte so viel Spass macht. Aber ich komme mir gerade total ?berfl?ssig vor. Ich kann nicht einmal etwas anprobieren, die Kost?me f?r den Chor sind noch nicht fertig. Und ich kann auch nicht sofort zu diesem bl?den Fernandez rennen und ihm sagen, dass ich heimlich die Rolle des Katers ge?bt habe. Der h?lt mich doch f?r total irre – und die anderen halten mich f?r eine Streberin. Selbst Tom w?re wahrscheinlich fassungslos, wenn er w?sste, dass ich seine Quatsch-Idee in die Tat umgesetzt habe. Das kann ichhier also keinem erz?hlen.«

Doch, genau das sollst du aber machen, Kira! Ich strecke mich ein St?ck in die H?he, um in ihr Gesicht schauen zu k?nnen. Vielleicht kann sie es in meinen Augen lesen?

Tats?chlich zieht sie mich noch ein bisschen n?her an sich heran. »Ich finde es toll, dass du so zu mir h?ltst. Du weisst genau, wie ich mich f?hle, nicht wahr? Dir geht es doch mit den Hofkatzen nicht anders. Da m?chtest du dich sicher auch ab und zu einfach auf unserem sch?nen Sofa zusammenrollen und von der b?sen Welt da draussen nichts wissen, oder? Und das mache ich jetzt auch – ich glaube, ich verziehe mich jetzt still und heimlich in die Cafeteria und hole mir ein Br?tchen. Mich vermisst hier sowieso keiner.«

Grrr, das ist ja zum Schnurrhaareausreissen! Wieso versteht das Kind mich nicht? Was soll ich denn noch machen, damit sie weiss, was ich meine? Soll ich etwa singen? Unm?glich. Kann ich nicht.

»Komm, Winston. Wir hauen ab.« Kira steht vom Tisch auf und dreht sich Richtung Ausgang. Also gut. Vielleicht kann ich doch.

»Miauiauuuuuiaauu! Maauuuuunzzz! Miaumaunz! Miiiiiauuu!« Okay, es reicht wahrscheinlich nicht f?r dieses Fernsehdings namensDeutschland sucht den Superstar, aber ich finde, es geht schon in die richtige Richtung.»Miiiauuuuumiiii…«

»Winston!« Kira klingt geschockt. »Was ist mir dir? Hast du Schmerzen?« Sie setzt mich ganz behutsam auf die Tischplatte und streichelt mir z?rtlich ?ber den R?cken. »Du Armer, das klingt ja furchtbar!«

Furchtbar? Frechheit! Das war eindeutig Gesang und so viel schlimmer als dieses Menschengeheul wird es auch nicht gewesen sein. Beleidigt drehe ich Kira mein Hinterteil zu. Soll sie doch sehen, wie sie hier klarkommt.Pffff!

Ich will gerade vom Tisch runterh?pfen, da greift Kira nach mir. »Hey, hiergeblieben! Was ist denn bloss los mit dir? Tut dir gar nichts weh? Aber was willst du mir dann sagen?«

Also gut. Auf ein Neues! Aber wenn sie es dann nicht kapiert, lasse ich es. Ich mache mich hier doch nicht zum Deppen!

»Maaaauuuuunzzzzmiauuuiiiiauuuuiaaaamaunzmaunz«, lege ich los und finde, diese Melodie ist mir besonders gut gelungen. Vorsichtshalber schiebe ich aber noch ein doppeltes»Miiiimiiiiiimiiiii!« hinterher.

Kira macht grosse Augen. »Sag mal, versuchst du etwa zu singen?«

Was heisst denn hier:versuchen? Ichsinge!

Jetzt beginnt Kira zu l?cheln. Sie scheint endlich zu begreifen!

»Mensch, Winston! Willst du etwa, dass ich singe? Du willst, dass ich zu Heinson und Fernandez gehe und vorsinge?«

Schnurr, schnurr, SCHNURR! Hundert Punkte!

Kira legt den Kopf schief.

»Das willst du also wirklich. Hm. Aber ich habe dir doch schon erkl?rt, warum ich das nicht so gut finde. Ich weiss nicht, ich denke irgendwie, dass …« FAUCH! Wieso will Kira nicht auf mich h?ren? Ich bin mir sicher, dass das eine tolle Chance f?r sie ist! Manchmal muss man sich eben trauenund – jetzt mal einfach so als Vergleich – in die M?lltonne springen. Obwohl man nicht weiss, was einen dort erwartet. Ich werfe mich in Positur und schaue Kira herausfordernd an.

Sie seufzt.»Also gut. Wenn Emilia noch nicht da ist, sobald die anderen mit dem Anprobieren fertig sind, dann sage ich Frau Heinson, dass ich einspringen k?nnte.«

Gutes M?dchen, braves Kind!

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Herr Fernandez klatscht in die H?nde. »Kinder, kommt mal alle nach vorn zur B?hne! Wir haben gerade Emilias Eltern erreicht. Genauer gesagt hat Herr Salemke, unser Pianist, mit ihnen telefoniert.«

Der junge, d?nne Mann, der eben noch am Klavier gelehnt hat, r?uspert sich und stellt sich gerade hin. »Ja, Emilia ist leider tats?chlich krank und kommt heute nicht. Schade, gestern war sie noch putzmunter und wir haben auch schon ein paar Lieder gemeinsam einstudiert.«

Aha! Das muss also der Klavierlehrer von Emilia sein, von dem schon die Rede war. Klar, jetzt f?llt mir auch wieder ein, dass er in den letzten Tagen hier ?fter dabei war. Er hat den Chor und die Kinder begleitet, wenn Frau Heinson einzelne Lieder f?r das St?ck ge?bt hat.

Fernandez guckt betr?bt und seufzt. »So ein Mist! Aber wir beginnen trotzdem mit der Leseprobe und ich werde ihre Rolle von hier unten einlesen. Singen kann ich nat?rlich nicht. Das ist jetzt zwar doof, aber eine andere M?glichkeit gibt es wohl nicht. Alle anderen begeben sich bitte auf die besprochenen Positionen. Leonie, du kommst zu mir. Es ist wichtig, dass die Regie alles gut im Blick hat.«

Allgemeines Gewusel, die Kinder verteilen sich auf der B?hne oder im Hintergrund. Pauli steckt noch ein paar Kost?mentw?rfe ab, Tom, der mittlerweile wieder da ist, geht zum Technikpult, mit dem das Licht bedient wird. Nur Kira r?hrt sich immer noch nicht vom Fleck. Ich streiche an ihren Beinen vorbei – und fahre dabei einmal kurz mit meinen Krallen ?ber ihr linkes Hosenbein.

»Aua, Winston! Ist ja gut – ich mach ja schon!«

Jetzt hebt Kira z?gerlich die Hand. Fernandez schaut zu ihr hin?ber und nickt ihr freundlich zu. »Ja, bitte?«

»Ich k?nnte Emilia erst mal vertreten. Ich … ?h … ich habe die Rolle auch ein bisschen gelernt.«

Erstaunt zieht Fernandez die Augenbrauen nach oben.»Oh, hast du?«

Kira scheint ganz heiss zu werden, jedenfalls strahlt sie auf einmal eine ungew?hnliche W?rme aus.

»Ja«, stottert sie, »ich, ?h, habe mich doch auch f?r die Rolle interessiert und da habe ich ein wenig ge?bt. So aus Spass … ?h …« Es wird immer w?rmer neben Kira. Ich bekomme spontan ein sehr schlechtes Gewissen. Offenbar ist ihr die Sache furchtbar unangenehm und ich Trottel habe sie dazu gezwungen!

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