Leonie beginnt zu kichern.»Du hast ihre Rolle gelernt? Wie peinlich ist das denn? Ist dir etwa langweilig? Ich habe dir doch gesagt, dass du die Rolle nicht kriegst!« Auch ein paar andere Kinder fangen an zu lachen.

Ich verfluche mich f?r meine saubl?de Idee – ich sollte mich aus diesem Menschenkrams in Zukunft einfach raushalten!

»Ich verstehe eure Heiterkeit nicht ganz«, wendet sich Fernandez jetzt an die Kinder. »Bei grossen Produktionen ist ein sogenannterUnderstudy v?llig ?blich.«

»Understudy?«, echoen die Kinder.

»Ja, Understudy. Die zweite Besetzung. Richtige Musicals sind meist sehr aufwendig und teuer. Nicht auszudenken, was passieren w?rde, wenn man dann eine Vorstellung wegen Krankheit eines Hauptdarstellers absagen m?sste. Also gibt es den Understudy, der die Rolle auch spielen kann und notfalls einspringt. Sehr bekannte Schauspieler und S?nger haben so angefangen. Shirley MacLaine zum Beispiel. Sie ist eine ber?hmte amerikanische Schauspielerin, hat sogar schon mal den Oscar gewonnen. Jedenfalls hat sie ihre Karriere der Tatsache zu verdanken, dass sie als Understudy f?r eine bekannte Schauspielerin eingesprungen ist und dabei entdeckt wurde. Also, Kira MacLaine – rauf auf die B?hne mit dir!«

Leonie guckt Kira sehr b?se an, sagt aber nichts mehr. Herr Salemke setzt sich ans Klavier und stimmt die Takte des ersten Liedes vom »Gestiefelten Kater« an. Kira z?gert kurz – aber dann legt sie los, als habe sie nie etwas anderes getan. Ihre Stimme ist klar und voll – und tut mir auf einmal auch nicht mehr in den Ohren weh. Wie durch ein Wunder verwandelt sich die eher n?chterne Atmosph?re der Schulaula in ein echtes Theater. Wahnsinn! Meine Kira hat es wirklich drauf.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie erstaunt die anderen Kinder gucken. Die beiden M?dchen direkt neben mir stecken die K?pfe zusammen und beginnen zu fl?stern.

»Wow, die singt ja richtig toll!«

Das andere M?dchen nickt. »Ja, vielleicht sollten wir froh sein, wenn Emilia l?nger krank ist.«

Nett ist das nicht– aber die beiden haben vollkommen recht! Ich vermisse Emilia jedenfalls nicht. Jetzt muss nur noch die fiese Leonie ausfallen. Die Regie ?bernehme ich dann. Menschen rumscheuchen – das liegt mir als Kater bestimmt!

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Meine Schwanzspitze juckt.

Und die irrt sich nie!

Von aussen sieht das Haus ziemlich beeindruckend aus. Die Eingangst?r liegt unter einem grossen Bogen, der in zwei S?ulen links und rechts m?ndet. Die S?ulen sind oben mit Ranken und Blumen verziert, die golden gl?nzen. Neben dem T?rbogen gibt es noch einen zweiten Bogen, der ein sehr grosses Fenster umfasst – durch dieses hat man bestimmt einen sehr guten Ausblick auf das Geschehen vor dem Haus.

Das Haus sieht ganz anders aus als das, in dem ich mit Werner wohne– also insgesamt gross mit vielen Wohnungen darin. Es ist ein einzelnes Haus, etwas kleiner als unseres, aber immer noch gross und offensichtlich nur von einer Familie bewohnt. Jedenfalls sehe ich auf den ersten Blick nur ein Schild. Mit anderen Worten: Tom, Pauli, Kira und ich stehen vor einer richtigen Villa. Ich bin beeindruckt: Hier wohnt Emilia mit ihren Eltern? Im Fernsehen geh?ren solche H?user immer den RICHTIG reichen Leuten!

Pauli stupst Tom in die Seite.»Los, nun mach schon! Oder traust du dich nicht?«

»Quatsch, nat?rlich trau ich mich. Meinst du, der Kasten hier schreckt mich ab?«

Pauli zuckt mit den Schultern.»K?nnte doch sein.«

Tom lacht und sch?ttelt den Kopf. »Nee, das Haus muss erst gebaut werden, bei dem ich mich nicht traue, auf die Klingel zu dr?cken.«

»Okay, Mister Supercool. Dann k?nnen Kira und ich ja wieder gehen und du gibst das Kost?m alleine ab. Komm, Kira.« Pauli zupft ihre Freundin am ?rmel.

»Halt, hiergeblieben!«, ruft Tom. »Ihr seid schliesslich mitgekommen, weilihr mir die Geschichte mit dem Klassenbuddy eingebrockt habt. Sonst m?sste jetzt Kira Emilia das Kost?m und den ge?nderten Text vorbeibringen.«

Da hat Tom nat?rlich recht. Und deswegen haben sich die M?dchen ihm auch gleich angeschlossen, als Frau Heinson Tom als Klassenbuddy beauftragt hat, Emilia die Sachen vorbeizubringen. Ich glaube, einen Moment hatte Tom gehofft, Leonie w?rde ihm die Sache abnehmen – aber daraus wurde nichts, weil die olle Ziege noch zum Kieferorthop?den musste. Pech gehabt!

Tom streckt die Hand aus und klingelt. Kurz darauf bewegen sich die Gardinen hinter dem Bogenfenster, dann h?ren meine Superkater-Ohren auch schon Schritte. Die T?r wird langsam ge?ffnet. Durch den entstehenden Spalt blickt das sehr blasse Gesicht einer Frau.

»Ja, hallo?« Ihre Stimme klingt sehr unsicher und zittrig, fast, als h?tte sie gerade noch geweint. Komisch, was ist denn mit der los?

»Hallo, wir sind Klassenkameraden von Emilia. Sind Sie Frau Stetten?« Die Frau nickt stumm. Aha, das ist also Emilias Mutter.

»Guten Tag! Ich bin Tom Lauterbach und das sind Kira Kovalenko und Paula Seifert. Wir haben Emilia ein paar Sachen aus der Probe mitgebracht, die sie heute verpasst hat.«

Frau Stetten z?gert kurz, dann ?ffnet sie die T?r.

»Danke, das ist nett. Ihr k?nnt sie da vorn auf die Kommode legen.« Sie gibt den Weg in einen grossen hellen Flur frei. Na ja, eigentlich ist es eher eine Eingangshalle als ein Flur, mit unglaublich hohen Decken und vielen T?ren. An einer Seite befindet sich eine Ausbuchtung, in der eine Statuesteht – eine Frau aus Stein, die einen Korb oder eine Art Vase auf der Schulter tr?gt. Maunz – wo sind wir hier gelandet?

»?hm, ein paar Sachen m?ssten wir Emilia noch erkl?ren«, mischt sich Kira ein. »Wegen der ?nderungen im Text. K?nnen wir kurz zu ihr?«

Frau Stetten zuckt so stark zusammen, als h?tte ihr Kira einen Schlag verpasst. Dann sch?ttelt sie heftig den Kopf. »?h, nein! Das ist ganz und gar unm?glich. Unm?glich! Ihr k?nnt nicht zu ihr! Sie ist … ?h … sehr, sehr krank!«

Die Kinder machen grosse Augen.

»Oh, ’tschuldigung«, stottert Pauli schliesslich, »das wussten wir nicht.«

Tom geht zur Kommode und legt sowohl den Kost?mentwurf als auch das Manuskript ab. Dann wendet er sich an Frau Stetten. »Tut uns leid, dass wir gest?rt haben. Wir w?nschen Emilia nat?rlich gute Besserung. Gr?ssen Sie sie bitte von uns.«

Bei Toms letztem Satz schnappt Frau Stetten so scharf nach Luft, als w?rde sie mit den Tr?nen k?mpfen. Sehr komisch. Sehr, sehr komisch!

Ich merke, wie meine Schwanzspitze anf?ngt zu jucken. Das ist ein untr?gliches Zeichen daf?r, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Und meine Schwanzspitze t?uscht mich nie! Irgendetwas ist hier ganz gewaltig faul! Nur – was?

Frau Stetten schluckt noch einmal trocken, dann hat sie ihre Sprache wiedergefunden.»Also, habt vielen Dank f?r die Sachen, Kinder. Ich denke, ihr braucht erst einmal nicht wiederkommen. Wenn es Emilia besser geht, rufen wir an.« Mit diesen Worten schiebt sie uns aus der Haust?r und schliesst diese sofort.

»Hm, bisschen seltsam war das schon, oder?« Tom geht es offenbar genauso wie mir. Als wir wieder auf der Strasse vor dem Haus stehen, gucken die Kinder noch eine Weile ratlos auf die Eingangst?r.

Kira nickt.»Tja, das scheint ja eine ganz schlimme Krankheit zu sein, wenn wir nicht mal zu ihr durften. Seltsam, oder? Wo ihr Klavierlehrer sie gestern Nachmittag doch noch putzmunter fand.«

Pauli zuckt mit den Schultern.»Ist mir aber auch egal. Auf H?ndchenhalten an Emilias Bett habe ich pers?nlich sowieso keinen grossen Wert gelegt. Jetzt hat sie ihren Krempel – muss sie eben allein sehen, wie sie damit klarkommt.« Sie grinst. »Oder Mutti hilft ihrem kleinen M?dchen.«

»Also, ob die eine grosse Hilfe ist? Frau Stetten war doch v?llig von der Rolle. Ob die immer so konfus ist?« Tom kratzt sich am Kopf.

»Weiss nicht. Meine Mutter w?re aber bestimmt auch aufgeregt, wenn ich sehr krank w?re«, gibt Kira zu bedenken.

»Ja, aber wenn Emilia wirklich soooo wahnsinnig krank w?re, dass man sie nicht mal besuchen kann – w?re sie dann nicht besser im Krankenhaus aufgehoben?«, wirft Pauli ein. »Vielleicht ist sie gar nicht krank, sondern macht nur blau. Und ihre Mutter hatte Angst, dass das rauskommt, wenn wir nachschauen. Das w?rde schliesslich richtig ?rger mit Frau Heinson und der Direx geben. Ich meine: Sich erst die Hauptrolle krallen und dann die Proben schw?nzen – das geht doch gar nicht!« Pauli hat v?llig recht. Das w?re ein richtiger Hammer und insofern w?re es verst?ndlich, dass EmiliasMutter versuchen w?rde, es vor uns geheim zu halten.

»Tja, wir werden das nicht herausfinden«, meint Tom. »Schliesslich haben wir nur die Hausaufgaben vorbeigebracht, keinen Durchsuchungsbefehl.« Er grinst. »Und sooo wichtig ist es nun auch wieder nicht. Ob sie nun wirklich krank ist ODER nur blaumacht, das Ergebnis ist dasselbe: Weg ist weg. Und solange sie weg ist, ist Kira der Gestiefelte Kater. Coole Idee ?brigens, dass du meinen Scherz in die Tat umgesetzt hast, Kira.«

Kira schaut verlegen zu Boden.»Ja, findest du?«

»Auf alle F?lle! Das war doch ein spitzenm?ssiger Auftritt! Ich konnte mich kaum beherrschen, nicht st?ndig den Hauptscheinwerfer auf dich draufzuhalten, so klasse warst du! Und das bei einer Leseprobe – ich war total beeindruckt. Und nicht nur ich: Du h?ttest mal Fernandez und Heinson sehensollen, denen stand vor Staunen der Mund offen, als du dein erstes Lied gesungen hast.«

»Genau!«, bekr?ftigt Pauli. »Das war absolute Weltklasse, ich war superstolz auf dich. Und ich glaube, Leonie hat sich richtig ge?rgert, dass du so einen tollen Auftritt hingelegt hast.« Sie kichert. »Das war ja noch nie etwas f?r unsere Leonie – wenn mal andere als sie und ihre tollen Freundinnen im Rampenlicht stehen. Also: Alles richtig gemacht, Kira!«

»Danke, ihr beiden! Das freut mich! Ich hatte schon Angst, ihr w?rdet mich peinlich finden.«

Tom und Pauli sch?tteln energisch den Kopf.

»Nee, auf keinen Fall!«, ruft Tom laut. »Von mir aus kann Emilia richtig lange krank sein.«

Kira verzieht das Gesicht.»Das finde ich aber nicht nett. Ich meine, ich freue mich, dass ich jetzt spielen darf – aber ihr deswegen was B?ses w?nschen?«

»Och, lass sie ruhig ein bisschen krank sein.« Pauli gibt sich unger?hrt. »Jetzt ist sowieso erst mal Wochenende und am Montag, Dienstag muss sie sich bestimmt noch schonen. Falls sie eine richtig fiese Sommergrippe oder so was in der Richtung hat, liegt sie mit Sicherheit l?nger auf der Nase.Ihr Pech, wenn es dann ohne sie weitergeht.«

»Nee, das finde ich zu heftig«, widerspricht Kira. »Wenn sie wieder gesund ist, singe ich eben weiter im Chor. Fernandez und Heinson wissen ja jetzt, was ich kann. Meine Chance wird schon noch kommen. Ich brauche nur etwas Geduld.«

Ah, das ist mein M?dchen! So erwachsen und vern?nftig! Wobei: Von mir aus kann die olle Emilia auch bleiben, wo der Pfeffer w?chst.

In diesem Moment juckt meine Schwanzspitze wieder. Heilige?lsardine! Ich nehme das mit dem Pfeffer zur?ck. Nicht dass Emilia meinetwegen noch am Ende der Welt landet!

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Kein Spass mit Babuschka.

Daf?r mit abenteuerlustigen Hofkatzen.

Was ich an Wochenenden liebe? Ganz einfach: Wenn man als Haustier Gl?ck hat, verwandeln sich Herrchen oder Frauchen dann vondenkenden Wesen inlebende Wesen. Davon kann ich als Kater nur profitieren: Ich hasse es n?mlich, dass meine Menschen an normalen Wochentagen alles immer so grauenhaft durchgeplant haben. Da sind keine f?nf Minuten Zeit mehr drin f?r Einfach-so-auf-dem-Sofa-Rumliegen oder V?llig-sinnfrei-aus-dem-Fenster-Gucken. Stattdessen: Termin, Termin, Termin, Termin! Furchtbar ist das!

Am Wochenende sieht die Sache zum Gl?ck anders aus. Dann ist Werner ganz entspannt, schl?ft lang und verbringt danach einen Gutteil seiner Zeit auf meinem Sofa. Na gut, auf seinem Sofa. Und zwar mit der Zeitung und einer Kaffeetasse, die er sich in regelm?ssigen Abst?nden auff?llt. Ich lege mich h?ufig neben ihn, mache ein kleines Nickerchen oder beobachte ihn einfach beim Lesen. Eigentlich v?llig sinnfrei – aber das ist doch das Sch?ne an der ganzen Geschichte: Endlich mal etwas machen, was sinnlos ist. Einfach, weil es Spass macht. Herrlich!

Deswegen freue ich mich, dass heute endlich das Wochenende anf?ngt. Ich liege in meinem K?rbchen im Flur und drehe mich gen?sslich einmal um die eigene Achse. W?hrend ich die letzten Tage wegen der Projektwoche immer unerfreulich fr?h aufstehen musste, kann ich jetzt endlich wieder lang ausschlafen. Schnurrrrr, ich liebe es, wenn ich im Halbdunkeln noch einmal wegd?mmern kann und … PLING! Jemand hat das Licht im Flur eingeschaltet. UNGEM?TLICH!Hallo? Was soll das denn?

»So, Winston, raus aus den Federn!« Anna steht vor mir und guckt sehr entschlossen. Brrrr, ich kenne diesen Blick und ich mag ihn gar nicht! Denn er bedeutet, dass nichts und niemand sie von dem, was sie gerade vorhat, abbringen kann. Schon gar kein kleiner Kater wie ich!

Sie r?ttelt an meinem K?rbchen, ich stelle mich tot.

»Winston, ich muss hier saugen. Also weg da, dein K?rbchen steht im Weg. In genau vier Stunden kommt Babuschka am Hauptbahnhof an, dann muss es hier ?berall wie geleckt aussehen und das Essen muss ich auch noch vorbereiten. Sie ist sehr anspruchsvoll!«

Babuwer? Kenn ich nicht. Ich r?hre mich immer noch nicht. Soll mich Anna halt raustragen, wenn sie meint. Ich werde jedenfalls an diesem geheiligten Wochenende keine Pfote r?hren! Schliesslich muss ich mich von dem ganzen Probenstress auch mal erholen, jawoll!

Ein beherzter Griff, dann hat Anna mein K?rbchen samt Inhalt auf dem Arm.Hey, nicht so rabiat! Ich maunze laut auf.

»Ach, stell dich nicht so an, Winston. Es ist immerhin schon sieben Uhr, da kann auch ein verw?hnter Kerl wie du mal aufstehen.« Sie tr?gt mich r?ber in die K?che und stellt mich ziemlich unsanft ab.Aua! Ich bin nicht verw?hnt! Ich werde nur gern pfleglich behandelt und will nicht zu nachtschlafender Zeit aus meinem Bett gezerrt werden. Mit einem Satz bin ich aus dem Korb und an Anna vorbei. Ich weiss, wer mir armem Kater nun Zuflucht gew?hren wird: jemand, der erstens am Wochenende auch gern ausschl?ft und mich zweitens garantiert in sein Bett l?sst, damit ich dort mein Nickerchen fortsetzen kann …

Wunderbar– die T?r steht einen Spalt auf! Leise husche ich ins dunkle Zimmer, schleiche quer durch den Raum und springe dann in die Richtung, in der ich die Umrisse des Bettes erkennen kann. Ich lande weich – Treffer! Kira seufzt im Schlaf und dreht sich zur Seite, dabei entsteht genau die L?cke, die ich brauche. Zufrieden kuschle ich mich neben sie in die Bettdecke. S?sse Tr?ume, kommt schnell zu Winston!

ROOOAAAAARRRRMMM! Ohrenbet?ubender L?rm aus dem Flur. Vor Schreck falle ich fast wieder aus dem Bett. Anna hat tats?chlich den Staubsauger angeschmissen. Kann man denn hier nirgendwo seine Ruhe finden? Ich dr?cke meinen Kopf tiefer in die Decke, vielleicht d?mpft das den L?rm etwas? Fehlanzeige. Anna scheint direkt auf Kiras Zimmer zuzusaugen, der L?rm wird immer lauter. Ein Wunder, dass Kira nicht aufwacht, aber tats?chlich atmet sie noch ganz ruhig ein und aus.

So soll es aber nicht lange bleiben, denn in diesem Moment reisst Anna Kiras Zimmert?r auf und steht mit dem Teufelssauger mitten im Raum. Miau! Was soll das? Nun wird auch Kira wach und rappelt sich m?de hoch.

»Hey, was ’n hier los?«

Anna schaltet den Sauger kurz aus.»Hast du es schon vergessen? Babuschka kommt um elf Uhr. Wir m?ssen die Wohnung noch putzen und dann hilfst du mir bitte, f?r heute Mittag Pelmeni vorzubereiten. Also, zack, zack, aufstehen, sonst schaffen wir das alles gar nicht mehr!« Sie schaltet den Sauger wieder an, zerrt ihn aus dem Zimmer und saugt weiter wie eine Besessene.

Kira g?hnt und reibt sich die Augen. »Stimmt. Babuschka. Habe ich vor lauter Theaterspielen fast vergessen.« Sie seufzt und schwingt ihre Beine aus dem Bett. »Komm, Winston. Gegen Babuschka ist kein Kraut gewachsen. Besser, wir helfen freiwillig.«

Wer oder was ist Babuschka? Oder Pelmeni? Kl?rt mich hier vielleicht mal jemand auf? Kira schl?pft in ihre Hausschuhe und schlurft aus dem Zimmer. Aha. Dann eben nicht. Macht ja nichts. Ich bin hier schliesslich nur der Kater …

Ich fl?chte ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa bin ich bestimmt sicher vor Annas Putzwut. Auf dem Weg dorthin stolpere ich fast ?ber Werner, der anscheinend auch von dem L?rm geweckt worden ist, jedenfalls l?uft er in seinem gestreiften Pyjama herum, den er normalerweise nur im Schlafzimmer tr?gt.

»Hoppla! Vorsicht, Winston! Ganz sch?n viel los hier f?r einen Samstagmorgen.« Wem sagt er das! Ich schnurre und reibe mich an seinen Beinen. Er lacht und hebt mich hoch. »Komm, ich hole kurz die Zeitung aus dem Briefkasten, setze einen Kaffee auf und dann verziehen wir beide uns aufs Sofa. Sonst saugt Anna uns noch weg!«

Eine ausgezeichnete Idee! Die mit dem Sofa, meine ich. Aber bevor Werner sie in die Tat umsetzen kann, steht Anna schon neben ihm und hebt streng den Zeigefinger.»Herr Professor! Wenn ich gleich die Kissen vom Sofa ausgesch?ttelt und abgesaugt habe, sollte sich Winston besser ein anderes Pl?tzchen suchen. Zum Beispiel seinen Korb. Den habe ich extra schon in die K?che zu seinem Napf gestellt. Meine Mutter ist da sehr pingelig – Tierhaare in der Wohnung kann sie auf den Tod nicht ausstehen.«

Annas Mutter? Also Kiras Oma? Was bitte hat die denn mit der ganzen Aktion zu tun? Die wohnt doch gar nicht bei uns, sondern in Omsk. Hat mir Kira mal erz?hlt. Wo auch immer das sein mag. Werner seufzt. »Auweia, das nimmt ja Ausmasse eines Staatsbesuches an.«

»Das tut mir leid. Meine Mutter ist wirklich eine Urgewalt. Ein herzensguter Mensch, aber nicht immer ganz einfach. Meine Schwester Olga klang am Telefon leicht verzweifelt. Immerhin wohnt meine Mutter nun schon vier Wochen dort. Ich musste Olga einfach anbieten, dass sie jetzt auch mal zu uns kommen kann. Es sind ja nur zwei Wochen, dann fliegt sie wieder nach Russland.«

Werner lacht.»Ja, M?tter. Ein Kapitel f?r sich.«

Wie meint er das? Seine Mutter, also Frau Hagedorn, ist eine ganz reizende?ltere Dame. Ab und zu besucht sie uns, dann h?lt sie sehr vornehm ihre Teetasse und erz?hlt von ihrer Bridgerunde und davon, wie schlecht erzogen die Kinder von Werners Bruder ihrer Meinung nach sind – eine Auffassung, die ich im ?brigen teile! Selbstverst?ndlich darf ich in dieser Zeit aufdem Sofa liegen. Sobald Mutter Hagedorn dann ihren Tee getrunken hat, f?hrt Werner sie auch schon wieder nach Hause. Sehr unkompliziert. Noch nie ist ihretwegen mitten in der Nacht staubgesaugt oder sonst irgendwelcher Unsinn veranstaltet worden!

Anna holt tief Luft.»Danke f?r Ihr Verst?ndnis, Herr Professor.«

»Keine Ursache, Anna. Wir wollen nat?rlich bei Ihrer Mutter einen guten Eindruck machen. Und so schlimm wird es schon nicht werden. Ich f?rchte allerdings, Winston, du wirst die n?chsten Tage haupts?chlich in der K?che verbringen m?ssen.«

WAAAS? Ich bekomme Sofaverbot? Bloss weil Oma Kovalenko offenbar beschlossen hat, das beschauliche Omsk zu verlassen und in Hamburg nach dem Rechten zu sehen? Das darf ja wohl nicht wahr sein! Und was heisst dennso schlimm wird es schon nicht werden? Das ist schon schlimm genug! Zudem kommt doch gleichzeitig ein geheimnisvoller Babuschka und beide Besucher zusammen verursachen im Vorfeld einen Aufruhr, dass sich mir die Schnurrhaare kr?useln. Am liebsten w?rde ich abhauen – nur: Wohin?

Ich laufe in den Flur und lege mich unschl?ssig auf einen der L?ufer, die Anna gerade gesaugt hat. Mein K?rbchen ist schliesslich nicht mehr da. Kira kommt aus dem Bad, angezogen, frisch gek?mmt und fr?hlich pfeifend. Wie kann man nur am fr?hen Morgen schon so wach und gut gelaunt sein? Sie kniet sich neben mich und krault mich am Kinn.

»Ich bin mal gespannt, wie du meine Oma findest. Ich habe Babuschka schon ziemlich lange nicht mehr gesehen, sie wohnt n?mlich normalerweise in Russland. Aber ich glaube, sie ist sehr nett. Allerdings sehr streng – wenn sie Deutsch spricht, klingt das meistens wie ein Befehl.«

ACH SO! Jetzt rattert es langsam in meinem Katerhirn: Babuschka und Oma sind ein und dieselbe Person. Ob das die Sache allerdings besser macht, weiss ich nicht. Sofaverbot habe ich ja trotzdem. Und was Pelmeni sind, hat mir immer noch keiner gesagt.

»Ich hole jetzt mal Br?tchen. Mein Zimmer kann ich auch noch nach dem Fr?hst?ck aufr?umen. Willst du vielleicht mitkommen?«

Vielleicht ist das eine gute Idee. Hier oben hat man mich ja zur unerw?nschten Person erkl?rt. Eine Frechheit ist das! In meiner eigenen Wohnung!

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Unten angekommen beschliesse ich, dass ich doch nicht mit zum B?cker laufen will. Lieber besuche ich meine neuen Freunde. W?hrend Kira also die Strasse hinunterschlendert, biege ich Richtung Hof ab.

»Hey, da kommt unser viertes Muskeltier! Hallo, Winston«, begr?sst mich Spike sofort freudig. »Gut, dass du kommst! Ich habe einen Plan!«

Ich springe zu Spike auf den M?lltonnenunterstand und lege mich neben ihn. »Hallo, Spike. Was f?r einen Plan denn?«

»Also, Odette hatte doch auch schon mal von dieser Muskeltier-Geschichte geh?rt.« Ich maunze zustimmend. Odette ist eben eine sehr gebildete Dame. »Sie hat sich auch noch erinnert, wie die Geschichte so ungef?hr ging, und sie uns dann erz?hlt.«

»Aha.« Mehr f?llt mir dazu nicht ein. Worauf will Spike hinaus?

»Und jetzt pass auf: Es ist eine richtige Abenteuergeschichte! Die Jungs retten n?mlich die Ehre der K?nigin und m?ssen daf?r richtig gef?hrliche Sachen machen. Also sogar bis nach England reisen und in ein fremdes Haus schleichen. Ich meine, ich weiss jetzt nicht genau, wo England ist – aber klingt das nicht aufregend?«

Ich weiss zwar ungef?hr, wo England ist. Schliesslich hatte ich ja dank meines K?rpertausches mit Kira eine Zeit lang Englischunterricht. Aber was daran aufregend sein soll, erschliesst sich mir noch nicht ganz. Offenbar sieht man mir das an, denn jetzt legt Spike nach.

»Mensch, Winston! Denk doch mal nach – was f?r ein Leben f?hren wir denn hier so? Wir liegen rum und fressen. Total langweilig! Aber wir sind doch jetzt die vier Muskeltiere – wir sind gewissermassen dazu geboren, Abenteuer zu erleben! Richtige Abenteuer! Wir sollten nach einem Abenteuer Ausschau halten, in das wir uns st?rzen k?nnen. Von mir aus auch nach einem Geheimnis, das es zu l?ften gilt. Das sind wir unserem neuen Namen schuldig!«

»Hm.« Mehr sage ich nicht. Denn ich kann Spike schlecht erz?hlen, dass ich in den vergangenen Wochen in der Tat schon ein richtiges Abenteuer erlebt habe und eigentlich ZIEMLICH froh war, wieder in meinem Katzenk?rper und auf dem heimischen Sofa zu landen. Das w?rde er mir sowieso nicht glauben.

»Also, ich weiss nicht, Spike«, kommt es in diesem Moment von der Seite – Karamell und Odette sind aufgetaucht.

»Wieso, Karamell? Was ist denn falsch an meiner Idee?«

»Ich finde, mein Sturz in den M?llcontainer war schon Abenteuer genug. Mehr davon brauch ich definitiv nicht!«

Gerade will ich ihm recht geben und erkl?ren, dass auch mein Bedarf an Abenteuern v?llig gedeckt ist, da sehe ich dieses Glitzern in Odettes Augen. Nein, es ist nicht nur ein Glitzern, es ist ein Leuchten, ein Strahlen, das ganz aus Odettes Innerem zu kommen scheint. Sofort ist mir klar: Diese Frauliebt das Abenteuer! Ich r?uspere mich.

»Also, Spike, ich sehe es genauso wie du. Unser Leben ist viel zu langweilig. Wir brauchen ganz dringend ein Abenteuer. Schliesslich sind wir die vier Muskeltiere!«

»Klasse, Kumpel!«, freut sich Spike. »Das ist genau die richtige Einstellung!« Odette sagt nichts, aber das Strahlen scheint noch st?rker geworden zu sein, ihr Schwanz schl?gt unruhig hin und her – und dann schenkt sie mir einen bewundernden Blick, f?r den sich das gef?hrlichste Abenteuerder Welt lohnen w?rde!

»Okay«, erkl?rt Spike. »Ab sofort sperrt jeder von uns die Augen nach einem aufregenden Abenteuer oder einem geheimnisvollen Geheimnis auf!«

Karamell seufzt.»Na gut, wenn ihr meint.«

»Ja, meinen wir!« Spike klingt so entschlossen, wie ein fetter getigerter Kater nur klingen kann, und ich bin gespannt, wo er nun so pl?tzlich ein Abenteuer oder Geheimnis herkriegen will.

Da kommt mir selbst eine Idee. Ein Geheimnis! Gut, vielleicht ist es kein wirklich grosses – aber es ist das erste, was mir auf die Schnelle einf?llt. Und f?r unseren Start als abenteuerlustige Muskeltiere reicht es bestimmt …

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Manchmal wird aus einem kleinen Geheimnis pl?tzlich ein riesengrosses.

Wenn man nicht durch die grosse Eingangst?r hineinspazieren kann, ist es gar nicht so einfach, in die Villa hineinzukommen. Vor allem nicht, wenn man wie Spike deutliches ?bergewicht hat und schon lange nicht mehr hinter M?usen herjagen muss, weil man st?ndig heimlich von Anna und Kira gef?ttert wird. Karamell, Odette und ich sitzen schon auf der efeu?berrankten Mauer, die den Garten des Hauses umgibt, und feuern Spike an, aber der stellt sich so d?mlich an, dass wir wahrscheinlich einen Kran br?uchten, um ihn zu uns hochzuhieven.

»Mensch, Spike, es ist doch ganz leicht: Klettere auf den Baum und dann spring den letzten Meter!« Ich versuche, m?glichst viel Zuversicht in meine Stimme zu legen, aber das ist nicht einfach, schliesslich ist Spike schon bei seinem letzten Anlauf gescheitert und ausserdem gerade von zwei Eichh?rnchen ?berholt worden, die mittlerweile in sicherer Entfernung sitzen und sich schlapplachen. Verdammt. So wird das nichts!

»Ich weiss auch nicht, Winston – fr?her hatte ich mit so etwas ?berhaupt keine Probleme. Aber heute …« Spike klingt niedergeschlagen und ich ?berlege, ob es nicht besser w?re, die ganze Aktion abzublasen. Es war sowieso eine bl?de Idee und so wahnsinnig aufregend ist das Geheimnis, das sich hinter diesen Mauern verbirgt, nun auch wieder nicht. Wen interessiert schon ernsthaft, ob Emilia wirklich krank ist oder nur die Schule schw?nzt? Aber um genau das herauszufinden, habe ich Spike, Odette und Karamell zum Haus von Emilia geschleift.

»Okay, dann lass uns die Geschichte hier vergessen und alle wieder nach Hause gehen«, schlage ich deshalb kurzerhand vor.

»Das ist die erste gute Idee, die ich heute von dir h?re.«

Gut, dieser Kommentar von Karamell ist wenig?berraschend. Aber was sagt Odette dazu? Ihre Meinung ist mir ehrlich gesagt am wichtigsten.

Sie scheint kurz nachzudenken, dann legt sie den Kopf schief.»Nein. Wir k?nnen doch nicht beim ersten kleinen Problem aufgeben. Wenn Spike die Mauer nicht hochkommt, dann muss er eben warten, bis wir wieder da sind. Ist vielleicht sowieso ganz gut, wenn einer draussen aufpasst. Falls uns drinnen etwas passiert, kann Spike Hilfe holen.«

»Falls uns drinnen etwas passiert?«, echot Karamell nerv?s.

Okay, ein falsches Wort jetzt und es bleiben genau noch zwei Abenteurer?brig: Winston und Odette. Wobei – eigentlich ein ganz sch?ner Gedanke!

»Na ja«, sage ich deshalb, »man weiss ja nie! Vielleicht haben die einen Hund oder eine Alarmanlage oder was weiss ich. Ohne Gefahr w?r’s ja kein Abenteuer, sondern ein Ausflug.«

Karamell schluckt trocken. »?h, meint ihr nicht, es w?re besser, wenn ich auch hierbliebe? Auf der Mauer? Also, wenn da drinnen etwas passiert, dann k?nnt ihr mir hier ein Zeichen geben und ich gebe wiederum Spike ein Zeichen. Und er holt Hilfe.«

Hihi! Dem habe ich anscheinend tats?chlich Angst eingejagt! »Klar, ist bestimmt eine gute Idee, wenn du hier wartest«, sage ich m?glichst ernst, obwohl ich am liebsten kichern w?rde. Ich meine – alles, was wir vorhaben, ist, in ein stinknormales Haus zu schl?pfen und zu ?berpr?fen, ob ein Kind dort eher im Bett liegt oder fr?hlich herumh?pft. Gut, ich habe es meinen Mitmuskeltieren nat?rlich etwas spannender verkauft, damit sie ?berhaupt mitkommen. Tats?chlich habe ich ihnen etwas von »Kind in Gefahr« erz?hlt und dass ich glaube, dass Emilia etwas Schlimmes zugestossen ist, was niemand wissen darf.

Odette schl?gt mit dem Schwanz hin und her. »Wirklich, Karamell, nun sei nicht so ein Angsthase!«

»Ich hab keine Angst. Ich finde nur, ich sollte euch lieber R?ckendeckung geben. Genau wie Winston sagt.«

»Wie du meinst. Dann bleib eben hier auf der Mauer.Ich st?rze mich jetzt ins Abenteuer. Komm, Winston!« Mit einem ?usserst eleganten Satz springt Odette in den Garten. Ohne zu z?gern, folge ich ihr. Was f?r ein toller Tag – gemeinsam mit Odette einem Geheimnis auf der Spur!

Im Garten brauchen wir nicht lange nach einer M?glichkeit zu suchen, ins Haus zu gelangen: Die Terrassent?r steht offen. Vorsichtig schleichen wir uns an – was v?llig ?berfl?ssig ist, denn ausser uns beiden ist niemand da.

»Kennst du dich im Inneren des Hauses aus?«, will Odette von mir wissen.

»Nee, ich war nur mit Kira und ihren Freunden in der Eingangshalle. Dort wurden wir ja gleich abgewimmelt. Von einer Frau, die behauptete, Emilias Mutter zu sein. Sie sagte, Emilia sei krank. Aber ich bin mir sicher, dass das gelogen war.«

»Also m?ssen wir das Kinderzimmer suchen. Wenn das Kind dort im Bett liegt, verziehen wir uns schnell wieder. Wenn es nicht dort ist, suchen wir weiter, richtig?«

»Genau.«

»Und wenn wir sie gar nicht finden?«

»Dann ?berlegen wir weiter. Ich finde, bei einem Abenteuer muss man vorher nicht f?r alle M?glichkeiten einen Plan haben. Sonst wird es langweilig.«

»Hm.« Odette klingt skeptisch. »Ich glaube, die drei Muskeltiere waren auf ihre Mission ziemlich gut vorbereitet. Ich weiss nicht, ob die einfach so in ein Haus marschiert w?ren.«

»Also erstens waren die keine Katzen. Die mussten sich nat?rlich viel mehr Gedanken machen, damit sie nicht sofort entdeckt werden.«

»Aha. Und zweitens?«

»Wieso zweitens?«

»Na, du hast doch geradeerstens gesagt.«

Stimmt. Was war noch mal zweitens?»?h, zweitens, ?h … und zweitens wird schon alles gut gehen.« Das ist nat?rlich kein tolles Argument, aber ich bin sowieso davon ?berzeugt, dass wir gleich ?ber eine putzmuntere Emilia stolpern werden, die einfach keine Lust hatte, zur Schule zu gehen.

»Dann los. Meinst du wirklich, die haben einen Hund?«

»Glaube ich nicht. Ich wollte Karamell gestern nur ein bisschen ?rgern.«

Langsam stromern wir von der Terrasse ins Haus und landen in einem gl?sernen Zimmer. Miau, so etwas habe ich noch nie gesehen: Der Raum besteht nur aus Fenstern.

»Wow! Ein Wintergarten!« Odette scheint sofort zu wissen, worum es sich bei diesem Zimmer handelt. Das wundert mich nicht. Ich bin mir sicher, dass Odette von sehr edler Herkunft ist. Bestimmt hat sie auch einmal in solch einer Villa gewohnt. Ich verkneife mir die Frage, was denn ein Wintergartenist, schliesslich bin ich ein Professorenkater und will nicht zugeben, dass ich keine Ahnung habe.

»Wo k?nnte denn das Kinderzimmer sein, Odette? Kennst du dich in H?usern mit Kindern aus?«

»Ein bisschen. Ich habe zwar selbst noch nie in einem gelebt, aber mal eins besucht. Da waren die Kinderzimmer die Treppe hoch. In diesem Haus muss auch eine Treppe sein, so gross wie das ist.«

Wir schleichen also vom Wintergarten aus weiter. Der n?chste Raum ist eindeutig: ein sehr grosses Sofa, zwei grosse Ledersessel und ein Couchtisch – das Wohnzimmer. Und hier wird es auch schon gef?hrlich, denn sowohl auf dem Sofa als auch auf den Sesseln sitzen Menschen. Hoffentlich fliegen wir nicht gleich auf!

Odette und ich dr?cken uns ganz fest an die Wand und ducken uns so tief, dass wir eher kriechen als laufen. Ich merke, wie mein Herz anf?ngt zu rasen. Gleich sind wir auf H?he der Menschen – wenn die sich jetzt umdrehen, sind wir geliefert!

Aber die Menschen sind so in ihr Gespr?ch vertieft, dass sie uns nicht bemerken. Vorsichtig riskiere ich einen Blick auf sie: Sofort erkenne ich Emilias Mutter. Sie weint. Neben ihr sitzt ein Mann, den ich noch nie gesehen habe, und hat den Arm um sie gelegt. Ausserdem sind da noch zwei fremde M?nner, die in den Sesseln sitzen und eindringlich auf das Paar einreden. Eine sehr seltsame Zusammensetzung! Jetzt hebt die Frau den Kopf und guckt sich um, als h?tte sie ein Ger?usch geh?rt. Schnell laufe ich hinter Odette her, die schon fast im Flur ist. Hoffentlich hat mich Emilias Mutter nicht gesehen!

Nein: Ich habe Gl?ck und bleibe unerkannt. Schwer atmend setze ich mich auf die Fussmatte an der Eingangst?r.

»Hey, Winston! Hast du getr?umt?«, schimpft Odette. »Das war ganz sch?n knapp! Lass uns mal ?berlegen, wie wir hier am besten wieder rauskommen. Noch einmal durch das Wohnzimmer ist bestimmt keine gute Idee.«

In diesem Moment klingelt es an der Haust?r. Mist! Hier stehen wir rum wie auf dem Pr?sentierteller!

»Schnell, komm!« Odette huscht zu der Nische, in der die Statue steht, und kauert sich dahinter auf den Boden. Mit einem Satz bin ich neben ihr. Mein Herz klopft so laut, dass ich das Gef?hl habe, jeder im Raum m?sste es h?ren.

Einer der M?nner, die eben auf dem Sessel sassen, kommt in den Flur und ?ffnet die T?r. Dort steht: die Polizei! Mir wird abwechselnd heiss und kalt! M?glicherweise verwandelt sich der kleine Ausflug doch noch in ein echtes Abenteuer.

Der Mann reicht den Polizisten freundlich die Hand.»Gr?ss euch, Kollegen! Es gibt tats?chlich wieder ein neues Erpresserschreiben. Das k?nnt ihr gleich mit ins Pr?sidium nehmen.«

»Was sagen die Eltern?«, will einer der Polizisten wissen.

»Das Schreiben steckte vorhin im Briefkasten. Sonst haben sie nichts bemerkt.«

Erpresser? Schreiben? Pr?sidium? Ich versteh nur Bahnhof. Meine Krimikenntnisse aus langen Fernsehabenden mit Werner Hagedorn helfen mir jedenfalls gerade nicht weiter. Ich stupse Odette an. »Hast du eine Ahnung, wovon die reden?«

»Nee. Aber gut klingt das nicht. Ein Erpresser ist jedenfalls ein echter Verbrecher. Der droht Leuten, damit sie ihm Geld geben. Vielleicht kriegen wir mehr raus, wenn wir weiter lauschen. Komm, wir schleichen zur?ck ins Wohnzimmer.«

»Meinst du? Ich glaube, es ist besser, wenn wir Land gewinnen.« Mein Heldenmut ist auf einmal wie weggewischt.

Der von Odette leider nicht:»Winston, du klingst schon wie Karamell! Ich dachte, wir sind auf der Suche nach einem Abenteuer! Jetzt finden wir endlich eins und du machst dir gleich ins Hemd!« Dieser Vorwurf ?rgert mich, aber er ist nat?rlich nicht ganz unberechtigt. »Du kannst ja wieder durch den Garten abhauen und dich zu den anderen Schissern setzen. Dann k?nnt ihr mir sch?n zu drittR?ckendeckung geben.« Autsch! Das hat gesessen!

»Auf keinen Fall lasse ich dich hier allein. Wenn du wissen willst, was hier vor sich geht, bleibe ich nat?rlich bei dir.«

Gemeinsam schleichen wir ins Wohnzimmer zur?ck und verstecken uns hinter einer Stehlampe. Der Mann geht mit den beiden Polizisten zum Sofa und hebt ein Blatt Papier vom Tisch auf. Dann liest er es laut vor:

»Was ist Euch Euer T?chterlein wert? Ich erh?he den Preis: 2 Millionen Euro L?segeld. Und keine Polizei. Das war meine Bedingung – aber Ihr habt Euch nicht daran gehalten. Ich habe die Bullen gesehen. Schluss damit! Sonst seht Ihr Emilia nicht wieder. Das ist kein Spiel. Drei Ausrufezeichen.« Er gibt das Blatt weiter. »Hm, hier meint es jemand ernst.«

Die Frau schluchzt laut auf, die anderen M?nner schweigen. Heilige ?lsardine, wo bin ich da bloss reingeraten? Ich wollte doch nur Odette ein bisschen beeindrucken und Zeit mit ihr verbringen! Wenn ich gewusst h?tte, dass hier ein echtes Verbrechen stattgefunden hat, h?tte ich mich ferngehalten!

Odette stupst mich in die Seite.»Coole Sache, Winston! Du hattest genau den richtigen Riecher! Emilia ist wirklich nicht krank, sie ist entf?hrt worden. Wie gut, dass du die Idee hattest, noch mal hierherzukommen. Jetzt k?nnen wir helfen, Emilia zu retten. Ich bin stolz auf dich!«

Grundg?tiges Katzenklo, wie komme ich aus der Nummer bloss wieder raus? Und schon f?ngt meine Schwanzspitze an zu jucken …

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Von Helden und Gurken.

»Warum hast du das Blatt mitgenommen?«

»Ich will es Kira zeigen. Damit sie weiss, was hier los ist!«

»Du willst WAS?« Odette reisst ungl?ubig die Augen auf und starrt mich an.

Als Emilias Eltern mit der Polizei in einen Nebenraum gegangen sind, um zu besprechen, wie man das Telefon abh?ren k?nnte, falls der Erpresser anruft, haben wir unsere Chance genutzt und uns aus dem Staub gemacht. Vorher habe ich allerdings den Erpresserbrief aus einem Wust anderer Zettel vom Couchtisch gefischt.

Und nun sitzen wir nach einem olympiareifen Spurt durch den Garten schwer atmend und mit klopfenden Herzen auf der anderen Seite der Mauer. Neben uns hockt Karamell, der von unserem pl?tzlichen Erscheinen aus seinem kleinen Nickerchen in der Sonne gerissen wurde. Tolle R?ckendeckung! Aber wenigstens hat Spike sich von seiner missgl?ckten Baumbesteigung wieder erholt und betrachtet jetzt das Blatt Papier mit den aufgeklebten Buchstaben, das ich vorsichtig vor mir im Gras ablege. Daf?r, dass ich es im Maul ?ber eine Mauer hinwegtragen musste, sieht es noch aus wie neu. Vielleicht ein bisschen angesabbert am Rand, aber ansonsten: tadellos!

»Lass mich raten: Emilia ist gar nicht krank, sondern sitzt zu Hause und bastelt«, meint Spike.

»Falsch«, erwidere ich.

»Aber warum hast du das Papier denn mitgeschleppt? Ist das keine Bastelarbeit? Es erinnert mich an die Sachen, die kleine Menschen immer im Kindergarten basteln.«

»Tja, in einem Punkt hast du recht: Das hat wirklich ein Mensch gebastelt«, erkl?re ich. »Allerdings kein kleiner, sondern ein grosser. Das Papier ist ein Erpresserbrief. Darin fordert der Verbrecher, der die arme Emilia entf?hrt hat, zwei Millionen Euro von ihren Eltern. Sonst gibt er Emilia nicht zur?ck.«

»H??«, fragen Spike und Karamell wie im Chor.

»Also, f?r euch zum Mitschreiben: Odette und ich haben herausgefunden, dass Emilia entf?hrt worden ist. Sie ist gar nicht krank, sondern befindet sich in den F?ngen eines Verbrechers. Und dieser Zettel ist der Beweis. Der Erpresser schreibt, dass er L?segeld will. Deswegen habe ich den Brief auch mitgenommen. Denn das hier ist eine Nummer zu gross f?r uns. Auch wenn wir Muskeltiere sind – wir m?ssen Kira und ihren Freunden Bescheid sagen!«

»Und du irrst dich auch nicht?« Odette ist skeptisch. »Ich meine, da lagen doch ganz viele Zettel auf dem Tisch. Bist du sicher, dass du den richtigen erwischt hast?«

»Ja. Todsicher.«

»Warum? Du kannst doch nicht lesen.«

?h. Stimmt. Offiziell kann ich nicht lesen. Und ich glaube kaum, dass nun der richtige Zeitpunkt ist, Odette und den anderen zu erkl?ren, dass ich es n?mlich doch kann – und vor allem,warum. Die halten mich garantiert f?r komplett verr?ckt! Und dann bin ich sie bestimmt wieder los, meine neuen Freunde. Mist, was sage ich denn bloss?

»Ich, ?h, ich, also …«

»Duwas?«, bohrt Odette nach.

»Ich … habe es erschnuppert. Genau. Der Zettel riecht doch genauso wie der Mann, der ihn eben die ganze Zeit in den H?nden hielt. Dieser Zettel muss es einfach sein!« Ob sie das als Erkl?rung schluckt?

»Wow – du scheinst ja eine Nase wie ein Hund zu haben. Also, so empfindlich, nicht so lang, meine ich. Respekt!« Puh! Gerade noch mal gut gegangen! Odette schnuppert nun selbst an dem Zettel.

»Hm, ich finde, der riecht irgendwie ein bisschen nach … Tannengr?n.« Sie schnuppert noch einmal. »Genau. Der Zettel riecht wie ein Weihnachtsbaum.«

Wie ein Weihnachtsbaum. F?r den Bruchteil einer Sekunde f?hle ich mich an etwas erinnert, aber bevor mir einf?llt, woran, ist der Moment auch schon vorbei.

»Aber was willst du denn mit Kira? Die brauchen wir doch gar nicht«, mischt sich jetzt Spike ein. »Das ist genau die Chance, auf die wir Muskeltiere gewartet haben – ein echtes Abenteuer! Wir fangen den Entf?hrer, retten das M?dchen und sind Helden.«

»Ich glaube, du stellst dir das mit dem Heldentum ein bisschen einfach vor«, versuche ich, Spike von seinem Plan abzubringen. Immerhin weiss ich aus eigener Erfahrung, wie schwierig es in Wirklichkeit ist, einen Verbrecher zu fangen.

»Ach was!«, ruft Spike. »So schwer kann das nicht sein. Die Polizei macht das schliesslich jeden Tag – und du willst doch wohl nicht behaupten, dass Menschen kl?ger seien als Katzen.« Er schnaubt prustend. »Als N?chstes sagst du noch, Hunde k?nnten logisch denken!«

Jetzt lacht auch Karamell, der sich bisher fein rausgehalten hat. Na grossartig – sich erst nicht von der Mauer trauen und jetzt einen auf mutig machen!

»Also, Winston, wenn das nichts f?r vier gestandene Katzen ist, dann ist es erst recht nichts f?r kleine M?dchen. Wieso willst du es Kira dann zeigen?«

Eine berechtige Frage, die Karamell da stellt. Aber darauf habe ich nat?rlich eine gute Antwort. »Ganz einfach: Der Erpresser schreibt, dass Emilia nie wieder nach Hause kommt, wenn die Polizei sich einmischt. Also muss sich jemand anderes darum k?mmern. Und Kira, Pauli und Tom haben schon mal einen Kriminellen ?berf?hrt – den b?sen Exfreund von Kiras Mutter Anna. Er war ein Zigarettenschmugglerund wollte Anna erpressen. Ich weiss, dass sie es k?nnen. Ich war n?mlich selbst dabei und es war unglaublich aufregend.« Dass die Geschichte beinahe in die Hose gegangen w?re und uns am Ende Werner gerettet hat, verschweige ich mal lieber. Ich finde, es tut jetzt auch nichts zur Sache, denn am Ende haben wir dem Verbrecher ja das Handwerk gelegt.

»Du hast schon mal einen Verbrecher gejagt und gefangen?« Odette klingt beeindruckt und das gef?llt mir gut.

»Ja, zusammen mit den Kindern«, erwidere ich knapp, um nicht die ganze Geschichte erz?hlen zu m?ssen.

»Hm, vielleicht hast du recht und wir sollten Kira tats?chlich einweihen.«

»Pffffrrrrr!«, macht Spike, dem dieser Plan?berhaupt nicht gef?llt. »Einen Menschen einweihen! Das ist doch l?cherlich! Wir sprechen nicht dieselbe Sprache, wie soll das denn gehen?«

»Gegenfrage:«, erwidere ich spitz, »Ein ?bergewichtiger Kater, der nicht mal ?ber eine stinknormale Mauer kommt, und einer, dem vor lauter Angst die Knie schlottern, wollen einen Erpresser aufst?bern? Wie soll das denn gehen?«

Odette sch?ttelt den Kopf. »Jungs, nicht streiten! Erinnert euch lieber an die drei Muskeltiere! Die haben ihr Ziel nicht nur mit Kraft, sondern vor allem mit K?pfchen erreicht. Vielleicht ist es am besten, wenn wir zusammenarbeiten: die Kinder und die Muskeltiere. Wichtig ist doch, dass Emilia gerettet wird, und nicht, dass irgendjemand als Held dasteht.«

Wahrscheinlich hat sie recht. Einen Versuch ist es wert. Obwohl ich uns nach meiner heutigen Erfahrung mit Spike und Karamell von»die Muskeltiere« eher in »die Gurkentruppe« umbenennen w?rde.

Spike seufzt, offenbar ist er zu demselben Ergebnis gekommen:»Na gut. Arbeiten wir mit den Kindern zusammen. Obwohl ich mir momentan nicht vorstellen kann, dass Katzen und Menschen wirklich etwaszusammen machen k?nnen. Aber ich lasse mich nat?rlich gern vom Gegenteil ?berzeugen.«

Pah– Kater und Kinder sind geradezu ein ideales Team! Ich werde es dem fetten Spike beweisen!

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Wie ich sibirische Teigt?schchen probiere. Und schon wieder im M?ll lande.

Ein himmlischer Duft weht mir entgegen, kaum dass Kira die T?r aufschliesst und mich in die Wohnung tr?gt. Hm, lecker! Was mag das bloss sein? So etwas habe ich noch nie gerochen! Aber was auch immer es ist – ich muss es auf alle F?lle probieren!

Eigentlich wollte ich Kira als Erstes den Erpresserbrief zeigen, den ich in meinem Maul zusammengekn?llt mit mir herumschleppe. Nicht dass ich von dem Teil noch eine Kiefersperre bekomme! Jetzt aber meldet mir mein Bauch, dass ich RIESENHUNGER habe. Also erst mal das Wichtigste erledigen: fressen!

Ich strample mich von Kiras Arm, spucke den Zettel auf den Boden und will gerade Richtung K?che laufen, da greift Kira blitzschnell unter meinen Bauch und meine Vorderl?ufe und hebt mich wieder hoch.

»Stopp, stopp, stopp! Hiergeblieben, mein Freund! Du hast mir heute schon genug ?rger gemacht! Du solltest mit zum B?cker kommen, nicht stundenlang auf Wanderschaft gehen! Mama ist hier am Rotieren wegen Babuschka und ich konnte ihr nicht richtig helfen, weil ich mich auf die Suche nach dir machen musste.«

Wieso? Mich muss man doch nicht suchen! Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Ich h?re auf zu zappeln und maunze erstaunt.

Kira weiss gleich, was ich meine. »Keine Ausrede, Winston! Mama hatte Angst, dass du wieder in die erstbeste M?lltonne f?llst und dann die ganze Wohnung einsaust. Das hat mich jetzt echt ’ne geschlagene Stunde gekostet, dann habe ich aufgegeben. Purer Zufall, dass ich dich gerade durchs Fenster gesehen habe. Du kommst jetzt erst mal in mein Zimmer und da bleibst du, bis wir mit dem Mittagessen fertig sind.«

Hey, was soll das denn? Straflager, oder was? Ich gehe von Maunzen zu Fauchen?ber.

»Winston, jetzt stell dich nicht so an! Gleich kommen Mama und Werner mit Babuschka vom Bahnhof und ich habe versprochen, mich um die Pelmeni zu k?mmern. Ich habe keine Zeit, mich mit dir zu streiten!«

Ich fauche und strample noch mehr, bis mich Kira endlich wieder auf den Boden l?sst. Schnell schnappe ich mir den Erpresserbrief und wedele damit hin und her. Wenn ich schon nichts zu fressen bekomme, kann ich Kira wenigstens endlich von der Entf?hrung berichten.

»Igitt! Was ist das denn? Warst du tats?chlich schon wieder in einer M?lltonne?« Sie zieht mir den Brief aus dem Maul. »B?h, das ist ja schon ganz durchgeweicht. Voll eklig! Wenn Mama hier als Erstes wiedergek?ute Papierschnipsel im Flur findet, kriege ich richtig ?rger. Das schmeisse ich jetzt weg.«

HALT! Nein!!! Nicht wegschmeissen! Das ist doch WICHTIG!!! Ich springe an Kira hoch und versuche, nach dem Brief zu schnappen, aber keine Chance– sie h?lt ihn absichtlich so, dass ich nicht rankomme.

»Winston, warum bist du ausgerechnet heute so frech und ungezogen? Heute ist ein wichtiger Tag – wenn Babuschka nach so langer Zeit mal wieder kommt, wollen wir doch alle einen guten Eindruck machen. Und mitalle meine ich auch dich!«

Pah, das?berzeugt mich gar nicht! Ich kenne diese Babuschka ?berhaupt nicht und noch wichtiger: Ich bin ein Kater mit einer Mission! Warum merkt Kira das denn nicht? Noch einmal springe ich an ihr hoch und fauche, so laut ich kann.

Kira seufzt.»Na, du bist ja schr?g drauf heute. Also gut, komm mit mir in die K?che. Nicht dass du noch mein Zimmer verw?stest, wenn ich dich da einsperre.«

Sie geht zur K?che r?ber, den Zettel immer noch fest in der Hand. Mist! Wie komme ich da bloss wieder ran? Wenn wir noch Gedanken lesen k?nnten, w?re ja alles viel einfacher! So muss ich mir eben etwas anderes ?berlegen.

Missmutig trabe ich hinter Kira her. Meine Laune wird allerdings mit jedem Schritt, den wir der K?che n?her kommen, besser: Es riecht einfach k?stlich! Was das wohl ist? Und viel wichtiger: Ob ich auch etwas davon abbekomme?

»So, Winston«, sagt Kira, als wir in der K?che angekommen sind, »du gehst jetzt brav in dein K?rbchen und l?sst mich hier meine Arbeit machen. Die Pelmeni sind schnell fertig, ich muss noch Zwiebeln hacken und Butter zerlassen. Damit schmecken sie n?mlich am besten! Und jetzt erst mal weg mit dem M?ll!«

Sie?ffnet den Schrank unter der Sp?le, zieht den M?lleimer heraus und stopft den Erpresserbrief hinein. Hoffentlich bekomme ich den da noch raus – sonst war die ganze M?he umsonst und es wird mir ziemlich schwerfallen, Kira klarzumachen, was mit Emilia passiert ist. Aber solange Kira noch in derK?che ist, halte ich mich lieber von dem M?lleimer fern – auf noch mehr Gemecker habe ich gar keine Lust! Stattdessen versuche ich, einen Blick auf diese omin?senPelmeni zu erhaschen, und h?pfe mit einem Satz auf die Arbeitsplatte neben dem Herd. Interessiert recke ich den Hals.

»Riecht lecker, nicht?« Kira deutet meinen Blick ganz richtig. Sie hat einen Topf mit Wasser aufgesetzt und hebt mit einer Kelle ganz vorsichtig etwas in den Topf, was entfernt an Ravioli oder Tortellini erinnert, aber deutlich w?rziger riecht. »Pelmeni sind Teigtaschen mit Hackfleisch«, erkl?rt sie dann. »Ein russisches Nationalgericht, wir essen es immer an Festtagen oder wenn Besuch kommt. Ich kenne niemanden, der so leckere Pelmeni macht wie meine Mutter. Wobei – die von Babuschka schmecken wohl auch ziemlich gut, ich kann mich nur kaum noch daran erinnern. Das letzte Mal hat sieuns vor drei Jahren besucht, ich weiss gar nicht, ob sie damals Pelmeni f?r uns gekocht hat. Kannst gleich mal einen probieren. Wenn sie oben schwimmen, sind sie fertig.«

Neugierig komme ich n?her und werfe einen Blick in den Topf. Tats?chlich: In dem sprudelnden Wasser schwimmen die runden T?schchen herum, ein paar von ihnen auch schon ganz oben. Kira r?hrt derweil in einem kleineren Topf, das muss die zerlassene Butter sein. Hhhmmm! Ich sp?re, wie mir das Wasser im Maul zusammenl?uft. Kira nimmt eine Sch?ssel aus dem Regal und sch?pft die oberen Pelmeni hinein. Ob ich die fressen darf? Ich strecke den Kopf vor.

»Vorsicht, heiss!«, warnt Kira. »Du kannst gern einen haben, mehr aber auch nicht. Sonst gibt’s richtig ?rger mit Mama. Und mit mir. Also – R?ssel weg von der Sch?ssel!« Mit einer Gabel fischt sie eine Teigtasche heraus, pustet ein bisschen und legt sie dann in meinen Napf. Flugs springeich auf den Boden und schlinge sie hinunter. Was soll ich sagen: K?STLICH! Genau das Richtige f?r einen Samstagmittag – mehr davon! Ich maunze laut und vernehmlich.

»Winston, nicht betteln! Wenn etwas ?brig bleibt, bekommst du nat?rlich noch ein paar.« Sie fischt die restlichen Pelmeni aus dem kochenden Wasser und legt sie ebenfalls in die Sch?ssel, dann deckt sie das Ganze mit einem St?ck Alufolie ab.

»So, noch die Butter umf?llen …«

»Huhu! Wir sind wieder da!«, ruft in diesem Moment Annas Stimme durch den Flur. »Kira? Wo bist du?«

Kira nimmt den kleinen Topf mit der Butter vom Herd und wischt sich kurz die H?nde an der Hose ab.

»So! Babuschka ist da! Also benimm dich, Winston.« Dann saust sie aus der K?che und l?sst mich dort allein. Maunz! Die kommt bestimmt so schnell nicht wieder – das ist meine Chance, den Brief aus dem M?lleimer zu holen und in Sicherheit zu bringen. Ich trabe zur Sp?le und dr?cke mit der Schnauze fest gegen die Schrankt?r. Wenn ich es n?mlich richtig beobachtet habe, lassen sich die K?chenschr?nke durch Druck ?ffnen. Tats?chlich! Die T?r schwingt auf und gibt den Blick auf den M?lleimer frei. Ich stecke meinen Kopf in den Schrank und hebe mit dem Kopf den M?lleimerdeckel hoch. Hm. Auf den ersten Blick kann ich den Brief nicht sehen. Leider scheint Kira ihn ziemlich tief hineingesteckt zu haben.

Vorsichtig schiebe ich mit dem Maul ein Salatblatt zur Seite. Immer noch nichts. Okay, dann muss auch die leere Milcht?te weichen. Ich ziehe sie aus dem Eimer, leider f?llt mit ihr auch eine Bananenschale zu Boden, dann ein Eierkarton. Sehe ich da einen Zipfel des Briefes? Ich stecke meinen Kopf tiefer in den Eimer, mit einer Pfote fasse ich nach und hole dabei noch zwei alte Joghurtbecher und drei Eierschalen heraus. Da – ich kann den Zettel sehen! Noch schnell ein paar Kartoffelschalen und eine zerkn?llte Plastikt?te aus dem M?lleimer herausgepfl?ckt, dann einen Kaffeefilter, leider mit Inhalt, und endlich habe ich das Blatt Papier im Maul.

Vorsichtig lege ich den Zettel vor mir auf den Boden und betrachte ihn– er ist zwar mittlerweile ziemlich aufgeweicht, zum Gl?ck kann man die aufgeklebten Buchstaben aber noch gut lesen. Hipp, hipp, hurra! Jetzt muss ich nur noch ein sicheres Versteck f?r das Blatt finden, habe da aber schon eine Weltklasseidee. Ich nehme den Zettel ins Maul, springe auf die Arbeitsplatte und laufe Richtung Herd. Dort steht der Kasten, in dem Anna ihr Haushaltsbuch und alte Bons und Rechnungen aufbewahrt. Ein ideales Versteck, Anna rechnet n?mlich nur einmal pro Woche ab und hat das gestern erst gemacht. Vorsichtig schiebe ich den Zettel zwischen die anderen Papiere im Kasten. Perfekt! F?llt ?berhaupt nicht auf, und wenn Kira sp?ter mehr Zeit hat, zeige ich ihr, wie wichtig der angebliche M?ll ist.

Apropos M?ll: Um das Chaos auf dem K?chenfussboden muss ich mich ja auch noch k?mmern! Nicht dass Babuschka gleich den schlechtesten Eindruck von mir bekommt. Auf dem Weg vom Zettelkasten zum Ende der Arbeitsplatte komme ich an der Sch?ssel mit den warmen Pelmeni vorbei. Sie duften einfach verf?hrerisch! Und eigentlich habe ich immer noch wahnsinnigen Hunger. Ob ich nicht einfach …?Nein, Winston, ermahne ich mich selbst.R?um lieber schnell auf und dann husch ins K?rbchen. Bestimmt kommt Anna mit Babuschka irgendwann in die K?che!

Gut, das stimmt nat?rlich. Allerdings knurrt mein Magen gerade ganz schlimm und allein der Gedanke an das leckere Pelmeni, das ich eben schon fressen durfte, macht mich ganz m?rbe. Ich meine – wenn ich eins fressen durfte, kann doch eigentlich niemand etwas gegen ein zweites haben, oder? Und wenn ich gaaanz vorsichtig die Alufolie zur Seite ziehe und nur ein winzig kleines herausnehme? Das merkt doch niemand!

Gedacht, getan: Ich mache mich an der Folie zu schaffen und angle mit meiner Pfote sehr geschickt ein Teigt?schchen aus der Sch?ssel. Schnapp! Schon habe ich es verspeist. Einfach HIMMLISCH! Und es sind ja immer noch genug Pelmeni in der Sch?ssel. Ich k?nnte doch glatt noch eines …

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Als die T?r zur K?che aufgerissen wird, habe ich schon fast die ganze Sch?ssel leer gefressen. Mit einem spitzen Schrei st?rzt Anna auf mich zu. »WINSTON!!! Du b?ser, b?ser Kater!«

Erschrocken will ich zur Seite springen, aber mein Bauch ist so vollgestopft mit Teig und Hackfleisch, dass ich kaum vom Fleck komme. Anna packt mich am Nacken und zerrt mich von der Platte. Aua! Das mag ich gar nicht! So tr?gt man keinen ausgewachsenen Kater!

Aber das scheint Anna gerade v?llig egal zu sein. W?hrend sie mich immer noch am Nacken festh?lt, setzt sie mich unsanft auf den Boden vor dem M?lleimer. »Und was ist das? Hm!? WAS IST DAS???« Ihre Stimme bebt vor Zorn. Nicht gut. Gar nicht gut! Jetzt sch?ttelt mich Anna auch noch, maunz!

Okay, ich muss zugeben: Auf den ersten Blick sieht es aus, als h?tte eine Katze auf der Suche nach Fressen im M?lleimer gew?hlt. Aber das t?uscht nat?rlich. Denn in Wirklichkeit hat hier eine Katze ?usserst heldenhaft die Vernichtung wichtigen Beweismaterials verhindert! Nur: Wie mache ich das Anna klar? Im Moment ist sie n?mlich so w?tend, dass ich f?rchte, gleich durch den Fleischwolf gedreht zu werden. Ich kann zwar verstehen, dass sie nicht besonders erfreut ?ber das Gesamtbild, also plus M?ll und minus Pelmeni, ist. Aber – bei meinem Kratzbaum – ist das ein Grund, gleich so auszurasten? Immerhin geh?re ich doch zur Familie und f?r mich hat Anna noch nie so etwas Leckeres gekocht. Ist also nur gerecht, wenn ich jetzt mal ein bisschen mehr bekommen habe als die anderen. Ich jaule beleidigt auf und versuche, mich aus Annas Klammergriff zu befreien.

Die»anderen«, sprich Werner, Kira und eine ?ltere Dame, also vermutlich Babuschka, stehen ?brigens hinter Anna im T?rrahmen. Als Kater bin ich zwar kein Meister im Beurteilen von Farben, aber ich w?rde sagen, Babuschka hat ein ziemlich buntes Kleid an, das an einigen Stellen glitzert. Ihre Haarehat sie zu einer Art Turm aufgeh?uft – eine sehr interessante Frisur! Dabei ist Babuschka dunkelhaarig, nicht blond wie Anna und Kira. Ihre Augen sind schwarz umrandet, fast genau wie die von Pauli, was ihrem Blick etwas sehr Dramatisches gibt. Alles in allem ist sie rein ?usserlich das komplette Gegenteil von Werners Mutter, Frau Hagedorn. Bemerkenswert, wie unterschiedlich ?ltere Damen aussehen k?nnen!

Keiner von den dreien sagt?brigens ein Wort, alle starren auf das Naturschauspiel, das sich ihnen hier gerade bietet: Frau gegen Kater. Leider gerade mit leichten Vorteilen f?r die Frau.

Schliesslich r?uspert sich Werner. »Winston – was in aller Welt hast du hier angestellt? Du bist doch sonst nicht so ein ungezogener Kater!« Er wendet sich an die ?ltere Dame: »Also, ich bin wirklich erstaunt: So etwas hat er noch nie gemacht.«

Die Angesprochene holt nur tief Luft. Dann schweigt sie. Vielsagend, wie ich glaube.

Jetzt dr?ngelt sich Kira an Werner und Babuschka vorbei und kniet sich neben mich auf den Boden, genau zwischen die leeren Joghurtbecher und Kartoffelschalen.

»Lass ihn los, Mama! Du tust ihm weh!« Oha! Kira kann ja genauso gut fauchen wie ich – das gef?llt mir! Sofort zur Stelle, wenn ein Freund in Not ist. Anna guckt ihre Tochter streng an.

»Kira, du siehst doch, was f?r eine Schweinerei das Viech hier angerichtet hat! Strafe muss sein!« Sie packt noch ein bisschen fester zu und sch?ttelt mich wieder, ich maunze laut.

Kira springt auf und schnappt emp?rt nach Luft. Dann schreit sie ihre Mutter an: »Das ist kein Viech, das ist Winston! Und du bist eine Tierqu?lerin! LASS WINSTON SOFORT LOS!«

Verdutzt lockert Anna jetzt tats?chlich ihren Griff, ich nutze die Chance, winde mich heraus und springe sofort in die rettenden Arme von Kira.

Einen Moment lang sagt keiner ein Wort. Dann h?re ich zum ersten Mal Babuschkas Stimme. Ganz tief und ruhig. Und mit rollendem R, genau wie Anna.

»Eins sehe ich gleich: Hier wird dringend Erziehung gebraucht. F?r beide. F?r Kind. Und f?r Kater.«

Bitte? Was meint sie denn damit? L?uft doch alles bestens hier!

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Russische M?tter, gute Erziehung und seltsame Fragen.

Das Gute am gemeinsamen Stubenarrest ist, dass man nicht allein irgendwo eingesperrt wird. Das Schlechte daran ist, dass man ihn?berhaupt aufgebrummt bekommen hat. Kira und ich sitzen auf dem Bett in ihrem Zimmer und erz?hlen uns gegenseitig, wie ungerecht die Welt ist. Also, genau genommen erz?hlt sie mir, wie ungerecht die Welt ist, aber ich bin nat?rlich vollkommen ihrer Meinung.

»Weisst du, Winston, es geht immer nur darum, was Mama will. Wie ich mich dabei f?hle, interessiert sie ?berhaupt nicht. Hauptsache, ich bin gut in der Schule und mache keinen ?rger. Ich soll einfach funktionieren, und basta.« Kira schluchzt und jetzt rollt auch noch eine dicke Tr?ne ?ber ihre Wange. Entweder, sie ist gerade sehr traurig oder sehr w?tend. Vielleicht auch eine Mischung aus beidem. Ich kuschele mich ganz dicht an sie, um sie zu tr?sten.

»War doch eben auch wieder typisch: Ich habe ihr den ganzen Vormittag geholfen. Und dann geht nur eine Sache schief – und zack: Katastrophe! Am meisten hat sich Mama garantiert dar?ber aufgeregt, dass Babuschka mich f?r schlecht erzogen h?lt. Das kratzt nat?rlich an ihrem Image als Supermutter.«

Ob Kira damit recht hat? Tats?chlich ist Anna eben richtig laut geworden. Also, noch lauter als in dem Moment, in dem sie mich in der Pelmeni-Sch?ssel entdeckt hat. Dann hat sie sich Kira geschnappt und in ihr Zimmer verfrachtet – und mich gleich mit.Und du kommst erst wieder raus, wenn dir eingefallen ist, wie man sich seiner Mutter gegen?ber benimmt, und dich entschuldigst!, hat sie geschrien und dann die T?r zugeknallt. Tja, und jetzt sitzen wir hier schon eine ganze Weile.

»Wenn die glaubt, ich gehe gleich zu ihr und entschuldige mich, dann hat sie sich geschnitten!«, erkl?rt mir Kira trotzig. »Lieber bleibe ich das ganze Wochenende in meinem Zimmer! Dann sehe ich Babuschka eben nicht. Ist auch egal, die kennt mich doch kaum noch und ich sie erst recht nicht! Denen werde ich jetzt mal zeigen, dass man nicht alles mit mir machen kann!«

Jawoll! Das ist die richtige Einstellung! Obwohl: Ich f?rchte, Kira hat nichts Essbares in ihrem Zimmer. Gut, mein Bauch ist immer noch vollgestopft mit sibirischen Hackb?llchen, aber irgendwann sind auch die verdaut. Dann br?uchte ich dringend Nachschub und m?sste doch mal … aber nat?rlich verbiete ich mir, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Kira hat mir beigestanden, also stehe ich ihr bei. Auch wenn das bedeutet, dass ich Hunger leiden werde, maunz! Ausserdem habe ich doch ein bisschen Angst, dass mich Anna vierteilt, wenn ich ihr noch mal unter die Augen komme.

»Mit unserem Umzug nach Deutschland war es ?brigens genau das Gleiche«, schluchzt Kira jetzt. »Ich w?re lieber in Omsk geblieben. Dort hatte ich alle meine Freunde und f?hlte mich wohl. Ich konnte nicht mal Deutsch, als wir nach Hamburg kamen. Aber Mama war das egal – sie hat gesagt, dass Deutschland eine Riesenchance f?r uns ist, um die uns alle beneiden. Selbst dass Babuschka nicht mitkommen wollte, hat sie nicht gest?rt. Sie hat es eben einfach allein entschieden. Schluss. Aus. Basta. Eltern k?nnen so ?tzend sein!« Kira schnieft emp?rt in ein Taschentuch, das sie aus ihrer Hose gekramt hat.

Ich kann sie verstehen. Als Haustier kenne ich das Gef?hl, von den Entscheidungen eines anderen abh?ngig zu sein. Sch?n ist das nicht! Und Ver?nderungen hasse ich ja eigentlich auch. Obwohl ich zugeben muss, dass Ver?nderungen mein Leben in letzter Zeit sehr spannend gemacht haben. Und ich hoffe doch sehr, dass auch Kira mittlerweile gern in Hamburg wohnt. Schliesslich h?tte sie Tom und Pauli sonst nicht kennengelernt. Und vor allem:Wir w?ren uns nie begegnet!

»Auf alle F?lle werde ich Mama nicht erz?hlen, dass ich doch noch die Hauptrolle im Musical bekomme, falls Emilia tats?chlich l?nger krank bleibt. Da hat Mama dann eben Pech gehabt. So etwas interessiert sie ja doch nur, weil sie dann mit mir angeben kann!«

Emilia! Die h?tte ich ?ber das Pelmeni-Drama ja fast vergessen! Mist, ich muss Kira unbedingt noch den Zettel zeigen! Die arme Emilia sitzt wahrscheinlich v?llig ver?ngstigt in einem dunklen Verlies und hat niemanden, der sie da rausholt. Denn noch warten meine restlichen Muskeltierkollegen darauf, dass ichKira und ihren Freunden Bescheid sage. Nur: Wie komme ich jetzt an den Zettel?

Ich beschliesse, einen Trick anzuwenden:Kater muss aufs Katzenklo. Da dieses in der K?che steht, muss mich Kira wohl oder ?bel aus ihrem Zimmer lassen, wenn sie ein Ungl?ck auf ihrem sch?nen Flauschteppich vermeiden will! Ich h?pfe also vom Bett und beginne, unruhig auf und ab zu laufen und zu maunzen. Als Kira mir nachschaut, laufe ich zur T?r und kratze mit meiner Pfote an selbiger.

»Winston, willst du raus?« Sie seufzt. »Du hast doch geh?rt, was meine Mutter gesagt hat: Wir sollen uns erst mal nicht mehr draussen blicken lassen. Bleib also besser bei mir, sonst kriegst du noch mehr ?rger.« Gut, die Aussicht auf ?rger ist nat?rlich nicht besonders verlockend, aber ein Kater muss tun, was ein Kater tun muss. Erst recht, wenn er ein Muskeltier ist!

Ich maunze also noch lauter, jammere regelrecht und kratze weiter an der T?r.

»Musst du mal auf dein Katzenklo?«

Schlaues Kind! Los, nun mach schon die T?r auf! Tats?chlich rappelt sich Kira von ihrem Bett hoch und kommt zu mir. Sie ?ffnet die T?r einen Spalt und lugt vorsichtig auf den Flur. »Okay, die Luft ist rein! Aber sei bloss vorsichtig!«

Klaro! Ich sause los. Die K?chent?r ist nur angelehnt, ich bremse und horche kurz – die K?che scheint leer zu sein. Ausgezeichnet! Schnell schiebe ich mich durch den T?rspalt, h?pfe auf die mittlerweile blitzblank gewischte Arbeitsplatte und st?rze mich auf den Zettelkasten. Irgendetwas klappert auf dem Flur, vielleicht die Wohnzimmert?r? Ich zucke zusammen und ducke mich hinter den Kasten, was im Grunde genommen Quatsch ist, da ich deutlich gr?sser bin.

Schritte kommen n?her, mein Herz f?ngt an zu rasen. Wenn mich Anna oder Babuschka noch mal in der K?che erwischen, komme ich bestimmt ins Tierheim. Dann kann mich nicht mal mehr Werner retten!

Aber die Schritte gehen an der K?che vorbei, offenbar zum G?stebad. Puh, das war knapp! Ich fische den Erpresserbrief aus dem Kasten, springe auf den Boden und sprinte wieder in Kiras Zimmer. Dort angekommen, lege ich den Zettel mitten auf ihren Flauschteppich. So! Hier kann sie ihn nicht mehr ?bersehen. Ich setze mich danebenund maunze laut.Schau her, Kind!

Tats?chlich steht Kira auf und kommt zu mir. Schnell deute ich mit meiner Vorderpfote auf den Zettel. Nicht dass sie ihn wieder wegschmeisst!

»Hey, willst du mir etwas zeigen?« Sie b?ckt sich und hebt den Zettel auf. Dann beginnt sie zu lesen.

»Was ist Euch Euer T?chterlein wert? Ich erh?he den Preis: 2 Millionen Euro L?segeld. Und keine Polizei. Das war meine Bedingung – aber Ihr habt Euch nicht daran gehalten. Ich habe die Bullen gesehen. Schluss damit! Sonst seht Ihr Emilia nicht wieder. Das ist kein Spiel!!!«

Kira schnappt nach Luft.»Winston – woher hast du das? Das ist ein Erpresserbrief!«

Sie l?sst den Brief sinken. Ich versuche, mit meiner Pfote auf den Namen Emilia zu zeigen. Klappt nicht wirklich, Kira hebt hilflos die H?nde. Sie versteht nicht, was ich ihr zeigen will. Mist! Es w?re alles viel leichter, wenn Kira noch meine Gedanken lesen k?nnte. Immerhin kommt sie nun auf die Idee, den Zettel wieder auf den Teppich zu legen. Ich zeige mit meiner Pfote auf den NamenEmilia.

»Kannst du etwa noch lesen, Winston?«

Ich miaue laut und hoffentlich verst?ndlich einJa.

»Du zeigst auf Emilia, oder? Du hast den Zettel von Emilia? Also ist es wahr? Emilia ist entf?hrt worden?«

Miau, miau, MIAU!

»Aber das ist ja furchtbar! Deswegen war sie nicht mehr bei der Probe! Wie bist du bloss an diesen Zettel rangekommen? Hast du den mitgenommen, als wir in Emilias Haus waren?«

Ich?berlege kurz, wie gut ich Kira wohl die ganze Geschichte von meinem Abenteuerausflug mit Odette, Spike und Karamell mit Geb?rdensprache erkl?ren kann. V?llig klar: Nicht so richtig gut. Also miaue ich einfach. Ist doch letztlich auch egal, wie und wann genau ich an den Zettel gekommen bin.

Kira schl?gt die Hand vor den Mund. »Also ist es wahr! Der Zettel stammt wirklich aus Emilias Haus! Ich muss sofort Tom und Pauli Bescheid sagen!« Sie holt ihr Handy aus der Schultasche, die neben ihrem Schreibtisch lehnt, dann w?hlt sie.

»Hallo, Tom? Hier Kira! Ich habe etwas Schlimmes ?ber Emilia herausgefunden. Sie ist gar nicht krank. Sie wurde entf?hrt.« Tom scheint etwas zu sagen, jedenfalls horcht Kira in ihr Handy. »Doch, doch, ich bin mir ganz sicher. Winston hat mir gerade den Brief des Entf?hrers gezeigt.« Ich kannh?ren, dass Tom etwas brabbelt. Oder lacht er sogar? »Tom«, erwidert Kira nun vorwurfsvoll, »das ist kein Spass! Und du weisst genau, wie schlau Winston ist. Die Lage ist ernst! Wir m?ssen uns treffen – rufst du Pauli an und kommst dann mit ihr zu mir?« Sie h?rt sich Toms Antwort an. Es scheint ein Problem zu geben, jedenfalls verzieht Kira das Gesicht. »Ja, ich weiss, dass tolles Wetter ist. Eisdiele geht trotzdem nicht. Ich kann hier nicht weg. Ihr m?sst zu mir. Ich … ?h … ich kann momentan mein Zimmer nicht verlassen.«

Das scheint Tom erkl?rungsbed?rftig zu finden, jedenfalls holt Kira Luft und schickt dann noch ein paar S?tze hinterher. »Ich habe gerade totalen Stress mit meiner Mutter. Sie sagt, ich darf erst raus, wenn ich mich bei ihr entschuldigt habe. Aber das mache ich auf keinen Fall, und wenn ich hier drei Jahre sitzen bleibe. Denn ich bin gar nicht schuld.«

Wieder Gebrabbel.

»Okay, dann ruf mich an, wenn du Pauli erreicht hast. Tsch?ss, Tom!« Sie beendet den Anruf, legt ihr Handy auf ihren kleinen Schreibtisch und setzt sich wieder aufs Bett. Ich springe zu ihr hoch, um ein paar Streicheleinheiten abzugreifen. Funktioniert immer!

»Mann, Winston, was machen wir denn nun? Und gerade jetzt sitze ich hier fest – das ist doch wirklich ?tzend! Oder soll ich mich doch entschuldigen?« Sie seufzt. »Aber eigentlich will ich das nicht.«

Es klopft an der T?r.

»Ja?«

»Kira, ich bin’s, Werner. Darf ich reinkommen?«

Kira z?gert, ruft dann aber: »Von mir aus. Kommen Sie rein.«

Die T?r ?ffnet sich und Werner steht im Zimmer. Er schaut etwas verlegen, dann zieht er den Schreibtischstuhl Richtung Bett und setzt sich zu uns.

»Was gibt’s?« Kira klingt ziemlich trotzig und Werner seufzt.

»Weisst du, ich f?hle mich nat?rlich ziemlich schlecht, weil mein ungezogener Kater so einen Schlamassel verursacht hat.« Was? Meint der etwa mich? Der ist doch mein Herrchen, der kann mir doch nicht einfach so in den R?cken fallen!

Kira sagt nichts, sondern zieht einen Flunsch.

Davon l?sst sich Werner allerdings nicht beirren. »Tja, und weil das so ist, w?rde ich mich gern als Friedensstifter bet?tigen«, f?hrt er fort. »Deine Mutter ist n?mlich gerade ungef?hr genauso ungl?cklich wie du. Wenn aber zwei von zwei meiner Mitbewohnerinnen so traurig sind, mit anderen Worten: hundert Prozent –, dann gef?llt mir das nat?rlich gar nicht. Also – was kann ich tun?«

Schweigen. Dann zuckt Kira mit den Schultern.»Weiss nicht. Nichts, glaube ich.«

»Na, ich k?nnte quasi Parlament?r sein.«

Jetzt macht Kira grosse Augen und ich gleich mit. Parlawas?

»Was ’n das?«, will Kira wissen.

Werner grinst.»Ein Parlament?r ist ein Unterh?ndler zwischen L?ndern oder Menschen, die gegeneinander Krieg f?hren. Er vermittelt also zwischen Leuten, die am liebsten aufeinander schiessen w?rden. Und das kommt mir bei euch beiden gerade so vor.«

Menschen, die Krieg f?hren– klingt ein bisschen ?bertrieben, aber leider nur ein bisschen. Vielleicht w?re es wirklich nicht schlecht, wenn Werner zwischen Anna und Kira vermitteln w?rde. Sonst sitzen wir n?chste Woche immer noch hier und Kira kann uns Muskeltieren nicht dabei helfen, Emilia zu befreien. Und dass Odette und ich das nur mit Unterst?tzung von Spike und Karamell schaffen, wage ich zu bezweifeln! Also, Werner, lass h?ren!

»Ich bin ja verglichen mit dir schon steinalt«, meint Werner, »aber trotzdem kann mich meine Mutter richtig nerven. Etwa, wenn sie stundenlang ?ber die schlechte Zeit nach dem Krieg erz?hlt und wie gut ich es immer hatte. Oder wenn sie mir heute noch einsch?rft, mich gut zu benehmen, wenn ihre Bridge-Damen kommen. Da kann man nichts machen – M?tter sind eben so. In deinem Alter habe ich mich dar?ber noch tierisch aufgeregt und versucht, sie zu ?ndern. Zwecklos. Du kannst einen Menschen nicht ?ndern. Schon gar nicht deine Mutter.«

Werner l?chelt schief, Kira sieht noch nicht sonderlich ?berzeugt aus. Er unternimmt einen neuen Anlauf.

»Versuche, dir selbst zu sagen, dass sie es nicht macht, obwohl sie dich liebt – sondernweil sie dich liebt.«

Deutliches Schnauben direkt neben mir.»Nee, das kann ich mir nicht sagen – das stimmt n?mlich nicht. Mama braucht einfach jemanden, bei dem es immer rundl?uft. Ich soll gute Noten schreiben, mich benehmen, fr?hlich sein – dann ist alles gut. Aber sobald es bei mir mal schwierig wird, ist Schluss mit lustig. Sie wollte vor Babuschka gut aussehen, und als das nicht geklappt hat, ist sie ausgeflippt.«

Werner legt nachdenklich den Kopf schief.»Aber ist das denn so schwer zu verstehen? Guck mal, Anna sieht ihre Mutter nur ganz selten. Und vielleicht hat sie immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ihr Russland damals ohne sie verlassen habt. Nun will sie ihr beweisen, dass es die richtige Entscheidung war und hier alles bestens ist. Da regt sie dann so ein … ?h … Zwischenfall ziemlich auf. Deine Oma scheint ja sehr grossen Wert auf gute Erziehung zu legen. Wahrscheinlich ist die Kindererziehung in Russland strenger.«

Noch lauteres Schnauben.»Aber ich BIN gut erzogen! Ich bin nur keine Puppe, sondern habe auch einen eigenen Kopf! Und dass Mama sich so auf den armen Winston gest?rzt hat, fand ich nicht in Ordnung. Winston ist mein bester Freund!«

Miau, das geht runter wie?l! Bester Freund – genau so ist es! Ich w?rde mich auch jederzeit sch?tzend vor Kira werfen.

Werner seufzt.»Nat?rlich bist du gut erzogen. Ich verstehe dich vollkommen. Aber deine Mutter verstehe ich eben auch. Und ich m?chte, dass ihr euch wieder vertragt. Komm doch bitte mit ins Esszimmer und setz dich zu uns. Ich verspreche dir, dass sich deine Mutter dar?ber freuen wird. Es tut ihr doch selbst schon leid, dass sie dich eben auf dein Zimmer geschickt hat.«

Kira?berlegt einen Moment. »Na gut. Ich komme raus. Aber nur, wenn Sie mir eine Frage ehrlich beantworten.«

Werner nickt.»Gut. Welche denn?«

»M?gen Sie meine Mutter eigentlich gern?«

H?? Wie kommt sie denn jetzt darauf? Versteh ich nicht. Menschen sind einfach seltsam! Und obwohl es eine Farbe ist, die ich als Kater nur schlecht erkennen kann, sehe ich eines sofort: Werner wird rot!

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Warum Katzen keine Erziehung brauchen. Und Agenten kein Spaghettieis.

»Kater ist noch jung?« So, wie BabuschkaKater ausspricht, klingt es eher wieKaterrrrr mit ziemlich vielen Rs am Ende. Sie be?ugt mich misstrauisch und ich habe das Gef?hl, dass sie mit der Frage nach meinem Alter irgendetwas Unfreundliches sagen will. P?h! Da stehe ich doch dr?ber. Oder besser: liege ich dr?ber. Ich habe mich n?mlich unter dem Esstisch zusammengerollt, an dem sich nun endlich – endlich! – alleversammelt haben. Werner r?uspert sich.

»Na ja, was heisst schon jung? Mitteljung, w?rde ich sagen. Kein K?tzchen mehr, aber auch noch nicht alt.«

»Dann hat Erziehung noch Sinn. Vielleicht sollte ich mich um Erziehung k?mmern. Kann ich sehr gut. Habe ich schon viele Hunde erzogen.«

FAUCH! Hunde? Heilige?lsardine – diese Frau vergleicht ernsthaft Hunde mit Katzen? Und was heisst hier ?berhaupt Erziehung? Ich bin doch kein Menschenkind. Ich bin eine Katze. Verstanden? Eine K-A-T-Z-E. Man kann mich lieben, man kann mich doof finden, aber man kann mich nicht erziehen. Das w?re ja auch noch sch?ner, wenn mir ein Mensch beibringen wollte, wie ich mich zu benehmen habe. Maunz! Das ist eben der Unterschied zum Hund: Ich bin eine eigenst?ndige Pers?nlichkeit, da gibt’s nichts zu erziehen. Los, Werner! Sag’s ihr!

»?hem, ja, Frau Kovalenko, das ist wirklich ein sehr nettes Angebot von Ihnen. Da komm ich gern mal drauf zur?ck. Ein bisschen bessere Manieren k?nnten Winston nicht schaden.«

»Warum heisst Winston?« Babuschka klingt so, als d?rften Katzen ihrer Meinung nach nur Miezi oder Blacky heissen.

»Nun ja – Winston ist ein sehr edler Rassekater, und zwar Britisch Kurzhaar. Deshalb Winston. Winston Churchill. Wie der britische Premierminister.«

»Aha.« Babuschka sagt nichts mehr dazu, aber allein diesem kleinenAha kann man deutlich entnehmen, dass sie diesen Namen f?r einen Kerl wie mich reichlich ?berkandidelt findet. Maunz! Langsam verstehe ich, warum Anna ihre Mutter einfach in Russland hat sitzen lassen.

»Mama, kann ich mich nach dem Essen mit Tom und Pauli treffen? Wir m?ssen noch etwas Wichtiges f?r die Schule erledigen.« Kira klingt zuckers?ss. Kaum zu glauben, dass sie ihrer Mutter vor einer halben Stunde noch die Pest an den Hals gew?nscht hat. Dann folgte allerdings eine filmreife Vers?hnung der beiden mit Umarmung, Aussprache und allem Pipapo, w?hrend Werner in der K?che den Gefrierschrank nach einer brauchbaren Alternative zu den nicht mehr vorhandenen Pelmeni durchforstete. Und so sind jetzt alle wieder gl?cklich vereint und essen Fischst?bchen mit Ketchup. Also, fast allesind gl?cklich. Bei Babuschka bin ich mir da nicht so sicher. Wenn die Dame Katzen gerne wie Hunde dressieren w?rde, ist sie sicher auch der Meinung, dass man M?dchen wie Kira ruhig mal zwei Tage bei Wasser und Brot einsperren sollte.

»Mit Tom und Pauli treffen? Darfst du, Schatz. Gr?ss die beiden von mir!«

H?llochen, Pop?chen! Auch Anna klingt ganz kuschelig. Man kann ?ber meinen Werner sagen, was man will – aber als Parlament?r – oder wie das heisst – ist er einfach Eins-a-Spitzenklasse! Die Vers?hnung zwischen Anna und Kira hat er super hinbekommen. Ich wette, der kriegt auch eine harte Nuss wie Babuschka weichgesp?lt.

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»Hi, Kira!«, begr?sst uns Tom wenig sp?ter in der Eisdiele. »Das ist ja toll, dass wir uns jetzt doch hier treffen k?nnen. Pauli ist auch gleich da. Ich besorg schon mal Spaghettieis f?r alle und f?r Winston einmal Geschmacksrichtung Hering, oder?«

Kira sch?ttelt den Kopf. »Nee, bleib mal hier. Ich muss dir unbedingt den Brief zeigen, die Lage ist verdammt ernst!«

»So ernst, dass nicht mal Zeit f?r ein Spaghettieis ist?« Tom grinst. Mir scheint, er glaubt nicht recht an die Entf?hrung. Oder ist er am Ende gar froh, dass jemand Emilia entf?hrt hat? Immerhin geh?rt sie zu Leonies Ziegenclub. So richtig vermissen w?rde er sie vermutlich nicht. Ich kann ihn verstehen! Und die Idee mit dem Heringeis f?r mich ist nat?rlich Weltklasse!

»Jetzt h?r mal auf mit den Witzen und deinem bl?den Spaghettieis! Ich glaube, Emilia ist wirklich entf?hrt worden, und auch wenn sie eine doofe Kuh ist, muss man ihr doch trotzdem helfen, oder? Schon allein, weil es wichtig ist, das Richtige zu tun.«

Das Richtige tun? Hey, das habe ich doch schon mal geh?rt! Odette hat es gesagt, als ich Karamell erst nicht helfen wollte. Offenbar sind sich Kira und Odette in gewisser Weise sehr ?hnlich – kein Wunder, dass ich beide so gern mag.

Kira zieht den Erpresserbrief aus ihrer Tasche, legt ihn auf den kleinen Tisch zwischen sich und Tom und streicht ihn glatt.»Hier. Den hat Winston aus Emilias Haus rausgeschmuggelt.«

Tom liest kurz, dann pfeift er.»Mannomann! Ist ja echt krass! Klar, ich mag Emilia nicht, aber das ist nat?rlich trotzdem schlimm! Jetzt will ich auch kein Spaghettieis mehr.«

»Was ist schlimm?« Pauli ist angekommen und setzt sich zu Kira und Tom.

Tom deutet auf den Brief.»Lies selbst!«

Pauli nimmt den Zettel und?berfliegt ihn. »Alter Verwalter! Ist der Brief echt?«

Kira nickt.»Ich glaube schon. Winston hat ihn aus der Villa mitgebracht. Nat?rlich weiss ich nicht genau, wo er ihn da gefunden hat. Aber findet ihr nicht auch, dass das alles erkl?ren w?rde? Emilias pl?tzliches Fehlen bei der Probe? Das seltsame Verhalten ihrer Mutter?«

»Hm«, Pauli legt den Kopf schief, »du hast recht: Das w?rde so einiges erkl?ren. Aber: Was haben wir damit zu tun? Wenn ein Kind entf?hrt wird, k?mmert sich doch die Polizei darum. Das sind Profis, lass die mal machen!«

»Hast du das denn nicht gelesen?« Kira nimmt Pauli den Zettel aus der Hand und wedelt aufgeregt damit hin und her. »Hier steht doch: Keine Polizei! Sonst kommt Emilia nie wieder!«

»Ach, Quatsch.« Pauli lacht. »Das schreiben die doch immer. Das ist gewissermassen ein Standard-Erpresserbrief. Mach dir keine Sorgen um Emilia. Es ist bestimmt so, wie wir schon mal gesagt haben: Unkraut vergeht nicht. Den Rest macht die Polizei.«

Tom r?uspert sich. »Also, ich weiss nicht. Ich finde:Keine Polizei. Das war meine Bedingung– aber Ihr habt Euch nicht daran gehalten. Ich habe die Bullen gesehen. Schluss damit!, klingt?berhaupt nicht nach einem Erpresser-Standardbrief. Sondern so, als h?tte die Polizei schon nach Emilia gesucht und der Erpresser h?tte es gemerkt.«

»Das sind doch bloss Vermutungen. Genauso wie der ganze Zettel. Ist ja sch?n, dass Winston den angeschleppt hat. Aber ob der wirklich echt ist? Wer weiss, wo er den herhat.«

»Na, habe ich doch gesagt«, erkl?rt Kira, »aus Emilias Haus.«

Pauli zuckt mit den Schultern.»Wie kannst du da so sicher sein?«

»Winston hat es mir gesagt. ?hm, also, so in der Art jedenfalls.«

Pauli grinst.»So was in der Art. Nee, schon klar.« Sie f?ngt an zu kichern. Seltsam, ich w?sste eigentlich nicht, was daran so lustig w?re!

»Wenn Winston eine ganz normale Katze w?re, w?rde ich jetzt auch lachen«, mischt sich Tom ein, »aber wir wissen ja, dass es nicht so ist.« Stimmt. Tom und Pauli haben die gesamte K?rpertausch-Aktion ja hautnah miterlebt. Ohne die beiden h?tte der R?cktausch gar nicht geklappt. Pauli m?sste also in der Tat wissen, was f?r ein besonderer Kater ich bin. Und dass ich auch einen ganz besonderen Draht zu Kira habe!

Pauli seufzt und lenkt ein.»Klar, weiss ich ja. Trotzdem: Eine Entf?hrung ist ein echtes Verbrechen. Dagegen war der Zigarettenschmuggel von Vadim direkt harmlos. Ich weiss nicht, ob es eine gute Idee ist, sich da einzumischen.«

»Ich hab’s!«, ruft Kira. Die Freunde mustern sie interessiert. »Wir gehen mit dem Brief zu Emilias Eltern und fragen sie nach der Entf?hrung. Die k?nnen uns doch sagen, was die Polizei schon gemacht hat und wie wir vielleicht helfen k?nnten.«

Tom zieht die Augenbrauen zusammen.»Emilias Eltern fragen? Die werfen uns doch achtkantig aus dem Haus, wenn wir da als Hobbydetektive ankommen. Meiner Erfahrung nach lassen sich Erwachsene von Kindern ungern helfen, wenn es ernst wird.«

»Normalerweise bestimmt – aber ihr habt doch gesehen, wie fertig Emilias Mutter aussah. Und die Polizei hat es offenbar bis jetzt nicht geregelt bekommen. Vielleicht sind Emilias Eltern also froh, wenn wir unsere Hilfe anbieten.«

Stimmt. Was Kira da sagt, klingt gar nicht so abwegig.

Pauli seufzt.»Na gut. Einen Versuch ist es wert. Und wenn der Erpresserbrief echt ist, m?ssen wir ihn sowieso schleunigst zur?ckbringen. Dann vermisst ihn die Polizei bestimmt schon. So von wegen kriminaltechnischer Untersuchung und so.«

Kriminaltechnische Untersuchung? Was soll das nun wieder sein? Ich fand meine Idee, das Ding mitzunehmen, super! Die Polizei hatte ihn ja schon gelesen, die braucht ihn doch gar nicht mehr!

Kira l?chelt. »Dann sind wir uns also einig: Wir werden wieder zu Agenten! Schlagt ein!« Sie h?lt ihre rechte Hand ?ber den Tisch, Tom und Pauli legen ihre H?nde dr?ber.

»Genau! Ab sofort sind wir wieder die drei Agenten!«, ruft Pauli.

Alles sch?n und gut – aber wieso drei? K?nnen die nicht z?hlen? Ich maunze emp?rt.

»Oh, entschuldige, Winston«, meint Tom. »Es muss nat?rlich heissen: vier Agenten!«

Schon VIEL besser! Jetzt muss ich meinen Menschenfreunden nur noch irgendwie beibringen, dass nicht nur Agent Winston mit von der Partie ist, sondern auch die vier Muskeltiere. Aber das kriege ich auch noch irgendwie hin.

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Das Geheimnis erfolgreicher Agenten?

Keine Ahnung. W?sste ich auch gern.

Mit demachtkantig hinauswerfen lag Tom gar nicht so falsch. Nur dass wir momentan gar nicht erst reingelassen werden, weil uns Emilias Eltern zweifelsohne f?r v?llig verr?ckt halten. Insofern er?brigt sich das mit dem Rauswurf auf nat?rliche Art und Weise.

Ausserdem stimmt die Einsch?tzung, dass sich Erwachsene nicht gern von Kindern helfen lassen, v?llig.

Als wir klingeln,?ffnet der Mann, der wohl Emilias Vater sein muss. Jedenfalls taucht direkt neben ihm Emilias Mutter auf und er legt seinen Arm um ihre Schulter, ganz so, als wolle er sie besch?tzen. Fragt sich nur, vor wem. Denn vor der T?r stehen drei Kinder und eine Katze. Sieht mit Sicherheit nicht besonders gef?hrlich aus. Trotzdem guckt uns Herr Stetten sehr b?se an.

»Ja, bitte?«

»?hm, wir sind Freunde von Emilia und wir haben eine Frage. Weil sie doch gestern nicht zur Schule gekommen ist und da …«

Weiter kommt Kira nicht, denn der Mann unterbricht sie unfreundlich.»Was geht euch das an? Emilia ist krank und in der Schule entschuldigt.«

Seine Frau mischt sich ein.»Und ihr wart doch gestern schon hier. Was wollt ihr denn noch?«

»Also«, meldet sich Tom jetzt zu Wort und seine Stimme klingt entschlossen, »wir haben gestern auf dem B?rgersteig vor Ihrem Haus noch etwas gefunden, das bestimmt Ihnen geh?rt, und wollten es zur?ckbringen.« Diese Geschichte hatten sich Kira, Tom und Pauli vorher ausgedacht, um zu erkl?ren, wie sie ?berhaupt an den Brief gekommen sind. Hier etwas von Katern zu erz?hlen, die lesen k?nnen und Briefe transportieren, hielten sie f?r keine gute Idee.

Tom gibt Emilias Vater den Zettel, der mittlerweile nicht mehr ganz so taufrisch aussieht. Gut lesen kann man ihn allerdings noch, was Herr Stetten jetzt auch tut. Er hat ihn noch nicht ganz?berflogen, da dreht er sich auch schon wieder zu Tom, holt kurz Luft und: br?llt uns an! Und zwar richtig laut!

»WOHER habt ihr das? Wie kommt ihr an diesen Brief?«

Tom macht vor Schreck einen Schritt r?ckw?rts und tritt mir dabei auf die Pfoten.FAUCH! Pass doch auf!

»?h«, stammelt Tom dann, »?h … ich sag doch – er lag auf der Strasse. Wir haben Emilia gestern ihre Hausaufgaben vorbeigebracht und da haben wir den Zettel gefunden … ?h …«

»Ach, habt ihr?« Herr Stetten schreit zwar nicht mehr, aber er klingt immer noch sehr aufgebracht. »Und warum habt ihr ihn denn nicht gleich bei uns abgegeben?«

»Weil«, antwortet Kira anstelle von Tom, »wir nicht gleich gesehen haben, worum es in dem Brief ?berhaupt geht. Wir dachten, es ist etwas, das Emilia gebastelt hat. Wir wollten nicht noch einmal st?ren und dachten, wir geben ihn ihr einfach mit den n?chsten Hausaufgaben zur?ck.«

»Dachtet ihr«, echot der Mann b?se. Was hat der denn bloss? »Soll ich dir mal sagen, warum ich weiss, dass du l?gst?«, fragt er Kira dann.

Die reisst die Augen auf. »Aber ich l?ge nicht! Wie kommen Sie darauf?«

»Ganz einfach: Weil wir den Brief erst heute fr?h bekommen haben. Ihr k?nnt ihn gestern also noch gar nicht gefunden haben.«

»Ups«, sagt Kira. Dann sagt sie nichts mehr und Tom und Pauli werfen sich erstaunte Blicke zu. Klar, die dachten ja auch, dass ich den Zettel gestern mitgeschleppt h?tte. Von meinem heutigen Ausflug wissen die Kinder schliesslich nichts. Mist! Da habe ich uns aber aus Versehen richtig in die Pfanne gehauen! Wie kommen wir aus der Nummer bloss wieder raus?

»Wenn ihr den Brief also tats?chlich gefunden habt, dann m?sst ihr heute noch mal da gewesen sein«, schnaubt Emilias Vater. »Und da frage ich mich nat?rlich: Warum? Ihr wart gestern da, ihr kommt heute noch einmal, ihr beobachtet unser Haus ganz genau – denn sonst w?rdet ihr kaum bemerken,ob hier mal ein Blatt Papier rumfliegt oder nicht. Warum?« Er schnappt jetzt regelrecht nach Luft. »Wenn ihr daf?r nicht eine sehr gute Erkl?rung habt, werde ich jetzt sofort die Polizei rufen! Wahrscheinlich steckt ihr doch mit diesem Entf?hrer unter einer Decke!«

Heilige?lsardine! Ich merke, wie meine Schwanzspitze beginnt zu jucken UND meine Schnurrhaare sich kr?useln – jetzt stecken wir aber richtig in der Klemme! Und derjenige, der den ganzen Schlamassel aufkl?ren k?nnte, also ich, kann dummerweise nicht mit Menschen sprechen. Ich bin eigentlich sehr, sehr froh, dass ich nach unserem letzten Abenteuer wieder in meinem Katzenk?rper gelandet bin, aber in diesem Moment ertappe ich mich bei dem Gedanke, dass es gerade jetzt ziemlich praktisch w?re, wieder Kira zu sein.

Ob wir gleich alle ins Gef?ngnis kommen? Oder die Kinder ins Gef?ngnis und ich ins Tierheim? F?r einen ganz kurzen Augenblick ?berlege ich, einfach abzuhauen. Emilia ist schliesslich nicht meine Freundin. Genau genommen ist sie auch nicht Kiras Freundin. Andererseits: Ich kann mein M?dchen doch nicht einfach allein in der Patsche sitzen lassen. Das s?he einem Muskeltier ?berhaupt nicht ?hnlich – und einem Winston Churchill erst recht nicht. Ich verwerfe meine feigen Fluchtgedanken also wieder und versuche stattdessen, niedlich zu gucken. Vielleicht ist Emilias Vater ein Tierfreund und das bes?nftigt ihn einbisschen.

Ist er wohl eher nicht. Meinen unglaublich s?ssen Augenaufschlag erwidert Herr Stetten jedenfalls mit einem weiteren b?sen Blick und brummt immer noch sehr grummelig: »Also, was ist nun? Bekomme ich eine Antwort oder muss ich die Polizei rufen?«

Kira r?uspert sich. Ah, das ist mein M?dchen! Immer mutig und nie um eine Antwort verlegen. Die Frage ist nur: Wie will sie das erkl?ren?

»Tut mir leid, Herr Stetten. Sie haben recht – unsere Geschichte stimmt so nicht ganz. Sie ist aber auch nicht ganz falsch. Wir haben den Zettel wirklich gefunden – aber nicht vor Ihrem Haus. Mein Kater Winston kam mit dem Brief im Maul an. Deswegen kann ich auch nicht genau sagen, wann und woher er ihn hat. Ich hatte nur vermutet, dass er ihn gestern mitgenommen hat. Es war mir aber peinlich zuzugeben, dass mein Kater etwas bei Ihnen hat mitgehen lassen. Deshalb die Geschichte mit dem B?rgersteig.«

Herr Stetten starrt mich an, sagt aber nichts. Allerdings wechselt sein Blick von b?se zu sehr b?se. Okay: Hallo, Tierheim, w?rmt schon mal ein sch?nes Pl?tzchen f?r mich vor. Ich komme gleich!

Kira schluckt, dann redet sie weiter.»Winston ist mir heute Morgen abgehauen.« Bitte? So stimmt das gar nicht! Ich hatte einfach ein anderes Ziel als Kira, aber mit Abhauen hatte das nun wirklich nichts zu tun. »Ich weiss nicht, wo er hingelaufen ist, aber vielleicht war er tats?chlich noch einmal hier. Und dabei muss er den Briefgefunden haben.«

Schnaubt Herr Stetten oder lacht er? Schwer zu sagen, es ist auf alle F?lle ein unsch?nes Ger?usch. »Ach, dein Kater kommt noch einmal hierher, findet den Erpresserbrief und bringt ihn dir. Und das soll ich glauben?« Sein Gesichtsausdruck verr?t, dass er weit davon entfernt ist, das zu tun. Manchmal f?llt es mir als Kater schwer, im Gesicht eines Menschen zu lesen, aber hier ist es eindeutig: Herr Stetten h?lt uns f?r L?gner. Kira l?sst trotzdem nicht locker.

»Aber gucken Sie sich doch mal den Brief an: Dann werden Sie sehen, dass er ein bisschen angenagt aussieht. Von ziemlich spitzen Z?hnen. Das war Winston. Ich kann es mir ja auch nicht genau erkl?ren, aber irgendwie ist er an den Brief gekommen. Das ist wirklich die Wahrheit!«

Jetzt mischt sich Emilias Mutter ein.

»Klaus, vielleicht stimmt es ja, was die Kinder sagen. Du weisst doch, dass ich heute Vormittag das Gef?hl hatte, jemand sei im Haus. Ich hatte ein Ger?usch geh?rt. Du hast das auf meine angespannten Nerven geschoben, aber vielleicht war es tats?chlich der Kater.«

»Also wirklich, Anja – das ist doch totaler Unsinn!« Emilias Vater sch?ttelt den Kopf.

Seine Frau zuckt mit den Schultern.»Ich weiss nicht – mein Gef?hl sagt mir, dass diese Kinder nicht l?gen. Warum sollten sie? Ich glaube, sie wollen uns wirklich nur helfen – jedenfalls solltest du nicht die Polizei rufen.«

Genau! Die Frau hat v?llig recht! Keine Polizei! Herr Stetten seufzt.

»Na gut. Mach ich nicht. War auch mehr so dahingesagt, meine Nerven sind eben zum Zerreissen gespannt.«

Kira wendet sich an Frau Stetten.

»Danke f?r Ihr Vertrauen! Und es stimmt: Wir wollen Ihnen helfen. Vielleicht k?nnen wir irgendetwas tun, was die Polizei nicht kann. Immerhin schreibt der Erpresser doch eindeutig: keine Polizei!«

Frau Stetten nickt.»Ja, danke! Das ist vielleicht eine gute Idee. Ich denke …«

Bevor sie noch sagen kann, was sie denkt, wird sie von einem bitteren Lachen ihres Mannes unterbrochen.

»Nichts f?r ungut, Anja, aber wie sollen diese Kinder uns helfen? Die Lage ist viel zu ernst, um sich hier mit drei Kindern und einem Kater an den Tisch zu setzen.« Er guckt noch einmal kurz auf den Erpresserbrief, faltet ihn dann. »Den hier gebe ich gleich der Polizei, der wird n?mlich schon verzweifelt gesucht. Und euch«, er guckt Kira, Tom und Pauli direkt an, »bitte ich zu gehen. Bitte lasst die Polizei in Ruhe ihre Arbeit machen. Die werden es schon so anstellen, dass der Entf?hrer sie nicht noch einmal bemerkt. Und vor allem: Zu keinem Menschen ein Wort ?ber diese Entf?hrung! Sonst bringt ihr Emilia in noch gr?ssere Gefahr!«

Die Kinder beeilen sich zu nicken. Alle murmeln sie etwas wie»Nat?rlich, wir halten dicht« oder »Das ist doch selbstverst?ndlich«. Dann schliesst Herr Stetten wieder die T?r und wir zockeln davon.

Okay, fassen wir mal unser erstes Ermittlungsergebnis zusammen: Wir sind nicht im Knast gelandet. Aber»rasend erfolgreiche Agenten« geht wahrscheinlich trotzdem irgendwie anders.

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Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, du bist nicht nur ein Weihnachtstraum!

»Dann ist unser Abenteuer hier wohl zu Ende.« Karamell bem?ht sich um einen entt?uschten Tonfall, aber in Wahrheit scheint er ganz erleichtert, als ich bei meiner R?ckkehr in den Innenhof von unserer Schlappe berichte. Mich ?rgert das. Wieso sollten wir so schnell aufgeben? Spike macht ein Ger?usch, das wie ein sehr tiefer Seufzer klingt.

»Tja. Da kann man wohl nichts machen. Warten wir eben, bis wir ein anderes Abenteuer finden.«

Odette schnaubt w?tend. »Wie bitte? Von so einem kleinen R?ckschlag sollen die Muskeltiere sich schon entmutigen lassen? Das ist doch wohl nicht euer Ernst! Ich sage euch mal was: In der Geschichte von den drei echten Muskeltieren landen sie zwischendurch sogar mal im Gef?ngnis und werden mit dem Tode bedroht – und trotzdem k?mpfen sie weiter, um die Ehre der K?nigin zu retten. So geht das, wenn man ein Held ist!«

Genau! Karamell und Spike sind einfach f?rchterliche Weicheier. Ich schmeisse mich in Pose. »M?nner! Die Dame hat v?llig recht! Dieses kleine Problem ist eine Herausforderung, kein Hindernis!«, fauche ich Spike und Karamell an. »Wozu sind wir Katzen? Doch bestimmt nicht, um uns von irgendetwas abhalten zu lassen. Noch dazu von Menschen!«

Odette strahlt mich an, mir wird ganz warm unterm Fell. Ein tolles Gef?hl! Dass Spikes Schwanzspitze hin und her zuckt, st?rt mich dagegen ?berhaupt nicht.

»?h, und was willst du jetzt machen?«

»Ist doch sonnenklar!«, behaupte ich. »Wir werden Emilias Haus nun Tag und Nacht beschatten. Irgendwann wird schon etwas passieren.«

Karamell legt den Kopf schief und guckt skeptisch drein.»Aber was nutzt es, wenn wir das Haus bewachen? Im Zweifelsfall tut sich da gar nichts, weil der Entf?hrer sich mit Emilia logischerweise ganz woanders versteckt. Die Polizei bewacht schliesslich auch nicht das Haus.«

Hm. Mist. Wenn ich so recht dar?ber nachdenke, ist dieser Einwand nicht ganz von der Hand zu weisen.

Odette mischt sich ein.»Was wir brauchen, ist ein Hinweis auf den Entf?hrer. Irgendwas! Irgendeine Spur! Dann k?nnen wir allein nach ihm suchen, genau wie die Polizei es auch macht. Aber wir haben einen entscheidenden Vorteil: Uns bemerkt man nicht, wir k?nnen also ganz ungest?rt ermitteln. Die Polizei hingegen hat der Entf?hrer schon einmal gesehen, die m?ssen jetzt besonders vorsichtig sein.«

»Einen Hinweis, eine Spur. Was k?nnte das wohl sein?«, denke ich laut nach.

»Na ja, ist dir vielleicht irgendetwas aufgefallen? Du hast Emilia doch in den letzten Tagen noch gesehen. Denk mal nach!«

Das ist leichter gesagt als getan, aber ich gebe mein Bestes. Spike und Karamell rekeln sich selbstzufrieden in der Sonne, ganz so, als wollten sie sagen:Was soll’s? Das wird doch sowieso nichts. Das?rgert mich und spornt mich an, noch gr?ndlicher zu ?berlegen. Ist mir in letzter Zeit etwas Aussergew?hnliches aufgefallen?

Im hintersten Winkel meines Hirns beginnt etwas zu klingeln. Sehr leise noch, aber eindeutig ein Klingeln. Mir ist tats?chlich vor Kurzem etwas aufgefallen, aber was war es noch? Eine winzige Kleinigkeit, eigentlich v?llig unbedeutend. Aber schon seltsam. Es war … es war … Mist, warum komme ich nun nicht darauf?

»Mir ist wirklich etwas aufgefallen, aber mir f?llt einfach nicht mehr ein, was es war. Und vielleicht hat es auch gar nichts mit der Entf?hrung zu tun«, beginne ich z?gerlich.

Odette schaut mich durchdringend an.»Versuch, dich zu erinnern, Winston! Jede Kleinigkeit ist wichtig!«

Spike schnaubt.»Odette, das ist doch sinnlos! Wir finden schon noch ein anderes Abenteuer f?r uns vier Muskeltiere. Aber sich in die Arbeit der Polizei einzumischen, bringt doch nichts. ?berlassen wir das langweilige Schn?ffeln lieber den Sp?rhunden und konzentrieren uns auf spannendere Sachen.«

SCHN?FFELN! Genau das ist es! Der Geruch! Der Geruch von Weihnachtsb?umen! Der ist mir in letzter Zeit doch h?ufiger mal aufgefallen: in der Schule und dann bei dem Erpresserbrief. Und nat?rlich in meinem Traum. Das muss einfach die Spur sein, nach der wir die ganze Zeit suchen! Aufgeregt springe ich auf dem Unterstand hin und her.

»Ich hab’s! Es ist mir wieder eingefallen! Wir suchen etwas, das nach Weihnachtsbaum riecht!«

Karamell sch?ttelt den Kopf. »Winston, du weisst, wie sehr ich dich mittlerweile sch?tze, aber das ist v?lliger Unsinn. Es ist ein herrlicher Sp?tsommer, die Kinder essen Eis, wir Katzen liegen in der Sonne und du faselst etwas von Weihnachtsb?umen?«

»Falsch, mein Freund. Du h?rst mir nicht richtig zu. Ich rede von etwas, das nach Weihnachtsb?umenriecht.«

»Hm, du meinst, wie der Erpresserbrief?« Odette ist einfach so schlau! Sie weiss nat?rlich sofort, was ich meine.

»Genau. Das meine ich. Und ich habe diesen Geruch auch schon in der Schule gerochen, als ich mit Kira die Theaterprobe besucht habe und Emilia krank war.« Das mit dem Traum behalte ich vorsichtshalber f?r mich, sonst halten mich meine Freunde noch f?r verr?ckt. Oder besser: f?r verr?ckter als ohnehin schon.

»Welche Theaterprobe? Welche Schule?« Spike guckt verwirrt. Kein Wunder. Von meinem Leben als Schulkater weiss er nat?rlich nichts.

»Ich habe eine Rolle in dem Theaterst?ck, das gerade an Kiras Schule einstudiert wird. Ich muss dabei immer auf der B?hne hin und her laufen. Und dabei ist mir der Geruch nach Weihnachtsb?umen aufgefallen. Genau an dem Tag, an dem Emilia verschwunden ist. Ich weiss nur nicht genau, wo der Geruch herkam.«

Spike bl?st die Backen auf. »Pffff! Das wird ja immer komplizierter. Wo sollen wir denn da mit unseren Ermittlungen anfangen?«

»Na, das ist doch jetzt wohl sonnenklar!« Odette springt auf. »Nat?rlich in der Schule! Zu viert finden wir bestimmt ganz schnell heraus, woher der Geruch stammt. Los geht’s! Winston, zeig uns den Weg!«

»Halt, halt«, bremse ich ihren Tatendrang. »So einfach ist das nicht! Erstens ist heute Samstag, da hat die Schule gar nicht auf. Und zweitens sind Tiere in der Schule eigentlich verboten. Ich bin auch nur ausnahmsweise erlaubt. Also, wenn wir da einfach alle reinmarschieren, schmeisst uns Frau Rosenblatt schneller wieder raus, als wirMiau sagen k?nnen.«

»Wer ist denn nun wieder Frau Rosenblatt?« Armer Spike. Er ist mittlerweile v?llig durcheinander.

»Frau Rosenblatt ist die SEHR strenge Schuldirektorin, also die Chefin der Schule. Der bleibt nichts verborgen, schon gar nicht drei neue stromernde Katzen.«

»P?h!« Odette gibt sich unbeeindruckt. »F?r dieses Problem gibt es eine ganz einfache L?sung. Wir waren uns heute Morgen einig: Wir m?ssen mit den Kindern zusammenarbeiten, dann finden wir den Entf?hrer und befreien Emilia. Und das ist jetzt die Gelegenheit f?r eine Zusammenarbeit. Kira muss nur daf?r sorgen, dass Karamell, Spike und ich auch bei dem St?ck mitspielen d?rfen. Und wenn wir dann erst mal im Geb?ude sind – zack! –, fangen wir an zu suchen. Sobald wir einen Verd?chtigen haben, ?bernehmen die Kinder. Die k?nnen dann der Polizei Bescheid sagen – daf?r brauchen wir sowieso menschliche Verb?ndete.«

»Ich weiss nicht«, beginnt Karamell sehr z?gerlich. »Eine Schule? Das ist doch ein Ort, an dem ganz viele Kinder sind, oder? Da ist es bestimmt furchtbar laut.«

Im Grunde genommen hat er damit nat?rlich v?llig recht. Aber wenn ich vor Odette gut dastehen will, muss ich die Sache nun entschlossen in die Pfote nehmen.

»So laut nun auch wieder nicht«, wiegele ich ab. »Ich finde Odettes Plan gut. Ich werde Kira fragen.«

Spike schnaubt.»Kirafragen? Winston, manchmal glaube ich, du bist ein bisschen plemplem. Also, ein netter Kerl. Aber eben plemplem.«

Ich will gerade etwas Unfreundliches erwidern, als Kira in der Hofeinfahrt auftaucht. Sie hatte mir auf dem R?ckweg von Familie Stetten noch einen Ausflug in den Hof geg?nnt, aber nun scheint Zapfenstreich zu sein.

»Winston, genug geflirtet! Du kommst jetzt mal wieder mit hoch. Du weisst doch, wie allergisch meine Mutter momentan auf deine Ausfl?ge reagiert.« Sie geht zum Unterstand und nimmt mich auf den Arm.

»Genug geflirtet?«, fragt Karamell erstaunt. »Wie meint sie denn das?«

Maunz und heilige?lsardine!Hier soll doch keiner wissen, wie gern ich Odette mag, Kira! Aus den Augenwinkeln beobachte ich Odette. Guckt sie irgendwie komisch? Nein, Gott sei Dank nicht. Offenbar hat sie Kiras kleine Anspielung nicht verstanden.

»?h, keine Ahnung, wie sie das meint«, rede ich mich raus. »Ist doch auch egal. Hauptsache, sie nimmt uns Montag alle mit in die Schule. Ich kl?re das. Macht euch keine Sorgen. Ist ein Kinderspiel f?r mich.«

Odette nickt freundlich, aber w?hrend mich Kira wegtr?gt, kann ich noch sehen, wie Spike und Karamell v?llig ungl?ubig die K?pfe sch?tteln. Ich weiss genau, was sie denken:Plemplem!

Menno! Euch zeig ich’s!

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Erziehung auf Russisch. Essen auf Italienisch. Schummeln auf Deutsch.

»Na, war Katerrr wieder verschwunden?« Babuschka be?ugt mich misstrauisch, als Kira mich ins Wohnzimmer tr?gt und sich zusammen mit mir auf das Sofa setzt.

Kira sch?ttelt den Kopf. »N?. Ich habe ihn nur ein bisschen im Hof herumlaufen lassen. Winston braucht seine Freiheit!«

Genau! Weil ich n?mlich ein wilder und gef?hrlicher Typ bin und es mir als reiner Stubenkater mittlerweile viel zu langweilig ist! ?hem, okay, das ist nur die halbe Wahrheit: Eigentlich gef?llt es mir in der Wohnung ziemlich gut, nur kann ich Odette wohl kaum beeindrucken, wenn ich den ganzen Tag auf dem Sofa herumliege. Aber wem erz?hle ich das – Babuschka kann mich doch nicht verstehen.

»Kira, kak charascho schto ja nakanezta sdes. Ja budu w buduschtschem pamagat twajej mame schtobi sdes nakanez vazaril parjadak!«

Kira zuckt mit den Schultern.»Oma, ich verstehe leider kein Russisch mehr. Du musst Deutsch mit mir sprechen.«

Maunz– das ist aber eine faustdicke L?ge! Denn seitdem ich selbst in Kiras K?rper steckte, weiss ich, dass sie ausgezeichnet Russisch versteht. Warum will Kira das denn nicht zugeben? Ob ihr vielleicht nicht passt, was Babuschka gerade gesagt hat? Dass sie hier endlich mal f?r Ordnung sorgen will. Selbst als Kater verstehe ich das jetzt noch. Gefallen tut mir die Vorstellung einer f?r Ordnung sorgenden Babuschka allerdings auch nicht. Ich finde n?mlich, bei uns ist alles in Ordnung.

Babuschka seufzt.»Kein Russisch? Joi, joi, das ist schlimm! Ich werde dich wieder lehren.«

»Danke f?r das Angebot, Oma, aber ich habe schon genug mit der Schule zu tun.« Kira klingt fr?hlich, aber bestimmt, Babuschka seufzt noch mehr.

»Na gut. Dann sp?ter. Dann jetzt Katerrrr.«

H?? Wie? Kater? Das bin ja ich! Babuschka guckt mich durchdringend an und klopft mit der Hand auf den freien Platz neben sich. »Winstoooon! Kommst du hier!«

Heilige?lsardine! Diese Stimme duldet keinen Widerspruch! Aber das ist mir egal. Ich wiederhole mich ungern, aber: Ich bin kein Hund.

Betont gelangweilt schl?ngle ich mich vom Sofa und schlurfe ganz gem?chlich Richtung Flur.

»Winstooon! Komm hier!«

Ich setze meinen Weg mit dem Ziel K?che fort. Hinter mir ert?nt ein ganzer Schwall russischer Schimpfw?rter. Pah! Ich drehe nicht mal den Kopf. Wenn die denkt, dass sie mich erziehen kann, hat sie sich geschnitten.

Kurz bevor ich die K?che erreiche, taucht Kira neben mir auf. »Winston, ich kann dich total gut verstehen. Aber leider haben wir momentan schon genug Probleme. Stell dir mal vor, was w?re, wenn wir mitten in unseren Ermittlungen noch einmal Hausarrest bek?men. Oder du nicht mehr mit mir rausgehen d?rftest. Das w?re eine Katastrophe! Wir sollten uns also jetzt nicht noch mit Babuschka anlegen. Bitte, tu, was sie sagt!«

Ich schnaufe emp?rt. Wieso soll ich denn jetzt den dressierten Kater spielen, wenn Kira selbst auch nicht das macht, was ihre Oma gern h?tte?

»Ja, du hast ja recht! Ich habe mich auch nicht vorbildlich benommen, als ich so getan habe, als ob ich kein Russisch mehr verstehen w?rde. Aber das war Notwehr! Sonst muss ich garantiert die n?chsten Tage nur Russisch mit ihr sprechen. Davon bekomme ich Halsschmerzen. Ist zu ungewohnt f?r mich.«

Fauch und Funkel! Was f?r eine bl?de Ausrede! Ich gucke Kira b?se an.

»Ehrlich, Winston. Das stimmt!« Sie fasst mir unter den Bauch und krault mich sanft. Schnurrr! Was f?r ein sch?nes Gef?hl! Da kann ich ihr fast nicht mehr b?se sein. Ich schnurre lauter.

»Na, siehst du! Wieder Freunde, oder? Mach einfach die n?chste halbe Stunde mal, was Babuschka von dir m?chte. Dann ist sie gl?cklich – und wir sind es auch. Einverstanden?«

Na gut. Einverstanden. Aber so ganz ohne Bestechung funktioniert das bei mir nicht. Ich drehe mich zur K?chent?r, stupse sie mit meiner Nase, setze mich dann und schaue Kira erwartungsvoll an. Mal sehen, ob sie err?t, was ich damit sagen will. Sie l?chelt.

»Okay, Winston. Ein kleines Honorar ist nat?rlich f?r dich drin: Wenn du brav bist, gibt es f?r dich morgen eine Extraportion Pelmeni. Die kochen wir n?mlich morgen wieder.«

Na also, geht doch! Wie kommt Spike bloss auf die Idee, dass sich Katzen und Kinder nicht miteinander verst?ndigen k?nnen? Im Gegenteil – sie k?nnen es wunderbar!

Gaaanz langsam setze ich mich in Bewegung und laufe zur?ck ins Wohnzimmer, wo Babuschka schon auf mich wartet.

»Smatri u menja, druschok! Ja tebja jeschtscho maneram nautschu!«

Schluck. Sie ist also fest entschlossen, mir Manieren beizubringen. Jedenfalls hat sie das gerade gesagt. Nun gut, f?r eine sch?ne Portion Pelmeni mache ich gute Miene zum b?sen Spiel. Als sie also wieder mit der flachen Hand auf den leeren Platz neben sich klopft und »Hopp!« br?llt, springe ich einfach hoch und setze mich neben sie. Babuschka l?chelt zufrieden, Kira, die mir gefolgt ist, tut so, als sei sie v?llig ?berrascht, reisst die Augen auf und sagt: »Huch!«

»Siehst du, Kira! Geht gut! Braves Katerrrr!« Sie krault mich hinter den Ohren, ich lasse es geschehen. Und nicht nur das – ich ringe mich sogar zu einem Schnurren durch. Ich bin ein Schleimer, ich weiss. Aber die Pelmeni sind einfach zu lecker!

»So, Kater: Wenn ich sage ›Geh Korbchen‹, dann l?ufst du zu Korbchen und legst hinein.«

Och n?! Wir sind hier doch nicht im Zirkus. Sofort h?re ich auf zu schnurren. Kira merkt gleich, was mit mir los ist, denn sie beugt sich zu mir und fl?stert »Pelmeni«. Meinetwegen. Aber diese Leckerli sind wirklich hart verdient!

»Geh Korbchen, Winstooon!«, befiehlt Babuschka. Ich springe vom Sofa und laufe mit gesenktem Haupt zur K?che. Ab durch die T?r und hinein in mein K?rbchen – dieses Schauspiel ist eines Katers unw?rdig! Ich bleibe liegen, bis Babuschka auch in der K?che auftaucht, um sich von ihrem ph?nomenalen Erziehungserfolg zu ?berzeugen.

»Ah! S??hr brav! S?hr brav!« Sie beugt sich zu mir und t?tschelt meinen Kopf. Wenn ich k?nnte, w?rde ich bellen, so sehr komme ich mir gerade wie ein Hund vor! Wahrscheinlich ?bt sie als N?chstes »Sitz!« und »Platz!« mit mir. Gut, dass meine Muskeltierfreunde das nicht sehen k?nnen!

Anna kommt in die K?che. »Ah, Mamuschka, ich sehe, du verstehst dich gut mit Winston.«

»Ja. Ich bringe ihm gutes Benehmen bei. Geht gut! Wenn klappt bei Katerrr, kann ich mich auch k?mmern um Kind.Tjebje sljedujet gavarit s Kirai po-russkij!«

»Ich soll Russisch mit Kira sprechen?«, wiederholt Anna, was Babuschka gerade auf Russisch zu ihr gesagt hat. »Warum? Wir leben in Deutschland. Ich spreche nur noch ganz selten Russisch. Ich finde es wichtig, dass Kira perfekt Deutsch spricht, damit sie hier Erfolg hat. Ausserdemist Kira gut erzogen!«

Babuschka sch?ttelt den Kopf und murmelt irgendetwas Unverst?ndliches. Sie ?rgert sich, klare Sache. Aber auch Anna guckt, als ob ihr eine Laus ?ber die Leber gelaufen sei. Ihr Mund ist auf einmal ganz schmal und ihre Augen sehen aus wie Schlitze. Kein gutes Zeichen! Wahrscheinlich hatte Werner recht: Anna will ihrer Mutter beweisen, dass hier in Deutschland alles bestens l?uft. Und wenn Babuschka das anzweifelt, ?rgert sich Anna. Die Erziehung von Kindern ist offenbar eine grosse Sache bei den Menschen. Da will niemand etwas falsch machen und als schlechte Mutter oder schlechter Vater dastehen.Pfff– wenn man mich fragt: Erziehung wird masslos ?bersch?tzt! So wichtig ist die nun auch wieder nicht. Aber mich fragt nat?rlich niemand.

Werner steckt den Kopf durch die K?chent?r. »Ah, ein Mutter-Tochter-Gespr?ch, wie sch?n!« Anna wirft ihm einen giftigen Blick zu, sie findet seine Bemerkung offenbar gar nicht lustig. Werner zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Ich will auch gar nicht weiter st?ren, sondern wollte nur fragen, ob die Damen wohl an einem Restaurantbesuch interessiert w?ren. Nachdem die Fischst?bchen heute Mittag zwar ausserordentlich lecker waren, aber unserem Gast zu Ehren vielleicht doch nicht das Richtige, w?rde ich euch gerne zu meinem Lieblingsitaliener einladen. ImCome Prima im Eppendorfer Weg schmeckt es einfach fantastisch.«

Anna z?gert. »Ach, ich weiss nicht – Mutter, was meinst du?«

»Liebling? Ist Freund von Professor?«

Werner lacht.»Gewissermassen, Frau Kovalenko. Ricardo kenne ich schon seit vielen Jahren, er kocht meiner Meinung nach einfach das beste italienische Essen hier in der Gegend. Kennen Sie die italienische K?che?«

Babuschka sch?ttelt den Kopf und macht dazu ein Gesicht, als hielte sie es f?r absolut ausgeschlossen, dass ein italienischer Koch in der Lage ist, etwas Schmackhaftes zuzubereiten.

Was f?r eine schwierige Frau! Ich kenne mich damit nat?rlich nicht aus, weil Werner mich noch nie zu diesem Ricardo mitgenommen hat, ABER: Wenn mein Herrchen etwas empfiehlt, ist es auch gut! Ehrensache! Abgesehen davon ist es ein bisschen unfreundlich, auf eine nette Einladung so zu reagieren. Finde ich jedenfalls.

Anna scheint das Gleiche zu denken wie ich, jedenfalls rollt sie mit den Augen und sagt dann:»Mamuschka! Die italienische K?che ist weltber?hmt! Und wenn der Herr Professor ein Restaurant empfiehlt, ist es bestimmt Spitzenklasse.«

»So?« Babuschka guckt ihre Tochter zweifelnd an. »Na, dann gehst du vielleicht allein mit Professor? Sowieso besser! Ich passe auf Kind und auf Kater auf.« Jetzt l?chelt sie und freut sich offenbar ?ber ihre Idee, Werner und Anna allein loszuschicken. Was daran besser sein soll, ist mir allerdings nicht klar. Gut, ich freue mich nat?rlich, wenn Kira hierbleibt – vielleicht kann ich dann endlich versuchen, ihr unseren Emilia-Rettungsplan zu erkl?ren. Auf Babuschka als Aufpasserin kann ich allerdings gut verzichten. Also, Werner, die Dame nimm mal bitte mit!

»?h«, Werner klingt verlegen, als ob Babuschka irgendetwas gesagt h?tte, was ihm ein bisschen peinlich ist, »nein, ?h, also, ich freue mich, wenn Sie uns begleiten. Sie sind doch unser Ehrengast! Ausserdem kann Kira gern mitkommen – ein so wohlerzogenes Kind habe ich immer gern dabei.«

Jetzt strahlt Anna Werner an und ich w?nsche mir, Odette w?rdemich so ansehen. Babuschka hingegen zuckt mit den Schultern, sie scheint anderer Meinung zu sein. Mir unbegreiflich– sind denn wohlerzogene Kinder in diesem Russland so anders? Dazu sagt Babuschka aber leider nichts. Stattdessen ringt sie sich endlich mal zu einem L?cheln durch.

»Gutt, gutt. Dann komm ich mit. Vielen Dank, Herr Professor, f?r Einladung!«

»Klasse! Dann hole ich meine Jacke und sage Kira Bescheid.« Werner trabt aus der K?che, ich trabe hinterher. Im Wohnzimmer sitzt sie nicht mehr, also laufen wir weiter zu ihrem Zimmer. Kurz bevor wir es erreichen, bilde ich mir ein, Kiras Stimme zu h?ren – als ob sie mit jemandem redet. Und zwar ziemlich aufgeregt. Werner klopft kurz an, Kira ?ffnet. Ausser ihr ist niemand da. Merkw?rdig. Seit wann f?hrt Kira Selbstgespr?che? Werner scheint sich allerdings ?berhaupt nicht zu wundern. Was wiederum mich nicht wundert. Wahrscheinlich hat er es gar nicht geh?rt. Menschen haben ein wirklich grottenschlechtes Geh?r. Jedenfalls im Vergleich zu uns Katzen.

»Hallo, Kira! Zur Feier des Tages lade ich euch zu meinem Lieblingsitaliener ein. Der macht die beste Pizza der Stadt. Wir wollen gleich los.«

»Herr Hagedorn, sind Sie b?se, wenn ich hierbleibe? Ich bin ein bisschen m?de.« Kira guckt sehr treuherzig und reibt sich tats?chlich die Augen. Komisch, wo kommt denn dieser pl?tzliche Schw?cheanfall her? So kenne ich Kira gar nicht, normalerweise ist die um diese Uhrzeit immer fit wie ein Turnschuh!

Werner sch?ttelt den Kopf. »Na, ich finde es nat?rlich schade – aber wenn du m?de bist, geh lieber fr?h ins Bett. Der Italiener l?uft nicht weg, dann nehme ich dich ein anderes Mal mit.«

»Ja, genau. So werde ich es machen. Ich schmier mir schnell ein Brot und dann geht’s ab in die Falle.« Sie g?hnt ger?uschvoll.

»Alles klar. Dann gute Nacht!«

»Danke! Und Ihnen guten Appetit!«

Werner zieht den Kopf wieder aus dem Zimmer und schliesst die T?r.

Seit ich Kira kenne, habe ich noch nie erlebt, dass sie freiwillig fr?h ins Bett geht. Vor allem nicht, wenn die Alternative eine leckere Pizza w?re. Hier stimmt etwas nicht. Und zwar ganz gewaltig!

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Die Suche beginnt!

»Winston, sind sie weg?« Vorsichtig steckt Kira ihren Kopf durch den Spalt ihrer Zimmert?r und lugt auf den Flur. Ich maunze laut – das soll heissen:Ja, Werner, Anna und Babuschka haben die Wohnung eben verlassen. Kira versteht mich anscheinend, jedenfalls kommt sie sofort aus ihrem Zimmer und kniet sich neben mich.»Bist du bereit f?r ein Abenteuer, Dicker?«

Erstens: Dicker??? Zweitens: Nat?rlich!!!

»Tom hat eben angerufen«, erkl?rt sie mir dann. Ach, darum hat Kira laut geredet! Das war gar kein Selbstgespr?ch – sie hat mit Tom telefoniert. »Emilias Mutter hat sich bei ihm gemeldet. Sie hat sich f?r unseren Besuch heute bedankt und gesagt, dass sie sich freut, wenn wir ihr helfen. Aber heimlich. Emilias Vater und die Polizei d?rfen nichts davon wissen. Und deswegen m?ssen wir jetzt schnell zum Haus der Stettens. Weil Herr Stetten heute Abend n?mlich nicht da ist.«

Heilige?lsardine! Und das, obwohl ich es mir eigentlich gerade auf dem Sofa bequem machen wollte! Ich seufze. Innerlich. Kira muss ja nicht wissen, dass meine Abenteuerlust f?r heute ziemlich aufgebraucht ist.

»Oder willst du gar nicht mitkommen, Agent Winston?« Mist. Sie hat’s trotzdem sofort gemerkt. So ein Agentenleben ist aber auch beschwerlich. Ich recke mich in die H?he und miaue h?chst energisch. Nat?rlich komme ich mit!

»Dann aber los! Das ist die perfekte Gelegenheit – bei diesem Italiener sind Mama und die anderen bestimmt zwei Stunden besch?ftigt. Die werden niemals merken, dass wir gar nicht da sind.« Sie l?uft zur Garderobe, greift sich ihre Jacke und ?ffnet die Wohnungst?r. Ich folge ihr.

Als wir unten auf der Strasse ankommen, f?llt mir ein, dass ich Kira unbedingt noch in den Plan der vier Muskeltiere einweihen muss. Genau genommen muss ich ihr sogar erst mal erkl?ren, dass es die vier Muskeltiere gibt. Auch wenn ich Spike und Karamell gegen?ber das Maul ziemlich vollgenommen habe, was die Verst?ndigung zwischen Kindern und Katzen anbelangt: So richtig einfach wird das wohl nicht werden. Packen wir’s an!

Ich laufe vor Kira her und biege in den Hof ab.

»Hey, Winston! Nicht in den Hof! Daf?r haben wir keine Zeit, denn irgendwann kommen Mama, Werner und Babuschka wieder, und wenn wir dann nicht zu Hause sind, gibt es bestimmt RICHTIG ?rger. Komm jetzt!«

Hm, wie mache ich Kira bloss klar, dass wir Odette, Spike und Karamell auf alle F?lle mitnehmen m?ssen? Ich setze mich erst mal und miaue lautstark.

Kira kommt zu mir.»Winston! Wir m?ssen schnell zu Stettens! Pauli und Tom sind auch schon unterwegs, wir wollen die doch nicht warten lassen. Aber wenn du nicht willst, dann bleib hier. Ich sammle dich auf dem R?ckweg wieder ein.«

MAUNZ! Wieder einmal w?nsche ich mir, Kira k?nnte noch meine Gedanken lesen. Das war wesentlich praktischer. Jetzt muss es irgendwie anders gehen. So gut ich kann, versuche ich, mich auf den Hinterbeinen sitzend aufzurichten und mit meiner Pfote mal Richtung Hof, mal Richtung Strasse zu zeigen.

Kira f?ngt an zu lachen. »Was machst du da? Was soll das? Auf alle F?lle sieht es irre komisch aus!«

Okay. N?chster Versuch. Ich laufe weiter in die Hofeinfahrt, miaue laut und deutlich, drehe einen Kreis und laufe dann wieder zu Kira. Wahrscheinlich w?rde ich an ihrer Stelle auch nicht verstehen, was ich damit meine, aber etwas Besseres f?llt mir auf die Schnelle nicht ein.

»Hm«, ?berlegt Kira, »was willst du denn bloss?«

Sie guckt in den Hof, der schon im Dunklen liegt. Ob sie draufkommt, wenn ich zum Unterstand laufe? Immerhin weiss sie, dass das der Treffpunkt der Hofkatzen ist. Von denen ist zwar leider niemand zu sehen, aber vielleicht versteht es Kira trotzdem. Ich sprinte also zu den M?lltonnen, mache einen Satz auf den Unterstand, maunze dort in alle Richtungen, springe wieder hinunter und laufe zur?ck zu Kira.

»Tja, also …«, Kira sieht richtig angestrengt aus, »du willst … ?hm … ich soll …«, sie kratzt sich am Kopf, dann erhellt ein L?cheln ihr Gesicht, »du willst, dass wir deine Freunde mitnehmen? Ist es das?«

BINGO! Volltreffer! Ich schnurre sofort los, damit Kira gleich weiss, was Sache ist.

»Also das ist es tats?chlich! Aber warum denn nur?«

Ohgottohgottohgott! Bei meinen Schnurrhaaren! Wie erkl?re ich das jetzt? Unseren gesamten komplizierten Katzen-Plan von den Ermittlungen in der Schule kann ich hier nicht auch noch vortanzen. Kann mir Kira nicht einfach vertrauen? Ich maunze noch einmal und deute wieder mit meiner Pfote Richtung Hof. Kira seufzt.

»Na gut, wenn es unbedingt sein muss! Aber wir k?nnen nicht stundenlang warten, dass deine Freunde aufkreuzen. Entweder sie kommen gleich, wenn ich sie rufe – oder wir gehen ohne sie los. Klar?«

Miau. Klar wie Klossbr?he.

Kira geht mit mir zum Unterstand und schl?gt mit der flachen Hand auf das Dach.

»Odette! Katzen! Wo seid ihr? Kommt mal her!«

Ich maunze ebenfalls:»Los, Kollegen! Auf geht’s, das Abenteuer ruft!«

Ganz langsam kommt Odette zum Unterstand geschlichen.»Hey, Winston! Sag bloss, du hast Kira wirklich unseren Plan erkl?rt.«

Ich nicke.»Hab ich.«

»Cool. Schade, dass Spike und Karamell gerade nicht da sind. Die wollten es doch nicht glauben. Und was hat Kira dazu gesagt? Wie findet sie den Plan?«

»Na ja, also, ?hem … sie findet ihn richtig gut.«

Das ist jetzt nicht v?llig gelogen. Ich bin mir sicher, dass sie ihn gut finden wird, wenn sie ihn denn erst mal kennt. Und ich habe ihn doch schon so gut wie erkl?rt. Also fast. Irgendwie. Und den Rest hole ich schon noch nach.

»Sehr gut, Winston! Dann k?nnen wir endlich loslegen und das arme Kind retten!«

»Genau. Aber wo sind eigentlich Karamell und Spike? Hast du eine Ahnung?«

»Nee. Die habe ich seit unserer kleinen Besprechung vorhin nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich liegen die irgendwo rum und schlafen. Spike ist nicht der Fitteste und Karamell ziemlich ?ngstlich – ich glaube, der heutige Tag war zu viel f?r sie.«

Ich seufze. Zwei von vier Muskeltieren k?nnen wir schon mal vergessen. Na toll!

»So, Winston«, mischt sich Kira ein, »was ist jetzt? Kommt Odette mit?«

Als Antwort maunze ich und trotte hinter Kira her, die wieder zur Strasse geht. Odette folgt uns und so tigern wir zu dritt in Richtung Emilias Haus. Ein M?dchen und zwei Katzen. In diesem Moment habe ich pl?tzlich das Gef?hl, dass die Idee, ausgerechnet wir k?nnten Emilia retten, ziemlich verr?ckt ist. Liegt aber vielleicht nur daran, dass auch mein Tag schon ziemlich lang war.

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»Sch?n, dass du es so schnell geschafft hast! Deine beiden Freunde sind schon da.« Emilias Mutter begr?sst uns sehr freundlich und bittet uns ins Haus. »Oh, da ist ja noch eine Katze dazugekommen! Niedlich, die beiden!«

Niedlich? Wir sind nicht niedlich! Wir sind Agenten! Obwohl die Bemerkung bestimmt nett gemeint war,?rgert sie mich. Und weckt meinen alten Kampfgeist wieder. Wenn hier jemand Emilia befreit, dann doch wohl wir!

Frau Stetten f?hrt Kira ins Wohnzimmer. Dort auf dem Sofa sitzen schon Tom und Pauli und winken uns freundlich zu.

»Hallo, Kira, hallo, Winston!«, begr?sst uns Tom. Dann f?llt sein Blick auf Odette. »Oh, und wer ist das?«

»Odette«, erkl?rt Kira. »Eine Katze aus unserem Hinterhof. Auch sehr schlau. Falls wir vierbeinige Unterst?tzung brauchen, ist sie bestimmt nicht schlecht.«

Odette knufft mich mit ihrer Schnauze in die Seite.»Hey, ich denke, sie kennt den Plan?«

»?h, ja, tut sie ja auch.«

»Aber was heisst denn dann,falls wir vierbeinige Unterst?tzung brauchen? Es ist doch genau umgekehrt– wir brauchen zweibeinige Unterst?tzung. Den Hauptjob erledigen wir Katzen. Und wenn wir den Verbrecher haben, dann sagen wir – also du – den Kindern Bescheid.So machen wir’s!«

Bei meinem Katzenklo, Odette kann ganz sch?n anstrengend sein!

»Das ist doch Haarspalterei. Ich habe Kira klargemacht, dass wir den Fall irgendwie zusammen l?sen m?ssen. Und das werden wir auch tun.«

»Hm«, Odette be?ugt mich misstrauisch, als ob sie mir nicht recht glauben w?rde. Ich beschliesse, das zu ignorieren. F?r solches Gepl?nkel haben wir nun keine Zeit. Wir m?ssen schliesslich ein Kind retten, maunz!

Frau Stetten stellt ein paar Gl?ser auf den Tisch und giesst den Kindern etwas zu trinken ein. Dann setzt sie sich ebenfalls. Sie sieht sehr m?de und blass aus, so, als habe sie in der Nacht zuvor gar nicht geschlafen.

»Ich bin wirklich froh, dass ihr gekommen seid. Mein Mann war heute nicht gerade nett zu euch – aber wir haben eben sehr grosse Angst um Emilia. Da reagiert man schon mal ein bisschen komisch. Ich hoffe, ihr versteht das.«

Tom, Pauli und Kira nicken. Ich nicke zwar nicht, aber ich verstehe es auch. Nicht auszudenken, jemand h?tte Kira entf?hrt!

»Aber ich finde euren Vorschlag, uns zu helfen, richtig gut. Deswegen habe ich mir auch eben Toms Telefonnummer aus der Klassenliste rausgesucht und ihn gebeten, noch einmal herzukommen.« Sie seufzt und schaut in die Runde. »Die Polizei hat momentan jedenfalls keine heisse Spur, die sie verfolgt. Und es ist genau so, wie ihr vermutet habt: Es gab schon einen Versuch, das L?segeld zu ?bergeben. Leider hat der Entf?hrer wohl gemerkt, dass die Polizei vor Ort war, und hat sich nicht blicken lassen. Beim n?chsten Mal muss es einfach klappen, sonst …« Ihre Stimme f?ngt an zu zittern, dann bricht sie ab.

Tom, der direkt neben ihr sitzt, legt ihr eine Hand auf die Schulter.»Frau Stetten, ich glaube, dass wir Ihnen helfen k?nnen, den Entf?hrer aufzusp?ren. Wir sind viel unauff?lliger als Polizisten. Auf uns achtet der bestimmt nicht.«

Na, und auf mich und Odette achtet der noch viel weniger! Genau genommen gibt es mit Sicherheit nichts Unauff?lligeres als zweischeinbar streunende Katzen. Wir sollten hier also nicht l?nger rumsitzen, sondern endlich mal mit der Suche anfangen. Das heisst, ich k?nnte eigentlich schon mal damit beginnen. Vielleicht gibt es hier ja noch einen Hinweis, irgendetwas, das nach Weihnachtsbaum riecht.

Ich schleiche vom Sofatisch weg und laufe kreuz und quer durchs Wohnzimmer, meine Nase immer dicht?ber dem Parkett, schn?ffelnd. Wahrscheinlich sehe ich aus wie ein doofer Hund, aber das ist mir egal. Immerhin ist es f?r einen guten Zweck.

Odette sitzt weiter neben dem Sofa und beobachtet mich.»Sag mal, was treibst du da?«

Ich halte kurz inne.»?berpr?fung der Spurenlage. Sehr wichtige Ermittlungstaktik«, antworte ich dann knapp.

»Aha.« Odette kommt n?her. »Und? Schon was gefunden?«

Ich sch?ttle den Kopf und schn?ffle weiter. Hoffentlich entdecke ich bald etwas. Ich will mich nicht umsonst vor Odette zum Clown gemacht haben.

Als ich an der T?r zum Flur entlangschnuppere, h?re ich etwas klappern. Nur eine Sekunde sp?ter weht der Hauch eines Hauches Weihnachtsbaum durch den T?rspalt. Sofort bin ich wie elektrisiert! Ich st?rze in den Flur, immer der Nase nach. Und da sehe ich ihn auch schon liegen: einen Briefumschlag. Jemand muss ihn gerade durch den Briefkastenschlitz an der Eingangst?r geworfen haben! Vorsichtig schnuppere ich an dem Brief: Eindeutig! Weihnachtsbaum!

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Schnitzeljagd.

»Odette! Komm schnell!«

Sekunden sp?ter steht sie neben mir. »Ist es das, was ich denke?«

»Ja. Riecht nach Weihnachtsbaum. Das muss ein neuer Erpresserbrief sein! Ist gerade erst eingeworfen worden. Schnell, lass uns die Menschen holen! Sie m?ssen uns die T?r aufmachen – vielleicht erwischen wir den Erpresser noch!«

Blitzschnell sause ich wieder ins Wohnzimmer, den Brief zwischen die Z?hne geklemmt. Ich springe kurz entschlossen auf den Sofatisch, lande dabei einigermassen elegant zwischen den Wassergl?sern der Kinder und lasse den Brief genau auf die Mitte des kleinen Tisches fallen.

»Winston! Benimm dich gef?lligst und komm runter da«, zischt Kira mich an.

»Hey«, ruft Pauli ?berrascht, »guckt doch mal, was er da mitgebracht hat! Einen Brief!«

Aufgeregt springt Tom auf.»Vielleicht ist das ein neues Erpresserschreiben!« Er will gerade danach greifen, da kommt ihm Emilias Mutter zuvor und fischt den Umschlag mit einem Papiertaschentuch zwischen den Fingern vom Tisch.

»Vorsicht! Falls die Nachricht wirklich vom Erpresser stammt, d?rfen wir keine Spuren zerst?ren. Wartet mal, ich hole einen Brief?ffner.«

Warten? Ganz schlechte Idee! Bis dahin ist der Entf?hrer doch l?ngst ?ber alle Berge! Ich springe wieder vom Tisch und beginne, laut zu fauchen und zu maunzen. Dann renne ich wieder zur Wohnzimmert?r und fauche weiter.

»Winston will, dass wir ihm folgen!«, ruft Kira und l?uft hinter mir her. Auch die anderen stehen auf und kommen zu mir. Ich sprinte weiter in den Flur, setze mich vor die Haust?r und beginne, an ihr zu kratzen. Odette tut es mir gleich. Jetzt m?ssen die Menschen doch begreifen, dass sie die T?r ?ffnen sollen.

Tun sie auch! Kira greift zur Klinke und dr?ckt sie runter. Kaum steht die T?r nur einen Spalt offen, renne ich los. Auf den Stufen vor dem Haus riecht es tats?chlich auch noch ein bisschen nach Tannenbaum, aber es ist schon merklich schwieriger, hier so etwas wie eine F?hrte auszumachen. Langsam bekomme ich ein bisschen Respekt vor derF?higkeit von Hunden, einem Geruch zu folgen. Ist gar nicht so einfach, vor allem, wenn noch viele andere Ger?che durch die Luft wirbeln. Wie sagt Werner immer: ›Irgendwas kann jeder.‹ Und das k?nnen Hunde echt gut! Auch wenn sie nat?rlich nicht so schlau sind wie wir Katzen.

Ich setze mich auf die unterste Stufe und schaue mich um. Niemand zu sehen. Logisch. War auch nicht zu erwarten, dass der Verbrecher hier so lange rumsteht, bis wir ihn finden.

Odette setzt sich neben mich. »Mist, den haben wir wohl verpasst, was?«

Ich maunze zustimmend.»Ja, sieht so aus.« Ich lasse den Kopf h?ngen.

»Ach, davon lassen wir uns doch nicht abschrecken. Komm – ich geh links die Strasse runter, du rechts. Vielleicht haben wir doch noch Gl?ck und finden noch eine Spur.«

»Stimmt, gute Idee. Auf geht’s!«

Bevor ich losrenne, kommt Kira zu mir.»Hey, Winston! Sag bloss, du hast eine Ahnung, wo der geheimnisvolle Brief herkommt. Oder gar, wo der Verbrecher steckt! Dann w?rst du aber echt Super-Winston.«

Also zum einenbin ich Super-Winston– und zum anderen habe ich jetzt leider keine Zeit f?r ein Pl?uschchen mit Kira. Finster entschlossen starte ich meine Suche und lasse Kira einfach stehen. Nach ein paar Metern mache ich einen gl?cklichen Zufallsfund: ein zerkn?lltes, benutztes Taschentuch. Okay, das ist an und f?r sich nochnicht so toll, aber: Es riecht auch nach Tannenbaum! Ich drehe mich um – Odette ist noch in Rufweite. »Hey, komm hierher!«, rufe ich ihr zu. »Ich habe etwas gefunden!«

Kurz darauf steht Odette neben mir.»Was gibt’s?«

»Hier, das Taschentuch.«

»Benutzt! Wie eklig!« Sie schnuppert trotzdem. »Du hast recht! Tannenbaum. Das ist eine Spur! Der Entf?hrer scheint Schnupfen zu haben. Vielleicht haben wir Gl?ck und er l?sst noch ein paar Taschent?cher fallen!«

Wir laufen weiter und stolpern tats?chlich bald ?ber das n?chste Taschentuch. Und wieder ein Hauch von Tannenbaum. Das ist ja die reinste Schnitzeljagd hier! Ich schaue mich um. In einiger Entfernung stehen zwei Menschen am Strassenrand und unterhalten sich. Dann hebt der eine von ihnen die Hand und: putzt sich die Nase! Sofort sausen wir auf die beiden zu, aber als ich etwas n?her komme, sehe ich, dass es sich bei den beiden Menschen um Kinder handelt. Na, das werden ja kaum unsere Verbrecher sein!

Odette denkt das Gleiche wie ich.»Schade. Kinder. Wollen wir trotzdem noch n?her ran?«

Ich?berlege kurz. Weil mich in diesem Moment meine Schwanzspitze kitzelt, beschliesse ich, genauer hinzusehen. Kann ja nicht schaden und eine andere Spur haben wir sowieso nicht.

Langsam schleiche ich mich an die beiden Kinder heran. Ein Junge und ein M?dchen, ein bisschen kleiner als Kira und ihre Freunde.

»Oh, guck mal, zwei Katzen!«, freut sich das M?dchen, beugt sich zu mir und streichelt mich. Sofort sticht mir der Geruch von Tannenbaum in die Nase. Die Hand des M?dchens riecht genau so wie der Briefumschlag. Also doch!

»Schnell, Odette! Hol Kira hierher! Dieses M?dchen hat irgendetwas mit dem Brief zu tun! Ich versuche, die beiden aufzuhalten.«

Odette sagt nichts, sondern rennt los.

»Komm, Lotti, wir m?ssen nach Hause, es wird schon dunkel«, sagt der Junge. Oh nein, wartet wenigstens noch zwei Minuten! Ich bem?he mich, m?glichst niedlich zu sein. Vielleicht kann ich das M?dchen bewegen, noch ein bisschen zu bleiben.

Geschmeidig reibe ich mich an ihren Beinen und maunze so lieblich, wie ich nur kann. Das M?dchen kichert und streichelt mich weiter. Als ihre Hand meinen Kopf streift, beginne ich, ihr die Finger abzuschlecken. Sie kichert noch mehr.

»Aber guck mal, Finn, die Katze mag mich. Ich h?tte auch sooo gern eine Katze. Ich spare schon daf?r!«

»Na, dann kannste die f?nf Euro ja gleich in dein Sparschwein stecken«, erwidert der Junge.

»Mach ich auch! Wirst schon sehen – bald habe ich eine eigene Katze. Mit der spiele ich dann den ganzen Tag und nachts darf sie in meinem Bett schlafen.« Sie l?chelt mich verz?ckt an. Wenn ich k?nnte, ich w?rde zur?ckl?cheln. Es geht doch nichts ?ber Menschen, die Katzenfreunde sind!

»Hey, Lotti – es ist schon total sp?t, lass uns los. Wir kriegen sonst bestimmt ?rger!« Mist! Wo bleiben denn meine eigenen Katzenfreunde? Gelingt es Odette etwa nicht, ihnen zu verklickern, dass sie hier dringend gebraucht werden? Das w?re aber richtig ?tzend, denn mein Gef?hl sagt mir, dass wir kurz davor sind, in Sachen Entf?hrung einen entscheidenden Schritt weiterzukommen. Vorausgesetzt nat?rlich, Kira erwischt die Kinder noch, bevor sie nach Hause gehen.

Vielleicht muss ich meine Taktik?ndern: Ich drehe mich von Lotti zu Finn und kuschele mich an seine Beine. Dann noch ordentlich geschnurrt, ein kurzer Blick nach oben: Wirkt es schon?

Es wirkt! Nun l?chelt auch Finn und streckt die Hand zu mir aus. »Also, s?ss ist so ’ne Katze schon. Wenn du deine hast, darf ich dann auch mal mit ihr spielen?«

Lotti nickt.»Klar«, sagt sie g?nnerhaft. »Wenn du mir dann mal dein Kickboard leihst!«

»Mach ich.« Er streicht mir noch einmal ?ber den Kopf und richtet sich dann wieder auf. »Wollen wir dann?«

»Okay. Tsch?ss, Katze«, verabschiedet sich das M?dchen von mir. Als ich noch ?berlege, was ich noch tun k?nnte, um sie am Gehen zu hindern, taucht endlich, ENDLICH, Odette wieder auf, dicht gefolgt von Kira.

»Hallo, ihr beiden – ich muss euch mal etwas fragen.«

Lotti und Finn drehen sich zu Kira um und gucken neugierig.

»Was denn?«, will Finn wissen.

»Habt ihr zuf?lligerweise jemanden gesehen, der gerade einen Brief bei dem Haus da dr?ben eingeworfen hat?«

Die beiden Kinder sagen nichts, sondern betrachten sehr gr?ndlich ihre Fussspitzen.

»Also, habt ihr nun oder habt ihr nicht?«, hakt Kira nach.

»Na ja, also, es war …«, beginnt Lotti, schweigt dann aber wieder und guckt Finn fragend an. Der holt kurz Luft.

»?hem, also, na ja … hm.«

»Oh Mann, was denn jetzt? Ich will doch nur wissen, ob ihr gesehen habt, wie jemand dahinten etwas durch den Postschlitz gesteckt hat.«

Lotti seufzt.»Ich wusste doch, dass das irgendwie ?rger gibt«, sagt sie dann zu Finn. »Wir haben den Brief da eingesteckt.«

Kira schnappt nach Luft.»Was?! Ihr wart das?«

Lotti guckt sie mit grossen Augen an. »Ist das jetzt schlimm? Was ist denn mit dem Brief?«

Darauf antwortet Kira nicht. Stattdessen packt sie Lotti bei den Schultern, sodass diese zusammenzuckt.

»Woher habt ihr den Brief?«

»Den hat uns jemand gegeben. Eine Frau«, antwortet Lotti ?ngstlich.

»Eine Frau?« Kira klingt genauso erstaunt, wie ich es gerade bin. Ich weiss gar nicht warum – aber ich war mir ziemlich sicher, dass der Entf?hrer ein Mann sein muss. Vielleicht, weil ich Frauen solche b?sen Sachen gar nicht zugetraut h?tte? Da sieht man mal, wie falsch man liegen kann!

»Ja, eine Frau«, best?tigt Finn. »Ziemlich gross war die.«

»Die Haare waren lang und blond. Und eine riesige Sonnenbrille hat sie getragen, ich konnte ihr Gesicht gar nicht richtig sehen. Sie hat gesagt, wenn wir den Brief einstecken, bekommen wir beide f?nf Euro.«

Der Junge kramt in seinen Hosentaschen und bef?rdert einen arg zerknitterten Geldschein zutage.

»Hier. Da ist das Geld – kannst uns ruhig glauben, mehr wissen wir dar?ber nicht.«

Ich hangle mich an Finns Beinen hoch und schnuppere an dem Schein. Auch hier wieder: Volltreffer! Eine Wolke von Tannenbaum umgibt die Banknote. Ich fauche laut.

Der Junge zuckt zur?ck. »Hey, was hat die Katze denn auf einmal? Die war doch eben ganz lieb!«

»Erstens: Winston ist ein Kater. Zweitens: Der ist immer noch ganz lieb. Allerdings st?rt ihn irgendetwas an dem Geldschein. Wahrscheinlich«, Kira ?berlegt kurz, »ja, wahrscheinlich merkt Winston, dass ihr das Geld von einem Verbrecher bekommen habt.«

»Von einem Verbrecher?«, rufen Lotti und Finn wie aus einem Mund.

Kira nickt.»Ja. Von einem Verbrecher. Ist ja nicht eure Schuld, aber so wie es aussieht, habt ihr einen Erpresserbrief transportiert.«

Die Kinder sagen nichts mehr, sondern starren Kira nur noch?ngstlich an. Dann knufft Finn Lotti in die Seite.

»Komm, lass uns abhauen!«

»Stopp!«, ruft Kira. »So geht das nicht – ihr seid wichtige Zeugen. Ich brauche eure Namen und Telefonnummern, falls ich noch eine Frage habe. Ausserdem m?chte ich, dass ihr mir noch einmal ganz genau erz?hlt, wie das mit der Frau war. Jedes Detail ist wichtig!«

Heilige?lsardine! Kira klingt so bestimmt und professionell, dass man glauben k?nnte, sie sei selbst Polizistin. Ich bin schwer beeindruckt und sehe aus den Augenwinkeln, dass es Odette genauso geht: Sie starrt Kira v?llig fasziniert an. Finn und Lotti scheinen noch etwas unschl?ssig, aber dann nickt Lotti.

»Okay, du hast recht. Wenn es nicht so lange dauert, kommen wir mit und erz?hlen es dir noch mal in Ruhe. Aber wenn wir in einer halben Stunde nicht zu Hause sind, kriegen wir echt ?rger!«

Kira seufzt.»Ich weiss genau, was du meinst. F?rchte, ich habe gerade das gleiche Problem. Wenn meine Mama und Oma gleich nach Hause kommen und merken, dass ich nicht da bin, ist garantiert die H?lle los. Aber das kann ich jetzt nicht ?ndern – ich muss jetzt erst mal jemanden retten!«

Meine Kira! Wenn es darum geht, anderen zu helfen, ist ihr selbst?rger mit Babuschka egal. Gerade in diesem Moment bin ich ziemlich stolz auf meine mutige, schlaue Freundin.

Die beiden Kinder trotten hinter Kira her. Wir sind noch nicht ganz beim Haus angelangt, da kommt uns Tom schon entgegen und winkt aufgeregt.

»Es ist tats?chlich wieder ein Brief vom Entf?hrer! Er meint es ernst, Frau Stetten ist v?llig fertig! Emilia ist in grosser Gefahr!«

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Kommando»Rettet Emilia«.

Ohne James Bond. Aber mit Winston. Agent auf leisen Pfoten.

Eure letzte Chance! Montag, 16 Uhr. Schrottplatz Alte Werder Strasse. Neben dem Kranh?uschen steht ein alter blauer Golf III. T?te mit Geld in den Fussraum des Beifahrersitzes. Wenn es klappt, ist Emilia Dienstagmittag wieder da. Sonst … aber das wisst Ihr wohl selbst.

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Mein Gef?hl hat mich also nicht get?uscht: Im Umschlag steckte ein Erpresserbrief. Jetzt liegt er auf dem kleinen Sofatisch und sieht genau so aus wie sein Vorg?nger: ein weisses Blatt, der Text aufgeklebt aus lauter ausgeschnittenen Buchstaben. So richtig freuen kann ich mich ?ber meinen guten Riecherallerdings nicht, denn die Stimmung ist gerade am Boden. Frau Stetten weint, Tom, Pauli und Kira gucken ganz betreten.

»Mein armes Kind!«, schluchzt Emilias Mutter verzweifelt. »Ich muss sofort meinen Mann anrufen! Vielen Dank f?r eure Unterst?tzung, aber ich kann momentan gar keinen Schlachtplan mit euch entwerfen, so durcheinander bin ich. Ich brauche jetzt ein bisschen Ruhe – tut mir leid, dass ihr extra gekommen seid!«

Kira r?uspert sich. »Keine Sorge, das verstehen wir. Ist ja auch schon ziemlich sp?t. Hier, auf diesem Zettel habe ich Ihnen die Adressen und Telefonnummern der beiden Kinder notiert, die den Entf?hrer gesehen haben. Beziehungsweise: die Entf?hrerin!« Sie reicht Frau Stetten ein St?ck Papier. »Und wenn uns noch etwas auff?llt oder wir etwas herausfinden, das weiterhelfen k?nnte, melden wir uns gleich.«

»Danke, Kira. Ich bin froh, dass Emilia so gute Freunde hat!« Frau Stetten versucht, sich ein L?cheln abzuringen. Pah, wenn die w?sste, dass Kira, Pauli und Tom gar keine Freunde der doofen Emilia sind! Aber vermutlich ist das gerade nicht der richtige Zeitpunkt, um dieses Missverst?ndnis aufzukl?ren.

Draussen auf der Strasse zieht Kira ihr Handy aus der Hosentasche und wirft einen Blick drauf. »Hm, schon fast neun. Wenn ich noch verhindern will, dass mein kleiner Ausflug auff?llt, muss ich jetzt los.«

Tom nickt.»Ja, ich eigentlich auch. Aber noch eigentlicher m?ssen wir uns ganz dringend ?berlegen, wie wir jetzt weitermachen. Ich meine, James Bond macht auch nicht einfach Feierabend, wenn der B?sewicht noch frei heruml?uft.«

James Bond! Den kenne ich aus dem Fernsehen! Er ist ein ber?hmter Geheimagent, sieht (f?r einen Menschen) ziemlich gut aus, weiss immer, wie er Verbrechern das Handwerk legen kann, und kommt bei den Frauen einfach sensationell an. Also – im Grunde genommen ist er mir ziemlich ?hnlich. Nur dass ich noch kein ber?hmter Agent bin. Aber das kann ja noch werden:Kater Winston– Agent auf leisen Pfoten!

Kira kichert. Ob sie doch wieder meine Gedanken lesen kann?»James Bond! Na klar! Der hat allerdings auch keine russische Grossmutter, die ihm die H?lle heissmacht, wenn er zu sp?t nach Hause kommt.«

»Tja, Leute, ich hab noch etwas Zeit.« Pauli grinst. »Ich habe meiner Mutter einfach gesagt, dass ich heute bei dir ?bernachte, Kira. Ihr war’s ganz recht, ich hatte den Eindruck, sie hat heute noch etwas vor.«

Kira rollt mit den Augen.»Das heisst, du willst jetzt einfach mitkommen?«

»Genau.«

»Und wie erkl?re ich das meiner Mama?«

»Nu entspann dich mal, irgendwas Schlaues f?llt uns schon ein. W?re doch total cool – dann k?nnen wir heute Nacht noch mal die ganze Lage besprechen!«

»Klasse Idee!«, ruft Tom, zieht ebenfalls sein Handy aus der Hosentasche und w?hlt eine Nummer. »Hallo, Papa, hier ist Tom! Du, wir sind hier immer noch mitten in unserer Probe. W?re es okay, wenn ich heute bei Kira ?bernachte? Pauli darf auch, ihre Mutter hat nichts dagegen. Okay? Danke!« Er steckt sein Handy wieder in die Tasche. »So, bin auch dabei! Wollen wir los?«

»Hey, Moment mal! Wir k?nnen doch nicht einfach eine spontane ?bernachtungsparty bei mir starten! Meine Mutter bekommt die Krise, wenn sie das mitkriegt! Meine Oma ist seit heute zu Besuch und Babuschka ist verdammt anstrengend. So locker meine Mama normalerweise ist – das ist heute nicht drin!«

Was soll ich sagen? Das kann ich nur best?tigen! Ich m?chte mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn morgen drei Kinder anstelle von einem zum Fr?hst?ck erscheinen. Zu Babuschkas Vorstellung von guter Kindererziehung passt das garantiert nicht.

»Ooch, Kiralein«, fl?tet Pauli, »deine Mama wird uns schon nicht mitten in der Nacht vor die T?r setzen. Besondere Umst?nde erfordern besondere Massnahmen. Du hast doch den Brief gelesen: ?bermorgen Nachmittag ist die n?chste ?bergabe geplant. Wenn wir einen Vorsprung vor der Polizei gewinnen wollen, m?ssen wir sofort loslegen.«

Kira seufzt.»Na gut. Dann kommt mit. Aber das klappt nur, wenn meine Mama und Oma noch nicht zu Hause sind. Dann k?nnen wir heimlich reinschl?pfen. Sonst m?sst ihr nach Hause gehen.«

Pauli und Tom nicken.»Gebongt.«

Odette knufft mich in die Seite.

»Hey, wenn es nun schon eine Lagebesprechung gibt, will ich auch dabei sein. Ich komme einfach mit in eure Wohnung, einverstanden?«

Einerseits eine wirklich tolle Idee– Odette inmeiner Wohnung, eine Wahnsinnsvorstellung! Andererseits: Babuschka! Ein bisschen Angst habe ich schon vor ihr! Aber dann denke ich an James Bond und beschliesse, dass sich auch Geheimagenten auf vier Pfoten nicht vor Grossm?ttern f?rchten, jawoll!

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»Psst! Leise! Ihr seid viel zu laut! Ich glaube, jetzt sind sie gerade nach Hause gekommen!« Kira versucht sich in einer Mischung aus Fl?stern und Schimpfen, was nur so halbwegs klappt. Ihr Zimmer ist mittlerweile die Zentrale des Kommandos »Rettet Emilia«. Kira, Tom und Pauli sitzen im Kreis auf dem Boden, Odette und ich hocken daneben.

Tats?chlich hat eben die Wohnungst?r geklappert und nun h?rt man auch deutlich Stimmen im Flur: Werners tiefe, sanfte und dann Annas – deutlich heller. Babuschka ist anscheinend m?de, sie sagt jedenfalls nichts. Auch gut. Irgendwann h?rt also jeder Drache einmal auf, Feuer zu speien.

Mucksm?uschenstill lauschen die Kinder, bis sich die Stimmen vom Flur ins Wohnzimmer verlagern. Gl?ck gehabt! Einen Moment lang hatte ich schon bef?rchtet, Anna w?rde noch einmal in Kiras Zimmer gucken. Das macht sie n?mlich ab und zu, bevor sie selbst ins Bett geht. Ich habe sie schon ein paarmal dabei beobachtet und fand es immer r?hrend f?rsorglich. Heute w?re es allerdings ziemlich bl?d gewesen.

Pauli f?ngt an zu kichern. »Ich bin schon auf das Gesicht deiner Mutter gespannt, wenn wir hier morgen alle aus deinem Zimmer marschiert kommen.«

Kira guckt grimmig.»Ach ja? Ich ?berhaupt nicht. Ich wollte auch gerade schon vorschlagen, den Wecker auf f?nf Uhr zu stellen. Dann k?nnt ihr abhauen, bevor Mama oder Werner ?berhaupt etwas davon mitbekommen.«

Tom tippt sich an die Stirn.»F?nf Uhr? Du spinnst wohl! Das ist ja noch mitten in der Nacht!«

Jetzt ist es wiederum an Kira zu kichern.»Tom, du bist ein echtes Weichei. F?nf Uhr ist eindeutig Morgen. Am besten schlafen wir jetzt mal, dann sind wir um f?nf auch fit. Nach dem Fr?hst?ck treffen wir uns dann alle wie besprochen wieder auf dem Schrottplatz. Also so gegen neun Uhr, okay?«

Der Plan, den wir– na ja, also die Kinder – in der letzten Stunde ausgeheckt haben, geht n?mlich so: Wir nutzen die Erkenntnisse aus dem neuen Erpresserschreiben und den Aussagen von Finn und Lotti und durchsuchen gleich morgen fr?h den Schrottplatz nach einer Frau mit langen blonden Haaren. Wenn wir sie finden, beschatten wir sie, damit sie uns zu Emilias Versteck f?hrt. Und wenn wir das entdeckt haben, alarmieren wir die Polizei, damit die Emilia befreit. Jetzt muss ich den Kindern nur noch verklickern, dass es viel besser ist, wenn neben drei Agenten noch vier Muskeltiere mit in die Fahndung einsteigen – dann wird aus dem guten Plan ein spitzenm?ssiger!

Ich rapple mich also auf, h?pfe in die Kreismitte und fauche, so laut ich kann.

Kira legt den Kopf schief.»Hm, wenn ich nur w?sste, was Winston uns gerade sagen will. Es ist bestimmt etwas sehr Wichtiges!«

Stimmt ganz genau! Ich fauche noch einmal.

»Winston erstaunt mich immer wieder«, stellt Pauli fest. »Ob alle Katzen so schlau sind? Oder ob das noch an eurem K?rpertausch liegt?«

Odette maunzt, die Kinder gucken erstaunt.

»Mannomann!«, ruft Tom. »Das wird langsam unheimlich mit den beiden! Ich frage mich sowieso schon die ganze Zeit, woher Winston wusste, dass der Brief heute Abend vom Entf?hrer war. Wusste er doch, oder?« Er guckt mich scharf an, ich miaue zustimmend. »Nicht zu vergessen heute Morgen – den Brief hatte er doch auch schon angeschleppt. Und dann die Sache mit den beiden Kindern. Wie hat Winston die bloss gefunden? Die standen ja gar nicht mehr direkt vorm Haus, sondern waren schon ein ganzes St?ck weit weg. Ich werde das Gef?hl nicht los, dass diese beiden Katzen irgendetwas wissen, was wir noch nicht gecheckt haben.«

So ist es. Dann werde ich mal versuchen, euch Zweibeiner in den aktuellen Stand unserer Ermittlungen einzuweihen. Ich dr?cke meine Nase auf den Boden und versuche, Ger?usche zu machen, die ansatzweise nach Schn?ffeln klingen. Dann schn?ffele ich einmal im Kreis, setze mich wieder auf und maunze.

»H??« Kira kratzt sich am Kopf.

»Ich glaube, sie haben dich nicht verstanden«, meint Odette trocken. »Es sah aber auch ziemlich seltsam aus. Ein guter Schauspieler bist du jedenfalls nicht.«

»Sch?nen Dank auch«, erwidere ich gereizt. »Dann mach doch selbst, wenn du eine bessere Idee hast!«

»Hab ich auch!« Sie trabt zu Kira und schn?ffelt an deren H?nden.

»Hey, das kitzelt!«, ruft Kira.

»Tja, super Idee, Odette«, ?tze ich. »Da hat Kira ja sofort geschnallt, was du sagen wolltest.« Odette sagt dazu nichts, sondern schnuppert weiter an Kiras H?nden. Dann h?rt sie damit auf, l?uft zu Kiras Schreibtisch, macht einen Satz auf die Tischplatte und beginnt, dort in einem Haufen Papier herumzuschn?ffeln.

»Hm, ich glaube, das soll Schn?ffeln bedeuten«, sagt Pauli schliesslich.

»Meinst du?« Tom klingt skeptisch.

»Ja. Erst hat die weisse Katze doch an Kiras H?nden geschn?ffelt, jetzt an Papier. Also, wenn die Katzen wirklich versuchen, uns etwas zu sagen, dann doch wohl, dass sie etwas Bestimmtes erschn?ffelt haben.«

»Genau!«, ruft Kira pl?tzlich. »Wenn Odette an Papier schn?ffelt, meint sie wahrscheinlich den Brief des Entf?hrers – er scheint nach etwas zu riechen, das die Katzen wiedererkannt haben. Vielleicht haben sie so auch die Kinder gefunden. Weil die auch danach gerochen haben.«

Heilige?lsardine – na endlich! Es hat zwar lange gedauert, aber nun haben wir unsere Zweibeiner auf der richtigen Spur. Ich schnurre zufrieden.

»Also stimmt es, Winston?« Kira mustert mich eindringlich. Ich schnurre noch lauter. »Tja, wenn das so ist, Leute, dann m?ssen wir Odette und Winston nat?rlich unbedingt morgen fr?h mitnehmen.«

»Hurra!« Mit einem lang gezogenen Maunzer springt Odette wieder vom Schreibtisch hinunter und l?uft zu mir. »Ich h?tte nicht gedacht, dass die Verst?ndigung zwischen Mensch und Katze so toll klappt«, ruft sie begeistert. »Das geht ja richtig einfach! Jetzt m?ssen wir nachher nur noch Karamell und Spike mitnehmen, dann l?uft es genauso, wie wir es geplant hatten. Sag, dass ich das gut gemacht habe, Winston!«

»Ja, hast du gut gemacht. Aber ich vermute, dass es in diesem Fall nur so einfach war, weil Kira schon mal als Katze durch die Gegend gelaufen ist. Sie weiss eben, wie wir Katzen ticken. Die meisten Menschen glauben bestimmt nicht, dass wir logisch denken k?nnen.«

»Pah!« Odette klingt emp?rt. »Das kann gar nicht sein! Die Menschenpolizei arbeitet doch sogar mit Hunden zusammen! Also, wenn sie Hunden zutrauen, ihnen zu helfen, muss das doch f?r uns erst recht gelten! Frechheit!«

»Na ja, Hunde sind eben … unkomplizierter. Also, aus menschlicher Sicht, meine ich. Ich glaube, sie helfen Menschen einfach gern. Und diese Eigenschaft macht sich die Polizei eben zunutze.«

»Wir helfen doch auch gern!«

»Ja, machen wir auch. Aber eben auf unsere Weise. Ich glaube, was Menschen an Hunden m?gen, ist, dass Hunde es eben so machen, wie der Mensch es gern m?chte. Man kann es ihnen gewissermassen vorschreiben.«

»Okay, da hast du recht. Vorschreiben lassen w?rde ich mir das nicht. Trotzdem: Ich helfe gern! Auch Menschen!«

K?nnte ich grinsen, jetzt w?rde ich es tun. Odette ist einfach zu s?ss, wenn sie sich aufregt.

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Eine Seefahrt, die ist lustig.

Vor allem, wenn man gar nicht mitf?hrt …

Nicht zu fassen! Da ist es einmal richtig wichtig, dass der doofe Wecker klingelt– und dann tut er es nicht! Wo dieses schreckliche Teil doch sonst so laut scheppert, dass ich selbst im Flur davon vor Schreck aus meinem K?rbchen falle! Wenn ich nicht sowieso in Kiras Bett liege. Aber heute Morgen: Fehlanzeige. Und so werden wir nicht um f?nf Uhr von Kiras Wecker, sondern umneun Uhr von Babuschka geweckt. Grundg?tiges Katzenklo – so ein Mist!

»A eta schto jeschtscho takoje? Kak mnoga detej i kak mnoga koshek«, ruft sie laut, was so viel heisst wieWas ist das denn? So viele Kinder und so viele Katzen! Klar. Damit hat Babuschka nicht gerechnet. Schliesslich weiss sie nichts von unserem Geheimkommando und ich glaube, das ist auch besser so. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihre Vorstellung von braven Kindern auch solche beinhaltet, die Verbrecher jagen.

Kira rappelt sich von dem Bettenlager hoch und reibt sich verschlafen die Augen. Dann blickt sie sich um und ist mit einem Schlag hellwach.

»Oh nein! ?h … ich meine: Guten Morgen, Babuschka! Ich … ?h … ich kann alles erkl?ren!«

Babuschka guckt immer noch sehr erstaunt, sagt aber nichts mehr. Daf?r schallt Annas Stimme ?ber den Flur. »Mamuschka, Kira! Wo bleibt ihr denn? Fr?hst?ck ist fertig!«

Schritte kommen n?her und das Jucken meiner Schwanzspitze verr?t mir, dass hier mit ?rger zu rechnen ist. Grossem ?rger. SEHR grossem ?rger! Annas Kopf taucht im T?rrahmen auf.

»Ich koche noch Eier. Wollt ihr beiden auch …« Ihre Stimme erstirbt. Mit einem Satz steht sie neben Babuschka. »WAS ist denn hier los?«, ruft sie und klingt dabei ziemlich fassungslos.

Nun w?hlen sich auch Pauli und Tom aus den Decken und Odette streckt ihr bezauberndes K?pfchen in die H?he.

»Kira! Du bist gestern nicht mitgekommen, weil du angeblich so m?de warst! Sag bloss, du hast hier heimlich eine Party gefeiert?!« Annas Stimme klingt nach mindestens vier Wochen Stubenarrest. Und nach keine Geschenke an Weihnachten. Auweia!

Babuschka wiegt den Kopf hin und her und murmelt:»Joi, joi.« Wahrscheinlich?berlegt sie gerade, ob sie an dieser Stelle nicht noch einmal eine sch?ne Rede ?ber Kindererziehung in Russland, und warum die viel besser funktioniert, halten sollte.

»Ja, also«, beginnt Kira stockend, »ich wollte es Babuschka gerade erkl?ren – wir mussten gestern doch noch mal f?r unser Musical ?ben. Es gab noch so viele ?nderungen und ich spiele jetzt die Hauptrolle. Da ist es nat?rlich total wichtig, dass ich richtig, richtig gut bin.«

»Aha?« Anna ?berlegt. Das ist schon mal gut – ich h?tte wetten k?nnen, dass sie sofort lospoltert. Was f?r eine gewiefte Taktikerin Kira aber auch ist! Wenn etwas bei Anna zieht, dann die Behauptung, man m?sse sich f?r die Schule reinh?ngen. Ich erinnere mich noch mit Grausen an die Zeit, in der ich als Kira in die Schule gehen musste. Bei Mathehausaufgaben kannte Anna ?berhaupt keinen Spass. Und eine Hauptrolle im Schulmusical l?sst ihr Mutterherz doch bestimmt auch h?her schlagen.

»Ja, weisst du, um die Rolle musste ich total k?mpfen, weil sie erst ein anderes M?dchen bekommen hat. Aber die ist dann krank geworden und da habe ich meine Chance genutzt.«

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Babuschka auf einmal anf?ngt, sehr milde zu l?cheln. G?tig geradezu. So kenne ich sie gar nicht! Offensichtlich ist auch sie eine Bef?rworterin von schulischem Ehrgeiz.

Kira scheint den Stimmungsumschwung auch bemerkt zu haben, denn sie legt nach:»Tja, und um besonders gut zu sein, muss ich jetzt nat?rlich hundert Prozent geben. Ich habe leider einiges nachzuholen, denn mir fehlen ja einige Probentage f?r die Hauptrolle. Bei dem Gedanken daran konnte ich gestern leider nicht einschlafen – obwohl ich doch so m?de war! Und deswegen habeich schliesslich Tom und Pauli angerufen und sie gefragt, ob sie mir helfen k?nnen.« Kira wirft ihrer Mutter einen besonders treuherzigen Blick zu. Den habe ich bisher nur bei Hunden gesehen, aber Kira hat ihn auch echt gut drauf. Ich gucke r?ber zu Anna – wird sie diese faustdicke L?ge schlucken?

Sie wird! Ein Strahlen wandert?ber ihr Gesicht. So sch?n kann man wirklich nur l?cheln, wenn man keinen Pelz mit sich herumtr?gt, so wie meiner einer.

»Gut, das ist nat?rlich etwas anderes, mein Schatz!« Sie geht hin?ber zu Kira und umarmt sie. »Da bin ich aber m?chtig stolz auf dich. Und dann wollt ihr nach dem Fr?hst?ck bestimmt weiter?ben, richtig?«

Kira nickt.»Jaja. Genau so ist es. Wir werden die Lieder und die Sprechtexte weiter einstudieren, damit es morgen bei der n?chsten Probe auch wirklich gut sitzt. Pauli hat sogar noch eine zweite Katze mitgebracht, damit wir noch eine richtig tolle Tiernummer f?r die Auff?hrung ein?ben k?nnen. Du weisst doch: Winston spielt ja auch mit.«Tolle Tiernummer? Mit Odette und mir? Jetzt tr?gt Kira aber ein bisschen sehr dick auf – das muss Anna doch merken! Wir sind schliesslich keine dressierten Pudel, die im Zirkus durch brennende Reifen springen! Also so was!

Anna merkt es nicht. Stattdessen ist sie jetzt regelrecht begeistert.»Das finde ich ja gut!«, ruft sie. »Dann decke ich mal zwei Teller mehr auf, damit sich Tom und Pauli auch st?rken k?nnen.«

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Kurz darauf sitzen meine Menschen gut gelaunt am Fr?hst?ckstisch. Werner hat frische Br?tchen geholt und Anna erz?hlt ihm begeistert von Kiras Hauptrolle. Werner l?chelt.

»Super, dann bekommen wir demn?chst in der Schule also richtig was geboten! Ich darf doch auch kommen, oder?«

Kira nickt.»Klar, da freuen wir uns. Bis dahin ?ben wir noch ordentlich, damit auch alles gut klappt. Wir werden uns gleich wieder unseren Text schnappen und noch einmal alles durchgehen.«

»Oh«, Werner klingt entt?uscht. »Ich habe mir heute das Segelboot meines Bruders f?r einen Familienausflug geliehen. Ich wollte deiner Grossmutter eigentlich bei einem T?rn auf der Alster Hamburgs sch?nste Seiten zeigen.«

Kira zuckt mit den Schultern.»Also, ich kann heute leider nicht, wir m?ssen hierbleiben und ?ben. Gerade bei den Liedern bin ich noch nicht ganz textsicher.«

Ganz sch?n schlau von Kira! So sind wir die Erwachsenen gleich los und k?nnen ungest?rt auf dem Schrottplatz nach einer heissen Spur suchen.

»Das ist wirklich l?blich«, Werner ringt sich zu einem L?cheln durch. »Dann wird es eben ein kleinerer Ausflug, nur mit deiner Mutter und Grossmutter.«

»Wirklich, Werner! Sie machen sich so viel M?he f?r meine Mutter! Das m?ssen Sie aber gar nicht – Sie sind ein so besch?ftigter Mann!«, wirft Anna ein.

»Das mache ich doch gern. Ist f?r mich auch eine gute Gelegenheit, mal wieder segeln zu gehen. Ich komme viel zu selten dazu. Eine Win-Win-Situation.« Werner grinst, ich verstehe nur Bahnhof.Win-Win? Ist das Chinesisch f?r Segeln?

»Aber wenn es vor allem um die Lieder geht«, ?berlegt Anna nun laut, »dann ist es vielleicht besser, ich bleibe auch da und begleite die Kinder auf dem Klavier. Dann klappt es bestimmt noch besser.«

Maunz! Nein, das geht doch nicht! Dann k?nnen wir nicht auf den Schrottplatz.

»Och n?! Anna, da bin ich aber entt?uscht, wenn Sie nun auch nicht mitkommen!«, beschwert sich Werner. »Sie waren doch bestimmt auch noch nie auf der Alster segeln und Sie w?rden wirklich etwas verpassen. Es ist wundersch?n!«

»Ja, die Idee finde ich auch toll – aber …«

»Nichtsaber!«, unterbricht Kira ihre Mutter. »Du kannst Professor Hagedorn doch nicht entt?uschen. Ich meine, wenn er nun schon extra das Boot besorgt hat. Wir kommen hier auch alleine klar. Geht ihr mal lieber segeln.«

»Habe ich Idee!«, mischt sich nun auch noch Babuschka ein. »Segel ich nicht mit, sondern spiele Klavier f?r Kinder. Ich finde Idee zwar sehr freundlich von Professor, aber auf Bott wird mir schnell schlecht. Ich helfe lieber Kinder. Anna, gehst du segeln und ich bleibe hier. Wenn mit ?ben fertig, dann mache ich Pelmeni.«

»Oh, das w?rdest du machen, Mamuschka?«, freut sich Anna. Einen Moment lang hoffe ich, Werner k?nnte widersprechen – immerhin hat er das Boot doch extra f?r Babuschka besorgt! Aber auch Werner scheint der Gedanke an einen kleinen Bootsausflug allein mit Anna zu gefallen. Jedenfalls l?chelt er fr?hlich und auf einmal beschleicht mich das Gef?hl, dass es ihm sogar ganz recht ist, ohne Babuschka in See zu stechen.

»Na gut, bevor Ihnen schlecht wird, Frau Kovalenko … Anna, wenn Sie auch ohne Ihre Frau Mutter Lust zu unserem Ausflug haben, dann zeige ich Ihnen Hamburg vom Wasser aus nat?rlich gern. Und Sie k?nnen sich nat?rlich an den Fl?gel setzen, Frau Kovalenko. Ich freue mich, wenn wir Verwendung f?r ihn finden!«

Okay, damit ist Kiras Flunkerei doch eher ein Eigentor gewesen. Gleich werden wir hier mit Babuschka sitzen und ich glaube nicht, dass auch nur irgendein Kind das Haus verlassen darf, bis s?mtliche Lieder und Texte gr?ndlich sitzen und alle Katzen eine omin?se »Tiernummer« beherrschen. Good bye, Verbrecherjagd, hello, Zirkusdressur!

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Es kommt, wie es kommen musste: Kaum sind Werner und Anna aus der T?r, richtet sich Babuschka mit einem ge?bten Handgriff ihre Turmfrisur, streckt den R?cken durch und klatscht in die H?nde. »Gutt, Kinderrrr!«, ruft sie mit besonders lang gezogenem Rrrrr. »Fangen wir also mit ?ben an! Wo sind Noten?«

Kira, Tom und Pauli schauen sich an.

»Okay«, seufzt Kira, »dann hole ich mal mein Heft.« Sie schleicht aus dem Wohnzimmer, Pauli, Tom und ich folgen ihr. Nur Odette bleibt unter dem Esstisch liegen. Wahrscheinlich hofft sie, jetzt ein paar Kr?mel vom Fr?hst?ck zu erwischen. Es sei ihr geg?nnt, ich habe momentan sowieso keinen Appetit!

Auf dem Flur knufft Pauli Kira in die Seite.

»Kira«, fl?stert sie leise, »wir k?nnen doch jetzt nicht in aller Seelenruhe f?r das bl?de Musical ?ben, w?hrend Emilia vielleicht gefesselt und geknebelt in irgendeinem Kellerloch hockt! Das geht nicht! Wir m?ssen raus und sie suchen!«

»Was soll ich denn machen?«, fl?stert Kira zur?ck. »Du kennst Babuschka nicht – wenn die sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann ist sie nicht zu stoppen. Wir m?ssen wenigstens mal so tun, als w?rden wir ?ben.«

Tom sch?ttelt den Kopf. »Nee! Pauli hat recht. Wenn du ihr jetzt nicht sagst, dass wir dringend wegm?ssen, dann mache ich es. Deine Oma in allen Ehren, aber nur weil du keinen Stress willst, k?nnen wir nicht l?nger warten!«

»Pauli, Tom, bitte!« Kiras Stimme klingt flehentlich. »Nur eine halbe Stunde – dann denke ich mir irgendeine Ausrede aus und wir hauen ab.«

»Wohin das mit den Ausreden f?hrt, haben wir ja gerade gesehen. Hat super geklappt.« Pauli guckt finster.

»Jetzt sei doch nicht so!«, verteidigt sich Kira. »Das war eine Notl?ge. Meine Mutter w?re sonst ausgerastet. Sag bloss, du hast das noch nie gemacht.«

Pauli sch?ttelt den Kopf. »Nat?rlich habe ich da auch schon mal eine Notl?ge gebraucht – aber das hier ist etwas anderes: Jemand ist in Gefahr, es ist ein echter Notfall.«

»Genau«, best?tigt Tom, »da m?ssen wir jetzt mutig genug sein, deiner Mutter, deiner Oma oder wem auch immer die Wahrheit zu sagen. Selbst, wenn es dann ein bisschen ?rger gibt. Verglichen mit dem, was Emilia gerade durchmacht, ist das doch eine Kleinigkeit.«

»Ausserdem wird deine Oma sowieso gleich merken, dass wir geschwindelt haben«, behauptet Pauli und Tom nickt zustimmend.

»Wieso?« Kira klingt erstaunt und ich weiss auch nicht, warum Tom und Pauli sich da so sicher sind.

»Na, wieso wohl?«, fragt Tom sp?ttisch. »Welchen Text sollen wir denn gemeinsam ?ben? Schon vergessen: Ich mache die B?hne und Pauli die Kost?me. Wir haben gar keinen Text. Und singen tun wir auch nicht. Warum also sollten wir dich nachts besuchen, um gemeinsam zu ?ben?«

Kira seufzt.»Na gut, wahrscheinlich habt ihr recht.« Sie atmet tief durch und geht wieder zur?ck. Noch ein Seufzer, dann dr?ckt sie die Klinke der Wohnzimmert?r. »Dann mal los.«

Babuschka hat sich mittlerweile an den Fl?gel gesetzt und mustert uns interessiert, als wir auf sie zukommen.

»Wo sind Noten? Und Buch?«

»Ja, also«, beginnt Kira, »ich muss dir etwas ganz Schlimmes erz?hlen, Babuschka.«

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Auff?llig unauff?llig.

»Und denkt daran«, schw?rt uns Kira ein, als wir am Schrottplatz ankommen, »das Wichtigste ist, dass wir total unauff?llig sind.«

Das kann wohl nur ein Scherz sein. Wir sind: drei Kinder, von denen eines ein Punkerm?dchen mit wild toupierten Haaren ist. Eine ?ltere Dame, die glitzert wie ein Weihnachtsbaum und die noch dazu eine dramatische Hochsteckfrisur auf dem Kopf spazieren tr?gt. Sowie vier Katzen. Eine weisse, eine schwarze UND eine fette getigerte und eine struppige braune. Spike und Karamell habenn?mlich in letzter Minute beschlossen, sich unserem Kommando anzuschliessen. Mit anderen Worten – mir f?llt momentan nichts ein, was auch nur ann?hernd so auff?llig ist wie unser bunt zusammengew?rfelter Haufen. Noch dazu auf einem Schrottplatz – nicht gerade der nat?rliche Lebensraum vonKindern, Katzen und Grossm?ttern.

Apropos Grossm?tter: Erstaunlicherweise ist Babuschka nicht sofort in Ohnmacht gefallen, als ihr Kira von der Entf?hrung erz?hlt hat. Ich glaube, Oma Hagedorn h?tte mindestens f?nf Gl?schen Eierlik?r gebraucht, um ihr Bewusstsein wiederzuerlangen und diese Nachricht zu verdauen. Babuschka hingegen hat nur die Augenbrauen hochgezogen und gesagt:»Gutt, mache ich Pelmeni lieber sp?ter, helfe ich euch jetzt, Verbrecher zu fangen!«

Wobei mich schon allein der Gedanke ans Verbrecherfangen innerlich zum Schlottern bringt. Heilige?lsardine – hoffentlich fliegen wir nicht sofort auf! Wenn der Entf?hrer merken sollte, dass wir ihm auf der Spur sind … oje, ich mag gar nicht daran denken, was dann passieren k?nnte! Da kr?useln sich gleich alle meine Schnurrhaare!

»Hey, alles in Ordnung, Winston?« Odette hat offenbar gemerkt, dass ich noch nicht hundertprozentig von unserem Schlachtplan ?berzeugt bin. Der sieht vor, dass wir zu acht ?ber den Schrottplatz spazieren, alle verf?gbaren Augen und Ohren aufsperren und danach eine Auswertung unserer Beobachtungen machen. Ist irgendjemandem etwas Verd?chtiges aufgefallen, schauen wir noch einmal genauer hin. So weit, so gut – wenn wir nicht selbst so verdammt auff?llig w?ren!

»Klar, alles paletti! Ich mache mir nur gerade Gedanken, was passiert, wenn der Entf?hreruns bemerkt, bevor wirihn bemerken. Unser Vorteil gegen?ber der Polizei war schliesslich, dass wir viel unauff?lliger suchen k?nnen – aber das galt, bevor wir so eine Riesentruppe waren. Zumal Babuschka nicht gerade unscheinbar ist.«

»Jetzt mach dir mal nicht so viele Sorgen, Winston! Klar, Babuschkas Kleidungsgeschmack ist tats?chlich eher ungew?hnlich und nat?rlich sind Kinder nie so leise, wie sie als Agenten eigentlich sein m?ssten. Aber sieh es doch mal so: Je mehr der Verbrecher durch unsere Menschen abgelenkt wird, desto ungest?rter k?nnen wir Katzen uns auf dem gesamten Schrottplatz umsehen.«

Ich?berlege kurz. »Okay, das klingt logisch. Die verr?ckte Babuschka ist eine perfekte Tarnung. Wenn jetzt noch Spike und Karamell mal ein bisschen mehr Einsatz zeigen als bisher, dann finden wir vielleicht tats?chlich eine heisse Spur. Das w?re dann mal der Erfolg, den wir brauchen, um uns weiterDie vier Muskeltiere nennen zu d?rfen.«

Odette schnurrt.»Genau so ist es! Wegen der Muskeltiere h?tte ich ?brigens noch eine Anmerkung.«

»Ja?«

»?hm, es ist n?mlich so – die heissen in Wirklichkeit anders.«

»Weiss ich doch. Winston, Odette, Spike und Karamell sind nat?rlich keine Namen f?r echte Ritter oder Soldaten oder was auch immer die so genau waren.«

»Nein, ich meine doch nicht unsere Vornamen. Ich meine, dass die Muskeltiere in Wirklichkeit nicht Muskeltiere heissen.«

»H??« Vielleicht stehe ich auf dem Schlauch, aber ich habe keinen blassen Schimmer, was Odette mir gerade sagen will.

»Na ja, die heissenMusketiere, nicht Muskeltiere. Das Buch, aus dem du den Spruch hast– du weisst schon:Einer f?r alle und alle f?r einen –, also, das Buch heisstDie drei Musketiere. Weil ihre Waffe eine Muskete war, das ist eine Art Gewehr. Nicht wegen ihrer Muskeln. Im Grunde genommen ist es ja auch v?llig wurscht, aber ich wollte es dir trotzdem mal sagen.«

Musketiere. Stimmt. So hiessen die! Jetzt f?llt es mir auch wieder ein. Ich fand das Wort schon komisch, als Werner zum ersten Mal aus dem Buch vorgelesen hat. Mir wird ein wenig warm im Pelz. Die Vorstellung, dass ich einen falschen Begriff benutzt habe und Odette das die ganze Zeit schon weiss, ist mir extrem unangenehm.Was f?r eine schlaue, gebildete Katze Odette doch ist! Und wie peinlich f?r mich!

»Aber warum hast du mir das denn nicht gleich gesagt?«, will ich von ihr wissen.

»Ich fand es nicht so wichtig. Und ausserdem wollte ich dich nicht vor Spike und Karamell blossstellen. Ich dachte, es ist irgendwie bl?d f?r dich, wenn ich dich vor ihnen korrigiere.«

Stimmt. Das h?tte ich tats?chlich bl?d gefunden. Ganz sch?n nett von Odette! »Danke, dass du dir so viele Gedanken gemacht hast.«

»Kein Problem. Hab ich gern gemacht. Ich … ?h … kann dich n?mlich ganz gut leiden.«

MAUNZ! Jetzt wird mir tats?chlich sehr, sehr warm im Pelz – aber diesmal nicht, weil es mir unangenehm w?re. Ganz im Gegenteil! Odette sagt, dass sie mich mag: Mein Herz schl?gt schneller und ich ?berlege, dass ich in diesem Moment mit Odette lieber ganz woanders w?re. Auf einer einsamen Insel zum Beispiel.

»Hey, ihr beiden!« Spike reisst mich aus meinen Gedanken. »Was sollen wir denn nun genau machen? Immer hinter dieser schr?gen Oma herzutraben, scheint mir keine sonderlich gewiefte Taktik zu sein.«

Ich sch?ttle mich kurz. »Genau das haben Odette und ich auch gerade besprochen. Am besten wird es sein, wir halten Abstand zu den Menschen, w?hrend wir suchen. Dann stehen die Chancen, unentdeckt zu bleiben, ziemlich gut.«

»Guter Plan!«, lobt Spike.

Karamell kommt angeschlichen.»Ich finde, wir sollten bei unserer Suche aber lieber Zweierteams bilden. Nachher passiert uns doch etwas – dann kann wenigstens einer im Team Hilfe holen.«

Odette maunzt.»Also erstens: Angsthase! Zweitens: Trotzdem eine gute Idee. Team Nr. 1 sind Winston und ich.«

»Na, das ist ja mal eine ?berraschung«, ?tzt Spike. Soll er ruhig, mir egal. Hauptsache, ich bin mit Odette zusammen.

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W?hrend Karamell und Spike im vorderen Bereich des Schrottplatzes direkt an der Strasse herumschleichen, stromern Odette und ich durch den hinteren Teil. Hier steht ein windschiefer Schuppen, neben dem jede Menge alte Reifen und verrostetes Zeugs lagern. Eine T?r hat der Schuppen auch, sie steht einen Spaltbreit auf.

»Guck mal, Winston – in dem H?uschen k?nnte man ein Kind sicher gut verstecken. Lass uns dort reinschauen.«

Bei dem Gedanken ist mir nicht ganz wohl. In einem geschlossenen Raum k?nnen wir dem Verbrecher kaum entkommen, falls er uns entdeckt. Vor Odette will ich aber auf keinen Fall als Angsthase Nr. 2 dastehen. Ich ?berlege kurz.

»Wir sollten zuerst gucken, wo Babuschka gerade heruml?uft. Wenn sie weit genug weg ist, k?nnen wir davon ausgehen, dass der Entf?hrer nicht in unserer N?he ist. Dann schauen wir in den Schuppen.«

Odette seufzt.»Na gut. Wahrscheinlich hast du recht. Komm, lass uns auf das Dach klettern, von da oben haben wir bestimmt einen guten ?berblick.«

Tats?chlich. Vom Schuppendach aus kann man den gesamten Schrottplatz gut sehen. Nicht weit vom Schuppen entfernt steht der Kran, von dem im Brief des Entf?hrers die Rede war. Er ist ziemlich gross und hat einen Greifarm, der mich entfernt an eine Spinne erinnert. Vor dem Kran stapelt sich ein riesiger Haufen Schrott. Bestimmt waren das vor nicht allzu langer Zeit noch Autos. Jedenfalls blitzen an einigen Stellen noch Lack und Chrom durch. Allerdings kenne ich mich mit Autos nicht besonders gut aus. Werner hat kein Auto, er f?hrt immer Fahrrad. Er sagt, wenn alle Menschen auf der Welt Auto fahren w?rden, w?rde die Erde bald in Abgasen ersticken. Da macht er nicht mit!

Neben dem Autoschrott gibt es noch viele andere Haufen, deren Herkunft sich aber nicht auf Anhieb bestimmen l?sst. Dahinter liegt ein gr?sseres Feld, auf dem lauter unverschrottete Autos parken. Und zwischen diesen Autoreihen entdecke ich Babuschkas Hochsteckfrisur. Sie ragt ?ber die Autod?cher hinaus, wunderbar zu erkennen. Gut. Sollte der Entf?hrer wirklich gerade auf dem Platz sein, kann er Babuschka beim besten Willen nicht ?bersehen.

»Ich glaube, die Luft ist rein«, sage ich deshalb zu Odette und springe wieder vom Schuppendach herunter. Sie folgt mir und kurz darauf strecken wir unsere Nasen durch den T?rspalt des Schuppens. Es ist dort ziemlich dunkel, aber das ist f?r Katzenaugen bekanntlich ?berhaupt kein Problem. Wir schleichen in den kleinen Raum und gucken uns genauer um. Ein Regal, ein Schreibtisch mit einem Stuhl, an der Wand h?ngt ein Kalender – insgesamt ist der Schuppen ziemlich sp?rlich m?bliert. Als Odette an dem Regal entlangl?uft, bleibt sie auf einmal wie angewurzelt stehen.

»Winston! Komm schnell!«

Ich laufe zu ihr.»Was ist denn?«

»Riech mal!«

Ich schnuppere. Tats?chlich: Weihnachtsbaum!

»Heiliges Katzenklo! Das ist ja der Geruch, den wir suchen!«

»Nicht wahr? Irgendetwas in diesem Regal riecht danach. Die Frage ist bloss: Was?«

»Das sehen wir uns genauer an. Komm hoch!«

Odette und ich h?pfen auf das erste Regalbrett. Es ist ziemlich tief, sodass zwei Katzen von unserer Gr?sse bequem darauf Platz finden. Direkt neben uns steht ein grosser Karton und ich bilde mir ein, dass auch dieser nach Weihnachtsbaum riecht.

Odette hat den gleichen Eindruck.»Also, ich glaube, es ist irgendetwas in dieser Kiste.« Sie setzt sich auf die Hinterbeine und steckt den Kopf in den Karton. »Aha, hier ist es! Sieht aus wie …«

Ehe sie sagen kann, was sie sieht, schwingt die Schuppent?r auf und ein Mann steht in dem kleinen Raum. Vor Schreck falle ich fast von dem Regalbrett und kann mich gerade noch am Holz festkrallen. Odette allerdings bekommt erst gar nicht mit, dass gerade der Katastrophenfall eingetreten ist.

»Hey, ihr beiden! Was macht ihr in meinem B?ro!«, ruft der Mann und ist mit einem einzigen Schritt am Regal. Ich h?pfe vom Brett und springe unter den Schreibtisch. Odette zieht ihren Kopf aus dem Karton und maunzt ?ngstlich.

»Sucht ihr was zu fressen oder warum schn?ffelt ihr hier herum?« Die Stimme von dem Kerl kommt mir bekannt vor. Irgendwo habe ich die schon mal geh?rt. Leider sehe ich von meinem Versteck unter der Tischplatte nur seine Schuhe.

Odette maunzt weiter, die Schuhe bewegen sich auf sie zu. Oje, was plant der Kerl?

»So, Miezekatze, du verschwindest jetzt hier. Ich kann es n?mlich nicht leiden, wenn man seine Nase in meine Sachen steckt. Hau ab!« Ich kann es zwar nicht sehen, aber ich glaube, dass der Mann versucht, Odette aus dem Regal zu ziehen. Er macht einen weiteren Schritt nach vorn. Dann ein Schrei! Tja, niemand fasst Odette einfach an – sch?tze mal, sie hat dem Typen einen sch?nen Kratzer verpasst. Jedenfalls springen die F?sse zur?ck und der Mann jault auf.

»AUA, du bl?des Biest! Was f?llt dir ein?« Er sch?ttelt sich, dann springt er wieder nach vorn zum Regal. »Gleich habe ich dich, du dummes Vieh!«

Mit einem Mal stellen sich mir s?mtliche Nackenhaare auf: Genau diesen Moment habe ich doch schon einmal erlebt! Ich war genau hier und ein Mann hat Odette gejagt. Wie kann das sein? Das ist doch nicht m?glich!

Odette springt vom Regal und hechtet in die andere Ecke des Raumes. Als ich sie dort kauern sehe, f?llt es mir sofort wieder ein: Ich habe das nicht erlebt, ich habe es getr?umt! Mein Traum von vor einigen Tagen – er scheint gerade wahr zu werden! Ich weiss also, was ich zu tun habe. Ich habe meinen Einsatz als Winston Churchill, Kater ohne Fehl und Tadel! Es ist genau wie im Traum: Ich springe auf seine Schulter, rieche den Gestank von Zigaretten und Weihnachtsbaum und fahre dem Verbrecher mit meinen Krallen ?ber die Wange.

»Aaaah! Was ist das?« Sofort zieht er seinen Arm von Odette zur?ck und versucht stattdessen, nach mir zu schlagen. Aber er erwischt mich nicht, ich bin einfach zu geschickt. Odette, die sch?nste weisse Katze von allen, springt aus ihrer Ecke hervor.

»Lauf, Odette, lauf weg!«, rufe ich ihr zu. »Ich werde ihn so lange ablenken!«

»Nein, Winston, ohne dich werde ich nicht gehen!«

»Doch, es ist besser so! Lauf!«, rufe ich noch einmal, aber mein kleines Katzenherz macht einen freudigen Sprung, weil Odette bei mir bleiben will. Bevor mich der Kerl absch?tteln kann, verpasse ich ihm noch einen Tatzenhieb. Er heult auf und schl?gt wieder nach mir.

»Oh, Winston«, haucht Odette, »du bist so …«

Leider bin ich an dieser Stelle geweckt worden und weiss deshalb nicht mehr, wie es weitergeht. »… mutig«, h?re ich Odette noch hauchen, was nat?rlich grosse Klasse ist, aber damit endet der sch?ne Teil der Veranstaltung dann leider auch schon. In der Wirklichkeit angekommen, packt mich der Kerl nun n?mlich am Nacken und zieht mich hoch. MIAU! Das tut verdammt weh! So tr?gt man doch keine Katzen!

Dem Kerl ist das v?llig schnuppe. Im Gegenteil: Jetzt sch?ttelt er mich auch noch. »So, mein Freundchen. Du hast Gl?ck, wenn ich dich ins Tierheim bringe und dich nicht gleich in die Schrottpresse schmeisse! Und deine Kollegin hier«, er greift nach Odette und bekommt sie ebenfalls im Genick zu fassen, »die kommt gleich mit. Bl?de Biester! Ich kann Katzen sowieso nicht leiden!«

Da h?ngen wir beide nun, Odette und ich, und sosehr wir auch strampeln, es nutzt uns nichts. Der Kerl hat einen Griff aus Stahl. Heilige ?lsardine, ich will nicht ins Tierheim!!!

Die T?r schwingt wieder auf und das Erste, was ich von meiner sehr unbequemen Lage aus sehen kann, ist ein gigantischer Berg aus aufget?rmten schwarzen Haaren. Babuschka! Ich war noch nie so froh, sie zu sehen!

»Hey, Sie! Was Sie machen mit mein liebe Katze? Wollen etwa stehlen? Geben Sie sofort her«, ruft sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet, »sonst rufe ich Polizei!«

V?llig verdattert l?sst der Kerl uns fallen. Ich lande unsanft, was mir aber egal ist. Hauptsache, ich bin den Schmerz im Nacken los. Auf dem Boden liegend, f?llt mir endlich ein, woher ich den Grobian kenne: Es ist der Schulhausmeister. Besser gesagt: seine Krankheitsvertretung!

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Keine Pelmeni f?r Werner.

Daf?r aber eine neue Aufgabe f?r unwillige Musketiere.

»Schon wieder Fischst?bchen?« Werner guckt entt?uscht, als ihn nach dem Segelausflug nicht die erhofften Pelmeni erwarten, sondern ein zarter Hauch Seelachsfilet durch die Wohnung weht. Babuschka, die gerade aus der K?che kommt, sagt nichts dazu, sondern zwinkert uns nur verschw?rerisch zu. Kira, Pauli und Tom zwinkern zur?ck. Wir sitzen auf dem Boden vor dem Fl?gel und tun so, als h?tten wir gerade noch ge?bt. Das heisst nat?rlich, die Kinder tun so. Weil ich weder zwinkern noch in Texten bl?ttern kann, bem?he ich mich, wenigstens auch ein bisschen verschw?rerisch dreinzublicken. Es ist ein schweres Katerleben! Und ich muss es ganz allein durchstehen – Odette, Karamell und Spike sind n?mlich nach unserem Ausflug zum Schrottplatz gleich unten im Hof geblieben. Vier Katzen in der Wohnung: Das war Babuschka eindeutig zu viel.

Werner seufzt.»Am Ende des Tages wird Winston das einzige Mitglied der Familie Hagedorn sein, das diese Spezialit?t einmal probieren durfte.«

Anna klopft ihm auf die Schulter.»Keine Sorge, Herr Hagedorn. Es wird schon noch klappen mit den Pelmeni. Aber es ist doch auch toll, dass hier alle so fleissig ge?bt haben, dass meine Mutter nicht gross zum Kochen gekommen ist.« Dann dreht sie sich zu uns um. »So, dann wollen wir jetzt aber auch mal etwas von den K?nstlern h?ren!«

Kiras Gesichtsfarbe wechselt. Ich glaube, sie wird rot.Ich glaube deshalb, weil ich doch als Kater kein Meister im Farbensehen bin. Aber aus meiner Zeit als M?dchen weiss ich, dass die Welt ziemlich bunt ist und insbesondere Menschen gern die Farbe von reifen Tomaten annehmen, wenn sie in Schwierigkeiten geraten. Eben so wie Kira in diesem Moment.

»?hm, ja, also«, stammelt sie, »das soll doch eine ?berraschung werden – wenn ihr es jetzt schon h?rt, dann ist die Premiere gar nicht mehr spannend f?r euch.«

»Och, das st?rt mich nicht.« Anna l?sst nicht locker.

»?h, ja, aber ich habe leider gerade ziemliche Halsschmerzen, ich kann gar nicht mehr singen«, behauptet Kira nun.

Anna runzelt die Stirn.»Hm, dann sollten wir deine Freunde nach dem Essen verabschieden. Nicht dass du eine Erk?ltung bekommst und noch alle ansteckst. Vielleicht gehst du zur Abwechslung heute auch mal fr?h ins Bett, damit du morgen fit f?r die Schule bist.«

Maunz! Es ist wirklich ein Kreuz mit der Flunkerei– wenn man einmal damit angefangen hat, kommt man nur schwer wieder davon los. Eigentlich wollten wir doch noch unsere grosse Lagebesprechung abhalten und alle gewonnenen Erkenntnisse unserer Observation zusammentragen. Wobei diese im Wesentlichen daraus bestehen, dass Albert Schmidt, der Vertretungshausmeister, unser neuer Hauptverd?chtiger ist. Um nicht zu sagen: unser einziger Verd?chtiger, wenn man einmal von der omin?sen Frau mit blonden Haaren absieht. Da sind sich alle einig: Nach Babuschkas rasantem Abgang mit zwei Katzen auf dem Arm kam Herr Schmidt auch aus dem Schuppen und wurde von Tom, Pauli und Kira, die hinter einem der Schrotthaufen lauerten, einwandfrei identifiziert. Der Schulhausmeister am Ort der geplanten L?segeld?bergabe – das fanden sie h???chst verd?chtig! Und durch einen sehr gekonnten Schn?ffeltanz konnte ich meinen Zweibeinern klarmachen, dass auch ich Herrn Schmidt f?r den Entf?hrer halte. Immer wenn sein Name fiel, habe ich wie wild in der Luft herumgeschnuppert – Kira wusste sofort, was ich meinte, und konnte es den anderen erkl?ren. Der Typ sieht nicht nur verd?chtig aus, er riecht auch so!

Aber was machen wir als N?chstes? Das m?ssen wir nun wohl oder ?bel morgen in der Schule besprechen, denn jetzt heisst es gaaanz schnell nach Hause rennen, bevor Anna und Werner dort eintrudeln. Dass die n?mlich so gelassen auf die ganze Geschichte reagieren wie Babuschka, bezweifelte ich. Besser also, sie erfahren garnichts davon.

Ich w?sste allerdings zu gern, was Babuschka, die Katzenretterin, ?ber die ganze Geschichte denkt. Seit ihrem Eins-a-Auftritt im Schuppen sehe ich sie wirklich mit ganz anderen Augen – eine echte Weltklasse-Oma! Bisher hat sie ausser einem kopfsch?ttelndenjoi,joi noch nicht viel gesagt. Was wiederum beweist, dass sie v?llig anders ist, als alle anderen erwachsenen Menschen, die ich kenne. Wahrscheinlich ist sie das, was Kira immercool nennt. Insofern w?re es gut, Babuschka bei der weiteren Einsatzplanung dabeizuhaben. Aber wir k?nnen sie morgen schlecht mit in die Schule nehmen. Als Kira mich das erste Mal in ihre Klasse geschmuggelt hat, hat sie mich in ihrer Schultasche versteckt. Ich w?rde sagen, da passt Babuschka schon wegen ihrer Hochsteckfrisur nicht hinein!

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»Leute, wir sind auf dem richtigen Weg!« Kiras Augen funkeln regelrecht, als sie am n?chsten Morgen vor der Schule auf Pauli und Tom trifft. »Ich konnte heute Nacht ?berhaupt nicht schlafen, weil ich die ganze Zeit dar?ber nachdenken musste, wie wir es heute am besten anstellen. Denn eines ist wohl klar: Das ist unsere letzte Chance, Emilia zu retten. Ich denke mal, dass die Polizei bei der L?segeld?bergabe alles tun wird, um den Typen dingfest zu machen. Aber wenn das wieder schiefgeht, dann gute Nacht!«

Tom r?uspert sich. »Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache. Ich meine, wir sind uns doch jetzt ziemlich sicher, dass der Entf?hrer wahrscheinlich dieser komische Herr Schmidt ist. Warum gehen wir nicht zur Polizei und erz?hlen, was wir wissen.«

»Nein!« Pauli sch?ttelt energisch den Kopf. »Was wissen wir denn wirklich? Wir wissen, dass Herr Schmidt momentan unseren Hausmeister vertritt und dass er auf dem Schrottplatz arbeitet. Ist ja nicht gerade eine Sensation und kann auch Zufall sein. Ich glaube nicht, dass die Polizei daf?r schonein Sondereinsatzkommando schickt.«

»UND wir wissen, dass er so riecht wie die Briefe des Entf?hrers – das hat Winston einwandfrei festgestellt«, wirft Kira ein.

»Na ja«, sagt Pauli. Dann sagt sie nichts mehr. Das ?rgert mich. Sogar noch mehr, als wenn sie gesagt h?tte, dass sie mir nicht glaubt. Der werde ich’s noch zeigen!

»Okay, sagen wir mal, wir haben einen begr?ndeten Verdacht«, ?berlegt Tom laut. »Dann hilft es nichts: Wir m?ssen Schmidt weiter beobachten. Vor allem, wenn der die Schule verl?sst. Am besten, wir suchen ihn gleich unauff?llig und lassen ihn dann nicht mehr aus den Augen.«

Pauli sch?ttelt den Kopf. »Wie soll das denn gehen? Wir m?ssen in den Unterricht. Ich glaube nicht, dass uns Pr?torius einfach im Schulgeb?ude herumlaufen l?sst, w?hrend wir eigentlich Bio haben. Wie willst du ihm das erkl?ren?«

Tom zuckt mit den Schultern.»Weiss nicht.«

Kira seufzt.»Schade, dass Herr Schmidt Winston schon gesehen hat, sonst k?nnte der ihn auf Schritt und Tritt verfolgen und uns sofort holen, wenn er etwas entdeckt hat.«

Pauli sagt schon wieder nichts, guckt aber immer noch skeptisch. Grrrr, gleich rollen sich meine Schnurrhaare auf! Was f?llt der ein, so an mir zu zweifeln! Ich m?chte am liebsten sofort beweisen, dass Kira recht hat und ich Schmidt perfekt beschatten k?nnte. Aber leider hat sie ausserdem recht mit der Feststellung, dass er mich schon kennt. Gut, ich bin nicht die einzige schwarze Katze auf der Welt, trotzdem w?rde er wahrscheinlich misstrauisch werden. Ha! Das ist es ?berhaupt: Ich bin nicht die einzige Katze auf der Welt. Und erst recht nicht in Hamburg. Es gibt ja auch noch Spike und Karamell! Die k?nnen jetzt endlich mal beweisen, was in ihnen steckt. Hoffentlich nicht nur zwei Schmusek?tzchen, sondern echte L?wen!

Ich beschliesse, zur?ck nach Hause zu laufen und die beiden zu holen. Die sollen sich so lange vor das Schultor setzen, bis Schmidt auftaucht, und ihn dann verfolgen. Einfacher Plan – das m?ssten doch sogar der Dicke und der ?ngstliche hinkriegen!

Als Tom, Kira und Pauli die Treppenstufen zum Schuleingang hochgehen wollen, mache ich deshalb kehrt.

»Hey, Winston, wo willst du denn hin?« Kira l?uft hinter mir her, kniet sich neben mich und streicht mir mit der Hand ?ber den R?cken. Ich setze mich und schaue ihr fest in die Augen.Liebe Kira, ich weiss, du kannst mich nicht mehr h?ren, aber vertrau mir einfach: Ich weiss, was ich tue!

Sie l?chelt mich an, dann nickt sie. »Okay, Winston. Du weisst, was du tust. Dann mal los!!«

Hat sie mich etwa doch verstanden? Ist da vielleicht noch ein winzig kleiner Rest von Gedanken?bertragung zwischen uns ?brig geblieben?

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»Also verstehe ich das richtig? Wir sollen diesen gef?hrlichen Kerl jagen, der schon dir und Odette an den Kragen wollte? Und ihr beiden seid vorsichtshalber nicht dabei?« Heilige ?lsardine, Karamell ist so ein Feigling! Seit einer halben Stunde hocke ich mit ihm und Spike im Hinterhof und versuche, die beiden zu ?berreden, nun endlich zur Schule mitzukommen. Bisher ohne Erfolg. Wenn doch bloss Odette hier w?re – sie h?tte die beiden bestimmt schon l?ngst ?berzeugt. Aber von der sch?nsten Katze der Welt fehlt leider jede Spur. Ich hole tief Luft.

»Falsch, Karamell. Ihr sollt ihn nicht jagen. Ihr sollt nur aufpassen, dass er uns nicht durch die Lappen geht. Ihr setzt euch ganz gem?tlich vor die Schule, und falls Herr Schmidt selbige dann verlassen sollte, heftet ihr euch einfach an seine Fersen. Sobald ihr wisst, wo er hinwill, bleibt einer von euch bei ihm und der andere holt mich. Kein Risiko, ?berhaupt nicht gef?hrlich, verstanden?«

»Ich weiss nicht«, Karamell ist noch nicht ?berzeugt, »nachher tut der uns doch was. Und warum k?nnen die Kinder den nicht einfach verfolgen? Die hat er doch auch nicht gesehen, oder?«

Stimmt. Herr Schmidt hat Kira, Pauli und Tom nicht entdeckt, als er hinter Babuschka aus dem Schuppen kam. Aber an Karamells Frage merkt man trotzdem deutlich, dass er noch nie eine Schule von innen gesehen hat. Kann man ihm als Kater allerdings auch nicht vorwerfen.

Ich hole deshalb zu einer Erkl?rung aus: »Pass auf, Karamell, es ist so: Kira, Tom und Pauli sind vormittags in der Schule. Da kann man nicht einfach kommen und gehen, wie man gerade lustig ist. Dann gibt’s richtig ?rger!«

Karamell und Spike gucken mich verst?ndnislos an.

»Wieso gibt’s da ?rger?«, will Spike wissen. »Sind doch noch genug andere Kinder da. Du hast jedenfalls gesagt, in der Schule sei es ziemlich laut, weil da so viele Kinder rumrennen. Da m?ssten die Lehrer doch froh sein, wenn mal drei Kinder fehlen.«

Gut. Im Grund klingt das einleuchtend. Wenn ich Lehrer w?re, h?tte ich gegen ein paar Kinder weniger im Klassenzimmer ?berhaupt nichts einzuwenden. Aber so funktioniert Schule meines Wissens leider nicht.

»Spike, ich weiss auch nicht,warum Anwesenheit in der Schule so wichtig ist. Ich weiss nur,dass es so ist. Und dass die Kinder deswegen nicht einfach abhauen und Herrn Schmidt verfolgen k?nnen.«

»Na und? Nicht mein Problem«, mault Karamell.

»Also wirklich!«, fauche ich ihn entnervt an. »Wenn ich bei deinem Ausflug in die M?lltonne genauso gedacht h?tte, w?rst du jetzt bestimmt schon zu einer h?bschen Rolle Altpapier verarbeitet worden. Aber nein, ich bin zu dir in die Tonne gesprungen und habe dich gerettet. Obwohl das bei Licht betrachtet auch ?berhaupt nicht mein Problem war.«

»Na ja, Karamell – da hat Winston recht«, wirft Spike ein. »So kamen wir doch eigentlich auf die Idee mit den Muskeltieren.«

»Die heissen ?brigens Musketiere«, verbessere ich Spike.

»H?? Wieso das denn auf einmal?«

»?h … weil – ach egal. Merk dir einfach, dass die ab jetzt Musketiere heissen.«

Spike schnauft.»Wenn ich gewusst h?tte, wohin das Ganze f?hren w?rde, h?tte ich mir weder gew?nscht, Muskeltier noch Musketier zu sein. Ich h?tte mal sch?n auf meinem sonnigen Fleckchen hier liegen bleiben sollen.«

»Jaja. Aber daf?r ist es nun zu sp?t. Wir sollten jetzt wirklich los. Wisst ihr ?brigens, wo Odette steckt?«

Karamell und Spike gucken sich an, dann sch?tteln sie gleichzeitig den Kopf.

»Nee. Nicht die geringste Ahnung. Die haben wir seit gestern Abend nicht mehr gesehen.«

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Von Duftb?umen, Staubsaugern und karierten Decken.

»Schnell, der Mann ist tats?chlich wieder auf dem Schrottplatz!« Karamell kommt in die Aula gehetzt, in der sich alle Kinder gerade auf den n?chsten Probendurchlauf vorbereiten. Auch ich habe mich schon auf der B?hne in Position gesetzt, aber nach dieser Nachricht springe ich sofort auf und laufe zu Kira. Fauchend und maunzend streiche ich um ihre Beine – sie kapiert sofort.

»Oh, Mist – es geht los, richtig?«

Ein lautesMiau meinerseits– genau so ist es!

Kira springt von der B?hne und l?uft zu Tom hin?ber, der weiter hinten in der Aula am Mischpult sitzt. »Tom, es geht los!«

»Ja, weiss ich doch. Die Lichter habe ich schon gesetzt, und wenn ich jetzt noch die richtige CD eingelegt habe, bin ich startklar. Also, mach dir um die Technik keine Sorgen. Nur ein Handzeichen von unserer genialen Regisseurin Leonie und ich lege los!«

»Ach, das meine ich doch nicht! Ich meine unser Kommando ›Rettet Emilia‹! Wir m?ssen dringend los!«

Tom kratzt sich am Kopf.»Wieder auf den Schrottplatz?«

Ich miaue, so laut ich kann.

»Genau so ist es«, deutet Kira mein Maunzen richtig.

»Aber wie sollen wir das machen? Die Probe ist bis 14.30 Uhr angesetzt, sie kann jeden Moment anfangen.«

Tats?chlich stolziert in diesem Augenblick Starregisseurin Leonie auf uns zu. »Na, kleiner Kaffeeplausch, ihr beiden? Wenn ihr den kurz unterbrechen m?gt – wir w?ren dann alle so weit.« Wieso eigentlich klingt alles, was Leonie von sich gibt, immer so ?tzend? Das muss an ihrem Gesichtsausdruck liegen, der keinen Zweifel daran l?sst, dass sie auch die netten Sachen, die sie sagt, niemals nett meint. Was f?r eine ?ble Zicke!

Kira r?uspert sich. »?h, es ist so … ich muss eigentlich ganz dringend weg. Ein … ?h … unvorhergesehener Termin.«

Leonie starrt sie mit grossen Augen an. Aber anstatt dann etwas zu erwidern, dreht sie sich einfach um und ruft nach Frau Heinson. »Frau Heinson, Kira sagt, sie m?sste mal eben weg. Sollen wir trotzdem mit der Probe anfangen?«

Keine zwei Sekunden sp?ter steht Frau Heinson neben uns. Mist. Jetzt gibt’s ?rger, das ist selbst mir klar.

»Was h?re ich da, Kira? Das ist ja wohl ein Scherz! Du kannst jetzt nicht gehen. Auf gar keinen Fall!«

Kira knetet nerv?s ihre H?nde. »Ja, ich weiss, es ist doof, aber ich f?hle mich nicht so gut und ich dachte, vielleicht gehe ich mal zum Arzt.«

Frau Heinson mustert sie misstrauisch.»Wenn du krank bist, ist es nat?rlich etwas anderes – aber du weisst ja, dass wir ohne dich als Hauptdarstellerin eigentlich die ganze Probe absagen m?ssen. Ich habe mit meinen Kollegen extra zwei Unterichtsstunden freigeschaufelt – das w?re dann v?llig umsonst gewesen. Also, wenn es irgendwie geht, dann bleib bitte hier.«

Leonie l?chelt sp?ttisch. »Ich habe mal geh?rt, dass Russen oft ein bisschen wehleidig sind. Wenn unsereins nur einen Schnupfen hat, dann sind die gleich sterbenskrank.«

Kira zuckt zusammen, als habe Leonie sie geohrfeigt, und auch Frau Heinson schnappt nach Luft.»Leonie, was f?llt dir ein! So eine Unversch?mtheit! Sofort entschuldigst du dich bei Kira.«

»’tschuldigung«, fl?tet Leonie ganz unschuldig, »ich weiss ja auch nicht, ob das ?berhaupt stimmt.«

»Es stimmt nat?rlich nicht«, f?hrt Kira sie an. »Im Gegenteil – die meisten Menschen in Russland sind richtig hart im Nehmen. Genau wie ich. Ich f?hle mich zwar nicht gut, aber die n?chsten zwei Stunden halte ich noch durch!«

Oje! Ich verstehe zwar, dass Kira das nicht auf sich sitzen lassen will, aber gerade jetzt ist eigentlich der falsche Moment, um der doofen Leonie irgendetwas zu beweisen.

Frau Heinson allerdings freut sich?ber Kiras Sinneswandel. »Sehr gut! Dann k?nnen wir ja anfangen. Danke, Kira!« Sie geht wieder in Richtung B?hne und klatscht in die H?nde. »So, Kinder! Bitte jeder auf seine Position, es geht los.«

Tom guckt Kira unsicher an, dann zuckt er mit den Schultern und legt eine CD in die Anlage ein.

Kira seufzt und b?ckt sich zu mir. »Du hast es geh?rt, Winston – ich kann nicht weg. Da bleibt uns nur eines ?brig: Du und deine Katzenfreunde, ihr bezieht schon mal Stellung auf dem Schrottplatz. Wenn Frau Heinson dich vermisst, sage ich, du seist abgehauen. Haltet Augen und Ohren offen – wir kommen, so schnell es geht. Und lass dich nicht wieder erwischen!«

Ich maunze. Nein, diesmal werde ich vorsichtiger sein– keine b?sen ?berraschungen mehr!

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Die erste?berraschung wartet dann doch schon auf dem Schrottplatz auf mich. Allerdings keine b?se: Odette taucht endlich wieder auf! Seelenruhig sitzt sie vorn an der Einfahrt und schleckt ihre Pfoten ab.

»Odette! Da bist du ja! Ich habe dich vermisst – was machst du hier?«

»Hallo, Winston! Ich warte auf dich. Und vorher habe ich mich mal ein bisschen genauer auf dem Platz umgesehen. Ich dachte, das w?re eine g?nstige Gelegenheit. Schliesslich ist ein Schulhausmeister morgens in der Schule.«

Mannomann! Eine Weltklasseidee! Ich muss schon sagen: Lange Zeit dachte ich, ich sei die schlauste Katze weit und breit. Aber Odette ist einfach noch schlauer. Sie ist tats?chlich die schlauste Katze, die ich kenne. Vielleicht bin ich noch der schlauste Kater – das w?re immerhin auch etwas.

»Und, hast du etwas gefunden?«, will ich wissen.

»Ja, habe ich. Erstens: Ich weiss jetzt, woher der Geruch nach Weihnachtsb?umen stammt. In der Kiste im Schuppen ist ein ganzer Stapel von kleinen Papierb?umen, die danach riechen. Man kann sie anscheinend aufh?ngen, jedenfalls haben sie oben an der Spitze ein Band – fast wie Christbaumschmuck. Diese B?umchen sind aber nicht nur in der Kiste, sie h?ngen hier auch an anderen Stellen rum. Dieser komische Herr Schmidt scheint die irgendwie zu sammeln. Kein Wunder, dass die Erpresserbriefe auch nach diesen B?umchen riechen.«

»Aha. Warum sammelt der so was?«

»Keine Ahnung. Aber das ist nicht alles, was ich entdeckt habe. Es kommt noch zweitens: Ich glaube, das Auto f?r die L?segeld?bergabe steht auch schon da.«

»Echt?«

»Ja. Genau wie im Erpresserbrief beschrieben: Neben dem Kranh?uschen steht ein blaues Auto.«

Heilige?lsardine! Der Wagen f?r die L?segeld?bergabe! Das muss er sein. Da ist kein Zweifel m?glich, blau ist schliesslich eine der zwei Farben, die wir als Katzen richtig gut erkennen k?nnen. Es schaudert mich kurz.

»Was machen wir denn jetzt?«, will ich von der schlauen Odette wissen.

»?hem«, mischt Karamell sich ein, »wieso ?berhauptmachen? Ich denke, wir wollten diesen Schmidt nur unauff?llig beobachten.«

»Karamell«, schnaubt Odette, »nun mach dir nicht gleich in den Pelz! Herr Schmidt ist eben in den Schuppen gegangen. Selbiger wird von Spike bewacht – sobald Schmidt den Schuppen verl?sst, wird uns Spike alarmieren. Abgesehen davon glaube ich tats?chlich nicht, dass wir hier noch irgendeinenHinweis auf Emilia finden. Ich habe mich schon ziemlich gr?ndlich umgesehen und nichts entdeckt.«

Dazu sagt Karamell nichts, ich glaube, er ist beleidigt. Aber soll er ruhig, schliesslich hat Odette recht.

»Was haltet ihr davon, wenn wir uns das Auto mal genauer ansehen?«, schlage ich vor. »Immerhin ist es der einzige Ort, von dem wir sicher wissen, dass der Entf?hrer dort auftauchen wird.«

»Gute Idee«, lobt mich Odette. Karamell guckt mich im Gegenzug b?se an, aber das ist mir egal. Zu dritt traben wir Richtung Kran.

Tats?chlich. Da steht es, das blaue Auto. Das war gestern definitiv noch nicht da.

»Hast du gesehen, wie es dorthingekommen ist?«, will ich von Odette wissen. Die sch?ttelt verneinend den Kopf.

»Nee, leider nicht. Als ich kam, stand es schon dort. Herr Schmidt muss es ziemlich fr?h heute Morgen geparkt haben – noch bevor er zur Schule gegangen ist.«

Ich schleiche um das Auto herum. Sieht ganz normal aus. Nichts Auff?lliges. Ein Satz, und ich lande auf der Motorhaube. Neugierig linse ich durch die Frontscheibe. Was mir sofort ins Auge f?llt, ist der kleine Papierbaum, der hinter der Scheibe baumelt. Das muss einer von denen sein, die so nach Tannengr?n riechen! Mysteri?s! Ob das irgendein Zauber ist? Vielleicht, um die Polizei fernzuhalten? Falls ja, funktioniert er Katzen gegen?ber schon mal nicht.

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