I. Gemeingefährliche Einzelgänger

1. Die Entdeckung

»Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muß, was bleibt, die Wahrheit sein, wie unwahrscheinlich auch immer es sein mag.«

SHERLOCK HOLMES in Conan Doyles Das Zeichen der Vier


Zeit: Sechs Wochen bis zur Stunde Null

Die üppige tropische Vegetation an der Nordostküste Hawaiis hörte unvermittelt auf. Mit einem Schlag fuhr Jenny durch unfruchtbare Lavafelder; es gab weder Palmen noch Passionsblumen mehr. »Sieht aus wie die Rückseite des Mondes«, sagte sie.

Ihr Begleiter nickte und wies auf die Hänge rechts von ihnen. »Das ist Mauna Loa. Es heißt, daß es schreckliches Unglück bringt, Lava von ihr – für die alten Inselbewohner ist der Vulkan weiblich – mit nach Hause zu nehmen.«

»Wer sagt das?«

»Na ja, eben die alten Inselbewohner. Aber auch überraschend viele Touristen. Sie nehmen das Zeug mit und schicken es dann mit der Post wieder zurück.« Er zuckte die Achseln. »Unglück hin oder her, soweit bekannt ist, hat sie nie ein Leben gefordert.«

Captain Jeanette Crichton schaltete herunter, um die schroffe Steigung zu bewältigen. Das Gelände war trügerisch. Vom Strand aus hatte es ausgesehen, als schwängen sich die Bergflanken sacht zum Wasser hinab, wenn man aber hinauffuhr, wurde es entsetzlich steil. Erst dann merkte man, wie hoch die Zwillingsvulkane wirklich waren. Mauna Kea erhob sich 4202 Meter über den Meeresspiegel – und tauchte über 6000 Meter tief zum Meeresboden hinab. Damit war sie höher als der Mount Everest.

»An der nächsten richtigen Straße links«, sagte Richard Owen. »Stört es Sie, wenn ich ein bißchen döse? Ich habe kaum geschlafen.«

»Mir recht«, sagte sie. Sie fuhr weiter.

Nicht sehr schmeichelhaft, überlegte sie. Bändelt in Kona mit mir an, läßt mich hier rauffahren und schläft ein. Wie romantisch…

Sie fuhr sich durch das schulterlange, dunkelbraune, ins Rötliche spielende Haar. Naß vom morgendlichen Schwimmen, wie es war, konnte es unmöglich besonders verführerisch sein. Auch sehr braun war sie nicht. Manchmal verliefen ihre Sommersprossen so ineinander, daß es aussah, als sei sie braun, aber dafür war es noch zu früh im Jahr. Nasse Haare, blasse Haut. Nicht gerade das, was sich die Männer unter einer typischen jungen Kalifornierin vorstellten.

Ihre Figur allerdings war in Ordnung, wenn auch etwas athletisch. Das Heer verlangte praktisch von allen Offizieren, daß sie täglich gut sechs Kilometer liefen, und sie tat das auch, obwohl man ihr die Auflage auf Wunsch vermutlich erlassen hätte. Der wadenlange Rock und das TShirt brachten ihre Figur gut zur Geltung. Aber das konnte nicht der Grund dafür sein, daß dieser Astronom sich ihr genähert hatte, ebensowenig wie sie von seiner Erscheinung sonderlich beeindruckt gewesen war. Dennoch hatte es anfänglich zwischen ihnen ein wenig geknistert, das aber war jetzt fast vorbei.

Er war die ganze Nacht auf. Und er wird es heute nacht wieder sein. Laß ihn schlafen, das hilft ihm ein bißchen. Was weiß ich denn, wie mir zumute wäre, wenn ich nach dem Stundenplan eines Vampirs leben müßte.

Jetzt lösten Weideland und Lavafelder einander ab. In unregelmäßigen Abständen erhoben sich schlichte Pyramiden aus Lavagestein, sechzig Zentimeter Grundlinie, jeweils drei oder vier Steine unterschiedlicher Größe aufeinandergeschichtet. Man hatte ihr gesagt, es handele sich um religiöse Opfer der alten Inselbewohner. Keinesfalls aber konnten diese Pyramiden sehr alt sein. Mauna Loa brach ziemlich häufig aus, und über das Feld, an dem sie gerade vorüberkamen, waren im Verlauf des 20. Jahrhunderts sicherlich mehrfach Lavaströme hinweggegangen.

An der Gabelung bog sie links ab, und die Straße stieg noch steiler an als zuvor. Der gemietete TriumphSportwagen quälte sich aufwärts. Hier, auf der Seite von Mauna Kea, gab es kaum neue Lavafelder. ›Sie‹ galt als so gut wie erloschen. Es ging kilometerlang durch Weideland, das König Kamehameha einem britischen Seemann geschenkt hatte, mit dem er sich angefreundet hatte.

Richard Owen erwachte gerade in dem Augenblick, als sie die ›behelfsmäßige‹, aus Holz errichtete astronomische Station erreichten. »Hier bleiben wir«, sagte er. »Ich lade Sie zum Mittagessen ein.«

Besonders aufwendig war die Anlage nicht. Lange niedrige Baracken, umgeben von Lava und Schlamm und einige Bäumchen, die auf dem Lavafeld zu überleben versuchten. Sie stellte den Wagen neben mehreren Jeeps ab. »Von mir aus können wir weiterfahren«, sagte sie, »ich muß nicht unbedingt etwas essen.«

»Es ist Vorschrift. Akklimatisierung. Der Gipfel liegt ziemlich genau 4200 Meter hoch. Hier auf 3000 Meter ist die Luft schon ziemlich dünn. Man tut sich schwer, wenn man nicht daran gewöhnt ist – selbst das Gehen ist nicht leicht.«

Als sie die Holzbaracken erreicht hatten, gab sie ihm im stillen bereits recht.

Am Rande des Vulkans stand ein halbes Dutzend Observatorien. Richard stellte den Jeep vor dem der NASA ab.

»Darf ich auch durch das Teleskop schauen?« fragte sie.

Er lachte nicht. Vielleicht hatte er die Frage schon zu oft beantwortet. »Niemand sieht mehr durch Teleskope. Wir machen nur noch Aufnahmen.« Er ging ihr voraus, durch Korridore mit kahlen Wänden und eine eiserne Treppe hinab in einen mit StahlrohrBüromöbeln eingerichteten Aufenthaltsraum.

Eine Frau etwa in Jeanettes Alter nippte darin mit gerunzelter Stirn an einer Tasse Kaffee.

»Mary Alice«, stellte Owen vor, »Captain Jeanette Crichton. Sie macht für das Heer SatellitenFotoerkundungen und dergleichen. Dr. Mary Alice Mouton. Spezialistin für Asteroiden.«

»Hallo«, sagte Mary Alice mit nach wie vor gerunzelter Stirn.

»Schwierigkeiten?« erkundigte sich Owen.

»Tja.« Sie schien Jeanette überhaupt nicht zu bemerken. »Ich wollte dich bitten, dir mal was anzusehen, Rick.«

»Na klar.«

Dr. Mouton erhob sich und ging Rick Owen voraus. Kopfschüttelnd folgte Jeanette ihnen durch einen weiteren Gang und eine Treppe hinauf, vorbei an einem unaufgeräumt wirkenden Computerraum. Die sind einer so verrückt wie der andere, dachte sie. Aber damit war ja zu rechnen gewesen.

Eigentlich hatte sie nicht recht gewußt, was sie erwartete. Sie war zum erstenmal auf Hawaii. Auf Einladung einer Technikervereinigung hatte sie vor deren Kongreß über Satellitenbeobachtung gesprochen und einige Tage Badeurlaub angehängt, wollte vor allem die Sonne genießen. Da sie niemanden kannte, war es bisher ziemlich langweilig gewesen, und sie hatte erwogen, vor ihrer Rückkehr nach Fort Bragg ihre Schwester Linda und deren Mann Edmund zu besuchen.

Dann hatte sie draußen am Riff Richard Owen kennengelernt. Nach dem Schwimmen hatten sie miteinander gefrühstückt, und er hatte sie zur Besichtigung der Station eingeladen. Aus Andeutungen, die er bei Tisch und auf dem Weg herauf gemacht hatte, glaubte sie schließen zu dürfen, daß er versuchen würde, sich an sie heranzumachen. Sie hatte schon überlegt, wie sie darauf reagieren sollte – einen Schlafsack hatte sie mit.

Und jetzt schien sie mit einemmal Luft für ihn zu sein.

Sie folgte den beiden in einen kleinen, vollgestopften Raum. In einer Ecke stand ein großer Sichtschirm. Dr. Mouton machte sich an den Einstellknöpfen zu schaffen, und mit einemmal blitzte auf dem Monitor ein Sternenfeld auf. Einige weitere Handgriffe und die Sterne blinkten – ein, aus; ein, aus. Dabei schien einer von ihnen hin und her zu springen.

»Ein neuer Asteroid?« wollte Owen wissen.

»Dachte ich zuerst auch«, sagte Dr. Mouton. »Aber sieh mal genau hin und denk gut nach.«

Er betrachtete aufmerksam den Bildschirm. Jeanette trat näher, konnte aber nichts Auffälliges entdecken. Man macht an zwei verschiedenen Abenden Himmelsaufnahmen und vergleicht sie, indem man sie abwechselnd aufblinken läßt. Die Bewegung der Sterne ist so minimal, daß man keinen Unterschied merkt, aber alles, was sich vor dem Hintergrund der ›Fixsterne‹ bewegt, wie beispielsweise ein Planet oder ein Asteroid, befindet sich bei der ›BlinkKomparation ‹ an unterschiedlichen Stellen. Werden nun beide Aufnahmen abwechselnd ein- und ausgeschaltet, wirkt es, als spränge der Himmelskörper, der sich bewegt hat, hin und her. Mit Hilfe des BlinkKomparators hatte Clyde Tombaugh den Pluto entdeckt. Das Verfahren gehörte zum Standardrepertoire der Fotoerkundung, weil man mit seiner Hilfe erkennen konnte, was sich im Zeitraum zwischen zwei Satellitenaufnahmen verändert hatte.

»Worin besteht die Schwierigkeit?« erkundigte sich Owen.

»Es ist zu schnell für den zeitlichen Abstand.«

»Nun, es ist ja ziemlich nah.«

»So nah nun auch wieder nicht«, sagte sie. »Ich hab mir die Aufnahmen geben lassen, die vor ein paar Wochen gemacht wurden. Das Ding bewegt sich so schnell, daß ich mir fast jeden Abend einzeln vornehmen mußte! Es hat eine hyperbolische Umlaufbahn.«

»Das gibt es doch überhaupt nicht!«

»So ist es aber«, sagte Dr. Mouton.

»Entschuldigung«, mischte sich Jeanette ein. Beide wandten sich zu ihr um. Offensichtlich hatten sie ihre Anwesenheit vergessen. »Was ist eine hyperbolische Umlaufbahn?«

»Das Objekt bewegt sich zu schnell für die Anziehungskraft der Sonne«, erklärte Dr. Mouton. »Es kann sich auf einer solchen Bahn aus dem Sonnensystem lösen.«

Jeanette runzelte die Stirn. »Und was könnte eine so rasche Bewegung verursachen?«

»Beispielsweise große Planeten«, sagte Richard, »wenn sie die Umlaufbahn eines Objekts stören…«

»Es hat einen eigenen Antrieb«, sagte Mary Alice Mouton.

»Nun mach aber halblang!«

»Ich weiß, daß es blöd klingt, Rick, aber eine andere Erklärung finde ich nicht. Ich hab das Ding wochenlang zurückverfolgt, und es hat den größten Teil der Strecke gebremst.«

»Aber…«

»Das kann weder an Jupiter noch an irgendeiner anderen Energiequelle liegen.«

»Natürlich nicht… Mary Alice?«

»Die Computerzeichnung paßt einwandfrei, wenn man ein angetriebenes Raumschiff annimmt.« Dr. Moutons Stimme war ausdruckslos geworden. »Sonst paßt nichts.«

Eine Stunde später. Zwei weitere herbeigerufene Astronomen hatten nach Begutachtung der Aufnahmen den Raum kopfschüttelnd verlassen. Einer von ihnen hatte die ersten Bilder als hundertprozentig echt bezeichnet – er hatte sie selbst gemacht. Der andere hatte erklärt, er könne nichts sehen.

Owen rief die Kollegen in Arizona an. »Laura? Rick Owen am Apparat. Wir haben hier was ganz Merkwürdiges. Habt ihr Aufnahmen aus der vorigen Woche, die den Ausschnitt südlich vom Löwen zeigen?« Er rasselte einige Koordinaten herunter und wartete ein Weilchen.

»Gut! Habt ihr sie euch angesehen? Könntest du das wohl jetzt gleich machen? Ja, ich weiß, daß es stört, aber glaub mir, es ist wichtig.«

»Sie halten es ja wohl nicht wirklich für ein großes angetriebenes Raumschiff?« fragte Jeanette.

Mary Alice sah mit flackerndem Blick zu ihr hin. »Ich habe alles andere probiert, und nichts paßt zu den Werten. Und natürlich habe ich auch die Möglichkeit von Pulsaren bedacht!« Das allerdings verstand Jeanette nicht.

Sie tranken Kaffee, während Owen telefonierte. Schließlich legte er den Hörer auf. Sein Blick wirkte besorgt. »In Kitt Peak haben sie es gesehen«, verkündete er. »Ein Computerfritze namens Tom Duft. Sie haben es ihm nicht geglaubt. Es ist genau da, wo wir es gesehen haben. Mary Alice, vielleicht macht dir jemand die Entdeckung streitig.«

»Als ob es mir darauf ankäme. Ich will wissen, was es ist«, gab diese zurück. »Rick, es ist riesig, bewegt sich mit eigener Kraft und kommt auf uns zu!«


* * *

In Kalifornien war es gegen drei Uhr nachts. Jeanette hörte es dreimal klingeln, dann kam die schläfrige Stimme: »Ja?«

»Linda. Hier spricht Jenny.«

»Jenny? Ist was?«

»Das kann man wohl sagen, Schwesterherz. Ich muß deinen Mann sprechen. Sofort!«

»Was?« Nach einer Pause fuhr sie fort. »Na schön.«

»Mach ihm Kaffee«, fügte Jenny hinzu. »Er wird ihn brauchen.«

Dann hörte sie Major General Edmund Gillespies Stimme. »Was ist los, Jenny?«

»General, ich muß etwas Merkwürdiges berichten…«

»General? Sprichst du etwa dienstlich?«

»Nun – mehr oder weniger. Ja, Sir. ich habe meinen Colonel bereits informiert, und er findet auch, daß es nicht schaden könnte, dich einzuschalten.«

»Augenblick mal, Jenny. Linda, wo bleibt der Kaffee? Ah. Danke. Schieß los!«

»Ja, Sir.« Während sie sprach, stellte sie sich die häusliche Szene vor: General Gillespie mit wirrem Haar auf der Bettkante, angespannt zuhörend. Vermutlich ging Linda im Hintergrund auf und ab und überlegte, was, zum Teufel, los war. Vielleicht war auch Joel aufgewacht. Das konnte sie nicht ändern. Die Sache würde einer Menge Leute den Schlaf rauben.

»Jenny, willst du allen Ernstes sagen, daß es sich um ein – außerirdisches Raumschiff handelt? Marsmenschen und dergleichen?«

»Sir, wir beide wissen, daß es weder auf dem Mars noch sonstwo im Sonnensystem Menschen geben kann. Aber drei verschiedene Observatorien bestätigen unabhängig voneinander, daß es sich um ein großes Objekt handelt, das sich rascher bewegt, als irgend etwas im Sonnensystem das vermöchte, seit Wochen abbremst und auf uns zuzukommen scheint.« Mit einemmal mußte sie kichern. »Ed, du bist doch Astronaut. Wofür würdest du es halten?«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich es weiß«, sagte Gillespie. »Stecken die Russen dahinter?«

»Nein«, sagte Jeanette.

Am anderen Ende entstand ein längeres Schweigen. »Das würdest du als Nachrichtenoffizier ja wissen. Bist du deiner Sache wirklich sicher?«

»Absolut, Sir. Es ist kein sowjetisches Raumschiff.« Es war ihre Aufgabe, derlei Dinge zu wissen. »Ich beobachte das sowjetische Raumfahrtprogramm seit zehn Jahren. So etwas könnten die gar nicht bauen. Wir übrigens auch nicht…«

»Jenn – Captain, wenn du Witze reißt, sehen wir alle alt aus.«

»Warum sollte ich, General?« gab sie zurück. »Ich hab doch schon gesagt, ich habe meinen Colonel mitten in der Nacht aus dem Bett geholt! Er geht der Sache auf dem Dienstweg nach, aber du kannst dir ja denken, was die mit einem UFOBericht machen würden.«

»Ich weiß, wen ich anrufen könnte«, sagte Gillespie, »es fällt mir nur schwer, die Sache zu glauben.«

»Ja, Sir«, sagte Jenny nüchtern.

»Mir ist klar, daß es dir genauso geht«, sagte Ed Gillespie. »Aber ich sehe, worauf du hinaus willst. Wenn es ein außerirdisches Raumschiff ist, müssen wir Vorbereitungen treffen. Wer ist dein Colonel?«

»Robert Hartley, G-2 vom Strategischen Heereskommando in Fort Bragg. Ich geb dir seine Telefonnummer.«


* * *

Linda sah, wie ihr Mann auflegte. Er sah besorgt drein. »Was hat die Kleine angestellt?«

»Vielleicht einen Orden verdient«, antwortete Edmund. Er nahm den Hörer wieder auf und wählte.

»Und wen rufst du jetzt an?« wollte Linda wissen. »Das ist doch völliger Unsinn…«

»Hallo, Colonel Hartley? Hier spricht General Ed Gillespie. Captain Crichton hat mir gesagt, daß Sie mit meinem Anruf rechnen… Ja. Ja, sie hat schon immer einen klaren Kopf gehabt. Ja, ja, ich glaube ihr auch. Also, wie wollen wir vorgehen?«

Total verrückt, dachte Linda. Mein kleines Schwesterchen entdeckt fliegende Untertassen. Ich kann und will es nicht glauben. Andererseits…

Andererseits hatte Jenny noch nie im Leben jemandem einen Streich gespielt. Sie trank nicht, nahm keine Drogen, und…

Außerirdische? Ein Raumschiff von Außerirdischen, das sich der Erde näherte?

Sie sah, daß Edmund aufgelegt hatte. »Wie jetzt weiter?« fragte sie.

»Ich weiß nicht. Schwer zu sagen. Ich muß die Sache weitermelden. Der Präsident muß davon erfahren. Ich weiß nur nicht genau, wie ich das anstellen soll.«

»Das könnte doch Wes Dawson tun«, sagte Linda.

»Kindchen, du hast recht!« Er sah auf seine Uhr. »In Washington ist es schon nach sechs. Vielleicht ist Wes auf. Sonst weck ich ihn einfach. Hast du seine Privatnummer zur Hand?«


* * *

David Coffey war seiner eigenen Einschätzung nach ein Nachtmensch, aber der Präsident der Vereinigten Staaten konnte es sich nicht leisten, morgens lange zu schlafen. Es gehörte sich einfach nicht.

Er durfte nicht einmal erwarten, daß man ihn zum Frühstück allein ließ, obwohl er großen Wert darauf legte. Während er sich auf die Terrasse setzte, um den wunderbaren Frühlingstag zu genießen, kündigte der Stabschef des Weißen Hauses, als rechte Hand des Präsidenten und Leiter des Präsidialamts ein Mann von beträchtlichem Einfluß, an: »Der Abgeordnete Wes Dawson, Kalifornien…«

»Ich kenne ihn.«

»Er besteht darauf, mit Ihnen zu frühstücken.«

»Bestellt darauf?«

»So hat er es zwar nicht formuliert, meint es aber offenkundig so. Er möchte, daß Sie ihm diesen Gefallen tun, auf Vorschuß, wie er sich ausdrückt. Die Sache, sagt er, dulde keinen Aufschub.«

David Coffey seufzte. Er spürte den Druck seines Gürtels. Auf elf war eine Kabinettssitzung anberaumt, und er hatte gehofft, vorher eine halbe Stunde schwimmen zu können. »Sagen Sie dem Abgeordneten Dawson, daß ich mich geschmeichelt fühle«, entschied er schließlich. »Und lassen Sie ein weiteres Gedeck auflegen.«

Fliegende Untertassen. Raumschiffe. Albernes Zeug, dachte der Präsident. So etwas brachten die Zeitungen in der SaureGurken Zeit. Blühender Unsinn. Verrücktes Zeug. Nur war Wes Dawson nie verrückt gewesen, auch wenn er sich jetzt so zu gebärden schien.

»Ich möchte das richtig verstehen, Wes«, sagte Coffey, nachdem Dawson an seinem Tisch Platz genommen hatte. »Die Astronomen haben also ein Raumschiff gesehen, das sich der Erde nähert. Es wird nächsten Monat hier sein, und Sie wollen ihm entgegenreisen.«

»Ja, Mr. President.«

»Sie wissen ja wohl selbst, wie irrwitzig das klingt. Aber tun wir mal so, als ob es stimmte. Warum gerade Sie?«

»Irgend jemand muß es ja tun«, entgegnete Dawson. »Und daß ich mich so exponiert habe, nur um es Ihnen als erster sagen zu können, müßte Ihnen zeigen, daß mir die Sache am Herzen liegt.«

»Das sehe ich.«

»Als Mitglied der Ausschüsse für Raumfahrt und für Auswärtige Beziehungen bin ich der Ansicht, daß irgend jemand vom Kongreß an Bord sein sollte, wenn wir denen entgegenfliegen.«

»Und warum sollen wir das überhaupt tun?«

»Weil – weil es sich besser macht, Sir«, sagte Dawson. »Überlegen Sie doch einmal, Mr. President. Diese Außerirdischen sind von sehr weit her gekommen. Von einem anderen Stern.«

»Sind Sie dessen sicher?« wollte der Stabschef wissen. »Warum nicht von einem anderen Planeten?«

»Weil unsere Raumsonden alle in Frage kommenden Planeten gründlich erforscht haben. Auf ihnen gibt es keine Lebensbedingungen für eine Zivilisation«, sagte Dawson geduldig. »Der erste Schritt ist der schwierigste. Wir sollten die Außerirdischen auf einer Umlaufbahn begrüßen und sie nicht mit den Händen im Schoß hier erwarten. Meinen Sie nicht auch, daß die Geschichte der Pazifikinseln anders aussähe, wenn die Polynesier in seetüchtigen Booten draußen auf dem Meer gewesen wären, als die Europäer kamen? Hätte man sie nicht möglicherweise mit mehr Respekt behandelt?«

»Aha, ich verstehe«, sagte der Präsident. »Vielleicht haben Sie recht, Wes. Immer vorausgesetzt, daß an der Sache etwas ist.«

»Und darf ich dann hin?« wollte Dawson wissen.

David Coffey lachte. »Das wird sich zeigen.« Er wandte sich dem Stabschef des Weißen Hauses zu. »Jim, setzen Sie sich mit General Gillespie in Verbindung. Schaffen Sie ihn unverzüglich nach Washington, und auch die Frau, die das entdeckt hat.« Er seufzte. »Außerdem lassen Sie die Sache für die heutige Kabinettssitzung auf die Tagesordnung setzen. Mal sehen, was der Außenminister zum Thema ›Besuch vom Mars‹ zu sagen hat…«


* * *

Wes Dawson ging zu Fuß vom Weißen Haus zu seinem im RayburnBau gelegenen Büro zurück. Er hatte zwar eigentlich keine Zeit dazu, aber es war ein schöner Vormittag, und der Spaziergang würde ihm guttun. Außerdem war er zu erregt, um gleich zu arbeiten.

Immerhin hatte der Präsident die Sache nicht von vornherein von der Hand gewiesen! Er würde an einer Reise ins All teilnehmen dürfen! Bedenken, daß der Präsident seine Zusage zu gegebener Zeit vergessen würde, wischte er beiseite – an einem so schönen Morgen wollte er an diese Möglichkeit nicht denken.

Er lächelte fröhlich. Ich habe es dem Präsidenten gesagt und auch gleich meinen Anspruch angemeldet, dachte er, und ich bin auch der richtige Mann dafür. Auf diesen Tag habe ich mein ganzes Leben lang gewartet. Ich bin gut in Form – na ja, ziemlich gut. Es wird besser werden. Ab sofort laufe ich jeden Tag.

Er rannte einige Schritte, merkte, daß das mit einem dunklen Westenanzug nicht praktisch war und lächelte erneut. Noch heute nachmittag fang ich an. Und ich gehe nach Houston. Ein richtiges Raumfahrttraining. Nur gut, daß ich im Raumfahrtausschuß sitze…

Außerirdische! Die ganze Bedeutung der Sache wurde ihm in dem Augenblick klar, als er im Kapitol ankam. Sie sind wirklich hier. Die Geschichte der Menschheit würde in eine völlig neue Phase eintreten. Die Suche nach außerirdischer Intelligenz ist zu Ende, die Außerirdischen kommen… Da würden die Miesmacher aber Augen machen!

Kaum hatte er seine Büroräume im RayburnBau betreten, als ihn Mitarbeiter seines Büros mit Fragen bestürmten. Wes wußte, daß er zu spät kam, aber einmal konnte man sich das doch leisten! Er schob eine junge Frau beiseite, die sich ihm mit einer Handvoll Telefonnotizen näherte und ging an der Empfangsdame vorbei in sein Abgeordnetenbüro. Er konnte es nicht erwarten, Carlotta alles brühwarm zu erzählen.

Sie saß in seinem Sessel. Auf den anderen Sitzgelegenheiten im Raum lümmelte sich ein Dutzend Pfadfinder, vermutlich aus seinem Wahlkreis.

Ach je, dachte Wes und setzte sein verbindlichstes Lächeln auf.


* * *

Carlotta konnte hinter Wes’ gekünsteltem Politikerlächeln die Begeisterung sehen. Er brauchte ihr nichts zu sagen. Schließlich waren sie seit nahezu fünfundzwanzig Jahren zusammen und seit zweiundzwanzig Jahren verheiratet. Sie sah es ihm an.

Wes hat die Zusage. Botschafter der Menschheit im All. Na, sagen wir Konsul, oder wie auch immer man den Mann nennt, der nach dem Botschafter kommt. Den stellen bestimmt die Russen. Nur gut, daß ich ihm zugeredet habe, etwas Russisch zu lernen. Daß ihr Bett jetzt leer sein würde, war weniger schön, aber er sah glücklich aus. Er brannte sichtlich darauf, ihr alles zu erzählen.

Aber da waren die Pfadfinder. Ungünstiger Zeitpunkt, doch der Termin liegt schon seit Wochen fest. Wer konnte damals ahnen, daß der Kongreßabgeordnete Dawson im Weißen Haus frühstücken würde?

Die Jungen umdrängten Wes. Solche Besuche brachten ihm keine Stimmen ein. Warum konnten die lästigen Burschen nicht einfach verschwinden?

Es war nicht nett von ihr, so zu denken. Schließlich hatte sie sie selbst bestärkt herzukommen, Carlotta mochte Jungen, nicht nur Pfadfinder, Jungen ganz allgemein. Zwar empfingen alle Kongreßabgeordneten Pfadfindergruppen, die Washington besuchten, aber Wes und Carlotta fühlten sich gewöhnlich in ihrer Gegenwart richtig wohl.

Wenn Simon noch lebte… dachte Carlotta. Aber sie hatten ihn im Alter von drei Monaten verloren – woran auch immer Kinder in ihrem ersten Lebensjahr sterben: Tod in der Wiege, lautlos und tückisch.

Obwohl ihr die Ärzte gesagt hatten, sie könne keine weiteren Kinder bekommen, hatte sie es darauf ankommen lassen und wäre im Kindbett fast gestorben. Es hatte einen ganzen Monat gedauert, bis sie ihr Töchterchen in den Armen halten konnte, und einen weiteren, bis sie sich einigermaßen erholt hatte. Sharon würde das einzige Kind der Dawsons bleiben, der einzige Abkömmling zweier alter und geachteter Familien. Das lag jetzt fast zwanzig Jahre zurück. Sharon studierte am angesehenen Radcliffe College und machte sich nicht viele Gedanken um die Karriere ihres Vaters. Carlotta hatte nie richtig begriffen, warum das so war.

Es spielt keine Rolle. Alle Colleges setzen den jungen Leuten Flausen in den Kopf. Sie wird auch noch erwachsen. Carlotta erhob sich und ging zu Wes hinüber. »Hallo«, sagte sie. »Ich möchte dir Stamm 112 vorstellen. Sein Führer ist Johnny Brasicku. Johnny, das ist mein Mann, der Abgeordnete Dawson.«

Die Jungen waren nett, und sie stammten tatsächlich aus dem Wahlkreis. Wes schüttelte jedem von ihnen die Hand. Anschließend lächelte er schief zu Carlotta hinüber. Sie blinzelte ihm zu.

Die wichtigste Nachricht, die wir je bekommen haben, dachte sie. Möglicherweise die wichtigste, die überhaupt jemals ein Mensch bekommen hat. Wir sitzen hier und unterhalten uns mit Pfadfindern, während die Mitarbeiter beschließen, was wir zu denken haben und wie Wes abstimmen soll, und wir können nichts daran ändern. Brächten Kongreßabgeordnete einen Teil ihrer Zeit damit zu, Abgeordnete zu sein und über ihre Arbeit nachzudenken, hätten sie ihr Amt nicht. Eine sonderbare Art, ein Land zu regieren.

2. Vorankündigungen

Argwohn ist der Gefährte gemeiner Seelen und der Fluch jeder guten Gesellschaft.

THOMAS PAINE

Gesunder Menschenverstand


Zeit: Sechs Wochen bis zur Stunde Null

»Das sollten Sie lieber nicht tun«, sagte Jeanette Crichton.

Richard Owen ließ die Hand auf dem Telefonhörer liegen und schnaubte dann. »Daran können Sie mich nicht hindern. Das Heer hat kein Recht, mir dreinzureden.«

»Habe ich doch gar nicht behauptet«, erklärte Jeanette. »Trotzdem finde ich, daß Sie es sich gut überlegen sollten.«

»Das habe ich bereits getan«, gab Owen zurück. »Die Sowjets müssen Bescheid wissen. Falls sie es bereits erfahren haben, ist es auf jeden Fall besser, wenn sie merken, daß auch wir es wissen.« Er nahm den Hörer ab und wählte.

Und was jetzt? überlegte Jeanette. Es stimmt schon, das Heer ist ihm gegenüber nicht weisungsbefugt, und vermutlich wußten die Russen es sowieso schon. Falls nicht, würden sie es bald genug erfahren. Mit ihrer großen, bemannten Raumstation hatten sie weit mehr im Weltraum vorzuweisen als die Vereinigten Staaten.

»Ich möchte bitte Akademiemitglied Pawel Bondarew sprechen «, sagte Owen. »Ja, Bondarew.« Seine Finger trommelten ungeduldig auf der Tischplatte, »Pawel? Richard Owen aus Hawaii. Äh – ja, natürlich warte ich.« Er bedeckte die Sprechmuschel mit einer Hand. »Mit westlichen Ausländern dürfen die nur reden, wenn sie mindestens zu dritt sind«, sagte er zu Jeanette. »Sogar Leute, die so hoch stehen wie Bondarew. Bewußtseinsspaltung in Reinkultur… Aha, Akademiemitglied Bondarew? Ihre Kollegen sind da? Ausgezeichnet. Professor Richard Owen von der Universität Hawaii. Wir haben hier etwas Interessantes, und ich denke, Sie sollten das auch wissen…«


* * *

Pawel Alexandrowitsch Bondarew legte auf und sah nachdenklich zur Zimmerdecke.

»Stimmt das?« Boris Ogarkows breites Bauerngesicht war zu einem fragenden Runzeln zusammengezogen, was ihm ein sehr unangenehmes Aussehen verlieh.

»Ja«, sagte Bondarew abwesend. Boris war der Parteisekretär des Instituts. Ein kaum gebildeter Angehöriger der Arbeiterklasse, der sich seinen Vorgesetzten durch unermüdlichen Einsatz für die Partei empfohlen hatte, obwohl er in keiner Weise brillant war. Er gehörte zu den in eine Machtposition Aufgestiegenen, für die ausschließlich unabdingbare Treue zum System eine Möglichkeit schuf, keine untergeordnete Tätigkeit ausüben zu müssen. Da er wußte, wie wichtig das Institut für die Sowjetunion war, mischte er sich nicht in dessen Aufgaben ein. Statt dessen sorgte er dafür, daß LeninPorträts in allen Arbeitsräumen hingen und daß sich jeder, ganz gleich ob Wissenschaftler, Sekretärin, Bürobote oder Hausmeister, an allen Abstimmungen beteiligte. »Ich kenne diesen Amerikaner recht gut«, fuhr Bondarew fort. »Ich habe mit ihm zusammen gearbeitet, als ich in den Vereinigten Staaten war, und gemeinsam mit ihm zwei Aufsätze veröffentlicht. Wegen irgendeines Hokuspokus hätte er mich nicht angerufen.«

»Möglich«, gab Andrei Pjatigorski zu bedenken. »Aber falls er sich nun irrt? Wir haben keinerlei Beweise.«

»Das wird sich zeigen«, sagte Bondarew. »Würden Sie mir den Gefallen tun, Andrei, Dr. Nosow am Observatorium anzurufen und ihn zu bitten, daß er seine Leute alle Aufnahmen durchsehen läßt, die in Frage kommen?«

»Gewiß.«

»Vielen Dank. Ich muß wohl nicht eigens betonen, daß Nosow, ganz gleich, was er findet, niemandem gegenüber die Angelegenheit auch nur mit einem Wort erwähnen darf.«

»Ich kann den Parteisekretär am Observatorium anrufen«, bot sich Boris Ogarkow an. »Er wird behilflich sein, die Sache geheimzuhalten.«

Bondarew nickte zum Zeichen des Einverständnisses.

»Aber, Pawel Alexandrowitsch, glauben Sie die Geschichte etwa? Ein Raumschiff von Außerirdischen, das auf die Erde zukommt?« Pjatigorski machte eine hilflose Geste. »Das ist doch völlig unglaubwürdig.«

Bondarew hob die Schultern. »Wenn Sie mir zustimmen, daß er nicht gelogen hat, bleibt uns nur die Wahl, ihm zu glauben. Die Amerikaner sind ausgezeichnet ausgerüstet. In den USA verfügt jedes Observatorium über BlinkKomparatoren und Computer. Das wissen Sie ebensogut wie ich…«

»Wenn wir nur die Hälfte hätten…«, sagte Pjatigorski. Oft genug mußte er selbst zusammenbasteln, was er brauchte, weil dem Institut für die Anschaffung elektronischer und optischer Ausrüstung im Westen keine Devisen zugeteilt wurden. Russische Laboreinrichtungen aber, die nicht für das Militär gebaut waren, funktionierten nicht besonders gut.

Erneut hob Bondarew die Schultern. »Gewiß. Es gibt eine ganze Reihe von Gründen dafür, warum die Amerikaner es zuerst sehen konnten.«

»Vielleicht hat man es von Kosmograd aus gesichtet«, sagte Boris Ogarkow.

Pjatigorski nickte. »Deren Teleskope sind weit besser als unsere hier.«

»Ich werde mich erkundigen«, sagte Bondarew. Vielleicht bekam er eine Antwort, vielleicht auch nicht. Berichte von den sowjetischen Raumstationen unterlagen strenger Geheimhaltung. Häufig bekam Bondarew sie erst nach Monaten zu Gesicht.

»Wir müßten die Aufnahmen sehen«, sagte Pjatigorski, »sobald sie hereinkommen. Und Sie müßten mit Rogatschow Verbindung aufnehmen und ihm sagen können, wohin er seine Instrumente richten soll.«

»Kann schon sein«, sagte Bondarew. Er sah bedeutungsvoll auf seinen Untergebenen. Andrei Pjatigorski war ein ausgezeichneter Wissenschaftler, aber es dürfte seiner Karriere nicht förderlich sein, vor Boris Ogarkows Ohren die Richtlinien zu kritisieren, nach denen sie arbeiten mußten. Zwar würde Boris das vermutlich nicht weiterberichten, es sich aber bestimmt merken…

»Es ist von entscheidender Bedeutung«, fuhr Andrei hartnäckig fort. »Falls es stimmt, daß die Ankunft Außerirdischer bevorsteht, müssen wir Vorbereitungen treffen.«

»Ist es nicht wahrscheinlich, daß man das in Moskau bereits weiß?« gab Ogarkow zu bedenken. »Vielleicht haben sie es bereits von Kosmograd erfahren.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Bondarew gelassen. »Obwohl es selbstverständlich möglich ist. Sie wissen in Moskau viel. Aber ich vermute, daß wir das erfahren hätten – wenn schon nicht, was sie wissen, so doch, daß sie etwas von Bedeutung erfahren haben. Jedenfalls müssen wir erst einmal unsere eigenen Aufnahmen genau prüfen. Wenn sich das Objekt darauf zeigt, wissen wir mit Sicherheit, daß es kein fauler Zauber ist.« Er sah nachdenklich drein. »Jedenfalls kein gewöhnlicher fauler Zauber.«


* * *

»Also«, sagte Richard Owen, »sie haben es noch nicht gesehen.« Er trat an das Fenster, von dem aus man die Straße zum Mauna Kea Gipfel überblicken konnte.

»Oder nicht zugegeben«, fügte Jeanette hinzu.

»Stimmt.« Er sah auf die Uhr. »Als nächstes eine Pressekonferenz.« Er sah sie herausfordernd an.

Sie schüttelte den Kopf. »Richard, ich kann Sie wirklich nicht daran hindern, aber ich halte es für falsch.«

»Haben die Menschen kein Recht, es zu erfahren?«

»Schon«, sagte sie. »Was meinen Sie, ob die Russen Ihnen glauben?«

»Warum sollten sie nicht?« wollte Owen wissen.

»Sie glauben nicht oft, was wir sagen. Sie wittern beständig Fallen und Hinterhalte«, sagte Jeanette.

»Nicht Bondarew«, protestierte Owen. »Ich kenne ihn schon lange. Er glaubt mir bestimmt.«

»Nun ja, aber werden seine Vorgesetzten ihm glauben? Mir kann es ja egal sein.«

»Sind Sie da sicher?«

»Wieso nicht?«

»Da kommt eine ganze Wagenkolonne die Straße rauf«, sagte Owen. »Staatspolizei und ein Stabswagen des Heeres. So was hab ich hier oben noch nie gesehen…«


* * *

Lieutenant Hal Brassfield war nervös. Er war höchstens zwanzig Jahre alt und konnte Jeanette nicht einordnen. »Captain«, sagte er, »ich weiß wirklich nur, was in meinem Befehl steht. Ich soll Sie auf schnellstem Wege nach Washington bringen, höchste Dringlichkeitsstufe. Also haben wir das arrangiert. Auf der Ebene auf fünfzehnhundert Meter steht ein Hubschrauber bereit, der Sie nach Pearl Harbor bringen soll. Dort wartet eine abflugbereite Düsenmaschine der Marine.«

Jeanette runzelte die Stirn. »Ist das nicht etwas ungewöhnlich?«

»Worauf sie einen lassen kön–… jawohl, Ma’am, das ist es. Zumindest hab ich so was noch nicht erlebt.«

Sie warf einen Blick auf den hastig nach Telefondiktat mit der Maschine geschriebenen Marschbefehl. Er ähnelte nicht im entferntesten den üblichen Einsatzbefehlen und schloß: »Im Auftrag des Präsidenten der Vereinigten Staaten, für den Präsidenten, James F. Frantz, Stabschef des Weißen Hauses.«

»Das ist vor etwa einer Stunde gekommen«, sagte der Lieutenant. »Mehr weiß ich nicht, Captain.«

»In Ordnung, Lieutenant. Aber irgend jemand muß in meinem Hotel Verschiedenes abholen und meine Rechnung bezahlen.«

»Wird alles erledigt, Ma’am. Aber wohin soll ich Ihr Gepäck schicken?« Er lachte in sich hinein. »Wohl kaum ins Weiße Haus. Aber eine andere Adresse ist in dem Befehl nicht angegeben.«

Jeanette nickte. In Washington wohnte sie gewöhnlich bei Onkel und Tante in Flintridge, das war also keine Schwierigkeit. Was der Präsident wohl von ihr wollte? Dringend brauchte er sie bestimmt nicht. Bis sie dort war, hatte ihm bestimmt ein Dutzend anderer etwas über das geheimnisvolle – was eigentlich? – sagen können. Sie kicherte.

»Was ist denn so lustig?« wollte Richard Owen wissen.

»Wie wollen wir das Ding eigentlich nennen?« erkundigte sie sich. »UFO paßt nicht – es fliegt ja nicht.«

Lieutenant Brassfield sah verwirrt drein. »UFO? Wollen Sie damit sagen, daß der ganze Zauber wegen einer fliegenden Untertasse veranstaltet wird?«

»So ist es«, sagte Jeanette.

»Augenblick mal…«

»Es stimmt«, sagte Richard Owen. »Wir haben ein Raumschiff ausgemacht, das auf die Erde zukommt. Captain Crichton hat das Heer informiert.«

»Je weniger ich davon weiß, desto besser, was?« sagte Brassfield.

Jeanette dachte an Richard Owens bevorstehende Pressekonferenz und lachte. »Es wird Ihnen nicht schaden, Lieutenant.«

»Ja, Ma’am.«

»Sorgen Sie dafür, daß jemand mein Gepäck im Hotel Kamehameha in Kona abholt. Er soll einfach alles zusammenpakken und es wie der Teufel zum Hubschrauber bringen. Aber vorsichtig mit der Uniform! Wenn ich schon ins Weiße Haus gehe, möchte ich da nicht mit nackten Beinen aufkreuzen!«


* * *

Das Hauptquartier des KGB lag dem Institut gegenüber am anderen Ende des Platzes. Sein tristes Backsteinmauerwerk stand in scharfem Kontrast zur säulengeschmückten Marmorfassade des Instituts. Pawel Bondarew schritt rasch über den Platz. Es war ein schöner Tag und so warm, daß er ohne Mantel gehen konnte.

Am Empfangstisch des KGB saß ein neuer Mann. Er sah sehr jung aus. Pawel Bondarew verzog das Gesicht. Nun, da mußte man eben Geduld aufbringen. Das hatte er gelernt, und so zwang er sich zur Gelassenheit, obwohl er vor Mitteilungsbedürfnis fast platzte.

Eine lange Menschenschlange wartete vor dem Empfangstisch: Männer in schlechtsitzenden Anzügen, Frauen in fleckigen Röcken und mit Kopftüchern, Bauern, Arbeiter, kleine Fabrikangestellte – alle hielten Formulare in den Händen, die zu unterschreiben waren, Erlaubnisscheine dieser oder jener Art. Heute waren weniger Bauern da als sonst; im Herbst würden sie zu Hunderten hier stehen, weil sie Erzeugnisse aus ihren privat bewirtschafteten Hausgärten verkaufen wollten.

Bondarew schüttelte den Kopf. Absurd, dachte er. Warum arbeiten die Leute nicht, statt hier Schlange zu stehen? Typisch Rußland. Andererseits würden sie auch nichts tun, wenn sie nicht Schlange stünden, sondern sich einfach betrinken.

Er ging zum Anfang der Schlange. Ein Mann ganz vorn, mit einem runden Gesicht wie Boris Ogarkow, stierte ihn verdrießlich an, sagte aber nichts. Bondarew blieb vor dem Tisch stehen. Zwei Männer befanden sich an einem weiteren Tisch in der Nähe. Einen von ihnen glaubte er zu kennen. Er hämmerte auf einer uralten Schreibmaschine, die wohl noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammte, einen Bericht herunter. In der Provinz gab es nicht oft neues Arbeitsmaterial, nicht einmal für den KGB.

Der Mann am Empfang übersah ihn, solange es ihm möglich war, blickte dann frech zu ihm auf und fragte: »Ja?«

Aha, so ist das also, dachte Bondarew. Nun schön. Er sagte ruhig, aber so laut, daß man ihn am nächsten Tisch auch hören konnte: »Ich bin Bondarew. Ich möchte den Offizier vom Dienst sprechen.«

Der junge Mann runzelte die Stirn. Der am Nebentisch hörte mit Maschineschreiben auf.

»In welcher Angelegenheit?«

»Wenn ich wollte, daß Sie das erfahren, hätte ich es Ihnen gesagt«, sagte Bondarew. »Und jetzt teilen Sie bitte dem ranghöchsten Offizier mit, daß ihn Akademiemitglied Bondarew, Leiter des LeninForschungsinstituts für Astrophysik und Kosmographie, zu sprechen wünscht, und daß die Sache eilt.«

Das Stirnrunzeln des Mannes vertiefte sich, aber der Ausdruck von Dreistigkeit schwand aus seinem Gesicht. Ein Akademiemitglied hatte mächtige Freunde, und das Institut war am Ort von großer Bedeutung. Der andere ließ seine Schreibmaschine im Stich und kam herüber. »Gewiß, Genosse Akademiemitglied «, sagte er. »Ich werde den Genossen Orlow sofort informieren.« Er warf dem Mann am Empfang einen schiefen Blick zu und ging.

»Ich habe Anweisung zu fragen«, sagte dieser. Seine Stimme klang patzig.

Noch nicht lange dabei, dachte Bondarew, und es macht ihm Spaß, daß alle vor ihm kriechen oder sogar Angst haben. Er hat nicht damit gerechnet, daß jemand kommt, vor dem er selbst Angst haben muß.

»Folgen Sie mir bitte, Genosse Akademiker. Hier entlang.« Der andere KGBMann wies auf eine Tür.

Während Bondarew hindurchging, sagte der Mann am Empfang gerade: »Woher sollte ich wissen, daß er Akademiemitglied ist? Er hat nichts davon gesagt.«

Bondarew lächelte.

Das Büro war nicht groß. Der Schreibtisch war mit Papieren übersät. Bondarew erkannte den Beamten am Tisch zwar nicht, war aber sicher, daß er ihn schon einmal gesehen hatte.

»Ja, Genosse Akademiemitglied?«

»Ich muß Ihr Verworflertelefon für ein Gespräch nach Moskau benutzen, Genosse Orlow, mit dem Kreml. Es ist dringend. Niemand darf zuhören. Es geht um Angelegenheiten der Staatssicherheit.«

»In dem Fall müssen wir das Gespräch aufzeichnen.«

»Von mir aus, aber hören Sie auf keinen Fall mit«, sagte Bondarew. »Glauben Sie mir, Genosse, es ist in Ihrem eigenen Interesse.«

Es dauerte fast eine Stunde, bis das Gespräch durchkam. Dann ertönte laut dröhnend die Stimme des Dritten Parteisekretärs General Narowtschatow in der Leitung. »Pawel Alexandrowitsch! Es ist schön, von dir zu hören.« In weicherem Ton fragte er: »Geht es allen gut?«

»Ja, Genosse General. Marina und deine Enkel erfreuen sich bester Gesundheit.«

»Noch ein Jährchen, Pawel. Dann könnt ihr nach Moskau zurückkehren. So schwer es ist, noch müßt ihr dort bleiben. Deine Arbeit wird gebraucht.«

»Ich weiß«, sagte Bondarew. »Marina wird dankbar sein, daß es nur noch ein Jahr dauert. Das allerdings ist nicht der Grund meines Anrufs.«

»Sondern?«

»Ich spreche aus dem Büro des KGB über die Verworflerleitung. Der Diensthabende achtet darauf, daß niemand mithört. Die Sache ist von äußerster Wichtigkeit, Nikolai Nikolajewitsch. Wirklich von äußerster Wichtigkeit.«


* * *

General Nikolai Nikolajewitsch Narowtschatow legte auf und trug sorgfältig alles in ein ledergebundenes Buch ein, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Eine wohlhabende Dame hatte ihm vor vielen Jahren in Paris knapp zwei Dutzend davon geschenkt, voller leerer Blätter von ausgezeichnetem Papier. Jedes dieser Bücher hielt ein knappes Jahr vor, und nun blieben ihm nur noch zwei.

Er sah nachdenklich auf das Geschriebene. Außerirdische. Ein Raumschiff näherte sich der Erde. Blühender Unsinn!

Vermutlich nicht, dachte er. Zwar entsprach Pawel Bondarew seinerzeit nicht meiner Idealvorstellung von Schwiegersohn. Es wäre mir lieber gewesen, Marina hätte einen Diplomaten geheiratet, aber dumm ist er nicht. Er ist klug und vorsichtig. Nie würde er anrufen, wenn er seiner Sache nicht sicher wäre. Außerdem haben die Amerikaner es gesehen…

Jedenfalls sagen sie das. Ein amerikanischer Naturwissenschaftler ruft einen sowjetischen Kollegen an. Ein Gefallen unter Wissenschaftlern.

War das möglich? Narowtschatow sah noch immer auf seine Notizen, als könnten sie ihm etwas sagen, das er noch nicht wußte. Akademiemitglied Pawel Bondarew war intelligent, er kannte diesen Amerikaner, und er war davon überzeugt, daß es stimmte. Natürlich stimmte es – die CIA war raffiniert. Fast so raffiniert wie der KGB.

Und wichtiger noch – beim KGB würde man den Amerikanern nicht glauben. Er dachte daran, welche Schwierigkeiten ein KGBOffzier in der Provinz haben würde, Moskau von einer Sache wie dieser in Kenntnis zu setzen, und nickte befriedigt. Es würde Stunden dauern, bis die höheren Chargen im KGB etwas wußten.

Was die Amerikaner gesehen haben, wird von sowjetischen Astronomen am Observatorium im Ural jetzt, da sie wissen, wo sie zu suchen haben, bestätigt.

Also ist es kein Unsinn, da ist wirklich etwas. Konnten die Amerikaner es gemacht haben? Wenig wahrscheinlich, aber sie hatten die Sowjets auch schon früher überrascht.

Ich muß etwas unternehmen. Aber was?

Narowtschatows kunstvoll geschnitzter Schreibtisch stand am einen Ende eines behaglich eingerichteten, eleganten und geschmackvoll gehaltenen Raumes mit hoher Decke. Das unvermeidliche LeninPorträt beherrschte eine der Wände, an den anderen hingen Wandteppiche aus der Mongolei, und den Fußboden bedeckten Perserteppiche. Hier konnte er arbeiten, sich aber auch entspannen, was leider immer häufiger nötig wurde.

Zum erstenmal hatte er den Raum als ganz junger Soldat zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges gesehen. Sein Regiment war dem Kreml als Wache zugeteilt worden, unmittelbar vor der Vertreibung der Deutschen, und so hatte diese Aufgabe nicht lange gedauert. Man hatte sie bald darauf abkommandiert, Jagd auf die Deutschen zu machen.

In dieser kurzen Zeit aber hatte er genug gesehen.

Nikolai Nikolajewitsch Narowtschatow würde nie nach Kirow zurückkehren, wo sein Vater im Hammerwerk arbeitete. Diesem war der Kommunismus freundlich gesonnen gewesen, hatte ihn aus dem Elend der Dörfer, wo die Bauern im Winter froren, nach Kirow gebracht, in die vergleichbar warme Stadt mit ihrer Industrie. So hatten seine Kinder zur Schule gehen und Lesen und Schreiben lernen können. Mehr hatte Nikolai nie gewollt, wohl aber sein Sohn. Eine Weltanschauung, in der ein solches Büro Platz hatte, war es der Mühe wert, daß man sich näher mit ihr beschäftigte.

Es dauerte dreißig Jahre, aber er hatte nie gezweifelt, daß er es schaffen würde. Parteiarbeit beim Militär, dann während des Ingenieurstudiums an der Moskauer Universität, bei dem er stets ausgezeichnete Noten in den Politkursen bekam. In den wissenschaftlichen Fächern hätte er besser abschneiden können, aber er wollte seine Freunde nicht verprellen oder beschämen, die er sich ausschließlich unter den Verwandten hoher Parteifunktionäre suchte. Wer nach der Macht strebt, braucht Freunde in hohen Positionen, und wer dort niemanden kennt, bemüht sich, die Bekanntschaft von deren Kindern zu machen.

Der große Stalin starb, und Chruschtschow begann seinen allmählichen Aufstieg zur Macht. Es war keine einfache Zeit, denn es ließ sich schwer voraussagen, wer bei der unvermeidlichen Auseinandersetzung Sieger bleiben würde. Beria war gefallen und mit ihm das NKWD, das dann in die zivile Miliz und den KGB aufgeteilt wurde… Nikolai Narowtschatow wählte seine Freunde sorgfältig und achtete darauf, ständig in Verbindung mit der Partei zu bleiben. Schließlich heiratete er die Tochter des Parteisekretärs der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, der größten Unionsrepublik der UdSSR.

Bald darauf kam es zu Chruschtschows Sturz, und die Partei wurde noch mächtiger.

Nun stieg er rasch auf. Er wurde ›politischer General‹. Zwar empfand er für die Angehörigen dieser Gruppe im großen und ganzen nichts als Verachtung, aber der Rang war nützlich. Mit ihm einher ging nicht nur gute Bezahlung, er verfügte jetzt auch über Beziehungen zur Armee und zu den Raketenstreitkräften. Im Unterschied zu einer ganzen Anzahl politischer Generäle hatte er sich seine Orden als Teilnehmer am Großen Vaterländischen Krieg und an anderen Fronten verdient wie auch seiner Ansicht nach den Platz, an dem er sich befand. Zwar war damit reichlich Parteiarbeit und Duckmäuserei verbunden, aber er hatte auch Fabriken errichtet, die tatsächlich produzierten. Er hatte dabei mitgewirkt, die Deutschen möglichst machtlos zu halten – wieso verstanden die Amerikaner eigentlich nicht, warum das den Sowjets wichtig war? Er hatte, wo immer möglich, korrupte Beamte entlassen und den Schaden in Grenzen gehalten, den die anrichteten, die er nicht fallenlassen konnte.

Als erstklassiger Spitzenmann, fand er, gehörte er an seinen Platz. Sein Sohn saß im Handelsministerium fest im Sattel, und seine Töchter waren gut verheiratet. Ein Enkel arbeitete im Institut für Internationale Beziehungen in Moskau…

Und jetzt das!

Zumindest werde ich den Vorsitzenden als erster informieren. Marina. Marina, ich war mit deiner Wahl nicht einverstanden, aber ich sehe, daß ich unrecht hatte. Es war ein guter Tag, an dem du Pawel Alexandrowitsch Bondarew kennengelernt hast. Ein sehr guter Tag.

Er schob seinen Sessel zurück und erhob sich, dann ging er müden Schritts den Gang zum Büro des Vorsitzenden entlang.


* * *

Das staunenswerteste Ereignis der Menschheitsgeschichte, und als es eintrat, war David Coffey Präsident der Vereinigten Staaten. Außerirdische auf dem Weg zur Erde!

Der Präsident saß an dem großen Tisch im Kabinettsraum. Die anderen, die bei seinem Eintritt gestanden hatten, setzten sich erst, als er Platz genommen hatte. David gewöhnte sich nur schwer daran. Er mußte sich immer wieder sagen, daß sie nicht ihm, sondern dem Präsidenten stehend ihre Reverenz erwiesen.

Es war Coffey klar, daß mindestens die Hälfte der Anwesenden der Ansicht war, seine Aufgabe besser bewältigen zu können als er, und ein oder zwei mochten damit sogar recht haben. Nur würden sie keine Gelegenheit dazu bekommen, das zu beweisen, nicht einmal Henry Morton, sein Vizepräsident.

Für den Außenminister Dr. Arthur Hart empfand David eine gewisse Hochachtung. Er hatte ein äußerst erfolgreiches Buch über Diplomatie verfaßt und mit Außenhandel ein Vermögen verdient. Da Hart häufig im Fernsehen auftrat, kannte der Durchschnittsbürger sein Gesicht vermutlich wesentlich besser als das des Präsidenten.

Doch er wird ebensowenig meinen Platz erobern wie Henry Morton. Hat nicht genug Biß. So gern er Präsident wäre – ihm fehlt der Machtinstinkt, ohne den man kein hohes Amt erreicht.

David sah die anderen Umsitzenden an. Gewiß war Hart der beste Kopf im Raum, aber es war auch kein überragendes Kabinett.

»Ich habe wohl kaum das Zeug zu einem großen Präsidenten «, hatte David seiner Frau Jeanne am Abend der Wahl anvertraut. Als sie widersprechen wollte, hatte er den Kopf geschüttelt. »Aber gegenwärtig will das Land gar keinen solchen Präsidenten. Die Leute haben die Nase von großen Dingen aller Art ziemlich voll. Und wenn ich schon kein bedeutender Präsident werden kann, versuche ich einfach, ein wirklich guter zu sein – das traue ich mir nämlich ohne weiteres zu.«

Bisher war ihm das gelungen. Das Kabinett war nicht hinreißend, aber wirklich gut.

»Meine Herren, meine Damen«, begann er, denn an der Spitze des Handels- und des Innenministeriums standen Frauen. »Statt der ursprünglich vorgesehenen Tagesordnungspunkte steht ein Ereignis zur Debatte, das Ihnen der Stabschef des Weißen Hauses sogleich vortragen wird. Eine Sache von äußerster Dringlichkeit. Jim, hätten Sie die Güte…«

»Das ist ja verrückt«, sagte der Justizminister, Peter McCleve. »Mr. President, das ist unvorstellbar.« Er wandte sich Coffey zu. »Ich kann es gar nicht glauben.«

»Das dürfen Sie aber, Peter«, sagte der stiernackige Verteidigungsminister Ted Griffin. Er war gebaut wie ein FootballSpieler, und das war er in seiner Jugend auch gewesen. Für einen Mann seiner Statur sprach er mit erstaunlich sanfter Stimme. »Ich habe es schon gehört, unmittelbar bevor ich herkam.«

»Klar, von denselben Leuten, die es Dawson gesagt haben«, gab McCleve zurück.

»Sie scheinen der Sache äußerst gründlich nachgegangen zu sein.«

»Heißt das, Sie glauben die Geschichte?« wollte Arthur Hart wissen.

»Ja.«

»Aha.« Der Außenminister legte die Fingerspitzen zusammen, eine Geste, die ihn im Fernsehen berühmt gemacht hatte. Der Verfassung nach der ranghöchste Kabinettsminister, war er in Wirklichkeit nur der viertwichtigste Mann im Raum, denn zwischen ihm und dem Präsidenten standen, auch wenn niemand zu sagen gewußt hätte, wer nun Nummer zwei und wer Nummer drei war, dessen besonderer Beauftragte für politische Fragen, Hap Aylesworth, und Admiral Thorwald Carrell.

»Nehmen wir mal an, es stimmt«, fuhr Hart fort. »Dann heißt doch die wichtige Frage: wie weiter?«

»Wir sollten es schleunigst den Russen sagen«, erklärte der Finanzminister Alan Rosenthal.

Amüsiert sah Arthur Hart zu ihm hinüber. Rosenthal konnte seine Abneigung gegenüber den Russen nicht immer unterdrücken. »Ich denke, irgend jemand wird das in der Tat tun müssen«, erklärte Hart.

»Nicht mehr nötig«, ließ sich Ted Griffin vernehmen. Als alle zu ihm hinübersahen, nickte er bestätigend. »Unmittelbar bevor ich herkam, habe ich erfahren, daß der Astronom aus Hawaii jemanden – angerufen hat…« – er sah suchend auf ein Blatt, das er vor sich auf dem Tisch hatte – »einen gewissen Pawel Bondarew am astrophysikalischen Institut in der Nähe von Swerdlowsk. Wer hätte den Mann daran hindern können? Es gibt ja Direktwahl.«

»Was glauben Sie, wie lange es dauert, bis eine solche Sache von Swerdlowsk in den Kreml gelangt?« erkundigte sich der Justizminister.

»Vermutlich eine ganze Weile«, erklärte Arthur Hart. »Ich habe schon überlegt, ob nicht der Präsident selbst den Vorsitzenden anrufen sollte.«

»Moskau ist bereits im Bilde«, teilte Admiral Carrell mit. Seine knarrende Stimme ließ die allgemeine Unterhaltung ersterben. »Pawel Bondarew ist General Narowtschatows Schwiegersohn, seit zwanzig Jahren ein enger Vertrauter des Vorsitzenden Petrowski.«

»Hmm.«

Alles sah jetzt zum Stabschef des Weißen Hauses hinüber. James Frantz sagte in Kabinettssitzungen fast nie etwas.

»Wollen Sie sich dazu äußern, Jim?« erkundigte sich Arthur Hart.

Der Angesprochene lächelte freundlich. »Wir haben es erfahren, weil Captain Crichton, die als erste davon gehört hat, General Gillespies Schwägerin ist. Seine Frau ist eine Studienfreundin Carlotta Dawsons, und der Kongreßabgeordnete Dawson war zum Frühstück hier.«

»Ich habe mich schon oft gefragt, ob sich auch nur ein einziges Land der Welt regieren ließe, wenn alle Informationen ausschließlich über die dafür vorgesehenen Kanäle liefen«, sagte Ted Griffin. »Die Russen wissen also Bescheid, und bevor wir diesen Raum verlassen, weiß es bei uns das ganze Land.« Er lächelte, als er die verblüfften Blicke um sich herum sah. »Ja, Captain Crichton hat gesagt, der Astronom werde eine Pressekonferenz einberufen.«

»Dann müssen wir entscheiden, was wir der Öffentlichkeit mitteilen wollen.« Der untersetzte und wohlgenährte Hap Aylesworth kämpfte beständig gegen sein Übergewicht an. Sein Kragen war stets aufgeknöpft und seine Krawatte immer gelokkert. Selten sah man ihn auf Fotografien; sobald er einer Kamera ansichtig wurde, schob er sich gewöhnlich hinter einen anderen. Als Berater des Präsidenten für besondere Aufgaben half er diesem, politische Entscheidungen zu treffen; er beriet David Coffey bereits seit neun Jahren. Die Washington Post nannte ihn den Königsmacher.

»Anderes ist möglicherweise vordringlich«, sagte Admiral Carrell.

Aylesworth hob eine buschige Braue.

»Die Russen. Ich weiß nicht, ob es gut wäre, wenn sich der Präsident mit dem Vorsitzenden Petrowski in Verbindung setzte. Vielleicht sollte lieber ich General Narowtschatow anrufen.«

»Warum das?« wollte Ted Griffin wissen.

»Liegt doch eigentlich auf der Hand«, sagte Carrell. Er schob den Ärmel seines grauen Nadelstreifenanzugs hoch, um einen Blick auf die Uhr zu werfen. »Bestimmt machen sie sofort mobil, sobald sie ihrer Sache sicher sind. Militär, Zivilverteidigung, alles. Ted, ich möchte schließlich nicht, daß die russischen Militärs unruhig werden…«

»Sind Sie Ihrer Sache sicher?« fragte der Präsident.

»Absolut, Sir«, bestätigte Admiral Carrell. »So sicher, wie man nur sein kann, Mr. President.«

»Und warum sollten die Russen annehmen, daß dies…« – Justizminister McCleve brachte das Wort nur mit Schwierigkeiten über die Lippen – »dies außerirdische Raumschiff feindselige Absichten verfolgt?«

»Weil sie allem und jedem mißtrauen«, sagte Carrell.

»Ich fürchte, er hat recht, Peter«, bestätigte der Außenminister und schüttelte betrübt den Kopf. »Anders wäre es mir zwar lieber, aber genau so wird es sein. Und sie werden sehr bald eine offizielle Erklärung dafür verlangen, warum einer unserer Wissenschaftler einen der ihrigen angerufen hat, statt daß diese wichtige Nachricht über den vorgeschriebenen Weg gegangen ist.«

»Das ist doch Wahnsinn«, sagte Peter McCleve.

»Möglich«, gab Außenminister Hart zu. »Aber genau so wird es geschehen.«

»Fassen wir zusammen«, sagte David Coffey. »Die Sowjets werden demnächst unsere offizielle Position wissen wollen, aber ungeachtet dieser Position mobil machen.«

Admiral Carrell nickte zustimmend. »So ist es, Mr. President.«

»Was also sollen wir Ihrer Ansicht nach tun?« fragte Hap Aylesworth. »Wir dürfen keinesfalls die Hände in den Schoß legen, wenn der Rußki mobil macht. Das würde man uns im Lande übelnehmen.«

»Gewisse Senatoren sähen das bestimmt mit Entzücken«, sagte Coffey.

»Ja, und zwar Tauben wie Falken. Die einen würden sagen, daß es nie einen Grund zur Sorge gegeben hat und Sie zu Ihrer Gelassenheit beglückwünschen und die anderen lauthals ein Amtsenthebungsverfahren wegen Landesverrats gegen Sie verlangen«, bekräftigte Aylesworth.

»Admiral?« wandte sich David Coffey an Carrell. Auf dessen Meinung gab der Präsident viel. Sie kannten einander; seit vor mehr als einem Dutzend Jahren Vizeadmiral Carrell in das Büro eines frischgebackenen Kongreßabgeordneten gekommen war und diesem geduldig und mit schonungsloser Offenheit auseinandergesetzt hatte, wie die Marine auf einer Werft, die zufällig einer der Hauptarbeitgeber in Davids Wahlbezirk war, das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinauswarf.

Inzwischen war Carrell nicht nur zum stellvertretenden Leiter der nationalen Sicherheitsbehörde, sondern auch zum Chef der CIA ernannt worden. Zwar hatte der Präsident erst kürzlich die Ernennung Dr. Arthur Harts zum Außenminister amtlich bekanntgegeben, aber seine Entscheidung, Thorwald Carrell zum nationalen Sicherheitsbeamten zu machen, schon vor seiner eigenen Amtseinführung getroffen. Die Ankündigung war dann am Tag nach der Ernennung Harts gekommen.

»Ich denke an eine TeilMobilmachung «, sagte Admiral Carrell. »Wir sollten den nationalen Notstand ausrufen.«

»Das ist doch Unsinn!« sagte die Handelsministerin Connie Fuller mit für eine so kleine Dame überraschend tiefer Stimme. »Wenn wir das tatsächlich für ein außerirdisches Raumschiff halten – und ich denke, uns bleibt nichts anderes übrig, wäre der Tag seiner Ankunft doch der bedeutendste in der Geschichte der Menschheit! Wir sitzen hier und reden über Krieg und Mobilmachung, jetzt, wo sich – wo sich alles ändern wird!«

»Darin gebe ich Ihnen recht«, sagte Arthur Hart. »Aber die Sowjets werden mit Sicherheit mobil machen…«

»Und wenn schon«, sagte Connie Fuller. Ihre braunen Augen blitzten. »Sollen sie doch, zum Kuckuck! Zumindest eine der großen Weltmächte wird sich benehmen, wie – wie es sich für verantwortungsbewußte und intelligente Menschen gehört! Wollen wir denn, daß diese Außerirdischen – Mr. President, denken Sie doch nur an die Macht, die diese Wesen haben müssen! Sie kommen von einem anderen Stern! Wir sollten sie willkommen heißen, statt ihnen feindlich entgegenzutreten.«

»Diese Ansicht vertritt auch Wes Dawson«, sagte Präsident Coffey. »Er schlägt vor, ihnen auf einer Erdumlaufbahn zu begegnen. Er meint, das könne sie ein wenig beeindrucken.«

»Glänzende Anregung«, bestätigte Außenminister Hart.

»Schaden könnte es nicht«, pflichtete ihm Ted Griffin bei.

»Nur haben wir keine Raumstation«, gab Admiral Carrell zu bedenken.

»Aber die Sowjets«, sagte Connie Fuller. »Wenn wir sie bitten…«

»Das war meine Absicht«, sagte David Coffey. »Jetzt aber müssen wir zu einem Ergebnis kommen. Wozu wollen wir uns entscheiden?«

»Lassen Sie die Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzen«, beharrte Admiral Carrell, »damit sie notfalls eingreifen können.«

»Das läßt sich machen«, sagte Aylesworth. »Wir können die führenden Köpfe des Kongresses zusammenrufen, bevor wir weiteres veranlassen.«

»Die Schuld gleichmäßig auf alle verteilen«, knurrte Admiral Carrell.

»So in der Art«, stimmte David Coffey zu.

»Ich werde die Alarmbereitschaft vom Oval Office aus veranlassen.« Er erhob sich, und sogleich taten es ihm die anderen nach. »Mr. Griffin, ich glaube, es könnte nicht schaden, wenn wir uns ein wenig in die Pläne für unsere Zivilverteidigung vertieften.«

»Gewiß, Sir, nur untersteht die Bundesbehörde für den Nationalen Notstand nicht dem Verteidigungsministerium.«

Coffey runzelte die Stirn.

»Sie ist eine unabhängige Organisation, Mr. President«

»Na schön, wenn’s denn sein muß«, knurrte Coffey. Er wandte sich Jim Frantz zu. »Kraft Gesetzes?«

»Nein, Sir, die Behörde wurde per Verordnung geschaffen.«

»Dann erlassen Sie eine Verordnung, die das verdammte Ding dem Nationalen Sicherheitsrat unterstellt. Ted, ich möchte, daß Ihnen die Sache nicht entgleitet. In einer Stunde wird alle Welt Bescheid wissen. Gott weiß, was die Leute anstellen. Bestimmt wird es hie und da Panik geben. Sie alle«, fuhr er fort, »sollten Ihre Ministerien instruieren. Es hat keinen Sinn, die Sache zu verharmlosen. Am besten geben wir ganz offiziell zu, daß sich ein außerirdisches Raumschiff der Erde nähert und daß wir uns bemühen, seine Absichten festzustellen.«

»Mr. President!« Hap Aylesworth war entsetzt.

David lächelte. »Hap, ich weiß, Sie hätten es gern, daß mich die Leute für unfehlbar halten, aber es ist nun einmal nicht so. Das Pentagon verleiht die Unfehlbarkeit mit dem dritten Generalsstern, und im Vatikan schmückt sich der Papst damit, aber dem Präsidenten der Vereinigten Staaten steht sie nicht zu. Ich denke, das Volk weiß das auch, und falls nicht, wird es höchste Zeit, daß die Leute das merken. Wir sagen also einfach die Wahrheit.«

»Ja, Sir.«

»Ich schlage vor, wir treffen uns in zwei Stunden wieder hier.« Coffey wandte sich seinem Stabschef zu. »Jim, Sie alarmieren wohl besser die Krisenzentrale. Es sieht ganz nach einem langen Tag aus.«

3. Flintridge

An einer Parabel entlang fliegt das Geschick

des Menschen wie eine Rakete,

meist im Dunkeln, doch hin und wieder

auf einem Regenbogen

ANDREI WOSNESSENSKI

Parabelballade


Zeit: Sechs Wochen bis zur Stunde Null

Rumpelnd setzte sich das Gepäckband in Bewegung und füllte sich aus der Tiefe des Flughafens Dulles International mit Koffern und Taschen.

Gerade als Jenny nach ihrem Koffer griff, schob sich eine füllige Frau in einem gelbgeblümten Kleid mit einem gemurmelten »‘tschuldigung« vor sie und nahm ihr eigenes Gepäckstück vom Band.

Und so einer Fettwalze wie dir soll ich das durchgehen lassen? dachte Jenny. Ihr Versuch, sich an der Dicken vorbeizuschlängeln, scheiterte. Sie setzte an, um etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders. Es ist sinnlos. Sie mußte eben warten, bis ihr Koffer die Runde auf dem Gepäckkarussell beendete. Mit einemmal tauchte Ed Gillespie auf. Er faßte an der Fülligen vorbei nach dem Koffer, bevor er entschwinden konnte. So schwer er war, er hob ihn mühelos auf.

»Guten Morgen«, begrüßte er Jenny. »Ist das dein ganzes Gepäck?«

»Ja, Sir«, gab sie zurück. Im dunkelblauen Blazer und einer grauen Flanellhose sah er nicht die Spur militärisch aus. Sie lachte leise in sich hinein. »Es kommt nicht oft vor, daß ein General Gepäckträger für mich spielt. Noch dazu ein Astronaut…«

Der Ausdruck, den das Gesicht der üppigen Frau bei dem Wort ›Astronaut‹ annahm, war sehenswert. »Ich hatte nicht mit dir gerechnet«, sagte Jenny.

»Ich bin vor etwa einer Stunde aus Kalifornien angekommen und hab gleich bei Rhonda angerufen. Sie hat mir gesagt, mit welcher Maschine du kommen würdest, und so hab ich auf dich gewartet.«

Er ging ihr voraus, eine Rampe zu den Taxen empor. Es sah aus, als folge ihm der Koffer, den er an seiner Schlaufe hinter sich herzog, wie ein Hund an der Leine. In Jennys Augen hatten Rollenkoffer mehr für die Befreiung der Frau geleistet als die meisten feministischen Initiativen.

Oben angekommen, winkte Gillespie eine Taxe herbei, in deren Kofferraum sich bereits sein eigenes Gepäck befand. Der Fahrer sah aus wie ein Inder oder Pakistani und sprach kaum Englisch.

»Müde?« erkundigte sich Ed.

»Was glaubst du wohl? Immerhin war ich gestern nachmittag noch auf Hawaii.« Es war ein langer Flug gewesen. Jennys Haar hing strähnig herab, und sie fühlte sich am ganzen Leib klebrig. Sie sah auf die Uhr. Halb acht. »Eine Marinemaschine hat mich nach El Toro gebracht, da hat man mich in einen Hubschrauber umgeladen und noch gerade so rechtzeitig nach Los Angeles geflogen, daß ich die Nachtmaschine bekommen konnte.«

»Hast du geschlafen?«

»Nicht richtig.«

»Dann versuch’s jetzt«, sagte Gillespie.

»Dazu bin ich zu aufgekratzt. Wie geht es jetzt weiter?«

»Wir werden im Weißen Haus erwartet«, sagte Gillespie, und als er ihren Gesichtsausdruck sah, fügte er hinzu: »Du hast Zeit, dich umzuziehen.«

»Das will ich hoffen. Ich fühle mich abscheulich, alles scheint vor Schmutz zu starren.«

Während das Taxi der Stadt zustrebte, fragte Gillespie. »Wie fühlt man sich, wenn man eine Sensation hervorgerufen hat, Jenny?«

»Um was zu fühlen, bin ich viel zu müde. War es denn eine Sensation?«

Gillespie lachte. »Ach so, du warst ja unterwegs.« Er entnahm seiner Aktentasche ein Exemplar der Washington Post.

Die Schlagzeile AUSSERIRDISCHES RAUMSCHIFF ENTDECKT sprang sie an. Fast die ganze Titelseite beschäftigte sich mit der Neuigkeit. Tatsachen hatte der Artikel zwar kaum zu bieten, aber es wurde munter darauflos schwadroniert, und außerdem gab es einen Hintergrundbericht von Roger Brooks. Jenny runzelte die Stirn, als sie an ihr letztes Zusammentreffen mit Roger dachte. Sie warf Ed einen Blick zu. Er konnte eigentlich nichts über Roger und Lindas frühere Beziehung wissen.

Meine Schwester ist eine blöde Kuh.

Es folgten Interviews mit berühmten Naturwissenschaftlern und Bilder eines lächelnden Kosmologen, der den Nobelpreis bekommen hatte, außerdem Bilder von Mary Alice Mouton und Rick Owen. Er lächelte noch breiter als der Kosmologe.

»Dr. Owen ist ja jetzt wohl eine Art Berühmtheit«, sagte Jenny.

»Du auch«, gab Edmund zurück. »Zwar beansprucht dein Freund auf Hawaii den eigentlichen Entdeckerruhm für sich, hat aber durchaus deinen Namen genannt. Jeder Reporter im Lande würde dich gern interviewen.«

»Ach du liebe Zeit!«

»Du sagst es. Vor allem deshalb habe ich auf dich gewartet. Ein Wunder, daß dich die Stewardessen nicht erkannt haben.«

»Vielleicht doch«, sagte Jenny. »Eine schien mir besonders aufmerksam zu sein. Sie hat allerdings nichts gesagt.«

Das Taxi schlängelte sich durch den nicht besonders dichten Verkehr. Auf den Zubringer zum DullesFlughafen führten nur wenige Einfahrten. Ursprünglich waren gar keine vorgesehen gewesen, da er ausschließlich dem Flughafenverkehr vorbehalten sein sollte, aber den Politikern war es gelungen, ein halbes Dutzend durchzusetzen – vermutlich jeweils in der Nähe ihrer Wohnungen. Um jede dieser Einfahrten war eine Anzahl von Wohnhäusern und ein kleines Gewerbegebiet aus dem Boden gewachsen.

»Wie sie wohl sein mögen?« überlegte Jenny laut.

Gillespie schüttelte den Kopf. »Ich lese schon lange nicht mehr so viel Science Fiction wie als kleiner Junge.« Er sah einen Augenblick lang hinaus und lachte dann. »Eins ist sicher, dem Raumfahrtprogramm wird es nützen! Im Kongreß spricht man bereits vom Bau weiterer Raumfähren, damit der Stützpunkt auf dem Mond vergrößert werden kann – auf einmal tun die Mistkerle so, als wären sie schon immer große Raumfahrtbefürworter gewesen.«

Je mehr sie sich Washington näherten, desto dichter wurde der Verkehr. Am Ende der Schnellstraße standen sie hinter einer geschlossenen Wand aus roten Heckleuchten. Der Fahrer murrte etwas vor sich hin und versuchte, sich vorwärtszuschlängeln, ohne dabei auf das wütende Gehupe zu achten.

Jenny erkundigte sich: »Wen treffen wir im Weißen Haus?«

Gillespie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich den Präsidenten.«

»Um Himmels willen, ich hab ihm doch gar nichts zu bieten «, sagte sie. »Alles was ich weiß, steht in meinem Telegramm von gestern.«

Er zuckte erneut die Achseln. »Man wird ja sehen«, sagte er, »wir gelten nun mal als die Fachleute. Immerhin haben wir als erste davon gewußt…«

Als sie den Potomac überquerten, hatte der Nieselregen aufgehört, und die Sonne bemühte sich durchzubrechen. Trotz der morgendlichen Kühle war etwa ein Dutzend Jogger unterwegs. Jenny schloß die Augen. Sie dachte: Die Außerirdischen kommen, und ich bin berühmt.

Gillespie stritt sich mit dem Fahrer herum. Es war deutlich, daß dieser kein Wort von dem verstand, was Ed sagte. Er wurde nervös, und Gillespie wurde immer wütender.

»Laß mich mal«, mischte sich Jenny ein. »Wo sind wir hier?«

»Wenn ich das wüßte. Vorhin sind wir über eine Brücke mit steinernen Büffeln drauf gefahren.«

»Dann sind wir in der Nähe der Kathedrale«, sagte Jenny. Aus dem Taxifenster sah sie ein typisches Washingtoner Wohngebiet. Ältere Häuser, alle mit efeubewachsener Veranda. »Wo ist Norden?«

Gillespie machte eine Handbewegung.

»Schön.« Sie beugte sich vor und wies den Fahrer an: »Geradeaus, dann links.«

Der Mann wirkte erleichtert. Nachdem sie ein paar Nebenstraßen durchfahren hatten, nickte Jenny befriedigt. »Gleich sind wir da.«

»Warum, zum Kuckuck, können die keine Fahrer einstellen, die Englisch sprechen?« machte Ed seinem Ärger Luft. »Angeblich haben wir so viele Arbeitslose – aber keiner von den verdammten Taxifahrern am Flughafen unserer Hauptstadt spricht Englisch. Die dämlichen Politiker kriegen natürlich nichts davon mit – die werden ja von Fahrern am Flughafen abgeholt.«

Vermutlich hatten die Außerirdischen nicht nur Lösungen für Alltagsprobleme wie die Sache mit der Taxe, sondern waren auch so fortgeschritten, daß sie eine über eine Million Jahre bewährte Regierungsform und einen mächtigen missionarischen Drang mitbrachten. Das würde die Schwierigkeiten der USamerikanischen Regierung mit einem Schlag lösen.

Das im glanzvollen Kolonialstil errichtete Herrenhaus Flintridge erhob sich auf einem sich breit hinlagernden Hügel. In ganz Washington gab es kein Dutzend solcher Besitzungen. Von der großen, mit Säulen verzierten Veranda aus war kein anderes Haus zu sehen. Der größte Teil des umliegenden Waldes gehörte zum Rock Creek Nationalpark, und das war sehr angenehm, weil niemand dort bauen durfte.

Die Taxe fuhr knirschend über die kiesbestreute Auffahrt des aus den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts stammenden Herrenhauses. Das haitianische Dienstmädchen Phoebe kam zur Tür, erkannte Jenny und verschwand blitzschnell im Haus. Wenige Augenblicke später trat Onkel Henry, Colonel Weston, aus der Tür. Ein solcher Onkel war sehr praktisch, wenn man sich in Washington aufhielt, denn auf Flintridge lebte es sich weit angenehmer als in jedem Hotel.

Da es in der ersten Etage, zu der eine großartig geschwungene Treppe führte, nicht genug Schlafzimmer gab, war Jenny in der zweiten untergebracht, wo ursprünglich die Dienstboten getrennt von der Familie gehaust hatten. Deren Kammern waren später zu kleinen behaglichen Apartments mit Badezimmern umgebaut worden. Allerdings ließen sie sich lediglich über eine schmale, gewundene Hintertreppe erreichen.

Jenny stellte ihr Gepäck ab und ließ sich auf das Bett sinken. Nur gut, daß es für Tante Rhonda um acht Uhr noch zu früh war. Sie hätte sich endlos über Jennys nicht existierende Sonnenbräune ausgelassen und nach jungen Männern erkundigt – beständig war Jenny Ziel ihrer unermüdlichen Kuppelversuche.

Tante Rhonda war liebenswert, aber sehr ermüdend, wäre es vor allem jetzt, vor dem auf elf Uhr angesetzten Termin im Weißen Haus!

Jenny sah aus dem Fenster in den großen Wintergarten hinab und wäre beinahe errötet. Vor langer Zeit, nach einem Schulball, war es dort geschehen… Kopfschüttelnd legte sie sich hin und versank in den weichen, schwellenden Federbetten.

Auch wenn Jennys Vater, Joel MacKenzie Crichton, nie ein Hehl daraus gemacht hatte, daß ihm die Gesellschaften zuwider waren, die Rhonda Weston dort für seine Töchter arrangierte »Der ganze DebütantinnenZirkus ist Mumpitz«, pflegte er zu sagen –, hatte er vernünftigerweise nicht versucht, sie davon fernzuhalten. So kam es, daß zuerst Linda und später Jeanette bei großen Bällen auf Flintridge die jungen Herren aus den passenden Kreisen der Washingtoner Gesellschaft kennenlernten. Ein einstiger Präsident der Vereinigten Staaten hatte den Glanzpunkt bei Lindas Ball abgegeben, während sich Jenny mit zwei Senatoren und dem Außenminister hatte begnügen müssen.

Niemand, der die Familie näher kannte, war im geringsten überrascht, als Jenny die Berufsoffizierslaufbahn einschlug.


* * *

Ed Gillespie lenkte den Buick durch die offenstehenden Gittertore auf die Auffahrt an der Pennsylvania Avenue. Ein uniformierter Polizeibeamter prüfte seine Papiere, sah auf eine Liste und ließ den Wagen passieren. Vor dem Eingang zum Gebäude tauchte wie aus dem Nichts ein Fahrer auf. »Ich stelle den Wagen für Sie ab, Sir.«

Ein Soldat öffnete Jenny den Schlag, trat einen Schritt zurück und salutierte. »General, Captain, wenn Sie mir bitte folgen wollen…«

Er führte sie zum Weißen Haus hinüber. Irgendwo aus der Ferne hörte man das Geplapper von Schulkindern, die die Hauptstadt besichtigten. Der Mann führte sie durch einen langen Gang.

In all ihren Jahren in Washington hatte Jenny nie Gelegenheit gehabt, das Weiße Haus kennenzulernen. Da ihre Eltern und Colonel Weston häufig ins Weiße Haus eingeladen wurden, einmal sogar zu einem Staatsbankett, hätten es die Mädchen sonderbar gefunden, sich einer öffentlichen Führung anzuschließen. Eines Tages kämen sie sicher an die Reihe.

Und heute ist der Tag, dachte Jenny.

Sie erreichten einen weiteren Gang. Ein junger Mann in grauem Anzug erwartete sie dort. »Elf Uhr«, sagte der Soldat.

»In Ordnung. Hallo, ich heiße Jack Clybourne und habe den Auftrag, Ihre Ausweise zu überprüfen.«

Zwar lächelte er bei diesen Worten, wirkte aber durchaus geschäftsmäßig. Er sah sehr jung und gepflegt aus, und äußerst athletisch.

Jenny kam es vor, als werfe er nur einen flüchtigen Blick auf Eds und ihren Ausweis. Ganz offensichtlich war er mehr an den Besuchern als an deren Papieren interessiert.

Dem entgeht wahrscheinlich nichts; und er hält sich für unwiderstehlich…

Er führte die Besucher einen Gang entlang zum Oval Office, dem Amtszimmer des Präsidenten.

Dort sah es eigentlich genauso aus, wie man es aus dem Fernsehen kannte. Da sie in Uniform waren, salutierten sie vor dem Präsidenten, der hinter dem riesigen Schreibtisch saß.

David Coffey wirkte davon peinlich berührt. Er winkte ihnen grüßend zu. »Ich freue mich, Sie zu sehen.« Es klang aufrichtig. »Captain Jeanette Crichton«, sagte er mit einem leichten Heben der Braue, und Jenny war sicher, daß er sich ihren Namen merken würde. »Und General Gillespie. Ich freue mich, Sie wiederzusehen, General.«

»Vielen Dank, Mr. President«, sagte Edmund.

Ed ist ebenso nervös wie ich, dachte Jenny. Das hätte ich nicht gedacht. Sie sah sich verstohlen um. Hinter dem Präsidenten stand auf einem niederen Bücherschrank ein rotes Telefon. Aha, dachte Jenny, das Telefon. Im Hauptquartier des strategischen Luftkommandos standen im Arbeitszimmer des Befehlshabers zwei Apparate, ein roter für Kontakte mit den Luftstreitkräften, und ein goldener. Das hier dürfte das andere Ende der Leitung vom goldenen Telefon sein…

Mit den Worten »Captain, ich möchte Ihnen Hap Aylesworth vorstellen«, wies der Präsident auf einen rotgesichtigen Mann, der mit gelöster Krawatte in einem Sessel saß. Er erhob sich, um Jenny die Hand zu schütteln.

»Nehmen Sie bitte Platz«, sagte der Präsident, »und berichten Sie mir alles, was Sie über den Fall wissen, Captain.«

Jenny setzte sich auf die Kante des ihr angebotenen Sessels, beide Füße fest auf dem Boden, den Rock vorschriftsmäßig über die Knie nach unten gezogen. »Viel weiß ich nicht, Mr. President «, begann sie. »Ich befand mich im Observatorium auf Mauna Loa…«

»Wie kamen Sie dahin?« erkundigte sich Aylesworth.

»Ich hatte auf Hawaii bei einer Ingenieurstagung gesprochen und einige Tage Sonderurlaub genommen. Beim Schwimmen habe ich den Astronomen Richard Owen kennengelernt. Er hat mich eingeladen, das Observatorium zu besichtigen.«

»Owen«, sagte Aylesworth nachdenklich.

»Lassen Sie es gut sein, Hap, wir haben von allen Stellen Bestätigungen eingeholt, von denen wir vernünftigerweise annehmen durften, etwas zu erfahren«, sagte der Präsident. Er lächelte dünn. »Mr. Aylesworth wird den Verdacht nicht los, daß es sich um eine Irreführung handeln könnte. Wäre das denkbar?«

Jenny runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich glaube nicht, Sir. Was könnte der Grund dafür sein?«

»Es gibt bestimmt mehrere Dutzend Science FictionRomane zu dem Thema«, sagte Aylesworth. »Naturwissenschaftler setzen sich zusammen und überzeugen die tumben Politiker und Militärs von der bevorstehenden Ankunft Außerirdischer. Vereinigt euch, Erdenmenschen! Schluß mit Hader und Kriegen…«

»Der Bericht vom LuftstreitkräfteObservatorium deckt sich aber mit den Angaben«, sagte Ed Gillespie. »jetzt, wo sie wissen, worauf sie achten müssen.«

Der Präsident nickte. »Eine Reihe anderer Quellen bestätigt das ebenfalls. Hap, sollte das eine Verschwörung sein, hinge da eine riesige Menge von Verschwörern drin. Meinen Sie nicht, daß wenigstens einer inzwischen mit der Wahrheit herausgerückt wäre?«

»Ja, Sir«, sagte Aylesworth. »Ist es sicher, daß sich die Russen das nicht aus den Fingern gesogen haben, um uns abzulenken?«

Jenny und General Gillespie schüttelten den Kopf »Bestimmt nicht«, sagte Gillespie.

»Nun, wahrscheinlich haben Sie recht«, räumte Aylesworth ein. »Ich bitte um Entschuldigung, Captain, aber mir fällt die Vorstellung schwer, daß kleine grüne Männchen aus dem Weltraum auf dem Weg zu uns sind.«

»Oder große schwarze Männer«, sagte Ed Gillespie.

Neugierig faßte der Präsident Gillespie ins Auge. »Warum sagen Sie das? Wissen Sie etwas Genaueres?«

»Nein, Sir. Aber ebensogut wie klein und grün könnten sie groß und schwarz sein – die Wahrscheinlichkeit ist dieselbe. Wüßten wir, woher sie kommen, könnten wir uns vielleicht das eine oder andere zusammenreimen…«

»Vom Saturn«, sagte Jenny. »Dr. Mouton hat eine Computersimulation gemacht.« Alice Mouton hatte ihren Gast mit einem wissenschaftlichen Vortrag beeindrucken wollen, und Jenny hatte gut aufgepaßt. »Wir kennen ihre Reisegeschwindigkeit nicht, und der Saturn muß sich seit ihrer Abreise bewegt haben, aber es gibt gute Gründe für die Annahme, daß sie ihren Flug an einer Stelle des Himmels begonnen haben, an der Saturn gestanden hat.«

»Also Saturnier«, sagte Aylesworth nachdenklich.

»Kaum«, sagte Ed Gillespie. »Der Planet bekommt keinesfalls genug Sonnenenergie, als daß dort komplexe Organismen entstehen könnten. Ganz zu schweigen von einer Zivilisation.«

»Ist das sicher?« wollte der Präsident wissen.

»Nein, Sir.«

»Derselben Ansicht sind die Leute von der nationalen Wissenschaftsakademie «, fügte der Präsident hinzu. »Zumindest die, derer ich habhaft werden konnte. Man vertritt allgemein die Ansicht, daß das Raumschiff von woanders zum Saturn geflogen sein muß. Bleibt nur noch festzustellen, von wo.«

»Vielleicht können wir sie fragen«, sagte Jenny.

»So seltsam das klingt, daran haben wir auch schon gedacht«, sagte Aylesworth.

»Und? Mit welchem Ergebnis?« fragte Gillespie.

»Nichts.« Aylesworth zuckte die Achseln. »Bisher haben sie keine Antwort gegeben. Immerhin bin ich jetzt überzeugt, daß die Sache ihre Richtigkeit hat, Mr. President.«

»Gut«, sagte der Präsident. »Wenn Sie dann bitte Mr. Dawson und Admiral Carrell hereinbitten würden…«

General Gillespie und Jenny erhoben sich. Wes Dawson kam als erster herein. »Hallo Ed, hallo Jenny,«, sagte er.

»Aha, Sie kennen einander bereits«, sagte der Präsident.

»Ja, Sir«, sagte Ed Gillespie.

»Ach, natürlich«, fuhr David Coffey fort. »Sie haben ja den Kongreßabgeordneten von der Sache informiert. Kennen Sie auch Admiral Carrell?«

»Ja, Sir«, sagte Ed, »aber Miss Crichton wohl nicht.«

Der Admiral näherte sich dem Pensionsalter, und das sah man ihm an. Sein Haar war silbergrau, und um seine Augenwinkel lagen zahllose Fältchen. Er begrüßte Jenny mit kraftvollem Händedruck und fester Stimme. Offenbar wußte er, wer sie war. Als der Präsident alle zum Sitzen aufforderte, ließ er zuerst Jenny sich setzen und nahm dann gleichfalls Platz. »Gute Arbeit, Captain«, lobte er. »Nicht jeder Offizier hätte die Bedeutung dessen begriffen, was Sie gesehen haben.«

Interessant, dachte sie. Gibt er sich mit allen, die er kennenlernt, soviel Mühe? »Vielen Dank, Admiral.«

Dawson hatte den dem Präsidenten zunächst stehenden Sessel genommen. »Wie wird sich der Kongreß dazu stellen, Wes?« wandte sich der Präsident an ihn. »Darf ich mit seiner Unterstützung rechnen, wenn ich den Notstand erkläre?«

»Es wird bestimmt Widerstand geben«, gab Dawson zu bedenken.

»Verdammte Idioten«, knurrte Admiral Carrell.

»Warum meinen Sie, die Außerirdischen könnten uns nicht freundlich gesonnen sein?« wollte Wes Dawson wissen.

»Darüber weiß ich nichts, aber wenn die Sowjetunion mobil macht, ohne daß wir darauf reagieren, wäre das eine Katastrophe. Es könnte sie sogar zu Schritten verlocken, an die sie normalerweise nicht einmal im Traum dächten.«

»Tatsächlich?« sagte Dawson. Es klang mehr nach einer Feststellung als nach einer Frage.

»Werden die Sowjets mobil machen?« fragte der Präsident.

»Darauf soll Captain Crichton antworten«, sagte der Admiral. »Vielleicht glaubt Mr. Dawson eher jemandem, den er kennt.«

»Ja, Sir, das werden sie.« Sie zögerte. »Und wenn wir nichts tun, kann es Ärger geben.«

»Inwiefern?« fragte der Präsident.

»Es hängt mit ihrer Ideologie zusammen, Sir. Sofern sie eine Möglichkeit sehen, die Welt vom Kapitalismus zu befreien, ohne daß ihre Heimat dabei gefährdet ist, wären sie Verräter an ihrer eigenen Doktrin, wenn sie es nicht täten.«

Admiral Carrell fügte hinzu: »Alle unsere Rundfunksendungen werden gestört, und sie haben ihren eigenen Leuten noch nichts über das außerirdische Raumschiff gesagt.«

»Die Sache ist viel zu groß, um sie geheimzuhalten«, sagte Dawson, »oder nicht?«

Erneut wandte sich Admiral Carrell an Jenny. Diesmal nickte er ihr nur zu.

Wollen die mich auf die Probe stellen? überlegte sie. Nun denn, wie auch immer… »Sir, die Ostdeutschen und die Polen kommen bestimmt dahinter. Sofern die Sowjetunion ihre Wirtschaft nicht vollständig ruinieren will, kann sie unmöglich alle Beziehungen zu ihren osteuropäischen Satelliten abbrechen. Also wird die Nachricht früher oder später nach Rußland durchsickern, jedenfalls in die Städte.«

Der Admiral nickte hinter halb geschlossenen Augen.

»Unabhängig davon, was die Russen tun, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, daß sich das Raumschiff der Erde nähert«, sagte der Präsident. »Vielleicht kommen uns in wenigen Wochen all unsere kleinlichen Streitereien albern vor.«

»Ja, Sir«, sagte Wes Dawson, »sehr albern.«

»Es gibt noch weitere Möglichkeiten«, sagte Admiral Carrell. Obwohl er sehr leise sprach, hörten ihm alle zu – auch der Präsident.

»Welche zum Beispiel?« wollte Dawson wissen.

»Ich kenne sie nicht alle«, sagte Carrell gleichmütig. »Mr. President, ich möchte gern einen Stab von Fachleuten in Colorado Springs zusammenziehen. Eine von dessen Aufgaben wäre es, möglichst viele davon zu durchdenken.«

»Sehr vernünftig«, sagte der Präsident. »Aber warum Colorado Springs?«

»Das Loch«, sagte Admiral Carrell.

NORAD, dachte Jenny. Damit meinte sie das nordamerikanische LuftverteidigungsKommando, dessen Befehlszentrale sich in den tiefsten Tiefen der Granitfelsen des CheyenneBergs befand. Es galt als der sicherste Ort des Landes, obwohl man sich darüber stritt, wie ›gehärtet‹ die Anlage wohl war…

»Wollen Sie selbst auch hin?« fragte der Präsident.

»Nicht auf Dauer.«

»Aber Sie werden zu tun haben. Also brauche ich jemanden, der mich auf dem laufenden hält.« Er sah nachdenklich drein. »Wir sehen uns Schwierigkeiten aus zwei Richtungen gegenüber: vielleicht von den Außerirdischen, und bestimmt von den Sowjets. Captain, Sie kennen die Russen, und Sie haben das Raumschiff entdeckt.«

»Nicht entdeckt, Sir…«

»So gut wie«, sagte der Präsident. »Sie haben seine Bedeutung erkannt. Außerdem haben Sie bereits alle Sicherheitsüberprüfungen hinter sich, sonst wären Sie nicht bei der Nachrichtentruppe.« Er drückte einen Knopf auf dem Tisch, und der Stabschef des Weißen Hauses kam herein.

»Jim«, sagte der Präsident. »Kann ich als Oberbefehlshaber Angehörige der Streitkräfte befördern?«

»Ja, Sir.«

»Gut, dann ernennen Sie diese junge Dame zum Major und gliedern Sie sie in den Arbeitsstab des Weißen Hauses ein. Sie wird mit Ihnen und dem Admiral zusammenarbeiten und mich regelmäßig über alles im Zusammenhang mit den Außerirdischen und den Sowjets informieren.« Er lachte leise. »Major Crichton und General Gillespie als Angehörigen der Streitkräfte darf ich doch sicher ohne den Umweg über die Verwaltung Befehle erteilen?«

»Gewiß«, bestätigte Frantz.

Major Crichton. Einfach so!

»Gut«, sagte der Präsident. »General Gillespie, der Kongreßabgeordnete Dawson möchte den Außerirdischen im Weltraum entgegenfliegen.«

Ed Gillespie nickte. »Ja, Sir.«

»Sie halten das für richtig?«

»Ja, Sir.«

Mit feinem Lächeln dachte Jenny, daß Ed es für noch richtiger hielte, selbst den Außerirdischen entgegenfliegen zu dürfen. Das verstand sie gut, denn auch sie hätte das gern getan.

»Unterstützen Sie ihn dabei!« gebot ihm der Präsident. »Kümmern Sie sich in Houston persönlich um seine Ausbildung! Möglicherweise begleiten Sie ihn bei der Mission, das allerdings hängt von den Russen ab.« Er verzog sein Gesicht ein wenig und sah dann auf die Uhr. »Man erwartet Sie beide drüben im NASAHauptquartier. Ich wollte Sie aber auf jeden Fall vorher sehen, um eine Entscheidungsgrundlage zu haben. Wenn Sie sich beeilen, kommen Sie noch rechtzeitig hin.«

»Ja, Sir.« Ed warf einen Blick zu Jenny hinüber, sagte aber nichts.

Der Präsident erhob sich, und alle folgten seinem Beispiel. »Der sowjetische Botschafter hat eine offizielle Erklärung dafür verlangt, warum eine so bedeutsame Nachricht in einem privaten Telefonanruf und nicht durch offizielle Kanäle weitergegeben wurde«, sagte er. »Eine Ihrer ersten Aufgaben besteht darin, sich zu überlegen, wie man die Sowjets davon überzeugen kann, daß kein Trick hinter der Sache steckt, Major.«

»Das ist möglicherweise nicht ganz einfach«, gab Admiral Carrell zu bedenken.

»Darüber bin ich mir im klaren«, sagte der Präsident. »Auch andere werden sich mit der Angelegenheit beschäftigen.« Mit einer Handbewegung entließ er die Anwesenden. »Major, man wird Ihnen einen Arbeitsplatz zuweisen, Gott weiß wo. Seien Sie nicht schüchtern, wenn Sie Material brauchen. Mr. Frantz wird sich darum kümmern, daß Sie alles Erforderliche bekommen. Ich erwarte täglich Bericht von Ihnen durch Admiral Carrell. Wenn er nicht anwesend ist, werden Sie selbst mir vortragen.«

Die Außerirdischen kommen, und ich bin dem Nationalen Sicherheitsrat unterstellt! Vortrag beim Präsidenten persönlich im Oval Office! Und alles, weil ich auf Hawaii schwimmen gegangen bin und mich von einem Astronomen hab abschleppen lassen. Meine Freundin Barbara glaubt nicht an Zufälle. Zwangsläufigkeit. Vielleicht ist da was Wahres dran…

»Jetzt muß ich mir nur überlegen, wohin ich Sie stecken soll«, sagte der Stabschef. »Bestimmt will der Präsident, daß Sie in diesem Gebäude hier arbeiten. Wahrscheinlich muß ich dann jemanden in den Altbau ausquartieren.«

Er ging mit großen Schritten den Korridor entlang, und Jenny folgte ihm. Sie erreichten einen Tisch am Ende des Gangs. Der Mann, der sie zum Oval Office geführt hatte, saß daran.

»Jack«, sagte der Stabschef, »ich stelle Ihnen ein neues Familienmitglied vor, Major Jeanette Crichton. Der Präsident hat sie in seinen Stab aufgenommen. Nationaler Sicherheitsrat. Sie hat jederzeit ungehinderten Zutritt zu ihm.«

»In Ordnung.« Erneut nahm er sie gründlich in Augenschein.

»Das ist Jack Clybourne«, sagte Jim Frantz. »Geheimdienst.«

»Ich kümmere mich darum, daß der Chef gesund bleibt«, sagte Clybourne.

»Informieren Sie alle Sicherheitsleute, Jack.« Frantz wandte sich wieder Jenny zu. »Major, es wäre mir recht, wenn Sie heute nachmittag gegen vier Ihr Dienstzimmer beziehen könnten. Bis dahin habe ich bestimmt eines frei. Ach je – Sie sind ja mit General Gillespie gekommen und haben jetzt keine Möglichkeit zurückzufahren.«

»Das ist nicht weiter schlimm, Sir.«

»Gut. Danke.« Er wandte sich zum Gehen, hielt inne und drehte den Kopf zu ihr zurück. »Willkommen an Bord«, sagte er über die Schulter, dann ging er davon.

Jenny kicherte, und Clybourne lächelte ihr zu. »Er zerbricht sich pausenlos den Kopf.«

»Das habe ich gemerkt. Wie geht’s jetzt weiter?«

»Fingerabdrücke. Wir müssen ja wissen, ob Sie es wirklich sind.«

»Aha. Wer macht das?«

»Ich, wenn’s Ihnen recht ist.« Clybourne nahm einen Hörer ab und sagte etwas. Sofort kam ein weiterer gepflegt wirkender junger Mann heraus und setzte sich an den Tisch.

»Tom Bucks«, stellte Clybourne vor. »Major Jeanette Crichton. Die neueste Erwerbung des Nationalen Sicherheitsrats. Sie hat Zutritt beim Präsidenten.«

»Hallo«, sagte Bucks. Er sah sie gründlich an, und Jenny hatte den Eindruck, als präge er sich jede Pore ihres Gesichts ein.

Natürlich. Sie sind ja auch keine Romanhelden, sondern Geheimdienstagenten, die ihre Arbeit tun.

Clybourne ging die Treppe hinab voran und durch einen kleinen Aufenthaltsraum für das Personal. »Ich hab alles hier«, sagte er, holte eine große, schwere Tasche hervor und stellte neben die Kaffeemaschine, was er für die Fingerabdrücke brauchte.

»Muß das wirklich sein? Meine Abdrücke sind doch bei den Akten.«

»Selbstverständlich. Ich muß mich vergewissern, daß die hübsche junge Dame, mit der ich jetzt spreche, dieselbe Jeanette Crichton ist, die das Heer damals eingestellt hat.«

»Also schön«, sagte sie.

Er nahm ihre Hand. »Ganz locker, lassen Sie mich nur machen.«

Geschickt entledigte sich Clybourne seiner Aufgabe. Schließlich gab er ihr ein Glas Reinigungsmittel und einige Papierhandtücher.

Sie wischte sich die schwarze Schmiere von den Fingerkuppen, während Clybourne zwei Tassen Kaffee eingoß. Eine gab er ihr. »Jemand hat gesagt, daß Sie in Washington wohnen?«

»Ich bin hier aufgewachsen«, sagte sie. »Da fällt mir ein, können Sie mir eine Taxe rufen?«

»Klar. Wohin?«

»Flintridge. Das liegt in Connecticut, im Rock Creek Park.«

»Kenne ich.« Er sah auf die Uhr. »Wenn Sie zehn Minuten warten können, bringe ich Sie hin.«

»Ich möchte Ihnen keine Schwierigkeiten machen.«

»Kein Problem. Ich mach Feierabend und fahr sowieso in die Richtung.«

»In dem Fall gern. Vielen Dank.«

»Sie können am Haupteingang auf mich warten«, sagte Clybourne. Er nahm einen Notizblock aus der Tasche, auf dem das Dienstsiegel des Weißen Hauses prangte, notierte etwas darauf und entnahm einer anderen Tasche eine Sicherheitsnadel. »Tragen Sie das als vorläufigen Hausausweis an Ihrem Uniformaufschlag «, sagte er. »Ich bin in zehn Minuten bei Ihnen.«

Er lächelte erneut, und sie merkte, daß sie sein Lächeln erwiderte.

4. Blindekuh

Nur ein Schiff sucht uns,

ein schwarzbesegeltes unvertrautes,

im Schlepp hinter sich ungeheure und vogellose Stille.

Kein Kielwasser schäumt oder bricht sich.

PHILIP LARKIN

Der Nächste bitte


Zeit: Sechs Wochen bis zur Stunde Null

Obwohl ihm Nadja gesagt hatte, der Genosse Vorsitzende erwarte ihn, blieb General Narowtschatow an der Tür stehen, bis Petrowski ihn zum Nähertreten auffordern würde. Petrowski liebte keine Überraschungen.

Verglichen mit seinem eigenen Büro war dies hier spartanisch eingerichtet. Petrowski schien sich aus schönen Dingen wie Teppichen, Wandbehängen und Gemälden nichts zu machen. Er erfreute sich an seltenen Büchern mit kunstvollen Ledereinbänden und trank gern alten Cognac; darüber hinaus trieb er so gut wie keinen persönlichen Aufwand.

Früher einmal hatte Nikolai Nikolajewitsch Narowtschatow befürchtet, es könne gefährlich sein, sich mit äußerlichen Zeichen von Wohlstand und Macht zu umgeben, wo es doch der Vorsitzende so offensichtlich nicht tat. Noch immer war er davon überzeugt, daß diese Sorge in den Anfangsjahren nicht fehl am Platze gewesen war; doch je höher er auf der Karriereleiter stieg, desto zahlreicher und wertvoller wurden die Geschenke, die ihm Petrowski schickte, bis deutlich zu sehen war, daß er seinen alten Weggefährten geradezu ermunterte, sich etwas zu gönnen, sich an Dingen zu freuen, die ihm nichts bedeuteten.

Nie hatte er mit dem Vorsitzenden darüber gesprochen. Es genügte, daß es sich so verhielt.

Jetzt hob der Vorsitzende Petrowski den Blick von seinen Notizen und lächelte ihm freundlich zu. »Immer herein in die gute Stube.« Er verzog das Gesicht und sagte: »Es scheint kein Witz zu sein. Die rücken uns offenbar wirklich immer näher auf den Pelz, was?« Er hob sein Teeglas und sah über dessen Rand zu Narowtschatow hinüber.

»Ja, Anatoli Wladimirowitsch.« General Narowtschatow hob die Schultern. »Den Aussagen der Astronomen zufolge wäre es für die Außerirdischen gegenwärtig ausgesprochen schwierig, der Erde nicht näher zu kommen. Sie bewegen sich mit großer Geschwindigkeit auf uns zu.«

»Und wann sind sie hier?«

»In ein paar Wochen. Es heißt, Genaueres lasse sich nur schwer sagen, weil das Raumschiff einen eigenen Antrieb besitze. Dadurch sei es in seinen Manövern unberechenbar.«

»Und Sie sind immer noch davon überzeugt, daß es sich nicht um einen neuen Trick der CIA handelt?«

»Ja, Anatoli Wladimirowitsch.«

»Ich eigentlich auch. Aber die Armee glaubt nicht an Außerirdische.«

Narowtschatow nickte. Damit hatte er gerechnet. Das könnte sich als großes Problem für einen Mann erweisen, der schon genug davon hatte. Der Vorsitzende sah alt und müde aus. Und was, wenn…?

Als hätte der Vorsitzende seine Gedanken gelesen, fuhr er fort: »Ihre letzte Beförderung liegt schon sehr lange zurück, Nikolai Nikolajewitsch, mein Freund. Ich möchte, daß Sie den Posten des Ersten Sekretärs übernehmen. Wir werden den Genossen Majarowin ins Politbüro erheben, wo er in Ehren vor sich hinrosten kann.«

»Aber ich bitte Sie…«

»Doch. Gerade jetzt ist das richtig. Nikolai Nikolajewitsch, ich hoffe schon lange, mich als erster Führer der Sowjetunion ehrenvoll zur Ruhe setzen zu können. Vielleicht tue ich das eines Tages auch, aber erst, wenn ich das Amt einem Würdigen übergeben kann. Sie sind der Getreueste, den ich kenne.«

»Ich danke Ihnen.«

»Nein wirklich, es ist die Wahrheit. Aber vielleicht bin ich nicht mehr lange bei Ihnen, mein Freund. Die Ärzte sagen…«

»Unsinn.«

»Keineswegs. Doch bevor ich dahingehe, hoffe ich etwas noch nie Dagewesenes zu erreichen, nämlich Stabilität für unser Land, die Möglichkeit, daß unsere Besten ihm dienen können, ohne um ihr Leben zittern zu müssen.«

Das hatte es unter den Zaren nie gegeben, und auch nicht unter Lenin. So war Rußland nun einmal. »Dafür sind Gesetze erforderlich, Anatoli Wladimirowitsch. Bürgerliche Länder haben Gesetze, wir hingegen…« Er zuckte beredt die Achseln.

»… hatten Terror. Das ist keine Lösung. Sie werden sich kaum an die Zeit Stalins erinnern, mir aber steht sie nur allzugut vor Augen. Chruschtschow hat sich selbst ausgelöscht, indem er versuchte, die Erinnerung an Stalin auszulöschen, und diesen Fehler werden wir nie wieder begehen. Doch er hatte recht, der Mann war ein Ungeheuer. Selbst Lenin hatte vor ihm gewarnt.«

»Er hat getan, was nötig war«, sagte Narowtschatow.

»Auch wir werden das tun, wie bisher auch. Aber genug davon. Was sollen wir bezüglich des außerirdischen Raumschiffs tun?«

Narowtschatow hob die Schultern. »Die Armee macht mobil. Die Raketenstreitkräfte werden auf volle Kampfstärke gebracht, und wir bauen neue Weltraumwaffen.« Er runzelte die Stirn. »Ich weiß noch nicht, was die Amerikaner tun werden.«

»Ich auch nicht«, sagte der Vorsitzende. »Vermutlich dasselbe wie wir.«

Hoffentlich, dachte Narowtschatow. Falls nicht… Nun, immer und überall gab es ehrgeizige junge Offiziere, die bereit waren, einen Krieg vom Zaun zu brechen, wenn sie glaubten, daß sie ihn gewinnen könnten. »Wir haben auch den Kommandanten von Kosmograd von der Sache in Kenntnis gesetzt. Ich wüßte nicht, was ich sonst noch tun könnte.«

»Das genügt aber nicht«, sagte der Vorsitzende. »Was beabsichtigen diese Außerirdischen? Was könnte sie zu uns führen, über Milliarden von Kilometern? Immer vorausgesetzt, es handelt sich um Außerirdische und nicht um irgendeinen Humbug der CIA.«

Schon wieder? »Gemessen an einem solchen Humbug würde unser Raumfahrtprogramm wie Kinderspielereien erscheinen. Es sind bestimmt Außerirdische, und das Raumschiff besitzt einen Antrieb. Eher glaube ich an ein durch den Weltraum fliegendes Tier mit einer Rakete im Hintern als an einen Trick der CIA. Es ist mit Sicherheit ein interstellares Raumschiff, Anatoli Wladimirowitsch.«

»Das denke ich auch«, sagte der Vorsitzende. »Nur fällt es mir schwer, daran zu glauben. Was wollen diese Wesen? Niemand würde so weit reisen, nur um etwas zu erkunden. Bestimmt haben sie Gründe dafür, daß sie herkommen.«

»Sicherlich. Aber ich kenne diese Gründe nicht.«

»Die werden wir wohl erst erfahren, wenn sie bereit sind, sie uns zu nennen. Wir wissen zuwenig über all das.« Petrowski musterte Narowtschatow mit einem bauernschlauen Blick. »Ihre Tochter hat einen Raumfahrtwissenschaftler geheiratet. Ein kluger Mann, Ihr Schwiegersohn. Klug genug, um regierungstreu zu sein, und intelligent genug, um zu verstehen, was Ihre Beförderung zum Ersten Sekretär für ihn bedeutet.«

»Ja.«

»Jemand muß unsere Maßnahmen koordinieren und kommandieren. Wer?«

Er meint etwas Bestimmtes, dachte Narowtschatow. Immer meint er etwas, das er nicht sagt. Er ist gerissen, manchmal zu gerissen für mich, denn ich verstehe ihn nicht.

Wer sollte kommandieren? Die Nachricht, daß sich ein Raumschiff der Außerirdischen näherte, hatte im Kreml eine Art Panik ausgelöst. Alle waren aufgeregt, und das empfindliche Gleichgewicht im Politbüro war in Gefahr. Wer konnte kommandieren? Narowtschatow zuckte die Schultern. »Ich hatte gedacht, Marschall Ugatow…«

»Gewiß wird die Armee Vorschläge machen, und wir werden sie uns ebenso anhören wie die vom KGB.« Der Vorsitzende sah nach wie vor nachdenklich drein.

Was hat er vor? Der Verteidigungsrat tagt in einer Stunde. Die Spitzen von Heer und KGB. Der Oberste Parteitheoretiker. Außerdem der Vorsitzende Petrowski und ich, weil mich Petrowski zu seinem Mitarbeiter ernannt hat. Bei der Zusammenkunft wird alles geklärt, dann kommt die Sitzung des gesamten Politbüros, und anschließend wird sich das Zentralkomitee hinter unsere Beschlüsse stellen. Nur – was werden wir beschließen? Er sah zu Petrowski hin, doch der Vorsitzende schien aufmerksam in einem Dokument auf seinem Schreibtisch zu lesen.

Was wollte Anatoli Wladimirowitsch? Die Sowjetunion wurde von einem Dreigespann aus Spitzenvertretern der Armee, des KGB und der Partei regiert. Wohl war die Partei dessen schwächstes Glied, doch zugleich hatte sie die größte Machtfülle, weil sie Beförderungen in den beiden anderen Organisationen steuern konnte. Andere Systeme waren erprobt worden, mit nahezu katastrophalen Ergebnissen. Nach Stalins Tod hatten Partei und Armee vor Beria Angst gehabt, dessen NKWD so mächtig gewesen war, daß er einmal in wenigen Wochen fast das gesamte Zentralkomitee kaltgestellt hatte.

Partei und Armee hatten sich verbündet, um der Bedrohung entgegenzuwirken. Damit, daß man Beria mitten aus einer Politbürositzung gezerrt und erschossen hatte, war die Spitze des NKWD liquidiert worden.

Plötzlich sah sich die Partei der von allen Banden befreiten Armee gegenüber, und was sie sah, gefiel ihr überhaupt nicht. Das Militär war in der Bevölkerung beliebt, und es konnte das Volk auf seine Seite bringen. Falls je die Herrschaft der Partei endete, würde nicht die Armeeführung wegen Landesverrats erschossen. Die Armee wäre sogar imstande, die Partei kaltzustellen, wenn sie die Möglichkeit bekam, ihre Kräfte ungehindert zu entfalten.

Da man das keinesfalls zulassen durfte, wurde das NKWD wiedereingesetzt. Man nahm ihm zahlreiche seiner Vollmachten, teilte es in die zivile Miliz und den KGB auf und ließ es zu keinem Zeitpunkt seine einstige Stärke wieder erreichen. Dennoch war es erneut mächtig geworden wie eh und je. Seine Agenten konnten beschuldigen und in ihre Dienste nehmen, wen sie wollten. Seine Arme reichten weit: bis hinauf zu den Spitzen im Kreml, im Politbüro, in der Partei und in der Armee. Wieder einmal änderten sich die Bündnisverhältnisse…

Hier, in diesem Raum, war Herkunft unerheblich. Hier wie im Politbüro selbst war die Wahrheit bekannt. Keine der drei Gewalten durfte die Möglichkeit bekommen, über die anderen zu triumphieren. Armee, Partei und KGB: alle drei mußten stark sein, um das Kräftegleichgewicht aufrechtzuerhalten. Das, und nichts anderes, war das Geheimnis der Herrschaft über Rußland.

Petrowski war ein Meister in dieser Kunst, und jetzt wartete er. Der Hinweis, den er gegeben hatte, war deutlich.

»Ich halte Akademiemitglied Bondarew für überaus geeignet, uns zu beraten und während dieser Krise an der Spitze unseres Raumfahrtprogramms zu stehen«, sagte Narowtschatow. »Sofern Sie damit einverstanden sind, Anatoli Wladimirowitsch.«

»Diese Empfehlung scheint mir passend«, gab Petrowski zurück. »Ich denke, wir sollten bei der Zentralkomiteesitzung das Akademiemitglied Bondarew vorschlagen. Selbstverständlich wird der KGB darauf bestehen, seinen eigenen Mann in diese Stellung zu bringen.«

Mit Sicherheit hatte der KGB bereits jemanden dafür parat, aber die Partei würde die Einsetzung bestätigen müssen. Eine weitere Entscheidung, die hier zu treffen war, bevor die Politbürositzung begann.

»Gruschin«, sagte Narowtschatow. »Dmitri Parfenowitsch Gruschin.«

Petrowski hob fragend eine dichte Braue.

»Ich habe ihn mir angesehen. Der KGB traut ihm, und er ist ein guter Diplomat. Die Parteileute, die ihn kennen, schätzen ihn. Und er hat Naturwissenschaften studiert.«

»Also gut«, nickte Petrowski zufrieden.

»Der KGB ist gespalten«, sagte Narowtschatow. »Einige halten die Sache für einen Trick der CIA, andere wissen es besser. Wir haben es selbst gesehen. Rogatschow hat es mit eigenen Augen in den Bordteleskopen von Kosmograd beobachtet. Die Amerikaner hätten so ein Raumschiff nie bauen können, Anatoli Wladimirowitsch.«

Petrowskis Bauernaugen verhärteten sich. »Möglich. Aber in der Armee glaubt man das nicht. Marschall Ugatow ist davon überzeugt, daß es sich um eine amerikanische Verschwörung handelt, die ihn dazu bringen soll, seine Raketen auf das Ding im Weltraum zu richten, während die Amerikaner gegen uns mobil machen.«

»Aber das täten sie nicht«, sagte Narowtschatow. »Gut und schön, wenn wir das in der Öffentlichkeit sagen, aber wir dürfen uns selbst keinen Täuschungen hingeben.«

Petrowskis Gesicht verfinsterte sich, und einen Augenblick lang empfand Nikolai Nikolajewitsch Furcht. Dann lächelte der Vorsitzende dünn. »Vielleicht bleibt uns keine Wahl«, sagte er. »So oder so, die Sache ist geregelt. Ihr Schwiegersohn übernimmt die Verantwortung für unsere Vorbereitungen im Weltraum. Es ist ohnehin besser, einen Zivilisten damit zu betrauen. Lassen Sie uns die Beförderung von Marinas Mann mit einem Schluck Cognac feiern!«

»Sehr gern.« Narowtschatow trat an den Barschrank, nahm eine Flasche, eine Kristallkaraffe und Gläser heraus. »Was werden die Amerikaner nun tun?« wollte er wissen.

Petrowski hob die Schultern. »Mit uns zusammenarbeiten. Was bleibt ihnen sonst übrig?«

»Es ist nie klug, sie zu unterschätzen.«

»Als ob ich das nicht wüßte – ich habe es Ihnen ja selbst beigebracht.«

Nikolai Nikolajewitsch lächelte breit. »Aber was denken Sie ganz persönlich?«

»Dasselbe wie Sie.«

Einen Augenblick lang überflog ein Schatten Narowtschatows Gesicht, dann sah er das schlaue Lächeln des Vorsitzenden. »Aha«, folgerte er, »der amerikanische Präsident hat Sie angerufen.«

»Nein, ich ihn.«

Nikolai Narowtschatow überlegte, was das zu bedeuten hatte. Petrowski war der einzige Mann in der Sowjetunion, der den Präsidenten der Vereinigten Staaten anrufen konnte, ohne daß Narowtschatow das umgehend erfuhr. »Weiß Trussow davon?« fragte er.

»Ich habe es ihm nicht gesagt«, sagte Petrowski achselzukkend.

Narowtschatow nickte zustimmend. Der KGB verfügte über viele Mittel und Quellen. Wer konnte wissen, was dessen Kommandant herausbekam? »Sie werden das also im Verteidigungsrat vortragen?«

»Ja.«

Nikolai Narowtschatow goß alten Cognac in zwei Gläser und reichte eines über den riesigen Schreibtisch. Lächelnd hob der Vorsitzende das Glas. »Auf die Zusammenarbeit mit den Amerikanern «, sagte er und lachte.

Narowtschatow hob sein Glas gleichfalls, empfand aber Furcht. Dies Raumschiff der Außerirdischen konnte nichts anderes als Schwierigkeiten bedeuten – ausgerechnet jetzt, wo er der Spitze so nahe war, konnte alles scheitern. Der KGB würde seine eigenen, hinterhältigen Pläne verfolgen und so verschlungene Wege gehen, daß nicht einmal alle KGBLeute sie verstehen würden. Und die Militärs taten, was Militärs schon immer getan haben. Raketen wurden in Stellung gebracht, viele Finger lagen dicht über vielen Knöpfen.

Nikolai Narowtschatow kam sich so ähnlich vor wie der legendäre Tatar, der einen Wirbelwind gesattelt hatte.


* * *

Die ZuchthundeAusstellung war vorüber, und Martin Carnell fuhr mit seinen Preisen heim: einmal beste Zuchthündin, drei erste Plätze – und einmal bester Zwinger, womit er gar nicht gerechnet hatte.

In den Transportbehältern hinter ihm auf der Ladefläche herrschte Unruhe. Er schaltete das Radio aus, um genauer zu hören, was los war. Keins der Tiere schien krank zu sein. Darth war ein Welpe und die Fahrten mit dem Kleinlaster noch nicht gewohnt. Wahrscheinlich steckte seine Stimmung die anderen Hunde an.

Martin fuhr gemächlich die Fernstraße 66 entlang, nie schneller als achtzig. Auf keinen Fall sollten die Tiere unruhig werden – sonst bissen sie womöglich bei der nächsten Ausstellung einen der Preisrichter in die Hand!

»Ruhig, Jungs«, sagte er. Seine Stimme pflegte sie zu beruhigen. Dann schaltete er das Radio wieder ein.

Die Musik hatte aufgehört, und eine Stimme sagte: »Ich habe mit dem Vorsitzenden der Sowjets gesprochen…«

Es klang wie die Stimme des Präsidenten: Martin drehte das Gerät lauter.

»Wir sind außerdem bestrebt, eine gemeinsame Reaktion auf dies außerirdische Raumschiff zu finden.

Amerikanische Mitbürger, unsere Wissenschaftler sagen, daß es sich hier um das bedeutendste Ereignis der Menschheitsgeschichte handeln kann. Jeder von Ihnen weiß jetzt, was wir wissen: ein großes Objekt, gut anderthalb Kilometer lang, nähert sich der Erde auf einer Bahn, die unsere besten wissenschaftlichen Köpfe zu dem Schluß kommen läßt, daß es einen eigenen Antrieb hat und unter Führung intelligenter Wesen steht. Bisher haben wir keinen Kontakt zu ihm herstellen können.

Es besteht kein Grund anzunehmen, daß eine Bedrohung von ihm ausgeht…«

Breit grinsend schüttelte Martin den Kopf. Gern hätte er den Anfang der Sendung gehört. Wer immer den Präsidenten da persiflierte, er hatte dessen Stimme aufs iTüpfelchen genau getroffen. Mit einemmal lachte er so laut heraus, daß die drei Hunde hinter ihm zu bellen begannen. Was, wenn sich George TateEvans im selben Augenblick in die Sendung eingeschaltet hatte wie er? Würde er dann vor Schadenfreude platzen oder sich angstvoll unter das Bett verkriechen?

Die Gruppe wild zum Überleben entschlossener Menschen, die sich in Erinnerung an die Pionierzeiten Amerikas den Namen Wagenburggegeben hatte, bestand noch, soviel wußte Martin. Allerdings verstand er nicht, wie er sich je mit diesen Spinnern hatte einlassen können. Vor allem ärgerte ihn, daß er bei der Sache ziemlich viel Geld in den Sand gesetzt hatte, bevor er wieder zu Verstand gekommen war. Der einzige Vorteil aus dieser Verirrung war gewesen, daß er sich von Zwergpudeln auf Dobermänner umgestellt hatte. Er hatte seinen ersten Dobermann, Marienburg Sunhawk, gekauft, weil sich ein solcher Hund ausgezeichnet als Wächter eines Hauses eignete, und dabei festgestellt, daß ihm die großen Hunde besser lagen.

Die übrigen Angehörigen der Wagenburg trafen sich bestimmt nach wie vor jeden Donnerstagabend und erwarteten die Menschheitsdämmerung. Was wohl George und Vicki jetzt unternahmen? Würden sie die anderen warnen und sich schleunigst in die Berge aufmachen? Vermutlich, das war ihre natürliche Reaktion, ganz gleich, was geschah.

Aber Leute als verrückt bezeichnen, die sich mit Hunden beschäftigen!

Eine wohltönende Radiosprecherstimme führte das Thema weiter aus, sprach über Krieg und Politik. Sie führte einen Physikprofessor ein, der auch Science Fiction schrieb und sich vom bevorstehenden Zusammentreffen mit den Außerirdischen wunderbare Dinge erhoffte. Martin begann sich zu fragen, ob er da einem Remake von Krieg der Welten zuhörte. Noch hatte er nichts von der Handlung mitbekommen, um die es doch eigentlich gehen mußte.


* * *

Im San FernandoTal herrschte dichter Verkehr. Isadore Leiber fluchte leise vor sich hin, während er mit halbem Ohr auf die Nachrichtensendung hörte und sich zugleich besorgt fragte, um wieviel er wohl zu spät kommen würde.

Er hatte es einfach vergessen. Schließlich war heute nicht Donnerstag. Sein Gehirn hatte bis halb fünf träge vor sich hingedämmert, und dann mit einem Schlag: He, war heute abend nicht etwas? Na klar, Jack McCauley hatte eine Notfallsitzung der Gruppe anberaumt. Sie hatte wahrscheinlich mit dem… Licht am Himmel zu tun. Am besten rief er Clara an und erinnerte sie.

Clara hatte von selbst daran gedacht und fragte sich, wo er wohl sei. Er kämpfte sich gegen ungewöhnlich starken Stoßverkehr zum Haus der TateEvans im San FernandoTal durch. Clara begrüßte ihn lachend an der Bordsteinkante, als er ausstieg, und erklärte, daß sie ihm in ihrem Wagen gefolgt war. Er umarmte und küßte sie, damit sie still war. Nachdem sie einander eine Weile atemlos in den Armen gehalten hatten, gingen sie zur Haustür.

Clara klingelte. In den wenigen Augenblicken, die sie warten mußten, schwand das Lachen aus ihrem Gesicht. Sie lächelte nicht einmal mehr und fragte: »Glaubst du, daß sie wütend sind?«

»Ja. Es ist meine Schuld, aber es macht mir, ehrlich gesagt, nicht viel aus. Nimm’s dir nicht zu Herzen.«

»Sie haben es uns aber gesagt, das heißt, Jack hat es uns gesagt.«

Die Tür öffnete sich, und George TateEvans führte sie ins Haus. Er schien weder ärgerlich noch besonders zufrieden. »Kommt rein, Clara und Isadore! Was hat euch aufgehalten?«

»Mein Chef«, log Isadore. »Was ist denn los?«

George strich sich über die Stirnglatze und dann über sein schütteres, blondes Haar. Er war noch nicht vierzig, aber schon fast kahl gewesen, als Isadore ihn kennenlernte. Er gab zur Antwort: »Jack und Harriet haben ein paar Nachrichtensendungen aufgenommen und spielen sie jetzt ab. Clara, die anderen Frauen sind in der Küche und kochen was.«

Frauen, Küche, kochen. War es diesmal ernst? Zumindest schien George das zu glauben. Konnte es so ernst sein?

Überlebenstechniken. Spezialisierung. Kriegsfallregeln. Isadore ging zum abgedunkelten Wohnzimmer hinüber. Er wußte, wo die Stufen waren und wo die Möbel standen, er war oft genug dort gewesen. Er ging zu einem Sofa, das er im von der Leinwand zurückgeworfenen Licht des Projektors sah und setzte sich auf einen freien Platz.

Nur Männer befanden sich in dem Raum. Vicki war wohl auch in der Küche, wohin sich Clara gleichfalls begeben hatte. Clara! Also war auchsie überzeugt, daß es ernst war…

George trat an den Videorecorder. Zuerst erschien auf der Projektionswand das Wappen des Präsidenten, danach das Oval Office. Die Kamera fuhr auf den Präsidenten David Coffey zu, der gelassen und entspannt wirkte. Fast ein bißchen zu sehr, dachte Isadore.

»Liebe Mitbürger«, sagte Coffey. »Gestern abend haben Wissenschaftler der Universität von Hawaii eine verblüffende Entdekkung gemacht. Inzwischen haben Astronomen am Observatorium Kitt Peak und an weiteren Observatorien ihre Ergebnisse bestätigt. Mir vorliegenden verläßlichen wissenschaftlichen Angaben zufolge nähert sich ein ungeheuer großes Raumschiff der Erde, aus der Richtung des Planeten Saturn.«

Der Präsident hob einen Augenblick lang den Blick von seinem Redemanuskript und sah in die Kamera, so daß es schien, als spreche er jeden einzelnen persönlich an. Die Art, wie er das tat, hatte bei seiner Wahl eine nicht geringe Rolle gespielt. »Man hat mich informiert, daß das Schiff unmöglich vom Saturn selbst stammen kann, sondern einen sehr viel ferneren Ursprung haben muß. Auf jeden Fall nähert es sich der Erde äußerst rasch und wird in wenigen Wochen hier sein, wahrscheinlich gegen Ende Juni.«

Er ließ eine kurze Pause eintreten und sah auf die gelben Blätter vor sich, blickte dann erneut in die Kamera. »Da wir bisher keine Verbindung zu diesem Raumschiff haben, besteht auch keinerlei Grund zu der Vermutung, von ihm könne eine Gefahr für uns ausgehen. Die Sowjetunion hat gleichzeitig mit uns Kenntnis von dem Raumschiff erlangt und, wie uns unsere Beobachtungssatelliten zeigen, erwartungsgemäß ihre Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt.

Wir können nicht tatenlos zusehen, wenn die Sowjetunion mobil macht, und so habe ich eine TeilMobilmachung der strategischen Streitkräfte der Vereinigten Staaten angeordnet. In einem Gespräch mit dem Parteivorsitzenden der Sowjetunion sind wir übereingekommen, daß wir die strategische Mobilmachung auf beiden Seiten begrenzen. Außerdem stehen wir in ständiger Beratung über eine gemeinsame Reaktion auf das Raumschiff. Ich möchte ausdrücklich betonen, daß es sich in beiden Fällen um reine Vorsichtsmaßnahmen handelt. Die Vereinigten Staaten haben nie Krieg gewollt, und wir wünschen insbesondere jetzt keinen, zu einer Zeit, da sich ein Raumschiff von außerhalb unseres Sonnensystems der Erde nähert.

Amerikanische Mitbürger, unsere Wissenschaftler sagen, daß es sich hier um das bedeutendste Ereignis der Menschheitsgeschichte handeln kann. Jeder von Ihnen weiß, was wir wissen: ein großes Objekt, gut anderthalb Kilometer lang, nähert sich der Erde auf einer Bahn, die unsere besten wissenschaftlichen Köpfe zu dem Schluß kommen läßt, daß es einen eigenen Antrieb hat und unter Führung intelligenter Wesen steht. Bisher haben wir immer noch keinen Kontakt zu ihm herstellen können.

Es besteht kein Grund anzunehmen, daß eine Bedrohung von ihm ausgeht, aber es gibt zahlreiche Gründe, es als eine Gelegenheit zu betrachten. Mit Hilfe des allmächtigen Gottes werden wir versuchen, diese Gelegenheit zu nutzen, so, wie wir Amerikaner Gelegenheiten stets genutzt haben.

Guten Abend…«

Das Oval Office wurde ausgeblendet, und Nachrichtenkommentatoren kamen ins Bild. George schaltete das Gerät aus. »Die Kommentare können wir uns schenken. Die Burschen wissen auch nicht mehr als wir. Aber jetzt seht ihr, warum ich eine Notfallsitzung einberufen habe.«

Der Name Wagenburg stammte aus der Zeit, als sich lediglich vier Männer in Georges und Vickis Haus trafen.

Das war gegen Ende der siebziger Jahre gewesen, als gewisse Anzeichen für den Untergang der Zivilisation sprachen. Die Inflationsrate war zweistellig, und die Verbrechenskurve stieg steil an. Der Iran hielt über fünfzig amerikanische Botschaftsangehörige als Geiseln fest, ohne daß man etwas dagegen unternehmen konnte. Die OPECBanditen trieben, allem Anschein nach ungestraft, die Ölpreise nach Gutdünken in die Höhe. Welches Volk der Erde würde als nächstes sehen, was so deutlich vor aller Augen lag? Die Vereinigten Staaten waren nicht imstande, sich zu verteidigen. Der Geldwert fiel ins Bodenlose: anderthalb Cent betrug die Kaufkraft des Dollars, gemessen am Stand von 1980. Das deckte gerade die Druckkosten der EinDollar Note. Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten waren keineswegs in verteidigungsbereitem Zustand, und die Sowjetunion baute unablässig Interkontinentalraketen, noch lange nachdem sie ihren Rückstand gegenüber den USA aufgeholt und auch noch, als sie die Vereinigten Staaten bereits überholt hatte.

Falls die Wirtschaft nicht zusammenbrach, würde der Atomkrieg das Ende bringen. So oder so schienen die Aussichten denkbar ungünstig, daß auf diesen Fall nicht eingestellte Menschen überlebten. Die Wagenburg verdankte ihre Entstehung gleichermaßen der Verzweiflung wie der Lust am Theaterspiel. Welches von beiden überwog, hing von den jeweiligen Schlagzeilen in den Morgenzeitungen ab.

Nach Reagans Wahl sahen die Dinge besser aus. Die Geiseln wurden in letzter Minute unmittelbar vor der Amtseinführung des alten Cowboys freigelassen… aber die Mitglieder der Wagenburg trafen sich weiter. Der Dollar stieg und erholte sich. Eine wirtschaftliche Wende zeichnete sich ab, auch die Börse zeigte Anzeichen der Erholung, aber Geld für die Rüstung war nicht da, und die Sowjetunion baute weiterhin eifrig Raketen. Die Wagenburg stellte eine Liste dessen zusammen, was Überlebenswillige auf jeden Fall brauchten, und die Mitglieder kontrollierten gegenseitig ihre Vorräte. Vorgeschrieben waren, genau wie bei den Mormonen, Lebensmittel für ein Jahr, Handfeuerwaffen und Goldmünzen. Und sie träumten von einem Ort, wohin sie sich schließlich retten konnten, einfach für den Fall der Fälle.

In den späten achtziger Jahren zeigte sich, daß die Wohlfahrtsleistungen mit der Inflation nicht Schritt gehalten hatten, und die Zahl der Arbeitslosen war deutlich gesunken. Vielleicht bestand da ein Zusammenhang. Auch die Inflation selbst hatte abgenommen. Der Autogigant General Motors hatte seinen SchadensersatzProzeß gegen die Gewerkschaften wegen Streikfolgen gewonnen und ließ sich aus der Gewerkschaftskasse auszahlen; in Zukunft dürfte es wohl weniger Streiks geben. Die Kriegswaffen waren in das Reich der Science Fiction gerückt, der Durchschnittsbürger konnte sich kaum noch etwas unter alldem vorstellen. Die Sowjetunion aber hatte ihr Raumfahrtprogramm ständig weiterbetrieben, bis ihr praktisch der ganze Himmel gehörte, angefangen bei der Erdumlaufbahn bis weit hinter dem Mond.

Die WagenburgLeute trafen sich weiter. Sie waren älter und finanzkräftiger geworden. Vor vier Jahren hatten sie ein Stück Land außerhalb Bellingham erworben, einer verfallenden Stadt an der Pazifikküste nördlich von Seattle, nahe der kanadischen Grenze. Dort hatten vor langer Zeit, bevor das Fahrwasser versandet und die Wirtschaft nach Süden gezogen war, ein Hafen und eine Marinewerft bestanden. Die Stadt war als Angriffsziel ebenso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie jeder andere Ort.

Sie alle verdienten gutes Geld, und ihre Berufstätigkeit machte es erforderlich, daß sie weit im Süden, in Los Angeles, blieben. Im Laufe der Jahre hatte der eine oder andere in einer Kleinstadt Wohlstand oder Frieden oder beides gefunden, andere ersetzten die Aussteiger, und dieWagenburg bestand weiterhin, eine Gruppe alternder überlebenswilliger Mittelschichtangehöriger, die nicht bereit waren, die Trennung von Los Angeles und ihrem nicht unbeträchtlichen Einkommen zu vollziehen.

Stets hatte sich die Gruppe regelmäßig donnerstags nach der Abendessenszeit zusammengefunden. Heute war Montag, es war Zeit zum Abendessen, und Isadore, der früh Feierabend gemacht hatte, bekam Hunger.

Jetzt also stand das Ende der Zivilisation bevor. In der Gruppe herrschte eine sonderbare Stimmung. Heute hörte man kein Gelächter, keine Klagen über die Trottel im Kongreß…

Heute abend war es allen ernst.

»Mir paßt der Zeitpunkt überhaupt nicht«, sagte George. »Corliss steht kurz vor dem Schulabschluß, und den anderen Kindern wird es nicht gefallen, so unvermittelt aus dem Schuljahr rausgerissen zu werden. Mir selbst kommt es so quer wie nur möglich.«

Zustimmung ertönte um ihn herum. »Ich kann nicht weg«, sagte Isadore.

Der Lärm ebbte ab. Jack McCauley sagte: »Wieso nicht?«

»Ich kann meine Arbeit nicht aufgeben und krieg auch keinen Urlaub. Wie George schon gesagt hat, der Zeitpunkt ist ungünstig. In den Reisebüros beginnt die Sommersaison, da gibt es viel zu tun.«

Jack knurrte mißbilligend. George fragte: »Und was ist mit Krankheitsurlaub?«

»Hmm… vielleicht sitzen da vierzehn Tage drin.«

»Dann warte doch bis zum, sagen wir 10. Juni, Jack.« George fuhr fort, bevor der automatische Protest kam. »Bestimmt vergessen wir was. Is soll für uns die Stellung halten. Du nimmst dir also deine zwei Wochen Krankheitsurlaub, unmittelbar bevor die Außerirdischen die Erde erreichen und fährst rauf. Nach vierzehn Tagen weißt du garantiert, ob du in die Stadt zurück willst oder nicht.«

»Dann fehlt uns immer noch ein Paar starker Arme«, meldete sich Jack brummig.

Isadore fand den Gedanken gut. »Ich frage Clara, ob sie die Kinder hinbringen will. Sie sollten so lange wie möglich in der Schule bleiben.«

»Nun, es läßt sich nicht ändern«, sagte Jack. »Aber wir anderen gehen, einverstanden?« Er sprach weiter, bevor jemand Einwände erheben konnte. »Bill und Gwen sind bereits oben in der Wagenburg. Das zweite Zisternensystem ist betriebsfertig, und Bill hat die Decke über dem bombensicheren Unterstand fertig gegossen. Er sagt, daß der Brunnen noch gesäubert werden muß, aber das können wir selber machen, wenn wir da sind.« Er schob die Lippen in einer allen vertrauten Bewegung vor. »Eins noch, Is. Du fährst eine Woche, bevor die Außerirdischen landen, los. Wenn du länger wartest, kann es passieren, daß du es nicht mehr schaffst. Wenn die Menschen wirklich an das Raumschiff glauben, ist überhaupt nicht abzusehen, was sie alles anstellen werden.«

»Immer vorausgesetzt, die Sowjets lassen uns soviel Zeit«, sagte George.

Jack runzelte die Stirn. »Immer angenommen, daß es sich tatsächlich um ein Raumschiff von Außerirdischen handelt und nicht um was, das uns die Russen vor die Nase gesetzt haben.«

Alle zuckten die Achseln. »Darüber wissen wir nichts«, sagte Isadore. »Aber vermutlich wüßte der Präsident was.«

»Und du meinst, das würde er uns sagen?« sagte Jack. »Is, bist du sicher, daß du warten willst?«

»Ich muß warten.« Er hat recht, dachte Isadore. Wer, zum Kuckuck, weiß, was da gespielt wird. Außerirdische, Russen – ein Atomkrieg kann einem den ganzen Tag verderben. »Ich denke, daß Clara früh hinfahren will«, sagte er, »aber ich muß sie noch fragen.«

Die anderen nickten verständnisvoll.

Bei der Gründung der Wagenburg war festgelegt worden, daß jeder Erwachsene eine Stimme hatte, aber alle Stimmen einer Familie von einem einzelnen abzugeben waren. Der dahinterstehende Gedanke war einfach: wenn sich eine Familie nicht einmal darauf einigen konnte, wer sie vertreten sollte – worauf dann?

Zuerst hatte es Schwierigkeiten gegeben, weil Isadore fand, Clara könne an seiner Stelle die Stimme abgeben, aber sie kam mit Jack nicht gut aus, vielleicht war es auch umgekehrt. Jedenfalls hatte es zuviel Streit gegeben. Nach den ersten Jahren hatten sich die Dinge eingespielt, und nur die Männer stimmten ab, doch häufig besprach sich Isadore mit Clara, bevor er sich entschied.

»Wer geht noch?« wollte Jack wissen.

Die unvermeidliche Frage wirkte auf die Anwesenden unterschiedlich. Jack war ohnehin bereits gereizt, George sah betroffen drein und zeigte dann ein schlechtes Gewissen. »Nun… wir natürlich«, sagte er. »Unsere Frauen und Kinder.«

»Selbstverständlich. Wer noch? Wen brauchen wir, wen wollen wir dabeihaben? John Fox?«

Isadore lachte. »Natürlich wollen wir Fox. Er versteht mehr von der Sache als wir alle. Deswegen kommt er ja auch nicht. Ich hab mit ihm gesprochen. Er wird irgendwo im Tal des Todes kampieren, und für ihn ist das genau das Richtige. Mich aber hat er nicht eingeladen.«

»Und was, wenn sich Martie zeigt?«

»Ach je.«

Immerhin hatte Martin Carnell der Gruppe so lange angehört, daß er sich am Kauf des Grundstücks und des Hauses in Bellingham beteiligt hatte. Dann war er ausgeschieden, vielleicht hatte er finanzielle Schwierigkeiten bekommen und war später weiter nordwärts gezogen, ins Antilopental.

»Du verstehst mich falsch, George. Ich will nur darauf hinweisen, daß er einige gesetzlich abgesicherte Rechte hat. Was, wenn er plötzlich vor der Tür steht – bevor oder nachdem die Außerirdischen da sind?«

»Wir haben aus dem Anwesen eine Festung gemacht, seit er weg ist. Das hat gekostet.« Isadore grinste die anderen breit an. »Was ihm gehört, entspricht etwa der Hälfte dessen, was er eigentlich hätte reinstecken müssen. Die Sache ist schwierig.«

»Ja. Nun, ich treff ihn manchmal, und er ist immer noch allein. Er würde also keinen mitbringen.«

»Nur die verdammten Dobermänner«, sagte George darauf.

»Ist doch gar nicht schlecht. Wachhunde können wir gut brauchen. Er kann ja seinen eigenen Zwinger bauen.«

»Das sind Ausstellungshunde, keine Wachhunde. Sie sind zutraulich, verspielt und tun keinem was. Wären sie scharf, würde er keine Preise für sie kriegen.«

»Würden Plünderer wissen, daß es keine Wachhunde sind?«

Schweigen trat ein. Jack sagte: »Wollen wir ihn reinlassen, wenn er auf einmal dasteht? Immer vorausgesetzt, er hat Vorräte und Ausrüstung mit. Andererseits sehe ich keinen Grund, ihn extra anzurufen und einzuladen.«

Zustimmendes Nicken. Alle waren erleichtert. George sagte: »Der Rote Harry möchte mitkommen, du kennst ihn ja, Harry Reddington.«

Zwei Köpfe wurden langsam geschüttelt. Jack McCauley fragte: »Hast du ihn in letzter Zeit gesehen?«

Zögernd nickte George. »Immerhin waren wir alle mal gute Freunde.«

»Nun?«

»Ja, vor kurzem.«

»Dann weißt du ja, wie er aussieht: er ist so fett und so fit wie ein Mops. Er kann ohne Stock nicht gehen und sieht aus, als ob er demnächst Zwillinge bekäme. Ihm ist in zwei Wochen zweimal jemand da hinten draufgekracht, das eine Mal hat er in seinem Wagen gesessen, das andere Mal in dem von seinem Chef. Beide hatten keine Kopfstützen, und die Anwälte haben ihm geraten, er soll sich eine möglichst dicke Wampe anfressen, ihr versteht: psychische Dauerschäden, Arbeitsunfähigkeit, damit die Versicherung ordentlich blechen muß.«

»Den können wir also streichen. Ken Dutton?«

»Er hat bloß rumgealbert, als du ihm angeboten hast, er könnte mitmachen.«

»Interessanter Mensch. Hat dies und jenes, das man gut brauchen könnte.«

»Jetzt ist es ernst. Warum hat er damals nicht mitgemacht, als es noch Spaß und Spiel war? Hat es am Geld gelegen?«

»Wohl zum Teil. Es waren ja nicht nur die Beiträge für den Ausbau, sondern auch Ausrüstung und Vorräte. Er muß Alimente zahlen… Übrigens hat er Ausrüstung, nur andere als wir. Vielleicht liegt es auch daran, daß er nie was zu Ende macht.«

»Das ist kaum eine Empfehlung. Was für Waffen hat er?«

George lächelte zögernd. »Eine Armbrust, mit der er einen Bären umlegen könnte. Außerdem hat er eine ziemlich gut bestückte Bar.«

»Eine Armbrust! Er hätte mitmachen können und hat seinen Anteil nicht bezahlt, George!«

Isadore sagte: »Das könnte man auch von Jeri Wilson sagen. Und die wollen wir doch, oder?«

»Du bist verheiratet, Is. Und ich bin sogar sehr verheiratet.«

»Aber Martie nicht, und John Fox auch nicht, und ihn würden wir nehmen. Da sollen doch außer uns noch mehr Männer mitmachen, oder etwa nicht? Und es wäre nicht gut, wenn wir da oben deutlich mehr Männer als Frauen hätten.«

»Wir können nicht die ganze Stadt einladen«, sagte Jack. »Wir haben einfach nicht genug Platz, Is. Wen willst du denn noch alles anschleppen? Du hast gewußt, daß wir Harry nicht haben wollten, und du wolltest mit ihm sowieso nichts zu tun haben.«

»Es ist ja auch nur, weil in einem Monat… Ich kann mir jetzt schon vorstellen, wie es uns allen schrecklich leid tut.«

»Das warten wir mal in aller Ruhe ab«, sagte Jack.

»Es könnte unsere Einladung zur Mitgliedschaft in der Galaktischen Union bedeuten. Vielleicht tanzt bald eine ganze Horde von… komisch aussehenden außerirdischen Studentinnen hier herum, die uns mit billigem Flitterkram dazu bringen wollen, daß wir ihre Fragen beantworten…«

George machte ein obszönes Geräusch. Zumindest Jack sah eher nachdenklich als belustigt drein. Isadore achtete nicht weiter auf die Unterbrechung und fuhr unbeirrt fort. »… und wer weiß, was bei denen billiger Flitterkram ist? Schön, wir verstecken uns. Irgend jemand muß ja. Einfach vorsichtshalber. Aber… ich hör jetzt schon Leute, die mir was bedeuten, maulen, weil wir sie draußen im Regen haben stehenlassen.«

»Irgend jemand muß sich verstecken, bis wir wissen, was die von uns wollen. Und um sicher zu sein, belasten wir uns eben nicht mit schwierigsten Fällen.«

5 Wie sie rennen!

Tu dem andern an, was er dir zufügen möchte, und zwar als erster.

EDWARD NOYES WESTCOTT

David Hamm (1898)


Zeit: Sechs Wochen bis zur Stunde Null

Von der Arco Plaza Mall tief unter der Erde führten Schächte vier Stockwerke hoch nach oben. Einige Müßiggänger saßen auf Bänken und sahen neugierig dem Rundfunkinterviewer zu. Das Studio war neben der Buchhandlung eingerichtet; man konnte durch große Schaufensterscheiben hineinsehen. Der Reporter befragte einen Science FictionAutor, der gekommen war, um sein neuestes Buch vorzustellen, und es sich nicht verkneifen mochte, etwas über das Raumschiff der Außerirdischen zu sagen.

Schon seit dem frühen Morgen herrschte im Buchladen Hochbetrieb. Ken Dutton sah Harry Reddington am Stock hereinschlurfen, hatte aber alle Hände voll zu tun, so daß er ihn nicht begrüßen konnte.

Früher, das wußte Ken, war Harry viel Motorrad gefahren, jetzt aber wirkte seine einst athletische Gestalt schwabbelig. Er war im Unterschied zu früher glatt rasiert und trug das Haar kurz geschnitten. Sein Bauch war wirklich so massig, wie man es Ken beschrieben hatte.

Harry blieb gleich an der Tür stehen und ließ den Blick über die Regale gleiten, bevor er auf Ken hinter der Theke zuging. »Hallo.«

»Tag, Harry. Was führt dich her?«

Harry fuhr sich durch das ergrauende Haar, dem man immer noch ansah, daß es einst flammend rot gewesen war. »Ich hab die Nachrichten gehört. Viel haben sie über das Raumschiff ja nicht gesagt. Es kommt immer näher… die meisten von den Büchern hier dürften eine Stunde nach seiner Landung veraltet sein.«

»Manche bestimmt. Vielleicht die medizinischen. Vielleicht haben die was gegen alle möglichen Krankheiten und brennen darauf, uns das Geheimnis zu verraten. Andere möglicherweise nicht. Geschichte hat immer einen Sinn. Die hier…« – Dutton machte eine Handbewegung zu einem Regal mit Militaria hin.

»Abwarten. Hast du heute schon mit George gesprochen?«

»Nein, hätte ich wohl müssen«, sagte Dutton. Hol’s der Geier, ich hätte mich an die Leute von der Wagenburg halten sollen, als sie mir die Mitgliedschaft angeboten haben. Mal unauffällig erkundigen. »Ich geh nach Feierabend vorbei.«

»Viel Glück«, sagte Harry.

»Hast du mit ihnen gesprochen?«

»Ja. Sie nehmen keinen mehr. Sie kriegen allmählich Schiß. Ein bißchen vor den Außerirdischen, und die schwere Menge vor den Rußkis.« Harry sah nachdenklich drein. »George hat von einem Buch über Kannibalenküche gesprochen und meinte, es beruht auf richtiger wissenschaftlicher Arbeit… wollte wohl ‘nen Witz reißen.«

»Wir führen es nicht. Außerdem bin ich gar nicht sicher, ob ich dir gern eins verkaufen würde, Harry.«

»Man kann ja nie wissen…« Harry konnte nicht länger an sich halten und lachte laut heraus. »Na schön, aber vielleicht brauchen wir Überlebenshandbücher. Ich dachte, ich seh mich mal um.«

Die Regale waren förmlich geplündert. Harry wählte einige Bände aus und trat damit an die Theke. »Das Gesundheitsministerium hat doch ein neues Buch herausgegeben mit Streckgymnastik. Habt ihr das schon?«

»Hatten. Ist längst ausverkauft. Andere waren schon vor dir so schlau.«

»Ken, du gehörst doch bestimmt zur Wagenburg, was?«

Ken zögerte. »Sie haben mal gesagt, ich könnte mitmachen. Ich weiß aber noch nicht, was ich tu.« Und vielleicht ist es dazu auch schon zu spät, großer Gott.

»Hast du schon ‘ne Verabredung zum Abendessen?«

»Weiß nicht. Muß erst anrufen.« Er ging ins Hinterzimmer und wählte Georges Nummer. Vicki meldete sich.

»Hallo«, sagte Ken. »Ah… hier spricht Ken Dutton.«

»Hör ich doch.«

»Ja… ah… Vicki, ist heute abend Sitzung?«

»Nein. Ruf morgen wieder an.«

»Vicki, ich weiß doch, daß Sitzung ist!«

»Ruf morgen an! Oder ist sonst noch was? Also dann, mach’s gut!« Die Leitung war tot.

Ken Dutton ging wieder in den Laden zurück und sagte zu Harry: »Heute abend bin ich frei. Wir können gleich hier im Einkaufszentrum essen, dann haben wir keinen Ärger mit dem Stoßverkehr.«


* * *

Jeri Wilson gab ihrer zehnjährigen Tochter einen GuteNacht Kuß und stellte überrascht fest, wie leicht es ihr fiel weiterzulächeln, bis das Kind auf sein Zimmer gegangen war. Melissa ähnelte im Körperbau der Mutter, ihr Haar war etwas dunkler und nicht ganz so fein, und ihr Gesicht war recht hübsch. Sicherlich würde sie später einmal ihren Eindruck auf Männer nicht verfehlen.

Jeri wartete, bis der Lichtspalt unter Melissas Tür erlosch.

Jetzt schläft sie wohl. Bestimmt ist sie müde. Auch ich bin müde. Das Lächeln schwand von Jeris Gesicht. Es war ein so herrlicher Tag gewesen, der schönste seit Wochen, bis sie heimgekommen war und die Post gefunden hatte.

Sie ging ins Wohnzimmer. Einer teuren Vitrine entnahm sie eine rote Kristallkaraffe und ein dazu passendes Glas. Die Muranosachen haben wir in Venedig gekauft. Eigentlich konnten wir uns die ganze Reise nicht leisten. Ein wunderbarer Sommer.

Sie goß sich ein Glas billigen Sherry ein und setzte sich auf das Sofa. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Der Teufel soll dich holen, David Wilson! Sie nahm den Umschlag aus ihrer Schürzentasche; er war in Cheyenne Wells im Staat Colorado abgestempelt. Der Brief trug keine Unterschrift. Die Handschrift mochte die eines Mannes sein, aber sicher war Jeri nicht.

»Liebe Mrs. Wilson«, hieß es darin. »Wenn Sie Ihren Mann wirklich halten wollen, sollten Sie sich etwas einfallen lassen, denn er hat eine Neue.«

Natürlich hat er, dachte Jeri. Er ist ja schon seit fast zwei Jahren weg und hat vor sechs Monaten die Scheidung eingereicht. Es war unvermeidlich…

So oder so, sie dachte nicht gern an die Sache. Bilder traten vor ihr inneres Auge: David kam nackt unter der Dusche hervor. Oder: sie lag mit ihm spät abends am Strand bei Malibu, beide in Hochstimmung vom Champagner. Sie hatten Davids Doktortitel gefeiert und sich geliebt. Zwar hatte das dritte Mal mehr Anstrengung gefordert als Erfüllung gebracht, dennoch war es eine zauberhafte Nacht gewesen.

Nach dem erstenmal hatte sie zu ihm gesagt: »Ich nehm schon eine ganze Weile die Pille nicht mehr…«

»Ich weiß«, hatte er geantwortet.

Sie stellte sich gern vor, daß Melissa in jener Nacht gezeugt worden war. Bestimmt aber war es in jener wunderbaren Woche geschehen. Fünf Monate später gab Jeri ihre Anstellung als Wissenschaftslektorin für ein Hochschulmagazin auf. Davids Studium war beendet, er hatte eine erstklassige Stelle gefunden, und sie konnten das Leben genießen…

Sie nippte an ihrem Sherry und leerte dann das Glas in einem Zug. Es kostete sie Mühe, es nicht zu Boden zu schleudern und zerschellen zu lassen. Auf wen bin ich bloß so wütend?

Auf mich selbst. Ich bin eine blöde Gans. Sie zerknüllte den Brief, strich ihn wieder glatt und goß sich ein weiteres Glas Sherry ein. So oft sie sich die Augen auch wischte, die Tränen kamen immer wieder.

Drei Gläser Sherry hatte sie getrunken, als das Telefon läutete. Zuerst wollte sie es ignorieren, aber vielleicht ging es ja um Melissa. Vielleicht war es sogar David; manchmal rief er noch an. Was, wenn er es ist und sagt, daß er mich braucht?

»Hallo.«

»Jeri, hier spricht Vicki.«

»Oh.«

»Hast du schon das Neueste gehört?« fragte Vicki.

Wie könntest du etwas über David wissen – »Was soll das denn sein?«

»Das Raumschiff.«

»… was?«

»Jeri, wo hast du denn den ganzen Tag gesteckt? Machst du Winterschlaf?«

»Nein, ich hab mit Melissa am Angeles Crest gepicknickt.«

»Dann hast du also die Nachrichtensendung nicht gesehen. Die Astronomen haben im Sonnensystem ein Raumschiff mit Außerirdischen entdeckt, das auf die Erde zukommt.«

»Du nimmst mich wohl auf den Arm?«

»Schalt doch einfach Kanal Vier ein! Ich ruf in einer halben Stunde wieder an. Wir müssen miteinander reden.«

Saturn also. Sie kamen vom Saturn, und niemand wußte, seit wann sie sich dort aufgehalten hatten. Jeri mußte an einen Bildschirm im JPL denken. Drei ineinander verflochtene Ringe. Davids schmerzhafter Griff um ihren Arm.

Das war – das lag doch mehr als zehn Jahre zurück! Da war ich um die Zwanzig, ich hatte David, und alles war Sonnenschein.

Das Telefon klingelte, kaum daß die Nachrichten vorüber waren.

»Hallo, Vicki.«

»Hallo. Nun, hast du es dir angesehen?«

»Ja.« Jeri kicherte.

»Was hältst du davon?«

»Außerirdische, die vom Saturn kommen. Toll! Vicki, ich wette, die waren schon da, als die VoyagerRaumsonde vorbeigeflogen ist. Ich erinnere mich noch genau an all die dämlichen Unterhaltungen damals. John Deming, Gregory und – und David und ich haben versucht, uns zu überlegen, wie ein auf einer Umlaufbahn befindliches Teilchenband so verdreht sein konnte. David hat damals sogar das Wort ›Außerirdische‹ gesagt. Aber es war ihm nicht ernst damit.«

»Das ist es jetzt aber, und genau darüber müssen wir uns unterhalten «, sagte Vicki. »Wir haben uns entschieden – die Wagenburg geht nach Bellingham. Du und Melissa, ihr könnt mitkommen.«

»Ach. Warum?«

»Nun, erstens haben du und David lange mitgemacht.«

»Das ist ein Grund«, sagte Jeri. »Und weiter?«

Vicki TateEvans seufzte. »Du verstehst was von Naturwissenschaft – und, nun schön, außerdem bist du attraktiv und ungebunden. Möglicherweise müssen wir noch einen alleinstehenden Mann an Bord ziehen.«

Interessantes Kompliment. Eigentlich nett, daß die mir das in meinem Alter noch zutrauen… »Ach, wohl als Gespielin für Ken Dutton?«

»Den haben wir nicht eingeladen.«

»Gut.«

»Ich dachte, du magst ihn. Ich hatte sogar geglaubt…«

Was du so denkst. Natürlich stimmte es. Ken Dutton hatte sich bei den Wilsons zum Abendessen eingeladen, nachdem ihn seine Frau verlassen hatte, und als David nach Colorado gezogen war, kam er weiterhin. An einer Affäre lag Jeri nicht, obwohl das Alleinschlafen nicht schön war. David fehlte ihr sehr, in jeder Hinsicht, und Ken war nicht nur keineswegs unansehnlich, sondern auch ungewöhnlich aufmerksam. An dem Abend, als sie erfuhr, daß David die Scheidung eingereicht hatte, war Ken bei ihr gewesen, hatte sie tröstend in den Armen gehalten, ihr zugehört, und sie hatte ihn, wütend wie sie war, an Ort und Stelle verführt. Einige Nächte hatte er ihr Bett geteilt, dann merkte sie, worum es ihm ging.

»Praktisch war ich für ihn«, sagte sie jetzt. »Er brauchte nicht so weit zu fahren. Das war mir als Grundlage für eine Beziehung zu wenig.«

»Ach so«, Vicki lachte verlegen. »Wie auch immer, wir haben ihn nicht eingeladen, und ich soll dir sogar ausrichten, daß du ihn auf keinen Fall mitbringst. Das wäre also erledigt. Jeri, wir fahren nächste Woche. Isadore und Clara bleiben bis auf ein paar Tage vor dem Eintreffen der Außerirdischen hier. Es wäre ideal, wenn du mitkämst, aber du kannst auch warten und mit Isadore hinfahren, wenn dir das lieber ist.«

»Mhm. Vielen Dank, Vicki. Ah… ich meld mich dann wieder, ja?«

»Unbedingt. Wir müssen ja noch gemeinsam die Ausrüstung überprüfen und feststellen, was David dagelassen hat und was du mitnehmen mußt. Ich helf dir gern dabei.«

»Danke. Hier ist ziemlich viel. Ich such alles raus. Vielen Dank, daß ihr mich dabeihaben wollt.«

»Ist doch selbstverständlich. Also dann.«

Jeri legte auf und zupfte nachdenklich an ihrer Unterlippe.

Außerirdische. Sie würden bald da sein.

Und sie hatten sich in der Nähe des Saturn versteckt gehalten, ohne Hinweis auf ihre Gegenwart, über ein Dutzend Jahre lang. Spricht das für friedliche Absichten?

Spiel jetzt nicht verrückt, mahnte sie sich. Aber immerhin, mochte es ratsam sein, sich nicht in einer Großstadt aufzuhalten, wenn sie kamen – vorsichtshalber.

Einmal hatte sie George und Vicki mit David und Melissa im Haus der WagenburgGruppe in Bellingham im äußersten Nordwesten der Vereinigten Staaten im Staat Washington besucht. Hübsch war es gewesen, ein schöner Urlaub…

Ihr letzter gemeinsamer Urlaub. Einen Monat später war David nach Colorado versetzt worden.

»Immerhin eine mächtige Gehaltserhöhung«, hatte er voll freudiger Erregung gesagt.

»Und was ist mit meiner Stelle?«

»Was soll damit sein, Jeri? Du mußt doch nicht arbeiten.«

»Schon, David, aber ich möchte.« Als Melissa eingeschult wurde, wollte Jeri etwas zu tun haben und arbeitete als freie Lektorin für einen Großverlag an der Westküste. Sie bewährte sich, ihre frühere Erfahrung kam ihr dabei zugute. Nach einem Jahr hatte sie Glück gehabt und eine Autorin entdeckt, die viel Hilfe mit ihrem ersten Roman brauchte, gutes Zureden, Händchenhalten, und das Manuskript mußte auch stark redigiert werden. Das Buch landete sofort auf der BestsellerListe.

Danach wurde Jeri fest angestellt. »Ich bin da unabkömmlich.«

»Das bist du bei mir. Und bei Melissa.«

»David…«

»Jeri, es ist wirklich eine ganz unglaubliche Beförderung.«

Wie dumm von mir. Und von ihm. Warum konnte er mir nicht gleich sagen, daß sie ihn raussetzen würden, wenn er sich nicht versetzen ließ? Daß es viele eifrige junge Erdölgeologen gibt und die Großunternehmen lieber einen frisch Diplomierten einstellen als einen, der schon lange nichts mehr mit der Theorie zu tun hatte…?

Er hat sich geschämt. Sie wollten ihn gar nicht mehr, aber er hat es nicht fertiggebracht, mir das zu sagen. Und bitten mochte er mich auch nicht.

Der Teufel soll es holen, ich habe ihn gebeten! Aber das ist nicht wirklich dasselbe. David, David, warum nur kann ich dich nicht einfach anrufen und sagen, daß ich zu dir komme…

Warum eigentlich nicht?


* * *

Ein herrlicher Frühlingshimmel lag über Washington. Trotz der Neuigkeit war es in der Stadt überraschend ruhig. Ihre Bewohner ließen sich nicht so ohne weiteres aus der Fassung bringen.

Roger Brooks ging zu Fuß vom NASAHauptquartier zum Weißen Haus. Für ihn war die Pressekonferenz der NASA unergiebig gewesen. Bei dem Kongreßabgeordneten Wes Dawson war das etwas anderes: er durfte zur Kosmograd hinauffliegen, der Raumstation der Sowjets, um von dort die Ankunft der Außerirdischen zu beobachten, großartig. Vielleicht sprang dabei sogar eine Geschichte heraus, aber um den Nachrichtenteil kümmerte sich Jose Mavis. Außerdem war noch reichlich Zeit, um Hintergrundmaterial zu sammeln.

Einen Augenblick lang hatte er gedacht, er habe etwas. Jeanette Crichton entdeckt den Satelliten, und Wes Dawson geht mit der Neuigkeit zum Präsidenten. Nur die wenigsten würden die Verbindung zwischen Linda Crichton Gillespie und Carlotta Dawson erkennen. Er dachte immer noch über die Sache nach, als die Presseleute der NASA sie bereits in allen Einzelheiten schilderten. Captain Crichton ruft ihren Schwager, den General, an, dieser benachrichtigt den Abgeordneten Dawson, der seinerseits den Präsidenten aufsucht. Da lag alles offen für jedermann zutage, und jeder konnte es sehen. Mist!

Zu Fuß dauerte es zum Mayflower gut zwanzig Minuten. Trotzdem erreichte Roger es vor der verabredeten Zeit. Die Grillstube des Restaurants lag günstig, auch wenn man dort nicht besonders gut aß. Viel lieber wäre Roger in eins der französischen Restaurants in der Nähe der KStreet gegangen, aber heute traf er mit John Fox zusammen, und den bekam man in kein Feinschmeckerlokal, ganz gleich, wer bezahlte. Roger bestellte ein Glas Weißwein und lehnte sich zurück, während er auf seinen Gesprächspartner wartete.

Ohne Jackett und Krawatte hat ein Mann nirgendwo in Washington Zutritt, und so hatte sich auch Fox verkleidet: grauer Anzug mit sehr dezenter Krawatte. Mit diesem Aufzug aber hätte er niemanden hinters Licht führen können – seine Manschetten verrieten ihn, sie schlackerten ihm förmlich um die Handgelenke. Dürr wie ein Frettchen, mit knochigen Schultern und sichtbaren Muskeln sogar auf den Handrücken und im Gesicht, wirkte John Fox wie jemand, der gerade aus der Wüste zurückkehrt.

Roger quetschte sich hinter seinem Tisch hervor, um ihm die Hand zu schütteln. »Wie geht’s, John? Schon gehört?«

»Ja.« Sie nahmen Platz. »Ich bin erstaunt, dich hier zu sehen.«

Das war nun tatsächlich nicht der Tag, an dem ein wildgewordener Naturschützer die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen konnte! Roger hatte mit dem Gedanken gespielt, sich Nachrichten über das »Raumschiff der Außerirdischen« zu beschaffen. Aber wer etwas wußte, würde jedem alles erzählen, der zuhörte, es konnte also höchstens um Brosamen gehen, die von der Herren Fachleute Tische fielen.

Eine Weile hatte Roger über die Sache nachgedacht. Außerirdische, die vom Saturn kamen. Das ergab keinen Sinn. Bestimmt irgendein mieser Trick. Wahrscheinlich steckte die CIA dahinter. Als er in dieser Richtung nachforschen wollte, empfing ihn geradezu ein Sperrfeuer ungeheuchelter Verblüffung. Sofern die Ankündigung des Präsidenten versteckte Geheimnisse enthielt, würde er die keinesfalls in wenigen Sekunden entschleiern. John Fox hatte Roger auch schon früher mit Material versorgt.

Also sagte Roger: »Wenn ich mal ‘ne Verabredung mit jemandem nicht einhalte, der mir eine Nachricht liefern kann, ruf die Polizei an, dann hat man mich entführt. Und jetzt sag mir, was du in Washington treibst. Ich weiß doch, daß du dich in keiner Stadt wohl fühlst.«

Fox nickte. »Hast du gehört, was sie mit dem Porzellansee vorhaben?« Auf Brooks’ verständnislosen Blick hin erläuterte er: »Der lange Strahl.«

Zuerst sagte ihm auch das nichts, doch dann fiel es ihm ein – ach so, die MikrowellenEmpfangsstation. Ein Sonnenkraftwerk auf einer Erdumlaufbahn brauchte einen ortsfesten Empfänger. »Es ist nur eine Versuchsanlage. Sie beansprucht nicht mal ‘nen halben Hektar.«

»Sicher. Das Kraftwerk auf der Umlaufbahn bedeckt bloß zweieinhalb Quadratkilometer Himmelsfläche und liefert allerhöchstens tausend Megawatt, selbst wenn alles funktionieren sollte. Begreifst du nicht, worum es bei Versuchsanlagen geht? Wenn es klappt, wird es in größerer Ausführung gebaut, und dann ist eines Tages der ganze Himmel voller Silberrechtecke. Ich mag den Himmel! Ich mag auch die Wüste. Es mußwas dagegen unternommen werden.«

Roger zuckte die Achseln.

»Auf jeden Fall dachte ich, hier könnte ich was erreichen, und bin extra mit der Nachtmaschine rübergekommen. Aber außer dir hält hier kein Mensch Verabredungen ein.« Er hob den Blick zur wartenden Kellnerin. Beide gaben ihre Bestellung auf.

Brooks machte sich aus reiner Gewohnheit Notizen. Natürlich hielt an einem solchen Tag niemand Verabredungen ein! Schließlich warenAußerirdische unterwegs. »Angeblich will man damit saubere Energie gewinnen«, sagte Roger, »damit es keinen sauren Regen mehr gibt.«

Fox schüttelte den Kopf. »Das klappt nie. Je mehr Energie die Menschen zur Verfügung haben, desto mehr verpulvern sie. Natürlich braucht ein Elektrorasierer nicht viel Strom, aber was ist mit der Energie, die man braucht, um das verdammte Ding herzustellen? Und dann wird es nach ein paar Jahren weggeschmissen.

Je mehr Strom wir produzieren, desto fester etabliert sich die Wegwerfgesellschaft. Niemand tut etwas, um wirklich mit der Energie hauszuhalten. Nichts darf lange halten. Roger, ganz gleich, wie sauber etwas hergestellt wird, Umweltverschmutzung gibt es immer. Die lernen erst dann, ohne auszukommen, wenn sie das müssen.«

»Schön.« Brooks machte weiter Notizen. »Also, die neue Methode verschandelt die Wüsten mit Müll, versperrt den Blick auf die Sterne und zementiert unsere schlechten Gewohnheiten. Was ist außerdem daran zu bemängeln?«

Roger Brooks hörte nur mit halbem Ohr zu, während Fox seine Argumente vortrug. Neue waren nicht darunter. Wegen dieser Sache war Roger ohnehin nicht hergekommen. Zwar war Fox ein geschickter Argumentierer, aber die wirklich guten Geschichten würde Brooks erst bekommen, wenn er erfuhr, wie Fox gegen die Sache vorzugehen gedachte. Er hatte treue Anhänger, die bereit waren, sich an die Zufahrtstore vor Atomkraftwerken zu ketten oder den Verkehr auf den Straßen Washingtons lahmzulegen.

Heute aber würden nicht einmal seine Freunde Fox zuhören.

Ich tue es ja auch nicht, dachte Roger. Die Sache versprach keine Schlagzeilen. Brooks war versucht, sein Notizbuch wegzustecken, sagte statt dessen aber: »Das könnte sich morgen oder im Laufe des Tages als völlig unerheblich erweisen. Hast du mal überlegt, welche Art von Energie ein interstellares Raumschiff als Antriebsquelle benutzt? Wenn uns die Außerirdischen ihr Geheimnis verraten, könnte es sein, daß die Sonnenkraftwerke auf der Erdumlaufbahn selbst auf uns wie ein Stück Holz wirken, das man zum Feuermachen reibt.«

Fox schüttelte den Kopf. »Womöglich verstehen wir überhaupt nicht, was die benutzen. Außerdem ist es vielleicht viel umweltfeindlicher als alles, was wir haben. Jedenfalls ändert sich für uns deswegen in naher Zukunft nichts. Was auch immer das Licht am Himmel für uns tun mag, das Programm mit dem langen Strahl geht weiter, bis ich was dagegen unternehme. Und das werde ich. Ich hatte heute einen Termin bei Senator Bryant. Er hat ihn abgesagt. Jetzt muß ich eben warten.«

Brooks notierte: »John Fox ist der einzige in der Hauptstadt, der sich nicht die Bohne aus der Ankunft eines interstellaren Raumschiffs macht.«

»Hätte ich doch nur etwas mehr für dich«, sagte Fox. »Ich dachte, ich könnte dir was liefern.«

»Macht nichts.«

»Tu nicht so scheinheilig«, sagte Fox. »Du bist genauso verrückt und besessen wie ich.« Er hob die Hand, als Roger protestieren wollte. »Ist doch wahr. Mir geht nichts über meine Wüsten, und dir nichts darüber, deine Nase in alles mögliche zu stecken. Ich würde dir helfen, den PulitzerPreis zu kriegen, wenn ich das könnte. Du warst immer anständig zu mir.« Er lachte leise vor sich hin. »Aber heute ist kein guter Tag dafür. Heute haben alle nur Augen und Ohren für das verdammte Raumschiff. Glaubst du tatsächlich daran?«

»Na hör mal! Du weißt doch von dem weiblichen Heeresoffizier da auf Hawaii? Sie hat es selbst gesehen, und ich kenne sie. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sie sich in irgendwelche Machenschaften reinziehen läßt. Nein, die Sache ist bestimmt einwandfrei.«

»Möglich.«

Fox grinste breit. »Wir werden ja sehen.«


* * *

Jenny sah sich befriedigt in ihrem Büro mit den schäbigen Möbeln um. Zum Glück waren es nicht besonders viele, denn keinesfalls hätten mehr in dem fensterlosen Kellergelaß Platz gefunden. Es enthielt einen Schreibtisch, auf dem das Telefon stand, einen kleinen Schreibmaschinentisch, drei Sessel und einen schweren stählernen Aktenschrank mit einem Sicherheitsschloß. Es hatte geheißen, man werde ihr noch ein Bücher- und Aktenregal hineinstellen, aber das war bisher ebensowenig aufgetaucht wie das Datensichtgerät.

Es war ein Kellerraum, aber er lag im Weißen Haus – das war eine Menge wert.

Das Telefon klingelte.

»Major Crichton«, meldete sie sich.

»Jack Clybourne.«

»Oh. Hallo.« Er war ihrer Einladung zum Kaffee gefolgt, nachdem er sie nach Hause gefahren hatte. Sie hatten sich hinaus in den Wintergarten gesetzt, und als sie auf die Uhr sah, stellte sie fest, daß zwei Stunden vergangen waren. Das war ihr schon seit Jahren nicht widerfahren.

»Selber hallo. Ich hab nur ganz kurz Zeit. Wie wär’s mit Abendessen?«

Tante Rhonda rechnete damit, daß sie in Flintridge aß. »Woran hast du gedacht?«

»Ein afghanisches Restaurant. BasmatiReis und Lamm vom Grill.«

»Klingt verlockend. Allerdings…«

»Ich ruf dich zu Hause an. Es ist nicht schlimm, wenn du nicht kannst. Dann würg ich eben ‘nen Hamburger runter.«

»Eine Selbstmorddrohung für den Fall, daß ich nicht mit dir esse?«

»Ich muß jetzt weg. Ich ruf dich wieder an.«

»Du hast doch meine Nummer noch gar nicht«, sagte sie.

»Keine Sorge. Wir haben unsere Methoden. Tschüs!«

Sie legte auf. Heiliger Bimbam, mir ist ganz wirbelig im Kopf. Ich muß wohl was essen. Ich hatte tatsächlich an ihn gedacht, kurz bevor es klingelte.


* * *

Der private Apparat auf Wes Dawsons Schreibtisch steckte in einem ledernen Gehäuse. Er klingelte leise.

»Ja?« meldete sich Carlotta.

»Ich bin’s.«

»Wie geht’s in Houston?«

»Es ist heiß, feucht und windig. Ich wohne im Hilton Edgewater, Zimmer 2133.«

Sie notierte sich die Zimmernummer.

»Du fehlst mir schon jetzt«, sagte er.

»Wer’s glaubt. Wahrscheinlich hast du längst eine Schnecke aus Texas aufgegabelt.«

»Wenn ich ehrlich sein soll, zwei.«

»Paß bloß auf, ich komm dir auf die Schliche.«

»Klar doch. Kannst du Andy bitten, daß er sich um meine Ausschußarbeit kümmert?«

»Schon geschehen. Für was für eine Art von Sekretärin hältst du mich eigentlich?«

»Mittelprächtig.«

»Hmm. Mach nur so weiter, und ich verlange Gehaltserhöhung. Ich vermute, daß man in Houston von nichts anderem als den Außerirdischen redet?«

»Das kann man wohl sagen«, bestätigte Wes. »Sogar im Fernsehen gibt es nichts als Witze über Außerirdische. Manche sind nicht mal schlecht. Die Stimmung im Land scheint ganz gut zu sein.«

»Kommt mir auch so vor. Trotzdem habe ich Wilbur beauftragt, sich im Wahlkreis ein bißchen umzuhören«, sagte Carlotta. »Bis jetzt allerdings ist nichts dabei herausgekommen. Nicht einmal Anrufe, außer von Mrs. McNulty.«

»Ja, die schwebt wahrscheinlich im Siebten Himmel.« Mrs. McNulty rief durchschnittlich einmal pro Woche ›ihren‹ Abgeordneten an, gewöhnlich mit der flehenden Bitte um Schutz vor fliegenden Untertassen. »Weißt du, ich bin hier in ein ziemlich enges Zeitkorsett eingespannt. Aufstehen vor Tag und Tau. Und dann auch noch Fitneßübungen! Pfui Teufel!«

»Das wird schon gutgehen. Du bist ja schließlich in Form«, sagte Carlotta.

»In einem Monat sieht das noch viel besser aus. Ich werde gefallen.«

»Schön. Ruf mich morgen wieder an!«

»Mach ich. Und danke, Carlotta.«

Sie lächelte, als sie auflegte. Er hatte »danke« gesagt. Danke, daß du dich um alles kümmerst und mich in den Weltraum fliegen läßt… Seit sie Wes kannte, war er geradezu verrückt nach dem Weltraum gewesen. Er hatte sich sogar als Mondsiedler eingetragen und war aus allen Wolken gefallen, als sie ihm mitteilte, ein Leben auf dem Mond komme für sie nicht in Frage. Sie hatte richtig Angst bekommen, als sie ihn damals gesehen hatte: Hätte er eine Gelegenheit gehabt, wäre er bestimmt ohne sie gegangen.

Diese Gelegenheit aber kam nie. Die Mondstation der Vereinigten Staaten war winzig und hatte nie mehr als sechs Astronauten umfaßt. Im Augenblick waren es sogar nur vier – verglichen mit fünfzehn Russen.

Die Sowjetunion hatte deutlich zu erkennen gegeben, daß sie ein weitergehendes Experiment der Vereinigten Staaten auf dem Erdtrabanten nicht gern sähe.

Präsident Coffey hatte nicht den Wunsch verspürt, in Erfahrung zu bringen, was sie wohl täten, wenn die Amerikaner mehr Leute hinschickten. Vielleicht spielte das alles keine Rolle mehr.

Carlotta Dawson widmete sich wieder den Papieren auf dem Schreibtisch ihres Mannes. Außerirdische oder nicht, wenn Wes seinen Kongreßsitz behalten wollte, war hier in Washington eine ganze Menge Arbeit zu erledigen.

6. Vorbereitungen

Es gibt Zeiten, da die Grundsätze der Erfahrung verändert werden müssen und da neben der Vorsicht auch Hoffnung, Vertrauen und Instinkt einen Anteil bei der Führung von Geschäften fordern, kurz, Zeiten, in denen das Wagnis die höchste Weisheit bedeutet

WILLIAM ELLERY CHANNING

Die Einheit


Zeit: Fünf Wochen bis zur Stunde Null

Akademiemitglied Pawel Alexandrowitsch Bondarew saß an seinem massiven Walnußschreibtisch und schnippte imaginäre Staubkörnchen von der hochglanzpolierten Platte. Das Büro war riesig, wie es sich für jemanden gehörte, der ordentliches Mitglied der sowjetischen Akademie und zugleich Leiter eines Instituts für Astrophysik war. An den Wänden hingen Farbaufnahmen von Spiralnebeln und Milchstraßensystemen und anderen endlosen Wundern des Himmels, aber vor allem mit dem neuen Teleskop an Bord der sowjetischen Raumstation Kosmograd aufgenommene Weltraumfotos, spektakuläre JupiterAnsichten, ebensogut wie die von der amerikanischen Raumsonde gemachten.

Außerdem hing ein LeninPorträt dort. Kein Besuch der örtlichen Parteivertreter brauchte Bondarew daran zu erinnern, daß das unerläßlich war. Sie mochten nichts von der Arbeit des Instituts verstehen – das Fehlen eines LeninPorträts würde ihnen mit Sicherheit sofort auffallen. Möglicherweise war es das einzige, was solche Besucher zu bemerken imstande waren.

Bondarew wartete ungeduldig und zuckte zusammen, als das Haustelefon schnarrte.

»Ja?«

»Er ist am Flughafen«, sagte seine Sekretärin.

»Aha.«

»Hier ist verschiedenes zu unterschreiben.«

»Bringen Sie es herein!« sagte Bondarew schroff.

Sekunden später öffnete sich die Tür. Lorena kam mit einer Anzahl Papiere herein.

Sie war klein und hatte dunkle, blitzende Augen. Ihre Fesseln waren schlank, und um ein Handgelenk lag ein Goldkettchen, das ihr Pawel Bondarew vor langer Zeit geschenkt hatte. Seit zehn Jahren war sie seine Geliebte, und er konnte sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen. Soweit ihm bekannt war, hatte sie nichts außer ihm. Nach außen war sie die vollkommene Sekretärin, privat die vollkommene Geliebte. Gelegentlich kam ihm der Gedanke, sie liebe ihn aufrichtig, doch flößte er ihm so großen Schrecken ein, daß er ihm nicht weiter nachging. Gefühlsbindungen waren gefährlich.

Sie schloß die Tür hinter sich. »Wer ist das?« wollte sie wissen. »Warum schickt Moskau jemand her, der seinen Namen nicht nennt? Haben Sie sich etwas zuschulden kommen lassen, Pawel Alexandrowitsch?«

Er runzelte leicht die Stirn. Seit einiger Zeit sprach sie sogar im Büro so mit ihm, natürlich nur, wenn niemand in der Nähe war. Trotzdem – es war nicht gut für die Disziplin. Ein Tadel drängte sich ihm auf die Lippen, doch er schluckte ihn hinunter. Er würde dafür bezahlen müssen, heute abend, morgen abend, irgendwann in ihrer Wohnung…

»Es hat nichts auf sich«, sagte er einfach. »Von Schwierigkeiten kann keine Rede sein, und ich war auf sein Kommen eingestellt.«

»Sie kennen ihn also.«

»Nein. Ich meine, daß mit dem Eintreffen von jemandem aus Moskau zu rechnen war.« Er lächelte, und sie schob sich näher an ihn heran, bis sie neben seinem Sessel stand. Ihre Hand lag auf seinem Arm. Er tätschelte sie. »Wirklich, es gibt keine Schwierigkeiten, meine Liebste. Beruhigen Sie sich. Es hat mit dem Anruf aus Hawaii zu tun. Erinnern Sie sich?«

»Aber ich soll es nicht erfahren.«

Er lachte. »Ich habe es auch meiner Frau und meinen Kindern nicht gesagt.«

Sie schnaubte verächtlich.

»Es ist ein Staatsgeheimnis, eine Angelegenheit der staatlichen Sicherheit! Warum sollte ich Sie hinters Licht führen?«

»Was haben wir mit der Staatssicherheit zu tun? Wie kann unser Land von fernen Milchstraßen her bedroht werden? – Was haben Sie angestellt? Pawel, so dürfen Sie nicht weitermachen!«

»Aber was…«

»Sie wollen nach. Moskau!« fauchte sie. »Dahinter steckt Ihre Frau. Sie war hier nie glücklich.« Ihre Stimme änderte sich, wurde kreischend, ahmte spöttisch den Ton einer großen Dame aus Moskau nach. »Nun, die Partei hat es für nötig gehalten, Pawel für einige Jahre hierher zu entsenden. Die Leute in der Provinz sind so untüchtig, da mußten wir das Opfer wohl auch bringen.«

»Es wäre mir lieb, wenn Sie Marina nicht nachäfften«, sagte er. »Außerdem haben Sie unrecht. Es hat mit einer Rückkehr nach Moskau nicht das geringste zu tun. Außerdem werde ich Sie mitnehmen, wenn es eines Tages dazu kommt. Welcher Russe will nicht in Moskau leben?«

»Ich. Ich möchte hierbleiben, und zwar mit Ihnen. Hier paßt Ihre Frau nicht so auf. In Moskau hätte sie Sorge, ihre Freundinnen könnten erfahren, daß ihr Mann eine Geliebte hat.«

Zwar hatte sie damit recht, aber es spielte kaum eine Rolle. »Das ist jetzt unwichtig«, sagte er. »Die Dinge werden sich bald ändern, früher, als Sie denken. Uns allen stehen große Veränderungen bevor.«

Sie runzelte die Stirn. »Das klingt ernst.«

»Mir war es noch nie so ernst.«

»Veränderungen zum Besseren?«

»Das weiß ich nicht.« Er stand auf und nahm ihre Hände in seine. »Aber mit Sicherheit gehen sie über unsere Voraussagemöglichkeiten hinaus und sind so tiefgreifend wie in der Revolution.«

Pawel Bondarew vertiefte sich in die ihm übergebenen Dokumente, warf aber von Zeit zu Zeit einen Blick auf den Mann, der sie gebracht hatte. Dmitri Parfenowitsch Gruschin war trotz seiner Jugend schon Oberstleutnant im KGB. Er trug einen so tadellos sitzenden Anzug aus weichem Wollstoff, daß er nur in Paris oder London geschneidert sein konnte. Gruschin war von durchschnittlicher Körpergröße und schlank, aber sein Händedruck war sehr fest gewesen, und er ging mit federndem Schritt.

Die Papiere bestätigten, was General Narowtschatow bereits gesagt hatte. »Aha«, sagte Bondarew, »ich soll nach Baikonur.«

»Ja, Genosse Akademiemitglied.« Gruschin sprach mit Achtung in der Stimme. Es war schwer. Schlüsse auf das zu ziehen, was er dachte, da er Gesicht und Stimme vollkommen unter Kontrolle zu haben schien.

Er hatte einen Brief von General Narowtschatow gebracht, in dem Marina und die Kinder nach Moskau eingeladen wurden. Die erforderlichen Reisebescheinigungen lagen bei. Marina würde sich freuen. »Hier ist noch viel ungesagt«, nahm Bondarew den Faden auf.

»Ich kann alles erklären«, sagte Gruschin.

»Bitte.«

»Man hat General Narowtschatow zum Ersten Parteisekretär ernannt«, sagte Gruschin zurückhaltend. Er ließ eine hinreichend lange Pause eintreten, um Bondarew Gelegenheit zu geben, das volle Ausmaß dessen zu erfassen, was das bedeutete. »Es wird im Lauf der Woche noch öffentlich bekanntgegeben. Im Politbüro macht man sich gewisse Sorgen wegen dieses interstellaren Raumschiffs. Viele Marschälle der Sowjetunion glauben nicht an Außerirdische.«

»Man hält es also…«

»… für einen Trick der CIA«, ergänzte Gruschin.

»Unmöglich!«

»Das nehme ich auch an, ebenso wie der Vorsitzende Petrowski.«

»Und Genosse Trussow?«

Gruschin zuckte die Achseln. »Sie verstehen, ich sehe den Vorsitzenden des KGB nicht besonders häufig – allerdings hat man mir gesagt, daß der Verteidigungsrat einstimmig beschlossen hat, ein Wissenschaftler, der Zivilist ist, solle die Vorbereitungen zum Empfang der Außerirdischen leiten. Sie, Genosse.«

»Viel Ehre. Ich muß allerdings gestehen, daß ich für diese Aufgabe nicht besonders geeignet bin.«

»Wer ist das schon? Ich bin für den diplomatischen Dienst ausgebildet, doch – was für eine Ausbildung braucht jemand, der mit Lebewesen von einem anderen Stern zusammentreffen soll? Wir müssen tun, was uns aufgetragen ist.«

»Heißt daß, daß Sie als mein Vize mitkommen?« Es war üblich, für ein solches Projekt einen KGBFunktionär als Personalbeauftragten mitzuernennen. Bestimmt würde der KGB darauf bestehen, seine Leute an hoher Stelle innerhalb der entscheidenden Organisation einzuschleusen.

»Nein, diese Aufgabe übernimmt ein anderer«, sagte Gruschin. »Ich habe Befehl, nach Kosmograd aufzubrechen.«

»Aha, Sie haben eine Ausbildung als Kosmonaut?«

»Nein, aber als Pilot.« Gruschin sagte es mit dünnem Lächeln. »Genosse Akademiemitglied, Ihr Schwiegervater hat mir gesagt, ich könne Ihnen vertrauen, also sage ich Ihnen alles, was ich weiß. Das ist ungewöhnlich. Noch seltsamer ist, daß mir Genosse Trussow persönlich eingeschärft hat, ebenso zu verfahren.«

In der Tat ungewöhnlich. Also nahm man das Raumschiff im Politbüro sehr ernst. General Nikolai Narowtschatow hatte gesagt: »Du darfst dem Mann vom KGB vertrauen, so weit das bei jemandem vom KGB möglich ist.« Was das zu bedeuten hatte, war nicht ganz ersichtlich.

»Was also muß ich wissen?« fragte Bondarew.

»Nicht alle Militärs«, sagte Gruschin, »werden mit uns am selben Strang ziehen, und nicht alle werden Ihrem Kommando unterstehen. Sie werden in Baikonur großes Geschick brauchen, um zu erkennen, welche Marschälle Ihnen vertrauen und welche nicht. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß das nicht leicht sein wird.«

»Nein.« Das durfte er ohne Gefahr sagen. Mehr aber nicht.

»Außerdem ist von wesentlicher Bedeutung, daß die Amerikaner keinen Einblick in das Ausmaß unserer Mobilmachung bekommen.«

»Ich verstehe.« Aha. Einige der Marschälle sind offenbar nicht mehr bei der Fahne. Sie machen unabhängig von den Vorstellungen des Kremls mobil. Das dürfen die Amerikaner selbstverständlich nie erfahren! »Was muß ich noch wissen?«

»Wer gegenwärtig in Kosmograd ist, und wen wir einladen werden.«

»Einladen?«

»Amerikaner. Sie haben uns bereits gebeten, einige ihrer Leute an Bord zu lassen, wenn das Raumschiff kommt. Das Politbüro wünscht binnen drei Tagen Ihre Empfehlung zu erfahren.« Er ließ eine Pause eintreten. »Ich denke allerdings, daß man die Amerikaner einladen wird, ganz gleich, was Sie dazu sagen.«

»Aha. Und wenn die USA den Wunsch haben, werden andere Völker folgen.« Er zuckte die Achseln. »Ich sehe nicht, wie die alle in Kosmograd unterkommen sollen.«

»Ich auch nicht, aber das werde ich Ihnen mitteilen, sobald ich dort bin. Ebenso werde ich Sie über die an Bord befindliche Besatzung in Kenntnis setzen. Selbstverständlich bekommen Sie auch Berichte von Kommandant Rogatschow.«

»Ein guter Mann«, sagte Bondarew.

Mit bauernschlauem Lächeln sagte Gruschin, an dem sonst nicht viel an einen Bauern erinnerte: »Geradezu legendär – aber nicht alle sehen ihn so wie Sie.«

»Warum nicht?«

»Weil er Schwierigkeiten macht, wenn er vermutet, daß seine Mission in Gefahr ist. Aber technisch ist er der beste Kommandant, den wir für Kosmograd haben.«

»Doch Sie zweifeln – woran? Gewiß nicht an seiner Loyalität?«

»Nicht an seiner Loyalität zur Sowjetunion.«

»Aha.« In dieser Äußerung hatte etwas mitgeschwungen. Gelegentlich hatte es Rogatschow an der nötigen Achtung vor der Partei fehlen lassen… »Und in welcher Hinsicht macht er Schwierigkeiten?«

Gruschin hob die Schultern. »Kleinigkeiten. Ein Beispiel. Er hat seinen alten Feldwebel da oben, der während des Äthiopienkonflikts seinen Hubschrauber gewartet hat. Der Mann hat bei den Kampfhandlungen beide Beine verloren. Als er im Zuge der Rotation zur Erde zurück sollte, hat Rogatschow Ausreden gefunden, um ihn dort zu behalten. Er hat erklärt, ein Besserer stehe nicht zur Verfügung, und es sei für Kosmograd von großer Bedeutung, ihn dort zu behalten.«

»Und? Hat er recht?«

Gruschin hob wieder die Schultern. »Auch das werde ich in Erfahrung bringen. Verstehen Sie mich, Genosse Akademiemitglied. An Bord von Kosmograd werde ich nur einer der stellvertretenden Kommandanten sein, Erster Vize ist die Tutsikowa. Aber ich werde Ihnen unmittelbar berichten. Wenn es erforderlich ist, können Sie Rogatschow ablösen lassen.«

Bondarew nickte verstehend. Er empfand eine unbestimmte Furcht.

Ich bin für die Raumstation zuständig, aber es gibt eine ganze Reihe technischer Fragen. Welche sind wichtig, und welche nicht? Ich brauche Rat – doch wem kann ich trauen? Er lächelte dünn. Das war wohl auch das Dilemma des Vorsitzenden Petrowski und des Ersten Parteisekretärs Narowtschatow. Deshalb hat man mir diese Aufgabe aufgehalst.

Allerdings ist es eine glänzende Gelegenheit. Endlich, dachte Pawel Bondarew, endlich kann ich ihnen sagen, wohin sie das Raumteleskop richten sollen, und ich werde die Bilder sofort sehen können.


* * *

Es war ein heller, klarer, sonniger Frühlingstag – die Art Tag, die es wert erscheinen ließ, daß man die Regenperioden ertrug. Die schneebekrönten Gipfel des Mount Baker und der Zwillingsschwestern erhoben sich majestätisch über den Vorbergen im Osten Bellinghams. Selbst für Alteingesessene war die Aussicht eindrucksvoll, und den aus Los Angeles Zugereisten blieb vor Staunen der Mund offenstehen. Sie standen in der Nähe des alten Rathauses, eines roten Backsteinbaus im Stil alter Ritterburgen, und sahen abwechselnd über die Bucht zu den San JuanInseln und dann wieder zurück zu den Bergen hin.

Als Kevin Shakes einen Uniformierten auf sich zukommen sah, überlegte er, was möglicherweise nicht in Ordnung war. Sein Blick ging unwillkürlich zum Wagen hinüber – hatte er falsch geparkt? Eine typische Großstädterreaktion. In einer Kleinstadt wie Bellingham konnte man seinen Wagen abstellen, wo man Lust dazu hatte.

Der Uniformierte trug ein braunes, kurzärmeliges Hemd mit Dienstabzeichen und einen Revolvergürtel. Er war drei bis vier Jahre älter als Kevin mit seinen achtzehn Jahren. Breit grinsend nahm er den Hut ab, so daß dünnes Blondhaar in einer Art Treppenschnitt zum Vorschein kam. »Hallo, Miranda«, sagte er. »Ist das jetzt der ganze Verein?«

»Alle außer Papa und Mama.« Auch Miranda lächelte. »Leigh, das sind meine Brüder Kevin, Carl und Owen. Wir waren gerade einkaufen.«

Carl und Owen – dreizehn und elf Jahre alt, mit völlig gleichem, glattem braunen Haarschopf, aber dreißig Zentimeter Unterschied in der Körpergröße – sahen mißtrauisch auf den Uniformierten, der sich vorwiegend für Miranda zu interessieren schien. Er sagte jetzt: »Man könnte glauben, daß ihr den ganzen Laden leergekauft habt.«

Kevin sagte: »Vielleicht hat es Miranda schon gesagt, wir sind nicht allein da draußen. In dem Haus wohnen noch drei andere Familien. Jeder gehört ein Fünftel, und sie kommen alle auf Urlaub her.«

»Wird das nicht ziemlich eng?«

Kevin zuckte die Achseln. Mirandas Lächeln wurde zurückhaltender. »Ja. Es ist das erste Mal so. Eigentlich hatten wir uns abwechseln wollen, jede Familie eine Woche. Aber irgendwie scheint das nicht zu klappen. Mal sehen, was wird. Die anderen Familien sind nicht so groß wie unsere. Aber ich kenne sie nicht sehr gut.«

Miranda und der junge Polizist gingen ein wenig beiseite, um ungestört zu sein, und Kevin ließ sie. Als sie wieder im Wagen saßen, fragte er: »Wer ist das? Woher kennst du ihn?«

»Er heißt Leigh Young. Er war im Club, und wir haben Tennis gespielt. Er ist nicht besonders gut darin, könnte aber besser werden.«

»Gefällt er dir?«

»Schon.«

»Ich glaube, Papa hätte nichts dagegen, wenn du dich mit einem von der Polizei triffst. Kann nützlich sein.« Dann sah Kevin sich um, um sich zu vergewissern, daß die kleineren Brüder bei den Bergen von Lebensmitteln auf der Ladefläche saßen, bevor er den Motor anließ. »Voll wird es bestimmt.«

»Ja.«

»Was hältst du von der Sache, Randy? Meinst du, Papa hat recht?«

Sie zuckte die Achseln. »Zuerst hab ich gedacht, er spinnt.«

»Das weiß man bei dem nie so genau«, sagte Kevin. Miranda war nur ein Jahr älter als er, und sie hatten sich recht gut miteinander angefreundet, als sie Bruder und Schwester geworden waren. Sie kannten das undeutbare Lächeln ihres Vaters William Adolphos Shakes, der fleißig auf dem Heimcomputer alle Kosten ausrechnete. Er hatte in den letzten Jahren keinen Cent unnütz ausgegeben.

»… und jetzt kommt also tatsächlich ein Raumschiff mit Außerirdischen.«

»Ja, Mrs. Wilson hat gesagt, es hält sich schon lange versteckt. Sie behauptet, sie wäre in ‘nem Labor gewesen, als irgendwas passiert ist. Aber damals wußte niemand, daß die Außerirdischen dahintersteckten. Warum sie wohl so lange gewartet haben?«

»Was weiß ich.« Miranda öffnete das Handschuhfach. »Zumindest ist es hübsch hier.« Sie schob eine Kassette in den Schacht des Geräts, und die laute Musik einer neuen Gruppe erfüllte die Fahrerkabine des Kleinlasters. »Nur gut, daß wir Kassetten haben«, überschrie sie den Motorenlärm.

»Ja.« Im Radio gab es an diesem gottverlassenen Ort bestimmt nichts Vernünftiges.


* * *

William Shakes und Max Rohrs gingen zum Haus zurück, quer über die Betondecke, die Rohrs in der Vorwoche gegossen hatte. Sie war jetzt fest und trocken. Rohrs war hochgewachsen, breitschultrig und muskulös. Neben ihm kam sich William Shakes fast wie ein Zwerg vor, obwohl der Unterschied nicht so groß war. Rohrs sagte: »Das hätten wir. Wenn es Schwierigkeiten geben sollte, Sie haben ja meine Nummer.«

»Ja. Danke. Wir werden uns wohl gelegentlich wiedersehen.«

»Hoffentlich. Sie sind ein guter Kunde«, sagte Rohrs. »So wie Sie Leitungen legen, könnte man glauben, daß Sie ein Hotel aufmachen wollen.« Als Shakes nicht darauf einging, erklärte er: »War nur ‘n Witz.«

»Nun, ich find es nicht zum Lachen. Es wird auch wie im Hotel. Drei Familien kommen noch. Ich denke, die Sickergruben reichen jetzt für alle. Betten sind jedenfalls genug da.«

»Trotzdem gibt es wohl ein ziemliches Gedränge.«

Shakes nickte. Ein feines Lächeln lag unter seinem nichtssagenden Gesichtsausdruck. Rohrs hatte die Sickergrube im April angelegt. Man hatte ihm gesagt, die zweite Grube auf der anderen Seite des Hauses sei zu alt und zu klein. Keins von beiden stimmte. Rohrs konnte nicht wissen, daß unter der von ihm gegossenen Betondecke eine zweite, mit Steinen und Erde bedeckte lag – und unter ihr ein geräumiger Schutzkeller, von demniemand etwas wußte.

Als Rohrs davonfuhr, konnte er in seinem Rückspiegel William Shakes’ zufriedenes Lächeln sehen.

Jack und Harriet McCauley hatten Bill und Gwen Shakes sechs Jahre zuvor aufgefordert, der Gruppe Wagenburg beizutreten. Den Shakes war schon damals klar, worauf sie sich einließen, denn es war bekannt, daß Jack, Harriet und verschiedene andere das Überleben trainierten und ständig mit dem Ende der Zivilisation rechneten – ein Thema, über das sie sich endlos verbreiten konnten.

Es war nicht ganz klar, warum sie gerade auf Bill und Gwen Shakes verfallen waren. Vielleicht weil sie gut zuhörten und die McCauleys nie verspotteten? Die Shakes sahen keinen Anlaß, jemanden zu verspotten, der sich auf eine Katastrophe einstellte. Nur waren sie davon überzeugt, daß sich Katastrophen nicht voraussagen ließen. Ihrer Ansicht nach stellte sich die Gruppe auf etwas viel zu Spezifisches ein. Die Wirklichkeit würde sie übertölpeln, wenn es soweit war.

Also hatten die Shakes keineswegs begierig zugegriffen, sondern erst in aller Ruhe gemeinsam überlegt, worum es ging… bis Bill begriff, worauf die Gruppe hinauswollte.

Sie schlossen sich an und zahlten ihre Beiträge, die gerade noch erschwinglich waren, kauften an Ausrüstung, was man ihnen vorschrieb, und pflegten sie. Waffen und Lebensmittelvorräte im Haus zu haben war nie falsch. Sie stapelten die Druckschriften und Bücher, lasen sogar einiges davon und brachten ihren Kindern den sicheren Umgang mit Schußwaffen bei. Bei den Donnerstagssitzungen sprachen sie sich entschieden für den Ankauf eines Refugiums in irgendeiner abgelegenen Gegend aus, möglichst in der Nähe eines Dorfs mit Ackerbau. Schließlich fanden sie etwas Passendes, und wie die übrigen Mitglieder der Gruppe übernahmen auch die Shakes ein Fünftel der Kosten.

Bill gefiel das Spiel, und er mogelte nicht. Die Gruppe bekam, wofür die Mitglieder bezahlt hatten – die Familie Shakes aber verfügte über einen ständig nutzbaren Ferienwohnsitz, der sie nur rund zwanzig Prozent dessen gekostet hatte, was sie sonst dafür hätten bezahlen müssen. Außerdem investierten sie Zeit, Anstrengung und weiteres Geld, das Anwesen nicht nur einfach in Schuß zu bringen, sondern es zu einer richtigen Fluchtburg auszubauen.

Bill und Gwen arbeiteten gern mit den Händen, und die Jungen auch. Immer wenn es ihnen ihre Zeit erlaubte, fuhren sie mit dem Kleinlaster von Los Angeles nach Bellingham hinauf – Miranda und Kevin waren alt genug, um Bill am Lenkrad abzulösen – und schufen aus dem Chaos Ordnung, verwandelten mit Wonne das riesige alte Haus mit den zahlreichen Räumen geradezu in eine Festung. Es sah aus jeder Richtung aus wie ein L, war aber in Wirklichkeit Xförmig und damit größer, als ein Betrachter auf den ersten Blick vermutet hätte. Es stieß an ein Wäldchen, und das Grundstück war groß genug für Gartenland. Es gab Arbeit, aber auch Gelegenheit zu Ausflügen und zum Segeln mit ihrem AchtMeter Boot zwischen den San JuanInseln, einem der herrlichsten Segelreviere der Welt. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde das Ende der Zivilisation nie kommen, oder auf eine Weise, die unmöglich vorauszusagen war. Bis dahin nutzten sie das Anwesen häufiger und intensiver als die übrigen Familien der Wagenburg zusammen.

Dieser Urlaub allerdings war nicht geplant gewesen.

Als Bill zwei Abende zuvor nach Hause gekommen war, konnten Gwen und die Kinder von nichts anderem reden als dem sich nähernden Raumschiff der Außerirdischen. In den ElfUhr Nachrichten des Fernsehens gab es die kühnsten Zeichnungen davon, wie es aussehen konnte. Sie erinnerten Bill an ähnlich kühne Karikaturen aus den späten vierziger Jahren: verschiedene Entwürfe für ein atomgetriebenes Flugzeug. Aus demwar ja nichts geworden, aber das hier…

Als ihn das Telefon um ein Uhr nachts weckte, hatte ihn das nicht im geringsten überrascht. George TateEvans erteilte der Familie Shakes den Auftrag, nach Bellingham zu fahren.

Ich lasse mich nicht kommandieren, dachte Bill, sagte aber nichts, sondern überlegte bereits, was wohl sein Vorgesetzter zu der überraschenden Bitte um eine oder zwei Wochen Urlaub sagen würde. In einer Hinsicht hatte George recht: für so etwas wie diese Sache war die Wagenburggedacht.

Zwar war es immer noch ein Spiel, aber jetzt wurde um Punkte gespielt. Bill war nicht sicher, wie die Kinder dazu standen. Miranda und Kevin hatten ihre eigenen Sorgen, und Karl und Owen kamen in ihrer neuen Schule nicht besonders gut zurecht. Sie hätten die Kinder niemals so spät im Schuljahr umschulen sollen. Aber alle taten brav ihre Arbeit im Gemüsegarten und kauften riesige Mengen Lebensmittel ein.

Bill versuchte, nicht an die Kosten zu denken und auch nicht an die Störungen ihres gewohnten Lebens, die das Ganze mit sich brachte. Er konnte die ›Krieg der Sterne‹Haltung seiner Kinder nicht recht verstehen… und es war ihm auch unerfindlich, daß George und Vicki die Sache so todernst nahmen. Gwen schwankte. »Vicki macht sich richtig Sorgen«, hatte sie gesagt.

»Sieh das Ganze als Probealarm an«, hatte er ihr geraten. »Wir merken, wo noch Macken sind, und wenn später mal was passiert, wissen wir genau, was wir zu tun haben.«

Das klang nicht unvernünftig.


* * *

Max Rohrs sagte an jenem Abend im Bett zu seiner Frau Evelyn, die in einem Buch las: »Ich glaub, ich mach Bill Shakes nervös.«

Ohne ihre Lektüre zu unterbrechen, fragte sie: »Hast du nicht gesagt, daß er klein ist?«

»Ja. Er reicht mir nicht mal bis zur Schulter. Seine Frau ist so wie er, nur ein Stück breiter, und die Jungs sind ‘nen ganzen Kopf größer. Ich hab das Gefühl, er versteckt was.«

»Leichen?«

Das sagte sie nicht etwa, weil es sie interessiert hätte, sondern einfach, um etwas zu sagen. Max, der das merkte, lachte. »Nein, keine Leichen – aber mir liegen da zu viele Leitungen auf dem Grundstück. Jetzt haben sie schon wieder ‘ne neue Sickergrube anlegen lassen, und ich glaub nicht, daß die nötig ist. Ich will dir was sagen, das sind bestimmt so Überlebensfritzen.« Er drehte sich auf die andere Seite. »Bestimmt haben sie Schußwaffen, riesige Lebensmittelvorräte und ‘nen Bombenkeller. Wahrscheinlich unter dem Tennisplatz, den ich für sie gegossen hab.« Er runzelte die Stirn. »Seit einer guten Woche sind die wie aufgescheucht.«

»Ich hab heute von Linda gehört«, sagte seine Frau, übergangslos, wie es schien.

»Linda? Wie kommst du jetzt auf die?«

»Gillespie. Sie ist wieder in Washington. Der Präsident hat Ed und Wes Dawson zur Ausbildung nach Houston geschickt. Endlich darf Wes in den Weltraum.«

Neid beschlich Max. »Gut für ihn.«

»Linda wohnt in Flintridge. Ihre jüngere Schwester Jenny – du erinnerst dich doch noch an sie? – hatte was mit der Entdekkung des außerirdischen Raumschiffs zu tun.«

»Ach, das macht den Shakes wohl so nervös. Die Leute richten sich da bestimmt aufs Überleben ein.« Die Erwähnung Lindas ließ ihn daran denken, wie er seine Frau kennengelernt hatte. Er war damals als Matrose in Washington auf Landurlaub gewesen und hatte nicht gewußt, wo er die Nacht verbringen sollte. Jemand hatte ihm empfohlen, es einmal im Gemeindehaus nahe der National Cathedral zu versuchen.

Dort hatten sich zahlreiche junge Frauen befunden, eine so hochnäsig wie die andere, bis auf Evelyn und ihre Freundinnen Linda und Carlotta. Auch sie studierten am College, aber sie schämten sich nicht, mit einem einfachen Unteroffizier gesehen zu werden.

Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn auch Evelyn die Nase hoch getragen hätte, dachte Max. Aber nicht für mich. Daß seine Frau klüger war als er, störte ihn nicht, und daß sie ihn rückhaltlos liebte, verblüffte ihn immer wieder.

Drei Wochen später war sie schwanger geworden. Keine Sekunde lang hatten sie über Abtreibung gesprochen. Sie ließen sich in der Kirche trauen, in deren Gemeindehaus sie einander kennengelernt hatten, und der Hochzeitsempfang fand auf Flintridge statt. Viele Angehörige Evelyns waren gekommen und auch Verwandte Lindas und Carlottas, wichtige Leute, die über Max’ Zukunft gesprochen hatten und über Anstellungen, die er bekommen konnte. Es sah ganz so aus, als sei er ein gemachter Mann.

Nach dem Militärdienst war er nach Bellingham zurückgekehrt, um sich um seine Mutter zu kümmern. Evelyns Vater unterstützte sie ein wenig und ließ ihnen so viel zukommen, daß sich Max als Installateur selbständig machen konnte – aber es gab am Ort nicht genug Kunden.

Das lag jetzt nahezu zwanzig Jahre zurück. Er sah zu Evelyn hinüber. Sie las wieder. Ihr Nachthemd wirkte fadenscheinig. Das hab ich ihr vor vier Jahren geschenkt! Wie die Zeit vergeht!

Man hörte die Kinder auf der anderen Seite der Wand, aber nicht so, daß es störte.

Evelyn legte das Buch beiseite und schaltete ihre Nachttischlampe aus. »Hier in der Gegend sollen sich viele Überlebenswillige aufhalten«, sagte sie. »Aber niemand, den wir kennen, spricht darüber.«

»Sag du auch nicht weiter, was ich dir erzählt hab. Die würden mir keinen Auftrag mehr geben, wenn sie wüßten, was ich gesagt hab.«

»In Ordnung, Liebling.«

»Du weißt ja, seit die Werft stillgelegt ist, gibt es nicht viel Arbeit für mich, und Shakes zahlt pünktlich…« Doch seine Frau war bereits eingeschlafen.

7. Große Erwartungen

Die Erwartung läßt uns etwas Ersehntes teuer erscheinen, der Himmel wäre nicht der Himmel, wenn wir wüßten, wie es dort aussieht.

SIR JOHN SUCKLING

Gegen die Erfüllung


Zeit: Zwei Wochen bis zur Stunde Null

Das Schlafzimmer war nicht nur sauber und aufgeräumt, es wirkte wie geleckt. So sah es überall in Jack Clybournes Wohnung aus.

Bei ihrem ersten Besuch dort hatte Jenny ihr Erstaunen nicht verhehlen können.

Jack hatte gelacht. »Das bringt der Beruf so mit sich. Wir sind viel auf Reisen und wohnen in Hotels. Weil wir nie wissen, wann der Zeitplan des Präsidenten geändert wird, bleibt gleich alles gepackt.« Trotz der peinlichen Ordnung wirkte das Schlafzimmer nicht unpersönlich. Es enthielt Fotos seiner Mutter und Schwester sowie des Präsidenten, außerdem Bilder, auf denen der Kreml zu sehen war, die Chinesische Mauer und andere Orte, die er besucht hatte. Buchklubausgaben füllten ein Regal an der Wand, und es ließ sich erkennen, daß Jack viel las, eine Schwäche für Geschichte hatte, aber auch Spionageromane nicht verschmähte.

Jenny stand vorsichtig auf. Sie meinte, ihn nicht geweckt zu haben, doch war das ohne weiteres nicht zu merken. Er hatte einen leichten Schlaf und hielt die Augen geschlossen, wenn er wach wurde.

Sie holte die Uniform aus dem Schrank. Bei ihrem ersten Besuch war ihre Kleidung auf dem Fußboden gelandet, aber die Ordnung, die hier herrschte, wirkte ansteckend… Sie ging ins Bad.

Als sie zurückkam, war das Bett leer. Sie hörte die Dusche im zweiten Badezimmer. Ein mustergültig rücksichtsvoller Liebhaber.

Das Wort ›Liebhaber‹ schien ihr zwar nicht ganz angebracht, aber etwas anderes paßte auch nicht. Verlobt waren sie nicht und hatten auch nicht von Heirat gesprochen. Das Heer erwartete von Männern, daß sie als Lieutenants unverheiratet blieben, Captains durften verheiratet sein, und als Majore waren es die meisten dann auch; bei einer Frau allerdings bedeutete eine Eheschließung das Ende der Offizierslaufbahn.

Was auch immer Jack war – mit Sicherheit war er mehr als eine einfache Beziehung. Sie wohnten zwar nicht zusammen, teils, weil sowohl Heer wie Geheimdienst ziemlich prüde waren, auch wenn sie sich den gegenteiligen Anschein zu geben bemühten. Vor allem aber hatte Jenny keine Lust, all die Erklärungen abzugeben, die Tante Rhonda von ihr erwarten würde, wenn sie aus Flintridge auszöge. Trotzdem verbrachte sie viel Zeit in Jacks Wohnung. Er wie sie reisten viel und hatten unregelmäßig Dienst, aber es war klar, daß sie ihre Freizeit miteinander verbrachten, sofern beide in Washington waren und dienstfrei hatten.

Unterwegs hatte sie sich zweimal mit anderen Männern verabredet gehabt, aber es war nicht dasselbe. Irgend etwas fehlte. Zauber, dachte sie und gab sich keine Mühe, nach einem anderen Wort dafür zu suchen. Es genügte, daß es so war, und es war wunderbar.

»Abendessen?«

»Einverstanden. Soll ich kochen?«

»Du mußt nicht…«

»Jack, ich tue es gern, und ich habe nicht oft Gelegenheit dazu.«

»Na schön. Dann müssen wir aber noch einkaufen, ich hab nichts im Haus.«

»In Ordnung. Ich fang schon mal an, und du kannst ja…«

Sie sprach nicht weiter, weil er den Kopf schüttelte. »Laß uns zusammen gehen. Wir könnten unterwegs überlegen, was wir essen wollen.«

»Einverstanden.« Wie immer, bevor er das Haus verließ, nahm er seine Dienstwaffe aus dem in der Hose versteckten Holster und sah nach, ob die Kammern der Trommel Patronen enthielten.

Sie lachte leise vor sich hin und sagte: »Nach Hause wollte er mich bringen. ›Ich fahr sowieso in die Richtung‹, hat er gesagt.«

»Aber es hat doch funktioniert, oder?«

Sie nahm seine Hand. »Ja, und ich bin froh darüber.«

»Ich auch.«

Nach einer Weile blieb er plötzlich stehen und fragte: »Jenny, was, zum Teufel, geht eigentlich vor sich?«

»Was meinst du?«

»Das Raumschiff – Leute wie ich hören eine ganze Menge, reden aber nicht darüber. Auch mit dir würde ich es nicht tun, wenn es nicht auch deine Arbeit wäre – der Präsident hat Angst, Jenny. Wenn du das bis jetzt nicht wußtest, wird es Zeit, daß du es erfährst.«

»Angst? Jack – Liebling, wir wollen weitergehen.«

In der Wohnung hat er nichts davon gesagt. Hier auf der Straße ist es wahrscheinlich ungefährlich, wenn wir leise sprechen. So was Albernes. Es hört doch niemand zu… »Was meinst du mit ›er hat Angst‹? Ich hab ihm ein dutzendmal vorgetragen und dabei nichts dergleichen bemerkt.«

»Dir und dem Admiral zeigt er es nicht«, sagte Jack, »aber Mrs. Coffey. Er macht sich Sorgen, weil das Raumschiff nicht antwortet.«

»Darüber zerbrechen wir uns doch alle den Kopf.«

»Ich glaube, er ist fest davon überzeugt, daß auch die Russen Angst haben.«

»Hm«, sagte Jenny. »Wir können natürlich nur vermuten, was sie wirklich denken.«

»Aber es stimmt doch? Jeder beknackte Funkamateur hat ihnen Botschaften geschickt, aber es kommt keine Antwort…«

»Nicht nur die«, sagte Jenny. »Auch unsere Sicherheitsbehörde hat mit unseren stärksten Sendern versucht, Verbindung zu ihnen aufzunehmen, sowie das JPL über die große Goldstone Antenne. Die Russen machen es ebenso.«

»Und alles vergeblich.« Trotz des warmen Juniabends fröstelte es Jack ein wenig. »Wer weiß, vielleicht hab ich auch schon Angst!«

Zwar war niemand in der Nähe, dennoch senkte sie die Stimme und sagte zögernd: »Auch der Admiral macht sich Sorgen.«

»Wahrscheinlich haben die Russen beschlossen, mobil zu machen?«

»Einen Beschluß kann man das nicht nennen, die machen automatisch mobil, sobald was Ungewöhnliches passiert, weil ihnen nichts anderes einfällt. Zum Glück ist die Lage drüben ziemlich stabil, denn ihre Theoretiker sind der Ansicht, daß Wesen, die interstellare Flugkörper herstellen können, zwangsläufig auch wirtschaftlich hoch entwickelt sind. Für sie bedeutet das natürlich, daß die Außerirdischen auch Kommunisten sind.«

»Das scheint mir kein zwingender Schluß zu sein.«

»Mir ebensowenig. Mit Sicherheit haben auch die Russen keinen Kontakt zu ihnen bekommen. Das Raumschiff reagiert einfach nicht.«

»Vielleicht ist es ein RoboterRaumschiff.«

»Darüber haben wir nicht mal brauchbare Theorien, und der Admiral möchte dringend welche.«

»Von wem hat er sich beraten lassen?«

»Von wem nicht?« Jenny lachte. »Sogar ungefragt haben uns Hinz und Kunz ihre Ansichten mitgeteilt. Draußen an der Akademie der Luftstreitkräfte haben wir die merkwürdigste Sammlung von Anthropologen, Historikern, Politologen und anderen Wissenschaftlern, die du dir vorstellen kannst – sogar einen Hellseher. Aber nächste Woche gehen wir noch einen Schritt weiter: der Admiral hat eine Gruppe Science FictionAutoren eingeladen.«

Jack lachte nicht. »Vielleicht gar kein schlechter Gedanke.«

»Das finde ich auch. Die meisten sind an der LuftfahrtAkademie, und mit einer kleineren Gruppe geht er in den CheyenneBerg. Ich soll übrigens nächste Woche auch dahin und bei dem Projekt mitwirken. Keine Ahnung, wie lange ich bleibe.«

»Fein – für dich. Du wirst mir fehlen.«

Sie drückte seine Hand und sah sich dann verstohlen um. Da es dunkel war, würde niemand sehen, daß sie sich in Uniform unpassend aufführte, und falls doch, so war es ihr gleichgültig. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn. Zuerst war er überrascht, dann drückte er sie fest an sich, und sie gaben sich einen langen Kuß.

»Zu essen haben wir noch immer nichts«, sagte sie schließlich.

»Nein. Was möchtest du?«

»Etwas, das schnell geht.«

Er lachte. »Hast recht. Wir haben bessere Dinge zu tun, als zu essen.«


* * *

»Die Kirche hat schon immer die Möglichkeit eingeräumt, daß es andere Formen der Intelligenz als die des Menschen gibt«, sagte Kardinal Manelli. »Ein deutliches Beispiel dafür sind die Engel.«

»Sicherlich sind die christlichen Kirchen an diesem Raumschiff interessiert«, äußerte sich der Bischof der Episkopalkirche, »aber ich kann mich nicht der Ansicht anschließen, daß die Existenz Außerirdischer die Offenbarung widerlegt.«

Jeri Wilson hörte nachdenklich zu. Sie hatte an diesem Sonntagnachmittag ganz gegen ihre Gewohnheit den Fernseher eingeschaltet und war in dieser aus dem Kardinal der römischkatholischen Kirche, dem Bischof der Episkopalkirche von Kalifornien, zwei protestantischen Geistlichen und dem Historiker Professor Boyd von der Universität von Kalifornien bestehenden Diskussionsrunde gelandet. Letzterer schien als Moderator zu fungieren und zugleich die anderen Teilnehmer durch provokante Äußerungen zu verunsichern.

»Und wenn sie nun noch nie etwas vom Christentum gehört haben?« fragte Boyd jetzt, »weder Berichte über Götter besitzen, keinerlei Vorstellung von Sünde und keinen Begriff von Erlösung?«

»Das würde an den Tatsachen unserer Offenbarung nichts ändern«, gab Kardinal Manelli zur Antwort. »Daran, daß die Auferstehung in unsererGeschichte stattgefunden hat, kann kein Raumschiff rütteln. Wir werden es ja bald genauer wissen, warum also spekulieren? Wenn Sie aber schon fragen wollen ›Und was, wenn?‹, ließe sich auch die Frage stellen: Und was, wenn sie sowohl das Alte und das Neue Testament haben oder schriftliche Überlieferungen, die eine erkennbare Beziehung zu diesen aufweisen?«

Das wäre in der Tat interessant, dachte Jeri.

»Ich wette, daß, was wir finden werden, mehrdeutig ist«, sagte einer der protestantischen Geistlichen. »Gott scheint nie eindeutige Äußerungen zu machen.«

»Das kommt Ihnen nur so vor«, sagte Kardinal Manelli. Die anderen lachten, aber in Jeris Ohren klang es gequält.

Es klingelte an der Haustür. Sie ging öffnen, obwohl sie die Sendung gern weiterverfolgt hätte. Melissa rannte durch den Flur und erreichte die Tür vor ihr.

Davor stand ein rothaariger Mann, dessen Bart schon ins Weiße spielte. Sein Bauch quoll über den Rand seiner Bluejeans, und er wäre unter keinen Umständen in der Lage gewesen, seine Jeansjacke zu schließen. Unwillkürlich tat Melissa einen Schritt zurück, dann lächelte sie. »He, Harry!«

»Hallo«, begrüßte ihn Jeri. »Was führt dich hierher?« Sie trat zur Seite, um ihn einzulassen, und ging ihm zur Küche voraus. »Bier?«

»Gern, danke«, sagte Harry. Begierig nahm er die Dose entgegen. »Ich bin auf dem Weg zu Ken Dutton und dachte, ich schau mal kurz rein.«

Melissa war wieder auf ihr Zimmer gegangen. »Das kannst du deiner Großmutter erzählen, Harry«, sagte Jeri.

Er zuckte die Achseln. »Na schön, ich will was von dir. Ich muß aus meiner Wohnung raus.«

»Allmächtiger, Harry, du erwartest doch wohl nicht, daß ich dich beherberge?«

Er sah leicht gekränkt drein. »Du braucht es gar nicht so zu betonen.« Dann grinste er. »Nee, ich dachte nur, vielleicht könntest du bei den Leuten von der Wagenburg ‘n gutes Wort für mich einlegen. Ich könnte jederzeit nach Bellingham fahren.«

»Harry, die wollen dich nicht.« Sie sah, daß ihn das traf. Aber jemand mußte es ihm sagen. Harry hatte gelegentlich für die TateEvans und auch für die Wilsons Aushilfsarbeiten gemacht, und obwohl ihn nie jemand ermuntert hatte, der Wagenburg beizutreten, wußte er Bescheid, weil David mit ihm darüber gesprochen hatte.

Harry zuckte gleichmütig die Achseln. »Dutton wollen sie auch nicht, aber dich.«

»Möglich, ich bin aber nicht sicher, ob ich möchte.«

Harry sah erstaunt drein.

»Ich überlege, ob ich an die Ostküste geh, zu David.« Nicht jetzt, hat er gesagt. Aber jedenfalls hat er nicht nein gesagt!


* * *

Linda Gillespie trank ihren Margarita in einem Zug aus und stellte das Glas dann ein wenig zu laut auf den Tisch. Auch ihre Stimme war für die im Schummerlicht liegende Cocktailbar des Mayflower zu laut. »Verdammt noch mal, es ist einfach nicht recht!«

Carlotta Dawson hob die Schultern. »Du hast doch gewußt, was dir bevorstand, als du einen Astronauten heiratetest! Aber denk mal an mich: ich hatte gedacht, ich krieg ‘nen netten Anwalt.«

»Sie hätten uns zumindest mit nach Houston nehmen können.«

»Wenn du so viel Zeit hast«, sagte Carlotta, »ich hab zu tun. Irgend jemand muß sich um seine Karriere kümmern, und Wes tut das jetzt garantiert nicht, wo er die Chance hat, an einem Raumflug teilzunehmen. Wenn du endlich auf andere Gedanken kommen willst, kannst du mir bei der Beantwortung der Wählerpost helfen.«

»Warum eigentlich nicht?«

»Es ist mir ernst«, sagte Carlotta. »Ich kann die Hilfe tatsächlich brauchen. Es ist schwer, intelligente Menschen zu finden, die Kalifornien kennen und trotzdem in Washington leben.«

»Kann ich verstehen.«

»Und warum fährst du dann nicht einfach heim?«

»Wir wollten sowieso alles tapezieren und streichen lassen, und als der Präsident Ed nach Washington beordert hat, haben wir uns gesagt, dann können wir auch gleich im Dachgeschoß noch ein Zimmer ausbauen lassen. Das Haus ist die reinste Baustelle und wimmelt von Handwerkern.«

»Dann besuch doch Joel.«

»Geht nicht. In seiner teuren Internatsschule werden keine Besuche von Muttis geduldet. Die stören nur.« Sie machte der Kellnerin ein Zeichen. »Bitte dasselbe noch einmal.«

»Nicht für mich«, sagte Carlotta. »Zwei sind mehr als genug. Linda, sei vernünftig. Ed und Wes haben wirklich keine Zeit, das kannst du dir an fünf Fingern ausrechnen. Sie leben auf dem Stützpunkt…«

»Ich könnte mir ein Hotelzimmer nehmen.«

»Das käme dich ziemlich teuer, und er hätte trotzdem keine Zeit für dich.«

Linda nickte. »Ich weiß. Aber es ist nicht recht.«

Carlotta lachte leise vor sich hin. »Die Außerirdischen kommen, unsere Männer geben sich die größte Mühe, Kontakt mit ihnen aufzunehmen – und wir sitzen hier herum und jammern, weil wir sie in Washington nicht zu sehen bekommen, statt von ihnen in Houston ignoriert zu werden.«

»Dir gefällt es doch selbst nicht.«

»Stimmt. Gerade wenn Wes in den Orbit geht, beginnen die Parlamentsferien, und dann wird es mir noch viel weniger gefallen – aber ich kann es nun mal nicht ändern.« Sie erhob sich, fischte einen Geldschein aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch. »Es ist mein Ernst, Linda, ich kann Hilfe gebrauchen. Wie wär’s, wenn du mich im Büro anriefst?«

»Na gut.«

»Die Begeisterung, mit der du das sagst, ist beeindruckend. Falls du es dir aber doch überlegen solltest – ich überhäuf dich hundertprozentig mit Arbeit. Mach’s gut.«

Linda sah ihr nach und wandte sich dann wieder ihrem Glas zu. Ich sollte ihr helfen. Dann hätte ich etwas zu tun…

»Woran denkst du gerade?«

»Äh…« Sie hob den Blick und sah dort, wo gerade noch Carlotta gewesen war, einen Mann stehen. »Roger!«

»In Lebensgröße. Hast du etwa an mich gedacht?« Er setzte sich, ohne ihre Aufforderung abzuwarten.

»Nein.« Er ist bestimmt schon um die Fünfzig, sieht aber immer noch ziemlich gut aus. Mancher Vierziger könnte sich da ‘ne Scheibe abschneiden. »Wieso sollte ich – nach fünf Jahren?«

Er lachte leise. »Weil du in meiner Stadt allein bist. Du hättest schon seit Wochen an mich denken müssen.«

»So was Albernes.« Ich habe tatsächlich an dich gedacht, der Teufel soll dich holen! »Woher willst du wissen, daß ich nicht auf meinen Mann warte?«

»Weil der in Houston hinter dem ehrenwerten Wesley Dawson herscharwenzelt. Bis vor einer Minute hast du hier mit seiner Frau Carlotta gesessen.« Er grinste sie breit an. »Ich hab mir die Gelegenheit entgehen lassen, sie zu interviewen, weil ich mit dir allein sein wollte.«

»Und wenn ich mit ihr gegangen wäre?«

»Hätte ich mein Interview gekriegt und mit der Frau des Botschafters der Vereinigten Staaten im Weltraum sprechen können. Jetzt muß ich mich mit der des Chauffeurs begnügen. Wie nimmt Ed es auf?«

»Nicht besonders gut… Ich hab ihn noch nie so unruhig erlebt.«

»Das sieht man ihm aber nicht an. Er wirkt ganz kühl und gelassen, wie alle Astronauten.«

»Fürs Fernsehen«, sagte Linda. »Normalerweise ist Ed ja auch so, aber jetzt fühlt er sich übergangen… Überleg doch nur. Die Sache mit dem Raumschiff ist das Tollste seit der Erfindung des Rades. Seine Schwägerin hat es sogar entdeckt, und dann kommt ein Kongreßabgeordneter her und schnappt Ed die Sache vor der Nase weg.«

»Du müßtest dich doch darüber freuen, daß es Wes ist. Wenn er es nicht wäre, hätte Ed den Auftrag trotzdem nicht bekommen«, sagte Roger. »Die Sowjets wollen keinen amerikanischen General, der hätte einen höheren Rang als Rogatschow. Das geht auf keinen Fall!«

»Eigentlich ist das Ed auch klar«, sagte Linda. »Aber das Wissen hilft ihm nicht. Was willst du hier?«

»Dich verführen.«

»Roger!«

Er zuckte die Achseln. »Stimmt aber. Ich hatte ein gutes Interview in Aussicht und hab die Dame sogar zu einem Glas hierher eingeladen. Dann hab ich dich gesehen und mich von Miss Henrietta Crisp von der Vereinigung der Geschäftsfrauen und Freiberuflerinnen abgeseilt. Sie hat vor Staunen den Mund nicht mehr zugekriegt.«

»Du kannst ja wieder zu ihr gehen.«

»Kann ich.« Er rührte sich nicht.

Der Teufel soll dich holen, Roger Brooks! Eigentlich müßte ich jetzt sofort aufstehen und hier rausgehen…

»Du hast mir gefehlt«, sagte er.

»Wer’s glaubt. Dreimal in fünfzehn Jahren…«

»Hab ich eine Wahl? Du hast dich ja nicht scheiden lassen, und wenn Ed in der Nähe ist, willst du mich nicht mal aus hundert Metern Entfernung sehen. Was sollte ich denn tun?«

»Ja.« Das alte Gefühl kehrte wieder, Erregung und Vorfreude. Geh jetzt sofort nach Hause! Aber sie blieb.

Was ist mit mir los? Ich hin glücklich verheiratet, und alle fünf Jahre, wenn mich Roger Brooks aufstöbert, komme ich mir vor wie ein Schulmädchen bei der ersten richtigen Verabredung. Wie bringt er das nur fertig? »Vermutlich hast du mir auch gefehlt.«

Ohne aufzublicken sagte er: »Auch wenn ich dich nicht so oft sehe, heißt das nicht, daß ich nicht an dich denke.«

»Natürlich, und als nächstes erzählst du mir, daß ich der Grund bin, warum du nie geheiratet hast.« Stimmt das womöglich sogar?

Roger breitete seine Hände in einer übertriebenen Geste aus. »Na ja. Irgendeinen Grund muß es ja geben.«

»Wahrscheinlich hechelst du zu eifrig hinter Knüllern her. Ich bin für dich ja auch nichts anderes als eine Quelle für Knüller.«

»Nun mach aber ‘nen Punkt.«

»Versprichst du mir, daß du nicht versuchen willst, Informationen aus mir herauszuquetschen?«

»Natürlich nicht.«

»Na bitte. Gut, daß du mich anlügst. Was tun wir jetzt?«

Er sah auf seine Uhr. »Zum Abendessen ist es ein bißchen zu früh. Wie wär’s mit einer kleinen Ausfahrt aufs Land? Ich kenn ein schönes Restaurant in Fairfax.«

»Und dann?«

»Das kommt auf dich an.« Roger stand auf, ging um den Tisch herum und hielt ihren Stuhl.

»Ich muß jetzt gehen«, sagte Linda. Sie schob ihren Stuhl von Rogers Küchentisch zurück, aber er stand hinter ihr und fuhr mit den Händen unter den Morgenmantel, den sie trug. Sie spürte, wie die Knospen ihrer Brüste bei der Berührung hart wurden.

»Wozu die Eile?«

»Hör auf damit – nein, wirklich, Schluß! Roger, was soll ich Tante Rhonda sagen?«

»Abendgesellschaft in der thailändischen Botschaft. Ist spät geworden. Ein Senator hat dich über das Raumfahrtprogramm ausgequetscht, und du bist ihn nicht losgeworden.«

»Aber…«

»Da findet tatsächlich eine große Gesellschaft statt, so groß, daß du dich in der Menge verlaufen hättest, wenn du hingegangen wärst.« Er beugte sich über sie und nahm eine ihrer Brustwarzen zwischen die Lippen.

Sie hatte geglaubt, sie sei vollständig befriedigt, aber seine Zunge erweckte Sehnsüchte in ihrem ganzen Körper. Roger war schon immer animalisch gewesen – auch damals, vor Jahren, an dem Nachmittag nach der Vorführung im JPL hatte er nicht genug bekommen können… »Ist das dein Ernst?«

Er richtete sich auf. »Möglicherweise nicht.«

Mit einemmal kicherte Linda.

»Na schön, nicht die Spur«, sagte Roger. »Was hast du?«

»Ich hab damals Nat Reynolds’ Autogramm nicht bekommen.«

»Nat – ach so. Blöde Kiste. Das Raumschiff muß die ganze Zeit dagewesen sein, als wir Saturn betrachtet haben. Der verdrehte FRing. ›Hast du noch nie drei verliebte Regenwürmer gesehen?‹ Weißt du noch? Der Antrieb von dem Ding muß das ganze Ringsystem durcheinandergebracht haben. Wahrscheinlich hatte es sich gerade erst beruhigt, kurz bevor Voyager II da hinkam.«

Linda streichelte seine Hand und legte sie dann wieder auf ihre Brust. Er stand dicht bei ihr. »Und selbst wenn du es gewußt und etwas gesagt hättest, hätten sie dich in die Klapsmühle gesteckt.«

»Ja. Ich hätte der Sache gründlicher nachgehen können und dann vielleicht ein paar astronomische Aufnahmen gefunden. Irgendwas. Ich hab damals nicht genug von der Sache verstanden. Seither habe ich dazugelernt.«

Sie lächelte zu ihm empor, ohne den Kopf zu heben. »Davon hab ich nichts gemerkt.« Es ist gar nicht komisch. Nichts, was man lernen kann, nichts wird je den Nachmittag wiederbringen. Ich weiß es. Warum also suche ich weiter? »Es war ein herrlicher Tag, Roger. All die Wissenschaftler und Autoren – du sagst, du hast dich mit Naturwissenschaft beschäftigt, willst du auf Science Fiction umsatteln?«

»Eigentlich hatte ich nicht die Absicht, aber vielleicht sollte ich das tun. Die meisten SFAutoren sind verschwunden.« Er befeuchtete einen Finger und zeichnete ihr damit ein kompliziertes Muster auf die Brust.

»Was?«

»Ja. Die ein eigenes Wissenschaftssystem entwickelt haben, werden ständig befragt, und diejenigen, die sich mit der herkömmlichen Wissenschaft beschäftigen, findet man nur schwer. Weiß du was darüber?«

»Nichts Genaues.«

Er richtete sich auf und tat einen Schritt von ihr fort. »Großer Gott, du weißt ja doch etwas! Was?«

»Roger, ich habe gesagt…«

»Ach was! Ich merke, daß du was weißt. Linda, was ist es?«

»Es ist nicht wichtig. Jenny hat gesagt, daß sie mit den SFLeuten zusammentreffen wird, in Colorado Springs. Es ist kein Geheimnis.«

»Colorado Springs. NORAD oder LuftfahrtAkademie?«

»Keine Ahnung. Tante Rhonda weiß es wahrscheinlich – sie hat sich Jennys Telefonnummer in Colorado Springs geben lassen. Jetzt muß ich aber wirklich gehen. Laß mich bitte aufstehen.«

»Nun schön, wenn du darauf bestehst. Ich ruf dich morgen an.«

Sag nein. Sag ihm, es geht nicht… »In Ordnung.«

8. Start

Was wir voraussehen, geschieht selten; im allgemeinen tritt das ein, was wir am wenigsten erwarten.

BENJAMIN DISRAELI

Henrietta Temple


Zeit: Eine Woche bis zur Stunde Null

Das Haus stand gleichsam auf Stelzen oberhalb einer Schlucht in den Hügeln vor Los Angeles. Seit Jahren befürchteten die Ingenieure, es könne bei einem Wolkenbruch den Abhang hinabrutschen, aber zum Glück war der Fall bisher nicht eingetreten.

Wes Dawson stöberte in den Abstellräumen herum, die dadurch entstanden waren, daß man die Stelzen verkleidet hatte. In einem gewöhnlichen Haus hätte man das einen Keller genannt.

»Höchste Zeit!« rief Carlotta die Treppe hinab.

»Ich weiß.« Er öffnete einen alten Reisekoffer. Unnötiger Krempel, Erinnerungen sprangen ihn daraus an. Wiewardasnoch… die Versöhnungskarte von ihr, einmal nach einem Streit zum Valentinstag… ach, da ist sie gelandet! Der Maßkrug, an dessen zerschlagenem Rand er sich immer wieder die Lippe aufgeschnitten hatte. Ein inzwischen fast graues TShirt, auf dessen Brust er mit Mühe die amerikanische Flagge und darüber in der linken Ecke eine wirbelnde Milchstraße erkannte. Hundert Milliarden Sterne…

Keine Zeit! Er schloß den Deckel über den Erinnerungen und ging nach oben. Das Haus war halb leer, alles Zerbrechliche wie auch alles von Wert war schon verpackt.

»Bist du noch nicht fertig?« fragte sie ihn. »Was willst du denn mitnehmen?«

Er grinste. »Weißt du noch, meine alte Baseballmütze?«

»Großer Gott! Was hast du bloß…?«

»Als Talisman, sie soll mir Glück bringen. Ich hab damit meinen ersten Wahlkampf gewonnen und sie bei der ersten Begegnung mit dem Saturn im JPL aufgehabt, weißt du nicht mehr?«

Sie wandte sich ab, und er folgte ihr. »Tut mir leid, daß du nicht mitkommen kannst.«

»Mir auch.« Sie sah ihn immer noch nicht an.

»Eigentlich müßtest du daran gewöhnt sein. Ich bin doch auch sonst selten da.«

»Stimmt, aber dann bist du in Washington. Vielleicht kommst du erst, wenn ich schon im Bett liege, aber ich weiß wenigstens, daß du da sein wirst. Oder ich muß hierher, und du bist immer noch dort, aber wir sind… großer Gott, Wes, ich weiß es nicht. Es fühlt sich anders an.« Sie goß Kaffee aus der Thermoskanne ein. »Ich hab mit Linda darüber gesprochen, und ihr geht es auch so, wenn Ed nicht auf der Erde ist. Sie spürt es richtig körperlich. Klingt das albern?«

Wes versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es ihn zum Gehen drängte. Immerhin war Carlotta vor dieser Sache mit den Außerirdischen wirklich das Wichtigste in seinem Leben gewesen, weit wichtiger als der Kongreß oder sonst was. Jetzt aber, wenige Tage bis zur Begegnung im Weltraum, war das anders. Er würde sie sehen!

Es klingelte an der Tür, bevor er etwas sagen mußte. Gott sei Dank, wer auch immer du bist, du kommst mir gerade recht.

Es war Harry Reddington.

»Hallo Harry«, sagte er. »Komm rein, aber wirklich nur für einen Augenblick. Ich muß sofort weg, und Carlotta fährt mich zum Flughafen.« Er stupste ihn mit dem Finger an, denn Harry mußte man immer alles besonders deutlich sagen.

»Klar.« Harry schob sich mit Hilfe seines Krückstocks die Treppe hinauf. »Hallo, Carlotta.«

»Hallo.« Ihr Gruß klang nicht gerade begeistert.

Wes Dawson hatte einige Jahre zuvor als unerfahrener Abgeordneter im VerkehrsUnterausschuß mit Motorradfahrern gesprochen. Damals hatte er noch selbst Informationen ›vor Ort‹ zusammengetragen, statt Leute nach Washington zu bitten, damit sie vor dem Ausschuß aussagten.

In einer Bar in San Bernardino hatte er sich dann vom provokanten Gehabe eines Hell’s Angel zu einer heftigen Reaktion hinreißen lassen, woraufhin dieser aufgequollene Barbar Anstalten traf, ihm den Schädel einzuschlagen. Das allein wäre schon schlimm genug gewesen, noch schlimmer aber war, daß die Zeitungen es mit Wonne ausgeschlachtet hätten. Der rote Harry, seines Zeichens Barsänger, hatte die Situation mit einem Witz gerettet und Wes eilends aus der Bar geschoben. Erst draußen gestand Harry, daß er sich vor Angst in die Hose gemacht habe. Ob es nun stimmte oder nicht, jedenfalls mußte Wes lachen.

Ich habe eine Schuld bei Harry, die er nie eingetrieben hat. Und manchmal ist seine Gesellschaft ja auch ganz nett.

»Was führt Sie zu uns, Harry?« wollte Carlotta wissen.

Sie kannte die Geschichte mit der Bar nur aus zweiter Hand, andernfalls wäre sie freundlicher zu Harry gewesen, denn dann hätte sie gewußt, was für eine feindselige Atmosphäre damals dort geherrscht hatte.

»Ich hab gehört, du fliegst den Außerirdischen entgegen«, sagte Harry.

»So ist es!«

»Das ist ja nun wirklich allgemein bekannt«, fügte Carlotta hinzu.

»Na ja, und da hab ich gedacht, vielleicht brauchst du jemanden, der auf deine Sachen aufpaßt«, sagte Harry. »Ich bin zur Zeit frei schwebender Künstler.«

»Nein«, sagte Carlotta mit fester Stimme. »Vielen Dank, aber das ist wirklich nicht erforderlich.«

Offenbar suchte Harry verzweifelt eine Bleibe, denn er war ungewohnt sauber und geradezu unanständig nüchtern. Außerdem wäre er sonst nie gekommen. Wes überlegte. Die meisten Dinge, die einen gewissen Wert hatten oder zerbrechlich waren, befanden sich gut verpackt auf Lager, bis auf verschiedene elektronische Geräte, Erinnerungsstücke und anderes, das wegzuschaffen keine Zeit geblieben war. Alles war so überraschend gekommen, nichts hatten sie ordentlich planen können. Angesichts dessen, daß Harry eigentlich keinen Schaden anrichten konnte und Wes sich einfach großartig fühlte, fragte er: »Harry, wo wohnst du zur Zeit?«

Carlotta sah argwöhnisch zu ihm hinüber.

»Hier und da.«

»Willst du nicht hierbleiben?« fragte Wes. »Nur für ein paar Wochen. Carlotta geht nach Washington und besucht dann Verwandte in Kansas, also ist niemand hier, außer einmal in der Woche der Gärtner. Es würde ja nicht schaden, wenn jemand alles ein bißchen im Auge behielte.«

Carlotta sah angewidert drein. »Harry…«

Harry grinste breit. Er hob die Rechte, als stehe er vor Gericht. »Kein Besuch, keine Freundinnen, keine Parties. Ich schwöre, daß ich keinem sag, wo ich mich aufhalte.«

»Dann ist es ja in Ordnung«, sagte Wes. »Dein Ehrenwort haben wir zur Kenntnis genommen, und damit wäre das geklärt. Ich hab mir ein bißchen Sorgen gemacht, wo ich doch jetzt – wenn man von den ApolloBesatzungen absieht – auf eine weitere Reise gehe, als je ein Amerikaner gegangen ist. Ich hab mir ein bißchen Sorgen gemacht, weil ich Carlotta hier lasse. Es ist ein gutes Gefühl, daß du da bist und das Haus hütest.« Schaden kann es nicht, dachte Wes. Bei Harry mußte man seine Worte vorsichtig wählen, aber im nüchternen Zustand war er ziemlich auf Draht. Außerdem log er nicht und würde eher von einer Klippe springen als Freunde bestehlen.

»Was ist mit Schlüsseln?« sagte Harry. »Und mit der Alarmanlage?«

»Ach, richtig.« Das würde kompliziert werden. Wes sah Harrys eifrigen Gesichtsausdruck und wußte, daß es bereits zu spät war. Dann besser die Sache gleich richtig machen. »Das schreib ich dir alles genau auf. Hier in der Schublade sind tausend Dollar in kleinen Scheinen, fürNotfälle. Ausschließlich. Wir lassen das Geld hier. Es ist nicht einfach zu finden.«

Carlotta sah erneut zu ihm hin, und Wes lächelte. Sie kannte Harry nicht, sonst hätte sie gewußt, daß er das Geld nie und nimmer anrühren würde, wenn man ihm sagte, wo es war. Wenn er es beim Herumstöbern fand, was gar nicht ausbleiben konnte, käme er womöglich auf den Gedanken, er müsse irgend etwas damit tun, um den Dawsons zu helfen. Harry neigte dazu, es sich einfach zu machen, aber klaren Anweisungen widersetzte er sich nicht.

»Du brauchst auch eine Art Beglaubigungsschreiben«, sagte Wes. »Und vielleicht eine Telefonnummer, damit deine Freunde wissen, wo sie dich erreichen können.«

»Eure würde ich denen nicht geben«, sagte Harry.

»Das können Sie ruhig tun«, sagte Carlotta. »Die Nummer von dem Apparat da wird ungefähr jeden Monat geändert.« Sie wies auf das oberste der drei Telefone. »Sagen Sie nur keinem die anderen Nummern.«

Wes spannte einen Briefbogen in die Maschine, um für die Polizei eine Erklärung abzufassen, während Carlotta Harry zeigte, wie er die Alarmanlage scharfmachen und abschalten konnte. Sie hatte Vorbehalte. Mir gefällt das auch nicht, dachte Wes, aber was hätte ich tun sollen? Etwa Harry auf die Straße setzen? Außerdem kann er sich nützlich machen und…

Es war höchste Zeit zu gehen. Wes warf einen Blick auf den Fernseher, dem unaufhörlich Geplapper über die Außerirdischen entströmte, sowie Spekulationen über das, was Amerika bevorstand, und er grinste breit. Ich werde es eher wissen als die. Aus erster Hand! Er nahm sein Gepäck und machte sich zur Kellergarage auf. Bevor er den Wagen erreichte, hatte er den Roten Harry schon vergessen.


* * *

»FÜNF«, sagte die tonlose Stimme im Kopfhörer. Großer Gott, ich hab’s geschafft.

»VIER.« Wes Dawson versuchte, sich zu entspannen, das aber gelang ihm nicht. Der Countdown ging weiter. »DREI. ZWEI. EINS. ZÜNDUNG. ERSTE STUFE! WIR HEBEN AB.«

Tatsächlich. Ein riesiger Elefant hockt mir auf der Brust. Wes nahm undeutlich wahr, daß seine Gefährten in der Raumfähre jubelten. Er versuchte, sich jeden einzelnen Augenblick dieses großartigen Erlebnisses zu merken, aber es nützte nichts, alles ging viel zu rasch.

»ABSPRENGEN.« Als sich die beiden Feststoffbooster lösten, die man später aus dem Atlantik bergen würde, änderte sich das Dröhnen in der Kabine deutlich wahrnehmbar. Der Eindruck, daß ein schweres Gewicht auf ihn drücke, dauerte an, während die Haupttriebwerke des Shuttle weiter Schub gaben. Nach einer Weile wurde das Dröhnen leiser, allmählich verringerte sich der Druck, der auf ihm lastete. Stille und das Gefühl zu fallen. Schwarzer Himmel und der blauweiße Planet Erde. Endlich war Wes Dawson im Weltraum.

Ed Gillespie ging als erster hinaus. Wes wartete ungeduldig, während Ed den Besatzungsmitgliedern der sowjetischen Raumstation Kosmograd half, zwischen ihr und der Raumfähre eine Vertäuung herzustellen. Die Fähre war für ein Ankoppelmanöver viel zu groß – zumindest war ihnen das als offizieller Grund genannt worden.

Endlich konnte Dawson die Luftschleuse betreten. Der ihm als Begleiter zugeteilte Captain John Greeley würde als letzter von Bord gehen, und Ed Gillespie würde ihn draußen erwarten. Bestimmt ist Ed stinksauer, daß Greeley und ich an Bord von Kosmograd gehen und er die Fähre zurückfliegen muß. Na ja.

Noch einmal ging Wes die Prüfliste des Raumanzugs durch. Die Leuchtanzeige auf seiner Brust war vollständig grün, und er drückte auf den Knopf der Luftschleuse. Ein leises Jaulen ertönte.

Er bewegte sich mit äußerster Vorsicht. Vor ihm lag nichts als der leere Raum. Er dachte an die Schulphysik und an das, was er als Heranwachsender in der Science FictionLiteratur gelesen hatte: der Weltraum verzeiht auch einem mächtigen und einflußreichen Kongreßabgeordneten nicht den kleinsten Fehler. Er hörte die Luftschleuse sich zischend entleeren; aus seinem Druckanzug, der den Steuerzahler immerhin eine Million Dollar gekostet hatte, entwich keine Luft. Er hatte alles richtig gemacht.

Das Zischen und Jaulen hörte auf. Dann blinkte die Luftschleusen Anzeige grün über rot. Ein Kloß saß in seinem Hals. Physik hin oder her: sein Körper wußte, daß er fallen würde. Es war anders als beim ÜbungsFallschirmspringen, da gab es den Wind, der nach einigen Sekunden den sich beschleunigenden Sturz bremste, so daß es sich anfühlte, als werde man gehoben. Aber hier strömte ihm nur die Atemluft aus der Preßluftflasche ins Gesicht.

Die Außentür öffnete sich, und das Universum sprang ihn an.

Die sowjetische Raumstation sah aus wie ein Hammer mit Flügeln, der unaufhörlich kreiselte. An einem Ende des langen Gangs, der den Hammerstiel bildete, lagen drei Zylinder nebeneinander, ehemalige Treibstofftanks. Der Wohnbereich war offensichtlich erweitert worden. Er enthielt nur wenige Fenster, und alle waren winzig. Keine besonders gute Aussicht von hier oben. Am besten hake ich das Touristische gleich ab.

Um das andere Ende des Gangs herum lagen Sonnenkollektoren. Vermutlich gab es auch eine vom Wohntrakt isolierte Atomkraftanlage. Warum sonst wäre der Verbindungsgang so lang? Andererseits half die Länge natürlich bei der Erzeugung von Rotationsschwere…

In der Mitte, gegenüber einem vierten Tank, der als Versuchslabor für Arbeiten in der Schwerelosigkeit diente, lag die HauptLuftschleuse. Von ihr zur Raumfähre lief eine Verbindungsleine, und dahinter durchquerte eine riesige blaue Kugel langsam einen tiefschwarzen Himmel.

Umlaufbahn! Schwerelosigkeit! Er hatte es geschafft! Aber auf welch seltsamem Weg…

Es war einmal ein kleiner Junge, der Astronaut werden wollte.

Als junger Mann hatte er seine Hoffnungen schwinden sehen. Im Juli 1969 waren nach achtjährigen Raumfahrtbemühungen Männer auf dem Mond gelandet, und 1980 hatte ein offizieller Sprecher der NASA erklärt, keinesfalls könnten die Vereinigten Staaten im Verlauf des nächsten Jahrzehnts noch einmal auf den Mond gelangen, ganz gleich, welche Anstrengungen sie unternahmen. Das Raumfahrtprogramm war nahezu auf Null zurückgefahren worden. Die Amerikaner hatten den Mond erobert… und hörten dann einfach auf.

Die im Rennen um den Mond ursprünglich abgeschlagenen Sowjetrussen erneuerten ihre Bemühungen systematisch, während die Amerikaner die Hände in den Schoß legten. Jeder neue Griff nach dem Weltraum gestaltete sich etwas schwieriger als der vorige. Es war nicht mehr so spektakulär wie in den Anfängen, aber hinter allem steckte grundsolide Arbeit.

Ein zorniger Mann war in die Politik hineingewachsen. Nicht zuletzt dank Wes Dawsons Bemühungen nahmen die Vereinigten Staaten erneut ihr Raumfahrtprogramm auf. Man begann mit Raumfähren oder Raumgleitern, bemühte sich dann um Industrieansiedlungen im All, aber alles ging viel zu langsam.

Wieder setzte der kalte Krieg ein, mit allem, was dazugehörte. In Leitartikeln amerikanischer Zeitungen und in Fernsehkommentaren wurde gefragt: Wozu sollen wir die Russen im Weltraum herausfordern? Es gibt dort nichts. Oder umgekehrt: Die Russen sind so stark, daß man sie gar nicht herausfordern kann. Oder auch: Warum ein Wettrüsten beginnen, das niemand gewinnen kann? Ein Trommelfeuer aus den Medien drohte dem Griff Amerikas nach dem Weltraum ein Ende zu bereiten.

Dann hatte sich ein Fleck am Nachthimmel gezeigt: und nun sah ein mächtiger, entschlossener Politiker bei bester Gesundheit über dreißig Meter Verbindungsleine hinweg auf eine sowjetische Weltraumstation, die er als offizieller Beauftragter seines Landes besuchte.

Es war ein Weg in den Weltraum; aber es wäre verrückt gewesen, ihn so zu planen.

»Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl.« Das sowjetische Besatzungsmitglied erwartete Wes draußen. Er hielt sich an einem Griff neben der Tür der Luftschleuse, denn er schwebte schwerelos. Seine ganze Haltung schien auszudrücken: seht, für einen Sowjetbürger ist das leicht. Wir besitzen die nötige Erfahrung.

Wes Dawson konnte hinter dem getönten Helmvisier Ed Gillespies Gesichtsausdruck nicht erkennen. Ed wartete.

»Mir geht es blendend! Blendend!« Wes blieb unsicher in der Luftschleuse stehen. Zwar war der Weltraum wunderbar, aber auch von einschüchternder Größe! Wes war beschwingt, und so klang auch seine Stimme.

»Gut.« Der Kosmonaut schob etwas in Dawsons Handschuh, das einer Zange ähnelte; das andere Ende lag bereits um die Leine geschlossen. »Wenn Sie dann bitte kommen wollen…«

Wes faßte den Griff und schob sich langsam hinaus. Ed Gillespie tauchte neben ihm auf. Er sagte zwar nichts, aber dennoch war Wes dankbar: ein vertrauter Mensch in dieser seltsamen und großartigen Welt.

Erneut wurde die Luftschleuse aktiviert, und Greenley kam heraus. Auch ihm gab der Kosmonaut einen Leinengreifer. »Seien Sie unbesorgt, Ihnen kann nichts passieren. Sie müssen nur springen. Sobald Sie sich unserer Luftschleuse nähern, drücken Sie fest auf den Griff, dann setzt die Reibung die Geschwindigkeit herab.« Der Akzent des Russen war trotz der Übertragung der Stimme durch die Funkanlage des Raumanzugs unverkennbar.

»Prima.« Das meiste hatte man ihnen zwar in Demonstrationen am Boden vorgeführt, aber es war doch nicht dasselbe.

»Jetzt sind Sie auf sich allein gestellt«, sagte Ed Gillespie. »Auf Wiedersehen in Houston.« Er verabschiedete sich mit einem freundschaftlichen Schulterklopfen und stieg zurück in die Luftschleuse.

»In Ordnung. Grüßen Sie Linda von mir.« Wes sprach mechanisch. Er sah auf den Kosmonauten und holte tief Luft.

Der Russe sprang.

Dawson wartete, bis er auf der anderen Seite angekommen war, erst dann sprang er auch. Es kostete Überwindung, immerhin fiel er ja bereits. Ein guter Sprung… Vielleicht hatte er sich etwas zu heftig abgestoßen… Die Schleuse näherte sich rasch… Der Fall verzögerte sich überhaupt nicht! Dawson bremste zu früh und blieb in einer gewissen Entfernung von der Luftschleuse in der Luft hängen.

Von hinten prallte Captain Greeley auf ihn, ein massiger Mann, der sich in jungen Jahren Lorbeeren als Spielmacher im Football erworben hatte. Seine muntere Stimme klang in Wes’ Kopfhörer etwas dünn. »Keine Sorge, Sir. Lockern Sie einfach den Griff ein bißchen.« Wes befolgte den Rat, gab die Leine frei und ließ sich von Greeley in die Luftschleuse bugsieren.

Hinter der Schleuse wurden sie von mehreren Besatzungsmitgliedern erwartet. Unter ihnen war eine Frau von etwa Mitte Vierzig. Ein Beinloser trieb auf Wes zu und half ihm mit kundiger Hand, den Helm abzunehmen. Niemand sprach.

»Hallo!« sagte Wes.

»Hallo«, brummelte die Frau.

Die Schleuse öffnete sich, und der Kosmonaut kam herein. Der Beinlose half auch ihm, seinen Helm zu öffnen. Der Kosmonaut lächelte breit. »Willkommen auf Kosmograd. Ich bin Rogatschow.«

»Ah! Vielen Dank«, sagte Wes. »Ich hatte nicht damit gerechnet, daß mich der Kommandant persönlich an Bord geleiten würde…«

»Ich geh gern nach draußen«, sagte Rogatschow. »Hab sowieso viel zu selten Gelegenheit dazu.«

Die anderen wirkten jetzt freundlicher.

»Ich stelle Ihnen rasch die Genossen vor«, sagte Rogatschow. »Wenn wir die Anzüge abgelegt haben, können wir Sie richtig willkommen heißen. Die Erste Stellvertretende Kommandantin Aljana Alexandrowna Tutsikowa. Stellvertretender Kommandant Dmitri Parfenowitsch Gruschin. RaumstationsIngenieur Ustinow.«

Alle drei standen nebeneinander, die Tutsikowa war Dawson am nächsten. Für sein ungeschultes Auge sahen sie alle typisch russisch aus. Im Gang befanden sich weitere Besatzungsmitglieder, einschließlich des Beinlosen, sie aber wurden nicht vorgestellt.

Da Händeschütteln in einem schwerkraftlosen Raum schwierig sein würde, unternahm Wes gar nicht erst den Versuch dazu. Die Tür der Luftschleuse öffnete sich erneut und ließ Captain Greeley ein. Wieder half der beinlose Kosmonaut beim Abnehmen des Helms. Rogatschow führte die anderen bereits den Korridor entlang, so daß Wes gar nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen.

»Dort«, sagte Rogatschow, »wird Ihnen Mitja beim Ablegen Ihrer Raumanzüge helfen und Ihnen anschließend zeigen, wo wir Sie erwarten.« Der Ton in seiner Stimme änderte sich. »Nikolai.«

»Ich komme«, sagte der Beinlose und schob sich hinter Rogatschow.

Das kleine Abteil, in das Wes geführt wurde, war geräumiger, als er erwartet hatte. Es gab darin eine gewisse Schwerkraft, kaum spürbar, aber doch genug, daß Gegenstände auf einer Fläche hafteten. Wes legte sich hin, damit ihm der Raumanzug ausgezogen werden konnte.

Mitja sah anders aus als die anderen. Er war klein, fast zwergenhaft, und sein Gesicht wirkte asiatisch, tatarisch. Er sprach unablässig, während er dem Neuankömmling aus dem Raumanzug half. Allerdings verstand Dawson kein Wort davon. Mitja schien etwas Englisch zu verstehen.

Dawson bekam eine Art dunkelblauen Mechanikeranzug. Auf der linken Brustseite stand sein Name in lateinischen und kyrillischen Buchstaben, außerdem war ein Wappen mit dem stilisierten hammerähnlichen Emblem Kosmograds aufgenäht. Es trug einen roten Stern sowie das CCCP der Sowjetunion.

Aha, also deshalb sollte ich keine eigene Kleidung mitbringen. Sie wollen, daß ich ihre Uniform trage. Lächelnd griff Wes in eine kleine Tasche seines Raumanzugs, entnahm ihr eine bunte Anstecknadel mit der Flagge der USA und befestigte sie über dem Wappen Kosmograds. Dann sah er Mitja ins Gesicht.

Der Mann lächelte breit, sagte etwas Unverständliches und wartete, bis Wes die Kombination überzog.


* * *

Sergeant Ben Mailey war es gewohnt, Besuchergruppen zu führen, und auch bedeutende Leute waren ihm nichts Neues – doch eine Gruppe wie diese hatte er noch nie gesehen. Er hörte auf das unaufhörliche Geplapper hinter sich. Drei Männer und zwei Frauen saßen in einem für eine weit größere Anzahl von Passagieren gebauten Hubschrauber. Vom Gelände in Colorado Springs zum CheyenneBerg war es nur ein LuftHüpfer. Für Mailey ergab die Hälfte dessen, was sie sagten, keinen Sinn.

Er warf einen Blick auf die Liste seiner Fluggäste, zwei Paare und eine einzelne Frau. Der Große, der den Ortskundigen mimte, war Curtis aus Hollywood. Seine Stimme übertönte mühelos den Lärm des Hubschraubers. Nicht nur teilte er den anderen mit, was er über die Gegend wußte, sondern enthüllte auch zahlreiche Geheimnisse des CheyenneBergs, was Mailey gar nicht gefiel. Wie, zum Teufel, war der bloß reingekommen? Denn ›drin‹ mußte er gewesen sein.

Spielt eigentlich keine Rolle, sie sollen doch alle rein. Vielleicht ist es gar nicht so einfach, wieder rauszukommen…

Als Curtis eine Pause eintreten ließ, fragte eine dunkelhaarige, hochgewachsene Frau: »Müßten nicht eigentlich wir die Außerirdischen da oben begrüßen?«

»Wer weiß, vielleicht kommt es noch soweit. Jedenfalls ist Wes Dawson schon oben, und er ist begeisterter SFLeser. Er war genau wie Sie beim ersten Vorbeiflug am Saturn dabei, Sherry. Sagt Ihnen das nichts? Der Kongreßkandidat mit Baseballmütze.«

»Nein.«

»Nun ja, er hat sich auf den Bildschirm konzentriert, statt Volksreden zu halten. Erinnern Sie sich jetzt?«

»Ich…«

»Wenn Sie in der Regierung was zu sagen hätten – von wem würden Sie sich dann über Außerirdische informieren lassen? Von uns! Ich würde gern wissen, wer auf den Einfall gekommen ist.«

Das Lachen der grauhaarigen Frau klang angenehm und silberhell. Ihr Mann war nicht in Uniform, aber aus dem Ausweis, den er Mailey gezeigt hatte, war ersichtlich, daß er eine hätte tragen können, obwohl er damit dann wohl der älteste Marineleutnant im Lande gewesen wäre. Er hatte einen kugelrunden Kopf und einen bleistiftschmal gestutzten Schnurrbart. Maileys Liste zufolge handelte es sich bei ihnen um Robert und Virginia Anson aus Santa Cruz. Sie wirkten zu alt für – was auch immer da im Berg vor sich gehen sollte. Mit Sicherheit wußte Mailey nur eins: es gab eine unmittelbare Anweisung des Präsidenten bezüglich dieser neuen Beratergruppe, und so etwas hatte er noch nie zuvor erlebt.

Sie sollten nicht etwa General Deighton vortragen, der das nordamerikanische Luftverteidigungskommando NORAD befehligte und sich ständig im Berg aufhielt, sondern dem Nationalen Sicherheitsrat.

Anson beugte sich auf seinem Sitz vor, und Mailey bemerkte, daß die anderen aufgehört hatten zu reden und sich ihm zuwandten. »Wir werden es bald sehen«, sagte er.

»Klar«, sagte einer, »Bob, wir vertrauen Ihnen so sehr, daß wir Ihnen blind in die Hölle folgen würden, aber – was sollen wir hier eigentlich?«

»Noch zehn Minuten.« Anson sah zu Mailey. »So lange dauert es noch, bis wir drin sind.«

Mailey nickte. »Ja, Sir.« Noch einer, der in dem Loch gewesen sein mußte. Sie hatten so eine bestimmte Art, das Wort ›drin‹ auszusprechen.

»Auf jeden Fall«, fuhr Anson fort, »werden wir ebensoviel ebenso rasch erfahren wie irgend sonst jemand in den Vereinigten Staaten. Das hat mir Admiral Carrell versichert.«

»Klingt gut«, sagte jemand. »Und wir kriegen Zuhörer, die Rat suchen und die Möglichkeit haben, ihn zu befolgen! Herz, was willst du mehr?«

Virginia Anson lachte silberhell. Erneut beugte sich Robert Anson vor, und erneut verstummten alle anderen. Manchen Generälen bringt man weniger Respekt entgegen als dem da, dachte Mailey.

Der Hubschrauber setzte zur Landung an.


* * *

Jenny sah der Gruppe zu, die dem Hubschrauber entstieg, und verbarg ihr ungutes Gefühl. Sie ließ die Besucher für den kurzen Weg von der Landeplattform zum Eingang in den Kombi steigen.

Sie selbst war erst einigemal ›drin‹ gewesen, und es war jedesmal ein eindrucksvolles Erlebnis. Der Wagen fuhr durch Tore, hoch wie ein ganzes Haus, und mitten in den Berg hinein…

Immer weiter ging es. Schließlich hielten sie an und betraten einen Aufzug, der so groß war, daß auch noch der Kombi hineingepaßt hätte.

Niemand redete mehr.

Die Gebäude standen auf mannshohen Schraubenfedern. Von ihnen und den Granitwänden rundherum abgesehen, hätten die Gebäude ganz normale Kasernen und Büros der Militärverwaltung sein können.

Jenny gab den Besuchern eine Stunde, um sich einzurichten. Die meisten waren schon nach der Hälfte der Zeit im Einweisungsraum. Sie wartete die ganze Stunde ab. Das Innere des Raumes war wie ein Kino eingerichtet, mit Klappsesseln in Reihen hintereinander. Soldaten wiesen den Besuchern ihre Sitze an, mit einer gewissen Zurückhaltung, als wüßten sie nicht genau, was sie von ihren Gästen halten sollten.

Jenny ging zur Tafel.

Als dann einer der Militärs begann: »Ich vermute, daß Sie sich alle fragen, warum ich Sie hergebeten habe«, antwortete ihm allgemeines Gelächter. Das machte die Sache sehr viel einfacher.

»Wahrscheinlich fragen Sie sich tatsächlich«, sagte Jenny. »Admiral Carrell hat eine Expertengruppe damit beauftragt, den Nationalen Sicherheitsrat hinsichtlich des außerirdischen Raumschiffs zu beraten. Zu dieser Gruppe gehören Sie.«

»Klingt vernünftig. Wer sonst versteht was von Außerirdischen?«

Sie sah auf ihren Sitzplan. Curtis. Sie nickte. »Als erstes werden wir Ihnen erklären, warum Sie hier und nicht in der Akademie bei Ihren Kollegen und den Anthropologen sind. Diese Gruppe hier nimmt an, daß uns die Außerirdischen feindlich gesonnen sind, die anderen hingegen das Gegenteil. Unsere Gruppe wird also die mögliche Bedrohung einzuschätzen versuchen – wir sind sozusagen der Krisenstab.«

Alle sahen nachdenklich drein. Dann hob sich eine Hand. Erneut warf Jenny einen Blick auf den Sitzplan. »Ja, Miss Atkinson?«

»Können wir uns aussuchen, zu welcher Gruppe wir gehören wollen?«

»Jetzt nicht mehr«, sagte Jenny.

»Schade.«

»Ich hielt es für wichtig, Sie bei uns zu haben, Sherry«, sagte Anson. »Wir anderen sind vergleichsweise hysterisch, deshalb wollte ich unbedingt einen intelligenten und zugleich gelassenen Menschen in dieser Gruppe haben.«

Sherry Atkinson ließ sich wieder auf ihren Sitz sinken.

»Ich fürchte, es wird alles ein wenig hektisch zugehen«, sagte Jenny. »Man wird Sie intensiv in die Materie einführen.«

»Gibt es denn über die Außerirdischen so viel zu wissen?«

»Eigentlich sehr wenig, Dr. Curtis. Trotzdem werden Sie mit den strategischen Waffensystemen der Vereinigten Staaten und der UdSSR vertraut gemacht. Eine der Möglichkeiten, die Admiral Carrell gern untersuchen würde, besteht darin, daß sich die Außerirdischen mit den Sowjets gegen uns verbünden könnten.«


* * *

Akademiemitglied Pawel Bondarew hatte den riesigen Ledersessel vor seinem Schreibtisch dem Fenster zugedreht, damit er das Schwarze Meer sehen konnte. Draußen war es angenehm, und drinnen auch. Seine Sekretärin saß auf seinem Schoß und knöpfte langsam ihre Bluse auf.

Weit besser als erwartet! Er besaß mehr Macht und Ansehen, als er je für möglich gehalten hätte. Sein Vergnügen war noch dadurch gesteigert worden, daß Marina und sein Sohn am Gestade des Schwarzen Meeres Ferien gemacht hatten. Jetzt saßen sie in einer Maschine nach Moskau.

Natürlich konnte es nicht lange dauern. Bald würden die Außerirdischen kommen, und alles würde anders. Wie, darüber konnte er nur Vermutungen anstellen.

Vielleicht bin ich tatsächlich der richtige Mann für diese Aufgabe. Ich kenne nur wenige, die es hätten schaffen können, und von denen sind zwei unzuverlässig…

Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Berichte der sowjetischen Militärführung. Der umfangreichste war der des strategischen Raketenkommandos. Bondarew wußte schon lange, daß die Sowjetunion Tausende von InterkontinentalRaketen mit Atomsprengköpfen besaß, jetzt hatte er auch Angaben darüber, wo sich jede einzelne von ihnen befand und auf welches Ziel sie gerichtet war.

Auch ihre Zuverlässigkeit kannte er, und die war nicht besonders groß. Trotz der vollständigen Mobilmachung war nahezu ein Viertel der RaketenBedienungsmannschaften nicht einsatzbereit, und die Generalität nahm an, daß höchstens zwei Drittel der verbleibenden verfügbar sein würde, wenn es darum ging, die Raketen abzufeuern.

In den Berichten war genau angegeben, welche Raketen auf neue Ziele umprogrammierbar waren und welche nicht. Einige ließen sich auf Objekte im Weltraum richten, andere hingegen lediglich auf Bodenziele, weil man ihre Gefechtsköpfe erst nach Wiedereintritt in die Atmosphäre zünden konnte.

Er wollte jetzt die Berichte nicht sehen, sondern in diesen wenigen Augenblicken seine ganze Aufmerksamkeit Lorena zuwenden. Aber seine Gedanken eilten ihm davon…

Er gebot über eine große Streitmacht, mit der er die Vereinigten Staaten angreifen konnte, und eine kleine, die einen Feind im Weltraum zu bekämpfen imstande war, sofern sich das als notwendig erweisen sollte. Es war unmöglich abzuschätzen, zu welchen Leistungen sie fähig war, solange man über das ihnen entgegenstürmende Raumschiff der Außerirdischen nicht das geringste wußte. Was für Verteidigungseinrichtungen besaß es? Wie stabil war sein Rumpf, und wie nahe würde es der Erde kommen?

Vermutlich lauter überflüssige Erwägungen. Die greifen bestimmt nicht von sich aus an. Falls aber doch, habe ich Kräfte, mit denen ich ihnen in den Arm fallen kann. Jedenfalls einige. Ich müßte mich mal genauer darum kümmern, was mir eigentlich zur Verfügung steht.

Es dürfte nicht einfach sein, die Zielvorgaben mit den Zahlen über die Bereitschaft und die Zuverlässigkeit zu kombinieren. Als Ergebnis war höchstens ein Näherungswert zu erwarten. Gut, daß ich das mache. Viele Offiziere verstehen nichts von Mathematik. Ich könnte es auch nicht rechtzeitig schaffen, wenn nicht…

Er ließ den Blick zu einem Maschinentisch neben seinem Schreibtisch wandern. Dort stand ein PersonalComputer amerikanischer Herkunft. Ein leicht zu bedienendes, ausgezeichnetes Gerät. Zum Lieferumfang hatten einige Statistik- und WahrscheinlichkeitsrechnungsProgramme gehört, die er seinen Bedürfnissen angepaßt hatte.

»Jetzt kümmerst du dich aber nicht um die Maschine«, sagte Lorena, die seinem Blick gefolgt war, mit fester Stimme und führte seine Hand an ihre Brust.

Obwohl er den Anruf erwartet hatte, zuckte er zusammen. Er nahm die Hand aus Lorenas Bluse. Der Apparat, der da klingelte, gehörte zu einer Sicherheitsleitung, die ständig an eine SprachverworfelungsEinrichtung angeschlossen war. Man hatte ihm gesagt, nicht einmal der KGB könne Gespräche auf ihr mithören. Er glaubte das zwar nicht, aber es war besser, sich das nicht anmerken zu lassen. Er nahm ab. »Akademiemitglied Bondarew.«

»Narowtschatow. Die ›Stimme Amerikas‹ sagt, daß die Amerikaner an Bord sind.«

»Das habe ich gehört. Ich konnte alles ausgezeichnet hören, völlig störungsfrei.«

Narowtschatow lachte leise. »Warum sollen wir uns einmischen, solange sie unsere Arbeit tun? Aber es ist ein gutes Zeichen. Unsere Mobilmachung hat sie nicht verärgert.«

»Das glaube ich auch nicht«, sagte Bondarew. »Ich habe sehr darauf geachtet, daß nichts außer Kontrolle gerät.«

»Bist du jetzt mit den Vorbereitungen zufrieden?«

»Ich denke schon. Gruschin berichtet, daß an Bord der Raumstation alles wohlauf ist. Die strategischen Raketenstreitkräfte sind in Alarmbereitschaft versetzt, die Flotte ist ausgelaufen, aber die Luftstreitkräfte halten ihre Maschinen am Boden, so daß die amerikanischen Überwachungssatelliten sie sehen können. Das hatte allerdings seinen Preis. Generaloberst Achmanow hat sich als unwillig zur Mitarbeit erwiesen und ist durch General Tretjak ersetzt worden. Die Übergabe ist ohne Zwischenfälle verlaufen, Achmanow ist jetzt Generalinspekteur im Verteidigungsministerium.«

»Hm. Du gewöhnst dich, wie es scheint, an die militärische Befehlsgewalt. Vielleicht werde ich dich zum General ernennen.«

»Schaden könnte es nicht«, sagte Bondarew. Generäle haben enorme Vorrechte… »Ich habe Berichte von Gruschin und Rogatschow bekommen. Sie enthalten keine Widersprüche. Nikolai Nikolajewitsch, ich glaube, wir haben alles Menschenmögliche getan.«

»Alles, was wir tun können. Warum mache ich mir denn nur Sorgen?«

Bondarew lächelte ohne ein Zeichen von Spott. »Es gibt keine vergleichbare Situation. Weder die Geschichte noch die Theorie können uns hier weiterhelfen.«

»Ja, so ist es wohl.« Eine Pause trat ein. Nach kurzem Nachdenken sagte Narowtschatow: »Ab morgen geht diese Leitung direkt zum Vorsitzenden. Du wirst uns über sie auf dem laufenden halten.«

»Gewiß.« Sinnlos zu fragen, wo ihr beide euch aufhalten werdet. »Vielleicht könnten dich Marina und die Kinder besuchen?«

»Das ist bereits in die Wege geleitet.«

»Dann bleibt nichts weiter zu sagen.« Bondarew legte auf und sah nachdenklich aus dem Fenster.

»Du hast Angst«, sagte Lorena.

»Ja.«

9. Vorahnungen

Der Weltraum wird auf jeden Fall kolonisiert – wenn auch möglicherweise nicht von uns. Sofern wir den Mut dazu nicht aufbringen, gibt es genug andere Menschen auf diesem Planeten. Vielleicht sprechen die Baumannschaften Chinesisch, Russisch, Suaheli oder Portugiesisch. Für die Errichtung einer Raumstadt braucht man kein ›Gutes altes amerikanisches Fachwissen‹. Die Gesetze der Physik gelten für die anderen ebenso wie für uns.

ROBERT A. HEINLEIN


Zeit: Zwei Tage bis zur Stunde Null

Die Sitzung war auf neun Uhr vormittags angesetzt, aber noch eine Viertelstunde später trödelten einzelne in den Seminarraum. Einige hatten einen Kater. Zu spät ins Bett gekommen waren alle.

Nun ja, dachte Jenny, sie werden sich eben an den militärischen Tagesablauf gewöhnen müssen. Und wenn sie es nun nicht taten und erreichten, daß sich die Bewohner des Cheyenne Bergs dem Tagesablauf von Science FictionAutoren anpaßten? Bei dieser Vorstellung hätte sie beinahe haltlos losgekichert.

Kaum saßen sie auf ihren Plätzen, sprangen sie wieder auf und standen in Trauben beieinander. Die meisten redeten gleichzeitig. Mit den SFLeuten zu arbeiten war ein Erlebnis besonderer Art. Sie hatten vor nichts und niemandem Achtung, außer möglicherweise vor Mr. Anson.

Sie hatten die letzten Tage damit verbracht, die amerikanischen und sowjetischen Waffensysteme kennenzulernen. Jetzt war es Zeit festzustellen, was über die Außerirdischen bekannt war.

Dabei gibt es gar nichts zu wissen. Unsere besten Aufnahmen zeigen keine Einzelheiten des Raumschiffs. Wir wissen lediglich, daß es gigantisch ist.

Der Mann mit dem Walroßschnurrbart begann zu sprechen, bevor Jenny den Mund auftun konnte. »Major Crichton, ich vermute, daß die Regierung bei der Kontaktaufnahme mit den Außerirdischen ebensowenig Erfolg hatte wie alle Funkamateure, die das probiert haben?«

»Stimmt. Wir haben es auf jedem vorstellbaren Weg versucht.«

»Und auf einigen, auf die niemand verfallen wäre«, fügte Sherry Atkinson hinzu. Alle lachten, weil sie daran denken mußten, daß der Bürgermeister von San Diego alle Einwohner der Stadt dazu veranlaßt hatte, die Wohnungsbeleuchtung ein- und auszuschalten, während die Stadt genau im Sichtbereich des Raumschiffs lag.

»Ohne Ergebnis«, sagte Jenny. »Unsere exakteste Voraussage ist, daß das Raumschiff übermorgen ankommen wird. Irgendwann übermorgen. Genaueres läßt sich nicht sagen, weil es inzwischen unregelmäßig und unvorhersagbar beschleunigt und verzögert.«

»Als ob es nicht wollte, daß wir hinter seine GAZ kommen«, sagte Curtis.

»GAZ?« fragte Atkinson.

»Geschätzte Ankunftszeit«, sagte Jenny. »Ja, das haben wir auch schon überlegt.«

»Es kann aber auch bedeuten, daß seine Triebwerke nicht ordnungsgemäß funktionieren.« Atkinson sah nachdenklich drein.

»Oder daß den Außerirdischen die Begriffe Zeit und Regelmäßigkeit nicht viel bedeuten.«

»Quatsch«, sagte Curtis. »Als Raumreisende müssen sie Uhren haben.«

»Das heißt noch lange nicht, daß sie sie benutzen«, sagte jemand.

Jenny versuchte, sich durch den Lärm hindurch verständlich zu machen. »Lieutenant Sherrad wird zusammenfassen, was wir wissen.« Das allgemeine Gemurmel hörte auf.

Sherrad war ein Berufsoffizier der Marine, der darauf wartete, daß sein Fuß heilte, damit er wieder Borddienst tun konnte. Jenny wußte nicht genau, warum er nach Colorado Springs beordert worden war, aber sie wußte, daß der Admiral etwas von ihm hielt. Sein Vater war ein Schulkamerad Carrells gewesen. Vitamin B schien in der Marine noch verbreiteter zu sein als im Heer.

Er zeigte neue Vergrößerungen von Aufnahmen der Teleskope auf Mauna Kea aus den späten siebziger Jahren. Auf einigen sah man einen blitzenden Stern, der dann wohl das Raumschiff sein mußte, obwohl es damals niemandem aufgefallen war.

Nachdem er alle Bilder zweimal in der zeitlichen Reihenfolge gezeigt hatte, machte er Licht und wartete, als wolle er sein Publikum auf die Probe stellen.

» Schweinebande.«

»Was ist, Joe?«

»Die haben was abgeworfen.«

Sherrad nickte. »So sieht es aus.«

Vier Stunden hat es gedauert, bis ich das begriffen hatte, dachte Jenny. Vielleicht war es tatsächlich sinnvoll, diese Paradiesvögel hier zu versammeln.

»Wir vermuten, daß das Raumschiff aus der allgemeinen Richtung Centaurus gekommen ist, ein großes Objekt abgeworfen, die Sonne umflogen und sich dann dem Saturn zugewandt hat«, sagte Lieutenant Sherrad. »Und auf der ganzen Strecke hat es gebremst.«

»Dann wußten sie ja wohl, wohin sie wollten.«

»Nun, Dr. Curtis, so sieht es aus.«

Stimmen erhoben sich. »Na schön, dann haben sie am Saturn neuen Brennstoff aufgenommen.«

»Und warum nicht am Jupiter?«

»Die Verzögerung für Jupiter kostet sie weniger Deltav. Aber falls das eine Rolle gespielt hat, müssen die sich mit dem letzten Tropfen Treibstoff dahin gerettet haben.«

»Können wir es noch mal sehen?« bat Anson.

Sherrad wartete, bis Ruhe eingetreten war. »Gewiß. Wir haben auch die Computersimulation.«

Der Raum wurde erneut verdunkelt.

Schwarze Punkte lagen auf einem weißen Feld verstreut: ein Negativ des Nachthimmels. Astronomen arbeiteten im allgemeinen lieber mit Negativen; auf ihnen ließen sich die Sterne besser erkennen. Nach jeweils einigen Sekunden sprang das Bild. Die Sterne blieben, wo sie waren – die Aufnahmen lagen übereinander –, aber ein schwarzer Punkt sprang mit und wurde größer.

»Die stammen aus dem Observatorium auf Mauna Kea. Beachten Sie den hin und her springenden Punkt. Wir haben einige Diagramme angefertigt…«

Auf dem ersten sah man eine Kurve über dem Sternenhintergrund, die nicht sehr viel hergab.

»… so sähe es von oberhalb des Sonnennordpols aus.«

Drei schwachgekrümmte Linien strahlten von einem Mittelpunkt, der Sonne, aus. In seiner Nähe verliefen gestrichelte Linien – da hatte natürlich noch keine Kamera etwas erkennen können –, die fast den Rand der Sonne berührten. Mit seinem Lichtzeiger fuhr der Marinemann die Ankunftslinie entlang. »Es ist mit einer Geschwindigkeit von mehreren hundert Kilometern pro Sekunde angekommen«, sagte er, »und hat auf dem ganzen Weg gebremst. Natürlich wurde es nicht in Sonnennähe gesichtet, und damals hat auch niemand danach gesucht. Von dem hier…« – der Lichtzeiger beschrieb eine Linie nach außen – »haben wir nur drei Bilder, und natürlich könnten die auch gefälscht sein, Makulatur. Wenn sie echt sind, hat das hier die Sonne nicht unter Antrieb verlassen, sondern im freien Fall.« Die dritte Linie verlief nahezu parallel zur zweiten und krümmte sich dann von ihr fort. »Dieser Abschnitt wurde unter Antrieb zurückgelegt, und zwar wurde mit 2 G gebremst, mit Schwankungen. Wir haben fünf Fotos, danach ist es weg, aber es kann ohne weiters auf dem Weg zum Saturn gewesen sein.«

»Haut nicht hin«, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit.

Das Licht ging an. Der Marinemann fragte: »Wer hat das gesagt?«

»Ich.« Joe Ransom hatte einen phantasievollen Schnurrbart und gab sich so selbstsicher wie alle SFAutoren. »Sehen Sie mal: die haben was abgeworfen, um Treibstoff zu sparen. Vielleicht einen Zusatztank.«

»Ich würde es eher für eine Art V1Bombe mit Strahlantrieb halten, also eine Art BussardStaustrahl Triebwerb «, unterbrach ihn jemand.

Ransom machte eine ungeduldige Handbewegung. »Das spielt fast keine Rolle. Jedenfalls haben sie was abgeworfen, was sie brauchten, um hierherzukommen. Wahrscheinlich war das so geplant. Möglicherweise hätte ihr Treibstoff nicht gereicht, wenn sie nicht etwas – nun, etwasUmfangreiches abgeworfen haben, das sie nicht mehr brauchten, weil es seinen Zweck erfüllt hatte, sobald sie damit von Alpha Centauri oder wo auch immer hatten starten können. Sofern…«

Burnham setzte zu einem Einwand an, doch Ransom fiel ihm ins Wort. »Wir haben keine Möglichkeit herauszubekommen, was es war, und es ist auch gleichgültig. Sie haben es benutzt, um herzukommen, und es dann weggeworfen. Entweder setzen sie voraus, daß ihnen jemand ein neues baut, oder sie wollen nicht dahin zurückkehren, woher sie gekommen sind. Klar?«

Etwas Eiskaltes knotete sich in Jennys Eingeweiden zusammen. Sie wollen nicht zurückkehren. Vielleicht ist der Einfall mit dem Krisenstab gar nicht so schlecht. Ich muß den Admiral anrufen.

Unterdessen stritten die Anwesenden lautstark miteinander. Jenny erhob ihre Stimme, um wieder für Disziplin zu sorgen. Der Lärm verminderte sich auf etwa die Hälfte. »Mr. Ransom, Sie haben Alpha Centauri gesagt. Warum?«

»Aufs Geratewohl. Die drei Sterne liegen uns am nächsten, und zwei davon sind Gelbe Zwerge, sehr ähnlich unserem Stern.«

»Sterne?«

»Ja, der unserem Sonnensystem nächste Stern, den wir als Alpha Centauri bezeichnen, ist in Wirklichkeit ein Doppelsternsystem, zu dem noch ein schwacher Roter Zwerg gehört.«

»Interessant«, sagte Lieutenant Sherrad. »Unsere Astronomen haben erklärt, daß das Objekt aus der Gegend des Centaurus gekommen ist. Ist Alpha Centauri tatsächlich eine Möglichkeit?«

Wieder diskutierte alles durcheinander. Diesmal ließ Jenny es eine Weile hingehen. Ihre Geduld wurde belohnt, als Curtis mit lauter Stimme forderte: »Können wir mal abstimmen? Wer ist für Alpha Centauri?«

Zwei Hände gingen hoch.

»Und wer ist dagegen?«

Drei. Die drei übrigen hatten keine Meinung.

»Sherry? Warum bist du gegen Alpha Centauri?«

»Wade, du kennst doch die vielen anderen Möglichkeiten! In unserer Nähe gibt es fast ein Dutzend Gelber Zwerge, und wir wissen nicht mal, ob die Außerirdischen überhaupt von dieser Art Stern gekommen sind!«

»Bob, und du bist dafür.«

Der breitschultrige, weißhaarige Mann mit der bunten Weste lachte und sagte: »Zuerst war ich es nicht, weil es zu blöd klingt, zu abgedroschen. Das aber liegt daran, daß viele SFAutoren es benutzt haben. Die aber haben es getan, weil es dafür eine ganze Reihe guter Gründe gibt. Warum sollten sich die Außerirdischen nicht auf die Suche nach dem nächstliegenden Stern machen, der ihrem eigenen ähnelt? Und viele gelbe Sterne gibt es in der Richtung nicht, Sherry. Der Sternhaufen gruppiert sich um Prokyon, Tau Ceti und…«

»Genau darauf wollte ich hinaus«, sagte Dr. Curtis. »Es ist abgedroschen. So wie ich es sehe, sind sie bestimmt von Alpha Centauri gekommen. Sonst hätten sie einen riesenlangen Weg zurücklegen müssen. Und wenn sie ihr halbes Schiff unterwegs abgeworfen haben – sehen Sie, was ich meine?«

Burnham sagte: »Das ist sicher ihre erste Reise. Ihre Fähigkeit, mit uns zu sprechen, wird nicht hoch entwickelt sein. Vermutlich werden sie uns von einer entfernten Umlaufbahn aus im Auge behalten.«

»Vielleicht ist es ganz gut, daß die Sowjets nicht an sie ran können. Sonst würden sie noch abhauen.«

»Die Sache hat immer noch nicht das richtige Format. Wir hätten ihnen bis in die Gegend des Saturn entgegenfliegen müssen, einfach, um ihnen etwas mehr Achtung abzunötigen…«

»Inzwischen könnten wir ein Hotel auf Titan haben…«

Es ging wieder los. Aus dem allgemeinen Stimmengewirr heraus hörte Jenny Curtis sagen: »Eins ist sicher. Sie sind von weit her gekommen, die nächste Frage lautet also: Was wollen sie?«


* * *

Arwid Pawlowitsch Rogatschows Arbeitsraum war, gemessen an den Möglichkeiten der Raumstation, ziemlich groß. Ein großer Teil seiner Einrichtung schien erst nachträglich dorthin gebracht worden zu sein: die Kochplatte, das geschwungene Sofa, das die Stelle der ursprünglich vorgesehenen Luftmatratze einnahm und sogar das Fenster, das ein Transporter von der Erde gebracht und das man in eine Rumpföffnung geschweißt hatte. Es bestand aus einer dickwandigen Kiste und zwei Glasscheiben, zwischen denen eine Masse lag, die im nahezu luftleeren Raum aufschäumte und hart wurde. Immerhin ließ es Licht durch, so daß der Kommandant die Sterne sehen konnte.

Sie flogen links und rechts vorüber, während Rogatschow in einem Plastikbeutel Teepulver mit heißem Wasser vermischte. Er goß den Tee in zwei Becher und gab einen davon seiner Stellvertreterin.

»Zwölf können auf der Raumstation Unterkunft finden«, sagte er, »und zwölf sind an Bord, vier davon ausländische Beobachter. Noch nie hat es an Bord eines Raumfahrzeugs ein so wichtiges Ereignis gegeben, und ausgerechnet jetzt ist Kosmograd nicht nur bis zum Stehkragen vollgestopft, sondern hat zugleich nicht genug Leute für die zu erledigenden Aufgaben.«

»So schlimm ist es nun auch wieder nicht«, sagte Aljana Alexandrowna Tutsikowa. »Denken Sie daran, daß uns mit Bezug auf das außerirdische Raumschiff die Hände gebunden sind. Wir können ihm nicht entgegenfliegen, denn wir haben keinen Antrieb.«

»Weder das noch Waffen. Wir könnten nicht einmal fliehen.«

»Genau. Es wird herkommen. Wir genießen das Vorrecht zuzusehen. Ich finde, daß wir eigentlich recht privilegiert sind.«

»Möglich.« Arwid lächelte. »Es trifft sich gut, daß unsere Besucher nicht besonders flüssig miteinander reden können.«

»Das stand in ihren Akten.«

Daß Arwid keiner Akte traute, war Aljana bekannt.

Sie fuhr fort: »Der Nigerianer, Giorge, spricht recht gut Englisch. Er hat in England die Schule und anschließend die Patrice Lumumba Universität in Moskau besucht, aber nur wenig Russisch gelernt. Sein Lieblingsthema ist die wirtschaftliche Unabhängigkeit Nigerias. Es fällt mir übrigens schwer, ihm ins Gesicht zu sehen – er ist geradezu unheimlich schwarz.«

»Die Außerirdischen werden noch ganz anders aussehen, aber lassen wir das«, sagte Arwid. »Er verbringt seine gesamte Zeit mit Dmitri Parfenowitsch und Wes Dawson. Das wäre an und für sich recht gut, nur hat Dmitri versucht, Dawson zu seinen eigenen Ansichten zu bekehren, und Dawson versucht ab und zu, Giorge klarzumachen, was vor sich geht. Er kann komplexe Zusammenhänge gut erklären.«

»Könnten wir nicht mal mit Dmitri reden?«

Arwid lachte. »Soll ich etwa unserem PolitKommissar Anweisungen darüber geben, wie er die Heiden zu bekehren hat? Aljana, mir liegt nichts an Konvertiten.«

Sie lachte. Nach der amtlichen Lesart war Dmitri Gruschin Vizekommandant und Informationsoffizier auf der Raumstation, aber für beide Aufgaben nur unzulänglich qualifiziert. Daran zeigte sich seine Herkunft aus den Rängen des KGB überdeutlich. »Nigeria und Frankreich sind für uns keine Bedrohung, und Proselyten sollten wir lieber woanders machen – beispielsweise aus dem ehrenwerten Dawson.«

»Ich glaube, daß sein Volk da eine gute Wahl getroffen hat. Er brennt förmlich darauf, die Bekanntschaft Außerirdischer zu machen. Aus seiner Akte geht hervor, daß er sich geradezu mit Gewalt hierher gedrängt hat. Obwohl ich nur wenig von amerikanischer Politik verstehe, muß ich allerdings gestehen: ich kann mir nicht recht vorstellen, daß ein bloßer Kongreßabgeordneter den Präsidenten der Vereinigten Staaten sehr weit in eine Richtung drängen kann, in die er nicht ohnehin zu gehen gesonnen war.«

Aljana lächelte breit. »Dawson hat mehr auf dem Kasten als Dmitri. Bestimmt haben sie ähnliche Positionen?«

Rogatschow zuckte die Achseln. »Das glaube ich zwar nicht, aber es ist wohl auch unerheblich.«

»In Dawsons Akte heißt es, daß er liberal sei.«

»Das war vermutlich ein Agent, der zu faul war, selbst zu recherchieren. Vermutlich hat er es aus einer Zeitung abgekupfert! Dawson hat das amerikanische Raumfahrtprogramm rückhaltlos unterstützt.« Rogatschows Gesicht nahm einen Ausdruck an, den er nicht vielen Menschen zeigte: ein geradezu schuldbewußtes Lächeln. »Ich habe ihn gründlich im Auge behalten. Er ist grün vor Neid, seit er sich an Bord befindet. Nicht einmal die Konstruktion gefällt ihm. Er weiß haargenau, wie er die Raumstation bauen würde, wenn es seine wäre. Daß es keine amerikanische ist, bringt ihn auf die Palme!«

Aljana lächelte zurück. »Wenn wir das nötige Geld hätten, würden wir ja wohl auch Verbesserungen vornehmen, oder? Nun schön. Dr. Beaumont als Mitglied der KPF seit zwanzig Jahren dürfen wir wohl als Verbündete betrachten. Sie ist eigentlich recht hübsch, finden Sie nicht auch?«

»Nun ja, klassisch und streng, aber doch, ja, ganz ansehnlich.«

»Haben Sie schon Annäherungsversuche unternommen?«

Arwid lachte. »Sie dürfte kaum interessiert sein. Sie spricht nur wenig Englisch, aber ich habe dafür gesorgt, daß sie gelegentlich mit Dawson zusammen war, um zu sehen, was passierte.«

»Und?«

»Er zeigt durchaus Interesse… aber Captain Greeley und Giselle Beaumont haben mehr Zeit miteinander verbracht. Ich finde das merkwürdig.«

Aljana nickte verständnisvoll. »Er sieht gut aus, ist drei Jahre jünger als die Französin… und vierzehn Jahre jünger als ich. Ich könnte mir denken, daß Greeley gern Öffentlichkeitsarbeit, Wahlkampfleitung oder etwas in der Art machen möchte, dennoch scheint er es darauf angelegt zu haben, Giselle in sein Bett zu kriegen. Er konkurriert da mit einem Mann, der für seine Karriere nützlich sein oder ihm Steine in den Weg legen kann.«

Rogatschow zuckte die Achseln. »Manche Männer haben einfach wenig Herrschaft über ihre Keimdrüsen.«

»Was würden Sie denn tun? Vermutlich Ihrem Vorgesetzten helfen, die Frau zu verführen, und damit etwas Gutes für Ihre Karriere tun.«

»Zu solchen Winkelzügen brauche ich keine Zuflucht zu nehmen. Greeley allerdings hätte ich so etwas zugetraut.«

»Er kennt Dawson besser als wir. Vielleicht ist Dawson ein Homo…«

»Das stünde in seiner Akte. Und wenn es den Amis nicht bekannt wäre – wüßte es der KGB.«

Arwid goß aus dem Kunststoffbeutel Tee nach. (O ja, hätte er die Mittel zur Verfügung, würde er durchaus einiges ändern. Pfui Teufel – Pulvertee! Ein Samowar würde schließlich nicht so viel Platz beanspruchen.) »Ich plaudere gern mit Ihnen, Aljana.«

»Wir sprechen aber auch über Fragen der Sicherheit, nicht wahr?«

»Möglich. Aber die gehören nicht zu meinen Aufgaben. Die Entscheidungen sind bereits getroffen, und nicht von mir. Ich persönlich würde allenTouristen in dieser schwierigen Zeit das Betreten der Raumstation untersagen. Aber der Vorsitzende legt großen Wert auf die Meinung der Weltöffentlichkeit.«

»Das finde ich grundsätzlich durchaus sehr beunruhigend.«

»Nur geht so etwas allzu häufig einer Invasion voraus. Nun, diesmal vielleicht nicht. Mütterchen Rußland begrüßt die ersten Besucher aus dem interstellaren Raum. Sie werden als erstes hierherkommen; kein intelligentes Wesen läßt bei der Landung einen potentiellen Feind über sich. Dieser Erfolg wird die Mondlandung der Vereinigten Staaten in den Schatten stellen.«

»Brauchen wir unbedingt Besucher, die unserem Triumph zusehen? Man könnte das Ganze doch aufzeichnen und im Fernsehen übertragen.«

»Ich kann mir einen weiteren Zweck des Unternehmens denken. Wenn die Außerirdischen ankommen, sieht es so aus, als verträten wir die ganze Welt… Es spielt keine Rolle. Sicherheitsfragen betreffen mich nicht. Ich kann unseren ausländischen Besuchern verbieten, bestimmte Teile der Station zu betreten, und der Besatzung, technische Einzelheiten mit ihnen zu besprechen. Trotzdem kann das eine oder andere durchsikkern, das ist nun einmal so. Aber der Vorwurf dafür wird nicht Arwid Rogatschow treffen.«


* * *

Der Kleinlaster keuchte den Coldwater Canyon hinauf. Harry saß im Fahrtwind fröstelnd hinter der Kabine auf der Pritsche und hielt seine alte Gitarre an sich gepreßt. Für einen Maitag in Los Angeles war es ausgesprochen kalt. Doch kalt oder nicht, der Kleinlaster war besser, als zu Fuß zu gehen. Es war nett von Arline, ihn mitzunehmen. Nur schade, daß noch fünf andere Leute mitfuhren, sonst hätte er nicht auf der Ladefläche zu sitzen brauchen.

Es war ein schöner Abend in der Sunset Bar gewesen, wo er spielte, damit man ihn freihielt und ihm vielleicht auch etwas Kleingeld zukommen ließ. Früher einmal hatte sich Harry für einen guten Unterhaltungskünstler gehalten, aber damit war seit seinen beiden Autounfällen Schluß. Immerhin ging er seither am Krückstock, und das hing nicht nur mit der anwaltlich verordneten Fettleibigkeit zusammen. Es war schlimmer als nur Pech. Kopf und Rücken schmerzten, und er verfluchte die beiden Mistkerle, die ihn auf diese Weise zum Krüppel gefahren hatten. Bei der Gelegenheit fluchte er gleich mit auf die Versicherungsgesellschaften, die trotz der Ratschläge seiner Anwälte, psychische Dauerschäden und Arbeitsunfähigkeit geltend zu machen, keinen roten Heller herausrückten.

Ruby drängte sich an ihn. Die Wärme tat ihm wohl. »Kommst du mit zu mir?« fragte sie.

»Täte ich rasend gern«, sagte Harry. Wer schläft schon gern allein? »Aber du weißt ja, ich muß auf ein Haus aufpassen.«

»Dann nimm mich doch einfach mit.«

»Das geht nicht«, sagte Harry. Er wollte es nicht. Ruby war vor zehn Jahren eine liebevolle, angenehme Partnerin gewesen, und nicht nur im Bett. Naiv, aber nett. Vielleicht hatte er erwartet, daß sie erwachsen würde, aber nein – gewachsen war sie, und zwar vor allem in die Breite: sie wog bestimmt ihre achtzig Kilo. Damals war sie sanft und anschmiegsam gewesen. Jetzt, da sie schwabbelig war, fiel ihre geringe Intelligenz noch mehr auf. Arline, ja, das wäre was, aber die lebt bei ihrem Alten, und mit dem ist nicht zu spaßen.

Einen Augenblick lang erwog Harry den Gedanken. Arline käme bestimmt mit. Es würde ihr im Haus Dawsons riesig gefallen. Aber…

dein Ehrenwort haben wir zur Kenntnis genommen. Mist! Der Wagen war jetzt ganz in der Nähe. Harry klopfte an die Scheibe der Kabine. Der Kleinlaster fuhr an den Straßenrand. Er kletterte herunter und winkte Arline zu. »Danke«, rief er.

»Bist du sicher, daß du allein klarkommst?« fragte sie.

»Bestens«, sagte Harry. Er wartete, bis sie den Hügel hinauf und um eine Kurve verschwunden war und machte sich dann auf den Anstieg zu Dawsons Haus.

Das würde ihm guttun, mußte es einfach. Seine Beine kamen ihm schon viel muskulöser vor als noch vor einigen Tagen.

Er spürte die kleine Beretta schwer in seiner Hemdtasche. Ihm war klar, daß er sie hätte zu Hause lassen müssen. Besonders viel nützte sie mit dem mickrigen Kaliber 6,35 mm nicht, und wenn ihn die Bullen damit erwischten, würden sie nur um so schlimmer auf ihm herumhacken. Aber es war alles, was er hatte, und in dieser Gegend gab es nun einmal ein paar böse Menschen.

Die einzige Waffe ist es ja nicht, dachte er. Er hatte sich im Haus umgesehen – Wes hatte bestimmt damit gerechnet und ihm wohl deswegen auch das Geldversteck verraten. Dabei hatte er die Militärpistole vom Kaliber 11,43 mm gefunden, die Wes auf Harrys Rat für Carlotta gekauft hatte, doch die hatte sie dagelassen. Da es allerdings nicht seine Waffe war, mußte er sie im Hause lassen. Es gäbe einen Riesenskandal, wenn man ihn mit einer auf den Namen eines Kongreßabgeordneten eingetragenen Schußwaffe faßte.

Der Berg wurde mit jedem Tag steiler. Wie sollte er nur sein Gewicht da hinaufbekommen!

Es ist wirklich gut für mich. O Gott, ich muß das Motorrad reparieren lassen. Ich hat für eine Anzahlung genug zusammen. Sie können den Motor überholen, und vielleicht krieg ich mit Singen so viel zusammen, daß ich die Maschine abholen kann. Was brauch ich Getränke, ich sing einfach da, wo es gutes Trinkgeld gibt. Ich kann unmöglich weiter diesen Berg raufklettern!

Und dann die Lebensmittel. Ich eß ja kaum noch was Anständiges.

Die erste Woche war es nicht schlimm gewesen. Da der Kühlschrank gut bestückt war, hatte er erst Gemüse und Omeletts, dann Tiefkühlkost und schließlich Konserven gegessen. Aber jetzt aß er Schlankheitskost, die Carlotta vor langer Zeit zuwider geworden war.

Nein danke! Zwar schmeckt es nicht ganz so abscheulich, wie ich gedacht hätte, und ich könnte hier glatt abnehmen. Aber wenn ich so ‘ne Dose aufmach, riecht es wie Katzenfutter, und das Zeug sieht auch so aus. Carlotta weiß bestimmt, warum sie die Kur vor zwei Jahren abgebrochen hat! Nicht mal ‘n Ei zum Drüberhauen ist im Haus.

Er ließ die Gitarre aus der linken in die rechte Hand wandern. Das einzig Eßbare im ganzen Haus waren Frühstücksflokken. Ich muß unbedingt den Motor überholen lassen.

Morgen, dachte Harry. Wieder wechselte er die Gitarre von einer Hand in die andere. Ausbauen kann ich ihn selber, aber dann muß ich mir Arlines Kleinlaster leihen, um ihn wegzubringen.

Zog man in Dawsons Küche eine Schublade ganz heraus, wurde dahinter eine kleinere Schublade sichtbar, die tausend Dollar in FünfzigerScheinen enthielt. Ein guter Einbrecher würde sie finden und damit verschwinden, dachte Harry, und das war wahrscheinlich auch der Zweck der Übung. Bestechungsgeld, damit die Einbrecher nicht im Hause alles verwüsteten. Gott sei Dank – brauchte er es nicht. Er hatte für die Anzahlung genug zusammen.


* * *

Jenny erhob sich rasch, als Admiral Carrell in ihr winziges Büro im Keller des Weißen Hauses trat.

»Behalten Sie Platz!« befahl er. »Ich bin alt genug, um mich unbehaglich zu fühlen, wenn Damen vor mir aufstehen. Haben Sie Kaffee?«

»Ja, Sir.« Sie holte Tassen aus der Schreibtischschublade und goß sie aus einer Thermoskanne voll.

»Recht anständig. Natürlich nicht so gut wie Marinekaffee. Mit dem kann man Wandfarbe abbeizen. Haben wir aus dieser Affenhorde was rausbekommen?«

»Ja, Sir«, sagte Jenny.

»Das klingt erstaunt.«

»Admiral, das war ich auch. Ich hatte die ganze Sache für Zeitverschwendung gehalten, aber als die SFBurschen richtig loslegten, waren sie gar nicht schlecht.« Sie öffnete einen Ordner auf dem Schreibtisch. »Beispielsweise das hier. Als das Raumschiff vor fast fünfzehn Jahren in unser Sonnensystem eingedrungen ist, waren einige Teleskope, unter anderem auch auf Mauna Kea, dorthin gerichtet. Damals hat niemand etwas bemerkt, aber wenn wir wirklich danach gesucht hätten…« Sie zeigte ihm die Aufnahmen.

»Sieht für mich aus wie Kleckse.«

»Ja, Sir. So haben wir das alle gesehen. Aber die SFLeute vertreten die Ansicht, daß das außerirdische Raumschiff eine Art BussardStaustrahl Triebwerk abgeworfen hat.«

»Ein was?«

»Ein BussardStaustrahl Triebwerk, Admiral.« Sie sah auf ihre Notizen und las ab. »Luftleerer Raum ist nicht leer. Zwischen den Sternen gibt es Wasserstoff. Das StaustrahlTriebwerk kann ihn als Treibstoff nutzen. In der Theorie lassen sich damit große Raumschiffe zwischen den Sternen antreiben. Es arbeitet mit starken Magnetfeldern und…«

»Die technischen Einzelheiten ersparen Sie mir bitte.«

»Ja, Sir. Entscheidend ist, daß sie etwas Großes abgeworfen haben, etwas, das sie vielleicht noch einmal brauchen könnten, wenn sie unser Sonnensystem verlassen wollen.«

»Und das bedeutet, daß sie bleiben wollen«, sagte Admiral Carrell unbewegt.

»Ja, Sir!«

»Die hätten uns auch vorher fragen können. Das klingt ja fast, als ob sie uns keine Wahl lassen wollten.« Er erhob sich. »Nun, wir werden es ja bald wissen.«

»Ja, Sir.«

»Meinen Glückwunsch für Ihre Arbeit mit der Beratergruppe. Vielleicht kann ich von dort noch mehr Spekulationen bekommen.«

»Wollen Sie mit den Leuten arbeiten, Sir?«

»Warum eigentlich nicht? Der Präsident hat beschlossen, daß irgendein Verantwortlicher im CheyenneBerg sein muß, wenn die Außerirdischen ankommen. Und das soll allem Anschein nach ich sein.«

»Eine gute Wahl«, sagte Jenny.

Carrell lächelte mit schmalen Lippen. »Ich denke auch.«

»Nichts, das nicht in den Unterlagen steht. Ich habe die Sache mit dem strategischen Luftkommando und dem Oberbefehlshaber der Marineeinsätze besprochen. Ab morgen nachmittag gilt Gelber Alarm.«

Gelber Alarm. Feuermannschaften in den Raketensilos, alle raketentragenden UBoote auf See. Bomber einsatzbereit aufgetankt, Bomben an Bord, Besatzungen in Unterkünften neben der Startbahn. »Ich hoffe sehr, daß es sich dabei um eine überflüssige Maßnahme handelt.«

Admiral Carrell nickte zustimmend. »Ich auch, Major. Ob nun nötig oder nicht, ich breche heute nachmittag auf. Vorher müssen wir die Sache noch mit dem Präsidenten besprechen. Ich lasse Ihnen eine Stunde Zeit, damit Sie alles, was wir wissen, in zehn Minuten zusammenfassen können.«


* * *

Jeri Wilson warf den Rest ihres Gepäcks in den Kombi und schlug die Heckklappe zu. Dann lehnte sie sich atemlos dagegen. Es war warm, die Sonne schien, aber der Morgendunst verbarg noch die Berge um das San FernandoTal. Sie sah auf ihre Uhr. »Elf, und ich bin reisefertig«, erklärte sie.

Isadore Leiber warf einen mißtrauischen Blick auf den tief in den Federn hängenden alten Buick. »Das schaffst du nie«, sagte er. Clara stimmte ihm kopfnickend zu.

»Auf der ganzen Strecke sind die Straßen gut ausgebaut«, erwiderte Jeri. »Ich hab genug Zeit und brauche nicht zu rasen. Ihr müßt aufpassen, ihr habt den längeren Weg.«

»Stimmt«, sagte Isadore. »Jeri, überleg’s dir! Komm mit uns!«

»Nein. Ich fahr zu meinem Mann.«

Clara sagte, ihr Gesicht in bedenkliche Falten gelegt: »Jeri, er ist ja gar nicht…«

»Doch. Die Scheidung ist noch nicht rechtskräftig. Außerdem ist das mein Problem. Vielen Dank, daß ihr euch meinen Kopf zerbrecht, aber ich kann mich um mich selbst kümmern.«

»Das bezweifle ich«, sagte Isadore unverblümt.

Melissa kam mit ihrem großen Teddy heraus. Gott sei Dank hatte sie, von dem Goldfisch abgesehen, keine Tiere, und ihn hatte Jeri, während ihre Tochter schlief, in die Toilette gespült.

Isadore wies auf eine Eintragung in seinem Notizbuch. »Ist das die richtige Adresse und Telefonnummer?«

Sie nickte.

»Caddoa, Colorado«, sage er. »Noch nie gehört.«

Jeri hob die Schultern. »Ich auch nicht. David hält es zwar für verrückt, aber irgend jemand glaubt, daß man da Öl finden kann.«

»‘n richtiges Drecknest, was?«

»Ich glaub schon. Harry hat mir die Straßen aufgezeichnet.«

»Ach der«, sagte Clara verächtlich.

»Harry ist in Ordnung«, sage Jeri. »Ich hab mich außerdem beim Automobilclub erkundigt, und die haben mir bestätigt, daß die Strecke durchgehend gut ausgebaut ist. Isadore, Clara, es ist wirklich lieb von euch, daß ihr euch um mich Sorgen macht, aber ihr habt jetzt genug getan. Geht lieber, sonst werden George und Vicki noch wütend auf euch.«

»Ja«, sagte Isadore. »Das wäre mir wirklich nicht recht…«

»Na eben«, sagte Jeri. »Grüßt die Wagenburg. Melissa, steig ein, wir fahren los! Clara, wenn man dich sieht, sollte man glauben, daß du nicht damit rechnest, mich je wiederzusehen!«

»Entschuldige.« Clara versuchte zu lachen, aber es gelang ihr nicht besonders gut.

»Weißt du Genaueres?« fragte Jeri.

»Ein bißchen«, sagte Isadore. Er schien zu zögern, fügte aber schließlich hinzu: »George hat auf Kurzwelle was aufgeschnappt. Alle strategischen Streitkräfte sind in Alarmbereitschaft. Außerdem gibt es irgendwelche Schwierigkeiten in Rußland, meint er. Ich weiß aber nicht genau, was das sein soll.«

»George hört dauernd Sachen über Schwierigkeiten in Rußland «, sagte Jeri.

»Ja, aber er hatte auch schon recht. Erinnere dich, wie er damals die Regierungsumbildung vorausgesagt hat…«

Jeri zuckte die Achseln. »Zu spät, um sich darüber Sorgen zu machen.« Sie stieg ein und ließ den Motor an. »Noch einmal vielen Dank«, rief sie, während sie anfuhr.

Der Buick ruckte schwerfällig an, und sie fragte sich, ob sie ihn nicht überladen hatte. Der Wagen war nicht nur alt, sie hatte ihn im letzten Jahr ziemlich vernachlässigt. Die Federung ist schwammig, und ich hätte auch die Bremsen nachsehen lassen müssen. Der Motor ist ewig lange nicht eingestellt worden und – ach was! Wenn ich noch länger warte, fahre ich womöglich nie ab.

Er hat es nicht über sich gebracht, ja zu sagen, aber jedenfalls hat er nicht nein gesagt. Und das genügt mir! »Melissa, schnall dich an! Wir haben einen langen Weg vor uns.«

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