Gewaltsamer Widerstand stellt ein Problem dar, aber manchmal ist es schwerer, mit gewaltlosem Widerstand umzugehen.
Hans Rebka fühlte sich wie ein Boxer: Er erwartete einen Schlag, der jedoch nie kam. In gewisser Weise wartete er immer noch.
»Die haben sich nicht dagegen gewehrt?«, fragte er.
Max Perry nickte. »Doch natürlich! Zumindest dieser Nenda. Aber dann hat er gesagt, jetzt habe er vom Dobelle-System endgültig die Nase voll, und wir könnten uns sein Zugangsgesuch sonstwohin stecken, und er würde jetzt hier abhauen, so schnell er könne. Und er ist auch schon weg.«
»Was ist mit Darya Lang und Atvar H’sial?«
»Lang hat kein Wort gesagt. Und wir haben nicht den Hauch einer Chance zu erfahren, was diese Atvar H’sial denkt, aber das, was dieser J’merlia gesagt hat, klang nicht allzu erbost. Die haben sich zum Schmollen auf irgendeine andere Schlinge zurückgezogen. Ich habe sie seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. Meinen Sie, wir müssen uns Sorgen machen?«
Die beiden Männer warteten die letzten Augenblicke ab, in denen die Kapsel, die sie nach Erdstoß bringen sollte, an ›Nabelschnur‹ ankoppelte. Sie hatten ihr Gepäck dabei, jeder eine kleine Tasche. Julius Graves stand neben dem Flugwagen, mit dem sie von der Sternenseite hierhergekommen waren, und mühte sich mit zwei schweren Koffern ab.
Sorgsam dachte Rebka über die Frage nach, die Perry ihm gerade gestellt hatte. Sein eigener Auftrag im Dobelle-System war eigentlich nur die Rehabilitation von Max Perry. Im Prinzip hatte das nicht das Geringste mit den Mitgliedern anderer Claden zu tun oder damit, wie diese hier behandelt wurden. Doch für jeden anderen auf Opal war er hier der Vorgesetzte, und mit diesem Posten kamen eben auch Verpflichtungen. Er hatte eine neue, verschlüsselte Nachricht aus dem Hauptquartier des Kreises erhalten, kurz bevor sie von der Sternenseite aufgebrochen waren; doch er machte sich keine allzu großen Hoffnungen, dass ihm diese Nachricht wirklich weiterhelfen würde. Ratschläge und Anweisungen aus weiter Ferne sind meist eher dazu geeignet, Probleme zu verschlimmern, statt zu ihrer Lösung beizutragen.
»Eigentlich hätten sie alle gegen die Ablehnung wesentlich vehementer protestieren müssen«, meinte er schließlich. »Vor allem Louis Nenda. Wie stehen die Chancen, dass er Opal verlässt und auf eigene Faust eine direkte Landung auf Erdstoß versucht? Er ist mit seinem eigenen Schiff angekommen.«
»Wir haben keinerlei Möglichkeit, ihn davon abzuhalten, genau das zu versuchen. Aber falls sein Schiff nicht darauf ausgelegt ist, auch ohne die Starthilfen eines Raumhafens abzuheben, dann steckt er in Schwierigkeiten. Vielleicht kann er Erdstoß ja tatsächlich erreichen, nur wird er höchstwahrscheinlich nie mehr davon wegkommen.«
»Und wie ist das mit Darya Lang und Atvar H’sial?«
»Unmöglich. Denen steht kein Schiff zur Verfügung, und sie werden auch keines mieten können, das für Interplanetarflüge geeignet wäre. Über die brauchen wir nicht weiter nachzudenken.«
Dann jedoch zögerte Perry. Er war sich selbst nicht sicher, ob diese Einschätzung wirklich stimmte. Es lag eine sonderbare Stimmung in der Luft, dieses Gefühl der letzten Ruhe vor einem wirklich gewaltigen Sturm. Und das lag nicht nur an den Wolkenbrüchen, die innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden Opal heimsuchen würden.
Es lag am Gezeitensturm, der hier drohend über allem zu schweben schien. In dreizehn Dobelle-Tagen sollte es so weit sein, und Mandel und Amarant wurden immer größer und immer heller. Die Durchschnittstemperaturen waren bereits um fünf Grad angestiegen, und die düsteren Wolken sahen mehr und mehr aus wie geschmolzenes Kupfer. Auch die Luft von Opal hatte sich verändert. Sie war jetzt von einem sonderbaren metallischen Beigeschmack geschwängert, der genau zu dem immer tiefer sinkenden Himmel passte. Der Staub, der beständig in der Luft hing, trocknete die Lippen aus, ließ Augen brennen und tränen, und Nasen juckten, ständig bereit zu niesen. Während gewaltige Gezeiten den Grund des Ozeans bis dicht an die Oberfläche herantrugen, entließen Seebeben und Eruptionen ihre reizenden Dämpfe und ihren Staub in die Atmosphäre.
Endlich hatte Julius Graves seine Koffer in einer für ihn akzeptablen Art und Weise in der untersten Ebene des ›Nabelschnur‹-Wagens verstaut. Er kam zu den beiden anderen Männern hinüber und starrte zu dem flackernden Himmel hinauf.
»Da zieht schon wieder ein Sturm auf. Ist ein guter Zeitpunkt, Opal zu verlassen.«
»Aber ein noch schlechterer Zeitpunkt, Erdstoß aufzusuchen«, erwiderte Perry.
Sie stiegen in die Kapsel. Perry legte seine persönliche ID vor und gab dann eine komplizierte Steuersequenz ein.
Die drei Männer blieben einander gegenüber reserviert und förmlich, sie fühlten sich sichtlich unwohl, während der Aufstieg begann. Als Perry Graves in aller Ruhe darüber informiert hatte, dass jeglicher Zugang zu Erdstoß bis zum Ende des Gezeitensturms untersagt sei, hatte Graves ebenso kühl die Autorität des Rates geltend gemacht: Er würde dennoch Erdstoß aufsuchen.
Perry hatte darauf hingewiesen, dass Graves nicht würde verhindern können, von Angehörigen der planetaren Sicherheitskräfte begleitet zu werden. Es lag in ihrer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass er dort nicht umkäme.
Graves hatte genickt. Jeder war höflich geblieben, niemand war zufrieden.
Die Spannung löste sich ein wenig, als die Kapsel schließlich die Wolkendecke von Opal erreichte. Jetzt hatten die drei Männer wieder etwas, worauf sie sich konzentrieren konnten. Auf der obersten Ebene war die Kapsel mit Schiebe-Sichtfenstern ausgestattet worden und dazu mit einem großen Fenster genau am oberen Ende. So hatten die Passagiere einen wunderbaren Ausblick auf alles rings um sie herum und über ihnen. Als dann Erdstoß durch die immer dünner werdende Wolkendecke zu erkennen war, verkümmerte jeglicher Versuch, Smalltalk zu betreiben.
Julius Graves blickte sich um, keuchte auf und starrte mit offenem Mund durch die Scheiben, während Max Perry nur einmal kurz nach oben schaute und sich dann in sich selbst zurückzog. Hans Rebka versuchte, einfach zu ignorieren, wo sie sich gerade befanden, und konzentrierte sich stattdessen auf die unmittelbar vor ihm liegenden Aufgaben. Perry mochte ja alles über Erdstoß wissen, und Graves mochte ein wahres Füllhorn an Informationen zu jedem Thema unter eintausend verschiedenen Sonnen sein, und dennoch hatte Rebka das Gefühl, als würde er auf Erdstoß auf die beiden aufpassen müssen.
Nur: aufpassen, während sie was taten? Er schaute sich um und bekam einen Anblick geboten, der jeden rationalen Gedanken schlichtweg aus seinem Hirn verbannte. Es war erst wenige Tagen her, seit Rebka nach Erdstoß gereist war, und dennoch sah jetzt nichts mehr so aus wie beim letzten Mal. Mandel, in ungeheuerlichem Maße angeschwollen, stand bedrohlich zur Linken des Planeten. Die von den Baumeistern konstruierte Außenhaut der Kapsel filterte die gefährliche harte Strahlung heraus, sodass die glühende Kugel des Sterns nur ein dunkleres Abbild ihrer selbst präsentierte, übersät von Sonnenfackeln, Sonnenflecken und rotbraunen Protuberanzen. Die Scheibe war so groß, dass Rebka das Gefühl hatte, er könne einfach die Hand ausstrecken und die rötliche Oberfläche berühren.
Amarant — jetzt kein ›Zwergstern‹ mehr — stand hinter Erdstoß am Himmel. Der Begleiter des Primärsterns hatte sich verwandelt. Er hatte sogar seine Farbe gewechselt. Rebka bemerkte wohl, dass das ein rein künstlich erzeugter Effekt war. Als die Scheiben der Kapsel ihre Durchlässigkeit veränderten, um die schädliche Strahlung von Mandel abzuschirmen, veränderten sie auch den Wellenlängenbereich, der von der Strahlung Amarants hindurchgelassen wurde. Und so wurde Orange-Rot zu glimmendem Purpur.
Selbst Gargantua war jetzt sichtlich auf dem Weg zur Zusammenkunft. Der Gasriese, auf dessen obersten Schichten sich das Licht sowohl von Mandel als auch von Amarant brach, war von einem winzigen Lichtpunkt in der Ferne zu einem daumennagelgroßen, grell-orangefarbenen Fleck geworden.
Die Partner waren da; die Schwerkraft brachte Veränderungen mit sich — der kosmische Tanz konnte beginnen. In den letzten Stunden des Gezeitensturms würden Mandel und Amarant einander mit weniger als fünf Millionen Kilometern Entfernung passieren — in stellaren Begriffen entsprach dies der Dicke eines Fingernagels. Gargantua würde nahe an Mandel vorbeiwirbeln, auf der anderen, Amarant abgewandten Seite, und die kombinierten Schwerefelder beider Begleiter würde seine Bewegung entlang der Umlaufbahn beschleunigen. Und das kleine Dobelle-System, das hier in diesem Syzygium gefangen war, würde hilflos hin und her taumeln, Kette und Schuss eines dynamischen Gravitationsteppichs.
Der Dobelle-Orbit war stabil; es bestand keinerlei Gefahr, dass Opal und Erdstoß sich trennten oder dass das Dublett in die Unendlichkeit geschleudert würde. Doch das war auch die einzige Zusicherung, die Astronomen zu machen bereit waren. Die Bedingungen an der Oberfläche von Opal und Erdstoß während dieses Gezeitensturms waren einfach nicht berechenbar.
Rebka starrte zu Erdstoß hinauf. Diese verhangen blaugraue Kugel erschien ihm von allen Himmelskörpern inzwischen am vertrautesten. Erdstoß hatte sich nicht merklich verändert, seit er, Rebka, das letzte Mal entlang ›Nabelschnur‹ dort hinaufgereist war.
Oder doch? Rebka schaute genauer hin. Wirkte der Planet im Ganzen ein wenig undeutlicher, weil der Staub in der hauchdünnen Atmosphärenschicht von Erdstoß dichter geworden war?
Es gab nur weniges hier draußen, was einen Reisenden von dem Anblick dort hätte ablenken können. Sie stiegen mit konstanter Geschwindigkeit auf, ohne dass man im Inneren der Kapsel eine Bewegung hätte wahrnehmen können. Nur einem sehr aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, dass der goldene Knoten von ›Mittelstation‹ gleichmäßig immer größer wurde, während die scheinbare Schwerkraft im Inneren der Kapsel ebenso gleichmäßig nach und nach abnahm. Die Fahrt fand nicht im freien Fall statt. Die Kraft der Masse nahm stetig ab, doch der einzige Teil dieser Fahrt, bei dem tatsächlich Schwerelosigkeit herrschen würde, waren die zweitausend Kilometer auf der anderen Seite von ›Mittelstation‹, bei denen sich sämtliche Zentrifugal- und Gravitationskräfte wechselseitig genau aufhoben. Danach kam dann der eigentliche ›Abstieg‹ zu Erdstoß, wenn die Kapsel wirklich auf den Planeten ›zustürzte‹.
Rebka seufzte und erhob sich. Es wäre nur zu einfach, sich von der Wolkenlandschaft hypnotisieren zu lassen, so wie Max Perry sich von Erdstoß hypnotisieren ließ. Und nicht nur Perry. Hans blickte zu Graves hinüber. Der Allianzrat war völlig in seinen eigenen Gedanken und Träumen versunken.
Rebka ging zur Rampe hinüber und ging dann den gewundenen Weg hinunter zur unteren Ebene der Kapsel. Die Kombüse hier war nur sehr primitiv. Es hatte allerdings für ihn keinerlei Möglichkeit gegeben, irgendetwas zu essen, seit sie von Sternenseite aufgebrochen waren. Er war hungrig und nicht wählerisch, und so bediente er die Wahlscheibe, ohne hinzuschauen. Geschmacksrichtung und Zutaten der Dosensuppe, die er angefordert hatte, waren ihm egal.
Mit ihren undurchsichtigen Wänden erschien Rebka der untere Teil der Kapsel geradezu niederschmetternd langweilig. Er ging zum Tisch und wählte ein Privat-Musikstück aus. Prä-Expansions-Musik, komplex, mehrstimmig, erklang direkt in seinem Kopf. Die fugenartig verwobenen Stimmen passten perfekt zu dem bevorstehenden Zusammenspiel von Mandel und seinem Gefolge. Zehn Minuten lang aß Rebka, lauschte der Musik und genoss so zwei der grundlegendsten und ältesten Freuden, die die Menschheit überhaupt kannte. Er fragte sich, ob die Cecropianer, bei denen es keine Musik gab, eine andere, eigene Kunstform kannten, die diesen Mangel ausglich.
Als das Musikstück geendet hatte, stellte er mit Erstaunen fest, dass Julius Graves vor ihm stand und ihn beobachtete.
»Darf ich?« Der Allianzrat setzte sich an den Tisch und deutete auf die leere Suppenschüssel. »Können Sie irgendetwas davon empfehlen?«
Rebka zuckte mit den Schultern. Was auch immer Julius Graves wirklich von ihm wollte, ›Empfehlungen zur Suppe‹ standen gewiss weit unten auf der Liste.
»Ist Ihnen jemals aufgefallen«, begann Graves, »wie unwahrscheinlich es ist, dass wir in der Lage sind, ohne allzu große fremde Hilfe die Lebensmittel von Tausenden verschiedener Welten zu essen und zu verstoffwechseln? Die Zutaten dieser Suppe wurden auf Opal produziert, und dennoch wird Ihr Magen keinerlei Schwierigkeiten haben, sie zu verdauen. Wir, die Hymenoptera und die Lebewesen der Cecropianischen Clade sind biologisch gesehen völlig unterschiedlich. Nicht eines von diesen Lebewesen basiert auf DNA. Und dennoch, dank der Hilfe einiger Stämme von Einzeller-Bakterien, die wir in unseren Mägen ansiedeln, können wir alle die gleichen Nahrungsmittel verwerten. Das ist schon überraschend, oder?«
»Schätze schon.«
Rebka verabscheute Gespräche, bei denen er mit Graves allein war. Diese blauen Augen, in denen beständig der Wahnsinn zu funkeln schien, machten ihm regelrecht Angst. Selbst wenn es eine völlig belanglose, einfache Konversation zu sein schien, vermutete er, dass es irgendeinen Hintersinn gab; nie wusste er, wie viel von dem, was gesagt wurde, von diesem Mnemotechnik-Zwilling stammte, und dieser Umstand trug beträchtlich zu seinem Unwohlsein bei. Steven hatte ein gewisses Faible für das Herunterbeten endloser Fakten und für alberne Witze, Julius für geistreiche Bemerkungen und Anspielungen. Das aktuelle Gespräch mochte reine Grübelei des einen sein oder eine sehr verschlagene Methode des anderen, ihn auszuhorchen.
Graves grinste in sich hinein. »Ich weiß, Sie halten es für nichts Besonderes, dass wir die Lebensmittel von Opal oder von Erdstoß verdauen können. Aber es ist etwas Besonderes! Zum einen entkräftet diese Tatsache eine alte, sehr beliebte Theorie, warum die Cecropianer und die Menschen sich nicht gegenseitig zerfleischt haben, als sie einander begegnet sind. Es heißt immer, sie seien einem Kampf ausgewichen, weil sie nicht an den gleichen Rohstoffen interessiert gewesen seien. Aber das ist Unfug. Sie sind nicht nur an den gleichen anorganischen Rohstoffen interessiert gewesen, den Metallen und den anderen Rohmaterialien, sie sind auch — dank ein wenig bakterieller Hilfe — in der Lage, die gleichen Lebensmittel zu verstoffwechseln. Ein Mensch könnte einen Cecropianer essen, sollte die Notwendigkeit auftreten. Oder eben anders herum. Und das bringt uns zu einem neuen Geheimnis.«
Rebka nickte aufmunternd, um anzudeuten, dass er sehr wohl zuhörte. Es war besser, hier eher als Stichwortgeber zu fungieren, denn selbst zu viel Worte zu machen.
»Wir schauen uns einen Cecropianer an«, fuhr Graves fort, »einen Lo’tfianer oder einen Hymenopter, und wir sagen: ›Wie fremdartig die doch sind! Wie anders als wir!‹ Aber das eigentliche Geheimnis verbirgt sich genau im Gegenteil dieser Aussage: Wir sollten uns besser fragen, warum wir einander eigentlich doch so ähnlich sind! Wie ist es möglich, dass Lebewesen, die sich in verschiedenen Claden entwickelt haben, die ihre Wurzeln auf unterschiedlichen Welten haben, die von Sonnen völlig anderer stellarer Klassifizierung gewärmt wurden, die durch völlig unterschiedliche Biologie und Biochemie voneinander geschieden sind, die nicht einen einzigen Punkt in ihrer Entwicklungsgeschichte gemeinsam haben — wie kann es sein, dass sie einander so ähnlich sind, ähnlich genug, um das Gleiche essen zu können? Dass ihre Körperformen so vergleichbar sind, dass wir Erd-Analoga benennen können — Cecropianer, Hymenoptera, Chrysemiden —, bei Lebewesen von derart weit entfernten Sternen. Dass wir miteinander reden können, auf die eine oder andere Art jedenfalls, und einander bemerkenswert gut verstehen. Dass wir im weitesten Sinne vergleichbare Verhaltensstandards besitzen. Sogar in so ausgedehntem Maße, dass ein gemeinsamer Ethik-Rat sich auf Regeln einigen kann, die für den gesamten Spiralarm gültig sind. Wie kann so etwas sein?
Aber der ganze Spiralarm ist ja voller Rätsel und Geheimnisse.«
Auf irgendetwas wollte Graves hinaus, dessen war sich Rebka sicher. Doch sein Gegenüber würde noch einen weiten Weg zurücklegen müssen, bis seine Worte Sinn ergeben mochten. Im Augenblick schien Graves lediglich eine Philosophie-Vorlesung zu halten.
»Viele Rätsel und Geheimnisse«, fuhr Graves fort. »Die Baumeister — natürlich. Was ist mit ihnen geschehen? Wie sah ihre Physiologie aus, wie ihre Geschichte, zu welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen kamen sie? Was ist die Funktion von ›Linse‹, von ›Paradox‹, von ›Leuchter‹ oder von den ›Phagen‹? Von allen Konstrukten der Baumeister sind die Phagen gewiss die sinnlosesten. Wenn man es Steven gestattet, dann wird er stundenlang über dieses Thema dozieren.«
Wieder nickte Rebka. Aber, Herr im Himmel, lass diesen Kelch an uns vorübergehen!
»Und dann gibt es weitere Rätsel, Rätsel jüngeren Datums, die mich immens verwirren. Denken Sie an die Zardalu! Vor ein paar Jahrtausenden haben sie über Tausende von Welten geherrscht. Von den Spezies, die sie sich unterworfen hatten, hören wir, sie seien tyrannisch gewesen, skrupellos, gnadenlos. Doch als ihr Reich zusammenbrach, haben genau diese Vasallen-Spezies rebelliert und jeden einzelnen Zardalu umgebracht. Völkermord. War dieses Vorgehen nicht barbarischer als alles, was die Zardalu selbst jemals getan haben? Hatten sie eine andere Vorstellung davon, was Ethik ist, eine Vorstellung, die für uns schlichtweg als solche nicht einmal erkennbar gewesen ist? Wenn ja, dann waren sie wirklich ›fremdartig‹; doch wir werden niemals erfahren, in welcher Hinsicht. Was hätte ein Ethik-Rat mit den Zardalu gemacht?«
… dass ein gemeinsamer Ethik-Rat sich auf Regeln einigen kann … Plötzlich sah Rebka die Qual in Graves faltigem Gesicht, und sofort schoss ihm dieser Halbsatz von vorhin wieder durch den Kopf. Wenn Graves eine alternative, andersartige Moral der Zardalu in Erwägung zog: Stellte Graves hier die Regeln in Frage, die sein eigener Rat aufgestellt hatte?
Graves blickte Rebka nicht in die Augen. »Manchmal frage ich mich, ob die Ethik-Richtlinien, für die wir uns entschieden haben, nicht vielleicht genau so lokal und so eingeschränkt sind wie unsere Körperformen und unsere Denkmuster. Die Baumeister verfügten über eine Technologie, die uns völlig fremdartig erscheint. Sie passt nicht zu unserer Weltsicht. Wir wissen nicht, wie sie ihre Artefakte konstruiert haben, wir wissen nicht, warum sie sie konstruiert haben. Und dennoch erzählen uns unsere Wissenschaftler, dass es nur einen einzigen, allgemein gültigen Satz Naturgesetze gibt, die auf das ganze Universum Anwendung finden — genauso wie unsere Philosophen uns erzählen, dass wir ein System universeller Ethik besitzen! Ich frage mich, ob die Ethik der Baumeister uns ebenso fremdartig erscheinen würde wie ihre wissenschaftlichen Leistungen. Oder ob sie, wenn sie in der Lage wären mitanzusehen, wie wir unsere unterschiedlichsten Spezies behandeln, nicht entsetzt wären über unsere Voreingenommenheit und unser mangelndes Urteilsvermögen.
Ich will damit sagen, dass wir alle noch etwas lernen müssen, Captain, und das ist das Folgende: Die Regeln, die von einem beliebigen Rat aufgestellt werden, müssen dynamisch sein. Ganz gleich, wie das von einem Durchschnittsindividuum gesehen werden mag, sie können nicht für alle Zeiten unveränderlich sein, in Stein gemeißelt und in Stahl gegossen! Wir müssen sie ständig hinterfragen. Stets auf der Suche nach Optimierung sein.«
Plötzlich warf Graves Rebka einen finsteren Blick zu, wandte sich um und eilte die Rampe zur oberen Ebene der Kapsel hinauf.
Rebka blieb sitzen und starrte ihm hinterher. In seinen letzten Sätzen hatte ein gewisser Kontrapunkt gelegen, fast als hätten zwei Stimmen gleichzeitig gesprochen. War es möglich, dass Julius und Steven Graves hier eine Art inneren Dialog geführt hatten, und Rebka war nicht mehr als ein zufälliger Zuhörer? Vielleicht wollte Julius in der einen Art und Weise handeln und Steven eben in genau der anderen?
Die Vorstellung war ungeheuerlich, aber auch nicht unwahrscheinlicher als die Entwicklung eines individuellen Bewusstseins in einem Mnemotechnik-Zwilling. Und wenn die Zusammenarbeit mit Julius Graves auf Erdstoß schon schlimm würde: die Zusammenarbeit mit einer instabilen Mischung aus Julius und Steven würde schlichtweg unmöglich sein.
Zwillinge, die innerhalb der gleichen Hirnschale ständig um die Macht stritten? Rebka erhob sich, und als er das tat, bemerkte er, dass das Deck viel weniger Druck auf seine Fußsohlen ausübte. Sein Körpergewicht betrug nur noch wenige Pfund. Sie mussten sich ›Mittelstation‹ nähern. Er hielt auf die Rampe zu und fragte sich, ob Max Perry immer noch stocksteif, wie festgefroren, in Richtung Erdstoß starrte. Rebka kam sich mehr und mehr vor wie der Wärter einer Horde hoch talentierter Bekloppter.
Bei seiner ersten Reise nach Erdstoß war Rebka recht erpicht darauf gewesen, ›Mittelstation‹ zu betreten und genauestens zu untersuchen. Die Menschen hatten die Station modifiziert, umgebaut und teilweise ausgeschlachtet; doch es war immer noch Baumeister-Technologie, und das machte ›Mittelstation‹ so faszinierend. Doch als Max Perry sich entschieden hatte, keine Zeit mit der Untersuchung von ›Mittelstation‹ zu verbringen — er hatte nicht aus freien Stücken darauf verzichtet — hatte Rebka, der selbst ebenfalls immens neugierig auf Erdstoß war, sich dieser Entscheidung nicht entgegengestellt.
Jetzt war es viel dringender erforderlich, Erdstoß zu erreichen — noch dreizehn Dobelle-Tage, dann würde der Gezeitensturm seinen Höhepunkt erreichen; das zumindest meldete Rebkas innere Uhr: nur noch einhundertundzehn Stunden! Los jetzt! —, doch ausgerechnet in dieser zeitlichen Bedrängnis bestand Perry plötzlich darauf, bei ›Mittelstation‹ einen Zwischenstopp einzulegen.
»Schauen Sie selbst!« Perry deutete auf die Statusanzeige der Kapsel. »Sehen Sie den Energieverbrauch? Der ist zu hoch!«
Rebka schaute hin und konnte mit dem, was er sah, nicht das Geringste anfangen, geschweige denn daraus eine Notwendigkeit gleich welcher Art ableiten. Das Gleiche galt für Graves. Wenn Perry sagte, dass hier irgendetwas nicht stimmte, dann mussten die anderen ihm glauben. Für Erfahrung gab es keinen Ersatz, und wenn es um ›Nabelschnur‹ ging, schlug Perry sie alle mit seinem Wissen.
»Sind wir in Gefahr?«, fragte Graves.
»Zumindest nicht unmittelbar.« Nachdenklich rieb sich Perry die Nase. »Aber wir können nicht riskieren, nach Erdstoß hinunterzugehen, solange wir nicht wissen, warum wir so viel mehr Energie verbrauchen als sonst. Wir dürfen nicht das Risiko eingehen, dass uns beim Abstieg die Energie ausgeht. Und die Zentralsteuerungen befinden sich alle auf ›Mittelstation‹. Wir werden dort anhalten und herausfinden müssen, was eigentlich los ist.«
Auf seine Anweisung hin hatte die Kapsel sich bereits von ihrer unsichtbaren Führung gelöst und schwenkte nun dem deformierten Rumpf zu, der zu ihrer Linken die Hälfte des Himmels bedeckte.
Als die Menschen ›Mittelstation‹ seinerzeit entdeckten, war dieses Artefakt nichts anderes als ein luftleeres, gewaltiges Gewölbe im All gewesen, mit einem Durchmesser von drei Kilometern, aber dabei fast völlig leer. Die Wände waren transparent. In einem Raumanzug war damals jemand zu der Seite hinübergeschwebt, die in Richtung Opal wies, und hatte festgestellt, er falle leicht in diese Richtung; einmal kräftig von der glasartigen Außenwand abgestoßen, schwebte er quer durch das Innere des Konstruktes. Dort trieb er weiter und weiter, wurde dabei ein wenig langsamer, bis die gegenüberliegende Außenwand ihn schließlich aufhielt. Die Station markierte exakt den Schwerpunkt des gekoppelten Systems von Opal und Erdstoß.
Wozu die Baumeister ›Mittelstation‹ genutzt hatten, wusste niemand. Das jedoch war den meisten Menschen egal. Sie hatten die offene Sphäre mit einer Reihe miteinander verbundener Druckkammern ausgestattet, sie in ein vorübergehendes Habitat und Lager verwandelt, in dem alles Erforderliche aufbewahrt wurde, von Thermostiefeln bis hin zu gefriergetrockneten Lebensmitteln. Vermutlich als Reaktion auf einen uralten Instinkt, was den Bau von Höhlen betraf, hatte man auch die Außenwände mit einem glänzenden, undurchsichtigen Monomolekularfilm überzogen. Nach viertausend Jahren der Expansion fühlten sich die Menschen immer noch unwohl, wenn sie unmittelbar mit der offenen, weiten Endlosigkeit des Alls konfrontiert waren.
Die Kapsel durchquerte die erste Luftschleuse, dann kroch sie, fast wie ein Maulwurf, durch einen dunklen Korridor, der gerade breit genug war, sie hindurchzulassen. Zwei Minuten später erreichte sie eine zylinderförmige Kammer, die mit aufgereihten Instrumenten und Steuerpulten regelrecht überfüllt war.
Einige Minuten wartete Perry, während derer der Außen- und der Innendruck angeglichen wurden, dann öffnete er die Luke der Kapsel und schwebte hinaus. Als die anderem ihm schließlich gefolgt waren, hatte er sich bereits an einem der Instrumente zu schaffen gemacht.
»Hier.« Er deutete auf den Bildschirm. »Das ist ja doch recht simpel. Zeitgleich mit uns hat eine weitere Kapsel ›Nabelschnur‹ genutzt.«
»Wo denn?« Rebka starrte den Bildschirm an. Darauf waren Kameras und Monitore dargestellt, die über die gesamte Länge von ›Nabelschnur‹ verteilt waren. Doch er sah nicht das Geringste.
»Nein, sehen können Sie die nicht.« Perry hatte bemerkt, wohin Rebka geschaut hatte. »Die zusätzliche Leistungsaufnahme hat jetzt aufgehört. Das bedeutet, dass die andere Kapsel nicht mehr an ›Nabelschnur‹ gekoppelt ist.«
»Und wo ist sie dann?«, fragte Graves nach.
Perry zuckte mit den Schultern. »Das werden wir schon noch herausfinden. Ich hoffe, dass irgendjemand da unten Dienst tut. Ich sende ein Notsignal aus.« Er war bereits auf dem Weg zu einem Kommunikator, gab Zugangscodes ein.
Innerhalb von zwanzig Sekunden erschien das Gesicht von Birdie Kelly auf dem Bildschirm. Er atmete schwer, und sein Haar war zerzaust. »Max? Commander Perry? Was ist los?«
»Vielleicht kannst du uns das ja sagen. Schau dir mal den Energieverbrauch der letzten paar Stunden an! Da waren zwei Kapseln in Gebrauch.«
»Ja, das ist richtig. Kein Problem! Wir haben uns das genau angesehen, und wir haben noch reichlich Reserve übrig.«
»Vielleicht. Aber es gibt doch ein Problem: Diese andere Kapsel hat keine Genehmigung.«
Birdies Miene verriet seine Verwirrung. »Aber sicher doch! Die Frau hatte die Genehmigung doch von dir bekommen. Von dir höchstpersönlich sogar. Warte mal einen Moment!«
Einige Augenblicke war er vom Bildschirm verschwunden, und als er dann wieder zu sehen war, hielt er ein Schriftstück in der Hand, auf der deutlich ein Symbol zu erkennen war. »Das hier ist doch dein Dienstsiegel — siehst du? — genau hier!«
»Du hast ihr eine Kapsel gegeben?«
»Natürlich habe ich das!« Birdies Tonfall, zuerst offensichtlich defensiv, klang jetzt deutlich verärgert. »Sie hatte die Genehmigung, und sie muss auch die genauen Befehlscodes gekannt haben. Wenn nicht, wären die doch niemals genau einen Meter über den Meeresspiegel aufgestiegen.«
»Die?«
»Klar. Wir sind davon ausgegangen, dass du über alles Bescheid wüsstest.« Birdie Kelly warf einen Blick auf das Schriftstück, das er immer noch in der Hand hielt. »Darya Lang. Zusammen mit zwei Nichtmenschen. Eine Cecropianerin und einer Lebensform, die ich gar nicht kenne. Was geht denn da oben vor?«
»Diese Genehmigung ist ein Fake, Birdie! Mein Dienstsiegel ist gefälscht.« Perry blickte zu einer anderen Instrumententafel hinüber. »Wir sehen hier, dass die sich nicht mehr an ›Nabelschnur‹ befinden.«
»Richtig. Die werden jetzt schon auf Erdstoß sein. Ich hoffe, es geht denen da oben besser als uns hier unten.« Die Wand hinter Kelly erzitterte und neigte sich deutlich zur Seite, und ein kreischender Windstoß war über den Link zu hören. Einen Sekundenbruchteil lang wandte Kelly den Blick von seinem Bildschirm ab. »Commander, wenn es sonst nichts gibt, muss ich jetzt sofort los!«
»Noch ein Sturm?«
»Der schlimmste bisher. Gerade eben ist ein Funkspruch über das Schlingennetz eingegangen, keine fünf Minuten her. ›Spinnenaffe‹ bricht gerade auseinander! Wir haben schon einen Flugtransporter ausgeschickt, aber die haben Schwierigkeiten, auf der Schlinge zu landen, um die Leute zu evakuieren.«
»Dann hilf da mit! Wir machen uns auf den Weg. Viel Glück, Birdie!«
»Danke. Glück werden wir auch brauchen! Euch auch viel Glück!«
Und Birdie Kelly war fort.
Und Perry war nicht weniger schnell. Als Rebka und Graves ihn schließlich eingeholt hatten, war er schon damit beschäftigt, die Kapsel wieder zu versiegeln.
»Neun Stunden Vorsprung!«, wetterte er. »So kurz vor dem Gezeitensturm reicht das aus, um uns alle umzubringen.«
Er gab eine letzte Steuersequenz ein, dann setzte sich die Kapsel in Bewegung, wieder den engen Korridor entlang.
Hans Rebka lehnte sich in seinem Sessel zurück und starrte geradeaus, wartete darauf, einen ersten Blick auf Erdstoß werfen zu können, sobald sie ›Mittelstation‹ verlassen hätten.
Er war angespannt, dabei aber sonderbar zufrieden. Sein Instinkt hatte ihn nicht im Stich gelassen. Dieser Schlag, auf den er gewartet hatte, seit Max Perry den anderen mitgeteilt habe, der Zugang zu Erdstoß sei vorerst untersagt, war endlich gekommen.
Oder zumindest war ein Schlag gekommen.
Dieses Gefühl, irgendwelche bedeutenden Enthüllungen stünden unmittelbar bevor, hatte sich immer noch nicht ganz gelegt. Seine innere Stimme, die er schon von so vielen Gelegenheiten kannte, versicherte ihm, dass noch mehr kommen würde.
ARTEFAKT: PHAGE.
UKA-Nr.: 1067
Galaktische Koordinaten: entfällt
Name: Phage
Sternen-/Planetenassoziation: entfällt
Bose-Zugangsknoten: alle
Geschätztes Alter: verschieden. 3,6 bis 8,2 Megajahre
Erforschungsgeschichte: Über die ersten Phagen wurde von menschlichen Raumerkundern während der Untersuchung von ›Leuchter‹ im Jahr 1.233 E. berichtet. Anschließend erfuhr die Menschheit, dass die Raumerkunder der Cecropianer diese Phagen bereits seit mindestens fünftausend Jahren beobachten und einen direkten Kontakt dabei gezielt vermeiden. Das erste Eintreten eines Menschen in den Schlund eines Phagen fand im Jahr 1.234 E. während des ›Mahlstrom‹-Konflikts statt (keine Überlebenden).
Phagenausweichsysteme setzten sich ab dem Jahr 2.103 E. immer weiter durch und gehören inzwischen zur Standardausrüstung für alle Erkundungsexpeditionen, bei denen es um die Baumeister geht.
Physisch-technische Eckdaten: Äußerlich scheinen alle Phagen identisch zu sein, und trotz unterschiedlicher Funktionalität ist auch eine innerliche Bauähnlichkeit zu vermuten. Kein Sensor (oder Raumerkunder) ist jemals aus dem Inneren eines Phagen zurückgekehrt.
Jeder Phage besitzt die körperliche Gestalt eines grauen, regelmäßig geformten Dodekaeders mit einer Seitenlänge von achtundvierzig Metern. Die Oberfläche weist eine geringfügige Texturierung auf, im Mittelpunkt einer jeden Fläche befindet sich ein Massendetektor. Auf jeder Fläche kann ein Schlund geöffnet werden; ein solcher Schlund kann Objekte mit einem Durchmesser von bis zu dreißig Metern verschlucken, die Länge des betreffenden Objektes kann scheinbar unendlich sein. (Im Jahr 2.238 E. führten Sawyer und S’kropa den Versuch durch, ein massives, zylindrisches Objekt aus Kieselerde mit einem Durchmesser von fünfundzwanzig Metern in einen Phagen in der Nähe des Artefakts ›Dendrit‹ einzuschleusen. Bei einer Aufnahmegeschwindigkeit von einem Kilometer pro Tag wurden vierhundertzwanzig Kilometer, die Gesamtlänge des Objektes, absorbiert. Bei besagtem Phagen wurde keinerlei Massenzuwachs beobachtet und ebenso wenig eine Veränderung anderer physikalischer Parameter.)
Phagen sind zu langsamer, eigenständiger Bewegung fähig, die durchschnittlich bei einem bis zwei Metern pro Standard-Tag liegt. Bisher wurde bei keinem Phagen eine Bewegungsgeschwindigkeit beobachtet, die im Vergleich zum lokalen Bezugssystem oberhalb von einem Meter pro Stunde lag.
Mutmaßlicher Zweck: Unbekannt. Wären nicht Phagen in unmittelbarer Nähe von mehr als dreihundert der zwölfhundert bekannten Artefakte aufgefunden worden, und das ausschließlich unter eben diesen Bedingungen, nie jedoch allein, würde jeder Bezug dieser Objekte zu den Baumeistern deutlich in Frage gestellt werden müssen. Sie unterscheiden sich in ihrer Größe und in ihrer Anzahl von allen anderen Konstrukten der Baumeister.
Es wurde bereits die Vermutung aufgestellt, diese Phagen hätten den Baumeistern als allgemeine Entsorgungsstationen gedient, da sie anscheinend in der Lage sind, jedes beliebige Material, egal von welcher Clade hergestellt, aufzunehmen und restlos zu vernichten und ebenso auch alles, was die Baumeister erschaffen haben — mit der Ausnahme der strukturellen Rümpfe und den Paraformen (d. h. dem externen Rumpf von ›Paradox‹, der Oberfläche von ›Wachposten‹ und die konzentrischen Hohlröhren von ›Mahlstrom‹).