Wadie Abdhiamal, Verhandlungsführer des Demarchy, wälzte sich unruhig herum, vom Klingeln des Telefons aus dem Schlaf gerissen. Er schaltete das Licht ein, gerade so hell, daß er die Form des Telefons ausmachen konnte, und aktivierte es. „Ja?“ Er sah Lije MacWongs mahagonifarbenes Gesicht auf dem Schirm erscheinen, richtete sich in seinem Bett auf und stützte sich mit einem Ellbogen ab.
„Tut mir leid, daß ich Sie wecken muß, Wadie.“
Er grinste. „Das hoffe ich auch.“ MacWong stand gern früh auf. Wadie sah auf die Digitaluhr im Gehäuse des Telefons. „Benötigt jemand zu dieser nachtschlafenen Stunde einen Verhandlungsführer? Schlafen die Leute eigentlich niemals?“
„Ich hoffe, sie schlafen augenblicklich alle… sind Sie allein?“
Wadie blickte über seine Schulter zurück, betrachtete Kimorus gebräunte, schlanke Seite, den Wirrwarr ihres schwarzen Haares. Sie seufzte im Schlaf. Er sah zurück zum Bild MacWongs und erkannte an dem mißbilligenden Blick der blauen Augen, daß MacWong die Antwort bereits kannte. Er verbarg seine Verärgerung und sagte: „Nein. Das bin ich nicht.“
„Setzen Sie die Kopfhörer auf.“
Wadie gehorchte und brachte die Hauptlautsprecher zum Verstummen. Er lauschte stumm; es dauerte einige Sekunden, bis MacWong ihn aus seinem Halbschlaf zu reißen vermochte. „Bin da, so schnell ich kann.“
Er sprang aus dem Bett, schwebte in der geringen Gravitation halb zum Bad, wo er sich wusch und rasierte. Als er zurückkam, saß Kimoru aufrecht im Bett, die Decke bis zum Kinn emporgezogen. Sie blinzelte vorwurfsvoll, ihre Augenlider zeigten ein zartes Lila.
„Wadie, Liebling…“ — ein Hauch von Groll — „es ist noch nicht einmal Morgen! Warum stehst du schon auf — bin ich so langweilig im Bett?“ Ein Hauch Verzweiflung.
„Kimoru.“ Er durchquerte den komfortabel eingerichteten Raum und küßte sie flüchtig. „Es ist höllisch von dir, mir so etwas zu sagen. Die Pflicht ruft, ich muß gehen… du weißt, ich hasse es, früh aufzustehen. Besonders wenn du hier bist. Schlaf unbesorgt weiter, ich werde zurückkommen und mit dir frühstücken — oder zu Mittag essen, wenn dir das lieber ist.“ Mit einer Hand knöpfte er sich das Hemd zu, mit der anderen tätschelte er ihre Wange.
„Nun, also gut.“ Sie schlüpfte wieder unter die Bettdecke. „Aber komm nicht so spät. Du weißt, ich muß in fünfzig Kilbseks einen Kunden für den alten Chang und seine Gesellschaft betreuen.“ Sie gähnte. Ihre Zähne waren sehr weiß und spitz. „Ich verstehe nicht, warum du dir keinen ehrbaren Beruf zulegst. Nur ein Mann von der Regierung würde einen Stundenplan wie deinen haben wollen — oder akzeptieren müssen.“
Oder eine Geisha…? Er zog sich weiter an und sprach es nicht laut aus; er wußte, sie hatte keine andere Wahl, und sie daran zu erinnern war unnötig und taktlos. Einer Frau, die wegen genetischer Defekte sterilisiert worden war, standen nur sehr wenige Wege offen, in einer Gesellschaft, die eine Frau vor allem als potentielle Mutter sah. Wäre sie mit einem verständnisvollen Ehemann verheiratet, einem, der bereit wäre, sich mit einer Kontraktmutter zufriedenzugeben, könnte sie ein normales Leben führen. Aber eine Frau, die wegen Sterilität geschieden war — oder eine unverheiratete, sterile Frau —, hatte nur zwei Möglichkeiten: entweder eine niedere, unerfreuliche Arbeit zu tun, ständig der Strahlung der schmutzigen Atombatterien aus der Zeit vor dem Krieg ausgesetzt, oder als Geisha zu arbeiten und somit die Kunden einer Gesellschaft zu unterhalten. Das war zwar Prostitution, doch es war akzeptiert. Eine Geisha hatte nur wenige Rechte und kaum Prestige, doch sie hatte Sicherheit, eine komfortable Umgebung, schöne Kleider und ausreichend Geld, das ihren Unterhalt sicherte, wenn die Blüte ihrer Jahre vorüber war. Es war eine sterile Existenz, doch physische Sterilität ließ keinen anderen Ausweg.
Wadie kannte die Alternativen, daher konnte er weder verurteilen noch richten. Und gelegentlich fiel ihm ein, auch er hatte, als er beschloß, für die Regierung zu arbeiten, eine Karriere gewählt, die die Leute noch weniger respektierten als die formelle Prostitution — und auch eine Karriere, die sein Leben so bar aller echten Beziehungen machte wie das einer Geisha. Er sah an seinem eigenen Bild im Spiegel vorbei auf die bereits wieder schlafende Kimoru; einer ihrer schlanken Arme griff unbewußt in die nun leere Seite des Bettes. Er hatte keine Kinder und keine Frau. Die meisten der Frauen, denen er begegnete, waren Frauen wie Kimoru, Geishas, die er während der Verhandlungen traf, die er für die Gesellschaften führte, bei denen sie angestellt waren. Er ging ihnen aus dem Weg, wenn er einen Auftrag hatte, weil er allem aus dem Weg ging, was man nachträglich als Bestechung hätte auslegen können. Doch in ihrer Freizeit wählten die Geishas ihre Begleiter gern selbst aus, und er hatte genug Geld, um ihnen ein angenehmes Leben zu ermöglichen.
Doch nur selten blieb er lange genug an einem Ort, um eine Frau wirklich gut kennenzulernen; die wenigen normalen Frauen, die er kennengelernt hatte, hatten ihn mit ihren endlosen, geistlosen Konversationen und ihrer endlosen Koketterie lediglich ermüdet.
Wadie strich sein dunkles, lockiges Haar zurück und setzte sorgfältig das Barett auf. Er zog sich peinlich genau an, selbst im Morgengrauen. Das erwartete man von ihm. Er hob einen silbernen Ring, verziert mit Rubinen, auf und zog ihn über seinen Daumen. Er war ein Dankbarkeitsgeschenk von zwei Menschen gewesen, denen er vor vielen Megasekunden geholfen hatte, einem Mann-und-Frau-Schürfteam. Wieder erinnerte er sich an diese Frau — eine weibliche Pilotin, eine gesunde, kräftige Frau, die sich hatte sterilisieren lassen, um ins All reisen zu können. Keine typische Frau, denn keine Frau würde freiwillig ein Zuhause und ein Familienleben zurückweisen. Diese Frau war ein Außenseiter gewesen — halsstarrig, defensiv, selbstbewußt; aus der Art geschlagen und fehl am Platze. Und doch hatte ihr Partner sie geheiratet. Doch auch er selbst war eine Art Außenseiter gewesen; ein Medienmann, ein professioneller Lügner mit Skrupeln. Es war kein Wunder, daß die beiden beschlossen hatten, den Rest ihres Lebens irgendwo im Nichts zu verbringen, indem sie Altmaterial auf ruinierten Welten suchten…
Angesichts dieser Erinnerungen schüttelte Wadie den Kopf; er blickte in den Spiegel und durch ihn hindurch in die Vergangenheit. Er fragte sich wieder, wie er sich schon unzählige Male zuvor gefragt hatte, welch bizarrer Mechanismus sie zusammengebracht hatte und noch immer zusammenhielt. Gleichzeitig fragte er sich kurz, fast neidisch, warum dieser Mechanismus noch nie bei ihm funktioniert hatte. Er zuckte die Achseln, schlüpfte in seine laubgrüne Jacke und knöpfte den hohen Kragen mit den reich mit Stickereien verzierten Aufschlägen zu. Zum Teufel, er war elf hundertundfünfzig Megasekunden alt — achtunddreißig Jahre der alten Welt —, und den größten Teil davon hatte er damit verbracht, anderer Leute Probleme zu lösen, hatte das Leben irgendeines anderen gelebt anstatt sein eigenes. Wenn er bis heute noch keine Frau gefunden hatte, die ihn um seiner selbst willen wollte, oder eine, die ihn alles vergessen ließ, dann würde er auch in Zukunft keine finden. Er wurde nicht jünger; wenn er ein Kind wollte, konnte er es sich kaum leisten, noch länger zu warten. Wenn er diesen neuen Auftrag erfüllt hatte, würde er sich eine Kontraktmutter mieten, die während seiner Abwesenheit sein Kind gebar und erzog. Als er das Apartment verließ und leise die Tür schloß, sah er ein letztes Mal zu der schlafenden Kimoru zurück.
Wadie gähnte diskret, als er den Schatten des Gebäudes verließ und den stillen Platz überquerte. Inzwischen war es fast Tag, und das Glühen der Fluoreszenzlampen erhellte wie die Dämmerung den imitierten Himmel der Decke zehn Meter über seinem Kopf. Die magnetisierten Sohlen seiner polierten Stiefel klickten leise auf dem polierten Metall des Platzes, eine zusätzliche Sicherheit in der schwachen Gravitation des Toledo-Planetoiden. Die Oberfläche des Platzes krümmte sich entlang der Innenhülle eines massiven, ausgehöhlten Eisenklumpens, der Ertrag eines reichen Miners und ein solides Heim, doch eines, das unerfreulicherweise begann, sein Alter zu zeigen. Das silberne, geometrische Filigranmuster puren mineralischen Eisens unter seinen Füßen hatte sich einst unter einem dünnen, unsichtbaren Schutzfilm befunden, aber nun, da der Film sich zersetzte, oxidierte es. Deutlich konnte er die Rostspuren sehen, ein dumpfes Rotbraun im frühen Licht des beginnenden Tages, das seine Augen über den Platz und hin zu der matten Rokokowand und dem Eingang des Regierungszentrums zog. Symptome einer tiefgreifenden Krankheit… so etwas wie Panik würgte ihn, gewohnheitsmäßig holte er tief Atem und verdrängte den Gedanken, daß das Ende nur noch eine Frage der Zeit war. Er ging weiter dem Zentrum entgegen, wobei er sich die Aufschläge seiner Manschetten zurechtrückte. Ein anständiges Leben ist die beste Verteidigung, dachte er säuerlich.
Lije MacWong erwartete ihn bereits im Inneren. Offiziell arbeitete Wadie für die Bürger des Demarchy; tatsächlich arbeitete er für MacWong. MacWong, die Wahl des Volkes: die absolute Demokratie des Demarchy war ein trügerisches Wasser unter dem zerbrechlichen Regierungsschiff, das bereits zahllose unglückliche Repräsentanten ertränkt hatte. Aber MacWong paßte sich instinktiv dem Strom der öffentlichen Meinung an, riskierte manchmal sogar eine Umlenkung dieses Stromes, um seine eigenen Vorstellungen von den Notwendigkeiten durchsetzen zu können. Er tat die Geschäfte der Leute und brachte sie dazu, daß ihnen das gefiel. Von Zeit zu Zeit fragte Wadie sich, was das Geheimnis MacWongs war; er fragte sich dann allerdings immer auch, ob er es wirklich wissen wollte. „Friede und Wohlstand, Lije.“
Als Wadie das Büro betrat, sah MacWong auf, eisblaue Augen schimmerten in seinem dunklen Gesicht. „Friede und Wohlstand, Wadie.“ Er erhob sich, erwiderte eine formelle Verbeugung und bewegte sich widerwillig von seinem Aquarium weg.
Wadie starrte an ihm vorbei, um einen Blick auf die Fische zu erhaschen — drei glitzernde, goldene Dinger, nicht größer als ein Finger, mit Flossen, die hauchzarten, schimmernden Geweben glichen, bewegten sich schlängelnd durch die Wasserpflanzen. Die Goldfische waren die einzigen nichtmenschlichen Geschöpfe, die er je gesehen hatte, und nach allem, was er wußte, bezahlte MacWong immer noch für sie. Er zog seinen Hut ab und beobachtete, wie er langsam seine Form verlor und neben dem MacWongs auf der Schreibtischplatte in sich zusammensank. „Mit allem gebührenden Respekt — ich vertraue darauf, daß diese mysteriöse Nachricht aus dem All echt ist und ich nicht nur hier bin, weil Sie mich gerne leiden sehen.“ Er sank langsam in einen von MacWongs neokolonialistischen Stühlen, wobei er die Falten seines Anzugs glättete.
„Setzen Sie sich.“ MacWong lächelte tolerant. „Die Botschaft ist echt. Das sind durchaus keine selbstgemachten Trickfilme, die ich Ihnen gleich zeigen werde.“ Vorsichtig lehnte er sich an eine Kante seines Schreibtischs, wobei er die Fresken der silbernen Tierköpfe sorgfältig mied, dann drehte er einen Regler des Kommunikationssets. Nichts geschah. „Verflucht!“ Er hob einen aus Platin geformten Briefbeschwerer, der wie eine springende Katze geformt war, auf und schlug damit auf das Pult. Der Schlag war nicht sehr heftig, doch die Kleinfelter-Wandprojektion verschwand und wurde ersetzt durch das Bild eines weiblichen Gesichts. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn dieser Schreibtisch den Geist aufgibt. Die werden auch nicht mehr so hergestellt wie früher.“ Er stellte den Briefbeschwerer sachte an seinen ursprünglichen Platz zurück.
„Sie stellen sie überhaupt nicht mehr her, Lije.“ Wadie strich mit den Fingern über die Stickerei auf seinem Jackett; seine Finger erstarrten, als er auf den Schirm blickte. „Ein Hologramm? Woher haben Sie das, MacWong?“
„Wir haben es aus der Atmosphäre aufgeschnappt oder aus dem All, wie auch immer, vor etwa dreißig Kiloseks. Es ist tatsächlich eine Hologrammtransmission; wir benötigten zehn Kiloseks, um das herauszufinden. Und sie wurde nicht abgestrahlt. Stellen Sie sich die Energie und die Bandbreite vor, die so etwas erfordert. Zur Hölle, ich kenne niemanden mehr, der dazu in der Lage wäre.“
„Das wird auch keiner mehr können…“ Als die Stimme der Frau lauter wurde, verstummte er, starrte und lauschte. Ihre Haut war bleich, fast farblos, was auch auf ihr buschiges Haar zutraf. Ihr Gesicht war lang und eckig. Sie trug ein abgetragenes Hemd, das im Nacken offen war, und keinerlei Schmuck. In den Dreißigern, urteilte er, und sie machte keinen Versuch, ihr Alter zu verbergen; ihr unansehnliches Äußeres war fast schmerzend. Er verdrängte es aus seinen Gedanken und konzentrierte sich auf ihre Stimme. Sie sprach Anglo, doch mit einem fremdartigen Akzent; die gebräuchlichsten Worte schienen in ihrem Mund eine besondere Bedeutung zu gewinnen.
„… bitte identifizieren Sie sich weitergehend. Wir wollten Ihr Hoheitsgebiet nicht verletzen. Wir sind nicht, ich wiederhole, nicht aus Ihrem System, und wir…“ Sie wurde von einem Geräusch unterbrochen, das ihre Worte auslöschte. Wadie sah, wie ihr bleiches Gesicht sich vor Ärger rötete, ihre Augen wurden kalt wie Saphire. Er sah zu MacWong.
„Die diskanischen Streitkräfte“, sagte dieser. „Ihre Übertragung ging den anderen Weg, dies ist alles, was wir auffingen.“
Die Frau sah auf etwas außerhalb des Schirms und sprach Worte, die er nicht verstehen konnte, Schimpfworte, vermutete er, doch ihre Stimme war gefaßt, als sie sich wieder dem Schirm zuwandte. „Dies ist kein Gürtelschiff, wir sind keine ,Demarchos’, und wir haben auch keinen Akt der Piraterie begangen. Sie haben keinerlei Autorität über mein Schiff; eine Erlaubnis, an Bord zu kommen, wird nicht gewährt. Aber wenn Sie uns die Koordinaten Ihrer…“
Wieder wurde sie unterbrochen; er sah, wie ihre Wut wuchs und wie sich ihr Gesicht verzerrte. „Wir sind nicht bewaffnet…“ Dann resolut: „Aber wir weigern uns, Ihr ,Recht zur Beschlagnahmung’ anzuerkennen. Pappy, bring uns…“ Sie wandte sich wieder ab, ihr Bild wurde verschleiert von roten statischen Störungen. Einen kurzen Augenblick konnte er sie noch sehen, dann wurde der Schirm blank.
„Nun?“
Wadie löste den Griff seiner Hand um den metallenen Rahmen des Stuhles. „Haben sie es zerstört? Ist das alles?“
MacWong schüttelte den Kopf. „Das Schiff wurde getroffen, aber es konnte sich vor den Diskanern in Sicherheit bringen. Wir fingen noch Bruchstücke der nachfolgenden Ereignisse auf; dieses fremde Schiff funktioniert auf Rückstoßbasis. Als einer der Diskaner es wagte, sich zu nähern, blies sie ihn mit den Rückstoßdüsen zu Staub. Vielleicht ist diese empörte Kriegsgöttin nicht bewaffnet, aber gefährlich ist sie auf jeden Fall.“
Wadie wartete schweigend.
„Wir wissen nicht, wo das Schiff im Augenblick ist, geschweige denn, warum es überhaupt hier ist. Aber ich habe einige Ideen. Sie sagte, sie käme von außerhalb des Systems, und ich glaube ihr das. Niemand im Gürtel hat mehr etwas so Ausgeklügeltes. Und dann gesteuert von einer Frau, dazu von einer Frau, die so aussieht…“
„Vielleicht ist sie ein Albino… Vielleicht kommt sie aus dem Hauptgürtel. Diese Aasfresser kümmern sich nicht darum, wer in den Weltraum vorstößt; sie haben keinerlei Schutz gegen die Strahlung. Vielleicht hatten sie großes Glück bei ihrer Suche.“ Und doch wußte er, daß MacWong recht hatte; die Frau und ihr Akzent waren zu fremdartig.
MacWong sah ihn an. „Niemand hat soviel Glück. Was ist los, Wadie, ist diese Nachricht zuviel für Sie? Das entspringt nicht der Phantasie irgendeines Medienmanns, glauben Sie mir. Das ist ein Schiff von Draußen, der erste Kontakt, den wir seit über drei Gigasekunden mit dem Rest der Menschheit hatten. Und der Kurs, der sie von den Ringen wegführt, könnte sie zur alten Hauptzone bringen, nach Lansing. Wenn das stimmt, dann kann es nur einen Grund geben, warum das Schiff hier ist: Sie wissen nichts vom Bürgerkrieg. Sie sind zum Himmel gekommen, auf der Suche nach goldenen Bergen, und wenn sie lernen, daß es die nicht mehr gibt, werden wir sie niemals wiedersehen. Das dürfen wir nicht zulassen…“
„Was könnte ein Schiff uns schon Gutes bringen?“ Er starrte den blanken Wandschirm an, und gegen seinen Willen nahm eine andere Frage hartnäckig Form an.
„Dieses Schiff könnte uns alles Gute des gesamten Universums bringen.“ MacWong hob die Platinkatze auf. „Dieses Schiff ist ein Schatz, es bedeutet Macht… dieses Schiff könnte uns retten.“
Wadie nickte; er gestand sich ein, daß allein der riesige Fusionsreaktor des Schiffes es dem Demarchy ermöglichen könnte, wieder eine Schwerindustrie aufzubauen. Und Gott allein wußte, was sich an zusätzlicher Technologie — eine intakte Technologie — noch an Bord befinden mochte. Allein der Besitz eines solchen Schiffes könnte die Beziehungen des Demarchy zu den Ringen für immer verändern. Sie könnten sogar Diskus und die Ringe passieren und eigene Destillen auf den Monden Sevins errichten…
So lange seine Erinnerung zurück reichte, hatte er mit den Anzeichen einer Gesellschaft gelebt, die langsam wiedererstarkte, — in den äußersten Gebieten der Wüste, die der Bürgerkrieg aus Himmels Gürtel gemacht hatte. Wegen seiner peripheren Lage hatte das Demarchy den Bürgerkrieg relativ unbeschadet überstanden. Doch der Hauptgürtel war zerstört worden, und nun waren die einzigen Außenhandelskontakte, über die das Demarchy noch verfügte, die mit der Großen Harmonie der Diskanischen Ringe, und auch die Ringe konnten kaum überleben. Parallel zu deren Niedergang vollzog sich auch der des Demarchy, und obwohl ihm ein wesentlich größerer Weg offengestanden hätte, schien niemand die Wahrheit zu bemerken. Sie alle waren verblendet durch die fanatischen, traditionellen Eigeninteressen, die die Stärke des Demarchy ausmachten — und vielleicht nun seine fatale Schwäche.
Er war ein Verhandlungsführer geworden, in der Hoffnung, die selbstverschuldeten Wunden seines Volkes verbinden zu können. Er hatte geglaubt, daß die vereinigenden Elemente, das verbindende Band der Notwendigkeiten, welches die Menschen zusammenhielt, als Kraft gegen Zerstörung und Verfall verwendet werden konnten, daß das Demarchy weiterbestehen konnte, daß sie eine Antwort finden würden. Und mit diesem Schiff… Seine Vorstellung wankte, zerfiel, als die Frage über ihn hereinbrach: Wer würde ein solches Schiff kontrollieren? Und wer würde diejenigen kontrollieren, die es kontrollieren konnten? „Aber, wie Sie schon sagte, das Schiff wird nach Hause zurückkehren, wenn man sieht, was von Lansing noch übriggeblieben ist.“
„Vielleicht.“ MacWong fegte Staub von seinen Manschetten. „Aber Osuna meint, vorher müßten sie erst wieder Treibstoff tanken. Es ist ein langer Heimweg von hier, egal wohin. Und unter den gegebenen Umständen werden sie wohl schwerlich zu den Ringen zurückkehren, um zu tanken. Das bedeutet, sie werden zu uns kommen; wenn sie reinen Wasserstoff wollen, haben sie keine andere Möglichkeit. Daher sende ich jeden aus, den ich entbehren kann. Ich möchte, daß Sie nach Mekka gehen. Die Destillen werden es zu einem Hauptziel machen, und Sie sind erfahrener im Umgang mit ,Fremden’ als jeder andere meines Stabes.“
Wadie akzeptierte das stillschweigende Kompliment, den stillschweigenden Ekel, erinnerte sich an die fünfzig Millionen Sekunden, die er in der Großen Harmonie der Diskanischen Ringe zugebracht hatte, an die Dinge, die ihm dieser Aufenthalt gezeigt hatte, Dinge, die er niemals zu sehen erwartet hatte. Er stand auf und griff nach seinem Hut. „Was ist, wenn sie nicht in der Stimmung für Verhandlungen sind?“
„Ich nehme nicht an, daß sie das sein werden. Aber das spielt keine Rolle, Sie werden dafür bezahlt, sie in diese Stimmung zu bringen. Versprechen Sie ihnen alles, aber bewegen Sie sie zum Hierbleiben, halten Sie das Schiff fest, bis wir die Kontrolle übernehmen können.“
Wadie rückte sein Barett zurecht und sah von der spiegelnden Wand zurück. „Wen meinen Sie mit ,wir’, Lije? Jene, die dieses Schiff kontrollieren werden? Es wird nicht die Regierung sein, dafür werden die Leute schon sorgen. Und der erste Bursche auf dem Felsen, im Besitz eines…“
MacWong schien nicht belustigt zu sein. „Ich frage mich manchmal, ob Sie nicht zu lange Zeit mit den Ringbewohnern zugebracht haben, Abdhiamal. Verdammt, Wadie, ich stelle Ihre Loyalität nach zweihundert Megaseks nicht in Frage. Aber es gibt einige Leute, die das tun, die denken, daß Sie vielleicht doch gerne eine Zentralregierung hier sehen würden.“ Er schwieg. „Es wird ein Treffen geben, wenn wir das Schiff erst haben.“ Er lehnte sich über den scheußlichen Schreibtisch nach vorn. „Das Demarchy muß dieses Schiff haben — und niemand anders als das Demarchy.“
„Sie sind der Boß.“ Wadie verbeugte sich.
„Nein.“ MacWong straffte sich. „Das Demarchy ist der Boß. Wir geben den Leuten, was sie glauben, haben zu wollen. Nichts anderes ist von Bedeutung. Vergessen Sie das, und wir sind unsere Jobs los — wenn nicht etwas Schlimmeres passiert. Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich das niemals vergessen.“
Und mit dem Wissen, daß MacWong dies wahrhaftig niemals tat, verließ Wadie das Büro.