Nachdem man die Beute aufgeteilt hatte, segelte das Schiff durch ein ruhiges Meer. Die Sonne brannte, und kaum ein Lüftchen fächelte die Segel. Lucas Castano setzte sich zu seinem Kapitän, der es sich im alten Sessel des Schotten bequem gemacht hatte. Einige Minuten lang schaute er schweigend den fliegenden Fischen zu, die vor dem Bug aus dem Wasser hüpften, auf der spiegelglatten Oberfläche dahinglitten und ohne Spritzer wieder in der Tiefe verschwanden, dann gab er mit Bedauern in der Stimme zu bedenken:

»Die Männer sind unruhig.«

Sein junger Kapitän blickte ihn verblüfft an.

»Wie das? Es ist doch gerecht verteilt worden… Oder etwa nicht?«

»Doch, doch«, räumte der Panamese ein. »Gerecht schon, aber halt zu wenig. Zweitausend Perlen, so prächtig sie auch sein mögen, sind keine Beute, für die man monatelang auf hoher See kreuzt und darauf wartet, jeden Augenblick ergriffen und aufgehängt zu werden. Seeräuberei ist ein hartes und gefährliches Geschäft, das einen nur mit Abenteuer und einer guten Beute entschädigt.« Er schnalzte verdrossen mit der Zunge. »Und seit Jahren haben sie weder das eine noch das andere gehabt.«

»Was wollen sie denn?«

»Keine Pötte mit Piken und Schaufeln mehr überfallen, sondern lieber Goldschiffe entern, auch wenn wir dabei vielleicht draufgehen.« Er zuckte hilflos mit den Schultern: »Mit einem Wort: Wir sollen uns wie echte Piraten verhalten.«

»Verstehe«, sagte der Margariteno. »Und was denkst du darüber?«

»Wenn wir unsere Zeit nicht nutzen, sind wir bald alt und werden als Bettler in irgendeinem schmutzigen Hafen enden.« Er deutete auf die Kajüte des Achterkastells, in der sich Celeste aufhielt. »Und eine Frau an Bord macht die Dinge nicht besser, im Gegenteil: Sie bringt Unglück.«

»Das ist meine Schwester.«

»Alle wissen das, aber alle wissen auch, daß sie ein sehr attraktives Mädchen ist, und die meisten haben seit sechs Monaten an keiner Feige mehr gerochen. Darüber solltest du nachdenken.«

»Das tue ich längst, aber es will mir keine passende Lösung einfallen. Was soll ich bloß mit ihr machen?«

»Alles, außer sie noch länger an Bord eines Piratenschiffs zu lassen… Das geht einfach nicht!«

»Aber wo könnte ich sie an Land gehen lassen? Das Winterquartier in den Grenadinen ist doch nichts für sie. Da gibt es nur Huren.«

»Die Welt ist groß.«

»Nicht groß genug für die Casa de Contratación. Ihr Arm reicht überall hin.«

»Nicht nach Jamaika. Niemand, der mit der Casa zu tun hat, wagt es, Jamaika auch nur zu betreten, denn am nächsten Tag würden sie ihn dort öffentlich verbrennen. Deine Schwester ist dort völlig sicher, und wir können uns in der Zwischenzeit mit anderen Schiffen in Verbindung setzen, um vielleicht eine gemeinsame Aktion zu planen. In drei Monaten bricht die Flotte von Cartagena de las Indias nach Kuba auf und segelt von dort aus weiter zu den Azoren und nach Sevilla. Das wäre eine Gelegenheit, sie zu überfallen.«

»Gemeinsam mit den Korsaren?« wollte der junge Kapitän Jacare Jack bestürzt wissen. »Ich hasse Massaker!«

»Hör mal zu…!« erwiderte sein Stellvertreter und bemühte sich, die Ruhe zu bewahren. »Wichtig ist lediglich, das richtige Schiff auszuwählen, das Kampfgetümmel auszunutzen, es von der Flotte wegzutreiben und blitzschnell zu entern. Dafür schickt man am besten Spione in die Abfahrtshäfen, um herauszufinden, welche Schiffe Gold geladen haben und welche nicht. Oft erweisen sich die spektakulärsten Schiffe als Nieten.«

»Hast du das schon früher gemacht?«

»Schon oft. Der Alte verwandte viel daran, ein unversehrtes Schaf zu reißen, während sich die Wölfe und Hunde gegenseitig in Klump schossen. Dann kamst du, und er tauschte die Schafe gegen Maultiere ein.«

»Und das stört dich?«

»Und ob! In den letzten Jahren hat die Jacare fast nur noch Warnschüsse abgegeben. Reines Feuerwerk, das ihrem Ruf nicht gerecht wird.«

»Einverstanden!« räumte der Junge ein. »Ich werde darüber nachdenken.«

»So schnell wie möglich, das rate ich dir, sonst erleben wir am Ende noch eine unliebsame Überraschung. Und mit diesem Mädchen an Bord gäbe das eine Tragödie.«

Sebastián Heredia sah sich die Gesichter der Männer an, die gerade auf Deck Wache standen, und kam zum bitteren Schluß, daß der treue Panamese wieder einmal recht hatte. Ein Piratenschiff war für ein junges Mädchen wirklich nicht angebracht. Auch ohne Argusaugen waren die Gesten und Blicke nicht zu übersehen, die sich die schäbige sabbernde Schar jedesmal zuwarf, wenn Celeste aus der Kajüte trat, um frische Luft zu schöpfen.

Nachdem der Schotte von Bord gegangen war, hatte sich die Jacare gewissermaßen in ein schwimmendes Pulverfaß verwandelt. Die reizvollen Brüste und der sinnliche, stets feuchte Mund eines Mädchens, das zum Teil die erotische Ausstrahlung der Mutter geerbt hatte, konnten sehr gut der Funke sein, der dieses Pulverfaß in die Luft gehen ließ.

Nach dem Abendessen setzte sich Sebastián mit Celeste und seinem Vater in der Kajüte, die er ihnen überlassen hatte, zusammen, und kam ohne Umschweife zur Sache.

»Ich denke, Lucas hat recht. Am besten, ihr geht in Jamaika von Bord. Dort könnt ihr ohne Furcht vor Repressalien leben, und ich kann euch häufig besuchen.«

»Und warum machst du es nicht genauso?« fragte Celeste. »Verkauf das Schiff, kauf dir eine gute Zuckerhazienda und leb fortan in Frieden.«

»Ich wurde nicht geboren, um Sklaven mit der Peitsche zum Zuckerrohrschneiden anzutreiben. Und ohne Sklaven ist keine Hazienda rentabel, nicht einmal auf Jamaika.«

»Willst du lieber weiter Schiffe überfallen?«

»Wenn sie der Casa gehören, ja. Und wenn du mich fragst, ob ich lieber Pirat als Sklavenhändler bin, dann heißt die Antwort ebenfalls ja.«

»Sklaven zu haben heißt nicht unbedingt, mit Sklaven zu handeln«, gab sein Vater zu bedenken.

»Keine Käufer, keine Händler«, entgegnete Sebastian unwirsch. »Daß alle Welt Sklaven hat, ist keine Entschuldigung, selbst welche zu halten. Wenn du sie gesehen hättest wie ich, in schmutzige Laderäume gepfercht, in denen sie kaum atmen konnten, würdest du meine Haltung verstehen. Sklavenhandel ist das unmenschlichste, bestialischste und würdeloseste Geschäft auf Erden. Ein Schiff zu entern und zu plündern ist dagegen ein Bubenstreich.«

»Heute denken die meisten Menschen nicht so.«

»Was die Mehrheit denkt, ist nicht wichtig«, beharrte sein Sohn mit rauher Stimme. »Wichtig ist nur, was ich denke. Pirat zu sein ist die gefährlichste Art, frei zu sein, und wer sein Leben für seine Freiheit aufs Spiel setzt, sollte seine Prinzipien nicht verraten und anderen die Freiheit rauben, wie schwarz ihre Haut auch sein mag.«

»So habe ich dich noch nie reden hören!« bemerkte Miguel Heredia.

»Wahrscheinlich deshalb, weil du mir früher nur selten zugehört hast«, erinnerte ihn der Margariteno. »Vielleicht aber auch, weil du dieses Schiff nicht gesehen hast.«

Celeste tätschelte liebevoll die Wange ihres Bruders:

»Es gefällt mir, wie du denkst. Wäre ich ein Mann, würde ich auch so denken und wie du zum Piraten werden, aber ich verstehe natürlich, daß meine Anwesenheit an Bord die Dinge verkompliziert.« Sie blinzelte ihn schelmisch an. »Diese armen Jungs scheinen es ja wirklich sehr nötig zu haben.«

Die kriminelle Besatzung der Jacare »arme Jungs« zu nennen, war wieder typisch für Celeste Heredia, die offensichtlich das Leben als riesigen Spaß betrachtete, auch wenn dieser Spaß noch vor kurzer Zeit ein Alptraum gewesen war.

Jetzt, wo sie weit weg von Don Hernando Pedrárias und ihrer Mutter war, schien ihr jegliches Problem bedeutungslos zu sein. Sie schien sich als das glücklichste Geschöpf auf Erden zu fühlen, das ohne Ziel die warme Karibische See befuhr, und das auf einem Schiff, dessen fünfzig Mann Besatzung das letzte Hemd dafür hergeben würde, sie zu vergewaltigen.

»Wir suchen uns ein schönes Haus auf Jamaika«, fuhr sie etwas später mit ihrem üblichen Enthusiasmus fort. »Papa und ich werden Hühner züchten und Englisch lernen, und du kommst uns besuchen, wenn du nicht zu sehr damit beschäftigt bist, Schiffe zu entern und Festungen zu überfallen.«

»Wie kannst du das alles so leichtnehmen?« empörte sich Miguel Heredia. »Du redest von Seeräuberei!«

»Nach allem, was ich gehört habe«, erwiderte seine Tochter mit verblüffender Gelassenheit, »sind fast alle Einwohner Jamaikas Piraten oder Korsaren, von den Huren, Sklaven und Sklavenhändlern einmal abgesehen. Glaubst du, daß wir dort aus dem Rahmen fallen?«

»Du bist unmöglich!«

»Nein, Papa, ich bin nicht unmöglich. Ich bin nur ein Kind meiner Zeit. Seit ich denken kann, habe ich nur von Gewalt, Plünderungen, Überfällen oder versenkten Flotten gehört, und schon als kleines Kind habe ich gesehen, wie du aufs Meer hinausfuhrst, um in haiverseuchten Gewässern nach Perlen zu tauchen, die sie dir zu lächerlichen Preisen abkauften. War das vielleicht ein vernünftigerer Beruf, als Pirat zu sein?«

»Jedenfalls war er ehrenwerter.«

»Und wer entscheidet, was ehrenwert ist und was nicht?« erboste sich Celeste. »Hernando wollte ehrenwert sein, dabei preßte er die Armen aus und handelte mit Sklaven. Mein Gott! Warum wurde ich nicht als Mann geboren? Wir würden ein großartiges Gespann abgeben.« Sie wandte sich ihrem Bruder zu. »Hat es denn niemals weibliche Piraten gegeben?«

»Einige«, gab er zu. »Lucas will eine kennen, die zwei Jahre in Männerkleidung herumgelaufen ist, bis man entdeckt hat, daß sie eine Frau und schwanger war. Sie wollte ihren Liebhaber nicht verraten, weil die Gesetze der Bruderschaft der Küste denjenigen mit dem Tod bestrafen, der eine als Mann verkleidete Frau an Bord nimmt. Deshalb hat man sie auf einer einsamen Insel ausgesetzt.«

»Eine schöne Liebesgeschichte«, murmelte das Mädchen. »Zwei Jahre wie ein Pirat zu leben und sich dann auf einer einsamen Insel aussetzen zu lassen, um dem Geliebten das Leben zu retten: Das gefällt mir. Was ist aus ihr geworden?«

»Sie hat wohl ihr Kind auf der Insel zur Welt gebracht, aber da sie fast verhungerte, hat sie es aufgegessen.«

»Das glaubst du doch selber nicht!«

»Natürlich nicht!« lachte ihr Bruder. »Keiner weiß, auf welcher Insel sie geblieben ist. Vielleicht ist sie noch immer dort.« Nacheinander sah er seinen Vater und seine Schwester an. »Na gut! Also Kurs Jamaika?«

»Was bleibt uns anderes übrig?« versetzte Miguel Heredia. »Also geht’s jetzt von der Perlen- auf die Ruminsel.«

Sein Sohn öffnete die Tür und rief dem Algerier am Steuerrad zu:

»Mubarrak! Achtung an Deck! Kurs Westnordwest.«

»Westnordwest Kapitän?« wiederholte der Steuermann sichtlich erfreut. »Geht es vielleicht nach Jamaika?«

»Direkt nach Port-Royal…«

Wenige Augenblicke später schäumte die ganze Jacare vor Begeisterung.

»Port-Royal! Hurra! Nächster Halt, die Huren von Port-Royal!«

Port-Royal lag auf der heißen fruchtbaren Insel Jamaika, auf einer Landzunge, die im Süden die riesige Bucht von Kingston abschloß. In jenen Zeiten galt es als sicherster Hafen, der die schönsten Huren und den besten Rum des Kontinents hatte. Jedes Schiff, so bestimmte es eine alte Tradition, das die Riffbarriere mit gehißter weißer Flagge und geschlossenen Kanonenluken passierte, durfte unbehelligt in den Gewässern von Port-Royal verweilen, solange es wollte, ohne daß jemand nach Herkunft, Grund des Aufenthalts oder Ziel gefragt hätte.

Die Besatzungen mußten allerdings Feuerwaffen und Macheten an Bord lassen. Lediglich die Degen durften am Gürtel blitzen, denn ein anständiges Duell unter nicht allzu betrunkenen Gegnern galt stets als dankbares Schauspiel.

Die größte Schenke von Port-Royal, »Die Tausend Jakobiner«, verdankte ihren seltsamen Namen der weltberühmten Würfelpartie, die man hier ausgetragen hatte. Allenfalls die Partie, in der ein Offizier namens Francisco Pizarro, genannt der Gelassene, in einer einzigen Nacht die märchenhafte, zwei Meter große Goldsonne verlor, die er für seinen Heldenmut bei der Eroberung Perus erhalten hatte, war ähnlich spektakulär verlaufen.

Kontrahenten der besagten Würfelpartie in Port-Royal waren ein verrückter Pirat namens Vent en Panne und ein steinreicher Großgrundbesitzer jüdischer Herkunft namens Stern.

Der Pirat hatte wohl unter dem Oberbefehl des gebrechlichen Kapitäns Mansfield am wenig einträglichen Angriff auf die Insel Santa Catalina teilgenommen und lediglich hundert Dublonen Anteil an der lächerlichen Beute erhalten.

Er setzte sie aufs Spiel, und obwohl ansonsten das Pech an seinen Hacken klebte, gewann er über zehntausend Dublonen.

Daraufhin fand er, daß es Zeit war, ins heimatliche Frankreich zurückzukehren, buchte eine Überfahrt, kehrte jedoch einige Stunden vor Abfahrt des Schiffs in die damals noch »Zum Hinkebein« genannte Schenke zurück, um ein letztes Glas zu leeren.

Um die Zeit totzuschlagen, beschloß man, »ein paar Knochen zu werfen«, und in kurzer Zeit hatte Vent en Panne 15000 Silbertaler gewonnen. Darauf setzte der Jude eine Ladung Zucker im Wert von hunderttausend Pfund und verlor auch die.

Inzwischen hatte Vent en Panne sein Schiff verpaßt, dessen Kapitän das Warten satt und mit dem Gepäck des Piraten in See gestochen war.

Als es Abend wurde, erschien der verzweifelte Stern, der binnen weniger Stunden seinen gesamten Besitz verspielt hatte, mit dem einzigen, was ihm auf dieser Welt geblieben war: einem riesigen Ballen goldbestickter Seide aus China, den die Experten auf die fabelhafte Summe von »Tausend Jacobinern« schätzten.

Vent en Panne akzeptierte den Einsatz und ließ die Würfel rollen, während alle Gäste, die sich in der geräumigen Schenke drängten, den Atem anhielten.

Er warf eine Neun.

Zitternd nahm der Jude die Würfel aus Bein in die Hand, schloß die Augen und warf.

Er hatte eine Elf, und die nächsten acht Male ebenfalls.

Bei Tagesanbruch hatte Vent en Panne alles verloren, sogar das Hemd, das er am Leibe trug.

Am gleichen Tag heuerte er auf dem Schiff des sadistischen L’Olonnois an, um am Angriff auf Maracaibo teilzunehmen.

Mit einer beträchtlichen Beute kehrte er zurück, ging schnurstracks zur alten Schenke, die inzwischen ihm zu Ehren ihren Namen geändert hatte und ließ nach dem Juden Stern schicken.

Wer allerdings kam, war der Gouverneur der Insel, der alles konfiszierte, was er bei sich hatte, und ihm dafür einen Kreditbrief ausstellte, der nur in einer Bank in Frankreich einzulösen war, brachte ihn an Bord des ersten Schiffs, das nach Europa segelte, und verabschiedete ihn mit diesen weisen Worten:

»Was die Flut bringt, nimmt die Ebbe mit, doch in deinem Fall, mein Sohn, ist mir das zuviel.«

Vent en Panne kam Jahre später ums Leben, als ein spanisches Kriegsschiff mit einem Schmugglerschiff aneinandergeriet, auf dem der Pirat nach Jamaika zurückkehren wollte. Dort wollte er ein riesiges Vermögen aufs Spiel setzen, das er als Importeur von Zucker und Rum angehäuft hatte. In Europa hatte er offensichtlich keinen Gegenspieler gefunden, der es mit dem Juden Stern hätte aufnehmen können.

In diese verrückte Welt des Spiels, der Frauen, des Alkohols und der Verschwendung, in der die bestialischsten und ungebildetsten Piraten in Luxuskaleschen herumfuhren, Seidenhemden trugen und sich mit Perlen und Smaragden behängten, hielt eines heißen Mittags die Jacare ihren Einzug. Nachdem sie die gefährlichen Riffe geschickt umsegelt hatte, glitt sie mit weißer Flagge und verdeckten Kanonen in die Bucht hinein, um ihre Anker zu werfen, nur einen Steinwurf entfernt von einer riesigen Galeone, die fast dreimal soviel Takelage und Tonnage aufwies.

Niemand schien sich auch nur einen Deut um ihre Anwesenheit zu scheren.

Zu dieser brüllendheißen Stunde, in der nicht die leiseste Brise wehte und die hohe Luftfeuchtigkeit den Schweiß in Strömen fließen ließ, schliefen die Besatzungen der zwei Dutzend Schiffe, deren Masten in der Bucht schaukelten, wie fast die gesamte Bevölkerung von Port-Royal eine friedliche und wohlverdiente Siesta, um für die näherrückende lange Nacht der Orgien wieder Kraft zu schöpfen.

In Port-Royal war es strengstens verboten, etwas zu tun, was die Schläfer während ihrer so notwendigen Siesta stören konnte. Eines unglücklichen Tages nämlich war Kapitän John Davis mit übler Laune aufgewacht, hatte einen Kanonenschacht geöffnet, sorgfältig gezielt und ein Haus, das gerade am Strand errichtet wurde, mitsamt sieben lärmenden Zimmerleuten in die Luft gejagt.

Jamaika war geradezu par excellence der Ort, wo sich Piraten und Korsaren entspannen und zerstreuen konnten. Es lebte von deren Beute und wuchs mit deren Plünderungen. Die Spanier hatten die Insel nicht überfallen, da sie nur zu gut wußten, daß sie auf keine Flotte zählen konnten, die auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte, es mit den vereinten Kräften der Engländer, Piraten und Korsaren aufzunehmen.

Kein Wunder, daß dieses Zentrum fabelhafter Reichtümer und Zerstreuungen Abenteurer, Prostituierte, Glücksritter und Vagabunden aus aller Herren Länder anzog wie Honig die Fliegen, denn an keinem anderen Ort konnte ein Hungerleider binnen Stunden zum schwerreichen Mann werden und umgekehrt.

Einige Meilen von Rocky Point entfernt hatte sich ein gutes Jahrhundert lang ein Barockpalast mit weißen Marmorsäulen erhoben, den ein verrückt gewordener Wucherer zwei wunderschönen türkischen Zwillingen geschenkt hatte, kaum hatten die beiden ihre zarten Füße in das beste Bordell der Stadt gesetzt. Einzige Bedingung war, daß kein anderer Mann die Mädchen jemals mehr zu Gesicht bekommen sollte.

Man erzählte sich, daß die Zwillinge, die sich in sexueller Hinsicht am liebsten miteinander vergnügten, das Angebot nur zu gerne annahmen und den Rest ihres langen Lebens in dem prunkvollen Herrenhaus verbrachten. Ihre einzige Verpflichtung bestand darin, jedes Wochenende den lüsternen Wucherer mit ihren erotischen Spielen zu unterhalten.

Nachdem Sebastián Heredia lange Zeit durch das Achterfenster seiner Kajüte die ruhige Bucht beobachtet hatte, über der zur Mittagszeit nicht mal die Reiher flogen, vielleicht aus Furcht, einen Kanonenschuß abzubekommen, schaute er zunächst Celeste an, die in ihrer Koje lag und sich vor Spannung sprühend Luft zufächelte, dann wandte er sich seinem Vater zu, der in einen alten Sessel versunken war und sich nur mit Mühe wachhielt.

»Ihr müßt euch hier einige Zeit einschließen«, gab er ihnen schließlich mit Bedauern zu verstehen. »Ihr solltet den ganzen Tag über nicht an Deck erscheinen, damit man euch nicht von den Nachbarschiffen aus sehen kann, denn wenn man euch später an Land wiedererkennt, sind wir in Gefahr.«

»Wie lange?« wollte seine Schwester wissen.

»Bis ich ein Haus gefunden habe, abgelegen, komfortabel und diskret. Wichtig ist, daß niemand euch mit der Jacare in Verbindung bringt.«

»Und was ist mit der Besatzung?«

»Um die kümmere ich mich.«

»Nimm an, einer deiner Männer entschließt sich, zu desertieren und für immer an Land zu bleiben. Was dann?« fragte sein Vater.

»Das wird nicht passieren!« lautete die entschlossene Antwort. »Und wenn doch, werde ich entsprechende Maßnahmen treffen.«

»Und wenn doch?« beharrte der andere. »Heißt das, daß wir das Haus niemals mehr verlassen können?«

»Hör zu!« rief Sebastian ungeduldig. »Ich sage dir doch, du mußt dir um keinen meiner Männer Sorgen machen. Zwing mich nicht, noch deutlicher zu werden!«

»Soll das etwa heißen, daß du jeden umbringst, der auf der Insel bleiben will?« mischte sich Celeste etwas fassungslos ein. »Das scheint mir doch ein allzu hoher Preis für unsere Sicherheit zu sein.«

»Ich muß ihn ja nicht gleich umbringen«, stellte ihr Bruder klar. »Ich brauche ihn nur mitzunehmen, ob er will oder nicht, und ihn auf einer einsamen Insel aussetzen. Ein Piratenkapitän muß blinden Gehorsam erwarten können, und wer einen Befehl nicht ausführt, weiß, was er riskiert. Und ich werde befehlen, daß an dem Tag, an dem wir die Anker lichten, alle Männer an Bord sein müssen.«

»Ich vertraue darauf, daß sie dir gehorchen.«

»Sie setzen ihr Leben aufs Spiel.«

Sebastian war so entschlossen und kurz angebunden, daß ihn selbst sein eigener Vater streng ansah.

»Oft erkenne ich dich nicht wieder. Langsam führst du dich auf wie ein richtiger Pirat.«

»Ich bin ein Pirat, Vater!« erwiderte der Kapitän der Jacare unwirsch. »Als ich mir dieses Schiff aufgeladen habe, wußte ich sehr gut, auf was ich mich einließ, und ich bin zu dem Entschluß gekommen, daß es in meinem Leben kein Hin und Her gibt. Wenn ich eines Tages ein spanisches Schiff versenken oder einen meiner Männer aufhängen muß, wird mir die Hand nicht zittern, denn an dem Tag, an dem das passiert, werde ich meine Befehlsgewalt unverzüglich aufgeben.«

»Wäre das nicht ohnehin das Beste?«

»Das haben wir schon diskutiert. Nein, das wäre es nicht. Wie Celeste schon gesagt hat, bin auch ich ein Kind meiner Zeit.«

Als die Sonne die Wipfel der Palmen im Westen der Bucht streichelte und eine leichte Brise die schlaffen Fahnen fächelte, da erschien es, als hätte dieser Wind die Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt. In den Straßen regte sich plötzlich Leben, die Freudenmädchen machten sich hübsch, die Händler öffneten ihre Läden, und die Wirte wischten die Tische ab und füllten die Krüge mit Rum.

Port-Royal machte sich zu einer neuen Nacht der Sünde bereit, in der alles, außer Raub, erlaubt schien.

Bei Anbruch der Dunkelheit sprangen die Besatzungen der großen Schiffe in die Beiboote, um ohne Hast zum Strand zu rudern. Bald näherte sich eine Schaluppe der Jacare, und ein kleiner Mann mit riesigem Schnurrbart und rumseliger Stimme rief nach oben:

»Ahoi Jacare! Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen. Wo bist du, verfluchter schottischer Rotschopf? Seit Jahren hab ich dich nicht mehr gesehen.«

Lucas Castano lehnte sich rasch über die Reling, um den Neuankömmling lächelnd zu begrüßen.

»Guten Abend, Kapitän Scott! Tut mir leid, aber der Kapitän fühlt sich nicht wohl und hat befohlen, daß ihn keiner stört.«

»Hab mich schon gewundert, warum er so ohne Grund hier auftaucht!« schluckte der andere die Lüge. »Was ist los mit ihm?«

»Das Fieber, Senor. Ihr wißt ja! Der Arzt sagt, nach einigen Tagen Ruhe ist er wieder wie neu.«

»Ach was, alt ist er«, lästerte Kapitän Scott und bedeutete seinen Männern, ihn an Land zurückzurudern, während er ausrief: »Hast du mich gehört, verfluchter schottischer Saufkopf? Alt bist du und traust dich nicht mehr zu den Huren von Port-Royal!«

Er verschwand in der Dunkelheit, während er sich auf die Schenkel klatschte, als hätte er niemals etwas Spaßigeres gesagt.

Erst jetzt ließ Lucas Castano die Mannschaft vor dem Achterkastell versammeln und befahl in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete:

»Alle, die keinen Wachdienst haben, können an Land gehen und saufen, was das Zeug hält, aber denkt daran: Der >alte Kapitän< bleibt weiterhin mit Fieber an Bord und will nicht gestört werden.« Drohend richtete er den Finger auf sie und fügte hinzu: »Morgen um zehn seid ihr wieder an Bord, oder ihr bekommt die Peitsche zu schmecken.«

»Um zehn!« protestierte eine anonyme Stimme.

»Morgens um zehn schließen die Bordelle und die Schenken, also habt ihr um diese Zeit nichts an Land verloren. Wer das letzte Boot verpaßt, darf schwimmen und wird sich damit abfinden müssen, daß ich ihm ein kariertes Hemd auf den Rücken zeichne.«

Das unzufriedene Gemurmel war schon nach einigen Augenblicken verschwunden, denn die Gewißheit, vierzehn Stunden der Zerstreuung vor sich zu haben, entschädigte für jede Auflage, und bereits wenige Minuten später waren nur noch die drei Männer an Bord der Jacare, die für den Wachdienst der ersten Nacht eingeteilt worden waren, sowie der philippinische Koch, Lucas Castano und die drei Mitglieder der Familie Heredia.

Letztere vier nahmen auf dem Achterkastell ein üppiges Abendessen ein und genossen die angenehme Seebrise, die ihnen die Moskitos vom Hals hielt, während das Lärmen und Lachen aus der Stadt zu ihnen hinüberwehte. Die Lichter der Stadt spiegelten sich in dem stillen Wasser der Bucht, in der sich die Silhouetten der küstennäher vor Anker gegangenen Schiffe abzeichneten.

Seit langem hatten sie keinen so angenehmen Abend mehr verbracht, denn vom riesigen Nachbarschiff wehte bald eine hinreißende Melodie herüber, und wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellten, konnten sie acht Musiker in schönen Uniformen ausmachen, die vor einem Dutzend Gäste auf ihren Saiteninstrumenten spielten.

»Das muß das neue Schiff von Laurent de Graaf sein«, bemerkte Lucas Castano. »Immer hat er ein Orchester an Bord, das sogar im Schlachtgetümmel spielt.«

»Das machen sie wirklich gut!« sagte Celeste anerkennend.

»Natürlich!« versetzte der Panamese. »Aber da er so nah ist, empfehle ich dir, daß du dich nicht sehen läßt. Es heißt, daß keine Frau De Graaf widerstehen kann, weil er der attraktivste Pirat der Karibik ist, mit den erlesensten Manieren.«

»Hast du Angst um meine Tugend?« wollte sie belustigt wissen.

»Ich habe eher Angst vor einem Kanonenduell mit diesem Monstrum, ohne daß wir Platz zum Navigieren haben«, stellte der Panamese klar. »Wenn sich eine Frau an Bord von einem Mann eines anderen Schiffs verführen läßt, ist es Brauch, daß die Ehre der Besatzung mit Blut und Feuer reingewaschen wird, und in diesem Fall verlieren wir.«

»Ich werde mir das hinter die Ohren schreiben!« sagte das kecke Mädchen reichlich verschmitzt. »Meine Tugend, so sehr ich sie schätze, ist sicher kein Schiff wie die Jacare samt Besatzung wert.«

Ihr Bruder musterte sie, als hätte er sich immer noch nicht an ihr lockeres Mundwerk und ihr Benehmen gewöhnt.

»Du erstaunst mich immer wieder!«

»Wart’s ab. Aber mach dir keine Sorgen«, fügte sie lächelnd hinzu. »Ein Pirat in der Familie reicht.«

Sebastián wandte sich seinem Vater zu:

»Versprich mir, daß du ihr eine Begleiterin suchst, die ihr beibringt, wie sich eine richtige Senorita benimmt! Sie macht mich verrückt!«

»Ach komm!« rief Celeste aus und tätschelte ihm zärtlich die Wange. »Im Grund gefällt es dir doch, daß ich so bin. Dein Gesicht hätte ich sehen mögen, wenn du festgestellt hättest, daß du eine affektierte und scheinheilige Schwester hast.«

»Übertreiben mußt du es aber auch wieder nicht. Und jetzt schaue ich mir dieses berühmte Port-Royal mal näher an, von dem sie alle soviel reden.«

Kaum hatte Sebastián Heredia seinen Fuß in den Sand des Strands gesetzt, fühlte er sich wie auf einem verrückten Karussell. Eine neue Erfahrung jagte die andere. Die verschwenderische Zurschaustellung von Luxus, die oft zwischen Extravaganz und schlechtem Geschmack pendelte, überstieg in dieser von allen guten Geistern verlassenen Stadt alles, was ihm seine Gefährten an Bord während der vielen Jahre langweiliger Wachdienste an Deck hatten erzählen können.

Eine Tür führte in eine Würfelbude, die nächste in eine Schenke oder in ein Bordell. Schwere Kaleschen, von Pferden mit kostbarem Geschirr gezogen, fuhren die einzige Hauptstraße dieser chaotischen Stadt auf und ab, während schöne Frauen jeglicher Herkunft und allen Alters schamlos ihre Reize zur Schau stellten und sich von jedem potentiellen Klienten begrapschen ließen, der seine appetitliche »Ware« prüfen wollte, bevor er sie kaufte.

Von den weiten Baikonen forderten halbnackte Mädchen zischelnd die Passanten auf, über kurze Treppen zu ihnen hinaufzusteigen, und an den Türen der Spielhöllen priesen schwarze Sklaven mit riesigen Körben und schallenden Stimmen die besten Würfelpartien der gesamten Insel an.

Auf halber Höhe der Straße stieß Sebastián auf das riesige Schild, das die weltberühmte Schenke der»Tausend Jakobiner« ankündigte. Neugierig beschloß er, einen Blick auf den später nie mehr benutzten Tisch zu werfen, auf dem die Würfel gerollt worden waren, die in einer einzigen Nacht den unglücklichen Vent en Panne steinreich und bettelarm gemacht hatten.

Da stand er, stattlich und robust, auf einem kleinen Podest aus dunklem Mahagoni: ein absurdes und sehr eigenwilliges Denkmal, das die Seeräuberei in ihrer reinsten Form zu verkörpern schien. Dieses kleine Möbelstück symbolisierte alle Niedertracht und Größe in den Herzen der Menschen, die sich dem gefährlichsten und verrufensten Handwerk auf Erden verschrieben hatten.

Mehr als jede Kanone, jeder Säbel oder jede schwarze Totenkopfflagge machte dieser historische Tisch deutlich, was es hieß, ein Pirat zu sein: genügend Mumm zu haben, um alles bis auf den letzten Maravedi oder den letzten Tropfen Blut in einem schlichten Spiel zu riskieren.

Mit dem Vermögen, das der Pechvogel Vent de Panne in einer einzigen Nacht gewonnen und verloren hatte, hätten zwanzig Männer hundert Jahre lang in Luxus leben können. Augenzeugen erzählten jedoch, daß der gleichmütige Franzose, nachdem er schließlich auch noch seinen Stock mit Goldknauf, sein besticktes Hemd und seine Uniformjacke verspielt hatte, lediglich mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen gemurmelt hatte:

»Was für eine beschissene Nacht!«

Zweifellos war das der Grund, warum die Männer von Port-Royal nicht den gerissenen Francis Drake, den tapferen Sir Walter Raleigh, den brutalen L’Olonnois, den galanten Chevalier de Grammont oder den unbesiegbaren Henry Morgan als größten ihrer Helden in den Himmel hoben, sondern den glücklosen Vent en Panne. Er stand für alles, was sie in ihrem Leben hatten sein wollen.

Sebastian streckte die Hand nach dem Tisch aus, als ihn eine Rothaarige, die sich den Ausschnitt von einem sehr erregten Freier küssen ließ, geradezu hysterisch warnte:

»Rühr ihn nicht an! Rühr ihn nicht an, wenn du nicht willst, daß dich das Pech bis zum Galgen verfolgt.«

»Gott bewahre mich davor!« entgegnete er und zog hastig die Hand zurück. »Ist das wahr?«

»Und ob!« erwiderte die attraktive Hure. »Aber wenn du willst, daß dir das Glück treu bleibt, gieß einige Tropfen vom besten Rum darauf und schenk dem Großen Spieler einen freundlichen Gedanken.«

Sebastian bestellte einen Krug vom besten Rum und ließ einige Tropfen auf den Tisch fallen. Anschließend nahm er in der entlegensten Ecke des großen Saals Platz und beobachtete das Kommen und Gehen der Huren und Betrunkenen, die das Vergnügen, das man hier kaufen und mieten konnte, voll auskosten wollten, als wären die meisten von ihnen überzeugt, daß dies vielleicht die letzte Nacht ihres Lebens sein könnte.

Bei der Gelegenheit entdeckte er ein dickes Seil mit Galgenschlinge, das in dieser Ecke der Schenke von einem Stützbalken hing. Daher nahm er das fleißige Mädchen, das mit Krügen an ihm vorbeilief, am Handgelenk:

»Was soll das bedeuten?«

»Laß den Rum lieber heute in Strömen durch die Kehle fließen, denn schon morgen kann dir eine Schlinge wie diese die Gurgel endgültig abschnüren.«

»Etwas makaber, findest du nicht?«

Das Mädchen deutete auf den mürrisch dreinblickenden Wirt, der hinter der Theke Gläser spülte.

»Erzähl das dem Hinkebein! Aber ich warne dich, den letzten, der sich beschwert hat, hat er bis zum Morgen an einem Bein aufgehängt.«

Sie eilte weiter, und Sebastian beließ es dabei, schweigend weiterzutrinken, bis die ausgelassene Rothaarige, die der wenig einträglichen Zuwendungen ihres begeisterten Bewunderers offensichtlich müde war, ihm gegenüber Platz nahm.

»Hallo!« begrüßte sie ihn mit einem Lächeln. »Ich heiße Astrid, und du?«

»Sebastián.«

»Ich bin eine Hure. Und du?«

»Navigator.«

»Navigator?« wiederholte das Mädchen und beugte sich vor, vielleicht um ihre schönen Brüste besser zur Geltung zu bringen, vielleicht weil sie diese Mitteilung wirklich interessierte. »Tatsächlich ein Navigator?«

»Tatsächlich.«

»Spanier?«

»Zur Hälfte Spanier.« Der Margariteno lächelte und senkte seine Stimme, als wolle er ein Geheimnis verraten. »Aber auf diese Hälfte habe ich schon vor Jahren verzichtet.«

»Bist du in die Navigatorenschule der Casa gegangen?«

»Nein.«

»Schade!« bedauerte die Dirne. »Wenn du in der Schule der Casa studiert hättest, dann hätte ich dir die beste Arbeit der Welt anbieten können.«

»Die habe ich schon.«

Die rothaarige Astrid lehnte sich zurück und sah ihm direkt in die Augen, während sie überzeugt mit dem Kopf schüttelte.

»So eine nicht! Ich kenne einen Kapitän, der einem abtrünnigen Navigator fünftausend Pfund Heuer und ein Fünftel der Beute bietet.«

Jacare Jack ließ einen Pfiff der Bewunderung hören.

»Verdammt! Das ist wirklich sehr viel Geld. Aber ich sag dir was: Kein Kapitän auf der ganzen Welt gibt seinem Navigator ein Fünftel seiner Beute ab, nicht einmal einem abtrünnigen Spanier.«

»Dieser schon.«

»Wahrscheinlich, weil er nichts zu verteilen hat. Und ein Fünftel von nichts ist nichts.«

Von neuem beugte sich die Rothaarige vor, und das Schauspiel, das sie bot, ließ einen Mann nicht gleichgültig, der seit Monaten nichts Vergleichbares genossen hatte.

»Dieser hat eine Menge zu verteilen«, säuselte sie. »Mehr als nichts, und wenn du wirklich ein guter Navigator bist, solltest du darüber nachdenken…« Wieder sah sie ihm direkt in die Augen. »Wollen wir darüber im Bett weiterdiskutieren?«

»Warum nicht?«

Die rothaarige Astrid wohnte in einer einladenden Hütte fast unmittelbar hinter der Schenke der »Tausend Jakobiner« und direkt am Meer. Manchmal umspülten die sanften Wellen, die über das Riff schwappten, sogar die Pfähle der Hütte.

Da Astrid eine wunderbare »Professionelle« war, reinlich, erfahren und sehr amüsant, verbrachte der Margariteno bei ihr eine überaus beneidenswerte Nacht. Dann servierte sie ihm ein großzügiges Glas Rum und fragte ihn weiter aus:

»Bist du wirklich ein guter Navigator?«

»Das habe ich dir doch schon gesagt. Ich halte mich wirklich für einen guten Navigator, aber ich habe nicht das geringste Interesse, das Schiff zu wechseln. Man bezahlt mich sehr gut.«

Sie blickte ihm fest in die Augen, fuhr sich über die Nase, und schließlich murmelte sie etwas spröde:

»Ich weiß nicht, aber ich habe den Eindruck, daß du wirklich gut bist.« Sie blinzelte ihm zu. »Wenn auch nicht besser als im Bett, und wenn du mit dem Kapitän redest, bin ich sicher, daß er deine Heuer vielleicht sogar verdoppelt.«

»Hör mal zu, Kleine!« sagte Sebastian, während er mit der Zungenspitze über ihre rosigen Brustwarzen fuhr. »Ich gehe davon aus, daß du in guter Absicht handelst, doch ich kenne das Gewerbe und weiß, daß kein Kapitän so verrückt ist, einem einfachen Navigator zehntausend Pfund Heuer und ein Fünftel der Beute anzubieten. Da will dich einer betrügen.«

Astrid nahm ihn am Kinn, hob sein Gesicht und näherte sich ihm, bis ihre Lippen fast seine Nase streiften und schüttelte ein ums andere Mal den Kopf, während sie flüsterte:

»Mombars betrügt niemals. Er raubt, brandschatzt, foltert und mordet, aber niemals betrügt er.«

Sebastián Heredia sprang auf, als hätte ihn eine giftige Schlange gebissen.

»Mombars, der Todesengel!« rief er entsetzt aus. »Gütiger Gott! Bist du verrückt geworden? Dieser Kerl ist ein Sadist.«

»Nicht bei seinen Leuten«, tönte es seelenruhig zurück. »Seine Männer verehren ihn.«

»Wilde, die ihn für einen Gott halten!« entgegnete der Margariteno, ging auf eine winzige Balustrade hinaus und betrachtete das Meer, in dem sich die Mondsichel spiegelte. »Außerdem soll er sich schon vor Jahren zurückgezogen haben. Einige sagen sogar, daß er tot ist.«

»Er ist quicklebendig, kehrt aufs Meer zurück und wird bald kommen, auch wenn er sein Schiff niemals in der Bucht ankern läßt. Soll ich ein Treffen mit ihm arrangieren?«

»Mit Mombars?« empörte sich Sebastián Heredia. »Ich müßte verrückt sein!«

Bei der Eroberung Jamaikas leisteten sich die Engländer eine Reihe kapitaler Irrtümer, die es durchaus mit der stellenweise geradezu stümperhaften Vorgehensweise aufnehmen konnten, mit der sich die Spanier in der Neuen Welt etablierten.

Als Oliver Cromwell den Zeitpunkt für gekommen sah, seinen schlimmsten Feind im Herzen des spanischen Weltreichs zu bekämpfen, ernannte er William Penn – den Vater des Mannes, der das spätere Pennsylvania kolonisierte – zum Kommandanten einer 38 Schiffe zählenden Flotte. Auf dieser sollten sich Soldaten unter dem Oberbefehl von General Robert Venables einschiffen, um die Insel Santo Domingo oder Hispaniola zu erobern, die zu dieser Zeit entvölkert und weitgehend ohne Verteidigung war.

Nach kurzem Aufenthalt auf Barbados gingen knapp 7000 Männer an der Küste von Santo Domingo an Land. Sie wußten, daß der spanische Gouverneur, der Conde de Pefialva, lediglich auf etwas über hundert Veteranen zählen konnte.

Die Schlacht zwischen zwei so ungleichen Gegnern hätte man getrost als Fußnote der Geschichte abhaken können, wäre Robert Venables nicht einer der unfähigsten Strategen in einer langen Kette unfähiger Generäle gewesen. Statt die Hauptstadt im. Sturm zu nehmen, landete er weit entfernt an einer unwirtlichen Küste und zwang seine Männer, tagelang in brütender Hitze vorzurücken. Wie die Fliegen sanken die bedauernswerten Soldaten zu Boden, die an ein wesentlich milderes Klima gewohnt waren.

Admiral Penn, der den General verachtete und haßte, ließ ihn voller Schadenfreude an Land herumirren und wartete in aller Seelenruhe darauf, daß Venables ihn schließlich um Hilfe anflehen würde, um ihn aus der grausamen Falle zu befreien, die er sich selbst gestellt hatte. Eine kleine, aber kampferprobte Schar spanischer Soldaten des Conde de Penalva wandte nämlich eine schlaue Guerilla-Taktik an, mit der sie die blauäugigen Engländer unbarmherzig dezimierte.

Als es Penn schließlich dämmerte, daß eine spanische Hundertschaft ausreichte, das starke Expeditionskorps zu vernichten, war es bereits zu spät: Die meisten Männer waren tot oder desertiert, und diejenigen, die es schafften, an Bord der Schiffe zurückzukehren, boten ein Bild des Jammers.

Angesichts eines so kapitalen Fehlschlags, für den sich beide in gleicher Weise verantwortlich fühlten, kamen William Penn und Robert Venables überein, die Anker zu lichten und die Nachbarinsel Jamaika zu »erobern«. Dort, davon waren sie überzeugt, gab es keine gefürchteten spanischen Soldaten. Sie nahmen die Insel in Besitz, pflanzten ihre Fahne auf, gründeten Port-Royal und hinterließen dort eine große Garnison. Anschließend kehrten sie nach London zurück, um Oliver Cromwell zu berichten, daß sie statt des »dürren« Santo Domingo lieber das fruchtbare Jamaika erobert hatten.

Als Lohn für ihre Mühe warf sie der Lord Protector von England in den Tower von London, netterweise immerhin in benachbarte Verliese. So konnten sie sich zu jeder Tages- und Nachtzeit Beleidigungen an den Kopf werfen.

Selbst Cromwell mußte aber einräumen, daß er endlich einen Brückenkopf in den Antillen hatte, auch wenn es nur das wilde Jamaika war. Doch um sich dort zu halten, mußte er die Insel mit englischen Bürgern bevölkern.

Die englischen Bürger teilten jedoch seine Begeisterung für das heiße Moskitoreich überhaupt nicht. Auf die patriotischen Aufrufe antworteten sie, wenn Cromwell von Engländern verlangte, sich von Moskitos auffressen zu lassen, sollte er gefälligst selbst fahren.

Weil sich die Engländer stur stellten, ließ Oliver Cromwell seinen Sohn Henry, den er zum General der in Irland stationierten Truppen ernannt hatte, gesunde junge Männer und Frauen einfangen, um Jamaika zu bevölkern. Er selbst verfrachtete alle Schotten, die in diesem Augenblick im Gefängnis saßen, in die Karibik.

Auf diese Weise schickte Großbritannien in nicht einmal vier Jahren über siebentausend weiße Sklaven nach Jamaika. Diese mußten auf ihre klingenden Nachnamen schottischer oder irischer Herkunft verzichten und solche annehmen, die dem Lord Protector besser gefielen und von Städten, Farben, Blumen oder Berufen hergeleitet wurden.

Auf Jamaika zahlten die Zuckerpflanzer 1500 Pfund für jeden dieser Sklaven, und bis zu zweitausend, wenn es sich um ein schönes Mädchen handelte.

Mit dem steigenden Rumkonsum wurden aber auch die Plantagen immer größer, was den Bedarf an Arbeitern in die Höhe schnellen ließ. So entwickelte sich in England ein regelrechter Handel mit geraubten Kindern niedriger Herkunft, die man als Schmuggelware in die Kolonien schickte. Gleichzeitig stand auf das lächerlichste Delikt, das noch nicht einmal bewiesen sein mußte, eine Mindeststrafe von vier Jahren Zwangsarbeit auf den Zuckerplantagen.

Natürlich kassierte die Krone einen saftigen Anteil an dem Preis, den die »Importeure« für diese menschliche Fracht bezahlten. Dann entschlossen sich die Königin, der Herzog von York und Prinz Rupert dazu, die Royal African Company zu gründen, die Sklaven auf dem schwarzen Kontinent einfing. Es hatte sich nämlich erwiesen, daß Afrikaner die harte Arbeit in drückender Hitze eher aushielten als Weiße.

In einem Zeitraum von etwas über zwanzig Jahren führte das königliche Unternehmen an die 80 000 schwarze Sklaven zum durchschnittlichen Preis von 17 Pfund pro Kopf ein. Der Handel war allgemein soweit akzeptiert und einträglich, daß sich sogar Lloyds einschaltete, die menschliche Fracht versicherte und zehn Pfund für jeden Kranken zahlte, der »ins Meer zu werfen war, damit er die übrige Ladung nicht anstecken konnte«.

Der grausame Menschenhandel wäre auf diese Weise wohl noch lange weitergegangen, hätte nicht ein Jahrhundert später ein gewisser Kapitän Collingwood aus Liverpool nahezu tausend Männer, Frauen und Kinder ins Meer werfen lassen. Das war der Mehrheit des bis dahin »verständnisvollen« Parlaments dann doch zu viel.

Als Sebastián Heredia bei Tagesanbruch fast widerstrebend das warme Bett der feurigen Astrid verließ, war er überrascht, daß es in den Straßen von Port-Royal trotz der frühen Morgenstunde vor Leuten geradezu wimmelte. Jetzt waren es aber keine Huren und Betrunkene mehr, sondern Geschäftsleute, die in der Morgenkühle ihre Transaktionen abwickelten, bevor sie vor der Tropenhitze in ihre vornehmen Häuser flüchteten.

England war zwar mit anderthalb Jahrhunderten Verspätung in der Neuen Welt gelandet, das aber mit der Geschäftstüchtigkeit eines Privatunternehmens, dessen Aktivitäten nicht ständig von bürokratischen Blutsaugern der Casa de Contratación von Sevilla abgewürgt wurden.

Während man in der übrigen Karibik zur höheren Ehre Gottes und der Krone eher schlecht als recht lebte, machte man auf Jamaika und Barbados lieber Geschäfte zur höheren Ehre der Menschen. Das »weiße Gold«, der Zucker, versetzte Berge, während die Seeräuberei inzwischen die Meere zum Kochen brachte.

Das Geld wechselte mit faszinierender Geschwindigkeit den Besitzer, und der Geruch des schnöden Mammons zog Menschen aus allen möglichen Ländern an. Denen ging es nicht mehr so sehr um das schnelle Geld mit Seeräuberei, Glücksspiel oder Prostitution: Sie wollten lieber auf »ehrlichere« Weise reich werden, auch wenn das länger dauerte.

»Ein kühles Herrenhaus mit Gärten, Meerseite und weit weg von indiskreten Blicken?«‘ wiederholte der beflissene kleine Mann mit strohgelbem Spitzbart und kreisrunden Brillengläsern die Frage von Sebastian Heredia. »Ihr seid an die richtige Adresse geraten, Senor. Wir sind auf solche Aufträge spezialisiert. Übrigens war Seine Exzellenz, Kapitän Henry Morgan, einer unserer besten Kunden.«

»Das wußte ich«, entgegnete der Margariteno, dem das große, dunkel getäfelte Büro, das man offenbar Tisch für Tisch und Stuhl für Stuhl vom Themseufer hierher versetzt hatte, befremdlich schien. »Darum bin ich hier. Man hat mir versichert, daß Ihr alles, was Ihr nicht habt, bauen lassen könnt. Ist das wahr?«

»So wahr wie eine gerechte Sonne auf uns scheint. Unsere Architekten sind ohne Zweifel die besten der Insel. An welche Summe hattet Ihr gedacht?«

»Was nötig ist.«

»Was nötig ist?« wiederholte das Männchen mit breitem Grinsen und lächelte ihm verschwörerisch zu. »Eure Geschäfte gehen sicher blendend.« Er rieb sich ein ums andere Mal die Hände, was ihn zutiefst glücklich zu machen schien. »Sehr gut! Wollen mal sehen! Im Augenblick verfüge ich über eine Villa bei Caballos Blancos, die meiner Meinung nach perfekt geeignet wäre.« Er lächelte wieder. »Eine schöne Dame kann sich dort sehr angenehm die Zeit vertreiben, während sie auf die Rückkehr ihres Geliebten wartet.«

»Wann könnte ich sie besichtigen?«

Mister Cook, dessen Nachname, Spitzbart und gepflegte Jacke die übrige Inselbevölkerung darauf hinwies, daß er einer der zahllosen Iren war, die vor Jahren zwangsweise in die Kolonie hatten auswandern und dabei Name und Kleidungsgewohnheiten hatten ändern müssen, blickte auf seine Taschenuhr, dann durch das große Fenster auf den Himmel, dann entgegnete er mit eher mäßiger Begeisterung:

»Wir kommen zwar noch in der Morgenkühle hin, aber die Rückfahrt wird sehr stickig sein.«

»Die Hitze macht mir nichts aus.«

»Ich dagegen finde sie gräßlich. Zwar bin ich dem Land sehr dankbar, daß es mir meinen Wohlstand ermöglicht hat, aber an zwei Dinge werde ich mich nie gewöhnen: die Hitze und die Moskitos.« Er lächelte belustigt. »Wißt Ihr, daß Kolumbus einmal gesagt hat, daß die schlimmsten Feinde, mit denen er es in seinem Leben zu tun gehabt hatte, die Moskitos der Nordküste Jamaikas waren?«

»Nein«, gab der Margariteno zu. »Das wußte ich nicht.«

»Aber so ist es. Laßt Euch also niemals an der Nordküste nieder. Hier treibt der Südwind die Moskitos ins Landesinnere, doch dort oben ist es umgekehrt, und ich garantiere Euch: Das haltet Ihr nicht aus.«

Mister Cook erzählte weiter von seiner Insel und ihren Eigenarten, während sie in einer kleinen Kutsche, die von einem schweißglänzenden Pferd gezogen wurde, auf einem breiten und gepflegten Weg entlangfuhren. Er führte an der Küste entlang, an der immer wieder Fischerhütten auftauchten, während sich weiter landeinwärts luxuriöse Herrenhäuser erhoben, umgeben von ausgedehnten Zuckerrohrplantagen, auf denen Dutzende von Sklaven schufteten.

»Meiner Meinung nach macht man in Caballos Blancos den besten Rum«, kommentierte der Ire. »Die Fabrik gehört einem Schotten, der in nur wenigen Jahren damit steinreich geworden ist. Mir ist zu Ohren gekommen, daß er davon träumt, in seine Heimat zurückzukehren, um dort eine große Whiskybrennerei aufzubauen.« Er wandte sich Sebastian zu, ohne die Zügel schleifen zu lassen. »Vielleicht wollt Ihr Euch in den Rumhandel begeben? Diese Fabrik wäre eine großartige Investition und vielleicht könnten wir…«

Kapitän Jacare Jack unterbrach ihn und deutete auf die verkohlten Ruinen eines riesigen Hauses auf einem wunderschönen Landvorsprung, das von hohen Palmen, schattigen Bäumen und zahlreichen farbenprächtigen Blumenbeeten umgeben war. Über einem blauen, kristallklaren Korallenmeer zeichneten sich schwarze Balustraden und Balken ab.

»Was ist das?« fragte er.

»Ruinen!« erwiderte der andere mürrisch.

»Das sehe ich. Aber die Lage ist hinreißend. Wem gehören sie?«

»Heute niemandem mehr. Einmal war das die luxuriöseste Villa der Insel. Kapitän Bardinet hat sie erbaut.«

»Was ist passiert?«

»Das ist eine traurige Geschichte.«

»Die würde ich gern hören.«

Sein Gegenüber blickte ihn mit Befremden von der Seite an. Er schien zu zögern, doch schließlich zuckte er mit den Schultern und fing an zu erzählen, ohne das abgebrannte Haus zu seiner Rechten aus den Augen zu lassen:

»Kapitän Bardinet lebte nicht nur vom Rum, sondern auch von Schiffen… Ihr wißt, was ich meine. Eines Tages lernte er in London ein wunderschönes und zartes Fräulein von hohem Stand kennen, heiratete sie, brachte sie auf die Insel und baute ihr diese Villa. Jahrelang waren sie das glücklichste Paar auf Jamaika, obwohl der Kapitän als einer der Stellvertreter Morgans oft auf See war. Als er nach der Eroberung Panamas mit seinem Anteil an der riesigen Beute zurückkehrte, lief er schnurstracks zu seinem Haus, weil seine Frau kurz vor der Niederkunft ihres ersten Kindes war. Leider starb sie während der Geburt, was den Kapitän in tiefste Verzweiflung stürzte. Die ging allerdings in schäumende Wut über, als ihm die Hebamme die Schuldige am Tod seiner über alles geliebten Frau brachte: ein schwarzes Mädchen.«

»Ein schwarzes Mädchen?« wiederholte Sebastian überrascht.

»Genau! Offensichtlich hatte sich das Früchtchen, wenn ihr Gatte verreist war, so ziemlich mit jedem Sklaven der Plantage verlustiert.«

»Potz Blitz!«

»Ihr sagt es! Blitz und Donner! Kapitän Bardinet stürmte in die Baracke der Sklaven, kastrierte sie bei lebendigem Leib und schlug ihnen anschließend persönlich der Reihe nach den Kopf ab. Zu guter Letzt steckte er das Haus in Brand, ging an Bord seines Schiffs und verschwand.«

»Eine traurige Geschichte!«

»Sehr traurig, Senor. Vor allem, wenn man bedenkt, daß dieses Fräulein aussah, als könne es kein Wässerchen trüben. Stille Wasser sind tief!«

Schweigend fuhren sie weiter, bis sie zwanzig Minuten später die gesuchte Hacienda erreichten: in der Tat ein verschwiegenes, kühles und angenehmes Haus, bemerkenswert gut möbliert und nicht einmal dreihundert Meter von einem breiten Strand entfernt, an den sanft die Wellen spülten.

Sebastián Heredia sah sich jedes Zimmer an, dann nahm er unter dem Portal Platz. Der Ire sah ihn aufmerksam an, bis Sebastian schließlich nickte.

»Ich nehme es. Aber nur so lange, wie es dauert, das Herrenhaus zu errichten, das wir gesehen haben.«

»Die Negrita von Bardinet?« fragte der andere entsetzt. »Das ist nicht Euer Ernst!«

»Das ist mein voller Ernst.«

»Aber dieses Haus ist verflucht.«

»Die Herrin war verflucht, nicht das Haus. Könnt Ihr es mir verschaffen?«

»Natürlich!« kam es wie aus der Pistole geschossen zurück. »Ich kann Euch sogar die ursprünglichen Baupläne besorgen. Den Bau übernehmen wir.«

»Dann gibt es nichts mehr zu bereden. Wir sind uns einig.«

Zurück auf der Jacare berichtete er seinem Vater und seiner Schwester in Anwesenheit von Lucas Castano von der Abmachung, die er getroffen hatte.

»La Negrita zu bauen, zu möblieren und einzurichten wird euch die Zeit vertreiben«, schloß er. »Und ich kann euch versichern, das ist der schönste Ort, den ihr jemals gesehen habt.«

»Was wird das alles kosten?« fragte Celeste sofort.

»Das ist meine Angelegenheit.«

»Aber hast du denn genug Geld?«

»Falls nicht, werde ich es mir beschaffen«, lautete die gelassene Antwort. »Es geht das Gerücht um, daß sich eine große Armada versammelt, um die spanische Flotte abzufangen, wenn sie Kuba verläßt. Wir könnten uns anschließen.«

»Weißt du, was das bedeutet?« warf der Panamese ein.

»Das weiß ich«, erwiderte Sebastián Heredia. »Das heißt, daß unsere Flagge neben denen der Korsaren flattern wird, was der Alte stets verabscheut hat. Aber was können wir sonst tun, wenn die Männer keine Lust mehr haben, Frachtschiffe anzugreifen. Allein können wir es weder mit der Flotte aufnehmen noch eine Festung angreifen. Oder etwa doch?«

»Nein. Natürlich nicht«, räumte sein Stellvertreter ein. »Aber wenn ein Korsar den Angriff auf die Flotte leitet, wird das ein Massaker, aus dem wir kaum einen Vorteil ziehen werden.« Er deutete auf die Galeone, die nicht weit vor Anker lag. »Wenn allerdings De Graaf der Anführer ist, können wir darüber nachdenken. Er ist schlau, und Gold interessiert ihn mehr als Blutvergießen.«

»Kennst du ihn?«

Lucas Castano machte eine Geste, als wolle er nicht zuviel verraten.

»Ich habe mal mit ihm gesprochen. Der Alte schätzte ihn, und sie haben sich oft gemeinsam betrunken.«

»Ich kann es nicht glauben, daß ihr Pläne schmiedet, die Flotte anzugreifen oder mit dem Abschaum der Welt gemeinsame Sache zu machen«, warf Miguel Heredia unvermittelt ein. Es mußte ihm sehr unangenehm sein, dem Sohn offen entgegenzutreten. »Bist du dir im klaren, wohin dich das führen kann?«

»Daß ich ein richtiger Pirat werde, Vater. Das haben wir doch schon diskutiert«, lautete die säuerliche Antwort. »Du mußt das ein für allemal begreifen: Was ich mache, mache ich richtig. Schau dich doch um! Abgesehen von diesen vier Zuckerschonern siehst du hier nur Piratenschiffe. Wir können nur mit den Wölfen heulen.«

»In diesem Fall sollten wir fortsegeln…« murmelte Celeste.

»Wohin denn?« fragte ihr Bruder. »Martinique ist mehr oder weniger das gleiche auf französisch. Tortuga ist bloß noch eine Ruine, ein armseliges Banditennest, und überall sonst flattert die spanische Fahne, was heißt, daß man uns dort jeden Augenblick aufhängen könnte.« Er tätschelte zärtlich ihre Hand. »Wohin also sollen wir segeln, Kleine? Gib mir einen Tip, und ich verspreche dir, darüber nachzudenken.«

Der junge Kapitän der Jacare hatte natürlich recht. Wenn sie alle den Rest ihres Lebens in der Neuen Welt verbringen wollten, gab es nicht viele Orte, an denen nicht eines schönen Morgens der Galgen auf sie wartete.

Wenn sich ein neuer Nachbar in irgendeiner spanischen Besitzung in Übersee niederließ, dann holte die Casa de Contratación von Sevilla erst einmal Informationen über Vorfahren und Herkunftsort ein und verglich diese Daten mit denen ihres zentralen Archivs. Auf diese Weise konnte sie auch noch den letzten Einwohner der Kolonien kontrollieren.

Ohne Erlaubnis mit Unterschrift und Stempel eines Beamten der Casa war es einem Bürger fast unmöglich, von einem auch nur einigermaßen zivilisierten Ort an den anderen umzuziehen.

Es war nur zu gut bekannt, daß die Zeit, der Eifer und die bemerkenswerte Anstrengung, welche die Spanier in Westindien aufbrachten, um sich vor möglichen inneren Feinden zu »verteidigen«, nichts mit der Gleichgültigkeit gemein hatte, mit der man, wenn es darauf ankam, äußere Feinde bekämpfte. Die spanischen Richter schienen unendlich viel glücklicher dabei zu sein, einen elenden Hühnerdieb einzusperren, statt einen brutalen Freibeuter aufzuhängen, der eine Galeone voller Schätze versenkt hatte.

Dieser Widersinn lag vielleicht in der Tatsache begründet, daß besagte Richter offenbar die nicht so abwegige Meinung vertraten, daß die Bestrafung eines Hühnerdiebs andere Hühnerdiebe abschrecken würde, während ein Freibeuter, den man aufknüpfte, nicht verhinderte, daß neue Piraten neue Schiffe versenkten.

Eine attraktive junge Frau, die das unverzeihliche Verbrechen begangen hatte, sich mit über zweitausend Perlen der Casa aus dem Staub zu machen, hatte daher keinerlei Chance, irgendwo in den riesigen, von der Casa kontrollierten Territorien unbemerkt zu bleiben. Sich anderswo als auf Barbados oder Jamaika niederzulassen war daher ein unmöglicher Traum.

»Niemand von uns hätte sich je vorstellen können, Flüchtling vor dem Gesetz zu werden«, bemerkte Sebastian in der gleichen Nacht beim Abendessen, als die Musiker des Nachbarschiffs eine ihrer kurzen Pausen einlegten. »Doch genau das sind wir jetzt, und je früher wir uns damit abfinden, um so besser.«

Celeste setzte behutsam den Silberpokal ab, aus dem sie gerade trank und auf dem der Totenkopf und das Krokodil eingraviert waren, musterte ihren Bruder verwirrend lange und wollte schließlich wissen:

»Sag mir eins, und sei bitte ehrlich: Warst du schon entschlossen, ein Pirat zu werden, bevor wir uns wiedergesehen haben?«

»Natürlich! Eigentlich war ich es schon.«

»Und könnte meine Anwesenheit dazu beitragen, daß du dieses Geschäft eines Tages aufgibst?«

»Wahrscheinlich.« Der Junge deutete auf seinen Vater. »Jetzt habe ich zwei gute Gründe, mich zurückzuziehen, wenn ich genug Geld zusammen habe.«

»Gut!« sagte das Mädchen. »In diesem Fall denke ich, daß du recht hast und wir nicht mehr darüber sprechen sollten.« Sie blickte ihren Vater von der Seite an. »Unsere Aufgabe wird sein, dir den Aufenthalt an Land so angenehm zu gestalten, daß du die Lust verlierst, wieder in See zu stechen.« Sie hob den Pokal: »Auf den jüngsten Piratenkapitän der Geschichte!«

Lucas Castano unterbrach sie.

»Mach lieber den gerissensten daraus. Der jüngste Kapitän in der Geschichte war Mombars.«

»Der Todesengel?« fragte Sebastian überrascht.

»Genau der«, bestätigte der Panamese. »Mit achtzehn Jahren gehörte ihm schon ein Schiff, und er hatte höchstpersönlich über vierzig Menschen umgebracht. Schon damals war er ein Monster, mit buschigen pechschwarzen Augenbrauen und langem, braunem Kraushaar. Er sah aus wie ein Dämon aus der Unterwelt. Er trank nicht, spielte nicht, und auch Frauen rührte er nicht an. Seine Besatzung bestand fast ausschließlich aus den wildesten Indios der Region. Sein größtes Vergnügen bestand darin, einen Gefangenen aufzuschlitzen und seine Eingeweide an einen Baum zu nageln. Dann mußte der Mann losrennen, während sich seine Gedärme entrollten wie eine Schlange.«

»Gütiger Gott!« entsetzte sich das Mädchen und stellte den Pokal erneut mit zitternder Hand auf das Tischtuch. »Solche Menschen kann es doch nicht geben!«

»Und ob es die gibt!« beharrte der Panamese. »Genau so ist Mombars. Und L’Olonnois steht ihm in nicht viel nach. Beide sind sie verrückt, aber der Todesengel schießt den Vogel ab.«

»Gestern nacht hat mir eine Dirne vorgeschlagen, auf seinem Schiff anzuheuern.«

Lucas Castano schaute ihn ungläubig an:

»Soweit ich weiß, hat er sich an einen geheimen Ort zurückgezogen. Es geht sogar das Gerücht um, daß die Wilden ihn gefressen haben. So ist es L’Olonnois auf der Insel Baru ergangen. Bist du sicher, daß sie Mombars gemeint hat?«

»Das hat sie. Offensichtlich braucht er einen guten Navigator und ist bereit, dafür ein Vermögen auszugeben.«

»Das trifft sich nicht schlecht«, räumte der Panamese nachdenklich ein. »Mombars’ Problem ist immer die Navigation gewesen. Weder er noch seine verdammten Wilden haben auch nur einen Schimmer, wie man eine Seekarte liest.« Fast flüsternd, als fürchtete er, daß ihn jemand hören könnte, fuhr er fort: »Da geht es ihm wie L’Olonnois. Der hat im Lauf seines Lebens nicht weniger als vier Schiffbrüche erlitten und dabei zahlreiche Männer und viele Millionen verloren. Macht eigentlich Sinn: Wenn Mombars sich dazu entschließt, sein Versteck zu verlassen und wieder aktiv zu werden, dann braucht er zunächst mal einen guten Navigator. Und wenn er einen braucht, dann ist Port-Royal der beste Ort, um einen zu finden. Das wäre ja phantastisch!«

»Was ist daran phantastisch, wenn er so ein sadistischer Mörder ist, wie du sagst?« wollte Celeste Heredia ein wenig verwirrt wissen.

Lucas Castano blickte sie an, als ob er sie nicht gehört hätte. Sein Geist war weit weg, in irgendeine Idee vertieft, die ihm fortwährend im Kopf herumging, und als er schließlich in die Wirklichkeit zurückkehrte, schenkte er ihr ein seltsames Lächeln.

»Entschuldige! Ich war mit den Gedanken ganz woanders!«

Er nahm einen tiefen Schluck, bevor er im gleichen vertraulichen Ton fortfuhr: »Phantastisch daran ist, daß Mombars nur ans Töten, Foltern und Verstümmeln denkt. Daher hat er niemals auch nur einen Heller seines Beuteanteils verschleudert. Es heißt, daß der Ballast seines Schiffs aus peruanischen Silberbarren besteht. Trompeten, Boiler, Geschirr und Türgriffe sollen sogar aus purem Gold sein. Leute, die an Bord gewesen sind, beteuern, daß die Ira de Dios in Wahrheit ein schwimmender Märchenpalast ist.«

»Was willst du damit andeuten?« fragte Miguel Heredia. »Denkst du vielleicht daran, ihn zu berauben?«

»Wer einen Verbrecher beraubt, bekommt hundert Jahre Ablaß«, lautete die belustigte Antwort. »Und eine Flotte anzugreifen, die über dreitausend Kanonen geladen hat, ist viel gefährlicher, als es mit einem einzigen Schiff aufzunehmen, dessen Kapitän geistig nur in der Lage ist zu zerstören, und in Panama landet, wenn er nach Kuba will.«

»Du bist verrückt!«

»Verrückt?« gab der Panamese zurück. »Natürlich! Jeder, der ein Geschäft betreibt, das ihn früher oder später an den Galgen bringt, muß verrückt sein.« Er beugte sich vor, und sein Ton wurde drängender: »Überlegt euch doch nur einen Augenblick lang, ob wir nicht eine Möglichkeit finden können, diesem Idioten eine Falle zu stellen… Das wäre so, als fiele uns die halbe Flotte in die Hände.«

»Was weißt du von ihm?« wollte Celeste mit beunruhigendem Interesse wissen.

»Sicher ist nur, daß er aus einer Aristokratenfamilie im Languedoc stammt. Als Kind hat er Bartolome de las Casas gelesen und war danach überzeugt, daß alle Spanier Ungeheuer sein mußten, die aus Zerstreuung Indios vierteilen ließen. Das hat ihm offenbar den Geist verwirrt, und bald ist er mit einem Onkel, der Korsar war, aufs Meer hinausgefahren und hat aller Welt verkündet, er sei der >Todesengel<, dem Gott befohlen habe, die Spanier zu vernichten. Daher sein Name und der seines Schiffs.«

»Der >Todesengel< auf der Zorn Gottes!« murmelte Miguel Heredia sichtlich beeindruckt. »Und einen solchen Kerl willst du betrügen? Du mußt lebensmüde sein!«

»Hör mal…!« gab Lucas Castano zurück, ohne die Ruhe zu verlieren. »Das Leben hat mich gelehrt, daß sich ein >Todesengel< oft leichter betrügen läßt als ein armer Teufel, denn der arme Teufel ist stets darauf gefaßt, daß man ihn betrügen könnte, während das einem >Todesengel< nicht einmal im Traum einfallen würde. Hier ist nicht Gewalt, sondern List gefragt.« Er deutete vielsagend auf Sebastián. »Und darin bist du immer ein wahrer Meister gewesen, hier auf der Jacare.«



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