2. Kapitel

Die ersten sechs Seiten des Tagebuchs setzten Ross schwer zu. Es handelte sich hauptsächlich um komplizierte Verwaltungsangelegenheiten. Er mußte sich auch erst an Dr. Pellews stellenweise nur schwer lesbare Handschrift gewöhnen, diese Seiten aber sehr sorgfältig studieren, denn sie waren bald nach seiner Einschläferung beschrieben worden und konnten vielleicht Auskunft über seine Lage geben. Er fand aber keine ihn betreffenden Angaben und überschlug mehrere Seiten. Etwa hundert Seiten weiter fand er folgende Eintragung:

„Verbindung mit Sektion F vor zwei Stunden abgebrochen. Um die Moral zu stützen, habe ich die Angelegenheit als technischen Fehler dargestellt. Die Roboter sind angewiesen, den Lift mit schweren Trägern zu verbarrikadieren, damit keiner nach oben fahren kann. Es gibt hier immer noch ein paar kurzsichtige Narren, die unbedingt eine Rettungsmannschaft aufstellen wollen.“

Ross erinnerte sich an die andere Akte, in der von einem Notstand die Rede gewesen war. Diese Eintragung hatte offenbar mit dem betreffenden Notstand zu tun. Um sich über die Ursache des Notstandes zu informieren, blätterte er zurück. In dem Augenblick kam der Roboter mit sechs glänzenden Büchsen wieder.

Ross schlug wahllos eine Seite auf und las: „Habe Courtland in der vergangenen Woche aus dem Tiefschlaf geweckt. In seinem augenblicklichen Zustand kann er nur noch wenige Monate leben. Ich habe ihn also praktisch getötet. Es ist ihm gleich, aber mich bedrückt es sehr. Er ist sehr tapfer — so tapfer, daß ich ihn gern retten möchte. Ich benötige seine Hilfe, weil er einer der besten Kybernetiker ist, die es je gegeben hat. Wir. arbeiten an einem neuen Modell der Pflegeroboter. Ich brauche einen Roboter mit Eigeninitiative und kritischem Sachverstand. Das Modell M 5 scheint diese Qualitäten zu haben. Courtland teilt diese Meinung nicht und behauptet, er habe nur die Speicherfähigkeit erhöht. Er hat noch andere Veränderungen vorgenommen, die ich jedoch nicht verstehe. Dieser Roboter hat kein bißchen Humor, obwohl er manchmal ausgesprochen komisch wirkt. Das liegt aber an seiner Eigenschaft, alles wörtlich zu nehmen. Courtland ist sehr stolz auf sein Werk und hat ihn den Namen Bea gegeben. Er glaubt, daß er mit etwas mehr Zeit und den geeigneten Hilfsmitteln wahre Wunderwerke schaffen könne. Ich glaube, Bea ist schon ein Wunder. Wenn Courtland noch ein paar Monate lebt, wird er bestimmt alle noch vorhandenen Probleme lösen. Hoffentlich bleibt Ross lange genug am Leben. Wenn er es schafft, wird er sich bald mit diesen Dingen beschäftigen müssen.“

Ross spürte plötzlich ein Prickeln auf dem Rücken. Obwohl er danach gesucht hatte, fand er die Erwähnung seines eigenen Namens merkwürdig.

„Wann hast du zuletzt mit Dr. Pellew gesprochen?“ fragte er den Roboter.

„Vor dreiundzwanzig Jahren und fünfzehn Tagen, Sir.“

„So lange ist das her? Wann soll er wiederbelebt werden?“

In dem Roboter begann es wieder zu ticken. Ross wußte schon, daß das nur geschah, wenn der Roboter eine Frage nicht sofort bewältigen konnte und krampfhaft nach der richtigen Antwort suchte.

„Das ist doch eine ganz einfache Frage“, sagte er ärgerlich. Dann besann er sich aber und fragte sachlich: „Ist Dr. Pellew tot?“

„Ja, Sir.“

Ross schluckte heftig. Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. „Wer von den Patienten ist noch am Leben oder im Tiefschlaf?“

„Nur Sie, Sir.“

Ross öffnete automatisch eine der Büchsen und löffelte den Inhalt aus. Er war wie betäubt und reagierte ganz unbewußt. Pellew, Alice, Hanson und all die anderen lebten nicht mehr. Platzangst war Ross normalerweise unbekannt, aber in diesen Minuten empfand er sie sehr stark. Er wollte hinaus, wollte sich aus der Todesfalle befreien, die allen anderen zum Verhängnis geworden war. Das unterirdische Hospital war zu einem riesigen Grab geworden, dem auch er nicht entfliehen konnte. Er befand sich sieben Kilometer tief in der Erde, der Fahrstuhlschacht war noch immer verrammelt; seelenlose Roboter huschten umher und bedienten ihn, aber sie bewachten ihn auch.

Plötzlich wurde ihm klar, daß er schrie. Der Roboter machte ihn darauf aufmerksam und brachte ihn mit seiner weiblichen und doch unpersönlichen Stimme zum Schweigen.

„Dr. Pellew sagte mir, daß Sie sich unvernünftig verhalten würden, Sir. Er sagte mir auch, daß die Zukunft der Menschenrasse von Ihnen allein abhängig sei. Auf die Arbeit der nächsten Jahre kommt es an. Sie dürfen in den ersten Stunden und Tagen keinesfalls die Nerven verlieren und etwas Unvernünftiges tun, Sir.“

„Wie komme ich hier heraus?“ brüllte Ross den Roboter an.

Ein Mensch wäre dieser Frage ausgewichen, doch die künstliche Schwester kannte keine bequemen Auswege und mußte sich mit dieser Frage beschäftigen. Sie gab die richtigen Informationen, erzählte ihm aber auch, daß der Lift nicht mehr funktionierte und daß der Zugang blockiert war. Niemand durfte sich der Außenluft aussetzen, diese Warnung war an alle Roboter ergangen.

„Weißt du, was Wahnsinn ist?“ fragte Ross. Seine Stimme klang nicht sehr menschlich. „Du hast keine Ahnung von der geistigen Labilität menschlicher Wesen.“

„Doch, Sir!“

„Du hast den Auftrag, mich vor dem Wahnsinn zu bewahren. Das kannst du nur tun, wenn du mich an die Oberfläche bringst.“


* * *

Der Weg nach oben dauerte drei Stunden. Der eiförmige Roboter machte immer wieder Bedenken geltend und sah sich immer wieder schwer lösbaren Problemen gegenüber. Es war auch nicht leicht, den richtigen Weg ausfindig zu machen. Arbeitsroboter mußten die Barrikaden forträumen. Das war ebenfalls keine leichte Aufgabe, denn diese Roboter waren schwerfälliger und weniger vielseitig. Der eiförmige Roboter bestand auf einer gründlichen Reinigung der Zugangswege und des Fahrstuhls, denn er war für die Gesundheit seines Schützlings voll verantwortlich.

Ross wurde allmählich ruhiger. Die Verzögerungen machten ihn erst rasend, schwächten dann aber die Wirkung des ersten Schocks ab. Er dachte wieder ruhiger und vernünftiger und zwang seine Gefühle nieder. Das Buch nahm er mit. Da er immer wieder warten mußte, las er gelegentlich darin. Er erfuhr, daß es sich bei dem Notstand um einen Krieg gehandelt hatte. Nach Pellews Angaben hatte dieser mit allen neuzeitlichen Kampfmitteln ausgefochtene Krieg fünf Monate gedauert. Es waren nur automatische Kampfmittel eingesetzt worden, denn kein Mensch konnte sich an der Erdoberfläche aufhalten.

Ross bekam wieder Angst. Er wollte hinauf, wollte den Himmel und die Sonne sehen. Die fieberhafte Aktivität der eifrigen und doch seelenlosen Roboter machte ihn nervös. Die sterile Sauberkeit der Gänge und Räume ging ihm auf die Nerven. Sicher würde er oben keine Menschen finden, aber wenigstens Leben: Insekten, Tiere, Pflanzen. Er wollte die Wolken ziehen sehen und den Hauch des Windes auf der Haut spüren. Er konnte nicht mit Überlebenden rechnen, doch tief in seinem Innern glühte noch ein winziger Hoffnungsfunke. Wenn es keine Überlebenden gab, wenn er wirklich der letzte lebende Mensch auf der Erde war… Der Gedanke war so erschreckend, daß Ross sich schnell mit anderen Dingen beschäftigte.

Jede Station des Aufstiegs brachte neue Schwierigkeiten. Wenn er in einer anderen Sektion aus dem Fahrstuhl stieg und laut schrie, tauchte stets ein eiförmiger Roboter auf. Wenn er nach Überlebenden fragte, erhielt er stets eine negative Antwort. Aber die in jeder Sektion anwesenden Roboter halfen weiter und räumten die Trümmer weg. Ross stieß oft auf Schwierigkeiten, doch seine Autorität überwand stets die in die Roboter eingebauten Hemmungen. Immer wieder wurde der Weg zur nächsten in sich abgeschlossenen Sektion für ihn freigelegt.

Er erreichte die Sektion, die zu seiner Zeit die tiefste gewesen war. Dort fand er überall Staub und Schmutz. Die Roboter mußten erst aufräumen und ihm einen Weg bahnen.

Die oberste Etage befand sich nur dreißig Meter unter der Erdoberfläche. Dort war alles zerstört, die Roboter waren zerbeulte Metallhaufen. Die dicken Betonwände waren stellenweise aufgerissen und eingestürzt. Ross sah ein Bild entsetzlicher Verwüstung. Mit Hilfe der Roboter fand er schließlich einen nicht ganz zugeschütteten Tunnel, der schräg nach oben führte. Am oberen Ende schimmerte trübes Licht. Die Roboter hatten Lampen bei sich, so daß er die herumliegenden Brocken ohne große Schwierigkeiten zu überwinden vermochte. Er konnte jedoch nicht feststellen, ob die Verschütteten sich einen Weg nach oben gebahnt hatten oder Überlebende von der Erde einen Weg nach unten.

Ross kletterte immer schneller nach oben. Sein Begleiter, dessen Räder für glatte Böden konstruiert waren, kam nicht schnell genug mit.

Nach einer Weile mußte Ross eine Pause machen und Atem schöpfen. Dabei entdeckte er einen verschmolzenen Glasklumpen. Ein merkwürdiger Geruch hing in der Luft. Er konnte ihn nicht einwandfrei identifizieren, denn der Staub verkrustete seine Nasenschleimhäute.

Der Tunnelausgang war nun nicht mehr weit entfernt. Ross sah das trübe Licht durch die Öffnung schimmern und kletterte weiter. Wahrscheinlich dämmerte es. Nach einer letzten Anstrengung erreichte er den Tunnelausgang und starrte hinaus.

Grauer Nebel trieb in dichten Schwaden vorbei, dunkler Staub legte sich sofort auf seine Hände und seine Kleidung. Er konnte kaum fünfzig Meter weit sehen und nur schwarzes, geschmolzenes Gestein erkennen. Die Sonne stand hoch am Himmel, doch ihre Strahlen vermochten die dichten Staubwolken nur schwach zu durchdringen. Ross hörte das Rauschen der Wellen an der nicht weit entfernten Küste.

Früher hatte er oft am warmen Strand gelegen und im Meer gebadet. Das Rauschen der Wellen erinnerte ihn an Alice, die mit ihm diese unbeschwerte Zeit geteilt hatte. Das war nun vorbei, lag in weiter Ferne, konnte nie zurückgeholt werden.

Ross verließ den Tunnel und ging zum Meer hinunter. Seine Füße wirbelten dunkle Staubwolken auf. Es war schwarze Asche, die auf dem geschmolzenen Gestein keinen Halt fand und vom Wind immer wieder davongetragen wurde.

Der vom Meer herüberwehende Wind war nicht ganz so staubig. Ross konnte die Sonne als rötlich schimmernde Scheibe hoch über sich sehen, umgeben von einem weiten Hof. Die heranbrausenden Wellen hatten aber keine weißen Schaumkämme; sie schienen vielmehr aus tiefschwarzer Tinte zu bestehen. Die schwarze Asche hatte sich auf dem Strand zu einer zähen Masse abgelagert; nirgendwo sah Ross Seetang oder angeschwemmte Fische. Es roch nicht nach faulenden Muscheln und Quallen, nicht nach Salz und frischer Luft. Auch das Meer war tot.

Ross setzte sich auf einen von den Wellen glattgeschliffenen Felsbrocken und starrte auf das schwarze Wasser. Lange Zeit saß er dort und rührte sich nicht. Es begann zu regnen, die Sicht wurde etwas besser, so daß Ross die aus dem Tunnel kommenden Roboter erkennen konnte. Es war ein gespenstischer Anblick, den er kaum zu ertragen vermochte. Sollte er sich seinen improvisierten Poncho vom Leib reißen und in das tintenschwarze Wasser springen?

Er hielt nicht viel vom Selbstmord als dem letzten Ausweg und blieb sitzen. Seine Lage war außergewöhnlich. Die Menschheit hatte sich selbst und auch alles andere natürliche Leben ausgerottet. Er war das letzte Lebewesen auf der Erde, der letzte Träger des Lebens. Aber warum blieb er sitzen? Er konnte doch nicht mehr hoffen. Vielleicht lag es an seiner Jugend, denn er war — trotz allem — erst zweiundzwanzig Jahre alt.

Die Roboter kamen näher und bildeten einen geschlossenen Kreis um ihn. Seine spezielle Pflegerin trat auf ihn zu und sagte: „Sie müssen jetzt wieder hinunter, Sir!“

Ross leistete keinen Widerstand. Er hustete und taumelte über den harten Boden. Er wäre gestürzt, hätte ihn nicht einer der Roboter aufgefangen. Die stählernen Arme hoben ihn mühelos hoch und trugen ihn in die unterirdische Welt zurück.

Er wunderte sich nicht über das Verhalten des eiförmigen Roboters. Dieser Roboter war geschaffen worden, um ihn zu erhalten. Er hatte bei der Expedition verschiedene, Wunden davongetragen und fühlte sich schwach und elend. Nun war er wieder Patient und mußte sich dem Willen seiner Pflegerin unterwerfen. Ross ließ sich gehen. Der Schock setzte voll ein und raubte ihm den Widerstandswillen und die Lebenskraft. Siebzehn Tage lang mußte er im Bett bleiben, ehe er wieder aufstehen durfte.


* * *

Solange sich auch nur Schorf an seinen Händen und Beinen befand, wurden seine Anordnungen einfach ignoriert. Wenn er vor Ungeduld tobte und schrie, kümmerte sich auch keiner darum. Er verlegte sich aufs Drohen, erzielte damit aber auch keine Erfolge. Nur eine seiner Drohungen fand Widerhall. Am zweiten Tag hatte er sich nämlich beschwert, weil er seine Übungen nicht fortsetzen durfte. Sein Ausruf, daß diese Behandlung einen Menschen in den Wahnsinn treiben könne, wurde beachtet, Bei diesem besonders heftigen Ausfall gegen seine mechanischen Pfleger hatte er auch gedroht, sich aus Langeweile das Leben zu nehmen.

Die Pflegerin hatte auf eine gründliche Behandlung bis zur völligen Heilung bestanden. Sie kannte seine körperliche Verfassung und wußte, daß er den anfänglichen Schock noch nicht überwunden hatte. Die Folge seiner Drohung war eine unablässige Bewachung gewesen. Ross dachte aber nicht an die Zukunft wie seine Pflegerin, sondern an seine traurige Gegenwart. Er wollte mit einem Menschen über unwichtige Dinge reden können, doch seine Diener und Pfleger waren nur auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet und nahmen keine Rücksicht auf diese Schwächen der menschlichen Natur. Sie pflegten ihn, sorgten für seine körperlichen Bedürfnisse, blieben aber seelenlose Maschinen ohne die Fähigkeit, sich auf seine animalischen Instinkte einzustellen.

Ross litt entsetzliche Qualen. Er wagte kaum, die Augen zu schließen, denn wenn er es tat, sah er Bilder des Schreckens. Sein Zimmer bot wenig Abwechslung. Die Decke und die Wände waren weiß und ohne Muster. Er war gezwungen, sich immer nur mit sich selbst und seinem Schicksal zu beschäftigen — und gerade das war nach Lage der Dinge dazu angetan, ihn in den Wahnsinn zu treiben.

Die Roboter interessierten ihn mehr und mehr. Zu seiner Zeit waren sie noch nicht so perfekt gewesen. Gewiß, sie sahen noch unförmig aus, aber das lag an der nur auf Zweckmäßigkeit ausgerichteten Konstruktion. All diese Roboter waren Wunderwerke, denn sie ersetzten die nicht mehr vorhandenen Menschen. Ross begriff, daß er ohne diese Helfer verloren wäre.

Die Bilder des Grauens ließen sich jedoch nicht verscheuchen. Er sah Alice, makellos gekleidet wie immer, burschikos wie ein Junge und doch sehr weiblich. Er stellte sich ihr Ende vor. Es gab auch schöne Erinnerungen, aber wenn er danach an die Gegenwart dachte, erschien sie ihm doppelt hoffnungslos und grauenvoll. Sein Leben war nutzlos geworden. Nie wieder würde er Alice in den Armen halten, nie wieder ihren jugendlichen Körper spüren. Wenn er an sie dachte, warf er sich ruhelos auf seinem Lager herum, bis die Roboter aufmerksam wurden und ihn mit ihren Fragen noch ärgerlicher machten. Er konnte diesen Gedanken nicht entgehen, denn die Tage und Nächte waren zu lang, die Umgebung zu eintönig.

Die Verzweiflung packte ihn mit scharfen Krallen. Nie zuvor hatte er sich die Einsamkeit wirklich vorstellen können. Nun war er der einsamste Mensch, denn er war der einzige. Er hatte alles verloren und eine tote Welt geerbt. Was sollte er damit? Die alles heilende und überdeckende Zeit hatte ihm nicht geholfen. Viele Jahre waren seit dem letzten Kuß, dem letzten Wort vergangen, aber nicht für ihn, denn nur die Tage des Lebens, des Wachseins zählten. Er war allein und verloren. Die geschäftigen Roboter waren Überbleibsel einer ehemals hochentwickelten Zivilisation und trotz ihrer Großartigkeit doch nur Karikaturen wirklich lebender Wesen.

Ross wünschte sich oft den Tod, das endgültige und absolute Vergessen Er fürchtete den Tod nicht, denn der Tiefschlaf war im Grunde auch nichts anderes gewesen. Er war aber zu jung und zu kräftig, um an gebrochenem Herzen oder an Verzweiflung zu sterben. Außerdem sah er die Hoffnungslosigkeit solcher Gedanken ein. Er wurde ständig bewacht. Die Roboter waren sicher stärker als sein eigener Selbsterhaltungstrieb und unbeeinflußbar.

Ohne es zu bemerken, durchlebte er eine sehr entscheidende Entwicklung. Er erreichte den tiefsten Punkt der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit und fand dabei, daß es für ihn nur einen Weg gab — den Weg nach oben. Er hoffte nicht, denn was sollte er sich erhoffen? Er wollte ganz einfach leben und das Beste daraus machen. Er nahm sein Schicksal hin. Sterben würde er sowieso, Immerhin versprachen die noch verbleibenden Jahre aber recht interessant zu werden. Er hatte das riesige Hospital mit Hunderten von Robotern geerbt. Wahrscheinlich gab es noch andere Dinge, von denen er nichts wußte. Er wollte erst einmal Inventur machen und über seine weiteren Schritte nachdenken. Nur Arbeit konnte helfen — unablässige, intensive, wenn auch sinnlose Arbeit.

Die Robot-Schwester ignorierte alle seine Befehle und Wünsche, aber sie verbot ihm nicht, Dr. Pellews Journal zu lesen. Ross hatte Zeit genug, das Buch von Anfang bis Ende sorgfältig zu studieren. Jetzt erfuhr er genau, was geschehen war und wie es sich vollzogen hatte. Pellew hatte das Journal anfangs als ein ganz persönliches Tagebuch geführt, es dann aber zu einer Chronik aller Ereignisse gemacht. Auf den letzten Seiten standen viele für Ross bestimmte Anregungen und Vorschläge. Dr. Pellew hatte sehr früh eingesehen, daß Ross der einzige Überlebende mit einer medizinischen Ausbildung sein würde.

Ross ließ sich Bücher kommen, deren Studium Dr. Pellew ihm empfohlen hatte. Es handelte sich größtenteils um Werke über Genetik, die er nur sehr schwer verstehen konnte. Er ließ sich auch Bücher über Robotertechnik und Kybernetik kommen. Er bereitete sich systematisch auf die Zeit vor, in der „Schwester“ ihn wieder Sir nennen und seine Befehle entgegennehmen würde.

Eines Morgens, die Lampen waren nach der achtstündigen Schlafperiode wieder eingeschaltet worden, stellte der eiförmige Roboter die Büchsen mit der flüssigen Nahrung auf den Tisch und fragte:

„Haben Sie irgendwelche Befehle, Sir?“

„Ja!“ Ross sagte es unnatürlich heftig und machte so der aufgestauten Spannung Luft. Er stand sofort auf, ließ sich neue Kleidung bringen und gab eine Menge Anordnungen. Einige dieser Anordnungen würden nach seiner Meinung sehr schwer zu befolgen sein, aber er gab sie trotzdem.

Zuerst wollte er die Akten über alle im Hospital verstorbenen Patienten haben, insbesondere die Unterlagen über die Patienten, die zwischen Pellews Tod und seinem Erwachen gestorben waren. Er hatte längst die Hoffnung aufgegeben, weiter Überlebende zu finden, und glaubte „Schwester“. Pellew hatte ihn aber als den wahrscheinlich einzig Überlebenden mit medizinischer Ausbildung bezeichnet. Mußte das nicht zwangsläufig bedeuten, daß er mit anderen Überlebenden gerechnet hatte?

Roß wollte sich unbedingt Klarheit über diesen wichtigen Punkt verschaffen. Zweitens verlangte er eine Liste von allen funktionierenden und den reparaturbedürftigen Robotern, ihre Nummern, die Typenbezeichnungen und eine genaue Aufstellung ihrer besonderen Fähigkeiten. Außerdem verlangte er einen Bericht über die Vorräte an Nahrungsmitteln und Getränken sowie über die Funktionsdauer der Kraftanlagen.

Ross machte eine Pause und beobachtete „Schwester“, die seine Befehle offensichtlich drahtlos an die anderen Roboter weitergab. Die den anderen Sektionen zugeteilten Roboter mußten anders informiert werden, denn der in die Roboter eingebaute Sender konnte unmöglich kilometerdicke Gesteins- und Erdschichten durchdringen.

Ross gönnte sich keine Ruhe. Tagelang hatte er sich auf diese Aktivität vorbereitet und gab seine Anordnungen mit der den Robotern angepaßten Präzision.

„Reparatur- und Reinigungskolonnen müssen die oberen Sektionen in Ordnung bringen und auch die Fahrstühle reparieren. Die Kommunikationsanlagen müssen wieder zu einer Einheit zusammengefügt werden. An der Oberfläche muß ein mehrere hundert Quadratmeter großes Gebiet gereinigt werden. Ich wünsche, regelmäßig Bodenproben zu erhalten, außerdem Luft- und Wasserproben.“

Ross sah den Roboter zweifelnd an. „Ermöglicht dir dein Programm die selbständige Durchführung solcher Aufgaben?“

„Nein, Sir. Die Schwestern der pathologischen Abteilung sind aber dazu in der Lage.“

„Gut! Sie sollen sofort mit der Arbeit anfangen und regelmäßig berichten.“

Ross verstummte und beobachtete einen Roboter, der eine Menge Bücher und Akten in sein Zimmer brachte. Derselbe Roboter machte auch das Bett und sammelte die Blätter auf, die aus dem Bett gefallen waren. Er steckte sie in einen eingebauten Papierbehälter.

„Ich brauche diese Unterlagen!“ grollte Ross ärgerlich. Er bekam die Blätter leicht zerdrückt zurück und glättete sie wieder. „Von sofort an sorge ich hier für Ordnung, verstanden? Kein Reinigungsroboter darf dieses Zimmer ohne meinen ausdrücklichen Befehl betreten.“

Nachdem die Roboter ihn verlassen hatten, sah er die Krankenberichte durch. Es handelte sich durchweg um Berichte über Patienten, deren Krankheiten zu seiner Zeit als unbedingt tödlich angesehen worden waren. Genau wie in seinem Bericht, so stand in diesen Akten die Bemerkung, daß die Behandlung positive Wirkung erzielt habe. Auch das Datum der Wiederbelebung war in jedem Fall angegeben. Auf allen Akten war aber auch ein Stempel mit der lakonischen Bemerkung: „Patient starb während der Wiederbelebung. Stationsschwester 5 B.“

Ein Schauer rann Ross über den Rücken. Plötzlich begann er die Roboter wieder zu fürchten. Er rief „Stationsschwester“ sofort zu sich und befragte den Roboter nach den Gründen für den Tod der Patienten. Es fiel ihm nicht leicht, sachlich und nüchtern zu bleiben. Er mußte es aber, denn er wußte ja nicht, ob die Roboter seine Gefühle registrieren konnten.

„Wir haben Dr. Pellews Anordnungen befolgt und die Patienten rechtzeitig wiederbelebt. Ich habe die Wiederbelebung selbst vorgenommen. Zwei Roboter halfen mir dabei, um die erwachenden und natürlich verstörten Patienten vor Verletzungen zu bewahren. Die Patienten waren aber immer sehr aufgeregt und wollten sich aus den Händen der Roboter befreien. Die Aufregung war aber immer zuviel für den geschwächten Organismus, so daß diese Patienten an schweren inneren Verletzungen und an der Wirkung des seelischen Schocks starben.“

Ross erinnerte sich wieder an seine furchtbaren Angstträume. Auch er war von Robotern festgehalten worden. Während der schrecklichen Minuten hatte er geglaubt, die stählernen Roboter seien Feinde, die das Leben aus seinem Körper pressen wollten. Erst jetzt begriff er, daß sie ihm das Leben gerettet hatten, denn nach der langen Starre mußten zu heftige Bewegungen den noch nicht ganz aufgetauten Organismus überlasten.

Ross biß die Zähne zusammen. All die Arbeit war vergeblich gewesen. Fünf Menschen waren kurz vor ihrer endgültigen Rettung gestorben. Drei der Patienten waren Frauen gewesen. Pellew und seine Kollegen hatten alles getan, um diese winzige Keimzelle zukünftigen Lebens zu erhalten — vergeblich.

„Du blöde, stupide Maschine!“ brüllte er den Roboter an. „Du mußtest doch wissen, daß diese Patienten keine Erfahrungen mit Robotern hatten und deshalb besonders vorsichtig behandelt werden mußten. Ihr habt sie umgebracht, ermordet! Nachdem der erste gestorben war, hättet ihr doch nach anderen Wegen suchen müssen.“

„Wir hatten nur Erfahrungen mit kurzfristig eingefrorenen Patienten, die uns kannten“, antwortete der Roboter mit gleichbleibend ruhiger Stimme. „Dr. Pellew wollte uns genaue Instruktionen für die Sonderbehandlung der Langfristigen geben. Er kam aber nicht mehr dazu. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Vielleicht wußte er selbst nicht, wie diese Patienten behandelt werden müssen, oder er wollte die Wiederbelebung des ersten Patienten persönlich vornehmen. Er hat sich mehrmals über seine Einsamkeit beschwert und sich nach einem menschlichen Gefährten gesehnt. Vielleicht war er auch schon zu alt und vergaß wichtige Dinge.“

„Unsinn!“ knurrte Ross böse. „Ich habe sein Journal gelesen. Er war bis zum letzten Tag Herr seiner Sinne.“

„Wir hatten genaue Instruktionen, an die wir uns zu halten hatten“, sagte „Schwester“ lakonisch. „Die Daten der Wiederbelebung standen in jedem einzelnen Fall fest. Wir sind gebaut worden, um Menschen am Leben zu erhalten, und kennen nur dieses Ziel. Wir hielten uns an die Befehle, immer in der Hoffnung, den einen oder anderen retten zu können. Die anderen Patienten starben. Sie waren der einzige Hoffnungsschimmer, für uns aber gleichzeitig ein Problem, Sir. Wir konnten Sie nicht einfach im Tiefschlaf belassen, denn das hätte zu Ihrem Tod geführt Sie waren unsere letzte Hoffnung. Wenn wir in Ihrem Fall versagt hätten, wäre alles vergeblich gewesen. Ihr Tod hätte unsere Existenz sinnlos gemacht, deshalb mußten wir Sie am Leben erhalten. Sie zeigten die gleichen Symptome und schlugen wild um sich. Wir versetzten Sie wieder in Tiefschlaf und überlegten. Das war gegen die eindeutigen Befehle, doch wir mußten es tun, weil Sie sonst wie die anderen umgekommen wären.“

Der Roboter gab einen langen Bericht über eine Konferenz mit anderen Robotern. „Stationsschwester“ war als Courtneys letzte Schöpfung auch am intelligentesten und deshalb für alles verantwortlich. Sie nahm Eingriffe in die Elektronengehirne der anderen Roboter vor, um selbständiges Denken zu fördern. Trotzdem dauerte es Monate, ehe sich die Lösung des Problems präsentierte.

„Das Schlimmste war immer der Schock“, sagte die merkwürdig natürlich klingende weibliche Stimme des Roboters. „Der aus dem Tiefschlaf erwachende Mensch muß die Nähe eines anderen Menschen spüren, besser noch ihn sehen und hören. Ich erinnerte mich an die Büste in Dr. Pellews Zimmer. Um die Wirkung zu verbessern, malte ich den Kopf menschenähnlich an und baute einen Lautsprecher ein. Es gab genug Bänder mit Dr. Pellews Berichten, die sich für unsere Zwecke zurechtschneiden ließen. Es war eine schwierige Aufgabe, aber wir hatten Zeit genug, sie zu lösen. Wir brauchten uns während der kritischen Zeit nur von Ihnen fernzuhalten. Sie verdarben uns beinahe das Konzept, als Sie unser Erscheinen befahlen, Sir. Zu dieser Zeit hatten Sie sich aber schon wieder an das Leben gewöhnt und konnten den Schock überwinden.“

Ross starrte den Roboter an. „Großartig gemacht!“ sagte er anerkennend. „Courtney wäre stolz auf dich.“

„Danke, Sir!“

„Du hättest dir die Mühe aber sparen können.“

Im Roboter begann es wieder zu ticken. Ross erklärte die Bedeutung seiner Worte nicht und ging zur Tür Er ging die Rampe hinauf und blieb in der nächsthöheren Etage vor einer bestimmten Tür stehen. Der Roboter war ihm schweigend und diensteifrig gefolgt.

„Ich habe eine besondere Bitte“, sagte er sanft „Du bleibst einen Augenblick stehen. Ich habe etwas zu erledigen.“

Er betrat den Werkstattraum und suchte einen schweren Schraubenschlüssel. Der Roboter stand tatsächlich still; die rotierende Linse starrte auf das schwere Werkzeug.

Ross holte aus und schlug mit aller Kraft zu.

Der Schlag dröhnte durch den Korridor. Ross hatte ihn so heftig geführt, daß ein Schmerz durch seine Arme zuckte. Der Schraubenschlüssel beulte die glatte Wandung des Roboters ein und fuhr in empfindliche Teile. Arme mit Spritzen in stählernen Fingern fuhren heraus, eine Flasche mit Blutplasma lief aus. Ross holte noch einmal aus, traf aber nicht, denn der Roboter entfernte sich von ihm. Auch der dritte Schlag ging daneben.

„Stehen bleiben!“ brüllte er aufgebracht. Er holte noch einmal aus und zielte auf das Linsensystem, den empfindlichsten Teil des Roboters. Er dachte an die Patienten, die durch die Unfähigkeit der Roboter gestorben waren. Die letzte Patientin war ein neunzehnjähriges Mädchen gewesen. „Auge um Auge!“ schrie er wie irrsinnig. „Ihr habt das Mädchen umgebracht; ich werde euch zu Schrott schlagen.“

„Mr. Ross, Sie benehmen sich nicht wie ein normaler Mensch!“ rief der Roboter und wich wieder geschickt aus.

„Es handelt sich nur um ein wissenschaftliches Experiment“, knurrte Ross. „Ich möchte wissen, ob du Schmerzen oder Angst empfinden kannst. Außerdem bin ich kein Patient. Du kannst mich also wieder Sir nennen.“

Er sah seinen schlimmsten Feind vor sich. Er mußte diesen Roboter vernichten und sich die Vorherrschaft sichern Nach dem ersten Angriff war er sogar dazu gezwungen, denn der Roboter würde ihn wieder als Patienten behandeln und seine Befehle mißachten Er folgte der künstlichen Schwester mit unbändiger Zerstörungswut und drängte den Roboter in eine Ecke.

Plötzlich öffnete sich eine der Klappen. Ross spürte und roch nichts, doch er ließ den schweren Schraubenschlüssel fallen und sank betäubt zu Boden.

Als er zu sich kam, sah er einen spinnenartigen Roboter bei der Arbeit. Dieser Roboter hatte die eingebeulten Platten des Pflegeroboters entfernt und den komplizierten Mechanismus freigelegt. Ross starrte auf die Szene und brachte kein Wort heraus.

Dann hörte er die unverändert klingende Stimme des Roboters. „Sie hätten alle Informationen von mir bekommen können, Sir. Die Tätlichkeiten, die mich vorübergehend behindern, waren absolut überflüssig. Ich bin kein Mensch und fühle deshalb keinerlei Schmerzen. Obwohl ich die Empfindungen lebender Körper nicht nachfühlen kann, bin ich mit ihnen vertraut und kann sie analysieren. Ich bin gebaut worden, um Menschen zu helfen. Wenn ich daran gehindert werde, verursacht das in mir eine Pein, die euren Schmerzen ähnlich ist. Ich fühle mich nur wohl, wenn ich Menschen dienen kann. Alles, was ich tue, dient nur einem Zweck, nämlich der Erhaltung des Lebens. Wenn ich daran gehindert werde, wird meine Existenz sinnlos. Um mein Ziel erreichen zu können, werde ich gegebenenfalls strenge Maßnahmen ergreifen, die aber niemals dem Menschen schaden.“

„Großartig!“ Ross faßte sich an den Kopf. „Wenn dir die Verfolgung deines Zieles Freude bereitet, muß es dir doch Spaß gemacht haben, mich eben zu betäuben.“

„So ist es, Sir.“

Ross schüttelte den Kopf. Er schämte sich ein wenig. Sein Gefühlsausbruch war sinnlos und dumm gewesen. Er schämte sich, weil er den Angriff heimlich geführt hatte. Schließlich hatte der Roboter stets sein Bestes gegeben. Ross hatte das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen. Der Gedanke, dies gegenüber einer Maschine tun zu sollen, kam ihm aber recht albern vor.

„Also gut“, sagte er brummig. „Ich habe dich beschädigt und dir dadurch den einzigen Schmerz zugefügt, den ein Roboter empfinden kann, nämlich die Trauer über vorübergehende Beeinträchtigung bestimmter Funktionen Du hast mich betäubt und Freude daran empfunden, weil der Sieg über mich deinen Zielen dient. Wir sind demnach quitt.“

„Wir stehen nicht im Wettbewerb, Sir“, antwortete der Roboter ruhig. „Sie verstehen die Lage noch nicht richtig. Alle Roboter sind Ihre Diener; Ihnen dienen zu dürfen, ist unsere Freude und unsere einzige Daseinsberechtigung. Unser Zweck ist uns eingegeben. Wenn wir nicht gut genug auf Sie aufpassen und eine Fehlentscheidung zulassen, erfüllen wir nicht unseren Zweck.“

Ross spürte ein seltsames Prickeln auf dem Kopf. Er war sterblich Die Roboter wußten das sehr genau und gaben deshalb auf ihn acht. Er erlebte immer neue Überraschungen. Er nahm sich vor, sich genauer mit den Robotern zu beschäftigen. Vorläufig mußte das aber warten.

Er stand auf, kämpfte gegen ein momentanes Schwindelgefühl an und ging zu „Schwester“ und dem mehrfarbigen Reparaturroboter hinüber.

„Ich werde in zwanzig Minuten fertig sein“, sagte der häßliche Roboter mit tiefer männlicher Stimme, die zu seinem Aussehen paßte. „Die Beschädigungen sind nur oberflächlich.“

Ross nickte geistesabwesend. „Die meisten Bücher hier unten sind medizinische Lehrbücher. Im Augenblick kann ich wohl darauf verzichten. In der zweiten Sektion gab es früher eine sehr gute Bücherei für die Patienten. Vielleicht sind die Bücher noch vorhanden und brauchbar. Ich werde sofort mit dem Studium beginnen und mir ein umfangreiches Wissen aneignen.“

Auch diesen Weg konnte er nicht allein gehen. Seine Pflegerin fiel für kurze Zeit aus, aber am Ende des Ganges wartete schon ein Roboter der weniger hoch entwickelten Kategorie und begleitete ihn. Ross nahm ihn wie einen Schatten hin. Der Roboter sollte ihn unter allen Umständen schützen, wenn es sein mußte, sogar gegen seinen Willen. An Selbstmord war unter diesen Umständen überhaupt nicht zu denken. Ross beschloß, sich auch mit diesem Typ vertraut zu machen, und stellte wohlüberlegte Fragen. Er hatte nun herausgefunden, daß Anerkennung wie Öl auf die Wesen aus Stahl und Draht wirkte.


* * *

Während der folgenden Monate kam Ross gut mit den Robotern aus, denn er stellte sich auf sie ein. Die meisten Roboter beschäftigten sich mit Aufräumungsarbeiten in der obersten Sektion und waren unablässig tätig. Ross arbeitete ebenfalls ohne größere Pause und machte Pläne für die Zukunft. Er hatte so viel zu tun, daß er nicht an seine eigene Hoffnungslosigkeit dachte — und genau das wollte er mit dieser rastlosen Aktivität erreichen.

Die eintreffenden Meldungen wurden immer positiver. Nach einiger Zeit waren alle Schäden behoben. Die Energieversorgung beruhte auf Atomenergie und war deshalb kein Problem. Die Blutkonserven und andere leichtverderbliche Dinge waren unbrauchbar geworden, zum Teil auch die in jedem Sektor gelagerten Lebensmittel. Da Ross aber allein war, blieb mehr als genug übrig. Die Wasserversorgung sah schon schlechter aus. Das Wasser des Ozeans war aber nicht mehr radioaktiv verseucht und ließ sich filtern. Die Bodenuntersuchungen hatten ergeben, daß sämtliche Bodenmikroben abgelötet waren; auch die Erde war unfruchtbar geworden.

In der obersten Sektion fand Ross ein aufschlußreiches Tagebuch, das er mit Eifer studierte. In den ersten drei Tagen des plötzlich ausgebrochenen Atomkrieges waren ungeheuer viele Atombomben zur Explosion gebracht worden. Die feindlichen Parteien hatten mehr Waffen in Reserve gehabt, als angenommen wurde.

Schon der erste Atomschlag vernichtete alles tierische Leben auf der Erdoberfläche, danach die Insekten und später auch die widerstandsfähigeren Pflanzen. Der radioaktive Niederschlag der unzähligen Bomben war zu stark und verseuchte die Luft, den Boden und das Wasser. Aber der Krieg dauerte lange. Die regelmäßigen Explosionen machten deutlich, daß die Bomben stündlich hergestellt und abgeschossen wurden. Irgendwo unter der Erdoberfläche arbeiteten vollautomatische Fabriken und produzierten die tödlichen Waffen. Diese Fabriken würden arbeiten, bis sich mechanische Störungen einstellten, aber das konnte bei der hochentwickelten Technik lange dauern Die Radioaktivität steigerte sich also unablässig, drang tiefer in den Boden und in die höheren Luftschichten ein, bis auch die letzte Mikrobe abgetötet war.

Die Erdoberfläche wurde immer trostloser. Auch das Meer war verseucht worden. Die Fische starben, wurden angespült und lagen zu Haufen an den Küsten. Sie verfaulten aber nicht, denn es gab ja keine Mikroben mehr. Die Fischleichen trockneten, zerfielen zu Staub und wurden vom Wind fortgeweht.

Diejenigen, die die Katastrophe in Bunkern tief unter der Erde überlebt hatten, konnten nichts tun, denn sie durften sich nicht an die Oberfläche wagen. Sie konnten auch nichts gegen die immer weiter um sich greifende Vernichtungswelle unternehmen. Brände waren als gigantische Feuerwalzen über die feste Oberfläche gerast und hatten alles Brennbare vernichtet; ungeheure Mengen Asche wurden in den Himmel geschleudert und färbten die Wolken schwarz. Die Sumpfgebiete trockneten aus, selbst die tropischen Regenwälder Das Leben erstarb hoffnungslos. Was blieb, war eine endlose schwarze Wüste, über die der Wind dunkle Aschenwolken blies, tiefschwarze Meere und ein die ganze Erde umschließender dunkler Schleier. Das Leben war abgestorben.

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