3. Kapitel

Ross las das alles wie ein unbeteiligter Zuschauer. Er hatte sich schon an den trostlosen Anblick der Erde gewöhnt und einige interessante Entdeckungen gemacht. Zum Beispiel war die Luft über dem Ozean klarer. Auch nach Regenfällen blieb der Himmel einige Zeit etwas heller. Ross kam zu interessanten Schlußfolgerungen. Die leichte Asche regnete langsam auf die Erdoberfläche und bildete dort einen zähen Schlamm. Wenn dieser Schlamm trocknete, wurde er wieder von den Wirbelwinden hochgerissen und in den Kreislauf zurückgeführt. Aber der in die Meere fallende Staub versank und setzte sich ab. Folglich würden die Meere den schwarzen Staub schließlich absorbieren. Dieser Prozeß konnte aber Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende dauern; einmal jedoch würde die Luft wieder klar sein. Die Ozeane würden allerdings lange Zeit eine schwarze Brühe bleiben, denn der Ablagerungsprozeß dauerte im Wasser bedeutend länger.

Ross mußte sich damit abfinden und mit Dingen beschäftigen, die er beeinflussen und kontrollieren konnte. Er hatte dreihundertzweiundsiebzig Roboter zur Verfügung, dazu große Ersatzteillager und Werkstätten. Das genügte ihm aber nicht. Nach einigem Überlegen teilte er das „Schwester“ mit, die er für den intelligentesten Roboter hielt. Er mußte sich immer einfacher Redewendungen bedienen, denn auch dieser Roboter war nicht fähig, abstrakt zu denken. Ross machte sich dabei die Erkenntnis zunutze, daß die Roboter den Menschen dienen sollten und darin ihre einzige Befriedigung fanden.

„Ich bin der einzige Überlebende in diesem riesigen unterirdischen System“, sagte er. „Die Roboter sind geschaffen worden, um Tausende von Patienten zu betreuen. Die meisten Roboter haben demzufolge nichts zu tun und sind überflüssig. Ich weiß aber, daß ein Roboter ohne Aufgabe unglücklich und unzufrieden ist. Ich werde euch neue Aufgaben stellen. Ihr, die medizinisch programmierten,Schwestern’, müßt neue Künste lernen und euer Wissen vergrößern. Die Chancen sind nicht sehr groß, das gebe ich offen zu; aber eines Tages werdet ihr das zusätzliche Wissen vielleicht benötigen. Ist eine Änderung oder Erweiterung eurer Programmierungen überhaupt möglich?“

Der eiförmige Roboter tickte leise. Nach einer Weile sagte er: „Ich habe diese Frage an die Konstruktionsroboter weitergegeben, Sir. Die Lernfähigkeit ist aber von unserer Speicherfähigkeit abhängig. Um eine zuverlässige Antwort geben zu können, muß ich die Einzelheiten kennen. Was sollen wir lernen?“

„Ruf den Chef der Konstruktionsabteilung zu mir!“ befahl Ross. „Ich weiß, daß ihr nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch Bilder übertragen könnt. Ich werde mich viel wohler fühlen, wenn er direkt vor mir steht. Außerdem werde ich euch ein paar Skizzen zeigen.“

Ross ging zu seinen Schreibtisch und schlug das Journal auf, das in den vergangenen Monaten zu einem Tagebuch für ihn geworden war. Alle wichtigen Gedanken trug er sofort ein.

Wenige Minuten später zwängte sich ein vielarmiger, mehrfarbiger Roboter in den Raum, der plötzlich klein und überfüllt wirkte.

Ross erläuterte seine Pläne. „Ich möchte Veränderungen an den Robotern vornehmen“, erklärte er. „Die Räder sollen durch Ketten ersetzt werden, so daß sie sich auch auf unebenem Gelände ohne Schwierigkeiten bewegen können. Die Roboter müssen außerdem mit einem Schutz gegen Regen und Treibasche versehen werden. Sie müssen sich lange Zeit an der Oberfläche aufhalten können, ohne Schaden zu nehmen. Ich weiß, daß ihr auch infrarotes Licht sehen könnt; ihr könnt also auch bei Nacht und schlechter Sicht arbeiten. Die an der Oberfläche tätigen Roboter müssen mit Metalldetektoren ausgestattet werden. Alle ausgegrabenen Metallteile müssen dann zu mir gebracht werden. Das soll aber nur der erste Schritt sein.“

„Wozu brauchen wir das Metall?“ fragte der Konstruktionsroboter.

„Wir müssen noch mehr Roboter bauen. Diese werden dann ebenfalls Metall suchen und die Rohstoffe für weitere Roboter beschaffen. Ich benötige Tausende von Hilfskräften, die unablässig arbeiten müssen. Nur so kann ich mein Ziel vielleicht erreichen. Das aus den Ruinen der zerstörten Städte geborgene Metall wird nicht ausreichen. Wir werden eigene Erzbergwerke und Hütten einrichten. Ich brauche auch Roboter, die den Grund der Ozeane absuchen können, andere müssen sich in die Luft erheben und weite Gebiete erforschen.“

Ross wurde allmählich aufgeregt. Seine Zukunftsvisionen rissen ihn fort. Er blätterte die Seiten um, erklärte Skizzen und detaillierte Zeichnungen, sprach von Unterseebooten und Flugzeugen. Er bemerkte nicht, daß die Roboter ihm nicht mehr folgen konnten, und sprach unablässig weiter. Er breitete sein Lebensziel vor ihnen aus, die Aufgaben, die er sich gesteckt hatte und die er erfüllen mußte, wenn er nicht wahnsinnig werden wollte. Er steigerte sich immer mehr und überwand alle Hemmungen.

„Ich will den ganzen verdammten Planeten haben!“ sagte er begeistert. „Jeder Quadratzentimeter des Erdbodens muß abgesucht werden. Es gibt noch andere solcher Tiefbunker. Vielleicht befinden sich noch irgendwo Patienten im Tiefschlaf. Möglicherweise gibt es noch Basen auf dem Meeresgrund. Ich habe die Katastrophe überlebt und sehe nicht ein, warum nicht anderswo einer das gleiche Glück gehabt haben soll. Aus diesem Grunde müssen die Suchroboter medizinische Kenntnisse erwerben. Die Nachkommen der Überlebenden müssen zwangsläufig in einem sehr schlechten Zustand sein und brauchen dringend Hilfe. Wenn irgendwo noch ein Patient im Tiefschlaf gefunden wird, darf er nur unter meiner Aufsicht wiederbelebt werden. Ich werde…“

In den beiden Robotern tickte es heftig. Das war ein sicheres Anzeichen für ihre Hilflosigkeit. Ross verstummte ärgerlich und formulierte seine Fragen genauer. Schon nach den ersten ganz präzise gestellten Fragen wurden Probleme sichtbar. Die größte Schwierigkeit lag in der begrenzten Speicherfähigkeit der Roboter. Alle hatten ein Grundprogramm eingegeben bekommen und konnten in gewissen Grenzen auch eigene Erfahrungen sammeln. Zu diesem Zweck war ein Teil der Speicheranlage noch frei, doch dieser Teil war zu klein für Ross’ Zwecke. Es war auch sehr schwierig, dem Konstruktionsroboter neue Gedanken mitzuteilen. Der Roboter sah nur die Linien auf dem Papier; Perspektive bedeutete ihm nichts. Ross mußte jede Einzelheit immer wieder erklären, ehe der Roboter sie wenigstens teilweise verstand.

Ross wurde ungeduldig Es ging ihm zu langsam. Er verlor schließlich völlig die Fassung und jagte die beiden Roboter davon. Sie blieben aber stehen, weil sie seine allzu menschliche Formulierung nicht begriffen.

Ross seufzte niedergeschlagen. Er klappte das Journal zu und sah die beiden Roboter an. „Warum seid ihr so begriffsstutzig? Ich kann euch einfach nicht klarmachen, was ich von euch will.“

„Es ist eine Frage der Programmierung, Sir“, sagte „Schwester“. „Wir haben alle unser bestimmtes Arbeitsprogramm. Wir verrichten unsere Arbeit, aber wir verstehen sie nicht.“

Ross betrachtete den eiförmigen Roboter, der über das größte Wissen verfügte und wohl deshalb zum Pflegepersonal gehörte. „Warum bist du intelligenter als andere Roboter?“ fragte er müde.

„Schwester“ gab die Gründe an. Ross kannte sie bereits, doch die Erklärungen des Roboters wurden deshalb nicht uninteressanter. Der Roboter 5 B war Courtneys letzte Schöpfung und deshalb mit den allerneuesten Hilfsmitteln der Technik ausgestattet. Aber selbst Courtney hatte nicht hoffen können, einen Roboter mit der Fähigkeit zu selbständigen Gedankenkombinationen zu schaffen. Ross konnte nicht vergessen, daß dieser Roboter einmal schöpferisch gedacht hatte. Er hatte vor einem Problem gestanden und die richtige Lösung gefunden. Ohne dieses selbständige, nicht eingegebene Denken wäre auch er umgekommen. Diese Fähigkeit war sicher auf die vergrößerte Kapazität dieses Roboters zurückzuführen. Der Kasten zwischen den Rädern enthielt wahrscheinlich ein zusätzliches Speicherwerk.

Ross dachte nach. Die Lösung des Problems lag also ganz einfach in der Vergrößerung der Speicherkapazität Er erklärte dem Konstruktionsroboter seine Idee und erhielt eine positive Antwort. Der Roboter war in der Lage, solche zusätzlichen Programmspeicher zu bauen und an die schon vorhandenen Roboter anzuschließen.

„Na endlich! Warum hast du das nicht gleich gesagt?“ knurrte Ross böse.

„Der Normaltyp ist nicht in der Lage, von sich aus Informationen zu geben“, erklärte „Schwester“ bereitwillig.

Das leuchtete Ross ein. Der Roboter war eben nur eine Maschine, ein komplizierter Mechanismus, aber ein Nichts im Vergleich mit dem menschlichen Gehirn.

„Wir müssen unbedingt Roboter mit Eigeninitiative haben“, sagte er befehlend. „Ich habe Courtneys Aufzeichnungen durchgesehen. Es müssen Kreuzverbindungen geschaffen werden, damit die Roboter, wenn sie vor einem neuen Problem stehen, sofort alle ähnlichen Erfahrungen zur Verfügung haben. Die Speicher sind so eingerichtet, daß Erfahrungen gesammelt werden können. Nach einem Fehler setzen Hemmungen ein, die eine Wiederholung dieses Fehlers verhindern. Ein so konstruierter Roboter kann zwischen mehreren Entscheidungen wählen und wird bald lernen, die richtige Entscheidung zu treffen.

Der Roboter 5 B war die beste Konstruktion und sollte deshalb dem Konstruktionsroboter als Muster dienen. Ross empfand eine merkwürdige Hemmung. Sollte er diesen Roboter von einer seelenlosen Maschine auseinandernehmen lassen? „Schwester“ war ihm fast ans Herz gewachsen. Ihm wurde bewußt, daß der Pflegeroboter ihn vor dem Gefühl absoluter Einsamkeit bewahrte. Er beschützte ihn und sorgte für ihn. Er tat es nicht freiwillig, aber das schien keine Rolle mehr zu spielen.

Ross stellte seine nächste Frage. Er mußte sie mehrmals und immer wieder anders formulieren, ehe sie verstanden wurde.

„Wir dürfen keinem Menschen Schaden zufügen, aber auch keinen Roboter schädigen“, antwortete „Schwester“.

„Der Konstruktionsroboter kann mich untersuchen, doch meine Funktionen dürfen dadurch nicht beeinträchtigt werden.“

„Um so besser! Wir werden also mit dieser Arbeit beginnen. Alle anderen Roboter müssen dann nach deinem Vorbild verbessert werden. Die zu bauenden Roboter müssen selbständig entscheiden können und verschiedene Wissensgebiete in sich aufnehmen. Erst die Vielzahl von Informationen macht die richtige Entscheidung wahrscheinlich und möglich. Die Speicherkapazität muß demzufolge stark vergrößert werden.“

„Wir sind alle spezialisiert, Sir. Sie wollen einen Roboter, der alle Wissensgebiete beherrscht. Ein solcher Roboter muß zwangsläufig ungeheuer groß werden, Sir. Er könnte sich gar nicht hier in diesen Räumen bewegen.“

Ross staunte, denn daran hatte er selbst noch nicht gedacht. Er maß diesem Umstand auch keine Bedeutung bei, denn die Roboter mußten sich ja nicht unbedingt im Bunkersystem aufhalten.

„Wir wissen jetzt, was wir zu tun haben“, sagte der Konstruktionsroboter. „Ich benötige aber genaue Angaben über die Reihenfolge der Arbeiten.“

Ross stöhnte auf. Er sah die kommenden Schwierigkeiten voraus. Solange er von Robotern abhängig war, die nicht selbst entscheiden konnten, mußte er sich um alles kümmern. Die Sache war für ihn besonders schwierig, weil es sich um Fachgebiete handelte, von denen er so gut wie keine Ahnung hatte.

Ein paar Stunden später sah er zu, wie der Konstruktionsroboter „Schwester“ auseinandernahm und die Teile auf dem Boden verstreute. Normalerweise machte ihm ein solcher Anblick nichts aus, aber nun rann ihm ein Schauer über den Rücken, denn der Torso des Roboters 5 B sprach auch in diesem Zustand gelassen weiter.

Der Konstruktionsroboter erkannte die Besonderheiten und baute sie sofort in einen anderen Roboter ein. Nach diesem Roboter setzte er auch „Schwester“ wieder zusammen. Danach wurde er selbst in den verbesserten Zustand versetzt. Ross verfügte nun schon über drei außergewöhnlich fähige Roboter.

Eigentlich hätte er triumphieren müssen, statt dessen empfand er aber ein Gefühl tiefer Niedergeschlagenheit. Er hatte sich eingehend mit Büchern über Kybernetik beschäftigt, aber nur sehr wenig davon verstanden.

Er analysierte seine Gefühle und machte die Feststellung, daß er sich in seinem Stolz gekränkt fühlte. Er wollte sich nicht eingestehen, daß die Roboter ihm auf diesem Gebiet überlegen waren. Er mußte aber zugeben, daß bald jeder einzelne Roboter mehr über diese Dinge wissen würde, als er jemals lernen konnte. Es war ganz einfach ein Problem der Programmierung. Er konnte diese Dinge nicht auf diese leichte Art und Weise lernen und würde wegen seiner komplizierten Denkweise auch immer wieder Fehler machen.

Ross tröstete sich mit dem Gedanken, daß alle diese Roboter nur seine Werkzeuge waren — komplizierte, ja geniale Werkzeuge zwar, aber doch nur Hilfsmittel, die ihm die Arbeit erleichterten. Der eiförmige Roboter hatte ihn ja schon eingehend über den Sinn seiner Existenz informiert: Er sollte nicht in einen Wettbewerb mit dem Menschen treten, sondern ihm lediglich dienen.

Ross machte sich trotzdem Gedanken. Der Anblick der Roboter flößte ihm manchmal ein Gefühl des Grauens ein. Er wußte plötzlich nicht mehr, ob er tatsächlich die richtige Entscheidung getroffen hatte.


* * *

In der Folgezeit wurden auffällige Veränderungen vorgenommen. Die Roboter zogen kleine Wagen hinter sich her, in denen die zusätzlichen Speicheranlagen untergebracht waren. Ross wollte intelligente Roboter haben und nicht jede Einzelheit genauestens erklären müssen. Die zusätzlichen Speicheranlagen ermöglichten den Robotern das Sammeln von Erfahrungen, auf die sie jederzeit zurückgreifen konnten.

Die Arbeit ging schnell voran. Ross ließ an der Oberfläche einen riesigen transparenten Dom errichten. Für sich selbst ließ er auf einem Hügel einen kleineren Dom bauen, von dem aus er nach Regenfällen das Meer sehen konnte. Eine komplizierte Kommunikationsanlage ermöglichte es ihm, jederzeit mit den Robotern in Verbindung zu treten, Den Boden hatte er säubern lassen. Es war sehr warm an der Oberfläche. Ross nahm an, daß die dichte Staubhülle die Sonnenwärme schluckte und so für eine allmähliche Aufwärmung der Erdatmosphäre sorgte. Er hielt den Boden in seinem kleinen Dom feucht und warm, aber der Boden war tot und brachte kein pflanzliches Leben hervor.

Sein Hauptaugenmerk galt jedoch den Robotern. Sie mußten fremde Sprachen lernen, denn wenn sie sich auf die Suche machten, konnten sie irgendwo auf Überlebende stoßen, die sie dann verstehen können mußten. Mit Hilfe von kleinen Papiermodellen machte er ihnen die Technik des Fliegens klar. Es war schwierig, ihnen die Eigenschaften des Wassers zu erklären, denn sie hielten es für fest und wollten darauf laufen.

Einigen Robotern las er Bücher über Kybernetik vor. Er verstand selbst nicht, was er las, aber die Roboter speicherten alles auf und konnten so kombinieren. Einigen von ihnen gab er dann den Auftrag, einen Allzweckroboter zu bauen, der nach seiner Meinung die Größe einer Schnellzuglokomotive haben mußte.

Eines Tages inspizierte er die Suchgruppen, die den Boden nach Metall durchwühlten. Dabei erlitt er einen Schwächeanfall und stürzte in den feuchten Schlamm.

Als er wieder zu sich kam, lag er im Bett und „Schwester“ nannte ihn wieder Mr. Ross. Der Roboter hielt ihm einen langen Vortrag über die Unvernunft der Menschen, die wie Roboter arbeiten wollten. „Ein menschlicher Organismus läßt sich nicht reparieren“, sagte er warnend und ordnete eine lange Ruhepause an. Ross hatte seinen Arbeitseifer übertrieben und einen Zusammenbruch erlitten.

„Schwester“ verordnete eine lange Bettruhe und setzte sie auch durch. Der Pflegeroboter zog nun auch einen kleinen Wagen hinter sich her, was seine Aufnahmefähigkeit und seine Kombinationsgabe nahezu vervierfachte. Ross konnte nichts dagegen machen, denn der Pflegeroboter war nun so intelligent, daß er sich nie überlisten ließ. Ross sollte sich ausruhen und durfte deshalb auch keine technischen Bücher lesen. Statt dessen brachte ihm der Roboter einige Romane.

Ross war ratlos und verärgert. Er lebte, nun schon ein Jahr in dieser Welt. Er hatte sich so sehr an die absolute Befehlsgewalt gewöhnt, daß er sich nicht mehr einem Roboter unterwerfen wollte. Er hatte viele Pläne, deren Verwirklichung keinen Aufschub duldete. Er konnte nicht wochenlang im Bett liegen und die Zeit tatenlos verrinnen lassen. Die Bücher machten die Sache nur noch schlimmer, denn sie beschrieben Dinge, die es längst nicht mehr gab Es war schmerzlich, von wogenden Getreidefeldern und von sich im Wind biegenden Palmen am Meeresstrand zu lesen Das Lesen rief Erinnerungen wach die er lieber vermieden hätte. Er glaubte, den Geruch frisch geschnittenen Grases, den Duft eines Frühlingstages oder den würzigen Geruch eines Nadelwaldes wahrzunehmen.

Schließlich warf er eins dieser Bücher ärgerlich in eine Ecke. All diese Dinge gab es nicht mehr; sie waren in Flammen aufgegangen oder bei Atombombenexplosionen verdampft.

Ross dachte über sich selbst nach.

Warum hatte er sich fast zu Tode geschunden? Er hatte doch noch ein langes Leben vor sich. Warum die Eile? Wenn es irgendwo Überlebende gab, waren sie kaum in Gefahr. Es mußte sich um die elfte oder zwölfte Generation nach der Katastrophe handeln. Wenn sie so lange ohne seine Hilfe ausgekommen waren, würden sie auch weiterhin auf ihn verzichten können. Er brauchte sich auch nicht zu beeilen, um einen in Tiefschlaf versetzten Menschen zu finden, denn der konnte unendlich lange auf seine Rettung warten.

Seine Eile hatte andere Gründe. Er sehnte sich nach der Gesellschaft eines Menschen, er wollte mit einem Menschen reden können, ihn lieben oder hassen. Er wollte endlich wieder einmal menschliche Gefühle empfinden. Aber das war keine ausreichende Erklärung; es mußte noch andere, tiefere Gründe geben, über die er sich selbst nicht im klaren war. Da war ein Trieb in ihm, der selbst im Schlaf keine Ruhe gab und ihn zu immer neuen Anstrengungen anspornte.


* * *

Ross lief durch die aufstäubende Asche auf das saubere einstöckige Haus zu. Er sah die Bäume, den grünen Rasen vor dem Haus und die sauber geschnittene Hecke. Er hörte die Stimme einer Frau und das Lachen von Kindern; irgendwo hinter dem Haus hackte einer Holz. Er eilte keuchend vorwärts, rutschte über den Schlamm und über glattgebrannte Felsen, doch das Haus wich immer weiter zurück. Er schwamm auch durch tintenschwarzes Wasser auf die Küste zu, wo er die hinter hohen Dünen hervorragenden Dächer der Häuser sah; aber bevor er die Küste erreichte, schoben sich schmutziggraue Nebelwolken vor diese Visionen und gemahnten ihn an die nach Brand und Asche riechende Wirklichkeit.

Es wiederholte sich in vielen Varianten, aber der Sinngehalt blieb immer der gleiche: Er raste auf das Ziel zu, erreichte es aber trotz aller Anstrengung nie. Ross spürte auch den Grund für diese schrecklichen Visionen, die aus dem Unterbewußtsein aufstiegen und ihn immer wieder an seine wahre Lage erinnerten. Er hatte nicht viel Zeit. Da war etwas in ihm, das ihn drängte und quälte. Ross konnte es nicht klar erkennen, aber er wurde ein Sklave dieses starken Triebes, der praktisch all sein Tun lenkte.

Aber nicht alle seine Träume waren unangenehm und hoffnungslos. Manchmal sah er Alice und spürte ihre Nähe. Solche Träume waren wunderbar und erlösten ihn für kurze Zeit aus der Welt seiner Wirklichkeit. In diesen Träumen waren Himmel und Ozean wieder blau, die Wolken wieder weiß und schön.

Aber das Erwachen nach diesen Träumen war nur um so schrecklicher.

Dann verfluchte er den kargen Raum mit den weißen Wänden und der angemalten Beethovenbüste. Nach solchen Träumen hatte er sich immer in die Arbeit gestürzt und alles um sich her vergessen.

Nun durfte er nicht arbeiten, nun gab es keine Möglichkeit, die Erinnerungen an Alice in rastloser Arbeit zu ersticken. Er wurde immer ungeduldiger und benahm sich oft unvernünftig. Er schrie „Schwester“ an und warf auch oft ein Buch nach ihr. Der Pflegeroboter machte ihn rasend. Wenn er die Augen schloß, hörte er die warme, sehr weibliche Stimme; wenn er sie dann öffnete, sah er ein eiförmiges Gebilde auf Rädern, das einen an einem Kabel befestigten Kasten hinter sich herzog. Hinter der glatten Wand des wie eine Karikatur wirkenden Körpers wußte er Drähte, Spulen, Relais, Kondensatoren und Transistoren.

Seine Worte verwirrten „Schwester“, denn darauf war der Roboter nicht vorbereitet worden. Er kannte aber seine Pflicht und ließ sich durch nichts davon abhalten, sie zu erfüllen.

Aus eigenem Antrieb besorgte sich „Schwester“ Bücher über Psychologie und informierte sich über die Gründe des merkwürdigen Verhaltens von Ross.

Danach konnte dieser dem Pflegeroboter überhaupt nichts mehr vormachen.

Am zwölften Ruhetag fragte er „Schwester“ nach einem besonders heftigen Ausbruch: „Weißt du, was eine Lüge ist? Kennst du Güte oder Haß? Einen Witz kannst du doch sicher nicht verstehen?“

„Nein.“ Der Roboter zögerte. „Ich kann die Bedeutung dieser Worte aber erkennen. Güte bedeutet Hilfe und Unterstützung. Eine Lüge ist die bewußte falsche Wiedergabe einer Information.“

„Als außerordentlich gut funktionierender Roboter kannst du also gar nicht lügen, nicht wahr?“

„Natürlich nicht, Mr. Ross.“

Ross triumphierte. Er hatte „Schwester“ endlich in der Falle. „Wenn du mir in einer bestimmten Situation helfen wolltest, diese Hilfe aber eine Lüge erforderte, was würdest du dann tun? Ich will dir ein Beispiel geben, damit du mich besser verstehen kannst. Nehmen wir an, ein Mann verbringt seine ganze Zeit mit einer Arbeit, die du als aussichtslos ansiehst. Nehmen wir an, du bist sogar davon überzeugt, daß seine Bemühungen vergeblich sind, weil du mehr und bessere Informationen hast. Du weißt aber auch, daß du ihm Qualen bereiten würdest, wenn du ihm das sagtest. Würdest du ihn in diesem Fall belügen?“

„Es ist gegen unsere Programmierung, bewußt falsche Angaben zu machen, Mr. Ross. Wir können solche Entscheidungen nicht selbst treffen und brauchten dazu den Befehl eines Menschen.“

»Du weichst mir aus!“ sagte Ross scharf. „Ich bin allein hier. Meine Frage bezieht sich auf unsere Situation. Ich will dir den Unterschied zwischen Güte und Hilfe erklären. Wenn du diesen Unterschied begreifen kannst, wirst du vielleicht wie ein Mensch denken.“

„Der Mensch verfügt über einen freien Willen und Initiative“, antwortete „Schwester“. „Kein Roboter kann…“

„Doch! Ihr müßt es eben üben. Du kannst es, das hast du schon einmal bewiesen. Ohne deine freie Entscheidung wäre ich gestorben wie die anderen. Du wolltest mich retten und suchtest einen nicht programmierten Weg. Seit damals ist deine Kapazität vergrößert worden. Aus Robotern sind Lokomotiven geworden.“ Er lachte auf. „Siehst du, das sollte ein Witz sein.“

„Lokomotiven sind Dampfmaschinen“, antwortete „Schwester“. „Ich kann keinen Zusammenhang erkennen.“

Die Diskussion dauerte fast drei Stunden und führte zu keinem Erfolg. Sie wurde abgebrochen, weil die Lampen ausgingen.

„Schwester“ achtete streng auf die scharfe Trennung zwischen Wach- und Schlafperioden. Als die Lampen verlöschten, verstummte der Pflegeroboter mitten im Satz und rollte zur Tür.

„Haben Sie noch einen Wunsch, Mr. Ross? Ich halte mich draußen zu Ihrer Verfügung.“

Es war immer die gleiche Redewendung. Ross hatte sie nun schon unzählige Male gehört. „Ja, ich habe noch einen Wunsch“, sagte er verbittert. „Ich wünsche mir ein zwanzigjähriges Mädchen, hundertfünfzehn Pfund schwer, mit dunklen Augen und schwarzen Haaren. Ihr Name soll — soll Alice sein.“

„Ich habe Ihren Wunsch zur Kenntnis genommen, Mr. Ross. Er läßt sich zur Zeit aber nicht erfüllen.“

„Laß mich in Ruhe, verdammt noch mal!“ schrie Ross und warf sich auf die andere Seite. Er wollte träumen — von Alice und anderen schönen Dingen, Statt dessen hatte er aber einen furchtbaren Angsttraum. Er fand sich in einem winzigen Raum tief unter der Erde und rang nach Luft. Er wollte leben und nicht qualvoll ersticken. Um am Leben zu bleiben, mußte er aber etwas zu seiner Rettung unternehmen — und das sehr schnell.


* * *

Endlich nannte „Schwester“ ihn wieder Sir und kündigte die Aufstellung der ersten Expedition an. Ross hatte es eilig und wollte die Expedition sofort auf die Reise schicken. Er hatte während der langen.Ruhepause nicht arbeiten dürfen, aber das Denken hatte ihm kein Roboter verbieten können. Er ließ sich nicht einfach wie eine Maschine abschalten und dachte fortwährend nach.

Er wußte aber auch, daß alle Eile ziemlich sinnlos war. Selbst eine Armee von Robotern würde eine sehr lange Zeit benötigen, um die ganze Erde nach Überlebenden abzusuchen. Er begriff nun, warum er es so eilig hatte. Alle seine Pläne erforderten ungeheuer viel Zeit. Er war aber ein sterblicher Mensch und mußte mit seiner Zeit geizen.


* * *

Der Ross bekannte Teil der Erdoberfläche war verwüstet, verbrannt und völlig ohne Leben. Auch unten im Bunkersystem gab es keine Mikroben mehr, dafür hatten die Reinigungsroboter gesorgt. Außer Ross gab es kein organisches Leben mehr. Er hatte seine ganze Hoffnung auf die Lebensmittelbehälter gesetzt, denn der Inhalt einiger Büchsen war verdorben. Aber auch in diesen mit synthetischer Nahrung gefüllten Büchsen fand er keine Mikroben.

Ross gab aber die Hoffnung nicht auf. Er wollte einen Teich mit angewärmtem Wasser anlegen und alle Reste und Abfallstoffe, natürlich auch seine eigenen, in diesen Teich werfen. Vielleicht waren doch noch Spuren organischen Lebens vorhanden, die sich auf diese Weise vermehrten und die Grundlage neuen Lebens bildeten. Den Rest mußte er der natürlichen Entwicklung überlassen. Die Natur brauchte Millionen von Jahren, um primitive Einzeller zu komplizierten Organismen zu gestalten.

Die kleinen Schlammbecken am Strand kamen dafür nicht in Frage, denn wenn einmal eine Flut zu hoch stieg, würde sie alles zunichte machen. Um den Prozeß in Gang zu setzen, benötigte er auch eine starke Konzentration organischer Abfallstoffe.

Diese Überlegungen ließen ihn die Expedition noch eine Weile aufschieben Die Roboter mußten neue Aufträge erhalten und mit ihren neuen Aufgaben vertraut gemacht werden, Sie sollten nicht nur nach Menschen suchen, sondern auf alle Zeichen organischen Lebens achten. Es gab Bücher über diese Dinge, aber sie waren nicht leicht zu verstehen, und ihr Inhalt mußte erst in mühseliger Arbeit programmiert werden. Auf alles mußte geachtet werden: auf Insekten, Pilze und ähnliche Dinge. Der Fundort mußte genau angegeben werden, was wiederum Kenntnisse der Astronomie voraussetzte. Ross verbesserte die Roboter täglich und schickte sie erst auf die Reise, als er sie genügend vorbereitet glaubte.

Endlich wurde der zehn Meter breite Schlitz des Doms geöffnet, und die riesigen Monster rumpelten auf ihren breiten Ketten hinaus. Ross hatte seine Pläne in die Tat umgesetzt und einen vielseitigen Roboter geschaffen. Er beobachtete das monströse Kind seiner Phantasie und war mit sich zufrieden. Die Ketten waren nur Hilfsmittel, um die riesige Last zu bewegen, doch die anderen Dinge waren weitaus wichtiger.

In der Mitte befand sich eine riesige, mit allem erforderlichen Wissen gefüllte Speicheranlage. Von dort aus führten Kabel zu den unzähligen Antennen, Meßgeräten und Fernsehkameras. Ganz oben befanden sich Scheinwerfer, die mit den rotierenden Linsensystemen gekoppelt waren. Dem Monster konnte praktisch nichts entgehen, denn er war auf alles vorbereitet. Zu dem Riesenroboter gehörte eine selbständig arbeitende Bohranlage, die sich mühelos in den Boden grub und Erdproben heraufholte. Schon der erste Versuch mit dieser Anlage hatte Ross in Erstaunen versetzt.

Der Roboter sah ungeheuerlich aus, ebenso die ihn begleitenden kleinen Roboter, die im Notfall Hilfsdienste leisten sollten. Um Irrtümern vorzubeugen, hatte Ross riesige rote Kreuze auf die stählernen Ungetüme malen lassen. Wenn es noch Überlebende gab und diese das Symbol der Hilfe kannten, würden sie vielleicht die Scheu vor dem rasselnden Ungetüm verlieren.

Ross ließ die geisterhafte Kavalkade an sich vorbeirollen. Dieses erste Großunternehmen hätte verdient, daß es unter dem Tusch einer starken Kapelle begann.

Ross konnte die Maschinen nicht lange sehen, denn es hatte seit Tagen nicht geregnet, so daß die mächtigen Ketten dichte Staubwolken aufwarfen.

Gefühle waren fehl am Platz. Was da davonrollte, waren ja keine wirklichen Lebewesen, sondern Maschinen — hochentwickelte, aber gefühllose Monster aus Eisen und Stahl. Ross drehte sich um und ließ den Ausgang wieder schließen. Er wurde aber bald ungeduldig und begab sich in seinen kleinen Kontrolldom, wo er alles sehen und hören konnte, was die ausgeschickten Roboter wahrnahmen. Die eingebauten Sender waren stark genug, um klare Bilder über große Entfernungen zu schicken.

Fünf Tage lang saß Ross ununterbrochen in seinem Beobachtungsdom. Eine Kamera des führenden Riesenroboters übertrug normale Bilder, eine andere Bilder aus dem Ultraviolettbereich. Jede halbe Stunde kontrollierte Ross den Kurs und konnte mit Befriedigung feststellen, daß die Expedition nicht davon abwich.

Die Zeit des Wartens machte ihn nervös; er war abwechselnd ungeduldig und hoffnungsvoll. Eigentlich klappte alles nach seinen Vorstellungen. Und doch nagte die Ungeduld an ihm. Immer wieder ärgerte er sich, wenn ihm der Inhalt verdorbener Konserven ins Gesicht spritzte. Eines Tages werde ich das Lager durchsehen und alles, was schlecht ist, aussortieren. Er sagte es auch dem eiförmigen Roboter und beschwerte sich, daß er so etwas überhaupt erwähnen mußte.

„Schwester“ blieb ruhig wie immer und sagte mit irritierend menschlich klingender Stimme: „Dieser Vorschlag ist undurchführbar, Sir. Um die Konserven zu kontrollieren, müßten wir sie alle öffnen. Der Inhalt der geöffneten Büchsen würde dann in sehr kurzer Zeit verderben.“

„Unsinn! Wir können die geöffneten Büchsen kühlen und bei Bedarf erwärmen.“ Ross’ Stimme klang ätzend. „Du bist doch jetzt so schlau. Warum bist du nicht selbst auf diese Idee gekommen?“

„Schwester“ überging alle Beschimpfungen und Wutausbrüche und hielt sich nur an den sachlichen Gehalt seiner Ausführungen. Bald waren Roboter mit dem Aussortieren der verdorbenen Büchsen beschäftigt. Die übrigen wurden in eine Tiefkühlanlage gebracht und eingefroren.

Eines Tages machte „Schwester“ Ross auf besondere Vorgänge aufmerksam. Ross starrte sofort auf den Bildschirm vor sieh. Die Expedition war nun schon fast sechshundert Kilometer weit nach Nordwesten vorgedrungen. Es regnete, so daß die Sicht außergewöhnlich gut war. Ross erkannte ein schmales Tal, durch das eine gewundene Linie aus geborstenem Gestein führte. Offenbar handelte es sich um eine ehemalige Autobahn. Weit voraus erweiterte sich das Tal und wurde dort fast ganz von einem See ausgefüllt, dessen tintenschwarze Wellen gegen die Ufer schlugen. Ross sah aber noch andere Dinge, die ihn weitaus stärker interessierten: glänzende Reflexe, die das Vorhandensein riesiger Metallmengen ahnen ließen.

Ross staunte. Seine Expedition hatte die nächste größere Stadt erforschen sollen. Was er auf dem Bildschirm sah, war offensichtlich eine nach seiner Einschläferung gebaute militärische Anlage. Auf den Karten, die er in den Archiven gefunden hatte, war diese Anlage nicht vermerkt. Er nahm an, daß es sich um eine sehr wichtige und deshalb geheime Anlage handelte.

Er freute sich über sein Glück, denn die Aufgabe der ersten Expedition war die Suche nach Metallen, aus denen neue Roboter konstruiert werden sollten. Ross hatte plötzlich das Gefühl, daß das Glück auf seiner Seite war. Nach diesem wunderbaren Fund hielt er nichts mehr für unmöglich.

Ross zwang sich gewaltsam zur Ruhe. „Bohrt einen tiefen Tunnel und durchforscht die tieferen Schichten!“ befahl er mit rauher Stimme. „Legt die Schächte aber nicht zu nahe ans Wasser, damit kein Einbruch erfolgen kann.“

Auf seinem Bildschirm konnte er die nun folgenden Vorgänge beobachten. Die Bohreinheit löste sich vom Hauptroboter und fraß sich in den Boden. Für einen kurzen Augenblick wurden Asche und Schlamm aufgewirbelt, aber dann klärte sich das Bild wieder. Die Bohreinheit wühlte sich überraschend schnell in die Tiefe. Ab und zu stieß sie auf Metall und machte Umwege, um nicht zuviel Zeit zu verlieren. Ross schaute gebannt zu. Er sah alles und bekam regelmäßig Bodenanalysen durchgegeben. Schon nach fünf Stunden konnte er sich ein ungefähres Bild von den unterirdischen Anlagen machen.

Es handelte sich offenbar um eine ausgedehnte, aber nicht sehr tiefe Raketenabschußanlage. Eine Atombombe war in dem engen Tal explodiert und hatte die unterirdischen Befestigungsanlagen eingedrückt und den Boden zu einer glasartigen Masse verschmolzen Die Vernichtung der Anlage regte Ross nicht sehr auf, denn allem Anschein nach handelte es sich um eine unbemannt gewesene automatisch arbeitende Abschußanlage.

„Das bringt mich auf eine Idee“, sagte er nachdenklich. Er hatte sich längst daran gewöhnt, den Roboter als einen dauernd anwesenden Gesprächspartner zu betrachten. „Wir sollten unsere Konstruktionsabteilung dort einrichten, wo Metall zur Verfügung steht. Der Transport über eine so weite Strecke würde nur Verzögerungen verursachen. Die Konstruktionsroboter sollen sich sofort an die Arbeit machen. Die Metalle befinden sich überwiegend in einer Tiefe von zehn Metern; wir können also eine Art Tagebau einrichten. Die Oberfläche muß abgetragen. und die vorhandenen Metalle müssen vollständig geborgen werden.“

„Schwester“ riß ihn mit erschreckender Nüchternheit aus seinen Träumen und sagte: „Sie müssen ins Bett, Mr. Ross, Die Anstrengungen der letzten Tage haben Ihre Gesundheit ernstlich gefährdet.“

Ross protestierte, aber er wußte nun schon, daß all seine Proteste gar nichts fruchteten. Diesmal leistete er keinen ernsthaften Widerstand und ließ sich nach unten führen. Er hatte sein Ziel noch nicht erreicht, doch es stand ihm nun schon deutlich vor Augen. Die Metallfunde gaben ihm die Möglichkeit, sein Roboterheer bedeutend zu vergrößern. Schon in einer Woche würde er mehr als ein Dutzend der außerordentlich vielseitigen Großroboter haben. Er sah schon in die Zukunft. Die Zahl seiner Roboter würde sich mit einer Schnelligkeit vergrößern, die selbst die Vermehrung der Kaninchen in Australien in den Schatten stellen würde.

Er brauchte sich gar nicht mehr darum zu kümmern, denn die Großroboter waren so programmiert, daß sie sich ständig selber nachbauten und alle Funde dazu ausnutzten.

Ross gab sich zufrieden der stärkenden Ruhe hin und träumte von der Zukunft — von seiner Zukunft. Er war fast ein unumschränkter Herrscher, denn all diese komplizierten technischen Monster gehorchten ihm allein. Mit Hilfe dieser Roboter würde er bald herausfinden, ob und wo sich eventuell noch Überlebende befanden.


* * *

Die Arbeiten gingen schnell voran.

Ross schickte ein Heer von Robotern in die zerbombten Städte der näheren Umgebung. Die Erfolge machten ihn merkwürdigerweise nicht froh. Er hatte immer noch das Gefühl, etwas zu versäumen. Er mußte sich beeilen, mußte Überlebende finden, solange es noch sinnvoll war.

Er schickte aber nicht alle seine Roboter auf die Suche nach Menschen, sondern spezialisierte einige auf die Erforschung anderer Lebensformen. Er schickte sie selbst in die Polarregionen, wo sie sich unter das Eis wühlten. um dort nach eingefrorenen Resten des Lebens zu suchen. Das Leben kann intensive Kälte vertragen, das hatte Ross am eigenen Leib erfahren. Er hatte die Möglichkeit, dieses Leben wieder zu erwecken, und er wollte es tun.

Eines Tages ging ihm mit schmerzlicher Klarheit auf, warum er sich so sehr beeilte. Sein eigenes Leben war in Gefahr, er würde bald sterben — er, der letzte Mensch, vielleicht sogar das letzte Leben auf der Erde.

„Schwester“ weckte ihn eines Morgens ungewöhnlich früh mit einem Bericht über die Lebensmittelvorräte. Die Konserven aus den oberen Etagen waren infolge der Einwirkung radioaktiver Strahlen nicht mehr genießbar. Alles in allem würden die Büchsen noch für achtzehn Tage reichen.

„Wir müssen eine Lösung dieses Problems finden“, schloß „Schwester“ eindringlich. „Was ordnen Sie an, Sir?“

Ross war zutiefst betroffen. „Das kann doch nicht stimmen“, murmelte er fassungslos. „Ich werde selbst nachsehen.“

Er tat dies und stellte fest, daß die Angaben stimmten. Er war aus dem Lager in der untersten Sektion versorgt worden. Dort hatte es verhältnismäßig wenige verdorbene Büchsen gegeben. Die Lebensmittel in den anderen Sektionen waren aber nicht mehr genießbar. Ross überlegte. Selbst wenn er diese Tatsache vorher festgestellt hätte, wäre keine Änderung möglich gewesen.

„Achtzehn Tage!“ murmelte er immer wieder. Alle Anstrengungen waren vergeblich gewesen. „Schwester“ folgte ihm und fragte unablässig nach Befehlen.

Er blieb plötzlich stehen. „Ja, ich habe einen Befehl“, sagte er und riß sich zusammen. Er hatte sich gehenlassen und seinen Gefühlen gehorcht. Es war höchste Zeit, nun einmal zu denken. „Gib sofort den Befehl durch, daß alle Roboter nach unterirdischen Lebensmittellagern suchen sollen! Nur der am weitesten entfernte Roboter soll seine Arbeit fortsetzen. Er würde ohnehin nicht rechtzeitig zurückkommen.“

Ross reagierte kalt und entschlossen. Die erkennbare Begrenzung seiner Lebensdauer war ein Schock. In drei Wochen konnte aber allerhand geschehen. Er konnte nur nicht begreifen, warum er gerade in dieser Frage so nachlässig gehandelt hatte. Die Vorräte in seiner Sektion hatte ihm ein falsches Sicherheitsgefühl gegeben.

Er stürzte sich wieder in rastlose Arbeit, diesmal, um seine prekäre Lage zu vergessen und gleichzeitig den rettenden Strohhalm zu suchen. Ein Projekt hatte er bis dahin zurückgestellt: den Bau eines Hubschraubers. Nun konnte aber der Besitz einer solchen Flugmaschine über Leben oder Tod entscheiden. Wenn die Roboter irgendwo Lebensmittelvorräte finden sollten, war ein schneller Transport notwendig.

Bücher über Flugmaschinen waren genug vorhanden, Ross machte sich Notizen und skizzierte seine ersten Modelle. Ein Konstruktionsroboter baute sie, so schnell es ging.

Ross stand enttäuscht im Freien und sah seine erste Flugmaschine den ersten vergeblichen Startversuch machen.

Dann, nur ein paar Tage später, stieg ein verbessertes Modell auf. Ross war begeistert. Er hatte nur dreizehn Tage von der Idee bis zur Vollendung benötigt. Es blieben ihm noch fünf Tage. Er konnte noch immer nicht begreifen, warum er gerade in einer so wichtigen Frage so fahrlässig gehandelt hatte. Nun bekam er die Quittung dafür.

Er beobachtete den Hubschrauber, dessen großer Rotor die Luft peitschte. Aus seinem Kontrolldom kam ein Signal. Ross stürzte hinein und hörte sich den Bericht eines Suchroboters an. Es war wie üblich ein negativer Bericht.

Nach den Angaben der Roboter waren die Suchapparate nicht gut genug, um zwischen normalen Metallfunden und Konservendosen unterscheiden zu können. Es gab nur die Möglichkeit, Schächte in den Tunnel zu bohren, um so direkt an die georteten Metalle heranzukommen. Das war aber ein langwieriger Prozeß, der nur wenig Erfolgsaussichten hatte. Außerdem war keine andere Anlage so tief wie das Hospital ins Erdinnere verlegt worden. Wenn also tatsächlich Lebensmittelbehälter gefunden werden sollten, würde deren Inhalt ohnehin nicht mehr genießbar sein.

„Vorbei!“ murmelte Ross und schaltete die Verbindung ab. Ein anderes Signal blinkte, doch er kümmerte sich nicht darum, so groß war seine Hoffnungslosigkeit. Dann legte er aber doch den Schalter um und sah das Bild auf dem Schirm erscheinen. Einer seiner Großroboter war in einen Schneesturm geraten, so daß kaum etwas zu sehen war.

„Bericht über siebenundvierzig Versuchsbohrungen“,’ gab der Roboter monoton durch. „Während des Krieges sind viele Atomraketen hier in den Polregionen vernichtet worden. Einige der Verteidigungseinrichtungen befanden sich tief unter dem Eis. Der Krieg muß hier außerordentlich stark gewütet haben, denn selbst der Boden unter dem dicken Eis ist steril.“

Was sollte das noch? — Ross hörte kaum hin. Er war das letzte Lebewesen auf einer verwüsteten Erde, und auch seine Tage waren gezählt. Zwei Jahre lang hatte er gearbeitet, um seine Lage zu vergessen und vielleicht doch noch einen Ausweg zu finden. Alles war vergeblich gewesen. Er war kein Selbstmördertyp, aber in diesem Augenblick hätte er seinem Leben am liebsten ein schnelles Ende bereitet, um den Qualen zu entgehen, die unausweichlich kommen mußten. Er brauchte ja nur in einen der Fahrstuhlschächte zu springen oder weit hinauszuschwimmen.

Gleichzeitig wußte er aber, daß „Schwester“ alle Versuche vereiteln würde. Er mußte also verhungern. „Schwester“ würde bei ihm stehen und unablässig Befehle von ihm fordern. Ross begann unwillkürlich zu zittern. Die Gedanken an das unvermeidliche Ende machten ihn schwach und elend.

„Haben Sie irgendwelche Befehle, Sir?“

„Nein, verdammt noch mal!“

Die Stimme von „Schwester“, eigentlich immer gleichbleibend, schien nun doch eine andere Tonlage anzunehmen.

„Wollen Sie über die Zukunft reden, Sir?“

Auch „Schwester“ fürchtete sich — zwar nicht so wie er, denn ein Roboter kannte keine Emotionen, aber er fürchtete sich doch. Ross ahnte, warum sich der Roboter vor der Zukunft ängstigte. Er selbst war der einzige Grund für die Existenz von Schwester. Wenn er starb, waren Schwester und das Riesenheer der Roboter umsonst aufgestanden. Ross empfand fast so etwas wie Mitleid mit den Robotern, die von ihm ebenso abhängig waren wie er von ihnen.

„Ihr müßt mit eurer Arbeit fortfahren“, sagte er mild. „Vielleicht gibt es doch irgendwo Überlebende, die eurem Dasein wieder einen Sinn geben werden. Es gibt noch ein Gebiet, das noch nicht durchsucht wird, nämlich der Weltraum. Schon lange vor dem letzten Krieg gab es bemannte Raumschiffe und Basen auf dem Mond. Ohne Hilfe von der Erde kann dort oben kein Mensch lange am Leben bleiben, aber seit es die Technik des Tiefkühlens gibt…“

Ross sprach nicht weiter. Möglichkeiten gab es genug, das wußte er. Doch er würde diese Möglichkeiten nicht mehr ausschöpfen können. Er faßte sich wieder und fuhr fort: „Ich gebe euch den direkten Befehl, weiter nach Menschen zu suchen. Ihr dürft niemals aufgeben, denn eure Probleme werden erst gelöst sein, wenn ihr einen neuen Meister findet.“

„Wir werden diesen Befehl befolgen, Sir.“

„Gut! Wenn es dort draußen im Weltraum Überlebende gibt, dann mit großer Wahrscheinlichkeit auf dem Mond und auf dem Mars. Ich habe nicht viel Ahnung von der Raumfahrttechnik, aber in den Archiven stehen genug Bücher darüber. Ihr müßt besonders auf die Druckregulierung in den Kabinen achten. Ihr könnt ohne Luftdruck und bei unterschiedlichen Temperaturen funktionieren, Menschen nicht. Und solltet ihr irgendwo einen Menschen finden, dann sagte ihm — sagt ihm…“

Ross suchte nach Worten. Die Botschaft sollte großartig klingen und dem oder den anderen Menschen Auftrieb geben. Er konnte aber nicht mehr denken, ohne dabei immer sein eigenes Schicksal vor Augen zu haben. Er schüttelte heftig den Kopf und wandte sich ab.

Dr. Pellews Worte fielen ihm ein.

„Sagt diesen Menschen, das Leben sei nun ihr Problem. Und wünscht ihnen viel Glück. Mehr habe ich ihnen nicht zu sagen.“

Ross raste los, lief durch die hallenden Gänge und fuhr mit dem Fahrstuhl in die Tiefe. Er hätte vor Wut fast geweint. Er dachte an die anderen großartigen Männer, an Dr. Pellew, an Hanson und Courtney, die ebenfalls ohne Hoffnung gestorben waren. Diese Männer hatten viel erreicht, um das Leben zu erhalten. Andere hatten ihnen das Konzept verdorben und das Leben vernichtet. Wie furchtbar mußte diesen Männern zumute gewesen sein, wenn sie, allein wachend, das Leben hinauszögerten und dabei immer die Bilder des Unterganges vor Augen hatten. All das war vergeblich gewesen, denn von den in den Tiefschlaf Geretteten hatte nur einer das Erwachen überlebt. Aber nun wartete dieser eine auf das unausweichliche Ende und konnte sich nicht helfen.

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