Vor einigen Monaten hatte irgend jemand die tolle Idee, daß Bilderbücher für Kinder viel interessanter wären, wenn die Kinder die Bilder selbst einkleben und mit dem übrigbleibenden Klebstoff Möbel und Teppiche bekleckern können. Das Ergebnis dieser Idee ist ein Album „Die Wunder der Welt". Es hat insgesamt sechsundvierzig Seiten, auf jeder ist Platz für neun einzuklebende Bilder, welche in der Spielwarenhandlung Selma Blum angekauft werden müssen. Die Bilder sind besonders lehrreich, weil sie den Kindern auf lustige, leichtverständliche und vielfach farbige Art über den Werdegang unserer Erde belehren, angefangen von den Ungeheuern aus der Steinzeit über die Pyramiden bis zu den modernen Druckerpressen, die in der kürzesten Zeit 100 000 Bilder herstellen, damit sie das Kind in etwas längerer Zeit einkleben kann. Die Druckmaschinen arbeiten vierund-zwanzig Stunden am Tag. Sie arbeiten für meinen Sohn Amir. Der Trick dieser neumodischen Sache besteht darin, daß Frau Blum die Bilder in geschlossenen Umschlägen verkauft und daß die Kinder immer eine Unzahl doppelte erwerben, bevor sie ein neues Bild finden. Dadurch verbrauchen sie zwar einerseits ihr ganzes Taschengeld, lernen jedoch durch das notwendige Tauschen, wie sie Geschäfte machen müssen. Mein Sohn Amir zeigt auf diesem Gebiet ein sehr beachtliches Talent Man kann ruhig sagen, daß er den Markt beherrscht. Seit Monaten gibt er sein ganzes Taschengeld für Bilder aus. Sein Zimmer quillt über von den Wundern der Welt. Wenn man eine Lade öffnet, taumelt ein Dutzend Brontosaurier hervor. „Sohn", frage ich ihn eines Tages, „dein Album kann längst keine Wunder mehr fassen. Warum kaufst du doch noch immer welche?" „Für alle Falle", antwortete Amir.
Zu seiner Ehre muß gesagt sein, daß er keine Ahnung hat, was er da überhaupt einklebt. Er liest die dazugehörigen Texte nicht Über die Zentrifugalkraft weiß er zum Beispiel nichts anderes, als daß er von seinem Freund Gilli dafür zwei Schwertfische und eine Messerschmitt-Maschine Nr. 109 bekommen hat. Außerdem stiehlt er. Ich entdeckte das während eines meiner seltenen Nachmittagsschläfchen, als ich zufällig die Augen öffnete und meinen rothaarigen Sohn dabei ertappte, wie er in meinen
Hosentaschen etwas suchte. „Was tust du da?" fragte ich. „Ich suche Geld. Gilli braucht einen Seeigel. "
„Da soll doch der liebe Gilli von seinem Papi das Geld stehlen. " „Kann er nicht Sein Papi ist nervös. "
Ich beriet mich mit der Mutter des Täters. Wir beschlossen, mit Amirs Lehrerin zu sprechen, die auch noch einige andere Lehrer hinzuzog. Es wurde eine massenhaft besuchte Elternversammlung. Nach Meinung des Lehrers beläuft sich die Anzahl der im Besitz der Schüler befindlichen Bilder auf drei bis vier Millionen in jeder Klasse.
„Vielleicht", meinte einer der Lehrer, „sollte man den Kindern kein Taschengeld mehr geben, dann können sie auch keine Bilder mehr kaufen. "
Da erzählte ich sorgenvoll, daß Amir auch so bereits zu stehlen begänne. Allgemeines Gelächter antwortete mir. „Mein Sohn", berichtete eine gebeugte Mutter, „hat unlängst einen bewaffneten Raubüberfall unternommen. Er drang mit einem Messer auf seinen Großvater ein, der sich geweigert hatte, ihm Geld für den Ankauf von Bildern zu geben. " Mehrere Väter schlugen vor, für längere Zeit kein Papier mehr zu kaufen, um die Papierhersteller für die Bildchen zu strafen. Andere wollten für mindestens ein halbes Jahr den Kauf von Klebstoff verbieten lassen. Ein Gegenvorschlag, vorgebracht von einem gewissen Herrn Blum, empfahl: Man sollte den Kindern so viele Bilder kaufen, bis sie endgültig genug davon hätten. Dieser Vorschlag wurde angenommen. Am nächsten Tag brachte ich einen ganzen Korb voll mit neuen Bildern nach Hause, darunter die „Kultur der Azteken" und „Leonardos erstes Flugzeug". Amir nahm mein Geschenk ohne sonderliche Aufregung entgegen. Er verwendete die Bilder zu Tauschzwecken und stopfte sie in alle noch aufnahmefähigen Schubladen und Kasten. Die übrigen stapelte er im Hur. Seither muß ich mir jeden Morgen mit einer Schaufel den Weg zur Haustür freilegen. Das Badezimmer ist von Dinosauriern blockiert. Und das Album, mit dem der ganze Ärger angefangen hat, ist längst unter den „Gesteinsbildungen der Tertiärzeit" begraben. Gestern gelang es mir, mein Arbeitszimmer so weit zu säubern, daß ich mich in den freigewordenen Schaukelstuhl setzen konnte, um ein wenig zu lesen.
Plötzlich stand mein Sohn vor mir, in der Hand etwa fünfzig identische Fotos des bekannten Fußballstars Giora Spiegel. „Ich habe auch schon zweiundzwanzig Pele und ein Dutzend Beckenbauer" informierte er mich nicht ohne Stolz. Die „"Welt des Sports" war auf der Bildfläche erschienen und machte den „Wundern def\\felt erbarmungslose Konkurrenz. Ich verabschiede mich von Euch. Es war schön, jahrelang für Euch zu schreiben. Solltet Ihr längere Zeit nichts von mir hören, dann sucht nach mir am besten in der linken Ecke des Wohnzimmers unter dem Haufen schußkräftiger südamerikanischer Rügelstürmer und europäischer Tormänner.