Der störrische Esel

Eines Tages beschloß ich, meinen entfernten Verwandten Schlo-moh zu besuchen. Schlomoh lebte damals in einem Kibbuz. Als ich dort ankam, fand ich ihn in der Küche. Er war gerade dabei den Abwasch zu machen. Hinter einem Berg schmutziger Teller verborgen begrüßte er mich:

„Es tut mir leid, ich bin noch mindestens sechs Stunden beschäftigt. Schau dir doch inzwischen den Hof an, wir haben ein neues Kalb bekommen. "

Das interessierte mich. Denn, erstens mag ich kleine Kälber sehr gern und zweitens esse ich für mein Leben gern ein zartes Schnitzel. Auf dem Weg zu den Stallungen traf ich einen von Schlomohs Freunden.

»Ist es dir nicht zu heiß zum Herumlaufen" fragte er mich. „Warum nimmst du dir nicht einen Esel und reitest ein wenig?" „Mein Lieber", antwortete ich ihm, „ich kann nicht reiten. " „Das macht nichts", sagte er darauf, „wir haben ein paar sehr sanfte Esel. Schau, zum Beispiel der dort mit dem weißen Fleck auf der Stirn... " Und schon rief er Meister Langohr heran, der in nächster Nähe graste: „He, Tzuki, komm her! Tzuki! Rock-rock-rock... !" Ich fragte ihn, was rock-rock-rock bedeute. „Das ist ein Lockruf, den die Esel gerne hören. Sie reagieren sofort. He, Tzuki, rock-rock-rock! Komm schon her! Na, so komm doch, Tzuki!"

Tzuki stand unbeweglich und starrte uns an. Nach einer Weile drehte er sich zur Seite und verspeiste einige Disteln. „Ich muß jetzt weg", sagte Schlomohs Freund. „Du kannst ruhig auf ihm reiten. Es ist überhaupt nicht schwer. " Er gab mir noch schnell einige Tips, wie ich aufsteigen und den Esel behandeln sollte. Als Zurufe empfahl er mir „Hopp" für das Traben, „Woah" zur Beschleunigung, „Ho" zum Bremsen und „Brrr" zum Stehenbleiben. Dann brach er von einem Strauch einen Zweig als Reitgerte für mich ab und ging pfeifend davon. Ich empfand seine Anweisungen als überflüssig. Irgendwie würde es mir schon gelingen, mit dem Tier klarzukommen. Ruhig und gelassen trat ich also an Tzuki heran und griff nach dem Strick, den er am Hals trug. „Rock" sagte ich, „rock-rock-rock. " Tzuki verhielt sich ruhig und spitzte eines seiner Ohren. Ich schwang mich mühelos auf seinen Rücken. „Und jetzt", wandte ich mich an Tzuki, „wollen wir ein wenig traben, mein Junge."

Sofort senkte Tzuki den Kopf und begann Gras zu fressen. „Hopp!" sagte ich nun etwas deutlicher, „heia-hopp!" Tzuki bewegte sich nicht. Offenbar hatte er sich mit meiner Gegenwart noch nicht angefreundet. Ich klopfte nun leicht auf seine Flanke, um ihn daran zu erinnern, daß ich auf ihm saß und reiten wollte. Tzuki stand da und wartete. „Hopp-hopp", wiederholte ich. Tzuki blieb stur stehen, doch ich war davon überzeugt, daß er früher oder später durch mein gutes Zureden gehen würde. Ich schnalzte ihm ein paarmal mit der Reitgerte um die Ohren und rief nochmal: „Rock! Hopp, Tzuki! Hopp!"

Nichts geschah. Auch daß ich ihm mit dem Schuhabsatz mehrmals in den Bauch stieß, brachte nichts. Ich versuchte es mit ein paar weiteren Fußtritten. Dann legte ich eine kleine Ruhepause ein. Ich war ja schließlich in das Kibbuz gekommen, um mich auszuruhen. Unterdessen hatte sich Tzuki über die in seiner Nähe befindlichen Gräser und Pflanzen hergemacht.

Ich bog meine Reitgerte zurecht und bohrte sie ihm in die Seite: „Woah", brüllte ich. „Rock-rock! Rühr dich schon endlich, du Vieh!" Dann stieg ich ab. Genaugenommen stieg ich nicht freiwillig ab, sondern wurde abgeworfen. Tzuki hatte sein Hinterteil in einem Winkel von 45 Grad ruckartig hochgehoben. Als ich wieder fest auf meinen Beinen stand, ergriff ich den Strick und schwang mich abermals auf Tzukis Rücken. Diesmal ging ich energischer vor mein

Atem keuchte. Ich betrachtete die Sache jetzt nicht länger als einen Vergnügungsritt. Es ging nun darum, wer von uns beiden der Stärkere war.

Tzuki hopp, Tzuki he, Tzuki, woah!" Meine Stimme erreichte eine Lautstärke, die ich mir niemals zugetraut hätte. Nicht einmal das Klatschen der Reitgerte konnte sie übertönen. Verzweifelt rief ich weiter. Doch alle Ermunterungsrufe gingen an Tzukis idiotisch langen Ohren vorüber. „Tzuki", flüsterte ich nun, „Tzuki, ich bitte dich... " Seit Jahren war ich nicht so erschöpft und müde gewesen. Ich schaffte es nicht einmal mehr abzusteigen. Die Abenddämmerung setzte ein. Ich haßte Schlomoh aus ganzer Seele. Ein Traktor rumpelte zur Nachtarbeit aufs Feld. „Hallo!" rief der Fahrer. „Was machst du auf dem Esel?" „Ich bin unterwegs zum Stall. Warum?" „Warte, ich komme schon. "

Der Fahrer sprang ab, befestigte Tzukis Strick an seinem Traktor und gab Gas. Unter ohrenbetäubendem Getöse setzte sich der Traktor in Bewegung. Der Strick straffte sich. Doch Tzuki graste ungerührt weiter. Der Fahrer drückte das Gaspedal so tief durch, wie er nur konnte. Da riß der Strick entzwei. Daraufhin begann der Fahrer in einer mir unverständlichen Sprache zu fluchen. Er verschwand kurze Zeit und kam mit einer Eisenkette zurück. Es war klar, daß nun auch er in der Sturheit Tzukis die Herausforderung seines Lebens erblickte.

Der Traktor heulte wiederum auf, die Erde erbebte, die Räder knirschten, die Eisenkette ächzte und... Tzuki setzte sich in Bewegung ! Mit mir auf dem Rücken. „Hopp, Tzuki!" rief ich, „rockrock!" Da waren wir schon beim Stall angelangt. Wieder einmal hatte die Technik die wilde Natur gezähmt. Aber ich glaube, ich werde trotzdem in Zukunft nicht mehr versuchen, auf einem Esel zu reiten. Was soll ich machen, wenn einmal kein Traktor kommt?

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