Siebentes Kapitel

Am nächsten Tag bestätigte Agafja Matwejewna Stolz schriftlich, daß sie von Oblomow gar kein Geld verlangte. Mit diesem Dokument begab sich Stolz plötzlich zum Bruder. Das war für Iwan Matwejewitsch ein Blitz aus heiterem Himmel. Er nahm das Dokument heraus und zeigte mit dem zitternden, mit dem Nagel nach unten gekehrten Mittelfinger der rechten Hand auf Oblomows Unterschrift und die Bestätigung des Zeugen hin.

»Das ist gesetzlich«, sagte er, »das geht mich gar nichts an. Ich habe nur die Interessen meiner Schwester im Auge, es ist mir aber unbekannt, was für ein Geld Ilja Iljitsch genommen hat.«

»Damit ist Ihre Angelegenheit noch nicht erledigt!« drohte ihm Stolz beim Fortgehen.

»Es ist eine gesetzliche Sache, und mich geht das gar nichts an!« rechtfertigte sich Iwan Matwejewitsch, die Hände in die Ärmel versteckend.

Sowie er am nächsten Tag in die Kanzlei kam, erschien ein Bote vom General, der ihn sofort zu sich beorderte.

»Zum General!« wiederholte die ganze Kanzlei entsetzt.

Wozu? Was war geschehen? Vielleicht forderte er irgendwelche Akten; was für welche? Schnell, schnell! Die Akten zusammennähen und das Inventar zusammenstellen! Was war los?

Am Abend kam Iwan Matwejewitsch ganz außer sich in die Kneipe. Tarantjew erwartete ihn dort schon lange.

»Was ist, Gevatter?« fragte er ungeduldig.

»Was!« sagte Iwan Matwejewitsch mit eintöniger Stimme. »Was glaubst du?«

»Hat man dich geschimpft?«

»Geschimpft?« äffte Iwan Matwejewitsch ihm nach. »Es wäre besser, wenn man mich geschlagen hätte! Und du bist auch lieb!« warf er ihm vor. »Du hast gar nicht gesagt, was das für ein Deutscher ist!«

»Ich habe dir ja gesagt, daß er ein Durchtriebener ist!«

»Was will das heißen, ein Durchtriebener! Wir haben schon Durchtriebene gesehen! Warum hast du nicht gesagt, daß er so viel Macht hat? Er duzt den General ebenso wie ich dich. Würde ich denn mit so einem anfangen, wenn ich das wüßte!«

»Das ist doch aber eine gesetzliche Sache!« entgegnete Tarantjew.

»Eine gesetzliche Sache!« äffte ihn Muchojarow wieder nach. »Sag das einmal dort; die Zunge bleibt am Gaumen kleben. Weißt du, was der General mich gefragt hat?«

»Was?« fragte Tarantjew neugierig.

»Ist es wahr, daß Sie mit Beihilfe eines Schuftes den Gutsbesitzer Oblomow betrunken gemacht und gezwungen haben, auf den Namen Ihrer Schwester einen Schuldschein auszustellen?«

»So hat er gesagt: ›Mit Beihilfe eines Schuftes?‹ « fragte Tarantjew.

»Ja, wörtlich so ...«

»Wer ist denn dieser Schuft?« fragte Tarantjew wieder.

Der Gevatter blickte ihn an.

»Weißt du das denn nicht?« sagte er gallig. »Oder bist du nicht damit gemeint?«

»Wie hat man denn mich hineinverwickelt?«

»Da bist du dem Deutschen und deinem Landsmann Dank schuldig. Der Deutsche hat alles ausgeschnüffelt und ausgefragt ...«

»Du solltest auf jemand andern hinweisen und von mir sagen, daß ich nicht mit dabei war!«

»Ja, natürlich! Was bist denn du für ein Heiliger?«

»Was hast du geantwortet, als der General gefragt hat: ›Ist es wahr, daß Sie mit Beihilfe eines Schuftes -? ...‹ Da hättest du ihm was vorerzählen sollen.«

»Ihm vorerzählen! Versuch's einmal. Was für grüne Augen er hat! Ich habe meine ganze Kraft gesammelt und habe sagen wollen: Das ist nicht wahr, das ist eine Verleumdung, Exzellenz, ich kenne nicht einmal diesen Oblomow. Das hat alles Tarantjew gemacht; meine Zunge hat sich aber nicht gerührt; ich bin ihm nur zu Füßen gefallen.«

»Wie steht es, wollen sie denn einen Prozeß beginnen?« fragte Tarantjew mit dumpfer Stimme. »Ich bin dabei ja gar nicht beteiligt; nur du, Gevatter ...«

»Du bist nicht beteiligt? Da irrst du, Gevatter, wenn jemand den Kopf in die Schlinge stecken soll, bist du es; wer hat Oblomow zu trinken zugeredet? Wer hat ihm gedroht und ihn beschämt? ...«

»Du hast es mich gelehrt!« antwortete Tarantjew.

»Und bist du denn unmündig? Ich weiß von gar nichts.«

»Gevatter, das ist unverschämt! Dir ist durch mich so viel zugefallen, und ich habe nur dreihundert Rubel bekommen ...«

»Wie, soll ich alles auf mich allein nehmen? Du bist aber schlau! Nein, ich weiß von nichts. Die Schwester hat mich gebeten, da sie als eine Frau nichts vom Geschäft versteht, den Brief beim Notar bestätigen zu lassen - das ist alles. Du und Satjortij wart Zeugen, ihr seid also verantwortlich!«

»Du solltest es der Schwester ordentlich zeigen! Wie hat sie es gewagt, gegen ihren Bruder auszusagen?« sagte Tarantjew.

»Die Schwester ist eine dumme Trine; was soll man mit ihr anfangen?«

»Was sagt sie?«

»Was sie sagt? Sie weint und besteht darauf, ›daß Ilja Iljitsch ihr nichts schuldet und daß sie ihm niemals Geld gegeben hat‹.«

»Du besitzt aber doch einen Schuldschein auf ihren Namen?« sagte Tarantjew, »du verlierst also nichts ...«

Muchojarow nahm aus der Tasche den Schuldschein der Schwester heraus, zerriß ihn in viele Stücke und reichte sie Tarantjew.

»Da, ich schenke es dir, willst du es nicht haben?« fügte er hinzu. »Was soll man bei ihr nehmen? Das Haus mit dem Gemüsegarten? Dafür gibt man mir nicht einmal tausend Rubel: es zerfällt schon ganz. Bin ich denn ein Unmensch, der sie mit den Kindern an den Bettelstab bringen will?«

»Jetzt wird also die gerichtliche Untersuchung beginnen?« fragte Tarantjew ängstlich. »Da müssen wir achtgeben, Gevatter; tu, was du kannst, Bruder!«

»Was für eine Untersuchung? Es wird gar keine stattfinden! Der General hat zuerst gedroht, mich aus der Stadt auszuweisen, aber der Deutsche hat ihn davon abgebracht, er will Oblomow keine Schande machen.«

»Wirklich, Gevatter! Mir fällt ein Stein vom Herzen! Trinken wir!« sagte Tarantjew.

»Trinken? Und wer soll es bezahlen? Du vielleicht?«


»Und du? Du hast heute doch sicher deine sieben Rubel eingesteckt?«

»Wa-as! Jetzt ist es aus mit den Einkünften; ich habe dir noch nicht alles erzählt, was der General gesagt hat.«

»Was denn?« fragte Tarantjew wieder erschrocken.

»Er hat mir befohlen, aus dem Amt auszutreten.«

»Was sagst du, Gevatter?« sagte Tarantjew, ihn anglotzend. »Nun«, schloß er wütend, »jetzt werde ich dem Landsmann aber gehörig meine Meinung sagen!«

»Du bist froh, wenn du nur schimpfen kannst!«

»Nein, du kannst sagen, was du willst, ich werde es ihm aber zeigen!« sagte Tarantjew. »Ich werde übrigens noch warten, du hast recht, mir ist was eingefallen, hör einmal, Gevatter!«

»Was denn noch?« fragte Iwan Matwejewitsch sinnend.

»Man kann da noch ein gutes Geschäft machen. Es ist nur schade, daß du aus der Wohnung ausgezogen bist ...«

»Warum denn?«

»Um Oblomow und die Schwester beim Pirogenbacken zu beaufsichtigen und dann ... Zeugen anzugeben!« sagte Tarantjew, Iwan Matwejewitsch anblickend. »Da kann auch der Deutsche nichts anfangen. Und du bist jetzt ein freier Mann. Wenn du eine Untersuchung einleitest, ist es eine gesetzliche Sache! Dann wird auch der Deutsche erschrecken und sich in Unterhandlungen einlassen.«

»Das würde wirklich gehen!« antwortete Muchojarow sinnend. »Du bist nicht dumm, wenn es sich darum handelt, etwas auszudenken, du taugst aber nicht, wenn man etwas ausführen will, und so ist es auch mit Satjortij. Ja, ich werde es ihnen zeigen, warte nur!« sagte er, mit der Faust auf den Tisch schlagend. »Sie werden schon etwas erleben! Ich werde meine Köchin zur Schwester in die Küche schicken; sie wird mit Anissja Freundschaft schließen und alles aus ihr herausbekommen, und dann ... Trinken wir, Gevatter!«

»Trinken wir!« wiederholte Tarantjew. »Und dann werde ich mir den Landsmann hernehmen!«

Stolz machte einen Versuch, Oblomow mitzunehmen, doch dieser bat, ihn nur für einen Monat dazulassen, und tat es so flehentlich, daß Stolz sich erweichen ließ. Wie er sagte, brauchte er diesen Monat, um alle Angelegenheiten zu erledigen, die Wohnung zu vermieten und alles so zu ordnen, um nicht mehr nach Petersburg zurückkommen zu müssen. Dann mußte er alles zur Einrichtung des Gutshauses einkaufen; endlich wollte er eine gute Wirtschafterin, in der Art wie Agafja Matwejewna es war, anwerben, gab auch nicht die Hoffnung auf, sie selbst dazu zu bewegen, das Haus zu verkaufen, aufs Gut zu übersiedeln und sich der ihrer würdigen Tätigkeit, der Leitung einer großen, komplizierten Wirtschaft, zu widmen.

»Sag einmal, Ilja«, unterbrach ihn Stolz, »ich wollte dich fragen, in welchen Beziehungen du zu ihr stehst ...«

Oblomow errötete plötzlich.

»Was willst du damit sagen?« fragte er eilig.

»Das weißt du sehr gut«, bemerkte Stolz, »sonst hättest du keinen Grund zu erröten. Höre, Ilja, wenn dabei eine Warnung etwas nützen kann, bitte ich dich im Namen unserer Freundschaft, vorsichtig zu sein ...«

»Worin denn? Ich bitte dich!« verteidigte sich der verlegene Oblomow.

»Du hast von ihr mit solchem Feuer gesprochen, daß ich wirklich zu glauben beginne, du ...«

»Liebst sie, willst du sagen! Aber ich bitte dich!« unterbrach ihn Oblomow mit gezwungenem Lachen.

»Um so schlimmer, wenn dabei kein einziger seelischer Funken glüht, wenn das nur ...«

»Andrej! Hast du mich denn als einen unmoralischen Menschen gekannt?«

»Warum bist du dann errötet?«

»Weil du einen solchen Gedanken zulassen konntest.«

Stolz schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Gib acht, Ilja, daß du nicht in diese Grube fällst. Ein ordinäres Frauenzimmer, ein schmutziges Leben, die bedrückende Atmosphäre von Stumpfsinn und Roheit - pfui ...«

Oblomow schwieg.

»Nun, leb wohl«, schloß Stolz, »ich werde also Oljga sagen, daß wir dich im Sommer, wenn nicht bei uns, so doch in Oblomowka sehen werden. Vergiß nicht, daß sie von dir nicht ablassen wird!«

»Bestimmt, bestimmt«, antwortete Oblomow überzeugend, »füge sogar hinzu, daß ich bei euch den Winter verbringen werde, wenn sie es erlaubt.«

»Das wäre eine Freude!«

Stolz fuhr noch am selben Tage fort, und am Abend kam Tarantjew. Er konnte es nicht ertragen und kam, ihn des Gevatters wegen zu beschimpfen. Er ließ dabei nur eines aus dem Auge, daß Oblomow in Iljinskys Gesellschaft die Gewohnheit verloren hatte, mit solchen Menschen, wie er es war, umzugehen, und daß seine Nachsicht der Grobheit und Frechheit gegenüber sich in Ekel verwandelt hatte. Das würde sich schon längst geäußert haben und hatte sich zum Teil während Oblomows Aufenthalt auf dem Lande gezeigt, doch Tarantjew besuchte ihn seitdem seltener und immer in Anwesenheit anderer, so daß zwischen ihnen keine Reibungen entstehen konnten.

»Guten Tag, Landsmann«, sagte Tarantjew zornig, ohne die Hand zu reichen.

»Guten Tag!« antwortete Oblomow, kalt durchs Fenster blickend.

»Nun, hast du deinem Wohltäter das Geleite gegeben?«

»Ja. Warum?«

»Ein schöner Wohltäter!« fuhr Tarantjew giftig fort.

»So, gefällt er dir nicht?«

»Ich würde ihn hängen lassen!« krächzte Tarantjew voll Haß.

»So!«

»Und dich auch, auf demselben Baum mit ihm zusammen!«

»Wofür denn?«

»Man muß in allem ehrlich sein; wenn man schuldig ist, muß man zahlen und keine Schliche gebrauchen. Was hast du jetzt angerichtet?«

»Höre, Michej Andreitsch, befreie mich von deinen Märchen; ich habe dir aus Trägheit und Sorglosigkeit lange zugehört; ich habe geglaubt, daß du wenigstens eine Spur von Gewissen besitzest, du hast aber nicht einmal das. Ihr beide, du und dieser Schuft, wolltet mich betrügen; ich weiß nicht, wer von euch der Schlechtere ist, aber ihr beide seid mir widerwärtig. Mein Freund hat mich aus dieser dummen Falle befreit ...«

»Ein guter Freund!« sagte Tarantjew. »Ich habe gehört, daß er dir deine Braut fortgeschnappt hat; ein schöner Wohltäter! Nun, Bruder Landsmann, du bist ein Dummkopf ...«

»Laß, bitte, diese Zärtlichkeiten!« unterbrach ihn Oblomow.

»Nein, ich werde sie nicht lassen! Du hast an mich nicht gedacht, du Undankbarer! Ich habe dich hier eingerichtet, ich habe dir eine Frau gefunden, die ein wahrer Schatz ist. Ich habe dir Ruhe und Bequemlichkeit verschafft, ich habe dich mit Wohltaten überschüttet, und du wendest dich von mir ab. Du hast dir einen schönen Freund ausgesucht - einen Deutschen! Du hast ihm dein Gut in Pacht gegeben; wart nur, wie er dich bestehlen wird, er wird dir auch Aktien anhängen. Er wird dich noch zum Bettler machen, denke an mich! Ich sage dir, daß du ein Dummkopf bist und außerdem noch ein undankbares Vieh!«

»Tarantjew!« rief Oblomow drohend aus.

»Was schreist du? Ich selbst werde durch die ganze Welt schreien, daß du ein Dummkopf und ein Vieh bist!« schrie Tarantjew. »Ich und Iwan Matwejewitsch haben dich gehegt und gepflegt, wir haben dich wie Leibeigene bedient, sind vor dir auf den Fußspitzen gegangen und haben dir in die Augen geschaut, und du hast ihn vor der Obrigkeit verleumdet; jetzt ist er ohne Posten und ohne ein Stück Brot! Das ist häßlich und gemein! Du mußt ihm jetzt die Hälfte deines Vermögens geben; stell einen Wechsel auf seinen Namen aus; du bist jetzt nüchtern und bei vollem Verstand, tu es, sag ich dir, sonst gehe ich nicht fort ...«

»Was haben Sie, Michej Andreitsch, warum schreien Sie so?« sagten die Hausfrau und Anissja, zur Tür hereinblickend, »zwei Vorübergehende sind stehengeblieben und hören zu, was das für ein Geschrei ist ...«

»Ich will schreien«, brüllte Tarantjew, »dieser Tölpel soll sich nur die Schande antun! Dieser deutsche Schurke soll dich nur betrügen, um so mehr, als er jetzt mit deiner Geliebten zusammensteckt ...«

Im Zimmer erschallte eine laute Ohrfeige. Sowie Oblomow Tarantjews Wange getroffen hatte, verstummte dieser augenblicklich, ließ sich auf einen Sessel sinken und drehte seine erstaunten Augen wie geistesabwesend nach allen Seiten hin.

»Was ist das? Was ist das, he? Was ist das?« sagte er, sich bleich und atemlos die Wange haltend, »du willst mir meine Ehre rauben? Du wirst mir dafür bezahlen! Ich wende mich an den Generalgouverneur; ihr habt es gesehen?«

»Wir haben nichts gesehen!« sagten beide Frauen zugleich.

»Ah! Hier ist eine Verschwörung, eine Räuberhöhle! Eine Diebesbande! Man plündert und schlägt tot ...«

»Hinaus, Schuft!« schrie Oblomow bleich und vor Wut bebend, »sofort, dein Fuß darf nicht mehr meine Schwelle betreten, sonst töte ich dich wie einen Hund!«

Er suchte mit den Augen nach einem Stock.

»Hilfe! Räuber! Hilfe!« schrie Tarantjew.

»Sachar! Wirf diesen Schuft hinaus, und er soll sich hier nie mehr blicken lassen!« schrie Oblomow.

»Bitte, hierher!« sagte Sachar, ihm auf die Tür zeigend.

»Ich bin nicht zu dir gekommen, sondern zur Gevatterin!« brüllte Tarantjew.

»Gott sei mit Ihnen, Michej Andreitsch, ich brauche Sie nicht«, sagte Agafja Matwejewna. »Sie haben meinen Bruder besucht und nicht mich! Ich habe Sie satt. Sie essen und trinken und schimpfen noch obendrein.«

»Ah, so ist's, Gevatterin! Gut, der Bruder wird mit Ihnen schon ein Wörtchen reden! Und dir werde ich die Schande schon heimzahlen! Wo ist mein Hut? Zum Teufel mit euch! Räuber, Mörder!« schrie er, über den Hof gehend. »Du wirst mir für die Schande bezahlen!«

Der Hund zerrte an der Kette und bellte unaufhaltsam. Seitdem sahen Tarantjew und Oblomow einander nicht mehr.

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