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Lizbeth und Harvey Durant gingen Hand in Hand vom Hospital weg. Sie lachten und schwangen die Hände wie fröhliche Kinder, die vom Picknick kommen. In einem bestimmten Sinn traf das auch zu.

Der morgendliche Regen war abgestellt worden; die Wolken verschob man nach Osten, den hohen Bergen zu, die auf die Hauptstadt Seatac herniedersahen. Am seidenblauen Himmel stand eine Bilderbuchsonne. In kleinen Gruppen oder einzeln gingen die Leute durch den Park, offensichtlich Arbeiter einer nahen Fabrik oder Laborangestellte. Ihre uniformähnliche Kleidung war von bunten Farbflecken aufgehellt: ein oranges Kopftuch, eine gelbe Schärpe, giftgrüne Schuhe und ein purpurner Fruchtbarkeitsfetisch am Ohr einer Frau.

Der pathetische Versuch, die graue Einheitlichkeit der Kleidung zu unterbrechen, forderte Lizbeths Abwehr heraus, ließ ihr Lächeln verblassen. »Wohin gehen wir?« fragte sie.

Harvey hielt sie zurück, um eine Gruppe passieren zu lassen. Gesichter starrten die beiden an. Alle wußten, weshalb die Durants hier waren. Das Hospital, der große, graue Plasmeldkasten hinter ihnen, die Tatsache, daß sie Mann und Frau waren, ihre lächelnden Gesichter — all das sagte den Menschen, daß sie zur Aufzucht zugelassen waren.

Jeder einzelne aus der Menge hoffte verzweifelt auf eine ähnliche Ausbruchsmöglichkeit aus der Monotonie, der sie hörig waren. Zuchturlaub und lebensfähige Keimlinge — das war aller Traum. Selbst die bekannten Sterries hofften und ließen die Hersteller von Fruchtbarkeitsfetischen Geld verdienen.

Sie haben keine Vergangenheit, dachte Lizbeth, und nur eine schwache Hoffnung auf die Zukunft, an die sie sich klammern. Irgendwie ging unsere Vergangenheit in einem Ozean von Dunkelheit unter. Die Regenten und ihre Genchirurgen haben unsere Vergangenheit ausgelöscht.

Diese Tatsache überschattete sogar ihren eigenen Zuchturlaub. Niemand zwang sie, beim ersten Ton des Weckers aus dem Bett zu springen und jeder für sich einem Labor entgegenzueilen, doch auch sie waren Menschen ohne Vergangenheit; und ihre Zukunft hing an einem seidenen Faden. Das Kind, das im Bruttank des Hospitals wuchs, mochte bis zu einem gewissen Grad noch ein Teil von ihnen sein, doch die Chirurgen hatten es verändert. Sie hatten es aus seiner Vergangenheit herausgelöst.

»Wir gehen jetzt zur Stadtbahn«, schlug Harvey vor.

»Durch den Park?« fragte sie.

»Ja« antwortete Harvey. »Denk doch mal — zehn Monate.«

»Und dann können wir unseren Sohn heimholen. Wir haben viel Glück.«

»Zehn Monate, sie kommen mir sehr lange vor«, sagte Harvey.

»Ja, aber wir können ihn jede Woche einmal sehen, wenn sie ihn in den großen Tank verlegen. Bis dahin sind ja nur noch drei Monate.«

»Du hast recht«, pflichtete Harvey ihr bei. »Die Zeit wird vorüber sein, ehe wir es merken. Und zum Glück ist er kein Spezialist oder sonst etwas. Wir können ihn zu Hause aufziehen, und unsere Arbeitszeit wird verkürzt.«

»Dieser Doktor Potter ist wundervoll«, sagte sie.

Sie gingen noch immer mit verschränkten Händen und führten damit ihre geheime Unterhaltung in unausgesprochenen Worten; ihr Fingerspiel wies sie als Kuriere des geheimen Elternuntergrundes aus.

Sie beobachten uns noch, signalisierte Harvey.

Ich weiß.

Svengaard ist ein Sklave der herrschenden Macht.

Scheint so. Aber weißt du, ich hatte keine Ahnung, daß die Computerassistentin zu uns gehört.

Du hast es also auch bemerkt?

Potter sah sie an, als sie den Schalter drückte.

Glaubst du, die Leute von der Sicherheit haben es auch bemerkt?

Ausgeschlossen, die haben sich nur mit uns beschäftigt.

Aber vielleicht gehört sie gar nicht zu uns, signalisierte Harvey und fuhr laut fort: »Ist das nicht ein schöner Tag heute? Gehen wir doch die Blumenwege entlang.«

Du glaubst also, daß die Computerassistentin reiner Zufall ist? fragten ihre Finger.

Könnte sein. Vielleicht sah sie, was Potter gelungen war — und das war die einzige Möglichkeit, den Embryo zu retten.

Dann muß sich sofort jemand mit ihr in Verbindung setzen.

Vorsicht. Sie könnte labil sein. Vielleicht Zuchtneurose.Und Potter?

Zu dem müssen wir sofort unsere heute schicken. Wir brauchen seine Hilfe, um den Embryo dort herauszubekommen.

Mit ihm haben wir dann neun der Chirurgen von der Zentrale.

Falls er mittut.

Sie lächelte ihn an, und ihr Lächeln enthüllte ihre plötzlich aufkeimende Sorge. Zweifelst du daran?

Ich glaube nur, daß er ebenso in mir las, wie ich in ihm.

O ja, das hat er getan. Aber nur langsam und ungeübt, verglichen mit uns.

Ja, das habe ich gemerkt. Es war so, als sei er ein Amateur, der es zum erstenmal versuchte. Später wurde er besser.

Er hat kein Training, das hat man gesehen. Ich machte mir Sorgen, weil du etwas in ihm gelesen zu haben scheinst, was mir entging.

Ich glaube, du vermutest richtig.

Jenseits des Parks stand der vom Sonnenlicht zu Säulen geformte Staub wie eine Baumreihe. Lizbeth warf einen Blick in die Runde. Daran zweifle ich nicht, Liebster. Er ist ein Naturtalent, der diese Fähigkeit rein zufällig entdeckt hat. Das kommt vor, weißt du. Nichts kann uns davon abhalten, uns mit ihm in Verbindung zu setzen.

Sie werden es sicher versuchen.

Ja, signalisierte sie ihm. Man hat sich wirklich viel Mühe gegeben mit uns. Dauernd haben sie uns in dieser Zelle gemustert und beobachtet. Aber die Leute, die rein mechanisch denken, kommen nie auf die Idee, daß Menschen unsere Waffen sind, keine Dinge.

Das ist ihr fataler blinder Fleck, gab er zu. Die Zentrale glaubt, die genetischen Wurzeln mit blinder Logik beschneiden und ausreißen zu können, doch die Wurzeln treiben damit nur tiefer und tiefer, so tief, daß sie auf der anderen Seite schon an die Oberfläche drängen.

Und das weite, unermeßliche Universum dort draußen ruft uns, klopften ihre Finger.

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