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Svengaard wartete, bis es Nacht wurde. Er beobachtete das ganze umliegende Gebiet auf seinem Bildschirm im Büro, bevor er in den Bruttankraum ging. Es war sein Hospital, und er hatte ein ungeschmälertes Recht, hier zu sein, und trotzdem war er sich dessen bewußt, daß er etwas Verbotenes tat. Die Bedeutung seiner Vorladung bei der Zentrale war ihm klar. Den Regenten würde das nicht passen, aber er mußte sich den Bruttank näher besehen.

Er stand in der Dunkelheit des Brutraums an der Tür; ein seltsames Gefühl des Losgelöstseins überkam ihn. Durch die Finsternis glomm nur der schwache Schein der Skalenbeleuchtungen, an denen er sich orientieren konnte. Das Trap-trap-trap der Pumpen setzte einen Kontrapunkt zu der Düsternis; es war ein geradezu drängender Rhythmus. Er stellte sich die einundzwanzig Embryos vor, deren Zellen sich teilten, verdoppelten, wieder teilten und verdoppelten und in einem Rausch des Wachstums, um ein einzigartiges, ganz bestimmtes, geheimnisvolles Individuum zu schaffen. Das empfängnisverhütende Gas war nicht für sie in die Lebensräume des Volkes gepumpt worden. Noch nicht. Jetzt konnten sie fast ebenso wachsen, wie ihre Vorfahren vor der Zeit der Genetikingenieure gewachsen waren.

Svengaard überlief ein Schauder. Er mußte sich zu dem Gedanken zwingen, daß er ein Molekülingenieur, ein Genchirurg war. Weshalb dann dieses seltsame Gefühl?

Doch dieser Gedanke war nicht überzeugend. Er gab sich einen Ruck und ging auf den Bruttank mit dem Embryo der Durants zu. Er wußte noch ganz genau, was er dort gesehen hatte, jene Intrusion, welche die Zellen mit Arginin überflutet hatte. Intrusion. Wo hatte sie begonnen? Was war die Ursache? Hatte Potter recht? War es ein unbekannter Erzeuger — Schöpfer — von Stabilität? Stabilität … Ordnung … Systeme. Erweiterte Systeme … unendliche Energieaspekte, die jede Materie unkörperlich machten …

Er stieß an einen niederen Instrumentenstand und fluchte leise. Der Magen krampfte sich ihm zusammen bei dem Gedanken, daß er fertig sein mußte, bevor die Pflegerin ihre stündliche Pflichtrunde machte.

Svengaard wandte sich der schwachleuchtenden Tankreihe zu; zwölf … dreizehn … vierzehn … fünfzehn. Ja, dieser war es. Er prüfte den Namen auf dem Schildchen nach und las im Schein einer Skalenbeleuchtung: Durant.

Etwas an diesem Embryo hatte bei den Regenten Bestürzung hervorgerufen und den Sicherheitsdienst rebellisch gemacht. Seine Computerassistentin war weggegangen, und niemand wußte zu sagen wohin. Ihr Ersatz hatte einen männlichen Schritt.

Svengaard rollte das Mikroskop heran, brachte es über dem Bruttank in Position und schloß es mit tastenden Fingern ab. Er schob den Sucher zurecht und beugte sich über das Okular.

Aus der schwärmenden Zellmasse trat ein hydrophiles Gensegment in sein Blickfeld, er konzentrierte darauf die Verstärkung und studierte es sorgfältig. Mesonensonden glitten hinab, tief hinab in die Struktur des Zellkerns. Er fand die Alphaschleifen und begann die Polypeptidketten zu prüfen.

Überrascht runzelte er die Brauen. Er ging zu einer anderen Zelle über, einer weiteren.

Die Zellen enthielten wenig Arginin, das sah er genau. Er suchte weiter, jagte den Zellen nach; er überlegte fieberhaft. Wie konnte der Embryo der Durants — ausgerechnet dieser — so wenig Arginin aufweisen? Jeder normale männliche Keimling mußte mehr Spermprotamine haben als dieser. Wieso zeigte dieser nicht die Spur einer Regentenstruktur? Die Zellformung konnte keinen solchen Unterschied hervorrufen.

Rasch entschlossen schickte er die Sonden tief hinab in den Geschlechtsidentifikator und prüfte die überlappenden Schleifen.

Weiblich!

Er richtete sich auf, besah nochmal Nummer und Schild. Fünfzehn — Durant.

Der Durantembryo konnte auf keinen Fall weiblich sein, dachte er, nicht nach Potters Operation.

Plötzlich wußte er: Jemand mußte den Embryo vertauscht haben. Ohne mikroskopische Untersuchung konnte der Austausch gar nicht bemerkt werden, denn ein Embryo reagierte auf die Zufuhr der Nährflüssigkeit ebenso wie jeder andere.

Wer konnte es gewesen sein?

Nach Svengaards Meinung lag die größte Wahrscheinlichkeit bei den Regenten. Sie mußten den Durantembryo in Sicherheit gebracht und einen Ersatz dafür beigebracht haben.

Weshalb?

Betrug, dachte er, Betrug.

Wen wollen sie damit in die Falle locken?

Er richtete sich auf. Sein Mund war trocken, sein Herz raste. Ein Geräusch an der Wand zu seiner Linken ließ ihn herumfahren. Der Hilfscomputer des Tankraums wurde plötzlich lebendig, Bänder drehten sich, Lichter blitzten auf, der Computerschreiber ratterte.

Aber hier war doch niemand, der ihn bediente!

Svengaard wirbelte herum, um davonzurennen, er prallte auf einen stämmigen, unbeweglichen Körper. Arme und Hände umklammerten ihn unbarmherzig; dann erkannte er hinter dem Körper einen Spalt in der Wand, Lichter und Bewegung.

Dunkelheit schien seinen Schädel zu sprengen.

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