Die Oguz sind Nomaden und besitzen Häuser aus Filz. Sie bleiben eine Zeitlang an einem Orte und reisen dann weiter. Ihre Behausungen sind gemäß dem nomadischen Brauch hier und dort angesiedelt. Obzwar sie ein hartes Dasein fristen, sind sie wie entlaufene Esel. Sie haben keinerlei religiöse Bande zu Gott. Sie beten niemals, sondern heißen statt dessen ihre Obersten Herren. Wenn einer von ihnen mit seinem Häuptling zu Rate geht, so sagt er: »O Herr, was soll ich in dieser oder jener Angelegenheit tun?«
Ihre Unternehmungen gründen sich einzig auf Beratungen untereinander. Ich habe sie sagen hören: »Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist der Prophet von Allah«, doch sprechen sie dergestalt, um vertraut zu werden mit jedem Muslim, und nicht, weil sie es glauben. Der Herrscher der Oguz-Türken wird Yabgu genannt. Dies ist der Name des Herrschers, und jeder, welcher über diesen Stamm herrscht, trägt den Namen. Sein Unterstellter wird stets Kudarkin genannt, und daher wird jeder einem Häuptling Unterstellte Kudarkin genannt. Die Oguz waschen sich nicht nach Darmentleerung oder Harnabschlagen, noch baden sie nach der Lustlösung oder zu anderen Gelegenheiten. Für Wasser haben sie keinerlei Verwendung, zumal im Winter. Kein Kaufmann oder anderer Mohammedaner kann seine Waschung in ihrer Gegenwart vollziehen, außer des Nachts, wenn die Türken es nicht sehen, denn sonst werden sie aufgebracht und sagen: »Dieser Mann möchte einen Fluch auf uns laden, denn er versenkt sich in Wasser«, und sie zwingen ihn, eine Buße zu bezahlen.
Kein Mohammedaner darf türkisches Land betreten, bevor einer der Oguz sich verpflichtet, sein Gastgeber zu werden, bei welchem er weilt und für den er Gewänder aus dem Lande des Islam herbeibringt, und für sein Weib Pfeffer, Hirse, Trauben und Nüsse. Wenn der Muslim zu seinem Gastgeber kommt, schlägt letzterer ein Zelt für ihn auf und bringt ihm ein Schaf, auf daß der Muslim selbst das Schaf schlachten möge. Die Türken schlachten nie; sie schlagen dem Schaf auf den Kopf, bis es tot ist. Oguz-Frauen verschleiern sich niemals in der Gegenwart ihrer eigenen Männer oder anderer. Noch verhüllt die Frau einen jeglichen ihrer Körperteile in Gegenwart jedweder Person. Eines Tages rasteten wir bei einem Türken und nahmen Platz in seinem Zelte. Des Mannes Weib war zugegen. Während wir uns besprachen, enthüllte die Frau ihre Scham und kratzte sie, und wir sahen sie dabei. Wir verhüllten unsere Gesichter und sagten: »Ich erbitte Gottes Vergebung.« Daraufhin lachte ihr Gatte und sagte zu dem Dolmetscher: »Sag ihnen, wir enthüllen es in Eurer Gegenwart, auf daß Ihr es sehn mögt und Euch schämt, doch ist es nicht zu erlangen. Dies ist besser, als wenn es verhüllt ist und dennoch erlangt werden kann.« Ehebruch ist unbekannt unter ihnen. Wen immer sie für einen Ehebrecher befinden, den reißen sie entzwei. Dies geschieht dergestalt: Sie führen die Zweige von zwei Bäumen zusammen, binden ihn an die Zweige, und dann lassen sie beide Bäume los, auf daß der Mann, welcher an die Bäume gebunden, entzweigerissen wird. Der Brauch der Knabenliebe wird von den Türken als furchtbare Sünde betrachtet. Einstmals kam ein Kaufmann und hielt sich beim Klan des Kudarkin auf. Dieser Kaufmann weilte eine Zeitlang bei seinem Gastgeber, um Schafe zu kaufen. Nun besaß der Gastgeber einen bartlosen Sohn, und der Gast suchte ihn unaufhörlich vom rechten Wege abzulenken, bis er den Knaben dazu brachte, sich seinem Willen zu ergeben. In der Zwischenzeit trat der Gastgeber ein und ertappte sie in flagrante delicto. Die Türken wünschten den Kaufmann zu töten und ob seines Vergehens den Sohn ebenso. Doch nach viel Flehens ward dem Kaufmann gestattet, sich auszulösen. Er bezahlte seinem Gastgeber vierhundert Schafe für das, was er seinem Sohne angetan, und dann brach der Kaufmann eilends auf aus dem Lande der Türken. Sämtliche Türken zupfen ihre Barte, ausgenommen ihre Schnurrbarte.
Ihre Vermählungsbräuche sind wie folgt: Einer von ihnen ersucht um die Hand eines weiblichen Mitglieds einer anderen Familie gegen diesen oder jenen Brautpreis. Der Brautpreis besteht oftmals aus Kamelen, Packtieren und anderen Dingen. Niemand kann sich ein Weib nehmen, bevor er die Verpflichtungen erfüllt, über welche er mit den Männern der Familie Einverständnis erlangt hat. Hat er ihnen indes entsprochen, so kommt er bar jedes Aufhebens, betritt die Behausung, wo sie sich befindet, nimmt sie in Gegenwart ihres Vaters, der Mutter und der Brüder, und sie hindern ihn nicht daran.
Wenn ein Mann stirbt, welcher Weib und Kinder besitzt, so nimmt sie der älteste unter seinen Söhnen zum Weibe, so sie nicht seine Mutter ist.
Wird einer der Türken siech und besitzt Sklaven, so sehen sie nach ihm, und niemand aus seiner Familie kommt ihm nahe. Ein Zelt wird fernab der Häuser für ihn aufgeschlagen, und er verläßt es nicht eher, als daß er stirbt oder gesundet. Ist er indes ein Sklave oder ein Armer, so lassen sie ihn in der Wüste und ziehen ihres Weges. Wenn einer ihrer bedeutenden Männer stirbt, so graben sie für ihn eine große Grube in Gestalt eines Hauses, und sie gehen zu ihm, kleiden ihn in einen Qurtag mitsamt seinem Gurt und Bogen und geben einen Trinkbecher aus Holz mit einem berauschenden Tranke in seine Hand. Sie nehmen all seine Besitztümer und stellen sie in dieses Haus. Darauf bringen sie ihn ebenso in dieses hinab. Darauf errichten sie ein weiteres Haus über ihm und formen eine Art Kuppel aus Lehm.
Darauf töten sie seine Pferde. Sie töten ein- oder zweihundert, so viele, wie er besitzt, an der Stätte des Grabes. Darauf verzehren sie das Fleisch bis auf den Kopf, die Hufe, das Fell und den Schwanz, denn diese hängen sie an hölzernen Stangen auf und sagen: »Dies sind seine Rösser, auf welchen er ins Paradies reitet.« Ist er ein Held gewesen und hat Feinde erschlagen, so schnitzen sie hölzerne Statuen von der Anzahl jener, welche er erschlagen, stellen sie auf sein Grab und sagen: »Dies sind seine Pagen, welche ihn im Paradies bedienen.« Mitunter schieben sie das Töten der Pferde um einen Tag oder zwei auf, und dann spornt ein alter Mann unter ihren Älteren sie an, indem er sagt: »Ich habe den Toten im Schlafe gesehen, und er sagte zu mir: >Hier sehet Ihr mich denn. Meine Gefährten haben mich überholt, und meine Füße waren zu schwach, ihnen zu folgen. Ich kann sie nicht ereilen, und so bin ich allein geblieben.<« In diesem Falle schlachten die Menschen seine Rösser und hängen sie an seinem Grabe auf. Nach einem Tag oder zweien kommt der nämliche Alte zu ihnen und sagt: »Ich habe den Toten in einem Traum gesehen, und er sagte: >Bestell meiner Familie, daß ich mein Leid überwunden habe.<« Auf diese Weise bewahrt der alte Mann die Sitten der Oguz, da sich ansonsten für die Lebenden ein Begehren einstellen könnte, die Pferde des Toten zu behalten. (Farzan, ein unverhohlener Bewunderer von Ibn Fadlan, glaubt, dieser Absatz verrate »die Sensibilität eines modernen Anthropologen, da er nicht nur das Brauchtum eines Volkes festhält, sondern auch den Mechanismus, der dazu dient, dieses Brauchtum durchzusetzen. Von der ökonomischen Bedeutung her entspricht das Töten der Pferde eines Nomadenführers ungefähr unseren modernen Erbschaftssteuern; das heißt, es dient dazu, die Anhäufung von ererbtem Wohlstand in einer Familie zu verhindern. Obgleich aus religiösen Gründen geboten, konnte dieser Brauch nicht beliebter gewesen sein, als er es zum heutigen Tage ist. Äußerst scharfsinnig zeigt Ibn Fadlan, wie er den Unwilligen auferlegt wurde.« Endlich reisten wir weiter in dem türkischen Königreich. Eines Morgens begegnete uns einer der Türken. Er war von häßlicher
Gestalt, schmutzigem Auftreten, widerwärtigen Manieren und niedrigem Wesen. Er sagte: »Halt.« Die ganze Karawane hielt aus Gehorsam zu seinem Befehl an. Dann sagte er: »Nicht einer von euch darf weiterziehen.« Wir sagten zu ihm: »Wir sind Freunde des Kudarkin.« Er brach in Gelächter aus und sagte: »Wer ist der Kudarkin? Ich entleere mich auf seinen Bart.« Ob dieser Worte wußte niemand unter uns, was zu tun war, doch darauf sagte der Türke: Bekend; das heißt »Brot« in der Sprache der Chwarezm. Ich gab ihm ein paar Laibe Brot. Er nahm sie und sagte: »Ihr dürft weiter. Ich habe Mitleid mit euch.«
Wir kamen in das Gebiet des Heeresbefehlshabers, dessen Name Etrek ibn-al-Qatagan lautete. Er schlug türkische Zelte für uns auf und hieß uns darin bleiben. Er selbst hatte einen großen Haushalt, Sklaven und geräumige Unterkünfte, Er trieb Schafe für uns zusammen, auf daß wir sie schlachten möchten, und stellte Pferde zum Reiten zu unserer Verfügung. Die Türken bezeichneten ihn als ihren besten Reiter, und wahrhaftig sah ich eines Tages, als er mit uns dahinjagte und eine Gans über uns hinwegflog, wie er seinen Bogen spannte und dann, derweil er sein Pferd darunter lenkte, auf die Gans schoß und sie herabholte. Ich beschenkte ihn mit einem Gewand aus Merv, einem Paar Stiefel aus rotem Leder, einem Mantel aus Brokat und fünf Mänteln aus Seide. Er nahm dies mit glühenden Lobesworten entgegen. Er legte den Brokatmantel ab, welchen er trug, um die Ehrengewänder überzuziehen, welche ich ihm just gegeben. Darauf sah ich, daß der Qurtag, welchen er darunter trug, ausgefranst und sudelig war, doch ist es Brauch bei ihnen, daß niemand das Gewand, welches er trägt, ablegen soll, bevor es zerfällt. Wahrlich, er zupfte überdies seinen gesamten Bart und selbst seinen Schnurrbart, so daß er aussah wie ein Eunuch. Und doch war er, wie ich beobachtet hatte, ihr bester Reiter. Ich glaubte, daß diese edlen Geschenke uns seine Freundschaft gewinnen würden, doch sollte dies nicht so sein. Er war ein verschlagener Mann.
Eines Tages schickte er nach den Anführern in seiner Nähe; das heißt nach Tarhan, Yanal und Glyz. Tarhan war der einflußreichste unter ihnen; er war verkrüppelt und blind und hatte eine verstümmelte Hand. Dann sagte er zu ihnen: »Dies sind die Boten des Königs der Araber an den Häuptling der Bulgaren, und ich möchte sie nicht Weiterreisen lassen, ohne euch zu Rate zu ziehen.« Darauf sprach Tarhan: »Dies ist eine Angelegenheit, wie wir noch keine gesehen haben. Niemals ist der Gesandte des Sultans durch unsere Lande gereist, seit wir und unsere Ahnen hier leben. Ich habe das Gefühl, daß der Sultan uns eine List zufügt. Diese Männer sendet er in Wirklichkeit zu den Hazar, um sie gegen uns aufzuwiegeln. Am besten hauen wir diese Gesandten entzwei und nehmen alles, was sie besitzen.«
Ein weiteres Ratsmitglied sagte: »Nein, wir sollten eher nehmen, was sie besitzen, und sie nackt zurücklassen, auf daß sie dorthin zurückkehren, woher sie kamen.« Und ein weiterer sagte: »Nein, wir haben Gefangene beim König der Hazar, daher sollten wir diese Männer hinschicken, sie auszulösen.« Sieben Tage lang besprachen sie diese Angelegenheit untereinander, derweil wir uns in einer Lage ähnlich dem Tode befanden, bis sie übereinkamen, den Weg freizugeben und uns weiterziehen zu lassen. Wir schenkten Tarhan zwei Kaftane aus Merv als Ehrengewand und überdies Pfeffer, Hirse und einige Laibe Brot. Und wir reisten weiter, bis wir zum Flusse Bagindi kamen. Dort nahmen wir unsere Lederboote, welche aus Kamelhäuten gefertigt waren, breiteten sie aus und luden die Güter von den türkischen Kamelen ein. Als ein jegliches Boot voll war, setzten sich Gruppen zu fünf, sechs oder vier Männern in sie. Sie nahmen Zweige aus Birkenholz in die Hand und benutzten sie als Ruder und paddelten fortwährend, derweil das Wasser das Boot hinabtrug und herumwirbelte. Schließlich gelangten wir hinüber. Was die Pferde und Kamele betraf, so gelangten diese schwimmend hinüber.
Beim Überqueren eines Flusses ist es unbedingt notwendig, daß zuvorderst eine Gruppe Krieger mit Waffen vor einem jeglichen aus der Karawane hinüberbefördert werden sollte, auf daß eine Vorhut gebildet werden kann, die Angriffe durch Baskiren zu verhindern, derweil die Hauptmacht den Fluß überquert.
Dergestalt überquerten wir den Fluß Bagindi und darauf den Fluß namens Gam auf die nämliche Weise. Darauf den Odil, darauf den Adrn, darauf den Wars, darauf den Ahti, darauf die Wbna. All dies sind breite Russe. Darauf erreichten wir die Peceneg. Diese lagerten an einem stillen See wie einem Ozean. Sie sind ein dunkelbraunes, mächtiges Volk, und die Männer scheren ihre Barte. Im Gegensatz zu den Oguz sind sie arm, denn ich sah Männer unter den Oguz, welche zehntausend Pferde und hunderttausend Schafe besaßen. Doch die Peceneg sind arm, und wir verweilten nur einen Tag bei ihnen. Darauf brachen wir auf und gelangten zu dem Fluß Gayih. Dieser ist der größte, breiteste und reißendste, welchen wir sahen. Wahrlich, ich sah, wie ein Lederboot darin umschlug, und diejenigen in ihm wurden ertränkt. Viele aus unserer Gesellschaft kamen um, und eine Anzahl Kamele und Pferde ward ertränkt. Wir überquerten den Fluß mit Mühe. Darauf zogen wir ein paar Tage weiter und überquerten den Fluß Gaha, darauf den Fluß Azhn, darauf den Bagag, darauf den Smur, darauf den Knal, darauf den Suh und darauf den Fluß Kiglu. Endlich erreichten wir das Land der Baskiren.
Das Yakut-Manuskript enthält eine kurze Schilderung von Ibn Fadlans Aufenthalt unter den Baskiren; viele Gelehrte bezweifeln die Authentizität dieser Passagen. Die eigentlichen Schilderungen sind ungewöhnlich vage und weitschweifig und bestehen hauptsächlich aus Auflistungen der angetroffenen Häuptlinge und Edlen. Ibn Fadlan selbst deutet an, daß die Baskiren nicht der Rede wert seien, eine untypische Aussage von diesem vorbehaltlos neugierigen Reisenden.
Endlich verließen wir das Land der Baskiren und überquerten den Fluß Germsan, den Fluß Urn, den Fluß Urm, dann den Fluß Wtig, den Fluß Nbasnh, darauf den Fluß Gawsin. Die Entfernung zwischen den Flüssen, welche wir erwähnen, beträgt in jedem Falle eine Reise von zwei, drei oder vier Tagen.
Darauf gelangten wir ins Land der Bulgaren, welches an den Gestaden des Flusses Wolga anfängt.