7


Der Hauptkontrollraum des Großen Auges war voller Zuschauer, als sich das Beobachtungsprogramm der Wechselsterne im Sternbild Cepheus der Andromeda-Galaxis dem Ende näherte. Die Andromeda-Beobachtung war das letzte von drei gleichzeitig betriebenen Beobachtungsprogrammen, drei aus einer endlosen Kette von Beobachtungen, die das große Teleskop durchzuführen hatte.

Während die letzten Minuten auf der Uhr abliefen, war Amber Hastings noch damit beschäftigt, letzte Hand an das Kometenbeobachtungsprogramm zu legen. Anders als das 60-cm-Teleskop würde das Große Auge den Kometen bei Wellenlängen vom nahen Infrarot bis zum fernen Ultraviolett beobachten. Das Teleskop würde während der ersten drei Minuten in drei Teile unterteilt bleiben. Jeder Teil sollte für einen anderen Spektralausschnitt optimiert werden. Dann würden die vierhundert aktiven Segmente des Großen Auges zu einem einzigen wirkungsvollen Instrument vereinigt werden. Die restliche Beobachtungszeit wollte man darauf verwenden, den winzigen Fleck des Kometenkerns inmitten des Dunstschleiers der Koma zu isolieren. Falls sich das als unmöglich erweisen sollte, hatte Amber Vorsorge dafür getroffen, die Gegenwart des Kerns dennoch nachzuweisen.

Die Region, die der Komet P/2085(G) gegenwärtig durchflog, war eine derjenigen mit der größten Sternendichte. Amber hatte dafür gesorgt, dass die Beobachtung der Koma hiervon profitieren konnte. Indem sie die Spektren der durch die Gaswolke hindurchscheinenden Sterne analysierte, konnte sie die Zusammensetzung der Koma bestimmen. Das würde ihr erlauben, auf die Natur des unsichtbaren Kerns zu schließen. Und sollte der Kern einen der Myriaden von Hintergrundsternen verdecken, würde sie so seine Größe direkt messen können.

»Beobachtungsprogramm geladen und gespeichert«, gab Amber bekannt, als sie ihre Arbeit beendet hatte. »Noch zwei Minuten, bis wir die Kontrolle übernehmen können.«

Hermann Meinz nickte. Grayson, Tom Thorpe und er standen alle in einem losen Haufen hinter Amber. Mehrere andere Mitglieder des Observatoriumspersonals warteten geduldig hinter einer Seilabsperrung. Selbst John Malvan, der Revisor der Regierung, hatte sich die Zeit genommen, das Spektakel mitzuverfolgen. Thorpe hatte Malvan auf einer Dinnerparty kennengelernt, die Niels Grayson und seine Frau zwei Tage zuvor gegeben hatten.

»Hallo«, hatte Thorpe nach der Vorstellung gesagt. »Ich habe Sie schon an meinem ersten Morgen hier gesehen. Sie waren in der Kantine mit irgendwelchen Papieren beschäftigt.«

Malvan nickte. »Das ist so ungefähr der einzige Ort, wo ich mich ungehindert ausbreiten kann. Ich muss sagen, ich war höchst erfreut zu hören, dass SierraCorp Interesse an einer Nutzung des Kometen zeigt. Die Lizenzgebühren werden erheblich dazu beitragen, die Finanzprobleme des Observatoriums zu beenden.«

»Das könnte ich mir vorstellen«, sagte Thorpe schuldbewusst. Wenn Halver Smith wirklich die Absicht gehabt hätte, den Kern auszubeuten, dann hätten die jährlichen Zahlungen die Betriebskosten des Observatoriums weit überschritten. Schade nur, dass es nie zu einem Nutzungsvertrag kommen würde. Aber auch dann noch war die Bezahlung für die Option mehr als großzügig. Sie würde die gegenwärtige Krise sicherlich mildern.

»Das Beobachtungsprogramm ist beendet«, teilte Amber ihrem Publikum mit. »Vorbereiten zur Neupositionierung des Teleskops.«

Die Galaxis M31 verblasste auf dem Schirm und wurde von einem Panoramabild des Großen Auges ersetzt. Es war draußen immer noch Nacht, doch die Lichtverstärker zeigten ein verschwommenes grünes Bild. Als das Teleskop herumschwenkte, war es weniger eine Bewegung des Gebildes als Ganzem, sondern mehr eine Reihe voneinander unabhängiger Bewegungen, die von seinen Spiegeln ausgeführt wurden. Es war beinahe so, als beobachte man ein Lebewesen, das aus einem langen Schlaf erwachte.

Zwei Minuten später meldete Amber, dass das Teleskop sein Ziel erfasst hätte und erste Daten hereinkämen. Gleichzeitig erschien ein bevölkertes Sternenfeld auf dem Schirm. Es waren so viele Sterne, dass es schwierig war, den verschwommenen Fleck auszumachen, der ihr Ziel darstellte.

»Was passiert jetzt?«, flüsterte Thorpe nach zehn Minuten, die ohne erkennbare Aktivität verstrichen waren.

»Wir holen Daten ein«, sagte Grayson in normaler Lautstärke. Während er sprach, ertönte ein leiser Laut.

»Was war das?«

»Der Computer verfügt über genügend Daten, um die Struktur der Koma zu rekonstruieren«, gab Amber über ihre Schulter zurück. Sie tippte einen Befehl ein, um ein Bild davon auf den Schirm zu bringen.

Der Bildschirm zeigte ein Diagramm, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Höhenlinien auf Landkarten hatte. Das Muster der konzentrischen Kreise überlappte mit mehreren Sternen im Hintergrund.

»Der Kern befindet sich im Mittelpunkt der Isophoten«, sagte Grayson und deutete auf das Diagramm.

»Die was?«, fragte Thorpe.

»Linien konstanter Helligkeit. Ich glaube, wir haben Glück. Der Mittelpunkt liegt verdammt nah an diesem Stern achter Größe.«

Als wären seine Worte ein Signal gewesen, rief Amber: »Ich habe eine Bedeckung!«

Thorpe erkannte an der Stelle des Bildschirms, wo der Stern gewesen war, einen elektronisch erzeugten Kastenzeiger. Der Stern war verschwunden, er war verdunkelt worden, als sich der unsichtbare Kometenkern zwischen Stern und Teleskop geschoben hatte.

»Verdunkelung beendet«, berichtete Amber fünfzehn Sekunden später.

»Verdammt, das hat ja teuflisch lange gedauert«, murmelte Grayson an Thorpes Seite.

»Und was heißt das?«, fragte Thorpe.

»Es bedeutet, dass der Kern größer ist, als wir alle geglaubt haben«, antwortete Direktor Meinz.

»Wie viel größer?«, fragte Thorpe.

»Ein ganzes Stück größer«, sagte Grayson betont langsam.

Schweigen senkte sich unvermittelt über den Kontrollraum, während Amber damit begann, die Verdunkelungszeit in eine Größenangabe umzurechnen.

Tom Thorpe nutzte die Pause, um über die Bedeutung der Information nachzudenken. Wenn der Kern größer als ein paar Kilometer war, bestünde keine Möglichkeit, ihn aus seiner resultierenden Bahn zu stoßen. Die dazu nötige Energie würde es verhindern. Und damit würde sich Halver Smith gegen Kursmanipulationen schützen. Sollte jemand dumm genug sein, ein Einfangprogramm anzukündigen, wären lediglich ein paar wohlplatzierte Anrufe nötig, um das Vorhaben zu diskreditieren.

Der Gedanke, der Sierra Corporation die Kosten für die Nutzungsoption zu ersparen, machte Thorpe irgendwie nicht so glücklich, wie er es hätte tun sollen. Nachdem er eine Weile darüber nachgedacht hatte, kam er zu dem Schluss, dass er sich ein wenig enttäuscht fühlte. Es war aufregend gewesen, die Daten hereinkommen zu sehen und mitzuerleben, wie der Schleier des Mysteriums um den Kometen gelüftet wurde. Irgendetwas in ihm wollte, dass die Erregung anhielt. Zum ersten Mal verstand er, was die Astronomen bewegte, ihr Leben damit zu verbringen, in die schwarzen Tiefen hineinzustarren. Die Jahre einsamer Beobachtung konnten mit dem Moment der Entdeckung aufgewogen werden.

Das Ende der Stunde näherte sich rasch. Als Amber die Kontrolle wieder an den Computer übergab, begannen sich die Zuschauer zu entfernen und ließen die Hauptakteure im Kontrollraum zurück. Einer der wenigen, die blieben, war John Malvan.

»Es wird eine ganze Weile dauern, bis wir die Daten vollständig ausgewertet haben«, sagte Amber mit einem Seitenblick auf Thorpe, »aber ich kann Ihnen einige vorläufige Schlussfolgerungen mitteilen. Nach meinen Berechnungen liegt der Durchmesser zwischen vierhundert und fünfhundert Kilometern. Es handelt sich definitiv um einen an flüchtiger Materie reichen Kometenkern, wenn er auch von erheblicher Dichte zu sein scheint. Kommt das den Erwartungen der Sierra Corporation entgegen?«

Thorpe machte den Mund auf, dazu bereit, die schlechte Nachricht zu verkünden, doch dann schloss er ihn wieder. Ihm war gerade eben ein merkwürdiger Gedanke gekommen. Er bemühte sich, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen, als er Amber bat, ihre Erkenntnisse zu erläutern.

Sie erklärte, der Kern sei so groß, dass es sich dabei wahrscheinlich eher um einen massiven Körper als um eine Ansammlung von Schneebällen handelte, die für die meisten Kometenkerne charakteristisch seien. Ihre Komauntersuchungen bewiesen, dass der Kern größtenteils aus gefrorenem Wasser bestünde, wenn auch mit all den kometentypischen Verunreinigungen. Da der Kern ein fester Körper sei, wäre es unwahrscheinlich, dass er unter dem Einfluss der Gravitation des Jupiter zerbräche.

»Nun, Mr. Thorpe«, sagte Direktor Meinz. »Sind Sie nun so weit, die Absichtserklärung zu unterschreiben?«

Thorpe schwieg und schien mit sich um eine Entscheidung zu ringen. Nach einer Minute sah er Meinz an. »Ich brauche noch bedeutend detailliertere Informationen über die Zusammensetzung, Mr. Meinz.«

»Sie werden so viel davon bekommen, wie unser Computer aus einer sechzigminütigen Beobachtung mit dem größten Teleskop des Sonnensystems herausquetschen kann.«

»Sehr schön«, sagte Thorpe. »Wir lassen es darauf ankommen. Sagen wir – in fünf Minuten in Ihrem Büro?«

»Das wäre mir recht, Mr. Thorpe«, erwiderte Meinz, während er angestrengt seine Erleichterung zu verbergen suchte.

An der Rückseite des Kontrollraums runzelte John Malvan die Stirn. Irgendetwas störte ihn, aber er kam nicht darauf, was es war.


Halver Smith starrte in die Flammen des Kamins in seiner Bibliothek. Er war altmodisch genug, um richtiges Holz verbrennen zu wollen, und so reich, dass er es sich leisten konnte. Er war schon immer der Meinung gewesen, dass weder Gas noch synthetische Zellulose mit dem Knistern und dem aromatischen Geruch eines Pinienfeuers mithalten konnten. Heute Nacht beobachtete er die Flammen in dem abgedunkelten Zimmer und grübelte über die Zukunft nach.

Wie er Tom Thorpe zwei Wochen zuvor erklärt hatte, sah sich die Sierra Corporation mit einer kurzfristigen Liquiditätskrise konfrontiert. Smith allein wusste, wie kritisch die Situation in Wirklichkeit war. Wie die Wirtschaftswissenschaftler in aller Welt lehrten, gab es nur fünf Arten, sich Kapital zu verschaffen. Man konnte es verdienen, sich borgen, den Ersparnissen entnehmen, es sich durch den Verkauf von Aktiva verschaffen oder geschenkt bekommen. Das Einfangen des Felsens war in erster Linie durch Kredite und Schenkungen finanziert worden – etwas anderes war die Ausgabe von Aktien nicht. Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als würden diese beiden Quellen ausreichen. Als die Banken erst einmal Hochrechnungen der aus dem Verkauf von Asteroideneisen zu erwartenden Gewinne gesehen hatten, wurden sie bei der Vergabe günstiger Kredite großzügig. Die gleichen Hochrechnungen hatten für hohe Aktienkurse gesorgt. Eine von dem Projekt faszinierte Öffentlichkeit hatte ihm die Neuemissionen beinahe aus den Händen gerissen.

Der Preis der Anteilscheine der Sierra Corporation hatte sich während der fünf Jahre, die man gebraucht hatte, um den Felsen in eine Erdumlaufbahn zu befördern, fast verdoppelt. Ihr Wert war um weitere dreißig Prozent an dem Tag gestiegen, als der erste Erzcontainer vor der brasilianischen Küste niedergegangen war. Und hämische Presseberichte über die Eisenmenge, die SierraCorp wohl würde anliefern können, hatten dem Kurs nicht geschadet.

Drei Jahre später, als aktuelle Produktionszahlen die fiktiven ablösten, war die Realität eingekehrt. Mit dem Fortschreiten des Avalon-Projekts hatte Halver Smiths Aufstieg weiter an Faszination eingebüßt. Zum ersten Mal begann der Aktienkurs der Sierra Corporation zu sinken. Der sinkende Kurs hatte die Banken dazu veranlasst, ihre Haltung zu überdenken. Mit einem Mal waren die Kreditlinien von SierraCorp nicht mehr ohne Limit. Bitten, die vorhandenen Kredite zu erweitern, waren zurückgewiesen, und neue Kredite waren für kürzere Zeiträume zu höheren Zinsen gewährt worden.

Die Investoren und die Banken waren jedoch nicht Smiths einziges Problem. Dieselben Politiker, die sich seinerzeit für Eisen aus dem Weltraum ausgesprochen hatten, beklagten sich nun über den Verlust von Arbeitsplätzen auf der Erde. Aus den gleichen Hüttenwerken, die einst als Verschmutzer von Luft und Wasser gegolten hatten, waren nun einheimische Industrien geworden. Das Wort Protektionismus lag in der Luft. Sowohl das Vereinigte Europa wie die Nordamerikanische Union bereiteten Gesetze zur Besteuerung von Weltraumeisen vor. Zwei afrikanische Länder hatten den Import von Weltraumeisen bereits vollständig untersagt.

Smiths drängendstes Problem war die Refinanzierung einiger der langfristigen Schuldverschreibungen, die bald fällig sein würden. Wenn er diese zu vernünftigen Konditionen refinanzieren konnte, würde das dem Felsen Zeit geben, seine volle Produktivität zu erreichen, und die Liquiditätskrise ein für alle Mal beheben. Es waren die launischen Finanziers, die Smith die meisten Sorgen bereiteten. Aus diesem Grund hatte er Tom Thorpe auf den Mond geschickt. Besser, jetzt ein wenig Geld zu verschwenden, als eine Panik unter den Aktionären des Asteroidenbergbaus für den Fall zu riskieren, dass irgendwer ein neues Einfangprojekt ankündigte.

Während er so saß und ins Feuer starrte, vergegenwärtigte sich Smith seine verbleibenden Bargeldquellen. Nun, da Aktienausgabe und Kreditaufnahme nicht mehr in Frage kamen und ohne irgendwelche Rücklagen, die diesen Namen verdienten, blieb nur noch eine Möglichkeit. Er würde einen Teil seines Vermögens veräußern müssen.

Der einzige Aktivposten, der einen ausreichend hohen Preis erbringen würde, war das Sierra-Skies-Orbitalkraftwerk. Smith hatte Sierra Skies erworben, um für den Felsen während seines langen Flugs bis zum Erdorbit eine Quelle für Antimaterie zur Verfügung zu haben. Das Antimateriewerk würde einen guten Preis erbringen, aber sein Verkauf würde ein Alarmzeichen für jeden Finanzexperten des Sonnensystems sein. Wenn sich erst einmal herumgesprochen hatte, dass Smith Vermögensteile veräußerte, konnte es zu einer Panik bei den Investoren und Banken kommen. Während Smith überlegte, wie er sich Geld verschaffen konnte, ohne den Eindruck zu erwecken, dass er es nötig hatte, wurde er von einem seiner Angestellten aufgeschreckt.

»Was gibt es denn, Emil?«, fragte er, in das helle Licht blinzelnd, das durch die geöffnete Tür plötzlich aus dem Korridor in die Bibliothek einfiel.

»Die Nachttelefonistin der Zentrale ist auf dem Schirm. Sie fragt an, ob Sie ein Gespräch vom Mond annehmen möchten.«

»Vom Mond? Wer ist es denn?«

»Thomas Thorpe, Sir.«

»Ich nehme es hier an.«

»Ja, Sir.«

Smith schaltete die Lampe neben seinem Sessel ein und war für einen Moment geblendet. Er schwenkte den Telefonschirm herum und aktivierte ihn. Die Gesichtszüge einer der Telefonistinnen von SierraCorp gingen in die Tom Thorpes über.

»Hallo, Thomas. Von wo aus rufen Sie an?«

Drei Sekunden später kam Leben in Thorpes Gesicht. »Guten Abend, Sir. Farside-Observatorium. Ich hoffe, ich störe Sie nicht.«

»Überhaupt nicht. Was gibt’s Neues?«

»Der Direktor des Observatoriums und ich haben heute die Absichtserklärung unterzeichnet.«

»Gut!«, erwiderte Smith. »Nennen Sie mir Einzelheiten.«

»Bitte gehen Sie auf Zerhacker.«

Smith blickte einen Moment lang verständnislos, dann griff er nach vorn und schaltete den Zerhacker ein. Es gab eine Störung, die rasch vorbeiging.

»Zerhacker eingeschaltet. Was, zum Teufel, soll das überhaupt?«

»Die Situation hat sich verändert, Sir. Ich musste eine rasche Entscheidung treffen. Ich hoffe, dass es die richtige war.«

»Erklären Sie!«

Thorpe berichtete, was er im Observatorium in Erfahrung gebracht hatte, einschließlich der Tatsache, dass der Kern des Kometen einen Durchmesser von fünfhundert Kilometern hatte.

»Wiederholen Sie«, befahl Smith.

»Ich sagte, fünfhundert – fünf, null, null! – Kilometer Durchmesser.«

»Warum haben Sie das Papier unterschrieben? Sie müssten doch eigentlich wissen, dass sich ein so großes Ding nicht bewegen lässt!«

»Zugestanden, Sir. Wir haben ein bisschen gerechnet. Die Masse des Kerns beträgt mindestens sechs mal zehn hoch sechzehn Tonnen. Das sind sechzig Billiarden Tonnen

»Warum haben Sie es also getan?«

»Weil das, Sir«, sagte Thorpe, »sechzig Billiarden Tonnen Eis sind! Gefrorenes Wasser, gefrorenes Methan, gefrorenes Ammoniak.«

»Und?«

»Ich habe mich mit den wirtschaftlichen Hintergründen des Eisbergbaus befasst. Überall im System besteht eine große Nachfrage danach. Mir ist eine Passage aus Ihrer Dissertation wieder eingefallen. Sie haben dort geschrieben, dass die ersten Minen im Asteroidengürtel nicht gescheitert wären, wenn ihr Produkt fünfmal so viel wert gewesen wäre, wie es tatsächlich der Fall war.«

Smith nickte. »Ich erinnere mich sehr gut an diesen Abschnitt. Und weiter?«

»Nun, Eis ist zehnmal so wertvoll wie Eisen! Ihren eigenen Berechnungen zufolge ist es das einzige Produkt, das sich gewinnbringend über interplanetarische Distanzen transportieren lässt. Ich habe es jedenfalls einmal darauf ankommen lassen, dass Sie sich im Geschäft der Eisgewinnung engagieren wollen. Sie können immer noch sagen, dass ich meine Kompetenzen überschritten habe, und die ganze Abmachung widerrufen.«

Es entstand eine lange Pause, während der Smith sich mit der Tatsache anzufreunden begann, dass er der stolze Besitzer eines interplanetarischen Eisbergs war. Irgendwo hatte er gelesen, dass die gesamten Wasservorräte der Erde 1,2 Trillionen Tonnen betrugen. Das bedeutete, dass zwanzig solcher Eisberge alle Ozeane der Welt auffüllen konnten. Was, bei den launischen Göttern von Wall Street, sollte er mit so viel Eis anfangen? Es war heller Wahnsinn, bei dem gegenwärtigen traurigen Zustand der Finanzen von SierraCorp ein weiteres Großprojekt zu beginnen.

Dennoch, dies war vielleicht das Wunder, auf das er gehofft hatte. Was fehlte, war ein neuer Faktor in der Gleichung, etwas, das die ganze Angelegenheit ins Rollen brachte. Wenn die Sierra Corporation plötzlich ein neues Asteroidenprojekt ankündigen würde, könnte das den Investoren und Banken neues Leben einhauchen. Er würde gewissermaßen die Diskussionen in neue Bahnen lenken. Natürlich würde er eine Expedition zum Kometen schicken müssen. Alles andere würde nicht ernsthaft genug wirken. Die erste Erkundung brauchte nicht unbedingt kostspielig zu sein. Falls sie Smiths Kreditgeber noch eine Weile bei Stange hielte, wären die Kosten für die Option gut angelegt.

»Konnten Sie mich hören, Mr. Smith?«, fragte Thorpe besorgt in einer Entfernung von 400.000 Kilometern.

Smiths düstere Gesichtszüge verwandelten sich allmählich in ein Lächeln. »Ich habe Sie gehört, Thomas. Machen Sie sich keine Sorgen, ich stehe zu meinem Teil der Vereinbarung. Ich weiß noch nicht genau, was wir mit unserem Glückstreffer anfangen sollen, aber ich bin bereit, in eine Expedition zu investieren und ihn zu besichtigen. Sie haben vielleicht mehr Probleme gelöst, als Sie denken!«


Zur gleichen Zeit, als Thorpe mit Halver Smith auf der Erde telefonierte, wurde vom Observatorium aus ein weiterer Anruf getätigt. John Malvan versuchte, eine Verbindung mit John Hobart herzustellen. Nachdem er sich eine Viertelstunde lang durch die verschiedenen Ebenen von Untergebenen hindurchgearbeitet hatte, sah er sich plötzlich dem Führer der Nationalpartei von Luna gegenüber.

»Ja, Bürger Malvan? Meine Sekretärin sagte, es handle sich um eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit für die Republik?«

»Ja, Sir.«

»Sie kommen mir bekannt vor. Kenne ich Sie irgendwoher?«

»Ich bin Wirtschaftsprüfer beim Amt für Wissenschaftsförderung. Wir sind uns vor einem Jahr einmal auf einer Party begegnet. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich noch an mich erinnern.«

»Sie waren früher im Eisbergbau beschäftigt, nicht wahr?« Eine der Fähigkeiten, die Hobart in der Politik von gro- ßem Nutzen gewesen waren, war sein beinahe fotografisches Gedächtnis für Gesichter und Namen. »Ihnen fehlt ein Arm, wenn ich mich recht entsinne.«

»Ja, Sir.«

»Ich erinnere mich an Sie«, sagte der Politiker. Genau genommen war dies schon alles, was er von Malvan noch wusste, aber lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, bei einem Anrufer den Eindruck zu hinterlassen, dass er über den Betreffenden vollständig im Bilde war. »Was kann ich für Sie tun, Bürger?«

»Man hat hier am Observatorium eine Entdeckung gemacht, von der Sie, glaube ich, wissen sollten, Sir.« Malvan gab im Wesentlichen die gleichen Informationen weiter wie zuvor bereits Thorpe. Als er damit fertig war, sagte er: »Ich dachte mir, Sie sollten besser davon wissen.«

»Und Sie sagen, der Direktor des Observatoriums hat die Absichtserklärung bereits unterschrieben?«

»Ja, Sir. Ich erinnere mich, dass es mich irgendwie gestört hat, aber ich hatte es noch nicht ganz durchdacht.«

»Ich kann immer noch intervenieren. Ein Eisasteroid von fünfhundert Kilometern Durchmesser, sagten Sie?«

»Ja, Sir. Dann stimmen Sie mit mir überein, dass es wichtig sein könnte?«

»Es war richtig von Ihnen, mich anzurufen. Halten Sie Ihre Ohren offen und mich auf dem Laufenden. Notieren Sie sich diese Nummer!« Hobart hielt eine Karte hoch, auf die seine private Telefonnummer gedruckt war. Der Anruf würde Tag und Nacht automatisch zu seinem Büro, seiner Wohnung oder seinem PocketPhone durchgestellt.

»Ich werde Ihnen laufend berichten«, sagte Malvan, als er die Nummer notiert hatte.

»Auf Wiedersehen, Bürger Malvan. Und danke!«

John Hobart starrte den Telefonschirm noch lange an, nachdem er erloschen war. Die Folgerungen, die sich aus dem Auftauchen des Kometen ergaben, waren sowohl beunruhigend als auch aufregend. Man musste sie studieren, ehe man unumstößliche Tatsachen schuf – was bedeutete, dass eine bestimmte Kette von Ereignissen sofort unterbrochen werden musste.

Hobart drückte den Summer für seine Sekretärin.

»Ja, Sir?«

»Bitte holen Sie Rektor Cummings ans Telefon, Miss Cates. Ich möchte mit ihm über eine Angelegenheit von einiger Dringlichkeit sprechen.«


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