Natürlich glaubte ich es nicht. Ich bin ein sehr konservativer Mensch, der es gern mag, wenn auch die Dichtungen realistisch sind, und das da war ein dicker Brocken. Als Junge mußte ich mit der Lektüre von „Die Maracot-Tiefe“ Schluß machen, weil darin ein leuchtender Meeresboden beschrieben wurde. Ich wußte, daß Conan Doyle niemals unten gewesen war und das Licht nur der Handlung wegen brauchte und ohnehin keiner großen Folgerichtigkeit huldigte, und doch wollte ich mich damit nicht abfinden. Ich wußte, er hatte unrecht wie jeder andere — denn der Meeresboden ist nicht hell.
Nur war er es jetzt.
Das trudelnde Wrack schwang sich aufwärts, weg vom Licht, und ich hatte nun Zeit zu entscheiden, ob ich meinen Augen trauen sollte oder nicht. Ich konnte noch immer Instrumente ablesen. Der Druckmesser gab eine direkte Tiefe von 4880 Fuß an. Eine hastige, im Geiste vorgenommene Korrektur vom Band des Thermographen ergab zweihundert mehr. Ja, ich hätte in Bodennähe sein sollen, irgendwo auf den Nordhängen des Gebirges, dessen Gipfel Rapanui darstellen.
Ich vollführte eine Drehung und sah nun wieder hinunter. Ob ich nun meinen Augen trauen wollte oder nicht, sie zeigten mir beharrlich, daß es in dieser Richtung Licht gab. Es war ein sanftes gelbgrünes Leuchten — genau das Licht, das man verwendet, wenn man Unterwasserszenen filmen will.
Erst wirkte es einheitlich und ebenmäßig. Dann aber, ein paar Umdrehungen weiter und zweihundert Fuß tiefer, zeigte es ein bestimmtes Schema.
Es waren Vierecke, deren Ecken ein wenig heller waren als alles übrige. Es bedeckte nicht den ga nzen Grund. Der Rand lag fast genau unter mir, und es erstreckte sich in die Richtung, die ich für Norden hielt. Mein Kompaß reagierte nämlich auf das Trudeln nicht allzu günstig. In der anderen Richtung lag die normale, tröstliche und furchteinflößende Finsternis — das war Wirklichkeit genug.
Nun passierten zwei Dinge fast gleichzeitig. Mir wurde klar, daß ich ganz nahe am Rand des beleuchteten Bereiches niedergehen würde, und ebenso klar wurde mir, um was es sich bei diesem beleuchteten Gebiet handelte. Und die zweite Erkenntnis, die überwältigte mich. Sekundenlang war ich so wütend und angewidert, daß ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Und als Folge davon hätte ich diese Geschichte fast nicht erzählt.
Das Licht war künstlich. Ob sie es glauben oder nicht.
Mir ist klar, daß ein normaler Mensch sich das nur schwer vorstellen kann. Kostbare Watt zur Beleuchtung der Außenwelt sind eine schlimme Sache, manchmal aber traurige Notwendigkeit. Aber Energievergeudung zur Beleuc htung des Meeresbodens — nun, wie gesagt, sekundenlang war ich zu wütend, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Mein Job hatte mich mit Menschen zusammengebracht, die mit Energie unachtsam umgi ngen, die Energie stahlen, und sogar mit Menschen, die sie mißbrauchten. Das hier aber war eine brandneue Dimension! Inzwischen war ich noch tiefer gesunken und konnte eine weite Lichtfläche sehen, die sich nach Norden, Osten und Westen erstreckte, bis sie in der Ferne verschwamm. Eine Riesenfläche, beleuchtet von Dingen, die ein paar Yards über dem ebenen Boden hingen, von Dingen, die nur als schwarze Flecken in der Mitte eines etwas helleren Feldes sichtbar waren. Wer hinter dieser Sache steckte, hatte immerhin einen gewissen Sinn für Sparsamkeit. Er benutzte Reflektoren.
Dann hatte ich meine Wut bezwungen, oder aber meine Angst hatte dies für mich besorgt. Mir wurde schlagartig klar, daß ich mich nur mehr in geringem Abstand über den Lichtern befand. Ich würde nicht inmitten der Lichter niedergehen, sondern ein Stück weiter südlich davon. Und ich konnte nicht sagen, sicher niedergehen, denn meine Kombination von „Pugnose“-Bug und Sicherheitstank drehte sich so langsam, daß ich voraussehen konnte, in welcher Stellung sie auf dem Boden auftreffen würde. Es sah ganz danach aus, als würde das offene Heck-Ende nach unten zu liegen kommen.
Ganz abgesehen von der Tatsache, daß ich unter dem Wrack hervor nichts sehen konnte, bestand daneben die Wahrscheinlichkeit, daß ich auch nichts würde tun können — beispielsweise zurück an die Oberfläche gelangen. Da faßte ich nach den Schalthebeln.
Da der ganze Plan auf Tarnung beruhte, wurde der Abtrennvorgang mittels Federdruck und nicht durch ein Wegsprengen eingeleitet. Ich wartete, bis die Drehung den Schiffsrumpf zwischen mich und das Licht manövriert hatte, und drückte den Knopf.
Der Schubs war ganz sanft, und ich fragte mich blitzartig, ob ich nicht in ein noch größeres Schlamassel geraten würde als vermutet. Und dann kam Licht durch Fenster herein, die durch den Schiffsrumpf verdeckt waren, und meine Sorgen hatten ein Ende. Die Federn hatten den Tank von dem beleuchteten Gebiet weggestoßen. Ich sah, wie sich der Bug der „Pugnose“ dunkel vor dem helleren Hintergrund abzeichnete. Der Trennvorgang hatte unser Sinken ganz leicht verlangsamt, das Wrack sank dabei etwas schneller als ich. Na, jetzt war wenigstens etwas wie geplant abgelaufen. Das Wrack würde als erstes auf dem Boden aufschlagen, und es bestand keine Gefahr mehr, daß ich darunter wie in einer Falle gefangen wurde.
Natürlich hatte ich nicht erwartet zu sehen, daß es richtig aufprallte. Was ich aber zu sehen bekam, als es auf dem Boden auftraf, das hatte ich schon gar nicht erwartet.
Flache Stücke des Meeresbodens sind meist eher weich und schlammig. Man mag es Radiolarschlamm oder Strahlentierchenschlick nennen, es ist jedenfalls Schlamm. In seichtem Gewässer trifft man auf Korallenbänke und Sand und anderes festes Zeug, an Abhängen gar auf soliden Fels.
Dort aber, wo es eben ist, erwartet man eine Mischung zwischen gewöhnlichem Schlamm und den oberen Schichten eines stehenden Tümpels. Wenn darauf nun etwas Hartes und Schweres auftrifft, sanft auftrifft, steht nicht zu erwarten, daß der Boden Widerstand leistet. Es setzt einen vielleicht manchmal in Erstaunen, aber man rechnet keinesfalls damit, daß etwas vom Meeresboden abprallt.
Die „Pugnose“ prallte nicht richtig ab, wie ich zugeben muß, doch verhielt sie sich nicht ordnungsgemäß. Sie traf die beleuchtete Oberfläche dreißig oder vierzig Yards vom Rand entfernt und etwa doppelt so weit von mir entfernt. Ich konnte es deutlich sehen. Sie traf wie erwartet auf und sank wie erwartet ein. Es gab kein Schlammgewirbel — kein Anzeichen des Zeitlupenspritzens, das normalerweise entsteht, wenn etwas im Schlick landet. Statt dessen verschwand der Bugteil fast ganz in der weichen Schicht, während darum herum ein Wellenring entstand und sich vom Aufprallpunkt aus ausbreitete. Dann ging das Wrack sanft wieder hoch, bis es halb aus dem Schlamm war, tauchte wieder unter, und das alles in Zeitlupe.
So schnellte es drei— oder viermal auf und nieder, bis es zur Ruhe kam. Und jeder Aufprall schickte ein Wellengekräusel von der Aufschlagstelle aus.
Bis der Schiffsrumpf endgültig zur Ruhe kam, hatte sich auch mein Tank beruhigt. Ich spürte, wie er auf etwas Hartes auftraf — Fels, dafür hätte ich meinen Kopf verwettet. Und dann fing er ganz, ganz sachte an, auf das Licht zuzurollen. Ich konnte den Untergrund, auf dem ich mich befand, nicht deutlich sehen, doch handelte es sich augenscheinlich um einen festgrundigen Abhang, der mich in den nächsten zwei bis drei Minuten neben der „Pugnose“ landen lassen würde, wenn ich dagegen nichts unternahm. Ein Glück, daß ich etwas tun konnte.
Der Tank besaß sogenannte Beine, sechs Fuß lange teleskopartige Metallruten, die sich mittels Federn verlängern und durch Solenoide wieder einziehen ließen. Ich hoffte noch immer, ohne die Anwendung von Magneten auszuko mmen, doch es sah so aus, als wären die Beine in Ordnung. Ich ließ vier davon vorschnellen — dorthin, wo ich vernünftige Richtungen vermutete. Meine, Schätzungen erwiesen sich als ausreichend zutreffend, und das Rollen hörte auf. Zum ersten Mal hatte ich nun eine ruhige Aussichtsplattform. Ich konzentrierte mich natürlich jetzt auf den Bereich, den ich einsehen konnte.
Ich befand mich unter dem Niveau der Lichter selbst. Es sah aus, als hingen sie an Schnüren in Abständen von etwa zwanzig Yards, wobei die Schnüre ebenfalls in diesen Abständen angebracht waren. Das alles war bloße Vermutung, da ich die Aufhängevorrichtung ja nicht sehen konnte. Ihre Regelmäßigkeit untermauerte die Vermutung, während die Tatsache, daß das Wrack genau auf eine Schnur zwischen zweien der Lichter aufgetroffen war, eigentlich dagegensprach. Es überraschte mich keineswegs, daß auf der ebenen Fläche, die sie beleuchteten, nichts zu sehen war — weder Gewächse noch irgendeine Bewegung, obwohl es mich auch nicht überrascht hätte, ein paar verstreute Spuren oder Löcher zu sehen.
Wenigstens wäre ich nicht überrascht gewesen, wenn ich nicht die Landung der „Pugnose“ mitangesehen hätte. Damit aber war sonnenklar, daß es nicht der Meeresboden war, was ich sah. Es ähnelte eher einer Gummidecke, die wie ein Zeltdach über alles gespannt war, was mehr als etwas zehn Fuß hangabwärts von mir lag. Das Wrack hatte das Material eingedellt, aber nicht durchlöchert. Das Zeug war stark genug, um das verhältnismäßig geringe Unterwassergewicht von Metall und Plastik auszuhalten.
Das könnte nützlich sein, überlegte ich. Ich hatte keine Ahnung, warum jene unter dem Zelt alles Darüberliegende beleuchten wollten, falls aber das Material nicht völlig undurchsichtig war, würde man den Schatten und die Delle kaum übersehen können. Die Leute würden nachschauen und würden für mich leicht zu sehen sein, ohne daß ich meine eigene Beleuchtung einschalten und mich verraten mußte. Ich brauchte nur einen einzigen deutlichen Blick auf die menschlichen Wesen, die sich unerlaubt hier auf dem Grunde des Pazifiks aufhielten. Das, in Verbindung mit dem Ausmaß der Energieverschwendung, die ich bereits weiterberichten konnte, mehr brauchte es zu meinem Bericht nicht — eine Kontrollexpedition größeren Umfangs würde das Ihrige tun. Niemand erwartete von mir, daß ich eine Menschengruppe festnahm, groß genug, um eine Einrichtung wie diese hier zu schaffen, und ich verspürte nicht den geringsten Ehrgeiz dazu. Rundheraus gesagt, der Tank war zu unbeweglich, um als Polizeifahrzeug zu dienen. Ich war nicht mal in der Lage, eine vorüberschwimmende Krabbe festzunehmen. Ich wollte nicht mehr erreichen, als einen gründlichen Blick auf ein Arbeits-U-Boot oder einen Druckanzug oder gar einen werkelnden ferngesteuerten Roboter — alles was anzeigte, daß die Einrichtung hier aktiv geführt wurde —, ein gründlicher Blick, und ich war bereit und würde Ballast abwerfen.
Zuviel Hast würde ich dabei natürlich nicht an den Tag legen, und das aus zwei guten Gründen.
Ein Sonar-Mann mit seinem Unterwasserortungsgerät würde einen sinkenden Gegensta nd verständlicherweise als Trümmerstück eines Schiffswracks abtun oder sogar als toten Wal. Sehr viel Neugierde würde er wohl nicht zeigen. Doch stand nicht zu erwarten, daß er gegenüber einem aufsteigenden Objekt die gleiche Gleichgültigkeit an den Tag legte. Ich mußte mir ein wenig Zeit lassen und die Gefahr, die mir von Sonar-Geräten drohte, erst abschätzen. Es war hübsch, aber nicht endgültig, daß ich bis jetzt nichts bemerkt hatte.
Den zweiten Grund, der sich der Hast in den Weg stellte, kannte ich noch nicht, und sollte ihn erst nach mehreren Stunden kennen lernen.
Ich bin kein Präzisionsfanatiker, der ständig auf die Uhr schaut. Ich wußte, daß ich es in dem Tank noch lange aushalten konnte, und wollte es gar nicht so genau wissen, wie viel von der vorgesehenen Zeit ich verbraucht hatte. Als nämlich der zweite Grund auftaute, kam ich gar nicht auf die Idee, die genaue Zeit festzustellen, und hinterher war ich mehrere Stunden lang von so banalen Dingen wie Uhren total abgelenkt.
Daher kann ich nicht genau sagen, wie lange ich einfach in meinem Tank dasaß und wartete, daß etwas passierte. Es waren sicher mehrere Stunden, dafür stehe ich ein. Lange genug jedenfalls, daß mich Langeweile überkam und ich Krämpfe kriegte, wütend wurde und schon halb der Überzeugung zuneigte, daß sich in meiner Nähe niemand unter dem Zelt befand. Der Gedanke, daß es sich um jemanden handeln könnte, der sich keinen Deut um Schiffsteile in seiner Decke scherte, schien so weit hergeholt, daß er keiner weiteren Überlegung wert war. Falls jemand das Wrack gesehen hatte, hätte er etwas unternommen.
Nichts war bisher geschehen. Daher befand sich niemand in Sichtweite. Und wenn sich niemand in der Nähe befand, konnte ich selbst einen Blick aus der Nähe wagen. Vielleicht glückte mir sogar ein Blick darunter.
Gefährliche Gedankengänge, alter Junge. Laß dir die verschwendeten Kilowatt bloß nicht so zu Kopf steigen. Du bist ein unbeteiligter Beobachter. Wenn du ohne Informationen zurückkommst, ist alles, was du unternimmst, reine Vergeudung — und Vergeudung ist für die Aufsichtsbehörde natürlich das lästerlichste Schimpfwort.
Trotzdem — es stellte für mich eine Versuchung dar. Nirgendwo eine Bewegung, keine Anzeichen für menschliches Leben — bis auf Lichter und das Zeltdach, und sehr wenig Anzeichen für andere Lebensformen. Kein Geräusch. Nichts vom Sonar-Frequenz-Monitor. Sollte ich mich sachte bis an den Rand des Stoffes hinunterrollen lassen und das Zeug eingehender studieren?
Die treffendste Antwort darauf war die Feststellung, daß dies die Handlungsweise eines unverbesserlichen Idioten gewesen wäre. Und während die Zeit auf diese Weise verrann, kam auch mir einoder zweimal der Gedanke, daß schon allein die Tatsache meines Hierseins nicht die schmeichelhaftesten Schlüsse auf meine Intelligenz zuließ. Wenn ich mich schon wie ein Dummkopf benehmen mußte, dann schon wie ein richtiger. Ich weiß nicht, woher derartige Überlegungen stammen.
Vielleicht sollte ich wirklich einen Psychiater ko nsultieren.
Ich weiß jetzt nicht mehr, wie knapp daran ich war nachzugeben. Ich weiß nur, daß ich dreimal beinahe die Tankbeine eingezogen hätte und mir es jedes Mal anders überlegte.
Das erste Mal hinderte mich etwas daran, das sich bewegte, und sich als ansehnlicher Hai entpuppte.
Es war das erste größere Lebewesen, das mir hier unten auf dem Meeresgrund begegnete, und ich verschob meine Gedanken wenigstens kurzfristig auf eine andere Ebene. Die nächsten beiden Male, als ich den Tank in Bewegung setzen wollte, ließ mich die Erinnerung an den Hai innehalten. Er war nämlich verschwunden — hatte er etwas gehört, das ich nicht hören konnte, etwas das ihn verscheucht hatte? Ich hatte außen keine Instr umente für das Aufspüren unhörbarer oder hörbarer Frequenzen.
Ich hatte lediglich Sonar-Rezeptoren.
Ich weiß, das alles läßt mich nicht eben als Genie erscheinen, nicht mal als einigermaßen befähigten Operator. Ich wünschte, mir wäre mehr Zeit zur Veröffentlichung meiner Lebenserinnerungen geblieben, ehe ich diese Geschichte berichten mußte.
Um meine Entscheidung einigermaßen zu rechtfertigen, muß man mir die Chance einräumen, mich als vernunftbegabten, reifen Menschen vorzustellen. Im Augenblick fällt mir zu meiner Rechtfertigung nicht mehr ein als die Redensart „Jeder wie er kann“. Und wer könnte sicher sein, welche We ndung seine Gedanken nähmen, wenn er praktisch hilflos in einer Plastikblase von sechs Fuß Durchmesser eine Meile unter der Oberfläche des Ozeans säße? Auf wen dies zutrifft, der möge mit seiner Kritik warten, bis ich fertig bin.
Der zweite Grund, weswegen ich meinen Ballast nicht überstürzt abwarf, sollte sich nämlich sogleich zeigen. Meine Aufmerksamkeit konze ntrierte sich noch immer auf das Wrack. Ich sah es zunächst gar nicht herankommen. Beim ersten flüchtigen Blick aus dem Augenw inkel hielt ich es gar nur für einen weiteren Hai. Dann aber wurde mir klar, daß es sich um eine menschliche Gestalt handelte und ich damit meinen Beweis hatte. Famos. Nichts wie an die Oberfläche, wenn die Gestalt erst verschwunden ist.
Nein, geht nicht. Was ich brauchte, war ein überzeugender Beweis. Und wenn meine eigenen Augen mich nicht zu überzeugen vermochten, war es höchst unwahrscheinlich, daß meine Worte jema nden anderen überzeugen konnten. Was ich da sah, war ein Mensch, was an sich stimmte. Ein Poly-Phasen-Anzug, vier Zoll dick, an den Gliedmaßen ebenso ausgerüstet, kann dem Wasserdruck von eineinviertel Tonnen pro Quadratzoll, der in einer Meile Tiefe herrscht, gut standhalten. Eine solche Taucherrüstung läßt den Träger auch noch einigermaßen me nschenähnlich aussehen und gestattet ihm immerhin eine, wenn auch unbeholfen wirkende Fortbewegung.
Diese Rüstung hier aber gestattete ihm keine wie immer gearteten Schwimmbewegungen, es sei denn er befände sich in einem Quecksilberozean. Und diese ganz unübersehbar menschliche Gestalt schwamm!
Sie tauchte in einiger Entfernung zu meiner Li nken auf, ganz plötzlich, als wäre sie aus der oben herrschenden Dunkelheit heruntergestoßen. Sie schwamm auf mich und das Wrack zu, hatte es aber dabei nicht eilig. Als die Gestalt näher herankam, konnte ich Einzelheiten deutlicher unterscheiden.
Und am deutlichsten war die Tatsache — noch deutlicher als die Tatsache, daß es sich um eine Frau handelte —, daß sie keine Taucherrüstung trug. Sie trug statt dessen einen Kaltwasser-Coverall vom Typ Scuba-Suit. Daran war nichts auffallend bis auf den runden, durchsichtigen Helm, den sie statt der Atemmaske aufgesetzt hatte. Den Ballast trug sie in Ringen da und dort an Leib und Gliedern anstatt am Gürtel. Ich wiederhole — tatsächlich mußte ich es mir selbst wiederholte Male vorsagen —, daß ihr Anzug kein Druck-Anzug war. Ihre Schwimmbewegungen zeigten klar an, daß der Anzug so flexibel war wie menschliche Haut, genauso wie ein Scuba-Anzug sein soll.
Meinen Tank schien sie nicht zu bemerken. Für mich eine große Erleichterung. Sie bemerkte auch das Wrack erst, als sie sich ihm bereits bis auf zwanzig Yards genähert hatte. Bis dahin war sie nämlich ganz gemächlich am Rand des Zeltdaches entlanggeschwommen, wie auf einem Nachmi ttagsspaziergang. Dann aber wechselte sie jäh die Richtung und hielt direkt auf den Bug der „Pugnose“ zu.
Das wollte mir nicht in den Kopf. Unglaublich, daß niemand gezielt nach dem Wrack suchte und daß jemand durch puren Zufall darauf stieß! Ich hätte eigentlich ein ganzes Arbeitskommando erwartet, das von den Menschen unter dem Zeltdach ausgeschickt würde.
Nun ja, bei der ganzen Sache war dies nicht die erste Überraschung. Hör jetzt auf mit den Arbeitshypothesen, Freund, dafür fehlen dir die Fakten!
Beschränke dich aufs Beobachten. (Ich nenne mich selbst nicht mal beim Namen).
Also verlegte ich mich aufs Zuschauen. Ich sah, wie sie den eingedrückten Bug umrundete, hineinschwamm, dann wieder heraus und schließlich darüber hinwegglitt. Dann werkelte sie mit einem Gegenstand herum, der sich als La mpe entpuppte, die an ihrem Gürtel gehangen hatte. Sie schwamm noch einmal hinein. Das bereitete mir nicht wenig Sorge. Die Tarnung des Tanks war nicht so, daß sie einer näheren Inspektion standgehalten hätte. Die Kammern, die Fortbewegungsfedern…
Da kam sie wieder heraus, ohne sichtbare Anzeichen der Erregung, und in diesem Augenblick, da dämmerte mir etwas. Ein sehr geringfügiger Punkt verglichen mit dem, was ich bereits gesehen hatte — zumindest schien er beim ersten Hinsehen geringfügig. Und als ich länger darüber nachdachte, wuchs er sich immer mehr zu einem Rätsel aus.
Ihr Unterwasseranzug war wie gesagt ganz gewöhnlich, bis auf Helm und Ballast. Diese Alltäglichkeit beinhaltete einen kleinen Tank zwischen den Schultern, dessen oberes Ende am Helm anstieß und vermutlich damit in Verbindung stand, obwohl ich keine Verbindungsröhre sehen konnte.
Das alles war noch einleuchtend. Was mich daran aber störte, war die Tatsache, daß ich keine Luftbläschen sehen konnte.
Nun bin ich mit Atemluftaufbereitungssystemen ziemlich vertraut, und kenne mich bei den dazu benötigten Chemikalien aus — Gemenge aus Alkali-Metall-Peroxyden und Superoxyden, die mit Wasser reagieren und Sauerstoff freisetzen und Kohlendioxyd aufnehmen. Und ich weiß, daß dazu neben einem Behälter für die Chemikalien und einem Misch-System auch eine Art „Lunge“ notwendig ist — ein volumenveränderlicher Umgebungsdruck-Gas-Sack oder — Tank —, wobei die Chemikalien die Zwischenstufe zwischen dieser Sack-Lunge und der Lunge des Benutzers darstellen. Das ausgeatmete Gas muß irgendwo aufbewahrt werden, bis es aufgearbeitet und wieder eingeatmet wird. Diese ›Lunge‹ muß ein Volumen haben, das die von einem Schwimmer bei einem Atemzug ausgeatmete Luft fassen kann — andersherum ausgedrückt, das Volumen muß annähernd dem seiner flachen Lunge entsprechen. An diesem Schwimmanzug war aber kein solcher Sack zu sehen, und der Rückentank war nicht annähernd groß genug, als daß darin einer hätte sein können.
Es sah ganz so aus, als käme dieses System ohne chemischen Sauerstoffvorrat aus. Wenn keine mikroskopisch kleine Pumpe vorhanden war, die die ausgeatmete Luft ganz schnell aufnahm und sie mit unglaublichem Druck in einen anderen Teil des kleinen Tankes drückte, hätte man die beim Ausatmen entstehenden Blasen sehen müssen. Ich sah keine Anzeichen für ein solches Rückverarbeitungssystem, aber ich konnte auch keine Blasen sehen. Ich hatte mir schon den Kopf zerbrochen, welche Gas-Mischung sie wohl atmete — bei diesem Druck hätte ein halbes Prozent Sauerstoff ihr die Lungen verbrannt, und ein Verdünnungsmittel war mir nicht bekannt. Sogar Helium war hier unten so stark löslich, daß Dekompression eine Sache von vielen Stunden war.
Blitzartig kam mir der Gedanke, daß hier Menschen vielleicht ständig unter diesem Druck lebten und eine fast reine Helium-Atmosphäre mit dem Bruchteil eines Prozentes Sauerstoff darin atmeten.
Wenn dies der Fall war, begriff ich aber noch immer nicht, warum der Anzug des Mädchens keine Bläschen von sich gab. Angenommen, es gäbe jeden erdenklichen wirtschaftlichen Grund, Helium wiederzugewinnen, so gibt es dabei doch technische Probleme, die meiner Ansicht nach noch nicht hinlänglich gelöst sind.
Nein. Sämtliche Hypothesen unzulänglich. Beobachtung fortsetzen! Als Tatsache liegt bislang nur vor, daß sie sich in einem geschlossenen System bei Außendruck völlig normal zu bewegen und darin zu leben scheint, und daß der fragliche Druck — lassen wir mal das alte Ammenmärchen, daß ein menschlicher Körper flachgedrückt würde — ausreichend hoch ist, um alle mit Gasdynamik zusammenhängenden biophysischen oder biochemischen Vorgänge umzustoßen.
Viel zu beobachten gab es nicht mehr. Das Mädchen hängte die Lampe wieder an ihren Gürtel, warf einen letzten Blick aufs Wrack und schwamm dann fort. Sie schlug dabei nicht den Weg ein, den sie gekommen war, sondern schwamm rechts an mir vorüber, fort aus dem beleuchteten Bereich.
Nach wenigen Sekunden war sie verschwunden, obgleich ich wußte, daß sie noch nicht sehr weit sein konnte.
Wahrscheinlich war sie unterwegs, um Hilfe zu holen. Wie lange es nun dauern würde, bis sie mit den anderen wieder zurückkam, war nicht abzuschätzen. Der Zelteingang konnte wenige hundert Yards entfernt sein oder aber auch mehrere Meilen.
Meine erste Vermutung kam mir ein wenig wahrscheinlicher vor, aber ich würde nicht einen einzigen Cent darauf setzen.
Nur meine Zukunft.
Möglich, daß sie das technische Zubehör bemerkt hatte, das meinen Tank bewegte und auf dem Boden festhielt. Und unter den gegebenen Umständen bedurfte es keines überragenden schauspielerischen Talents ihrerseits, um eine überraschte Miene zu verbergen. Wenn sie es bemerkt hatte und meldete, dann würden die, die mit ihr kamen, große Neugierde für den gesamten Bereich entwickeln. Das Tank-Äußere war in den Umrissen absichtlich ein wenig unregelmäßig gehalten, damit es nicht zu sehr als künstliches Objekt auffiel, doch konnte das Ding niemanden hinters Licht führen, der es sich genauer ansah. Vielleicht war es vorteilhafter, wenn ich mich ein Stück weiter weg bewegte. Meine persönliche Sicherheit kümmerte mich wenig.
Ich konnte immer noch entkommen, doch bevor sich das als notwendig erweisen sollte, wollte ich soviel als möglich sehen.
Das redete ich mir selbst ein.
Das Fortbewegen war in meinem Fall ein langsamer Vorgang. Beweglichkeit gehörte nicht zu den hervorragendsten Eigenschaften des Tanks. Er verfügte über zwei Dutzend Beine, und ich hatte genügend vorrätige Energie, um sie mehrere tausend Mal einzuziehen (es hatte deswegen einige Debatten gegeben), aber ich war schließlich kein geborenes Seepferdchen. Ein wenig Praxis hatte ich ja mittlerweile und konnte mich unter Wasser dahinrollen lassen, aber dieses Rollen sollte dazu dienen, mich in eine bessere Beobachtungsposition zu bringen und nicht, etwaigen Suchern zu entgehen.
Falls man mich entdeckte, blieb mir gar nichts anderes übrig, als Ballast abzuwerfen und an die Oberfläche aufzusteigen. Das war eine Einweg-Operation, zu der ich erst Zuflucht nehmen wollte, wenn es unbedingt sein sollte. Ich hatte immer noch einige Hoffnung, nähere Einzelheiten über die Vorgänge hier unten in Erfahrung zu bringen.
Vielleicht war das Mut, vielleicht aber auch nur mein angeborener Optimi smus.