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Gewiß, ich konnte es wieder mit den Beinen versuchen, und ich versuchte es. Aber mittlerweile war es zappenduster geworden, da das Licht vom Eingangsschacht und vom Zeltdach zu einem winzigen Schimmer zusammengeschrumpft war, so daß der Kerl vielleicht gar nicht merkte, daß ich wieder aktiv wurde. Wenn er sich an einem der Beine festhielt, würde es ihn vielleicht aus dem Konzept bringen, falls ich dieses Bein einzog. Andererseits würde er ein paar Schrammen abbekommen, wenn ich es wieder herausschnellen ließ. Tatsächlich aber trat weder das eine noch das andere ein, denn ich betätigte die Beine der Reihe nach etliche Male, ohne damit die kleinste Änderung des Klopfrhythmus zu erreichen.

Nun versuchte ich es mit einer Gewichtsverlagerung, um den Tank ins Rollen zu bringen. Das klappte, doch mein Passagier ließ sich davon nicht stören. Warum auch? Einem Schwimmer ist es egal, wo oben und unten ist, und einem Unterwasser-Anhalter in totaler Finsternis ist es noch gleichgültiger. Ich war eigentlich derjenige, der Grund zur Besorgnis hatte.

Wieso war dieser Typ überhaupt noch am Leben, bei Bewußtsein und dazu noch höchst aktiv? Wir waren mittlerweile mehr als tausend Fuß gestiegen und hatten Druckunterschieden standgehalten, die seinen Anzug eigentlich zum Platzen hätten bringen müssen, falls dieser tatsächlich so dicht abschloß, wie ich vermutete. War dies nicht der Fall und ließ der Kerl Gas ab, um sein Lungenvolumen zu verringern, dann würde er beim Hinuntertauchen in ernste Schwierigkeiten geraten. Überdies hätte ihn längst eine Embolie außer Gefecht setzen müssen, egal, ob er mit dem Volumen Schwierigkeiten hatte oder nicht, oder ob er Helium atmete.

Es war eine schlichte und für mich betrübliche Tatsache, daß er noch immer bei Kräften war und sich nicht abschütteln ließ.

Die Genies in der Aufsichtsbehörde, die diese Mission austüftelten, hatten nichts dergleichen vorausgesehen. Kein Zweifel, irgendein U-Boot würde mich in Kürze aufnehmen — etwas anderes war purer Irrsinn in Anbetracht der Tatsache, daß dieser Kerl noch topfit war und nicht lockerließ. Natürlich gibt es immer wieder verrückte Möglichkeiten, die man nicht außer acht lassen sollte. Vielleicht hatte er sich entschlossen, sein Leben zu opfern, damit sichergestellt war, daß ich nicht wieder an die Oberfläche kam, doch auch diese Version ging davon aus, daß „etwas“ kommen würde. Ein Torpedo etwa, oder eben irgend etwas. Persönlich hatte ich meine Zweifel bei dieser Opfer-Idee. Es gibt natürlich viele Menschen, die ihr Leben für eine Sache hingeben, die ihnen bedeutend erscheint, aber noch nie war ich einem Gesetzesbrecher begegnet, der so dachte. Und im besonderen noch nie einem Energieverschwender. Bei diesen Typen ist Selbstsucht stets die treibende Kraft.

Schluß mit der Psychologie. Tu etwas! Aber was?

Der Kerl mochte mittlerweile schon ein lebender Leichnam sein, aber er war immerhin noch da und gab Klopfzeichen. Warum nur war ich nicht in einem Arbeitsboot gekommen. Spar dir diese Frage! Eine reine Verschwendung kostbarer Überlegungszeit. Wie kann ich ihn dazu bringen, den Tank loszulassen oder zumindest, mit dem Getöse aufzuhören?

Schlecht formulierte Frage. Ich kann ihn zu gar nichts bringen. Er ist draußen, und ich bin drinnen, und bei diesem Druckunterschied werden wir zwei nie zusammenkommen. Wie kann ich ihn also überreden zu verschwinden oder mit dem Gehä mmere aufzuhören? Solange ich mich mit ihm nicht in Verbindung setze, kann ich ihn auch nicht überreden. Klar.

Ich schaltete meine Lichter ein, sowohl draußen als auch drinnen. Das wenigstens fesselte die Aufmerksamkeit des Burschen. Das Klopfen hörte einen Augenblick auf. Dann setzte es wieder ein, weniger regelmäßig zwar, und ich konnte sehen, wie er sich an eine Stelle hinarbeitete, von wo aus er durch ein Fenster hereinsehen konnte. Ich zog mich so weit zurück, daß er mich klar erkennen konnte, und wir blickten einander sekundenlang an.

Wieder hörte das Gehämmer abrupt auf.

Es war derselbe, der den Tank entdeckt hatte. Ich bin kein Gedankenleser, konnte ihm aber ansehen, daß er erst jetzt gemerkt hatte, daß jemand im Tank hockte und daß ihn diese Entdeckung erstaunte, ihm aber auch Kopfzerbrechen bereitete. Er nahm das Geklopfe wieder auf, nun in einem eher ungleichförmigen Rhythmus. Nach wenigen Sekunden merkte ich, daß er irgendeinen Code aussandte, den ich natürlich nicht verstand.

Ich versuchte ihm gestenreich klarzumachen, daß das Getöse mir Ohrenschmerzen bereitete. Seine einzige Reaktion war ein Achselzucken. Falls mein Wohlbefinden für ihn überhaupt eine Rolle spielte, so stand es jedenfalls nicht an erster Stelle seiner Dringlichkeitsliste. Schließlich war er mit der Code-Meldung fertig und nahm wieder das gleichmäßige Geklopfe auf. Er sah gar nicht wütend aus, machte kein finsteres Gesicht oder schüttelte drohend die Faust oder dergleichen, aber andererseits tat er auch nicht so, als sei ich ein lange vermißter Freund. Ich sah sein Gesicht deutlich und ohne Verzerrung durch den Helm, konnte aber in seiner Miene kein Anzeichen echten Interesses entdecken.

Ich verwendete einige Zeit darauf, ihn dazu zu bewegen, daß er auf meine Gesten reagierte, er aber beachtete mich nicht weiter. Da fiel mir ein, daß ich ihm eine Nachricht schreiben könnte, die er durchs Fenster lesen sollte, nur wußte ich nicht in welcher Sprache. In einer meiner Taschen fanden sich sogar leere Zettel, dafür aber kein Schreiber, und damit war die Idee erledigt. Schließlich gab ich es auf und schaltete meine Lichter wieder aus.

Warum sollte ich ihm noch Hilfestellung leisten beim Heranlotsen des U-Bootes?

Nun war ich am Ende meiner Weisheit. Mir wollte einfach nichts mehr einfallen. Meine Gedanken wandten sich nun der Frage zu, wie der Bursche hier unten existieren konnte. Während ich die Lichter eingeschaltet hatte, waren wir wieder einige hundert Fuß gestiegen, und sein Anzug hatte nicht eine einzige Blase freigegeben. Ich fragte mich schon, ob es sich tatsächlich um eine Druc kausgleichs-Anlage handelte. Kaum glaublich, daß etwas so Dünnes und Schmiegsames eine Druck-Rüstung sein konnte. Andererseits ließen die Eigenheiten des Zeltdaches erkennen, daß hier unten jemand auf dem Gebiet der Molekulararchitektur gewaltige Fortschritte gemacht hatte. Ich konnte daher nicht behaupten, eine solche Rüstung wäre unmöglich, aber ich hätte mir wenigstens eine vage Ahnung vom „Wie“ und „Woher“ gewünscht.


Rückblickend komme ich mir natürlich dämlich vor. Schließlich hatte ich den Mann gut beleuchtet nur wenige Fuß entfernt vor mir und bemerkte die wichtigste Tatsache nicht. Nun, wenigstens war ich nicht der einzige Dumme.

Das Geklopfe hörte nicht auf. Es war nicht schmerzhaft laut, aber immerhin sehr lästig, ganz im Stil der chinesischen Wassertropfenfolter. Aber der Kerl da draußen mußte ebenso darunter leiden wie ich und hatte dabei noch die Mühe. Und ich wußte eines: solange er klopfte, konnte die angeforderte Hilfe noch nicht nahe sein.

Zweitausend Fuß waren weniger als die halbe Strecke zur Oberfläche, für meinen Anhalter eine unglaubliche Druckveränderung. Und für mich war es kein großer Trost, daß ich jetzt so viel Wasser unter mir hatte. Auch das Doppelte wäre für mich keine Hilfe gewesen. Es war ja nicht so, daß eine ganze Polizeiabteilung oder auch nur ein einziges Boot darauf wartete, mich zu retten. Mein Tank verfügte nur über die normalen automatischen Sendeanlagen, um Hilfe herbeizuholen, und die würden erst an der Oberfläche wieder funktionieren — was ohnehin unwahrscheinlich war. Oben würde zwar in wenigen Meilen Entfernung ein Schiff der Aufsichtsbehörde warten, da der Plan nicht vorsah, daß ich den Tank allein bis zu den Osterinseln steuerte, aber das nützte mir im Moment nicht viel. Das Unwetter tobte wahrscheinlich noch, und man würde mich auf fünfzig Yards Entfernung gar nicht ausmachen können. Und wenn man mich sichtete, war man vermutlich fürs erste hilflos, weil es unwahrscheinlich war, daß an Bord spezielle Bergungsgeräte vorhanden waren. Auch ein kleineres Meeresgewitter verursacht raue See, und ein auf den Wellen tanzender Drucktank läßt sich nicht so mir nichts dir nichts aus dem Wasser fischen.

Aber auch diese Überlegung brachte einen ermutigenden Aspekt mit sich. Wenn ich an die Oberfläche gelangte, würde sich auch jedes U-Boot schwer tun, mich zu fassen. Meine Sendeanlage würde schon arbeiten und vielleicht — nur vielleicht — würden die Verfolger hübsch Zurückhaltung walten lassen, wenn ein Schiff der Aufsichtsbehörde in der Gegend herumkreuzte. Andererseits war es gut möglich, daß man meiner unbedingt habhaft werden sollte, Augenzeugen oder nicht, weil ich hier unten mehr gesehen hatte, als mir gut tat. Meine erste Hoffnung war mir jedoch wegen ihrer tröstlichen Qualität die genehmere. Als zivilisierter Mensch sollte ich erst viel später auf die Idee kommen, daß man im Falle meiner Gefangenna hme einfach ein Loch in den Tank bohren und mich absinken lassen konnte.


Vielleicht würde ich es schaffen. Die Minuten vergingen. Jede einzelne Minute brauchte dazu zwar scheinbar ein Jahr, aber sie vergingen. Und jede brachte mich zweihundert Fuß den Sturmw ogen näher. Ich hatte den Wetterbericht nicht gehört und würde mich noch einige Stunden unter Wasser aufhalten. Obwohl ich gegen Seekrankheit nicht hundertprozentig gefeit bin, wünschte ich mir tüchtigen Wellengang, damit mein Freund da draußen endlich seinen Griff lockerte. Immerhin etwas, auf das ich hoffen konnte.

Aber dazu mußte ich diese Wellen erst mal erreichen, und ich hatte noch immer eine halbe Meile vor mir. Das Gehämmer hatte noch immer nicht aufgehört. Mittlerweile hätte ich die chinesischen Wassertropfen vorgezogen, aber die wären hier unten, umschlossen von Wassermassen, ein besonders schlechter Scherz gewesen. Ich versuchte, mich von dem Geräusch abzuschließen und mich auf etwas anderes zu konzentrieren — beispielsweise den Druckregler — war seine Nadel nicht ein wenig ins Zittern geraten, was vielleicht auf den Wellengang über uns zurückzuführen war — oder auf die Frage des Essens. Falls es noch Wellengang gab, war es besser, ich wartete mit dem Essen.

Ich wechselte hektisch von einem Fenster zum anderen, damit mir das U-Boot nicht entging, das sicher schon ganz in der Nähe sein mußte. Es war jedoch mein Passagier, der es als erster bemerkte.

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