Das Lied der triumphierenden Liebe


MDXLII.

Dem Andenken Gustave Flauberts.


Wage du zu irren und zu träumen.

Schiller


Folgendes las ich in einer alten italienischen Handschrift:


I.


Um die Mitte des XVI. Jahrhunderts lebten in Ferrara – (das damals unter dem Szepter seiner prachtliebenden Herzöge, der Beschützer der Künste und der Poesie, in hoher Blüte stand) – zwei junge Männer, mit Namen Fabius und Mutius. Gleich an Alter, nahe miteinander verwandt, waren sie fast immer unzertrennlich; eine innige Freundschaft verband sie seit frühester Jugend... Dieses Band war auch durch die Ähnlichkeit ihrer Lebensschicksale gefestigt. Beide gehörten alten Geschlechtern an; beide waren reich, unabhängig und ohne Familie; auch hatten sie gleichen Geschmack und verwandte Neigungen. Mutius beschäftigte sich mit Musik, und Fabius mit Malerei. Ganz Ferrara war stolz auf sie, als auf den schönsten Schmuck des Hofes, der Gesellschaft und der Stadt. In ihrem Äußeren waren sie aber unähnlich, obwohl sie sich beide durch schlanke, jugendliche Schönheit auszeichneten: Fabius war etwas größer von Gestalt und hatte ein zartes, weißes Gesicht, blonde Haare und blaue Augen; Mutius dagegen hatte ein braunes Gesicht, schwarze Haare, und in seinen dunkelbraunen Augen lag nicht jener heitere Glanz, und auf seinen Lippen nicht jenes freundliche Lächeln wie bei Fabius; seine dichten Brauen hingen beinahe auf die schmalen Lider herab, während Fabius' goldblonde Brauen in feinen Halbkreisen auf der reinen, glatten Stirne lagen. Auch war Mutius im Gespräch weniger lebhaft; trotz alledem hatten beide Freunde bei Damen den gleichen Erfolg, denn nicht umsonst waren sie Muster ritterlicher Dienstfertigkeit und Freigebigkeit.

Um die gleiche Zeit lebte zu Ferrara eine Edeljungfrau, mit Namen Valeria. Sie galt als eine der ersten Schönheiten der Stadt, obgleich man sie nur selten zu Gesicht bekam: sie lebte sehr zurückgezogen und verließ das Haus nur um in die Kirche, und höchstens noch an großen Feiertagen auf die Promenade zu gehen. Sie lebte mit ihrer Mutter, einer adeligen, doch wenig bemittelten Witwe, deren einziges Kind sie war. Valeria flößte einem jedem, der ihr begegnete, das Gefühl unwillkürlicher Bewunderung und einer ebenso unwillkürlichen, zarten Achtung ein: so bescheiden gab sie sich, sowenig schien sie sich selbst der Macht ihrer Reize bewußt zu sein. Manche fanden sie freilich etwas blaß; der Blick ihrer Augen, die sie fast immer gesenkt hielt, drückte eine gewisse Schüchternheit und sogar Furchtsamkeit aus; ihre Lippen lächelten selten und dann auch nur kaum wahrnehmbar; ihre Stimme hatte selten jemand gehört. Aber es ging das Gerücht, daß diese Stimme sehr schön sei, und daß sie manchmal in ihrer verschlossenen Kammer, früh morgens, wo noch die ganze Stadt schlief, alte Lieder sänge und sich selbst auf der Laute begleite. Trotz ihres blassen Aussehens erfreute sich Valeria einer blühenden Gesundheit, und selbst alte Leute, welche sie sahen, sagten sich unwillkürlich: »O wie glücklich wird der Jüngling sein, für den sich diese unberührte, jungfräuliche Knospe dereinst zur Blüte entfalten wird!«



II.


Fabius und Mutius erblickten Valeria zum ersten Male bei einem prächtigen Volksfeste, das auf Befehl des Herzogs Ercole von Ferrara, eines Sohnes der berühmten Lucretia Borgia, zu Ehren der Würdenträger gegeben wurde, die aus Paris auf Einladung der Herzogin, einer Tochter des Königs Ludwig XII. von Frankreich, eingetroffen waren. Valeria saß neben ihrer Mutter in der Mitte einer schönen Tribüne, die nach dem Entwurf Palladios auf dem Hauptplatze von Ferrara für die vornehmsten Damen der Stadt errichtet war. Beide Jünglinge, Fabius und Mutius, verliebten sich am gleichen Tage leidenschaftlich in das Mädchen; und da sie vor einander nichts zu verheimlichen pflegten, erfuhr ein jeder von ihnen sehr bald, was das Herz des andern erfüllte. Sie einigten sich, daß ein jeder von ihnen versuchen werde, sich Valeria zu nähern, und wenn sie einem von ihnen den Vorzug geben sollte, werde sich der andere widerspruchslos ihrer Entscheidung unterwerfen müssen. Nach einigen Wochen gelang es den beiden, dank dem guten Rufe, den sie mit Recht genossen, Einlaß in das sonst schwer zugängliche Haus der Witwe zu erlangen; sie erlaubte ihnen, sie zu besuchen. Nun hatten sie fast täglich Gelegenheit, Valeria zu sehen und mit ihr zu sprechen; und mit jedem Tage loderte das in den Herzen der beiden Jünglinge entzündete Feuer heftiger empor; Valeria schien indessen keinem von ihnen den Vorzug zu geben, obgleich sie an diesen Besuchen offenbar Gefallen hatte. Mit Mutius trieb sie Musik, unterhielt sich aber lieber mit Fabius, in dessen Gesellschaft sie viel unbefangener war. Endlich sandten die Jünglinge, um sich Gewißheit über ihr Los zu verschaffen, Valeria einen Brief mit der Bitte, sie möchte sich ihnen selbst erklären und sagen, wem sie ihre Hand geben wolle. Valeria zeigte diesen Brief der Mutter und erklärte ihr, daß sie bereit sei, Jungfrau zu bleiben; wenn aber die Mutter meine, daß es für sie Zeit sei, in die Ehe zu treten, so wolle sie den heiraten, den ihr die Mutter bestimmen würde. Die ehrsame Witwe vergoß einige Tränen bei dem Gedanken an die Trennung von dem geliebten Kinde; sie hatte jedoch keinen Grund, die Freier abzuweisen: einen jeden von ihnen hielt sie für gleich wert, die Hand ihrer Tochter zu erlangen. Doch da sie in der Tiefe ihrer Seele Fabius vorzog und ahnte, daß er auch Valeria mehr zusagte, wies sie auf ihn. Fabius erfuhr schon am nächsten Tage von seinem Glück; und Mutius blieb nichts anderes übrig, als sein Wort zu halten und sich zu fügen.

Das tat er auch; aber Zeuge des Triumphes seines Freundes und Rivalen zu sein, – ging über seine Kraft. Er verkaufte sofort den größeren Teil seines Besitzes und begab sich mit den paar tausend Dukaten, die er dafür bekam, auf eine weite Reise nach dem Morgenlande. Beim Abschied versprach er Fabius, nicht eher zurückzukommen, als bis er fühlen werde, daß die letzten Spuren der Leidenschaft in ihm erloschen wären. Es fiel Fabius schwer, sich von dem Freunde seiner Kindheit und seiner Jugend zu trennen... doch die freudige Erwartung einer nahen Seligkeit ließ alle anderen Gefühle verstummen, und er überließ sich ganz den Wonnen seiner vom Erfolg gekrönten Liebe.

Bald darauf ging er die Ehe mit Valeria ein und erst da erkannte er den ganzen Wert des Schatzes, den er gewonnen hatte. Er besaß eine schöne Villa, in einem schattigen Garten gelegen, in nicht allzugroßer Entfernung von Ferrara; in diese Villa zog er mit seiner Gattin und ihrer Mutter. Eine selige Zeit brach für die beiden an. Valeria zeigte in der Ehe alle ihre Vorzüge und Reize in einem neuen, bezaubernden Lichte; Fabius entwickelte sich aber zu einem bedeutenden Maler: er war nicht mehr einfacher Dilettant, sondern ein Meister. Die Mutter Valerias weidete sich am Glück des jungen Paares und dankte Gott. Vier Jahre zogen dahin so schnell und unbemerkt wie ein seliger Traum. Nur eins fehlte den jungen Gatten, sie hatten nur den einen Kummer: der Himmel gab ihnen keine Kinder... aber die Hoffnung verließ sie nicht. Am Ende des vierten Jahres erfuhren sie ein großes, diesmal wirkliches Unglück: nach kurzer Krankheit starb die Mutter Valerias.

Valeria vergoß viele Tränen und konnte sich lange nicht in den Verlust finden. Aber es verging noch ein Jahr, das Leben trat wieder in seine Rechte, und alles kam in das frühere Geleise. Und da, an einem schönen Sommerabend, kehrte nach Ferrara, ohne jemand benachrichtigt zu haben, Mutius zurück.



III.


In den ganzen fünf Jahren, die er abwesend war, hatte niemand etwas von ihm gehört; alle Gerüchte über ihn waren verstummt, als ob er ganz vom Erdboden verschwunden wäre. Als Fabius seinem Freund in einer der Straßen von Ferrara begegnete, schrie er beinahe laut auf, – zuerst vor Erstaunen und dann vor Freude. Er lud ihn sogleich nach seiner Villa ein. In seinem Garten hatte er einen abgesonderten, geräumigen Pavillon, und er schlug dem Freunde vor, in diesen Pavillon zu ziehen. Mutius ging gern darauf ein und siedelte noch am gleichen Tage in Begleitung seines stummen, malaiischen Dieners dahin über. Der Malaie war stumm doch nicht taub und sogar, nach der Lebendigkeit seines Blickes zu schließen, sehr aufgeweckt und verständig... Man hatte ihm einst die Zunge herausgeschnitten. Mutius brachte zahlreiche Koffer mit, angefüllt mit den verschiedenartigsten Kostbarkeiten, die er auf seinen langen Reisen gesammelt hatte. Auch Valeria freute sich über die Rückkehr des Mutius; er begrüßte sie freundschaftlich heiter, doch ruhig, und man konnte nach seinem ganzen Gebaren schließen, daß er seinem Freund Fabius das Wort gehalten hatte. Im Laufe des ersten Tages richtete er sich in seinem Pavillon ein und packte mit Hilfe des Malaien die mitgebrachten Schätze aus: Teppiche, seidene Stoffe, Gewänder aus Samt und Brokat, Waffen, Schalen, Schüsseln und Becher, verziert mit Email, Gegenstände aus Gold und Silber, geschmückt mit Perlen und Türkisen, geschnitzte Kästchen aus Bernstein und Elfenbein, geschliffene Flaschen, Gewürze und Räucherwerk, Tierfelle, Federn unbekannter Vögel und eine Menge anderer Sachen, deren Gebrauch sogar geheimnisvoll und unbegreiflich erschien. Unter allen diesen Kostbarkeiten war auch ein reiches Perlenhalsband, das Mutius vom persischen Schah für einen gewissen großen und geheimen Dienst erhalten hatte; er bat Valeria um Erlaubnis, ihr dieses Perlenhalsband eigenhändig um den Hals legen zu dürfen: es erschien ihr ungewöhnlich schwer und mit einer seltsamen Wärme behaftet... es schmiegte sich auch sofort fest an ihre Haut. Am Abend nach der Mahlzeit saßen sie alle auf der Terrasse der Villa im Schatten der Oleander und Lorbeeren, und Mutius begann seine Erlebnisse zu schildern. Er erzählte von den fernen Ländern, die er besucht, von Bergen, die über die Wolken hinaufragen, von Flüssen, groß und mächtig wie Meere; er sprach von riesenhaften Gebäuden und Tempeln, von tausendjährigen Bäumen, von in allen Farben des Regenbogens schillernden Blumen und Vögeln, er nannte die Namen der Städte und Völker, die er besucht hatte... schon diese Namen klangen wie Märchen. Mutius kannte den ganzen Orient: er hatte Persien durchreist und Arabien, wo die Pferde schöner und edler sind als alle anderen Geschöpfe; war in die Tiefe Indiens eingedrungen, wo die Menschen herrlichen Gewächsen gleichen; hatte die Grenzen Chinas und Tibets erreicht, wo ein Gott, namens Dalai-Lama in Gestalt eines schweigsamen Mannes mit Schlitzaugen leibhaftig auf Erden wohnt. Wunderbar waren seine Erzählungen! Fabius und Valeria hörten ihm wie bezaubert zu. Mutius hatte sich äußerlich wenig verändert: sein von Kindheit an braunes Gesicht war nur noch etwas dunkler geworden, versengt von den Strahlen einer heißeren Sonne, und die Augen schienen etwas tiefer als früher; das war auch alles. Sein Gesichtsausdruck war aber ein anderer geworden: er schien in sich gekehrt, ernst, und belebte sich auch dann nicht, wenn er von den Gefahren sprach, die er bestanden, nachts in Wäldern, wo Tiger heulten, oder am Tage, auf einsamen Wegen, wo Fanatiker auf die Reisenden lauerten, um sie zu Ehren einer eisernen Göttin, die nach Menschenopfern verlangt, zu erdrosseln. Auch die Stimme Mutius' war dumpfer und eintöniger geworden; die Bewegungen seiner Arme und des ganzen Körpers hatten jene Freiheit und Ungezwungenheit verloren, die sonst den Italienern eigen ist. Mit Hilfe seines Dieners, des unterwürfigen und flinken Malaien, zeigte er seinen Freunden einige Kunststücke, die er von den indischen Brahminen gelernt hatte. So versteckte er sich z. B. hinter einem Vorhange und erschien plötzlich mit untergeschlagenen Beinen frei in der Luft schwebend, wobei er sich nur leicht mit den Fingerspitzen auf ein senkrecht aufgestelltes Bambusrohr stützte, was Fabius in großes Erstaunen setzte und Valeria sogar erschreckte... – »Ist er wohl gar mit bösen Mächten im Bunde?« dachte sie. – Als er aber mit den Tönen einer kleinen Flöte aus einem geschlossenen Korbe zahme Schlangen hervorzulocken begann und als die Schlangen, ihre Stacheln bewegend, die dunklen, platten Köpfe unter der bunten Decke hervorsteckten, geriet Valeria in Entsetzen und bat Mutius, diese ekelhaften Geschöpfe so schnell wie möglich zu verstecken. Beim Nachtmahl traktierte Mutius seine Freunde mit Schiras-Wein aus einer langhalsigen bauchigen Flasche; der ungewöhnlich aromatische und dicke Wein war von goldener Farbe und schillerte grünlich und geheimnisvoll in den kleinen Schalen aus Jaspis, in die er ihn einschenkte. Sein Geschmack war von dem der europäischen Weine verschieden: er war sehr süß und würzig, und wirkte, wenn man ihn langsam in kleinen Zügen trank, angenehm einschläfernd auf alle Glieder. Mutius nötigte Fabius und Valeria davon zu trinken und trank auch selbst. Er beugte sich über Valerias Schale und flüsterte etwas, wobei er die Finger eigentümlich bewegte. Valeria bemerkte es; da ihr aber die Manieren Mutius' und sein ganzes Auftreten auch ohnehin fremd und sonderbar vorkamen, dachte sie nur: »Hat er vielleicht in Indien irgend einen fremden Glauben angenommen? Oder herrschen dort solche Gebräuche?« – Nach kurzem Schweigen fragte sie ihn, ob er auch während seiner Reise Musik getrieben habe. Als Antwort ließ er sich von seinem Malaien seine indische Geige bringen. Sie glich den hiesigen, nur hatte sie statt der vier Saiten drei; sie war mit bläulicher Schlangenhaut überzogen, und der dünne Bogen aus Rohr war zu einem Halbkreis geschwungen und trug an seinem Ende einen spitzgeschliffenen funkelnden Diamanten.

Mutius spielte zunächst einige traurige, wie er behauptete, volkstümliche Lieder, die für ein italienisches Ohr seltsam und sogar wild klangen; die metallenen Saiten tönten klagend und schwach. Als aber Mutius ein neues Lied anstimmte, wurde der Ton plötzlich stark und klangvoll; der Bogen, den er sehr breit führte, zauberte eine leidenschaftliche Melodie hervor, sie glitt anmutig dahin, wie jene Schlange, deren Haut die Geige bedeckte; und die Melodie leuchtete und glühte in solchem Feuer, in solchem triumphierenden Jubel, daß es Fabius und Valeria ganz unheimlich zumute wurde, und ihnen Tränen in die Augen traten... während Mutius, mit gebeugtem, an die Geige gedrücktem Kopf, mit blassen Wangen und zu einem Strich zusammengezogenen Brauen noch ernster, noch mehr in sich gekehrt erschien, und der Diamant an der Spitze des Bogens im Hin- und Hergehen blendende Funken um sich warf, gleichsam vom Feuer des wunderbaren Liedes entzündet. Als Mutius geendet hatte, hielt er die Geige noch immer zwischen Kinn und Schultern gedrückt, ließ aber die Hand mit dem Bogen sinken. - »Was ist das? Was hast du uns gespielt?« rief Fabius. – Valeria sprach kein Wort, schien aber mit ihrem ganzen Wesen die Frage ihres Mannes zu wiederholen. Mutius legte die Geige auf den Tisch, schüttelte leicht das Haar und sagte höflich lächelnd: »Das? Diese Weise... dieses Lied hörte ich einmal auf der Insel Ceylon. Es heißt dort im Volke das Lied der glücklichen, befriedigten Liebe.« – »Spiele es noch einmal,« flüsterte Fabius. – »Nein; ich darf es nicht wiederholen,« entgegnete Mutius. »Auch ist es zu spät. Signora Valeria bedarf der Ruhe und auch ich muß gehen... ich bin so müde.« Im Laufe dieses ganzen Tages hatte sich Mutius im Verkehr mit Valeria höflich und einfach, wie ein alter Freund benommen; beim Abschied drückte er ihr aber auffallend fest die Hand, wobei er seine Finger auf ihre Handfläche preßte, und blickte ihr so unverwandt ins Gesicht, daß sie, obwohl sie die Augenlider gesenkt hatte, diesen Blick auf ihren plötzlich erglühenden Wangen spürte. Sie sagte nichts zu Mutius, riß aber ihre Hand aus der seinigen los, und als er gegangen war, warf sie noch einen Blick auf die Türe, durch die er sich entfernt hatte. Es fiel ihr ein, daß sie auch in den früheren Jahren vor ihm eine gewisse Furcht gehabt hatte... nun war sie ganz verwirrt. Mutius begab sich nach seinem Pavillon, und die Gatten zogen sich in ihr Schlafgemach zurück.



IV.


Valeria konnte lange nicht einschlafen; ihr Blut wogte langsam und matt, und in ihrem Kopfe sang es ganz leise... Es kam vom seltsamen Wein, meinte sie, vielleicht auch von den Erzählungen des Mutius, oder von seinem Geigenspiel... Erst beim Morgengrauen schlief sie ein und hatte einen wunderbaren Traum.

Es war ihr, als träte sie in ein geräumiges Zimmer mit niedriger gewölbter Decke... Ein solches Zimmer hatte sie noch nie im Leben gesehen. Alle Wände waren mit kleinen blauen, mit goldenem Blumenmuster verzierten Kacheln bekleidet; schlanke Säulen von geschnitztem Alabaster stützten die Marmordecke; die Decke und die Säulen waren wie durchsichtig... bleiches rosiges Licht drang von allen Seiten in den Raum und übergoß geheimnisvoll und gleichmäßig alle Gegenstände; in der Mitte des spiegelglatten Fußbodens lagen auf einem schmalen Teppich Kissen aus Brokat. In den Ecken rauchten kaum wahrnehmbar große Räucherbecken in Form von Märchenungeheuern; es gab hier keine Fenster; in einer Wandnische dunkelte stumm eine mit einem Samtvorhang verhängte Tür. Und plötzlich gleitet dieser Vorhang langsam zur Seite... und an der Schwelle erscheint Mutius. Er verbeugt sich vor ihr, öffnet die Arme, lacht... Seine harten Arme umschlingen roh Valerias Oberkörper, seine trockenen Lippen versengen sie am ganzen Leibe... Sie sinkt zurück auf die Polster...



Valeria stöhnt vor Schreck auf, macht verzweifelte Anstrengungen und erwacht. Ohne noch zu begreifen, wo sie ist und was mit ihr geschehen, richtet sie sich im Bette auf und blickt sich ganz bestürzt um... Sie bebt am ganzen Körper... Fabius liegt an ihrer Seite. Er schläft; doch sein Gesicht scheint im Lichte des runden und hellen Vollmondes, der durchs Fenster hereinblickt, bleich wie bei einem Toten... es ist trauriger als das Gesicht eines Toten. Valeria weckt ihren Mann, und als er sie erblickt, ruft er aus: »Was hast du?« – »Ich hatte... ich hatte einen schrecklichen Traum,« flüstert sie, noch immer am ganzen Leibe bebend...

Aber in diesem Augenblick erklangen vom Pavillon her laute seltsame Töne, und beide, Fabius wie Valeria, erkannten die Melodie, die ihnen Mutius vorgespielt und die er das Lied der befriedigten, triumphierenden Liebe genannt hatte. – Fabius blickte verlegen auf Valeria... sie schloß die Augen, wandte sich ab, – und beide lauschten mit verhaltenem Atem dem Liede bis zu Ende. Als der letzte Ton erstorben war, versteckte sich der Mond hinter einer Wolke, und im Zimmer wurde es plötzlich dunkel... Beide Gatten ließen ihre Köpfe auf die Polster sinken, ohne ein Wort zu wechseln – und keiner von den beiden merkte, wann der andere einschlief.



V.


Am nächsten Morgen kam Mutius zum Frühstück; er schien zufrieden und begrüßte Valeria sehr heiter. Sie erwiderte den Gruß ganz verwirrt, sie blickte ihn flüchtig an und erschrak vor seinem zufriedenen, heiteren Gesicht, vor seinen durchdringenden, fragenden Augen. Mutius begann wieder etwas zu erzählen, Fabius unterbrach ihn aber beim ersten Wort.

»Du hast wohl am neuen Orte nicht einschlafen können? Wir beide hörten, wie du das gestrige Lied spieltest.«

»Ja? Habt ihr es gehört?« sagte Mutius. »Ich habe es wirklich gespielt; vorher hatte ich aber geschlafen und sogar einen wunderbaren Traum gehabt.«

Valeria horchte auf. »Was für einen Traum?« fragte Fabius.

»Es war mir,« antwortete Mutius, indem er unverwandt auf Valeria blickte, »es war mir, als ob ich in ein geräumiges Zimmer träte; es hatte eine gewölbte Decke und war in orientalischem Geschmack ausgestattet. Geschnitzte Säulen trugen die Decke, die Wände waren mit Kacheln bekleidet, und obwohl es weder Fenster noch Kerzen gab, war das ganze Zimmer von einem rosigen Lichtschein erfüllt, als ob seine Wände aus durchsichtigen Steinen zusammengefügt wären. In den Ecken standen chinesische Räucherbecken, auf dem Boden lagen auf einem schmalen Teppich Brokatkissen. Ich betrat den Raum durch eine verhängte Türe und aus einer anderen Türe, gegenüber, erschien eine Frau, die ich einst geliebt hatte. Und sie erschien mir so schön, daß ich wieder in Liebe zu ihr entbrannte wie früher...«

Mutius schwieg bedeutungsvoll. Valeria saß unbeweglich, wurde immer bleicher und atmete immer tiefer.

»Da erwachte ich,« fuhr Mutius fort, »und spielte jenes Lied.«

»Wer war sie?« fragte Fabius.

»Wer sie war? Die Frau eines Indiers. Ich hatte sie in der Stadt Delhi kennen gelernt... Sie ist nicht mehr am Leben... sie ist gestorben.«

»Und der Gatte?« fragte Fabius, ohne selbst zu wissen, warum.

»Auch der Gatte soll tot sein. Ich habe die beiden bald aus dem Gesicht verloren.«

»Seltsam!« bemerkte Fabius. »Auch meine Frau will diese Nacht einen sonderbaren Traum gehabt haben (Mutius blickte unverwandt auf Valeria), den sie mir nicht erzählt hat,« fügte Fabius hinzu.

In diesem Augenblick stand aber Valeria auf und verließ das Zimmer. – Auch Mutius ging gleich nach dem Frühstück fort und erklärte, daß er in Geschäften nach Ferrara müsse und vor Abend nicht zurückkehren werde.



VI.


Einige Wochen vor der Rückkehr des Mutius hatte Fabius das Bildnis seiner Frau begonnen; es stellte sie mit den Attributen der heiligen Cäcilie dar. – Er hatte in seiner Kunst große Fortschritte gemacht; der berühmte Luini, ein Schüler Leonardo da Vincis, hatte ihn in Ferrara besucht und ihm neben eigenen Ratschlägen auch einige Lehren seines großen Meisters mitgeteilt. Das Bildnis war fast fertig; Fabius hatte nur noch mit wenigen Strichen das Gesicht zu vollenden; er durfte auf sein Werk mit Recht stolz sein. – Nachdem er Mutius nach Ferrara hatte ziehen lassen, begab er sich in seine Werkstatt, wo ihn Valeria zu erwarten pflegte; diesmal fand er sie aber nicht vor; er rief sie, und sie antwortete nicht. Fabius fühlte sich von einer geheimen Unruhe erfaßt und begann sie zu suchen. Im Hause war sie nicht; Fabius lief in den Garten und fand schließlich Valeria in einer der entlegensten Alleen. Den Kopf auf die Brust gesenkt, die Hände auf den Knien gekreuzt, so saß sie auf einer Bank, und hinter ihr hob sich vom dunklen Grün einer Zypresse ein marmorner Satyr ab, der schadenfroh grinste und an den gespitzten Lippen eine Flöte hielt. Valeria freute sich sichtlich über das Erscheinen des Gatten und antwortete auf seine unruhigen Fragen, daß sie etwas Kopfweh habe, daß dies aber nichts weiter bedeute und daß sie bereit sei, ihm zu sitzen. Fabius geleitete sie in die Werkstatt, setzte sie auf den gewohnten Platz und ergriff den Pinsel; doch zu seinem großen Verdruß wollte ihm das Gesicht nicht gelingen, so wie er es gewollt hatte. Und nicht etwa, weil es blaß und ermattet erschien... nein; aber jenen reinen, heiligen Ausdruck, der ihm an ihr so gut gefiel und der ihn auf den Gedanken gebracht hatte, seine Gattin als die heilige Cäcilie darzustellen, – diesen Ausdruck fand er heute nicht. Schließlich warf er den Pinsel fort, sagte Valeria, daß er heute nicht in der Stimmung sei und daß es auch ihr guttun würde, sich hinzulegen, da sie nicht ganz wohl zu sein scheine, und stellte die Staffelei mit dem Bilde zur Wand. Valeria stimmte ihm zu, daß sie ausruhen müsse, klagte noch einmal über Kopfweh und zog sich in ihr Schlafgemach zurück. Fabius blieb in der Werkstatt. Er fühlte eine sonderbare Erregung, die er gar nicht begreifen konnte. Die Anwesenheit Mutius' unter seinem Dache, die er selbst heraufbeschworen hatte, war ihm auf einmal lästig. Es war nicht Eifersucht... wie hätte er auch auf Valeria eifersüchtig sein können! – er erkannte aber in Mutius nicht mehr den früheren Freund. All das Fremde, Unbekannte, Neue, was Mutius aus den fernen Ländern mitgebracht hatte und was ihm in Fleisch und Blut übergegangen zu sein schien – alle diese magischen Kunstgriffe, Lieder, seltsamen Getränke, dieser stumme Malaie, und selbst der scharfe würzige Duft, den die Kleider Mutius', sein Haar und sein Atem ausströmten, – all das flößte Fabius ein Gefühl ein, welches dem Mißtrauen, vielleicht sogar der Furcht ähnlich war. Warum starrte dieser Malaie, wenn er bei Tisch bediente, ihn, Fabius so unangenehm und unverwandt an? Man konnte wirklich meinen, er verstände italienisch. Mutius behauptete von ihm, daß er, indem er sich die Zunge herausschneiden ließ, ein großes Opfer gebracht habe, wofür er aber jetzt über eine große geheime Kraft verfüge. – Was war das für eine Kraft? Und wie hat er sie um den Preis seiner Zunge erlangen können? Das alles war ja so seltsam, so unbegreiflich! – Fabius ging zu seiner Frau ins Schlafzimmer. Sie lag angekleidet auf dem Bett, schlief aber nicht. Als sie seine Schritte hörte, fuhr sie zusammen, war aber dann über sein Kommen ebenso erfretit wie vorhin im Garten. Fabius setzte sich zu ihr ans Bett, ergriff Valerias Hand und fragte sie nach kurzem Schweigen, welch einen ungewöhnlichen Traum sie heute Nacht gehabt und warum er sie so erschreckt habe. Ob er in der Art jenes Traumes gewesen sei, von dem Mutius erzählt habe? – Valeria errötete und erwiderte: »O nein, nein! Ich sah... ein Ungeheuer, das mich zerreißen wollte.« – »Ein Ungeheuer? In Menschengestalt?« fragte Fabius. – »Nein, in Gestalt eines Tieres... eines Tieres!« – Und Valeria wandte sich ab und verbarg ihr glühendes Gesicht in den Kissen. Fabius hielt noch eine Weile die Hand seiner Frau in der seinigen fest, führte sie dann schweigend an seine Lippen und verließ das Schlafgemach.

Beide Gatten hatten an diesem Tage wenig Freude. Etwas Finsteres schien über ihnen zu lasten... aber was es war, wußten sie nicht zu sagen. Sie hatten das Bedürfnis, beieinander zu sein, als ob ihnen eine Gefahr drohte; – sie wußten aber nicht, was sie einander sagen könnten. Fabius versuchte wieder am Bilde zu arbeiten; dann nahm er wieder Ariost vor, dessen Gedicht erst vor kurzem in Ferrara erschienen und schon in ganz Italien berühmt war; es wollte ihm aber nichts gelingen... Spät am Abend, gerade zum Nachtmahl, kehrte Mutius zurück.



VII.


Er schien ruhig und zufrieden, erzählte aber sehr wenig; umsomehr Fragen richtete er an Fabius: über die früheren gemeinsamen Bekannten, den deutschen Feldzug, über Kaiser Karl; er sprach auch von seinem Wunsch, nach Rom zu gehen, um den neuen Papst zu sehen. Er bot Valeria wieder den Schiras- Wein an; und als sie ablehnte, murmelte er wie vor sich hin: »Jetzt ist es nicht mehr nötig.« – Die Gatten begaben sich nach dem Nachtmahl in ihr Schlafgemach, und Fabius schlief rasch ein... Als er aber nach einer Stunde erwachte, sah er, daß niemand sein Lager teilte: Valeria lag nicht an seiner Seite. Er stand rasch auf und sah im gleichen Augenblick, wie seine Frau im Nachtgewande aus dem Garten ins Zimmer zurückkehrte. – Obwohl es kurz vorher geregnet hatte, schien der Mond hell am heiteren Himmel. Valeria näherte sich mit geschlossenen Augen und dem Ausdrucke geheimen Grauens auf dem unbeweglichen Gesicht dem Bette, betastete es mit vorgestreckten Armen und legte sich rasch und stumm nieder. Fabius wandte sich an sie mit einer Frage, sie gab ihm aber keine Antwort und schien zu schlafen. Er berührte sie und fühlte an ihrer Kleidung und an ihrem Haar Regentropfen und an den Sohlen ihrer bloßen Füße – Sandkörner. Da sprang er auf und lief durch die halbgeöffnete Türe in den Garten hinaus. Das ungemein grelle Mondlicht lag auf allen Dingen. Fabius blickte sich um und entdeckte auf dem Sande des Weges die Spuren von zwei Paar Füßen, von denen das eine barfuß war; die Spuren führten zu einer Jasminlaube, die etwas abseits zwischen dem Hause und dem Pavillon stand. Er blieb ganz verwirrt stehen – und plötzlich erklangen wieder die Töne des Liedes, das er in der vergangenen Nacht gehört hatte! Fabius zuckte zusammen und eilte in den Pavillon... Mutius stand mitten im Zimmer und spielte auf der Geige. Fabius stürzte auf ihn zu.

»Du warst im Garten, du warst im Freien, deine Kleider sind vom Regen naß!«

»Nein... ich weiß nicht... ich glaube... ich war nicht draußen...« antwortete Mutius mit sichtbarer Anstrengung, gleichsam verwundert über das plötzliehe Erscheinen Fabius' und dessen Erregung.

Fabius ergreift seine Hand. »Und warum spielst du wieder diese Weise? Hast du wieder geträumt?«

Mutius blickt Fabius noch immer erstaunt an und schweigt.

»Antworte doch!«

»Kupfern steht des Mondes Schild,

Schlangengleich das Bächlein quillt,

Und der Habicht packt das Wild,

Und des Freundes Stimme schrillt:

Hilf!..«

murmelt Mutius singend, wie im Schlafe.

Fabius taumelte einige Schritte zurück, starrte Mutius an, blieb noch eine Weile unschlüssig stehen,... und kehrte nach Hause und in sein Schlafgemach zurück.

Das Haupt auf die Schulter gebeugt und die Arme kraftlos zur Seite geworfen, schlief Valeria einen schweren Schlaf. Es dauerte einige Zeit, bis es ihm gelang, sie zu wecken... Als sie ihn erkannte, warf sie sich an seinen Hals und umarmte ihn krampfhaft; sie bebte am ganzen Körper. – »Was hast du, meine Liebe, was hast du?« wiederholte Fabius, indem er sich Mühe gab, sie zu beruhigen. Sie lag aber, noch immer am ganzen Leibe bebend, an seiner Brust. – »Ach, welch furchtbare Träume habe ich!« flüsterte sie, sich mit dem Gesicht an ihn schmiegend. Fabius wollte sie ausfragen, aber sie begann bei seinem ersten Worte noch mehr zu zittern...

Die Fensterscheiben röteten sich im ersten Frühlicht, als sie endlich in seinen Armen einschlummerte.



VIII.


Am nächsten Tage war Mutius schon am frühen Morgen verschwunden, und Valeria erklärte dem Gatten, daß sie ein nahes Kloster aufsuchen wolle, wo ihr Beichtvater, ein alter ehrwürdiger Mönch, zu dem sie grenzenloses Vertrauen habe, wohnte. Auf die Fragen Fabius' antwortete sie, daß sie ihr Herz, auf dem die ungewöhnlichen Eindrücke der letzten Tage so schwer lasteten, durch die Beichte erleichtern möchte. Als Fabius sah, wie abgemagert ihr Gesicht war, als er hörte, wie dumpf und müde ihre Stimme klang, billigte er ihren Entschluß: der ehrwürdige Pater Lorenzo könnte ihr mit gutem Rat beistehen und ihre Zweifel zerstreuen... Valeria begab sich unter dem Schutze von vier Begleitern ins Kloster, während Fabius zu Hause blieb. In Erwartung der Rückkehr seiner Frau irrte er im Garten umher und suchte sich, gepeinigt von beständiger Furcht und Zorn und unbestimmtem Verdacht, zu erklären, was mit ihr vorging... Er ging einige Male in den Pavillon, Mutius war aber noch nicht zurückgekehrt, und der Malaie blickte ihn an wie ein Götze, den Kopf ehrfurchtsvoll geneigt, mit einem rätselhaften und, wie es Fabius schien, bedeutungsvollen und unheimlichen Lächeln auf dem bronzenen Gesicht. Valeria erzählte indessen in der Beichte ihrem Seelsorger, weniger von Scham als von Furcht gequält, alles, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte. Der Seelsorger hörte ihr aufmerksam zu, gab ihr seinen Segen, erteilte ihr ob der unfreiwilligen Sünde Absolution, dachte aber bei sich selber: »Zauberei, Blendwerk des Teufels... das darf ich nicht so bleiben lassen...« Unter dem Vorwande, sie völlig beruhigen und trösten zu wollen, begab er sich mit Valeria nach ihrer Villa. – Als Fabius den Beichtvater sah, wurde er von neuer Unruhe ergriffen; doch der vielerfahrene Greis hatte sich noch vorher überlegt, was er tun müsse. Als er mit Fabius allein blieb, verriet er ihm zwar das Beichtgeheimnis nicht, gab ihm aber den Rat, den Gast, den er selbst eingeladen hatte und der durch seine Erzählungen, Lieder und sein ganzes Gebaren die Phantasie Valerias verwirrte, wenn es nur irgendmöglich sei, aus seinem Hause zu entfernen. Außerdem, meinte der Greis, sei Mutius auch früher, soviel er sich erinnern könne, nicht sonderlich fest im Glauben gewesen; nachdem er sich aber so lange in fremden Ländern, die noch nicht vom Lichte des Christentums erleuchtet seien, aufgehalten habe, hätte er sich dort leicht mit der Pest der Irrlehren und sogar mit den Geheimnissen der Magier angesteckt haben können. Wenn ihm auch die alte Freundschaft gewisse Rechte gebe, so gebiete ihm doch die kluge Vorsicht, sich von Mutius zu trennen. Fabius stimmte völlig der Ansicht des ehrwürdigen Mönches zu, und sogar Valeria wurde wieder heiter, als der Gatte ihr den Rat des Beichtvaters mitteilte; von den Segenswünschen der beiden begleitet, mit reichen Geschenken für das Kloster und für die Armen beladen, kehrte Pater Lorenzo in sein Kloster zurück.

Fabius wollte gleich nach dem Nachtmahl mit Mutius sprechen, doch der unheimliche Gast war auch zum Nachtmahl noch nicht zurückgekehrt. Daher beschloß Fabius, die Aussprache mit Mutius auf den nächsten Morgen zu verschieben, und beide Gatten begaben sich in ihr Schlafgemach.



IX.


Valeria schlief bald ein, aber Fabius konnte lange keine Ruhe finden. In der Stille der Nacht trat ihm alles, was er gesehen und empfunden hatte, noch lebendiger vor Augen; er stellte sich noch hartnäckiger die Fragen, auf die er noch immer keine Antwort finden konnte .. Ob Mutius tatsächlich mit den bösen Mächten im Bunde stehe und ob er Valeria nicht vergiftet habe? – Sie war krank, doch was war ihre Krankheit? – Während er, den Kopf in die Hand gestützt und den heißen Atem anhaltend, sich den bangen Zweifeln überließ, ging am wolkenlosen Himmel wieder der Mond auf; und zugleich mit seinen Strahlen drang durch die halbdurchsichtigen Fensterscheiben, von der Seite des Pavillons her, – oder kam es Fabius nur so vor? – drang ein leichter duftender Hauch ins Zimmer... da hörte er ein zudringliches, leidenschaftliches Geflüster... und im gleichen Augenblick sah er, wie Valeria sich auf ihrem Lager leise rührte. Er fährt zusammen und sieht: sie erhebt sich, steckt erst das eine, dann das andere Bein aus dem Bett und geht wie eine Mondsüchtige, die trüben Augen leblos geradeaus gerichtet, die Arme vorgestreckt zur Gartentüre! Fabius stürzt im gleichen Augenblick durch eine andere Türe aus dem Schlafgemach, läuft, so schnell er kann, um die Ecke des Hauses herum und drückt die Türe, die nach dem Garten führt, von außen zu. Kaum hat er aber die Klinke erfaßt, als er merkt, daß jemand die Türe von innen öffnen will, sich gegen sie stemmt, – wieder und wieder – dann hört er ein schmerzvolles Aufstöhnen...

»Aber Mutius ist ja noch nicht zurückgekehrt,« geht es Fabius durch den Kopf, – und er stürzt zum Pavillon.

Und was sieht er?

Ihm entgegen kommt auf dem vom Mondlicht übergossenen Wege gleichfalls wie ein Mondsüchtiger, gleichfalls die Arme vorgestreckt und die Augen leblos und starr aufgerissen, Mutius... Fabius eilt ihm entgegen, aber jener sieht ihn nicht, schreitet langsam und gemessen, und sein unbewegliches Gesicht zeigt im Mondlichte das gleiche Lächeln, wie es Fabius beim Malaien wahrgenommen hat. Fabius will ihn beim Namen rufen... doch im gleichen Augenblicke hört er: hinten im Hause wird ein Fenster geöffnet... Er blickt zurück...

Und in der Tat: das Fenster im Schlafzimmer ist ganz heruntergeklappt, und im Fenster steht Valeria, einen Fuß über das Fensterbrett erhoben... ihre Arme scheinen Mutius zu suchen... sie strebt mit ihrem ganzen Leibe zu ihm hin...

Unbeschreibliche Wut erfüllte plötzlich Fabius. – »Verfluchter Zauberer!« schrie er rasend auf, packte Mutius mit der einen Hand an der Kehle, zog mit der anderen den Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn bis an den Griff in Mutius' Hüfte.

Mutius schrie durchdringend auf, drückte sich die Hand auf die Wunde und lief stolpernd in seinen Pavillon zurück... doch im gleichen Augenblick, als Fabius ihn traf, schrie auch Valeria ebenso durchdringend auf und fiel wie vom Blitze getroffen zu Boden.

Fabius eilte zu ihr hin, hob sie auf, trug sie ins Bett und sprach auf sie ein...

Sie lag lange regungslos; endlich öffnete sie die Augen, holte tief Atem so freudig und tief, wie ein Mensch, der soeben einem unvermeidlichen Tode entronnen ist, erkannte den Gatten, umschlang seinen Hals mit den Armen und schmiegte ihr Haupt an seine Brust. – »Du, du, das bist du!« lallte sie. Allmählich lösten sich ihre Arme, der Kopf fiel zurück, sie flüsterte mit seligem Lächeln: »Gott sei Dank, alles ist vorbei... Aber ich bin so müde!« und sank in einen festen, doch nicht schweren Schlaf.




X.


Fabius ließ sich an ihrem Lager nieder, blickte unverwandt auf ihr bleiches, abgemagertes, doch schon beruhigtes Antlitz und begann über das Geschehene nachzudenken... und auch darüber, was er jetzt unternehmen sollte? Was sollte er tun? Wenn er Mutius wirklich getötet hatte, – und wenn er sich erinnerte, wie tief die Klinge des Dolches einges drungen war, durfte er nicht daran zweifeln, – dann ließe es sich ja doch unmöglich verheimlichen! Er sollte es eigentlich selbst dem Herzog und dem Gericht melden... doch wie es erklären, wie eine so unbegreifliche Sache erzählen? Er, Fabius, hatte in seinem Hause seinen Verwandten, seinen besten Freund, ermordet! Gleich wird man ihn fragen: Wofür? Aus welchem Grunde? .. Und wenn Mutius doch nicht tot ist? – Fabius konnte diesen Zustand nicht länger ertragen, er mußte sich Gewißheit verschaffen; er überzeugte sich, daß Valeria schlief, erhob sich vorsichtig vom Sessel, verließ das Haus und ging zum Pavillon. Im Pavillon war alles still; nur in einem Fenster war noch Licht. Mit bebendem Herzen öffnete er die äußere Türe (er sah auf ihr noch die Abdrücke blutiger Finger, und auch auf dem Sande des Weges waren dunkle Blutspuren zu sehen), – er durchschritt das erste dunkle Zimmer... und blieb erstaunt und bestürzt auf der Schwellestehen.

In der Mitte des Zimmers lag auf einem persischen Teppich, ein Brokatkissen unter dem Kopfe, mit einem breiten roten, schwarzgemusterten Schal bedeckt, alle Glieder gerade ausgestreckt, Mutius; sein Gesicht, gelb wie Wachs, mit geschlossenen Augen und blau angelaufenen Lidern, war nach oben gerichtet. Zu seinen Füßen kniete, gleichfalls in einen roten Schal gehüllt, der Malaie. Er hielt in der linken Hand einen Zweig von einer unbekannten Pflanze, dem Farnkraut ähnlich, und blickte, leicht vornübergebeugt, unverwandt auf seinen Herrn. Eine kleine Fackel, in den Boden gesteckt, brannte mit grünlichem Feuer und beleuchtete allein das Zimmer. Die Flamme schwankte nicht und rauchte nicht. Als Fabius eintrat, rührte sich der Malaie nicht, er warf ihm nur einen raschen Blick zu und richtete dann die Augen wieder auf Mutius. Ab und zu senkte er den Zweig, schüttelte ihn in der Luft, und seine stummen Lippen bewegten sich langsam, gleichsam tonlose Worte sprechend. Zwischen dem Malaien und Mutius lag auf dem Boden der Dolch, mit dem Fabius seinen Freund getroffen hatte: der Malaie schlug einmal mit dem Zweige auf die blutige Klinge. So verging eine Minute, – eine zweite. Fabius näherte sich dem Malaien, beugte sich zu ihm und fragte leise: »Ist er tot?« Der Malaie nickte mit dem Kopf, zog die rechte Hand aus dem Schal hervor und wies befehlend auf die Türe. Fabius wollte die Frage wiederholen, doch die befehlende Hand wiederholte die Gebärde, – und Fabius verließ das Haus, empört und erstaunt, aber sich fügend.

Er fand Valeria noch immer schlafend, und ihr Gesicht schien noch beruhigter. Er kleidete sich nicht aus, setzte sich ans Fenster, stützte den Kopf in die Hand und versank wieder in Nachdenken. Als die Sonne aufging, fand sie ihn noch auf demselben Platze. Valeria war nicht erwacht.



XI.


Fabius wollte abwarten, daß sie erwache, und dann nach Ferrara gehen, – als plötzlich jemand leise an die Schlafzimmertüre klopfte. Fabius ging hinaus und sah seinen alten Haushofmeister Antonio vor sich. »Signor,« begann der Alte, »der Malaie hat uns soeben erklärt, daß Signor Mutius erkrankt ist und mit allen seinen Sachen in die Stadt übersiedeln will; daher läßt er Euch bitten, ihm Leute zu geben, die beim Einpacken der Sachen helfen sollen, und gegen Mittag Saum- und Reitpferde, sowie einige Begleiter zur Verfügung zu stellen. Wollt Ihr es genehmigen?« – »Der Malaie hat dir das gesagt?« fragte Fabius. »Wieso? Er ist doch stumm.« – »Hier ist der Zettel, auf dem er alles in unserer Sprache aufgeschrieben hat, und sogar sehr richtig.« – »Und du sagst, daß Mutius krank ist?« – »Ja, er ist schwer krank, und man darf nicht zu ihm hinein.« »Hat man denn nicht nach einem Arzte geschickt?« – »Nein, der Malaie wollte es nicht haben.« – »Und das hat er dir aufgeschrieben?« – »Ja, er.« – Fabius schwieg. – »Nun, ordne es an,« sagte er schließlich. Antonio entfernte sich.

Fabius blickte etwas bestürzt seinem Diener nach. »Er ist also gar nicht tot?« sagte er sich... und er wußte noch nicht, ob er sich darüber freuen oder es beklagen sollte. »Ist er krank? Ich habe ja erst vor einigen Stunden seine Leiche gesehen!«

Fabius kehrte zu Valeria zurück. Sie erwachte und hob den Kopf. Die Gatten wechselten einen langen, vielsagenden Blick. – »Er ist nicht mehr?« fragte plötzlich Valeria. – Fabius fuhr zusammen. – »Wie meinst du... er ist nicht mehr?« – »Hast du denn... ist er abgereist?« fuhr sie fort. Fabius fühlte sich sofort erleichtert. »Nein, noch nicht; er reist aber noch heute ab.« – »Und ich werde ihn nie, nie wiedersehen?« – »Nie.« – Valeria atmete wieder freudig auf; auf ihren Lippen erschien wieder ein seliges Lacheln. Sie streckte dem Gatten beide Hände entgegen. – »Und wir wollen nie wieder von ihm sprechen, hörst du, mein Geliebter, nie wieder! Und ich werde das Zimmer nicht verlassen, solange er nicht abgereist ist. Schicke mir jetzt meine Dienerinnen her... warte noch: nimm dieses Ding weg!« Sie wies auf Mutius' Geschenk, das Perlenhalsband, das auf dem Nachttische lag. Fabius nahm das Halsband, – die Perlen schienen ihm trübe angelaufen – und erfüllte den Wunsch seiner Frau. Dann begann er wieder im Garten herumzuirren und blickte ab und zu von weitem nach dem Pavillon, bei welchem sich seine Leute bereits zu schaffen machten, Koffer heraustrugen und Pferde beluden... der Malaie war aber nicht dabei. Ein unwiderstehliches Gefühl zog Fabius noch einmal zum Pavillon, um nachzusehen, was sich jetzt dort abspielte. Es fiel ihm ein, daß sich auf der Rückseite des Pavillons eine Geheimtüre befand, durch die er ins Innere des Zimmers gelangen konnte, wo Mutius am Morgen gelegen hatte. – Er schlich sich zu dieser Türe, fand sie unversperrt, schob den schweren Vorhang auseinander und blickte unentschlossen hinein.



XII.


Mutius lag nicht mehr auf dem Teppich. Er saß in Reisekleidern in einem Sessel, sah aber aus wie eine Leiche, wie beim ersten Besuch Fabius'. Der gleichsam zu Stein gewordene, erstarrte Kopf lag auf der Sessellehne, die gelben, leblos ausgestreckten Hände ruhten auf den Knien. Die Brust hob sich nicht. Auf dem mit getrockneten Kräutern bedeckten Boden, vor dem Sessel, standen einige flache Schalen mit einer dunklen Flüssigkeit, der ein starker, beinahe erstickender Geruch von Moschus entströmte. Um jede Schale ringelte sich, ab und zu mit den goldenen Augen funkelnd, eine kleine kupferrote Schlange; und gerade vor Mutius, zwei Schritte vor ihm, ragte die lange Gestalt des Malaien, bekleidet mit einem bunten Brokatgewand, umgürtet mit einem Tigerschwanz und mit einem hohen Hute, einer Art gehörnter Tiara auf dem Kopfe. Diesmal war er aber nicht unbeweglich: bald machte er andächtige Verbeugungen und schien zu beten, bald richtete er sich in seiner ganzen Größe auf und stellte sich sogar auf die Zehen; bald breitete er gemessen die Arme aus, bald bewegte er sie gebieterisch oder drohend in der Richtung nach Mutius hin, zog die Brauen zusammen und stampfte mit den Füßen. Alle diese Bewegungen machten ihm offenbar große Mühe, verursachten ihm sogar Schmerz, denn er atmete schwer, und der Schweiß lief ihm vom Gesicht herab. Plötzlich erstarrte er mit angehaltenem Atem auf einem Flecke, runzelte die Stirne, spannte alle Muskeln seiner geballten Hände an, als ob er die Zügel hielte... und zu unbeschreiblichem Entsetzen des Fabius hob sich Mutius' Kopf, wie von den Händen des Malaien ans gezogen, langsam von der Sessellehne... Der Malaie ließ die Hände sinken, – und Mutius' Kopf fiel sofort schwer zurück; er hob wieder die Arme, – und der Kopf folgte gehorsam seinen Bewegungen. Die dunkle Flüssigkeit in den Schalen begann zu kochen, die Schalen selbst begannen leise zu klirren, und die kupferroten Schlangen rollten sich wellenförmig um jede Schale. Nun machte der Malaie einen Schritt vorwärts, zog die Brauen in die Höhe, riß die Augen ungeheuer weit auf und nickte mit dem Kopfe gegen Mutius... und die Lider des Toten begannen zu beben, klebten sich ungleichmäßig auseinander, und unter ihnen zeigten sich die Pupillen, trübe wie Blei. Das Gesicht des Malaien erstrahlte in stolzem Triumph und in fast gehässiger Freude; er öffnete weit seine Lippen, und aus der Tiefe seiner Kehle drang ein langgedehnter, heulender Ton... Auch die Lippen Mutius' öffneten sich, und ein schwaches Stöhnen erzitterte auf ihnen als Antwort auf jenen unmenschlichen Schrei...

Nun hielt es Fabius nicht länger aus: es war ihm, als ob er irgend welchen teuflischen Beschwörungen beiwohnte! Er schrie gleichfalls auf und stürzte, ohne sich umzusehen, Gebete vor sich murmelnd und sich bekreuzigend, schnell nach Hause.



XIII.


Nach etwa drei Stunden meldete ihm Antonio, daß alles zur Abreise bereit sei und daß Signor Mutius aufbrechen wolle. Fabius erwiderte darauf kein Wort und trat auf die Terrasse, von wo der Pavillon zu sehen war. Einige Saumpferde standen fertig beladen, und vor dem Eingang zum Pavillon wartete ein kräftiger, rabenschwarzer Hengst mit einem breiten Sattel, welcher für zwei Reiter eingerichtet war. Da standen auch schon Diener mit unbedecktem Kopfe und bewaffnete Begleiter. Die Türe des Pavillons ging auf, und, gestützt vom Malaien, der wieder sein gewöhnliches Kleid trug, erschien Mutius. Sein Gesicht war leichenblaß, seine Hände hingen herab wie bei einem Toten, – aber er schritt vorwärts... ja! er bewegte die Beine, und als ihn der Malaie aufs Pferd gehoben hatte, hielt er sich gerade und fand tastend die Zügel. Der Malaie half ihm in die Bügel, sprang von rückwärts in den Sattel, umfaßte seinen Herrn mit den Armen, – und der ganze Zug setzte sich in Bewegung. Die Pferde gingen im Schritt, und als sie am Hause einbogen, glaubte Fabius zu sehen, wie sich auf dem dunklen Antlitze Mutius' zwei weiße Fleckchen bewegten... Hatte er vielleicht auf ihn seine Pupillen gerichtet? – Nur der Malaie grüßte ihn... höhnisch wie immer.

Ob auch Valeria diese Szene sah? Die Vorhänge an ihren Fenstern waren herabgelassen... vielleicht stand sie aber hinter den Vorhängen.



XIV.


Zu Mittag kam sie ins Speisezimmer und war sehr milde und freundlich; sie klagte aber noch immer über Mattigkeit. Doch ihre Unruhe, ihr ständiges Erstaunen und die heimliche Angst von früher hatten sich verflüchtigt; und als Fabius am nächsten Tage von neuem an ihr Bildnis ging, fand er in ihren Zügen jenen reinen Ausdruck wieder, dessen vorübergehendes Verschwinden ihn so sehr beunruhigt hatte... Und sein Pinsel flog leicht und sicher über die Leinwand.

Das Leben der Gatten kam ins frühere Geleis. Mutius war für sie verschwunden, als ob er überhaupt nie existiert hätte. Wie nach einer stummen Übereinkunft vermieden es Fabius wie Valeria, über ihn zu sprechen und sich sogar nach seinen ferneren Schicksalen zu erkundigen. Mutius war tatsächlich verschwunden, wie in die Erde versunken. Fabius hielt es einmal für seine Pflicht, Valeria zu erzählen, was in jener entscheidenden Nacht vorgefallen... Doch sie erriet wahrscheinlich seine Absicht; sie hielt den Atem an und schloß die Augen, als ob sie einen Schlag erwartete... Und Fabius verstand sie und verschonte sie.

An einem schönen Herbsttage beendigte Fabius sein Cäcilienbild; Valeria saß vor der Orgel, und ihre Finger irrten über die Tasten... Plötzlich ertönte gegen ihren Willen unter ihren Fingern jenes Lied der triumphierenden Liebe, welches einst Mutius gespielt hatte, und im gleichen Augenblick fühlte sie in sich zum ersten Male seit ihrer Verehelichung das Beben eines neuen, keimenden Lebens... Valeria erbebte und hielt an...

Was bedeutete das? Hatte etwa...

Bei diesem Worte endigte die Handschrift.


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