10

Barney mußte laut reden, damit man ihn über den Regen verstehen konnte, der auf das Wohnwagendach trommelte.

»Sind Sie sicher, daß er wußte, was er unterschrieb?« fragte er und starrte zweifelnd das zittrige X und den Daumenabdruck am unteren Rand des Vertrags an.

»Absolut«, erklärte Jens Lyn. »Ich las ihm das englische Original und die altnordische Übersetzung vor, und er war mit beiden Fassungen einverstanden. Dann hat er vor Zeugen unterzeichnet.«

»Hoffentlich kommt er nie im Leben mit einem guten Rechtsanwalt zusammen. Nach diesem Vertrag verdient unser Hauptdarsteller weniger als der kleinste Kulissenschieber.«

»Es kann gar nichts schiefgehen. Das Gehalt setzte er selbst fest. Eine Flasche Jack Daniels pro Tag und jeden Monat eine Silbermark.«

»Aber das ist kaum genug Silber, um eine Zahnplombe anzufertigen.«

»Sie dürfen nicht die Relativität der Wirtschaftsbegriffe vergessen«, sagte Jens mit erhobenem Zeigefinger. »In dieser Zeit wird hauptsächlich gehandelt und getauscht. Man bezahlt sehr wenig mit Münzen. Die Silbermark hat deshalb einen viel höheren Wert, der kaum mit dem Preis für unser massengefertigtes Silber vergleichbar ist. Vielleicht verstehen Sie mich, wenn ich Ihnen sage, daß man für eine Silbermark einen Sklaven kaufen kann. Für zwei Mark …«

»Schon gut, ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen. Wichtiger ist folgendes: Wird er bis zum Ende des Films durchhalten?«

Jens zuckte mit den Schultern.

»Danke, eine gute Antwort.« Barney rieb sich mit dem Daumen die Stirnfalten und sah auf den bleifarbenen Himmel und den Regenschwall hinaus. »Es gießt nun schon seit zwei Tagen. Hört das denn überhaupt nicht mehr auf?«

»Wir konnten es nicht anders erwarten. Obwohl im elften Jahrhundert das Wetter besser ist als in unserer Zeit, befinden wir uns doch im hohen Norden, und die durchschnittliche Regenmenge …«

»Sparen Sie sich den Vortrag. Ich muß sicher sein, daß Ottar bis zuletzt mitmacht — sonst wage ich es nicht, mit dem Film zu beginnen. Ich habe Angst, daß er in seinem neuen Schiff wegsegelt oder sonst etwas Dummes anstellt. Überhaupt — was macht er hier? Er sieht mir gar nicht nach einem friedlichen Farmer aus.«

»Er lebt im Moment im Exil. Offensichtlich schätzt er die Bekehrung zum Christentum nicht in der Art, wie König Olaf Trygvessøn sie praktiziert. Nach einem verlorenen Kampf mußte er aus Norwegen fliehen.«

»Was hat er denn gegen das Christentum?«

»Olaf wollte ihn zuerst einer Probe unterziehen, ob er auch würdig sei. Bei dieser Probe wird das Mundstück einer Lure — das ist ein großes Kriegshorn aus Messing — dem Opfer in den Hals geschoben. Dann wirft man eine Giftschlange in den Horntrichter und erhitzt das Horn, bis die Schlange Zuflucht im Schlund des Heiden sucht.«

»Hübsch. Und was geschah, als er Norwegen verließ?«

»Er war unterwegs nach Island, aber er erlitt bei einem Sturm Schiffbruch. Mit ein paar seiner Leute konnte er sich hierher retten. Das alles geschah kurz vor unserer Ankunft hier.«

»Wenn er ein Schiffbrüchiger ist — dann kann das Haus doch nicht ihm gehören?«

»Nein. Er und seine Leute haben den früheren Besitzer getötet.«

»Eine herrliche Lebensart — aber für mich waren es gute Nachrichten. Er wird hierbleiben, solange er gut bezahlt wird und genug zu trinken hat.«

Amory Blestead kam herein und brachte eine Windbö und einen Regenguß mit. »Hängen Sie Ihre Sachen an die Tür, damit sie dort abtropfen«, sagte Barney. »Hier ist Kaffee. Wie steht es mit dem Umbau?«

»Fast fertig«, sagte Amory und rührte in der Tasse. »Wir haben die Rückwand des Hauses herausgebrochen, um die Kameras und Scheinwerfer einbauen zu können. Dann haben wir sie durch eine Sperrholzplatte ersetzt und die Decke um einen guten Meter angehoben. Das war viel leichter, als ich dachte. Wir lösten einfach die Balken und stützten sie ab, während die Einheimischen die Wände aufstockten. Diese Kerle können eben noch arbeiten.«

»Und sie sind billig«, sagte Barney. »Bis jetzt ist bei diesem Film lediglich das Budget in Ordnung.« Er sah das Drehbuch durch und kreuzte ein paar Szenen rot an. »Können wir jetzt mit den Innenaufnahmen beginnen?«

»Jederzeit.«

»Also, zieht die Gummistiefel an! Was sagen Sie zu den Probeaufnahmen, Amory?«

»Absolute Klasse! Dieser Wikinger ist ein Naturwunder.«

»Ja.« Barney kaute am Bleistift und legte ihn dann weg. »Hoffentlich. Er könnte eine oder zwei Szenen schaffen — aber wie halten wir ihn während des ganzen Films bei Laune? Ich wollte für den Anfang ein paar einfache Szenen drehen — das Besteigen des Bootes und ein heroischer Blick in die untergehende Sonne. Aber das Wetter hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Also gut, wagen wir uns an die Innenaufnahmen — und halten Sie mir den Daumen.«

Regen drang in den Jeep, als sie langsam durch die Schlammspur den Hügel hinauffuhren. Auf dem Feld hinter Ottars Haus parkten ein paar Fahrzeuge, darunter auch der Wagen mit dem Vremeatron. Sie fuhren so nahe wie möglich an das Haus heran und patschten durch den aufgeweichten Boden. Im Windschutz der Hütte drängte sich das Gesinde zusammen. Sie waren naß und unglücklich. Ottar hatte sie hinausgeworfen, damit für die Filmleute mehr Platz war. Durch die Sperrholztür drangen dicke elektrische Kabel. Barney ging hinein.

»Wir brauchen Licht«, sagte er und schüttelte seinen nassen Mantel aus. »Ich möchte diese Bettnische sehen.«

»Vorsicht, die Farbe ist immer noch etwas feucht«, warnte Amory und deutete auf die dunkel gestrichenen Bretter und die Doppeltür, die man in die Wand eingebaut hatte.

»Nicht schlecht«, sagte Barney.

Jens Lyn knurrte. »Nicht gut! Ich erklärte ihnen, daß in einem so einfachen Haus die Leute auf den Schlafbänken rund um den Raum liegen, daß es aber möglicherweise eine winzige Bettnische gibt, die in die Wand eingebaut ist. Winzig, weil sie dann die Körperwärme zurückhält — das ist der Sinn der Bettnische.« Er riß die Doppeltür in der Wand auf und deutete in die Nische, die mit einer Schaumgummimatratze und Nylon-Bettüchern ausgestattet war. »Aber das hier — es ist entsetzlich!«

»Nur ruhig, Doc«, meinte Barney und sah sich die Nische durch den Sucher an. »Wir drehen schließlich einen Film. Es wäre unmöglich, ein paar Leute und die Kamera in einem winzigen Sarg unterzubringen. Also gut, weg mit der Rückwand!«

Zwei Zimmerleute holten die Rückwand der Kammer weg. Eine Kamera wurde sichtbar.

»Gehen Sie nach hinten, Gino«, befahl Barney. »Ich kümmere mich darum, daß die Handlung läuft. Wir machen Szene vierundfünfzig. Ah, Ottar, du kommst gerade recht.«

Der Wikinger platschte herein, in Plastikregenmäntel gehüllt. Ein besorgter Maskenbildner hielt ihm zusätzlich einen Schirm über den Kopf.

»He, Barney«, rief Ottar. »Ich sehe gut aus, nicht?«

Er sah tatsächlich gut aus. Man hatte ihn in einen Zuber geweicht — das Wasser mußte dreimal gewechselt werden — sein Haar und sein Bart waren gewaschen, getönt und geschnitten worden, und Rufs Kostüm war für seine Figur erweitert worden. Er war eindrucksvoll, und er wußte es und sonnte sich in seinem Glanz.

»Du bist eine Wucht«, sagte Barney. »So großartig, daß ich noch ein paar Aufnahmen von dir machen möchte. Du siehst sie dir sicher gern an, nicht wahr?«

»Gute Idee. Ich bin auf Bildern schön.«

»Genau. Und jetzt hör zu, was du tun sollst.« Barney schloß die Nischentür. »Ich werde mit der Kamera da drinnen sein. Du stehst hier und öffnest die Tür — so — und wenn sie weit offen ist, wirfst du einen Blick auf das Bett — so — und lächelst langsam. Das ist alles.«

»Klingt dumm. Mach doch hier draußen ein Bild von mir.«

»Vielen Dank für den Vorschlag, Ottar, aber ich glaube, wir machen es so, wie ich es sagte. Schließlich bekommst du pro Tag eine Flasche, und dafür kannst du schon etwas tun.«

»Das stimmt — jeden Tag eine Flasche. Wo ist Flasche von heute?«

»Die bekommst du, wenn wir mit der Arbeit fertig sind. Also, bleib hier stehen. Ich gehe mit der Kamera da hinein.« Er zog den Regenmantel an und watete zum Aufnahmeschuppen hinüber.

Nach lautem Hin- und Herrufen und einigen Fehlstarts schien Ottar zu verstehen, was man von ihm wollte. Die Türen wurden noch einmal geschlossen, und Barney winkte den Kameraleuten. Die Kameras schnurrten los, als die Türen mit viel Kraft aufgerissen wurden. Einer der Griffe blieb in Ottars Hand, und er warf ihn zu Boden.

»Mist, verdammt«, knurrte er.

Barney holte tief Luft. »So darfst du nicht spielen, Ottar«, sagte er. »Du mußt dich in deine Rolle hineindenken. Du kommst unverhofft heim, du bist müde. Du öffnest die Bettnische, um dich auszuruhen, und entdeckst die schlafende Gudrid in deinem Bett. Du lächelst auf sie herab.«

»Niemand auf der Insel, der Gudrid heißt.«

»Gudrid ist in diesem Film Slitheys Name. Du weißt, wer Slithey ist.«

»Ja, aber sie ist nicht hier. Barney, das alles ist dumm.«

Barney hatte jahrelang mit gleichgültigen und schlechten Schauspielern zu tun gehabt und blieb deshalb ruhig. »Warte einen Moment«, sagte er. »Dann versuchen wir es noch einmal.«

Ottar knurrte. Aber schließlich ging die Tür wieder auf, diesmal etwas weniger heftig. Ottar starrte finster in die Kamera. Dann warf er einen Blick auf das Bett, und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem glücklichen Lächeln. Seine Augen wurden groß, und seine Hand schnellte ins Innere.

»Schnitt! Das war sehr gut.« Barney erwischte die Flasche Jack Daniels noch schneller als Ottar. »Ich hebe sie dir für später auf. Auu!«

Der Wikinger hielt sein Handgelenk wie in einem Schraubstock fest, und Barneys klammen Fingern entglitt die Flasche. Noch während er ins Haus zurückging, rieb er sich das schmerzende Handgelenk.

Slithey war angekommen. Als man sie aus den Gummistiefeln und Plastikumhängen geschält hatte, stand sie barfuß in einem durchsichtigen rosa Nachthemd da. Sie klapperte mit den Zähnen. Das Gewand war tief ausgeschnitten, und darunter trug sie nur ein fleischfarbenes Trikot.

»Ein Original-Wikinger-Kostüm«, bemerkte Jens Lyn beißend. Er ging. Ottar sog glücklich an der Flasche und beachtete die anderen nicht.

»Mich friert«, sagte Slithey.

»Installiert einen Heizofen über dem Bett«, befahl Barney. »Szene dreiundvierzig. Slithey, klettere in die Falle und mache die Türen hinter dir zu. Da drinnen ist es warm genug.«

»Ich will mir doch keine Lungenentzündung holen.«

»Bei deiner Isolationsschicht! Keine Gefahr!«

Es war eine kurze Szene, die auf der Leinwand nur ein paar Sekunden dauerte, aber bei der Produktion dauern auch die Kleinigkeiten lange, und bis sie fertig waren, hatte Ottar den Flaschenspiegel um die Hälfte gesenkt. Er sang in einer Ecke verklärt vor sich hin.

»Weiter geht es mit fünfundfünfzig. Du bist dran, Ottar. Könntest du dein Gehalt mal kurz auf die Seite legen?« rief Barney.

Durch den Whisky bedeutend friedlicher gestimmt, schlenderte Ottar herbei und sah Slithey an, die sich dekorativ auf dem übergroßen Bett ausgestreckt hatte. Über ihr lag eine gestreifte Indianerdecke.

»Ist sie müde?« fragte Ottar. »Zuviel Licht zum Schlafen.«

»Sehr scharfsinnig von dir, aber wir sind immer noch bei den Aufnahmen. Hör zu, was du tun sollst.« Barney stand neben dem Bett. »Du hast eben die Tür geöffnet, du blickst auf das schlafende Mädchen herab. Dann greifst du nach unten und streichelst sanft ihr Haar. Sie wacht auf und erschrickt. Du lachst, setzt dich auf den Bettrand und küßt sie. Anfangs kämpft sie dagegen an und stößt dich weg, aber dann verwandelt sich der Haß in Liebe, und sie schlingt dir die Arme um den Hals und küßt dich auch. Deine Hand tastet nach der Schulterspange — die hier ist es, die andere haben wir festgeleimt — und streifst sie ab. Das ist alles. Wir blenden hier aus und überlassen den Rest der Phantasie der Zuschauer. Fangen wir an!«

Es war eine Sträflingsarbeit, da Ottar nicht das geringste Interesse an den Aufnahmen zeigte und dauernd nach der Flasche schielte. Barney geriet ins Schwitzen. Schließlich stellte man die Flasche in die Ecke des Betts, wo sie von den Kameras nicht mehr erfaßt wurde. Das bewirkte, daß Ottar wenigstens in Richtung Kamera sah.

Barney nahm einen tiefen Schluck des nach Chemikalien riechenden Wassers und stellte Ottar noch einmal vor den Strich, den man in den Lehmboden gekratzt hatte.

»So«, sagt er. »Wir filmen ohne Ton, und ich helfe dir. Ihr anderen haltet den Mund, mir brummt schon der Kopf. Kamera! Also, Ottar, du siehst nach unten, so — nein, nicht die Flasche anschauen! — du streckst die Hand aus und streichelst ihr Haar. Slithey wacht auf, großartig hast du das gemacht, jetzt setz dich auf das Bett — Vorsicht, daß es nicht zusammenbricht! Okay, jetzt kommt der Kuß.«

Ottars Finger schlossen sich um Slitheys nackte Arme, und plötzlich ging ein Ruck durch ihn. Die Flasche war vergessen. Slitheys Hormone wirkten im elften Jahrhundert ebenso wie im zwanzigsten. Der Geruch ihrer parfümierten Haut stieg ihm in die Nase, und er brauchte keine Instruktionen mehr von Barney.

»Sehr gut«, rief Barney. »Eine leidenschaftliche Umarmung und ein Kuß, aber du wehrst dich, Slithey.«

Slithey wand sich unter seinem Griff und trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust. Sie wandte den Kopf ab und sagte: »Langsam, Höhlenbär, langsam!« Dann küßte er sie wieder.

»Großartig!« rief Barney. »Winde dich noch einmal so, Slithey, gut. Jetzt die Schulterspange, Ottar!«

Ratsch — der dünne Stoff war zerrissen.

»Paß doch auf!« rief Slithey.

»Nur keine Aufregung«, meinte Barney. »Du bekommst ein neues Hemd, Slithey. Das ist Klasse! Jetzt verwandelt sich dein Haß in Liebe, Slithey. Schön, sehr schön …«

»Seht euch diesen Kerl an!« sagte Amory Blestead.

»Schnitt! Es reicht. Das lassen wir gleich, wie es ist. Ich sagte Schnitt! Ottar, nimm deine Finger … Slithey! Die Szene ist aus!«

Einer der Techniker pfiff begeistert durch die Zähne.

»Kann sie denn keiner auseinanderbringen?«

»Weshalb denn — es scheint ihnen Spaß zu machen — und es ist doch nicht schlimm.«

Stoff zerriß, und Slithey kicherte.

»Ende!« sagte Barney scharf. »Nur die Schulterspange, habe ich gesagt! Ich fürchte, er geht zu weit. Ottar — das doch nicht!«

»Yippee!« rief jemand, und dann entstand ein langes Schweigen, das nur von Ottars pfeifendem Atem unterbrochen wurde.

Barney verärgerte schließlich die faszinierten Zuschauer, als er an die Nische ging und die Türen zuknallte. Von der anderen Seite kam ein schrilles Quieksen. Er wandte sich um und sah Gino an der Kamera. »Was machen Sie da?« rief er. »Schnitt!«

»Schnitt, natürlich«, sagte Gino und kam langsam von der Kamera hoch.

»Haben Sie meinen Befehl nicht beim erstenmal gehört?«

»Befehl? Nein, ich war wohl abgelenkt.«

»Heißt das — daß die Kamera die ganze Zeit über gelaufen ist?«

»Die ganze Zeit«, sagte Gino mit einem breiten Lächeln. »Ich glaube, Mister Hendrickson, Ihr Film kommt sehr nahe an das cinéma vérité heran.«

Barney warf einen Blick auf die verschlossenen Türen und holte nervös eine Zigarette aus der Tasche. »Das kann man wohl sagen. Aber die Version nehmen sie uns unzensiert höchstens in Skandinavien ab.«

»Vielleicht hat Dr. Masters Interesse daran.«

»Ich kenne einen Kerl in Beverley Hills, der solche Filme an Herrenabenden vorführt. Er kauft uns sicher eine Kopie ab«, meinte Amory.

Einen Moment lang herrschte Stille, als hinter der Tür ein glückliches Lachen aufklang.

»Und eine Flasche Whisky hat er auch noch drinnen«, sagte einer der Zimmerleute traurig.

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