6

Barney warf die Zeitschrift wieder auf den Tisch, aber der Umschlag blieb an seiner Hand kleben und wurde eingerissen. Er schälte ungeduldig das Papier ab und ärgerte sich, daß er das Wikingerbier vor dem Herkommen nicht abgewaschen hatte. Die Arbeiten einstellen!

»Miß Zucker«, sagte er, »L. M. will mich sprechen. Das hat er gesagt. Er hat sogar eine Nachricht hinterlassen. Sicher wartet er ganz ungeduldig auf mich …«

»Tut mir leid, Mister Hendrickson, aber er hat ausdrücklich angeordnet, daß er bei seiner Konferenz nicht gestört werden darf.« Ihre Finger hingen einen Moment reglos über der Maschine, und ihr Kaugummi blieb in einer Backe. »Ich werde ihn verständigen, daß Sie hier sind, sobald es mir möglich ist.« Die Schreibmaschine klapperte wieder, und der Kaugummi bewegte sich im Rhythmus dazu.

»Sie könnten zumindest gleich anrufen und sagen, daß ich da bin.«

»Mister Hendrickson!« sagte sie. Ihr Tonfall hatte Ähnlichkeit mit dem einer Mutter Oberin, die man beschuldigte, ein unanständiges Haus zu führen.

Barney holte sich Wasser aus dem Automaten, trank einen Schluck und ließ den Rest über die klebrige Hand laufen. Er trocknete sie mit Schreibmaschinenpapier ab, als die Sprechanlage summte und Miß Zucker ihm zunickte. »Sie können jetzt hineingehen«, sagte sie kühl.

»Was heißt das, L. M.?« fragte er, sobald die Tür geschlossen war. »Was soll dieser alberne Zettel?« Sam saß in seinem Sessel wie ein Ölgötze, und Charley Chang hatte ihm gegenüber Platz genommen. Er schwitzte und sah elend aus.

»Was das heißt? Was soll es schon heißen? Es heißt, daß Sie mich hereingelegt haben, Barney Hendrickson. Sie haben sich meine Genehmigung zu dem Film erschwindelt und besaßen noch nicht einmal ein Drehbuch!«

»Natürlich besitze ich kein Drehbuch, wie sollte ich auch, wenn wir uns eben erst für den Film entschlossen haben? Haben Sie vergessen, daß das Ganze ein Notfall ist?«

»Wie könnte ich! Aber Notfall hin und Film ohne Drehbuch her! In Frankreich sind diese Sachen vielleicht üblich, da weiß man manchmal wirklich nicht, ob sie ein Drehbuch hatten oder nicht, aber bei Climactic geht das nicht.«

»Es hat keinen Sinn«, bestätigte Sam.

Barney versuchte, die Hände nicht zu ringen. »L. M., seien Sie vernünftig! Es ist eine Rettungsaktion, die unter ganz bestimmten Vorzeichen läuft …«

»Sagen Sie ruhig Bank. Es regt mich nicht mehr auf.«

»Ich sage es nicht, weil wir sie noch schlagen können. Wir schaffen diesen Film. Sie haben sich also meinen Drehbuchautor geholt …«

»Er hat kein Drehbuch.«

»Natürlich hat er keines. Wir beide haben ja gestern erst die Idee ausgearbeitet. Nun habe ich mit ihm darüber gesprochen …«

»Er hat kein Drehbuch.«

»Hören Sie mich zu Ende an, L. M. Charley ist ein netter Kerl, das wissen Sie, und wenn einer ein gutes Drehbuch schreibt, dann ist es Charley. Wenn Sie ein Charley-Chang-Drehbuch hätten, würden Sie den Film anlaufen lassen, nicht wahr?«

»Er hat kein …«

»L. M., Sie hören nicht zu. Wenn. Das ist das große Wort. Wenn ich Ihnen hier und jetzt ein Drehbuch Charley Changs für diesen großartigen Film überreichen würde — meinetwegen mit dem Titel Unter Wikingerflagge — würden Sie dann die Produktion genehmigen?«

L. M. setzte sein bestes Pokergesicht auf. Er warf Sam einen Blick zu, der seinen Kopf um den Bruchteil eines Millimeters senkte. »Ja«, sagte L. M. sofort.

»Die Hälfte ist erreicht«, sagte Barney hastig. »Wenn Sie das Buch also in einer Stunde bekommen, sagen Sie ja. Dabei ist kein Unterschied.«

»Also gut, einverstanden«, sagte L. M. achselzukkend. »Aber was soll’s?«

»Setzen Sie sich hin, L. M.«, sagte Barney, packte den verwirrten Charley Chang am Arm und schleppte ihn aus dem Raum. »Unterhalten Sie sich mit Sam über das Budget oder trinken Sie etwas — ich komme in genau einer Stunde wieder und bringe Ihnen das Buch Unter Wikingerflagge

»Meine Gehirnschrumpfung schreitet fort«, sagte Charley, als sich die Tür hinter ihnen schloß. »Barney, ich habe in diesem schnellen Geschäft schon viele schnelle Versprechen gehört, aber das hier …«

»Spar dir die Worte, Charley. Du hast eine Menge Arbeit vor dir.« Barney lenkte den widerstrebenden Schriftsteller in den Korridor hinaus, während er sprach. »Wie lange brauchst du schätzungsweise, um einen Erstentwurf des Drehbuchs abzuliefern? Bei harter Arbeit, versteht sich.«

»Es ist ein schwieriger Job. Zumindest sechs Monate.«

»Gut. Bei starker Konzentration sechs Wochen.«

»Ich habe von sechs Monaten gesprochen. Und sechs Wochen sind immer noch mehr als eine Stunde.«

»Wenn du sechs Monate brauchst, kannst du sie haben. Ich verspreche dir, daß du so lange brauchen kannst, wie du willst. Und du bekommst einen herrlich ruhigen Arbeitsplatz.« Sie kamen an einem Wandfoto vorbei, und Barney blieb stehen und deutete darauf. »Da. Santa Catalina! Viel Sonne und ein erfrischender Sprung ins Salzwasser, wenn die Gedanken schal werden.«

»Ich kann da nicht arbeiten. Verdammt viele Leute und nächtelange Parties.«

»Das glaubst du. Würdest du gern auf Catalina arbeiten, wenn keine Menschenseele in der Gegend ist und du die Insel für dich allein hast? Denk mal, wie viele Seiten du pro Tag schaffen könntest!«

»Barney, ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, was du eigentlich willst.«

»In fünf Minuten weißt du Bescheid, Charley.«


* * *

»Fünfzig Ries Schreibpapier, eine Schachtel Kohlepapier, Schreibmaschinenstuhl — einer, Schreibtisch — einer, Schreibmaschine …«

»Ein Dampfmodell, Barney«, sagte Charley. »Die veraltete Art mit reiner Handbedienung. Ich kann nur auf einer IBM schreiben.«

»Auf dem Teil der Insel, auf dem du arbeitest, ist der elektrische Strom eine unsichere Sache. Du wirst sehen, wie schnell deine Finger wieder in Übung kommen.« Barney hakte die Maschine ab, als eine große Kiste hereingeschoben wurde. »Eine Safariausrüstung, komplett.«

»Eine was?«

»Eine Do-it-yourself-Safariausrüstung von der Kulissenabteilung. Zelte, Liegen, Moskitonetze, Stühle, Faltküche — und alles funktioniert. Du wirst dir wie Dr. Livingstone vorkommen und dabei doppelt so bequem wie er leben. Wassertonne, fünfzig Gallonen, Stempeluhr mit Karten …«

Charley Chang starrte in dumpfer Verständnislosigkeit die verschiedenen Gegenstände an, die in den Lastwagen verladen wurden. Der alte Knacker mit seinem Kopfhörer à la Frankenstein paßte ins Bild. Die Stempeluhr wurde in den Wagen gestellt. Charley packte Barney am Arm und deutete nach oben.

»Ich verstehe gar nichts und das hier am wenigsten. Was fange ich mit einer Stempeluhr an?«

»In ein paar Minuten erklärt dir Professor Hewett alles ganz genau. Du wirst sehen, die Uhr ist sehr wichtig. Du mußt jeden Morgen eine Karte lochen, vergiß das nicht.«

»Mister Hendrickson«, rief seine Sekretärin, »Sie haben unwahrscheinliches Glück.« Sie kam mit einem verwirrten Neger herein, der eine weiße Schürze und eine hohe Kochmütze trug. »Sie sagten, daß Sie einen Koch brauchten, und da habe ich mich in unserer Kantine umgesehen. Clyde Rawlston kann nicht nur kochen, sondern auch stenografieren und mit der Schreibmaschine umgehen.«

»Sie sind ein Engel, Betty. Bestellen Sie noch eine Schreibmaschine …«

»Schon unterwegs. Ist der Erste-Hilfe-Kasten angekommen?«

»Bereits verladen. Das wäre es also. Clyde, das hier ist Charley, Charley, Clyde. Ihr werdet euch noch näher kennenlernen. Wenn ihr jetzt einsteigen wollt?«

»Ich steige ein, sobald mir jemand erklärt, was hier vorgeht«, sagte Clyde Rawlston kriegerisch.

»Ein Dringlichkeitsfall. Climactic ist auf Ihre Hilfe angewiesen. Ihr seid beide treue Mitarbeiter der Studios und werdet uns nicht im Stich lassen. Professor Hewett erklärt euch das Weitere. Es wird nicht lange dauern. Ich sehe euch in spätestens zehn Minuten wieder. Das ist ein Versprechen. So — und jetzt einsteigen, damit ich das Gatter hochklappen kann.«

Seine Befehlsgewalt setzte sich durch, und sie kletterten in den Lastwagen. Professor Hewett beugte sich noch einmal heraus.

»Ich dachte, das Kambrium sei vielleicht am besten«, sagte er zu Barney. »Frühes Paläozoikum. Ein hübsch gemäßigtes Klima, warm und angenehm, ohne Wirbeltiere, die nur Schwierigkeiten machen würden. Im Meer wimmelt es von einfachen Trilobiten. Allerdings könnte es auf die Dauer zu warm werden. Vielleicht gehen wir doch in die Devon-Periode. Die Tiere sind immer noch ziemlich klein …«

»Sie sind der Experte, Professor, machen Sie es, wie Sie es für richtig halten. Wir müssen jetzt schnell arbeiten. Bringen Sie die beiden nach Catalina und holen Sie sie nach sechs Wochen wieder ab. Das Zeug kann gleich auf der Insel bleiben, vielleicht brauchen wir es später noch. Schnell jetzt, es ist nur noch eine Viertelstunde Zeit.«

Professor Hewett wandte sich seinen Instrumenten zu, und der Generator heulte auf. Charley Chang wollte etwas sagen, aber seine Worte wurden abgeschnitten, als der Laster verschwand. Barney sah sich nach seiner Sekretärin um, doch da tauchte der Lastwagen wieder auf.

»Was ist passiert?« fragte er. Dann sah er, daß die Vorräte verschwunden waren. Clyde Rawlston stand neben dem Professor, und Charley Chang saß auf einer leeren Kiste und drückte einen Umschlag an sich.

»Nichts ist passiert«, erwiderte der Professor. »Ich habe unsere Rückkehr nur so exakt wie möglich geplant.«

Charley trug keine Jacke mehr, und sein Hemd war an den Schultern so verschossen, daß man überhaupt keine Farbe mehr erkennen konnte. Er hatte lange Haare und einen schwarzen Stoppelbart.

»Wie ging es?« fragte Barney.

»Nicht schlecht. Allerdings bin ich noch nicht ganz fertig. Weißt du, es waren diese Biester im Wasser. Die Zähne! Und Augen …«

»Wieviel Zeit brauchst du noch?«

»In zwei Wochen müßte ich es leicht schaffen. Aber, Barney, die Augen …«

»Der Professor hat gesagt, daß es keine Lebewesen gibt, die dir gefährlich werden können.«

»Das vielleicht nicht, aber sie schwimmen zu Unmengen im Meer herum, und die Zähne …«

»Bis später. Nehmen Sie ihn wieder mit, Professor. Zwei Wochen.«

Diesmal verschwamm der Laster kaum, und wenn Barney einen Moment lang nicht hingeschaut hätte, so wäre ihm die Reise ganz entgangen. Aber Charley und Clyde saßen auf der anderen Seite des Lastwagens, und der Umschlag mit den Schreibmaschinenblättern war dicker geworden.

»Unter Wikinger-Flagge«, sagte Charley und schwenkte die Blätter über dem Kopf. »Ein Meisterwerk auf Breitwand.« Er legte den Umschlag hin, und Barney sah, daß die Stempelkarten angeheftet waren. »Das sind unsere Karten, und wenn du sie genau ansiehst, wirst du erkennen, daß wir täglich gestempelt haben. Außerdem verlangen Clyde und ich doppelte Bezahlung für alle Samstage und Sonntage.«

»Habe ich etwas dagegen gesagt?« Barney wog das Manuskript glücklich in der Hand. »Komm mit, Charley, wir halten gleich die Konferenz ab.«

Charley schnüffelte, als sie in die Dämmerung hinaustraten. »Himmel, wie das stinkt!« sagte er. »Es ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Was hatten wir für eine herrliche Luft auf der Insel!« Er sah seine Füße an. »Ein komisches Gefühl, wenn man wieder Schuhe trägt.«

»Die Heimkehr des Verlorenen Sohns«, sagte Barney. »Ich zeige L. M. das Drehbuch, und du kannst dir inzwischen in der Garderobe ein paar anständige Kleider geben lassen. Vielleicht reicht die Zeit auch zum Rasieren. Komm danach gleich zu L. M. Ist das Drehbuch gut?«

»Vielleicht ist es noch zu früh, um das zu sagen — aber ich habe so das Gefühl, daß es mein bestes Stück bisher ist. Ich konnte völlig ohne Ablenkung arbeiten — wenn man die Augen nicht einrechnet. Und Clyde war eine große Hilfe. Er kann ordentlich maschinenschreiben. Wußtest du übrigens, daß er Dichter ist?«

»Ich dachte, er sei Koch.«

»Er ist ein lausiger Koch. Ich habe schließlich unser Mittagessen selbst gemacht. Er hat die Arbeit in der Kantine nur angenommen, um seine Miete bezahlen zu können. Er ist ein guter Dichter und schreibt Klasse-Dialoge. Er hat mir wirklich viel geholfen. Glaubst du, wir könnten ihm ein paar Prozente von dem Film abtreten?«

»Weshalb nicht? Und vergiß nicht, dich zu rasieren.«

Barney ging in L. M.s Büro und warf das Drehbuch auf den Tisch. »Fertig«, sagte er.

L. M. wog es sorgfältig mit beiden Händen, dann hielt er es ein Stück von sich, um den Titel zu lesen.

»Unter Wikingerflagge. Guter Titel. Werden ihn ändern müssen. Sie haben Ihr Versprechen gehalten, Barney, aber nun verraten Sie mir, wie man in einer Stunde zu einem Drehbuch kommt. Sam ist übrigens ganz brennend daran interessiert.« Sam war beinahe unsichtbar, weil er bis an die dunkle Wandtapete zurückgerutscht war. Man bemerkte ihn erst, als er nickte.

»Kein Geheimnis, L. M. Es ist das Vremeatron. Sie haben ja gesehen, wie es funktioniert. Charley Chang ging in die Vergangenheit, an ein nettes, ruhiges Plätzchen, und dort hat er sehr hart an dem Drehbuch gearbeitet. Er blieb, bis er fertig war, dann brachten wir ihn in die Gegenwart zurück. Von unserem Standpunkt waren kaum ein paar Minuten vergangen.«

»Ein Drehbuch in einer Stunde!« strahlte L. M. »Das wird die Revolution im Filmgeschäft! Ich bin nicht kleinlich, Barney. Nennen Sie den höchsten Stundenlohn, den Sie sich vorstellen können, und ich verdopple ihn. Geld ist mir egal. Ich will dafür sorgen, daß Charley Chang diese Stunde großzügig ersetzt bekommt.«

»Sie verstehen mich nicht ganz, L. M. Es ist vielleicht nur eine Stunde Ihrer Zeit vergangen, aber Charley Chang hat mehr als zwei Monate an dem Drehbuch gearbeitet, einschließlich der Samstage und Sonntage. Und er möchte diese Zeit bezahlt bekommen.«

»Er kann nicht beweisen, daß er so lange gebraucht hat!« fuhr L. M. auf.

»Kann er schon! Er hat jeden Tag eine Karte abgestempelt, und ich habe die Karten bei mir.«

»Soll er mich verklagen! Es hat eine Stunde gedauert, und ich zahle für eine Stunde.«

»Sam, rede du mit ihm«, bat Barney. »Sage ihm, daß man für nichts nichts bekommt. Acht Wochen Bezahlung ist immer noch ein Pappenstiel für so ein tolles Drehbuch.«

»Das Ein-Stunden-Drehbuch hat mir besser gefallen«, sagte Sam.

»Uns allen hätte ein Ein-Stunden-Drehbuch besser gefallen, aber es gibt nun mal keines. Es handelt sich lediglich um eine neue Arbeitsmethode, und die geleistete Arbeit muß ebenso wie früher bezahlt werden.«

Das Telefon unterbrach das Gespräch. L. M. nahm den Hörer ab. Eine Zeitlang horchte er schweigend zu, dann stieß er eine Serie von einsilbigen Grunzlauten aus und legte auf.

»Ruf Hawk ist nach hierher unterwegs«, sagte L. M. »Vielleicht können wir ihn für die Titelrolle gebrauchen, aber ich habe das Gefühl, daß er noch unter Vertrag steht. Barney, horchen Sie ihn aus, bevor sein Agent herkommt. So — und was diese eine Stunde betrifft …«

»Bitte, sprechen wir später über diese eine Stunde, L. M. Es wird sich alles klären.«

Ruf Hawk kam herein. Er blieb einen Moment in der Tür stehen und wandte ihnen sein Profil zu, um zu zeigen, wie gut er aussah. Er sah gut aus. Er sah gut aus, weil sein einziges Interesse seinem Aussehen galt. In zahllosen Kinos auf der ganzen Welt schlugen Frauenherzen schneller, wenn Ruf ein glückliches Starlet in die männlichen Arme schloß. Aber diese vielen, vielen Frauen hatten keine Ahnung, daß ihre Chance, einmal von Ruf in die Arme geschlossen zu werden, gleich Null war. Ruf mochte Frauen nicht. Nicht daß er abnorm veranlagt war, das nicht. Er mochte auch Männer nicht. Er mochte keine Schafe, Regenmäntel, Peitschen, etc. Ruf mochte nur Ruf, und der Glanz der Liebe in seinen Augen war nichts anderes als das Widerspiegeln einer narzißhaften Eigenliebe. Er war einer von vielen StrandMuskelprotzen gewesen, bis man entdeckte, daß er schauspielern konnte. Das heißt, richtig schauspielern konnte er nicht, aber man hatte herausgebracht, daß er genau das tat, was man ihm sagte. Er wiederholte mit Ochsengeduld immer wieder die gleichen Gesten und Worte, bis er sie beherrschte. Zwischendurch munterte er sich durch einen Blick in den Spiegel auf. Seine Unfähigkeit war nie entdeckt worden, denn immer, bevor jemand merkte, wie schlecht er spielte, griffen die Indianer an, oder es erfolgte eine Dinosaurier-Stampede, oder die Mauern Trojas stürzten ein. Deshalb war Ruf glücklich, und auch die Produzenten waren glücklich, wenn sie die Einnahmen zählten. Man war sich darüber einig, daß man Ruf noch lange einsetzen konnte, bevor das Publikum hinter den Schwindel kam.

»Hallo, Ruf«, sagte Barney, »genau der Mann, den wir brauchen.«

Ruf hob die Hand und lächelte. Er sprach nur, wenn er zum Reden aufgefordert wurde.

»Reden wir nicht lange herum, Ruf, es wird ein Knüller ersten Ranges, und als wir von der Hauptbesetzung sprachen, fiel dein Name. Daraufhin sagte ich: Ein Wikingerfilm ohne Ruf geht nicht. Ruf ist der echteste Wikinger, den man sich vorstellen kann.«

Ruf gab keinerlei Gefühlsregung von sich. »Du hast doch schon von den Wikingern gehört, Ruf, oder?«

Ruf lächelte andeutungsweise.

»Du weißt doch«, fuhr Barney fort, »große Burschen mit Riesenäxten und Hörnern an den Helmen. Sie segelten in Schiffen umher, die geschnitzte Drachenköpfe am Bug hatten …«

»Ach ja, richtig«, sagte Ruf. Endlich w a r seine Aufmerksamkeit gefesselt. »Ich habe von den Wikingern gehört. Ich habe noch nie einen Wikinger gespielt.«

»Aber zutiefst im Herzen wolltest du schon immer einen Wikinger spielen, Ruf. Anders kann es gar nicht sein. Die Rolle ist dir auf den Leib geschrieben, du kannst dich richtig hineinknien. Was glaubst du, wie du als Wikinger auf der Leinwand aussehen wirst?«

Die dichten Augenbrauen bewegten sich aufeinander zu. »Ich sehe auf der Leinwand immer gut aus.«

»Natürlich, Ruf, deshalb haben wir dich ja kommen lassen. Du hast doch im Moment keine anderen wichtigen Engagements, oder?«

Rufs Augenbrauen trafen sich, ein Zeichen, daß er angestrengt nachdachte. »Ende nächster Woche fange ich mit einem Film an. Etwas über Atlantis.«

L. M. Greenspan sah vom Drehbuch auf und runzelte die Stirn ebenso wie Ruf. »Dachte ich mir. Schöne Grüße an Ihren Agenten, Ruf, aber wir müssen uns jemand anders suchen.«

»L. M.«, sagte Barney, »lesen Sie das Drehbuch. Es wird Ihnen Spaß machen. Ich rede mit Ruf. Sie haben vergessen, daß der Film bis Montag fertig ist. Da kann sich Ruf noch ein paar Tage bis zu seinem nächsten Termin entspannen.«

»Ich bin froh, daß Sie das Drehbuch erwähnen. Es enthält ein paar grobe Fehler.«

»Woher wissen Sie das — Sie haben doch erst zehn Seiten gelesen? Lesen Sie weiter, dann sprechen wir darüber. Der Autor sitzt draußen. Er macht Abänderungen auf Bestellung.« Er wandte sich wieder an Ruf. »Ich will dir also deinen Wunsch erfüllen. Du sollst den Wikinger spielen. Wir haben ein neues technisches Verfahren, mit dem wir den Film an Ort und Stelle drehen können, und obwohl wir in ein paar Tagen fertig sind, bekommst du das Honorar für einen vollen Film. Was hältst du davon?«

»Darüber mußt du mit meinem Agenten reden. Mit Gelddingen will ich nichts zu tun haben.«

»Ganz richtig, Ruf, dafür sind ja die Agenten da. Ich würde es an deiner Stelle ebenso machen.«

»Es geht einfach nicht«, sagte L. M. mit Weltuntergangsstimme. »Von Charley Chang habe ich etwas Besseres erwartet. Der Anfang geht so nicht.«

»Ich hole jetzt Charley herein, L. M., dann können wir die Sache gemeinsam besprechen und verbessern.«

Barney sah auf die Uhr. Acht Uhr abends. Er mußte sich mit dem Agenten dieses Muskelprotzes in Verbindung setzen. Und das Drehbuch durchbringen und Charley noch einmal nach Catalina schicken, zu den Zähnen und Augen, damit er die endgültige Fassung schrieb. Und Schauspieler für die Nebenrollen suchen. Und alle Einzelheiten für die Reise in die Vergangenheit festsetzen. Und den Film im elften Jahrhundert drehen, was sicher seine eigenen Probleme mit sich brachte. Und am Montagmorgen alles fertig haben. Und jetzt war es Mittwoch und acht Uhr abends. Noch eine Menge Zeit.

Sicher, eine ganze Menge Zeit.

Weshalb schwitzte er dann?

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