14

»Ich fühle mich heute gar nicht gut«, sagte Slithey und lockerte die vergoldete Schnalle ihres Gürtels. »Es muß die Luft oder das Klima oder sonstwas sein.«

»Unbedingt«, sagte Barney ohne jedes Mitgefühl. »An den Muscheln auf Wikingerart kann es wohl nicht liegen? Oder an den sechs Kasten Bier, die ihr letzte Nacht bei eurer Party leergemacht habt?«

Sie gab keine Antwort, aber der grünliche Ton auf ihrer Pfirsichhaut vertiefte sich. Er fügte der Handvoll Pillen noch zwei hinzu und reichte sie ihr.

»Da, nimm sie! Ich bringe dir ein Glas Wasser.«

»So viele«, sagte sie schwach. »Die bringe ich niemals hinunter.«

»Du mußt. Schließlich wollen wir heute filmen. Das hier ist Dr. Hendricksons garantiert wirksame Katerkur. Aspirin gegen die Kopfschmerzen, Dramamin gegen die Übelkeit, Bikarbonat gegen das Sodbrennen, Benzedrin gegen die schlechte Laune und zwei Glas Wasser gegen das trockene Gefühl im Hals. Das hilft immer.«

Während Slithey die Pillen hinunterwürgte, klopfte Barneys Sekretärin an der Wohnwagentür, und er rief »Herein«.

»Sie sehen aber frisch und munter aus!« lobte er sie.

»Ich bin allergisch gegen Muscheln, deshalb ging ich früh schlafen.« Sie hielt ein Blatt mit den wichtigsten Punkten des Tages hoch. »Ich habe einige Fragen.« Sie fuhr mit dem Finger die Liste entlang. »Künstler, okay, Doubles, ebenfalls … Kameras — nichts, Ausstattung — ach ja … Sie wollen wissen, ob an dem Klappdegen Blut sein soll.«

»Natürlich — wir machen doch keine Jugendvorstellung.« Er stand auf und zog seine Jacke an. »Gehen wir, Slithey.«

»Gleich«, sagte sie mit schwacher Stimme.

»Zehn Minuten, mehr nicht, du kommst gleich in der ersten Szene dran.«

Es war ein klarer Tag und die Sonne war bereits über die Hügel gestiegen. Die Grashütten mit ihren Birkenrindedächern warfen lange Schatten auf die Wiese. Die nordischen Siedler waren bereits an der Arbeit. Ein blauer Rauchfaden stieg von der größten Hütte auf.

»Hoffentlich ist Ottar in besserer Verfassung als seine Partnerin«, sagte Barney. Er blinzelte aufs Wasser hinaus. »Betty, sind da links von der Insel Felsen — oder könnte es ein Boot sein?«

»Ich habe meine Brille nicht bei mir.«

»Es könnte das Motorboot sein — es kommt näher. Wird auch höchste Zeit.«

Betty mußte laufen, um mit seinen langen Beinen Schritt halten zu können. Das Boot war jetzt deutlich zu sehen, und sie konnten das schwache Tuckern des Motors hören. Die meisten Filmleute warteten am Ufer in der Nähe des knorr, und Gino baute bereits seine Kamera auf.

»Sieht aus, als würden unsere Forscher heimkehren«, rief er Barney zu und deutete auf das Boot.

»Ich habe sie schon gesehen, und ich werde mich um sie kümmern. Bleibt ihr anderen in der Nähe der Kamera. Wir beginnen sobald wie möglich mit dem Drehen.«

Barney wartete dicht am Wasser, bis das Boot herankam. Tex saß hinten und bediente den Außenbordmotor. Jens Lyn hatte es sich vorn bequem gemacht. Beide Männer waren unrasiert und ungepflegt.

»Nun?« fragte Barney, noch bevor sie an Land stiegen. »Was gibt es Neues?«

Lyn schüttelte den Kopf. »Nichts«, sagte er. »Wir fuhren an der Küste entlang, soweit das Benzin reichte, aber wir sahen keinen Menschen.«

»Unmöglich. Ich habe doch diese Indianer mit eigenen Augen gesehen — und Ottar hat einige getötet. Sie müssen sich irgendwo in der Gegend aufhalten.«

Jens kletterte ans Ufer und streckte sich. »Ich möchte sie ebenso gern finden wie Sie. Es wäre eine einmalige Entdeckung. Die Konstruktion ihrer Boote und die Schnitzerei an den Speerspitzen verleitet mich zu der Annahme, daß es sich um Angehörige der nahezu unbekannten Kap-Dorset-Kultur handelt. Wir wissen verhältnismäßig wenig über diese Leute, nur ein paar Tatsachen, die durch Ausgrabungen zutage kamen, und ein paar Andeutungen in den Sagas. Es scheint festzustehen, daß die letzten Menschen dieser Kultur gegen Ende des elften Jahrhunderts verschwanden …«

»Das interessiert mich nicht. Ich will endlich diesen Film beenden. Wir brauchen Indianer dafür — wo sind sie? Ihr müßt doch wenigstens ein paar Lebenszeichen von ihnen entdeckt haben.«

»Wir sahen ein paar Lager am Ufer, aber sie waren verlassen. Die Kap-Dorset-Menschen sind Nomaden. Sie folgen meist den Seehundherden oder den Dorsch-Schwärmen. Ich habe das Gefühl, daß sie sich zu dieser Jahreszeit weiter nördlich befinden …«

Tex zerrte das Motorboot an Land und setzte sich dann auf seine Kante. »Ich möchte dem Doc nicht ins Handwerk pfuschen, aber …«

»Aberglaube!« entrüstete sich Lyn. Tex räusperte sich und spuckte ins Wasser. Sie hatten offensichtlich eine Meinungsverschiedenheit gehabt.

»Was ist?« fragte Barney. »Heraus damit!«

Tex kratzte sich das unrasierte Kinn und sagte zögernd: »Sehen Sie, der Doc hat recht. Wir haben nichts und niemand außer diesen alten Camps und ein paar Seehundknoten entdeckt. Aber ich habe so das Gefühl, daß sie irgendwo in der Nähe stecken und uns die ganze Zeit beobachten. Es wäre nicht schwer für sie. Diesen Rasenmähermotor hört man auf fünf Meilen Entfernung. Wenn sie Seehundjäger sind, wie der Doc sagt, dann können sie sich verstekken, sobald sie den Motor hören. Ich glaube ganz fest, daß sie hier irgendwo auf der Lauer liegen.«

»Hast du irgendeinen Beweis für deine Theorie?« fragte Barney.

Tex wand sich unbehaglich. »Aber Sie dürfen mich nicht auslachen«, stieß er schließlich hervor.

Barney erinnerte sich daran, daß Tex Ausbilder in der Kunst der waffenlosen Verteidigung war. »Ich würde dich niemals auslachen, Tex«, sagte er ernst.

»Also — es ist folgendermaßen. Wir spürten es auch im Dschungel. Es ist, als würde man beobachtet. Und meist stimmt es. Peng, ein Schuß aus dem Hinterhalt. Ich kenne das Gefühl. Und ich hatte es da draußen die ganze Zeit. Gott helfe mir, sie sind irgendwo in der Nähe.«

Barney knackte mit den Knöcheln und dachte nach. »Du hast wohl recht, aber das nützt uns nichts. Wir sprechen beim Mittagessen nochmals darüber. Vielleicht fällt uns etwas ein. Wir brauchen diese Indianer.«

Mit der Szene klappte es überhaupt nicht, und das war zum größten Teil Barneys Schuld. Er hatte die Gedanken nicht bei der Sache. Eigentlich waren es keine schwierigen Aufnahmen — Handlung hauptsächlich. Orlyg, von Val de Carlo dargestellt, ist Thors bester Freund und seine rechte Hand, aber er hat sich heimlich in Gudrid verliebt, die Thor aus Angst vor den Schwierigkeiten nichts sagen will. Seine Leidenschaft wird jedoch zu groß, und da Gudrid ihm erklärt hat, sie würde einen anderen Mann lieben, solange Thor am Leben sei, beschließt er in seiner Raserei, Thor umzubringen. Er versteckt sich hinter dem Schiff und greift Thor an, als er vorbeigeht. Thor will es zuerst nicht glauben, doch als Orlyg ihm in den Arm sticht, nimmt er den Kampf auf. Einhändig bringt er seinen Nebenbuhler um.

»So«, sagte Barney. Er war am Rande eines Nervenzusammenbruchs. »Wir versuchen es noch einmal, und diesmal wäre ich froh, wenn sich alle ihre Sätze merken würden. Allmählich werden wir an Blut und frischen Hemden knapp. In Stellung. Orlyg, hinter das Boot, Thor, den Strand entlang. Kamera!«

Ottar stapfte schwerfällig durch den Sand und schaffte es, einigermaßen überrascht dreinzusehen, als de Carlo ihn ansprang.

»Ho, Orlyg«, sagte er hölzern. »Was machst du hier, was hat das zu bedeuten … mikli Odinn![18] Seht euch das an!«

»Schnitt!« brüllte Barney. »Das ist nicht richtig, kannst du dir denn gar nichts merken?« Er verstummte, als seine Blicke Ottars ausgestrecktem Zeigefinger folgten.

Dunkle kleine Boote, eines nach dem anderen, kamen hinter der Insel zum Vorschein und paddelten lautlos auf das Ufer zu.

»Äxte, Schwerter!« befahl Ottar und sah sich nach einer Waffe um.

»Halt!« rief Barney. »Keine Waffen und kein Kampf! Wir wollen das Treffen freundlich gestalten, wenn es sich machen läßt. Sucht irgendwelche Tauschobjekte. Die Leute da draußen sind potentielle Komparsen, und ich möchte sie nicht erschrecken. Tex, du hältst deinen Revolver schußbereit — aber unauffällig. Wenn es Schwierigkeiten gibt, beendest du sie.«

»Mit Vergnügen.«

»Aber du fängst nicht zuerst an. Das ist ein Befehl. Gino, bringen Sie die Leute ins Bild?«

»Schon fertig. Wenn Sie die Typen aus dem zwanzigsten Jahrhundert von der Bildfläche entfernen könnten, filme ich die ganze Ankunft.«

»Ihr habt es gehört, verschwindet. Weg von der Kamera. Lyn — ziehen Sie sich sofort als Wikinger um und dolmetschen Sie!«

»Wie denn? Von ihrer Sprache ist kein Wort überliefert.«

»Sie werden schon etwas aufschnappen. Sie sind der Dolmetscher — also dolmetschen Sie. Wir brauchen so etwas wie eine weiße Flagge, um ihnen zu zeigen, daß wir nicht bösartig sind.«

»Das genügt. Geben Sie ihn Ottar.«

Die kleinen Boote wurden langsamer, als sie dem Ufer nahekamen. Es waren insgesamt neun, und in jedem saßen zwei bis drei Mann. Sie waren auf der Hut und hatten die Waffen in der Hand, aber es sah nicht so aus, als würden sie angreifen. Einige der nordischen Frauen kamen an den Strand, um zu sehen, was sich abspielte, und das schien die Männer in den Booten zu beruhigen, denn sie kamen näher. Jens Lyn eilte herbei. Er knöpfte sich sein Lederwams zu.

»Sprechen Sie mit ihnen«, sagte Barney. »Aber bleiben Sie hinter Ottar, damit es so aussieht, als sei er der Anführer.«

Die Indianer kamen näher, und es ging lautes Geschrei hin und her.

»Das kostet eine Menge Film«, sagte Gino.

»Drehen Sie weiter, wir können später herausschneiden, was wir nicht brauchen. Gehen Sie am Ufer entlang, bis Sie den besten Aufnahmewinkel gefunden haben. Wir müssen etwas holen, was die Leute anlockt.«

»Gewehre und Feuerwasser«, sagte de Carlo. »So macht man es bei den Indianern im Westen.«

»Keine Waffen! Diese Kerle können mit ihrem eigenen Zeug gut genug umgehen.« Er sah sich nach einer Inspiration um und entdeckte den Kantinenwagen hinter Ottars Hütte. »Das ist eine Idee«, murmelte er und ging hinüber. Clyde Rawlston lehnte an der Wand und kritzelte etwas auf ein Stück Papier.

»Ich dachte, Sie wollten mit Charley an den Dialogen arbeiten?«

»Die Arbeit am Drehbuch schadet meiner Dichtkunst. Deshalb habe ich mich wieder in die Küche zurückgezogen.«

»Ein wahrer Künstler. Was haben Sie alles zu essen?«

»Käsebrötchen, Krapfen, Kaffee, Tee …«

»Das regt die Rothäute sicher nicht auf. Sonst noch etwas?«

»Eis.«

»Das könnte gehen. Holen Sie sich ein paar Wikingertöpfe und klatschen Sie gehörige Portionen hinein. Ich möchte wetten, daß die Kerle ebenso auf Süßigkeiten aus sind wie wir normalen Bürger.«

Er hatte recht. Slithey trug eine Gallone Vanilleeis zum Strand, wo einige der Eingeborenen in der Brandung standen. Nachdem sie selbst etwas davon gegessen hatte, gab sie jedem eine Portion. Entweder wirkte das Eis, oder Slitheys Hormone taten das ihre. In ein paar Minuten waren alle Boote an Land gezogen, und die dunkelhaarigen Fremden hatten sich unter die Nordmänner gemischt. Barney stand hinter der Kamera und beobachtete sie.

»Eigentlich sehen sie eher wie Eskimos aus«, sagte er halblaut. »Aber ein paar Federn und ein wenig Kriegsbemalung müßten genügen, um sie echt wirken zu lassen.«

Obwohl sie die flachen Gesichter und die typisch asiatischen Züge der Eskimos hatten, waren sie größer und kräftiger — und bronzefarben. Ihre Kleidung bestand aus zusammengenähten Seehundfellen. Sie sprachen hoch und schnell und schienen ihre Furcht gänzlich verloren zu haben. Das knorr faszinierte sie am meisten. Offenbar hatten sie noch nie so ein großes Schiff gesehen. Barney entdeckte Jens Lyn und winkte ihn zu sich.

»Was haben Sie erreicht? Werden sie für uns arbeiten?«

»Sind Sie wahnsinnig? Ich glaube, daß ich bis jetzt zwei Worte erkannt habe, aber sicher bin ich nicht. Unn-nah scheint Ja zu heißen und henne Nein.«

»Arbeiten Sie weiter. Wir brauchen diese Leute und noch mehr für unsere Indianerangriffe.«

Am Ufer schien ein allgemeiner Gedankenaustausch stattzufinden. Einige der Nordmänner untersuchten die Bündel in den Booten, und die Dorsets öffneten sie und breiteten die Seehundfelle aus. Die Neugierigeren unter den Ankömmlingen waren in die Häuser gegangen und betrachteten dort alles ganz genau. Einer von ihnen entdeckte Gino hinter seiner Kamera und kam ganz dicht an die Linse heran, so daß der Kameramann eine großartige Nahaufnahme machen konnte. Doch er drehte sich schnell um, als er ein Muhen hörte, gefolgt von schrillen Schreien.

Eine Kuh war durch die Sumpfwiese gestrolcht, die an den Wald angrenzte, und der Bulle war ihr gefolgt. Der Bulle war zwar klein, aber ein niederträchtiges, hinterlistiges Biest, und er wirkte durch sein Schielen noch häßlicher, als er war. Er durfte frei herumlaufen und war schon mehr als einmal vom Filmgelände gejagt worden. Er schüttelte die Hörner und brüllte wieder los.

»Ottar«, rief Barney. »Bring den Stier weg, bevor er die Indianer ängstigt.«

Er hatte die Indianer nicht nur geängstigt — er hatte sie zu Tode erschreckt. Sie hatten noch nie zuvor so ein tobendes, schnaubendes Biest gesehen und waren starr vor Angst. Ottar nahm einen starken Ast auf und rannte schimpfend auf den Bullen zu. Das Tier scharrte mit den Hufen im Boden, senkte den Kopf und griff Ottar an. Er trat zur Seite, belegte es mit einem kurzen nordischen Schimpfwort und knallte ihm den Prügel gegen die Flanke.

Das hatte jedoch nicht die gewünschte Wirkung. Anstatt sich seinem Angreifer zu widmen, brüllte das Tier und rannte auf die Dorsets zu. Offenbar brachte es die dunklen, unbekannten Gestalten mit der Unruhe in Verbindung. Die Fremden kreischten und rannten davon.

Die Panik breitete sich aus. Jemand rief, daß die skrælling angriffen, und die Nordmänner suchten nach ihren Waffen. Zwei der verängstigten Dorsets verliefen sich zwischen den Gebäuden und versuchten, in Ottars Hütte einzudringen, aber die Tür war verriegelt. Ottar rannte herbei, um sein Heim zu verteidigen, als einer der Fremden sich mit erhobenem Speer umdrehte, schlug er ihm den Prügel auf den Kopf. Der Mann brach zusammen.

Innerhalb einer Minute war alles vorbei. Der Bulle, die Ursache des ganzen Unglücks, war durch den Bach gewatet und weidete friedlich auf der anderen Seite. Die Fellboote jagten aufs offene Meer hinaus, angetrieben von hastig eingetauchten Paddeln. Viele der Seehundfelle blieben am Ufer liegen. Einer der Knechte hatte eine Handverletzung, zwei der Dorsets waren tot — darunter der, den Ottar erwischt hatte.

»Madonna mia«, sagte Gino und kam schwitzend hinter seiner Kamera hervor. »Was haben diese Leute für ein Temperament! Schlimmer als die Sizilianer!«

»So eine Dummheit«, sagte Jens. Er saß am Boden und drückte beide Hände auf den Magen. »Sie waren verängstigt wie die Kinder. Kinderherzen und Erwachsenenreaktionen! Das führte zu den Kämpfen. Jammerschade!«

»Aber es werden ein paar gute Szenen«, meinte Barney. »Und wir dürfen auch nicht in die Gewohnheiten der Eingeborenen eingreifen. Was ist mit Ihnen los — haben Sie bei der Stampede einen Tritt in den Magen bekommen?«

»Nicht in die Gewohnheiten der Eingeborenen eingreifen — sehr witzig! Sie verändern das ganze Leben dieser Leute wegen Ihres blödsinnigen Kintopps, und dann weigern Sie sich, die Konsequenzen zu tragen …« Er schnitt plötzlich eine Grimasse und biß die Zähne zusammen. Barney sah, daß zwischen seinen Fingern Blut hervorquoll.

»Sie sind verletzt!« sagte er ungläubig. Dann wirbelte er herum. »Tex — den Erste-Hilfe-Kasten! Schnell!«

»Was kümmert Sie das? Ich habe gesehen, wie Sie an dem verletzten Knecht vorbeigingen. Es hat Sie nicht im geringsten berührt. Die Nordmänner sind dafür bekannt, daß sie nach einem Kampf ihre Wunden mit Schusterzwirn zunähten. Warum bringen Sie mir nicht etwas Zwirn?«

»Immer langsam, Jens, Sie sind verwundet. Wir werden uns um Sie kümmern.«

Tex rannte mit dem Erste-Hilfe-Kasten heran und kniete neben dem Verwundeten nieder.

»Was ist geschehen?« fragte er ruhig und überraschend sanft.

»Ein Speer«, erwiderte Jens. »So schnell, daß ich es gar nicht merkte. Ich stand zwischen dem Mann und den Booten. Er hatte panische Angst. Ich hob die Hände und wollte auf ihn einreden, und da spürte ich den Schmerz, und er war fort.«

»Lassen Sie mich mal sehen — hm, ich habe schon viele Bajonettwunden in Neuguinea verarztet.« Seine Stimme war sachlich, und Jens wehrte sich nicht, als er seine Hände zur Seite schob. Mit einem schnellen Schnitt öffnete er die blutbefleckten Kleider.

»Nicht schlecht«, sagte er, als er die Wunde betrachtete. »Ein sauberer Schnitt unterhalb des Magens. Sieht aus, als sei er nicht tief genug gegangen, um ein Organ zu verletzen. Krankenhausfall. Man wird die Löcher zusammenflicken, Sie künstlich ernähren und Sie mit Antibiotika vollpumpen. Wenn man so etwas vernachlässigt, entsteht in ein paar Tagen die schönste Bauchfellentzündung. Und daran kann man sterben.«

»Sie sind verdammt offen«, meinte Lyn, aber er lächelte.

»Immer«, erwiderte Tex und holte eine Morphiumspritze heraus. »Wenn einer weiß, was ihm fehlt, jammert er nicht unnötig. Ist für ihn und die anderen gut.« Er gab ihm die Injektion mit geübter Hand.

»Glauben Sie wirklich, daß die Krankenschwester die Wunde nicht behandeln kann? Ich möchte noch nicht umkehren …«

»Volles Gehalt und Prämie«, sagte Barney aufmunternd. »Und ein Einzelzimmer im Krankenhaus — Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«

»Es geht mir nicht um das Geld, Mister Hendrickson. Auch wenn Sie es nicht glauben, es gibt auf der Welt noch andere Dinge. Für mich zählt nur, was ich hier lerne. Eine Seite meiner Notizen ist mehr wert als alle Spulen Ihres Zelluloidschinkens.«

Barney lächelte und versuchte das Thema zu wechseln. »Heutzutage werden die Filme nicht mehr aus Zelluloid hergestellt, Doktor. Sicherheitsfilm, nicht brennbar.«

Tex schüttelte Schwefelpulver auf die Wunde und legte einen Druckverband an.

»Sie müssen den Doktor bitten, herzukommen«, sagte Lyn ängstlich. »Sobald ich fort bin, machen Sie den Film ohne mich fertig, und ich kann nie wieder zurückkehren.«

Er sah mit brennenden Augen auf die Bucht, die Hütten und die Menschen. Es schien, als wolle er sich alles einprägen. Barney sah Tex an, und der schüttelte unauffällig den Kopf. »Ich hole den Lastwagen und sage dem Professor Bescheid. Jemand sollte dem Wikinger die Hand verbinden und ihm ein Röhrchen mit Penicillintabletten geben.«

»Bringen Sie die Schwester mit«, befahl Barney. »Ich bleibe inzwischen bei Jens.«

Jens legte die Hand auf Barneys Arm. »Ich will Ihnen verraten, was ich durch Zufall entdeckte. Ich hörte Ottar mit einem seiner Leute über den Tochterkompaß auf seinem Schiff sprechen. Sie hatten ein eigenes Wort dafür, und es klang wie usasnotra. Das schockierte mich. In den isländischen Sagas gibt es ein Wort húsasnotra. Es beschreibt ein Navigationsgerät, das nie identifiziert werden konnte. Verstehen Sie, was das bedeutet? Unsere Ankunft im elften Jahrhundert hatte eine größere Wirkung, als wir ahnten. Alle Möglichkeiten müssen genau betrachtet werden. Ich kann jetzt nicht weg von hier.«

»Was Sie da sagen, ist sehr interessant, Jens.« Barney sah zum Lager hinüber, aber er konnte den Lastwagen nirgends sehen. »Sie sollten einen wissenschaftlichen Bericht darüber schreiben …«

»Idiot! Sie wissen ja nicht, wovon Sie sprechen! Für Sie ist das Vremeatron nichts anderes als ein Mittel, um diesen schundigen Film zu vollenden …«

»Sie gehen ja freizügig mit Beleidigungen um«, sagte Barney. Er versuchte, nicht die Geduld mit dem Verwundeten zu verlieren. »Niemand wollte Hewett helfen, bis wir ihm das Geld gaben. Wenn der Film nicht gewesen wäre, säßen Sie immer über Büchern der Universität und hätten keinen einzigen dieser Fakten, die Sie für so wichtig halten. Ich setze Ihre Arbeit nicht herunter, setzen Sie die meine nicht herunter. Ich habe das Argument des ›Mittels zum Zweck‹ schon mehr als einmal gehört. Es zieht nicht. Im Krieg sind die Wissenschaftler Mittel zum Zweck, aber alle großen Erfindungen scheinen dann gemacht zu werden, wenn ein kriegführendes Land bereit ist, sie zu kaufen.«

»Bei Kriegen wird nicht die grundsätzliche Forschung bezahlt, durch die große Erfindungen erst möglich werden.«

»Wenn Sie gestatten — Kriege halten den Feind und die Bomben weit genug fern, um den Grundsatzforschern eine Arbeit in Ruhe und Freiheit zu ermöglichen.«

»Eine glatte Antwort, aber eine unbefriedigende. Egal, was Sie sagen, die Zeitreise wird dazu verwendet, einen billigen Film zu drehen, und jedes Körnchen historischer Wahrheit wird durch einen reinen Zufall entdeckt.«

»Das stimmt nicht ganz«, sagte Barney und seufzte innerlich erleichtert auf, als er den Lastwagen hörte. »Wir haben soviel Geld in die Zeitmaschine investiert, daß sie jetzt funktioniert. Mit den Erkenntnissen, die Sie durch Ihren Aufenthalt in der Vergangenheit gewonnen haben, müßte es Ihnen möglich sein, sich eine eigene Zeitmaschine zu finanzieren. Damit können Sie dann ihre Forschungen nach Herzenslust fortsetzen.«

»Genau das werde ich tun.«

»Aber nicht sofort.« Der Lastwagen hielt neben ihnen. »Wir haben den Professor für die nächsten Jahre ausschließlich für die Firma engagiert — bis sich die Investierung in die Zeitmaschine gelohnt hat.«

»Natürlich«, sagte Jens bitter und sah zu, wie die Bahre aus dem Wagen geholt wurde. »Erst der Profit. Die Kultur hat das Nachsehen.«

»So ist nun mal das Leben.« Barney beobachtete, wie der Philologe vorsichtig in den Wagen geschoben wurde, »Sie können die Welt nicht anhalten und abspringen, und deshalb müssen Sie lernen, auf ihr zu leben.«

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