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Den Empfang wird man sich leicht vorstellen können. Gordon, Croß, Baxter, Garnett und Webb eilten ihnen mit offenen Armen entgegen, die Kleinen tanzten sogar vor Freude, Phann sprang herum und bellte.

Haben sie sich geirrt? Sind sie irgendwelchen Eingeborenen in die Hände gefallen oder wurden sie von Raubtieren angefallen? Solche Fragen wurden während ihrer Abwesenheit immer wieder laut.

»Wir sind auf einer Insel, alles übrige morgen, wir sind zu müde, um jetzt noch von unseren Erlebnissen zu berichten«, sagte Briant.

Gordon nahm diese Mitteilung gelassen auf, er zuckte nur langsam mit den Schultern, so als wollte er sagen: daß wir auf einer Insel sitzen, habe ich mir fast gedacht. Mit Tagesgrauen des 5. April versammelten sich die Großen, Gordon, Briant, Doniphan, Baxter, Croß, Wilcox, Service und Webb, dazu noch Moko, dessen Ratschläge wichtig sein konnten, auf dem Vorderdeck der gestrandeten Jacht, während die Kleinen noch schliefen. Abwechselnd berichteten Briant und Doniphan über alle Erlebnisse und Entdeckungen während ihrer Reise durch die Insel. Keine Einzelheit wurde dabei ausgelassen.

»Nach Betrachtung der Karte ist es klar, daß nur noch vom Meer her Rettung kommen kann«, sagte Briant.

»Das sieht düster aus für uns, aber wir haben jetzt nichts mehr zu verlieren, lassen wir deshalb nicht den Kopf hängen, sondern versuchen wir das menschenmögliche, um hier auf dieser gottverlassenen Insel zu überleben, bis uns ein Schiff gesichtet hat!« antwortete Gordon ebenso ruhig.

Der junge Amerikaner besaß keine Familie in Neuseeland, die sehnsüchtig auf ihn wartete. An ihm war es, die Moral der kleinen Gesellschaft immer wieder zu stärken, seinen Kameraden zuzureden und jeden Anflug von Verzweiflung sofort zu ersticken.

Da diese Insel, laut Karte, eine ziemlich große Ausdehnung haben mußte, schien es undenkbar, daß sie auf der Karte des Stillen Ozeans nicht verzeichnet sein sollte. Nach sorgfältiger Prüfung des Stielerschen Atlas erkannte man, daß dieser keine irgendwie bedeutendere Insel außerhalb der Archipele angab, welche Feuerland und der Gegend um die Magellanstraße vorgelagert sind, also die Insel Desolation, der Königin Adelaide, Clarence usw. Gehörte die Insel aber zu diesen Archipelen, die nur durch schmale Wasserstraßen voneinander getrennt sind und auch in der Nähe des Festlandes liegen, so hätte Frangois Baudoin diese sicherlich auf seiner Karte verzeichnet; aber das war nicht der Fall. Die Insel mußte also vereinzelt und jedenfalls mehr nördlich oder südlicher von jenen Meeresteilen liegen. Ohne die notwendigen Unterlagen und geeigneten Instrumente war es jedoch unmöglich, ihre Lage im Ozean zu bestimmen.

Jetzt galt es, sich endgültig einzurichten und festzusetzen, ehe die schlechte Witterung jeden Ortswechsel erschwerte oder gar verhinderte.

»Das beste wird sein, wir richten uns die Höhle als Wohnung ein«, sagte Briant.

»Ist sie denn auch geräumig genug für uns alle?« fragte Baxter.

»Das zwar nicht«, antwortete Doniphan, »aber ich glaube, man kann sie ohne viel Schwierigkeiten vergrößern und ausbauen. Wir haben ja Gott sei Dank die nötigen Werkzeuge dafür.«

»Nehmen wir sie zuerst eben, wie sie ist; danach können wir immer noch weitersehen«, warf Gordon ein.

»Und brechen wir bald auf«, sagte Briant eindringlich.

»Wo werden wir wohnen, bis wir unser neues Dach über dem Kopf gefunden haben?« fragte Doniphan.

»Im Zelt, das wir am rechten Rioufer unter den Bäumen aufschlagen.«

»Einverstanden, machen wir das gleich!«

Das Demontieren der Jacht, das Ausladen des gesamten Materials und des Proviantes sowie der Bau eines brauchbaren Floßes würden mindestens einen Monat in Anspruch nehmen. Ehe die Sloughi verlassen war, würde es Anfang Mai sein, und diese Zeit entspricht etwa dem Winteranfang auf der südlichen Halbkugel. Gordon hatte mit gutem Grund den Lagerplatz am Rioufer ausgesucht, denn der Materialtransport konnte dann zu Wasser erfolgen, die einfachste aller erdenklichen Lösungen. Briant hatte sich während des Heimweges von der Höhle ja überzeugen können, daß der Flußlauf kaum ernsthafte Schwierigkeiten für einen Schleppzug bot. Um nun auch noch den Unterlauf von der Schlammlache bis zur Mündung kennenzulernen, die 4 Kinder waren damals ja in den Wald abgebogen, wurde ein Ausflug, aber diesmal mit der geretteten Jolle, unternommen. Briant und Moko erkannten dabei, daß auch diese Strecke schiffbar war. Hier befand sich also eine natürliche Wasserstraße zwischen der Sloughi-Bai und French-den.

In den nächsten Tagen errichtete man am Rioufer das neue Lager. Die unteren Äste zweier Buchen dienten, durch lange Stangen mit einem anderen Baum verstrebt, als Stützen für das Reserve-Großsegel der Jacht, das man an der Seite bis zum Boden herunterfallen ließ. Unter das durch Stricke befestigte Zeltdach schaffte man das Bettzeug, die notwendigsten Geräte, die Waffen sowie Munition und Proviant. Da das Floß aus den Bruchstücken der Sloughi gebaut werden sollte, mußte man sich noch etwas gedulden.

Das Wetter war trocken, zuweilen wehte ein schwacher, erfrischender Wind von der Landseite her, die Arbeit ging gut voran.

Um den 15. April war die Fracht des Schoners fast vollständig gelöscht, die schweren Gegenstände konnte man erst nach der Zerstörung des Schiffes bergen, so die als Ballast dienenden Bleibarren, die Wassertonnen im unteren Schiffsraum, das Gangspill und die Herdeinrichtung. Das ganze Takelwerk, der Fockmast, die Raaen, die Wanten, ferner Ketten, Wurfanker, Kabel, Taue, Kabelgarn und dergleichen, war schon in die Nähe des Zeltes geschleppt worden.

Bei all dieser Arbeit durfte aber die Beschaffung von Nahrungsmitteln nicht vernachlässigt werden. Doniphan, Webb und Wilcox widmeten jeden Tag einige Stunden der Jagd auf Felstauben und anderes Federvieh, die Kleinen sammelten Schaltiere, sobald die Ebbe den oberen Teil der Klippenbank freigelegt hatte. Gordon hielt ihnen öfters eine Strafpredigt, wenn sie in total durchnäßten Kleidern zurückkamen, Briant hingegen entschuldigte sie, so gut er konnte. Die Arbeit ging ganz nach Wunsch vor sich, Gordons Methode schnellster Arbeitsbewältigung bewährte sich vorzüglich; auch Doniphan unterwarf sich willig den Ratschlägen des jungen Amerikaners. In der kleinen Welt dieser Kinder herrschte vollkommene Eintracht. Man mußte sich jedoch sehr beeilen. Die zweite Hälfte des April war weniger schön, die mittlere Temperatur sank beträchtlich, mehrmals stand das Thermometer am frühen Morgen auf 0 Grad. Der Winter meldete sich an, bald schon würden Hagel-, Schnee- und Sturmschauer über Meer und Insel hinwegfegen. Aus Vorsicht mußten sich die Großen und Kleinen wärmer kleiden, man brauchte nur in Gordons Notizbuch schauen, um zu wissen, in welchem Ballen sich die diesbezüglichen Kleidungsstücke befanden. Wiederholt mußten Dole und Costar im Zelt bleiben und einen beginnenden Schnupfen auskurieren. Moko versorgte sie dann mit einem Teeaufguß, die Apotheke der Jacht lieferte vorerst noch die benötigten Heilmittel.

Nachdem die Jacht ausgeräumt worden war, zerlegte man den in allen Fugen auseinandergefallenen Rumpf. Die Kupferbleche des Beschlages wurden sorgfältig abgelöst, um in French-den Verwendung zu finden. Das Abtrennen der Planken war ein schweres Stück Arbeit für die Kinder, aber am 25. April kam ihnen ein stürmischer Wind zu Hilfe. Trotz der inzwischen eingetretenen kalten Jahreszeit zog in dieser Nacht ein heftiges Gewitter auf, das sich bereits durch die Trübung des Sturmglases angemeldet hatte. Grelle Blitze zuckten durch die Atmosphäre, das Donnergrollen tobte unausgesetzt von Mitternacht bis Tagesanbruch. Zum Glück regnete es nicht, dennoch war es mehrmals nötig, das Zelt zu halten und es gegen die peitschenden Sturmwinde zu schützen. Dieses Unwetter vollendete die von den Kindern mit Zangen und Meißeln begonnene Zerstörung der einst so stolzen, seetüchtigen Sloughi. Dielosgeschlagene Beplankung, die schon gelockerten Rippen und der durch wiederholtes Aufstampfen zerborstene Kiel schwammen als Bruchstücke umher, man mußte sie nur wieder einsammeln und zum Zeltplatz schaffen.

Am Abend des 28. April war alles, was von der Sloughi noch übriggeblieben war, am Lagerplatz gestapelt. Damit war vorerst das Allerschlimmste überstanden, denn ab jetzt konnte man sich zum Transport des natürlichen Wasserlaufes bedienen, der ja direkt an der Höhle vorbeiführte.

»Morgen beginnen wir mit dem Bau unseres Floßes«, sagte Gordon.

»Ja, und um uns das Zuwasserlassen des Floßes zu erleichtern, schlag ich vor, es gleich auf dem Rio selbst zu bauen«, überlegte Baxter.

»Das dürfte nicht gerade bequem sein«, sagte Doniphan.

»Egal, wir versuchen es, dann brauchen wir es nicht kompliziert vom Stapel laufen zu lassen.«

Die vom Schoner losgelösten Planken, der in 2 Stücke zerbrochene Kiel, der Fockmast, das Bodenstück des Großmastes, die Kreuzhölzer und das sogenannte Eselshaupt, der Bugspriet, die Großraa des Focksegels und verschiedene andere Teile waren von den Kindern an eine Stelle des Ufers geschafft worden, die von der Flut zur Zeit des höchsten Wasserstandes erreicht wurde. Man wartete diesen Zeitpunkt ab, um nach Eintritt der Flut die größten Stücke neben und auf die zuvor bereits zurechtgelegten Grundbalken des Floßes, das ziemlich groß bemessen werden mußte, um alles aufnehmen zu können, zu zimmern. So erhielt man eine Grundlage von etwa 3 m Länge und 1,5 m Breite. Den ganzen Tag über wurde eifrig gearbeitet, noch vor Einbruch der Dunkelheit war das Floß fertig. Briant vertäute es aus Vorsicht noch an einigen Uferbäumen, denn mit der zurückflutenden Ebbe hätte es leicht ins Meer getrieben werden können. Erschöpft von dieser schweren Arbeit aßen die Jungen zur Nacht und legten sich sofort schlafen.

Am Morgen des 30. April ging die Arbeit in vollem Tempo weiter. Jetzt mußte auf der Floßgrundlage eine Plattform errichtet werden, hierzu dienten die Planken der Bordwand und der Schanzkleidung der Sloughi. Obwohl keine Stunde vergeudet wurde, dauerte das drei volle Tage. Schon zeigten sich auf den Wassertümpeln einzelne Kristallisationen, der Schutz des von einem Lagerfeuer erwärmten Zeltes begann langsam unzureichend zu werden, Gordon und seine Kameraden mußten sich, obwohl in wollene Decken gehüllt, nachts eng aneinander-schmiegen. Das trieb sie erst recht zur Eile, so schnell wie möglich nach French-den zu kommen, wo sie besser geschützt waren gegen den hereinbrechenden Winter.

»Wir dürfen mit der Abfahrt nicht länger als bis zum 6. Mai warten«, sagte Briant.

»Und warum?« fragte Gordon.

»Übermorgen ist Neumond, die Gezeiten treten also stärker auf als gewöhnlich; je größer die Flutwellen, um so mehr Chancen, schneller und bequemer nach French-den zu kommen. Denk doch, Gordon, wir haben Bergfahrt vor uns, mit Schlepptauen und ohne Unterstützung der Strömung ist das kaum zu schaffen.«

»Du hast recht, in 3 Tagen müssen wir spätestens aufbrechen.«

Am 3. Mai wurde das Floß beladen, am Nachmittag des 5. Mai war jeder Gegenstand an seinem Platz verstaut. Die Ballen waren so geschickt verteilt, daß das Floß genau im Gleichgewicht lag. Jetzt brauchten also nur noch die Taue gelöst werden, wenn der Eintritt der Flut sich an der Riomündung bemerkbar machte.

Schon wollten sich die Kinder, erschöpft und kalt gefroren, schlafen legen, da machte Gordon noch einen Vorschlag.

»Liebe Freunde, wir entfernen uns jetzt etwas vom Meer, wir werden es nicht mehr so gut überwachen können wie bisher; sollte sich ein Schiff nähern, wären wir nicht imstande, Signale abzufeuern. Es erscheint mir deshalb ratsam, jetzt noch einen Mast auf dem Steilufer zu errichten und dort für immer eine unserer Flaggen auf zuziehen.«

Dieser Vorschlag wurde einstimmig gutgeheißen. Die zur Herstellung des Floßes nicht verwendete Fockmaststenge des Schoners wurde zum Steilufer geschleppt und oben tief in den Boden gerammt. Baxter hißte an einer Zugleine die Flagge Großbritanniens, Doniphan schoß mit der Flinte Salut.

»Aha«, sagte Gordon zu Briant, »Doniphan nimmt im Namen Englands von dieser Insel Besitz.«

»Sollte mich nicht wundern, wenn sie ihm schon gehörte.«

Am folgenden Morgen waren alle Kinder schon früh auf den Beinen. Sie beeilten sich, das Zelt abzubrechen und das Bettzeug auf das Floß zu schaffen. Von der Witterung brauchten sie augenblicklich nichts zu befürchten.

Um sieben Uhr waren die Vorbereitungen beendet. Die Plattform war so eingerichtet, daß sie nötigenfalls für 3 Tage als Aufenthaltsort dienen konnte. Was an Nahrungsmitteln gebraucht wurde, hatte Moko gesondert verstaut. Um 8 Uhr waren alle Kinder auf dem Floß. Die Großen hielten Bootshaken und Stangen bereit, um eventuell wirkungsvolle Steuermanöver durchführen zu können. Kurz vor 9 Uhr machte sich die Flut bemerkbar.

»Achtung, aufgepaßt!« riefen Briant und Baxter. Beide standen an den Tauen.

»Wir sind fertig!« rief Doniphan, der mit Wilcox auf dem vorderen Floßteil stand.

»Loslassen!« rief Briant.

Das Floß trieb langsam und sicher zwischen den beiden Ufern hin, im Schlepptau schaukelte die Jolle.

Gegen 11 Uhr setzte schon wieder die Ebbe ein, das Floß wurde schnell verankert, damit es nicht wieder dem Meere zugetrieben werden konnte. Es wäre zwar theoretisch möglich gewesen, die nächste Flutwelle wieder auszunützen, aber man hätte dann in der Dunkelheit fahren müssen, und das war den Kindern zu gefährlich.

»Ich meine, es wäre unklug; wir würden uns nur unnötig Gefahren aussetzen, die unser Floß und alles darauf befindliche Material zerstören könnten. Warten wir bis morgen!« Gordons Vorschlag wurde gebilligt. Zwar brauchte man so 24 Stunden länger, aber die Sicherheit ging vor. Die Kinder blieben also den halben Tag und die Nacht über an dieser Stelle am rechten Rioufer. Doniphan und seine Jagdbegleiter gingen an Land und schössen 4 junge fette Trappen und einige Tinamus.

»Das gibt unser erstes Essen in French-den«, erklärte Moko. Während seines Jagdausfluges hatte Doniphan nichts bemerkt, was auf menschliche Anwesenheit auf dieser Insel hätte schließen lassen; von Tieren erkannte er nur Vögel.

Der Tag verstrich ohne besondere Ereignisse. Baxter, Wilcox und Croß standen die Nacht über auf Wache. Am folgenden Morgen wurde die Floßfahrt bei steigender Flut wieder fortgesetzt. Die Nacht war kalt gewesen und der Tag kaum weniger; es war höchste Zeit, daß sie bald nach French-den kamen. Wenn erst Eisschollen zur Sloughi-Bai hin abtrieben, wie sollten sie dann noch weiterkommen? Und doch war es ganz ausgeschlossen, schneller als die Flut zu fahren. Gegen Mittag wurde auf der Höhe der Schlammlache haltgemacht. Die mit Moko, Doniphan und Wilcox besetzte Jolle fuhr noch etwas weiter und hielt erst an, als nicht mehr genügend Wasser vorhanden war. Diese Schlammlache bildete gewissermaßen die Fortsetzung des Sumpfes, der sich jenseits des linken Ufers ausdehnte, sie schien reich an Niederwild zu sein. Doniphan erlegte einige Bekassinen; die Einstandsmahlzeit in der Höhle würde ein Leckerbissen werden.

Es folgte eine ruhige, sehr kalte Nacht mit einer rauhen Brise vom Meer. Auf dem Rio bildete sich bereits eine dünne Eisschicht, die sich jedoch beim geringsten Stoß auflöste. Die Kleinen wurden langsam ungeduldig, besonders Jenkins und Iver- son maulten herum, daß sie viel lieber auf der Sloughi geblieben wären als hier auf dem Floß herumzusitzen und zu frieren. Am Nachmittag des nächsten Tages war es dann endlich soweit. Das Floß legte gegen 15.30 Uhr vor French-den an.


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