Kapitel 3


Eine Melodie säuselte durch Alberichs Schädel. Er hatte sie nie zuvor gehört, und doch klang sie seltsam vertraut. Er wußte genau, daß er sie nicht kannte, denn er besaß einen Sinn für Musik, konnte manche Melodien schon nach dem ersten Hören auf Leier oder Flöte nachspielen. Oftmals hatte er sich so in den Tiefen des Hohlen Berges die Langeweile vertrieben, bei Spiel und Gesang der Lieder seiner Ahnen, bei der Besinnung auf Verse und Klangfolgen, die er zum letzten Mal vernommen hatte, als er noch Kind und der Hohle Berg nicht leergefegt von allem Leben war.

Aber diese Melodie, die jetzt durch seine Gedanken geisterte, schien ihm von anderer Natur. Sie hatte etwas sehr Fremdartiges, klang aber zugleich, als vereinten sich in ihr alle Töne, die jemals erklungen waren. Es war eine magische Melodie, daran hatte Alberich bald keine Zweifel mehr, und er wußte auch, daß sie mit dem Horn zusammenhing. Wollte es, daß er sie nachspielte? Konnte ein Horn überhaupt etwas wollen, so wie ein Mensch? Immerhin war es einmal der Fangzahn eines Drachen gewesen, vorausgesetzt Löwenzahns Vermutung war richtig. Und auch daran zweifelte Alberich nicht mehr.

Immer wieder erklang die Melodie in seinem Kopf, schwirrte in Höhen, sank in Tiefen, um schließlich von neuem zu beginnen.

Und dann erwachte er, und die Musik war fort.

Er wußte, daß er die Melodie geträumt hatte, wußte es ganz genau, aber er vermochte sich nicht an ihren genauen Klang zu erinnern, und das verstörte ihn.

Mehr noch beunruhigte ihn, daß er überhaupt eingeschlafen war. Seit er im Uferschlamm aufgewacht war und sich auf den Weg zurück zum Turm gemacht hatte, war kaum die halbe Nacht vergangen. Und trotzdem war er in der mächtigen Wurzel einer Eiche zusammengesunken und der Wirklichkeit entrückt. Wie lange, das vermochte er nicht zu sagen. Aber es war noch immer dunkel, und der Mond stand hoch hinter ziehenden Wolkenfetzen, so daß er annehmen durfte, es war nicht für lange gewesen.

Und wenn der Schlaf wie die Melodie von Magie verursacht war? Wenn er nicht wenige Augenblicke, sondern ganze Tage, Wochen oder Jahre verschlafen hatte?

Nein, sagte er sich mit klopfendem Herzen, wenn du anfängst, dir selbst Angst einzujagen, dann kannst du gleich aufgeben. Geh einfach zum nächstbesten Drachenkrieger und stell dich. Es wird schnell gehen, hoffentlich.

Die Finsternis machte ihm zu schaffen, mehr als er zugeben wollte, denn es war die Dunkelheit der Wälder, nicht jene heilsame, wohlige Schwärze der Bergestiefen. Wieder einmal wurde ihm klar, daß Zwerge nicht für Reisen geschaffen waren, schon gar nicht für Reisen unter freiem Himmel. Als die Überlebenden seines Volkes nach Norden gezogen waren, hatten sie die geheimen Pfade unter der Erde benutzt, Wege, die seit langer Zeit vergessen waren. Aber Wälder? Das waren Orte für Menschen und Feen und anderes Gelichter.

Alberich hatte angenommen, daß er schnurstracks in Richtung des Felsenkamms marschiert war, fern vom bewachten Ufer unterhalb der Bergausläufer, und so wunderte er sich allmählich, daß noch immer keine Spur von den Drachenkriegern und dem Turm zu sehen war.

Er schüttelte den Kopf so heftig, daß ihm der Bart um die Ohren wehte, in der Hoffnung, die Erinnerung an die unheimliche Traummelodie vertreiben zu können. Vielleicht war er deshalb so unsicher. Möglicherweise war es die Magie der Zaubermusik und somit die des Horns, die ihn in solche Verwirrung trieb.

Doch letztlich war es gleich, wo die Ursache lag, denn nur wenig später, am Fuß einer Fichtenreihe, mußte er sich griesgrämig eingestehen, daß er sich verlaufen hatte. Zwar hörte er noch das Rauschen des Rheins, aber es war ihm unmöglich, die Richtung zu erkennen, aus der es an seine Ohren drang. Hatte sich der Klang des Horns bereits auf seine Wahrnehmung ausgewirkt? Machte er ihn taub für irdische Töne, damit es ihm besser gelang, die Melodie in seinem Inneren zu vernehmen?

Eisige Furcht ließ sein Herz gefrieren, und doch wagte er nicht, das Horn einfach fortzuwerfen. Es mochte ihm noch nützlich sein. Zudem: Wenn es all die Krieger auf den Felsen getragen hatten, ohne dadurch Schaden zu nehmen, warum sollte dann ihm eine Gefahr davon drohen?

Aber er war ein Zwerg, kein Mensch, und Zwerge waren von Natur aus Geschöpfe der Magie. Alberich wußte das, wußte es mit völliger Gewißheit, und doch tat er sein Möglichstes, den Gedanken daran zu verdrängen.

Mehrfach hatte er geglaubt, hinter sich in der Dunkelheit Schritte zu hören, das Splittern von Zweigen und das Rascheln gefallenen Laubes. Wölfe, dachte er zitternd, Wölfe oder Schlimmeres. Aber immer wieder waren die Laute verschwunden, und das sprach gegen wilde Tiere oder Feinde. Schließlich hatte er sich gesagt, daß es nur der Wind und seine Einbildung waren.

Jetzt aber hörte er die Geräusche erneut, und diesmal klangen sie näher. Alberich befand sich oberhalb eines dichtbewachsenen Hanges. Hier oben standen zahlreiche Fichten, hohe, mächtige Bäume, deren alte Nadeln knöchelhoch den Boden bedeckten. Sie dämpften seine Schritte, und dasselbe hätten sie auch bei jedem Verfolger tun müssen. Daraus wiederum schloß er, daß derjenige, der die Laute verursachte, sich nicht in gerader Linie hinter ihm befand, sondern weiter unten im Dickicht des Abhangs.

Wären es Drachenkrieger gewesen, hätten sie ihn zweifellos sofort angegriffen, spätestens als er unter der Eiche eingeschlafen war. Im Grunde galt das für jeden, der sich die Mühe machte, seiner Fährte zu folgen, ganz gleich ob Wegelagerer oder hungriges Tier.

Warum aber sollte ihn jemand verfolgen, ohne ihn anzugreifen? Was glaubte derjenige, wohin Alberich ihn führen würde?

Er zögerte nicht länger und fuhr herum. Die Goldgeißel klirrte kampfbereit in seiner Rechten.

»Wer ist da?« fragte er leise, fast flüsternd. Falls außer dem Verfolger auch Krieger in der Nähe waren, wollte er sie nicht auf sich aufmerksam machen.

Er bekam keine Antwort. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er ins Dickicht vordringen und den anderen aufscheuchen sollte, entschied aber dann, daß ihm dafür keine Zeit blieb. Die Gefangennahme seiner Gefährten verzögerte ihre Suche nach dem Drachen ohnehin über alle Maßen, und allmählich bezweifelte er, ob sie überhaupt je zum Ziel kommen würden.

Noch einmal zischte er grimmig: »Wer immer da unten ist, er möge herauskommen, sonst wird er meine Waffe schmecken!«

Das war nun wirklich eine erbärmliche Drohung, aber zu seinem größten Erstaunen zeigte sie Wirkung.

In der verschlungenen Finsternis der Büsche und Ranken, die den Hang bedeckten, regte sich etwas. Hinter einem Gestrüpp erschien etwas Helles, erst ein Arm, dann ein zweiter. Mit friedfertig erhobenen Händen trat schließlich eine Gestalt ins fahle Mondlicht.

Sie war von Kopf bis Fuß in schmutzigweiße Bandagen gewickelt, wie ein Toter, der sich ein letztes Mal aus seinem Steinsarg erhob. Einen Moment lang hielt Alberich das Wesen genau dafür - für einen Toten, ein Gespenst. Sein Atem stockte, und die Kugeln der Geißel klingelten verräterisch, so zittrig waren seine Hände.

Die weiße Erscheinung regte sich nicht, stand einfach nur da. Wo die Augen sein mußten, war aus der Entfernung nur ein dunkler Spalt zwischen den Verbänden zu erkennen.

Alberich sandte ein Stoßgebet zu seinen Ahnen. Vergessen war die Tatsache, daß ihm solches Flehen in den letzten Tagen nur Unglück eingehandelt hatte.

Den Drachenkriegern wäre ich kühn entgegengetreten, dachte er, aber einem Gespenst? Ausgerechnet hier, in fremden Wäldern, mitten in der Nacht? O nein, niemals!

Und während er sich noch überlegte, wie er sich am schnellsten und wirkungsvollsten aus dem Staub machen könnte, beschlich ihn plötzlich eine Ahnung. Natürlich, dachte er überrascht, er ist es!

»Du bist... der Geist«, entfuhr es ihm. Tatsächlich sah die Gestalt dem seltsamen Schemen, der im Tann rund um den Wolfswinkel spukte, täuschend ähnlich.

Das unheimliche Wesen rührte sich auch jetzt nicht, stand immer noch mit hochgestreckten Armen da wie eine weißbandagierte Vogelscheuche. Der Zwerg konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Geist sich viel mehr vor ihm fürchtete als umgekehrt.

»Bist du uns den ganzen Weg gefolgt?« fragte Alberich halb verwirrt, halb ärgerlich.

Noch immer kam keine Antwort.

Alberich seufzte. »Nun nimm schon die Arme runter und komm her«, verlangte er mürrisch. Er erinnerte sich, daß Obbo Stein und Bein geschworen hatte, daß der Geist niemandem Böses wollte. Dein Wort in der Albenväter Ohr, dachte Alberich.

Der Geist senkte zögerlich die Hände und kam langsam durchs Gebüsch auf ihn zu. Dabei verhedderten sich seine Tücher und Verbände bei jedem Schritt in Dornen und Ästen, und es dauerte eine Weile, bis er zwei Mannslängen (oder vier Zwerglängen) vor Alberich stehenblieb.

»Was willst du hier, Geist?« fragte Alberich, der nur an die wertvolle Zeit denken konnte, die er unnütz vertat.

»Ich bin kein Geist«, drang es leise unter den Binden hervor. Es war das erste Mal, daß irgendwer das Wesen sprechen hörte. Seine Stimme klang ungewöhnlich sanft, fast traurig.

Alberichs linke Augenbraue rückte mißtrauisch nach oben. »Kein Geist? Aber du siehst aus wie einer.«

»Ich bin ein Mensch wie du«, erwiderte die Gestalt sehr scheu, nicht ahnend, daß dies das Schlimmste war, was sie hätte sagen können.

»Ein Mensch wie ich?« wiederholte Alberich fassungslos. »Ein Mensch? Sehe ich etwa so aus?«

Der Geist, der keiner sein wollte, nickte zaghaft. »Ein kleiner Mensch, sehr klein.«

Alberichs Faust krampfte sich um den Griff der Goldgeißel. »Hast du nie vom stolzen Volk der Zwerge sprechen hören?« fragte er unter Aufbietung aller Geduld.

Das Wesen schüttelte den Kopf. Dabei spiegelte sich das Mondlicht einen Herzschlag lang in klaren blauen Augen. »Niemand spricht mit mir, schon lange, lange Zeit nicht mehr. Also bist du kein Mensch?«

»Nein«, gab Alberich dumpf zurück. »Aber sag mir endlich, warum du mir folgst. Ich habe keine Zeit für Mätzchen.«

Der Geist verschränkte schüchtern die Hände hinterm Rücken und trat aufgeregt von einem Bein aufs andere. »Ich hab’ gehört, über was ihr im Wirtshaus gesprochen habt.« Alberich war plötzlich sicher, daß das Wesen mit weiblicher Stimme sprach.

»Und?«

»Die alte Frau sagte, das Blut, das ihr sucht, kann Krankheiten heilen.«

»Bist du denn krank?« fragte Alberich scharf. Liebe Güte, ging denn das alles nicht ein wenig schneller?

»Sehr krank«, sagte das Wesen traurig. »Deshalb glauben alle, ich sei ein Geist. Wegen der Verbände. Aber ich kann sie nicht abnehmen.«

Mußt ja ein häßlicher Vogel sein, dachte Alberich säuerlich. »Welche Krankheit hast du?«

»Lepra.«

Alberich kreischte voller Grauen auf und machte mehrere Sätze nach hinten. »Lepra?« rief er entsetzt. »Du hast mich fast berührt, so nah bist du herangekommen!«

»Du hast es verlangt«, gab der Geist zurück.

»Ich wußte nicht... ich meine, ich...«, stammelte Alberich, ehe er sich mühsam zur Ruhe rief. »Ach, was!« sagte er plötzlich. »Du kannst gar keine Lepra haben. Niemand, der die Seuche hat, hätte uns drei Tage lang verfolgen können. Du wirkst ja nicht einmal erschöpft.«

»Und doch habe ich Lepra!« entgegnete der weibliche Geist beinah trotzig.

Alberichs Zweifel mehrten sich. »Du scheinst auch noch alle Glieder zu haben«, meinte er argwöhnisch und begutachtete aus der Ferne den bandagierten Leib.

»Sie fallen ab, sobald ich die Binden löse.«

»Das würde ich gerne sehen.«

»Du bist herzlos, kleiner Mann.«

»Und du eine Betrügerin.«

»Ich bin krank«, beharrte sie. »Und wenn es wahr ist, was die alte Frau gesagt hat, dann kann nur das Drachenblut mich heilen.«

»Du meinst Mütterchen?«

»Sie hat gesagt, das Blut kuriert Krankheiten.«

»Nun denn«, sagte Alberich, »ich wünsche dir Glück bei deiner Suche.« Er war jetzt vollkommen sicher, daß keine Gefahr einer Ansteckung bestand. Fast vollkommen sicher. Er drehte sich um und trat zwischen die Fichtenstämme.

»Darf ich nicht mit dir gehen?« fragte der falsche Geist.

»Damit ich mich anstecke?« rief der Zwerg zurück, ohne sich umzusehen.

»Nein«, gab sie zurück, »damit du dich nicht verirrst.«

»Ich verirre mich nie.«

»Dann hat mich der Eindruck wohl getrogen.«

»Das hat er, in der Tat«, sagte er finster. Er konnte jetzt kaum noch hören, was sie mit ihrem hellen Stimmchen hinter der Verbänden brabbelte. Recht so, dachte er.

Dennoch bemerkte er am Rascheln der Büsche, daß sie sich aufmachte, ihm zu folgen. Nicht ohne Befriedigung vernahm er einen lauten Plumps, als sich ihre Binden abermals verhakten und sie der Länge lang hinfiel.

Kichernd blieb er stehen und schaute sich nach ihr um. Mit gelinder Überraschung sah er, daß sie bereits wieder auf den Beinen war. Ganz schön flink für eine Aussätzige.

Täuschte er sich, oder funkelten die blauen Augen ihn herausfordernd an?

»Wir sollten zusammengehen«, sagte sie beharrlich und zupfte einige Verbände zurecht, die sich beim Sturz verschoben hatten. Darunter war dunkle Haut zum Vorschein gekommen, die sie geschwind wieder verbarg.

Warum friert sie nicht? fragte er sich und sagte: »Meine beiden Freunde wurden gefangengenommen. Ich muß sie befreien, bevor ich die Suche nach dem Drachen fortsetze.«

»Du gehst in die falsche Richtung.«

Verwirrt blickte er sie an. »Wirklich?«

»Du gehst nach Norden«, bestätigte sie. »Dort vorne« - sie zeigte mit ausgestrecktem Arm nach links - »fließt der Rhein, gar nicht weit von hier.«

»Das ist unmöglich.« Seine Laune verkrampfte sich wie seine Fäuste.

»Wenn ich’s dir doch sage.«

»Vielleicht täuschst du dich. Oder du lügst. Genau wie über deine Krankheit.«

Sie verstummte für einen Moment, dann klang ihre Stimme wieder schwermütig. »Du magst mir nicht glauben, daß ich krank bin, kleiner Mann. Aber wenn du jemals zurück zu deinen Gefährten gelangen willst, dann solltest du mir ein wenig mehr Vertrauen schenken.«

»Hmpf«, machte er ohne viel Sinn, jedoch so ganz nach Zwergenart.

Als sie bemerkte, daß er nichts weiter sagen würde, fügte sie hinzu: »Außerdem weiß ich längst, wo der Drache liegt.«

Alberich riß Mund und Augen auf. »Du weißt -«

»Wo er ist, natürlich«, gab sie zurück, nicht ohne Triumph. »Während du es vorgezogen hast, ein Nickerchen zu machen, habe ich mich umgesehen. Und da hab’ ich ihn gefunden. Es war gar nicht schwer, wenn man offenen Auges durch die Wälder streift.«

Es drängte Alberich, etwas Passendes auf ihren versteckten Vorwurf zu erwidern, doch dann verkniff er sich die Beleidigung. Statt dessen fragte er: »Wo ist er?«

Die Verbände vor ihrem Gesicht zuckten. Lachte sie ihn aus? »Ein Stück weiter nördlich. Im Grunde warst du auf dem richtigen Weg.«

Verdattert fuchtelte er mit den Armen. »Aber ich dachte, ich gehe nach Süden, zurück zum Turm.«

Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, daß sie lachte. Es war ein helles, klares Mädchenkichern, verzerrt nur durch die Binden. »Daran sieht man, wie gut deine Instinkte sind.« Es klang hämisch, doch Alberich bemerkte es nicht, denn er sagte voller Überzeugung: »Allerdings. Wir Zwerge sind stolz auf unsere Instinkte.«

»Zu recht, zu recht.«

Das besänftigte ihn ein wenig. »Würdest du mir den genauen Weg zeigen? Ich würde ihn selbst finden, wie du schon richtig bemerkt hast, aber -«

»Und deine Freunde?«

Er stutzte. Die beiden hätte er in der Aufregung fast wieder vergessen. »Ich will erst im Blut baden«, sagte er beschämt. »Danach sollte es ein leichtes sein, sie zu befreien.« Er stapfte auf das Geistermädchen zu, ehe ihm wieder einfiel, daß an ihrem Gerede über die Seuche doch etwas Wahres sein mochte. Abrupt blieb er stehen. »Worauf wartest du? Wollen wir nicht endlich aufbrechen?«

»Es gibt noch eine Schwierigkeit«, gestand sie zögernd. »Hast du dich nicht gewundert, weshalb ich mit dir zusammen dorthin gehen will?«

»Sicher fürchtest du dich, Kindchen.«

»Ja, aber das war nicht der wahre Grund.«

»Dann sag ihn schon«, verlangte er ungeduldig.

Sie legte den Kopf schräg. »Es wimmelt beim Drachen nur so von Kriegern.«

Er preßte verärgert die Lippen aufeinander und verwünschte sein jämmerliches Schicksal. »Ich hätte es mir denken sollen.«

»Sie tun dort oben seltsame Sachen«, sagte sie.

»Was genau?«

»Sie scheinen einen Tunnel zu graben, und sie schlagen auch mit Spitzhacken auf den Drachen ein.«

»Verflixt!«

Sie sah ihn verständnislos an. »Warum tun die das?«

»Das wissen die Götter. Aber wir sollten es uns ansehen.«

»Ja«, stimmte sie zu. Schon wollte sie losgehen, in einigem Abstand vor ihm, doch dann blieb sie abermals stehen und fragte: »Dein Name ist Alberich, nicht wahr?«

»So ist es. Hast du uns all die Tage belauscht?«

»Schon seit langer Zeit. Seit vielen Jahren.«

»Lebst du wirklich allein im Wald?«

»Du lebst doch auch allein im Berg.«

»Aber du bist ein Kind.«

Sie lachte hell auf. »Ein Kind? O nein, das bin ich längst nicht mehr.«

»Du klingst sehr jung.«

Sie schien es vorzuziehen, darauf nichts zu erwidern.

Alberich fragte: »Wie ist dein Name?«

»Ich habe ihn vergessen.«

»Unsinn. Niemand vergißt seinen Namen, nicht einmal die ältesten unter den Zwergen.«

»Und doch ist es so.«

»Wie soll ich dich dann nennen?«

Sie überlegte einen Moment, dann sagte sie: »So wie du mich immer genannt hast. Ruf mich Geist, und ich bin bei dir.«

Er zuckte mit den Schultern. »Wenn das dein Wunsch ist.«

Sie nickte. »Ich kenne keine anderen Namen. Nur Alberich, Mütterchen, Obbo - und Löwenzahn. Alle anderen, die im Wirtshaus gerufen wurden, habe ich vergessen. Ich vergesse sehr schnell, das macht die Krankheit.«

Zweifelnd sah er sie einen Augenblick länger an und versuchte in ihren bildschönen blauen Augen zu lesen. Sie bemerkte es und wandte sich ab. »Komm jetzt, laß uns gehen«, sagte sie.

Sie führte ihn eine Weile schweigend nach Norden und hielt sich dabei unmerklich links. Das Blätterdach des Waldes sperrte das Mondlicht aus, trotzdem fand Geist ohne Mühe den richtigen Weg. Alberich hatte das Gefühl, ihr trauen zu können. Sie mochte eine Menge wirres Zeug reden, doch zumindest was ihren Orientierungssinn anging, schien sie die Wahrheit gesagt zu haben.

Nach einer Weile lichtete sich der Wald erneut, und sie kamen an eine steile Felskante. Tief, tief unter ihnen strömte der Rhein durch die Nacht. Der Schein des Mondes brach sich auf seinen schwarzen Wellen wie zahllose Silbermünzen. Ein scharfer Wind strich um die Felsen.

Alberich mußte sich zu seiner Schande eingestehen, daß er seit seinem unvermittelten Schlaf im Wald tatsächlich in die falsche Richtung gelaufen war. War das auch der unheimlichen Melodie aus seinen Träumen zu verdanken? Hatte sie ihn zum Drachen führen wollen?

Nein, rief er sich zur Ruhe, das ging zu weit. Natürlich, das Horn war magisch, daran bestand kein Zweifel, und die Melodie mochte eine Folge davon sein. Aber ihn zum Drachen führen? Unmöglich.

Als wüßte sie genau, was in seinem Köpf vorging, sagte Geist plötzlich: »Das Horn bringt Unglück.«

»Wie kommst du darauf?«

»Ich habe gehört, wie du hineingestoßen hast. Mehrmals. Ich hatte große Schmerzen.«

»Das tut mir leid.« Verflucht, was war los mit ihm? Zwerge baten nicht um Verzeihung, ganz bestimmt nicht bei rotznasigen Menschenmädchen, die sich verrückte Krankheiten ausdachten.

Er folgte ihr schweigend an der Felskante entlang und betrachtete sie dabei von hinten. In ihren hellen Verbänden sah sie gleichzeitig filigran und albern aus. Noch dazu bot sie schon von weitem eine großartige Zielscheibe; selbst im Dunkeln war sie nicht zu übersehen. Die Binden lagen eng um ihren Leib. Darunter war sie schlank, fast knochig, und ihre Brust war so klein, das sie nahezu unsichtbar blieb - ganz anders als die der stämmigen Zwergenfrauen, wie Alberich sich nicht ohne Wehmut erinnerte. Aber die Tage, in denen ihm so etwas bedeutungsvoll erschienen waren, waren längst vom Dunst der Vergangenheit verhüllt. Nur selten in all den einsamen Jahren hatte Alberich sich nach Gesellschaft gesehnt, und noch viel seltener nach weiblicher.

Gerade umrundeten sie einen pockennarbigen Findling, der scheinbar gewichtslos auf der Felskante balancierte, als Geist ihn unvermittelt zurückhielt. »Langsam«, warnte sie im Flüsterton. »Von der anderen Seite aus kannst du sie sehen - und sie dich, wenn du nicht achtgibst.«

Vorsichtig pirschten sie soweit um den riesigen Stein herum, bis seine Rundung den Blick auf eine weite Heide freigab, die oberhalb einer scharfkantigen Klippe lag. Rückwärtig endete sie an einer aufstrebenden Felswand, in der eine pechschwarze Höhlenöffnung gähnte, flankiert von hohen Lindenbäumen - der Zugang zum Nest des Untiers.

Kurz vor dem Rand der Klippe lag im Schein vieler Fackeln der Drache selbst, und sein Anblick übertraf Alberichs Erwartungen bei weitem. So groß! war alles, was er für eine Weile denken konnte, und immer wieder: so groß!

In der Tat war die Bestie gewaltig. Ihr riesiger geschuppter Leib lag verdreht im verkohlten Heidekraut, halb auf der Seite, halb auf dem Rücken. Ihre mächtigen Pranken, jede so groß wie ein Pferd, hatten sich im Todeskampf verkrallt und mannstiefe Furchen in den Boden gerissen. Die gespaltene Zunge, länger als der höchste Baum, hing schlaff und verschlungen aus einem Maul, das dem Höhlenloch an Größe kaum nachstand. Alberich begriff, daß das Horn, das er am Hals trug, aus einem der kleinsten Zähne des Drachen gefertigt worden war, denn die Eckzähne der Bestie waren so groß wie ein ausgewachsener Mensch. Sie waren auch die einzigen, die man dem Kadaver gelassen hatte; alle anderen waren aus dem Zahnfleisch gemeißelt und zu Hörnern verarbeitet worden. Überall im Maul klafften Spalten und Wunden.

Das Furchtbarste aber waren nicht der Schlund oder die schlangengleiche, dreieckige Form des Schädels, der zu Lebzeiten vorstoßen konnte wie der schnellste Armbrustbolzen; vielmehr waren es die Augen der Bestie, die ihm das höchste Grauen einjagten. Sie waren weit aufgerissen und glänzten, als könnten sie jeden Moment zu neuem Leben erwachen. Die gelben Pupillenschlitze der pechschwarzen Augäpfel schienen genau in Alberichs Richtung zu blicken, und dabei war ihr Ausdruck so gemein und mörderisch, daß der Zwerg eine Weile lang glaubte, er müsse sich sofort herumwerfen und fliehen.

Geist hob die Hand, um sie ihm zaghaft auf die Schulter zu legen, besann sich aber im letzten Augenblick anders. Ihre umwickelten Finger sanken zurück. »Du brauchst dich nicht zu fürchten«, sagte sie sanft. »Er ist tot.«

»Das weiß ich«, gab er giftig zurück, wenn er auch nicht verhehlen konnte, daß sie seinen wunden Punkt ganz richtig erkannt hatte. Der Drache sah aus, als sei er noch am Leben, er wirkte nicht einmal, als schliefe er. Vielmehr schien es Alberich, als loderte hinter den gelben Pupillen eine lauernde, tückische Intelligenz, die sich aus irgendeinem Grund entschlossen hatte, eine Weile lang alle Erniedrigungen über sich ergehen zu lassen, um dann ganz unvermittelt zuzuschlagen.

Doch welcher Drache würde zulassen, daß man ihm die Zähne aus den Kiefern stemmte?

Das Untier mußte tot sein.

Es dauerte ein wenig, aber schließlich fand Alberich sich damit ab, daß die größte Gefahr nicht von dem Drachenkadaver, sondern von den zwei Dutzend Kriegern ausging, die emsig über die verbrannte Heide schwärmten. Einige standen Wache, einer ganz in ihrer Nähe, aber die anderen umringten den Leichnam und ein Gebiet gleich daneben, wo der Boden von einer schwarzen Schlammschicht bedeckt war.

Das ist kein Schlamm! schoß es Alberich durch den Kopf. Es ist Blut. Der Blutsee des Drachen! Aber warum wirkte seine Oberfläche aus der Ferne so starr? Er war doch nicht etwa -

»Eingetrocknet!« flüsterte er tonlos und ihm war, als bräche der Himmel über ihm zusammen. »Er ist eingetrocknet!«

War das wirklich so verwunderlich, nach all den Wochen, die seit dem Tod der Bestie vergangen waren? Löwenzahn und Mütterchen hatten ihre Freiheit - und vielleicht gar ihr Leben - für einen falschen Traum vergeudet.

Doch da wisperte Geist: »Das Blut ist nicht eingetrocknet.«

»Nicht?« fragte er und versuchte, dem Wort einen höhnischen Klang zu geben. »Sieh doch, sie schlagen sogar mit Hacken darauf ein.« Das taten sie tatsächlich, wenn auch lustlos und ungezielt, dafür aber gleich an mehreren Stellen. Und nicht nur das hartgewordene Blut wurde mit Gewalt bearbeitet, auch der Drache selbst; rund um die klaffende Bauchwunde, die Siegfrieds Schwert Balmung der Bestie beigebracht hatte, hämmerten mehrere Sklaven unter der Aufsicht von Drachenkriegern auf den Kadaver ein. Doch Beile und Meißel glitten ab, ohne etwas auszurichten. Auch die Haut des Drachen war so hart wie Stahl. Trotzdem trieben die Krieger die Sklaven immer heftiger zu neuen Versuchen an, als brüllten sie sich so ihren Zorn und ihre Enttäuschung von der Seele. Und das sollte schon seit Wochen so gehen?

»Der Leichnam versteinert allmählich«, flüsterte Geist in Alberichs Ohr. »Ich habe gelauscht, als sich einige der Krieger darüber unterhielten. Sie vermuten, daß sich auf dem Blutsee nur eine feste Kruste gebildet hat, genau wie auf einer Wunde, daß aber die unteren Schichten noch flüssig sind. Wie es scheint, versuchen sie nun von unten heranzukommen?«

»Wie das?«

»Sieh mal nach vorne, zum Rand der Klippe.«

Alberich mußte sich dafür weit aus ihrem Versteck beugen, was ihm keineswegs behagte. Er sah, daß kurz vor dem Abgrund eine Seilwinde aufgebaut war. Feste Stricke spannten sich straff über die Kante hinweg in die Tiefe. Von hier aus konnte er jedoch nicht sehen, wohin sie führten.

»Ich hab’s mir angeschaut«, erklärte Geist. »Die Klippe springt weit vor, wie ein riesiger Vogelschnabel. Die Krieger haben an den Seilen Männer herabgelassen, die von unten einen Stollen in den Fels treiben. Offenbar ist der Weg von dort aus zu den tieferen Regionen des Blutsees kürzer, als würden sie es von oben versuchen.«

Alberich nickte nachdenklich. »Und da sie die Arbeit von Sklaven verrichten lassen, ist ihnen die Gefahr, in der die Arbeiter schweben, gleichgültig.«

»Sie haben unterhalb des Stollens ein hölzernes Auffangbecken in der Felswand verankert, das gewährleisten soll, daß kein Tropfen des Drachenblutes verlorengeht.«

Der Zwerg spähte über die Kante hinweg in die pechschwarze Nacht. »Wie hoch über dem Rhein sind wir hier?«

Geist hob die Schultern. »Zwanzig bis dreißig Mannslängen, grob geschätzt.«

»Und der Fluß strömt direkt um den Fuß der Felsen?«

»Soweit ich es sehen konnte, ja. Der Rhein macht einen engen Bogen, genau um diese Klippe.«

Alberich seufzte schwer. »Wie sollen wir jemals an das Blut herankommen, wenn es nicht einmal all diesen Männern gelingt?«

»Sie werden es schaffen«, ermutigte ihn Geist. »Früher oder später wird ihr Stollen den Grund des Blutsees erreichen.«

»Du meinst, wir sollten warten, und dann versuchen, ihnen das Blut abzuluchsen?« Alberich stöhnte. »Es sind so viele! Sie werden uns erschlagen, wenn sie nur unsere Nasenspitzen sehen, erst recht, wenn wir hinüberspazieren und höflich um ein Faß von ihrem Drachenblut bitten.«

Geist nickte. »Sie sind ungeduldig. Die Krieger vermuteten, daß die Kruste des Sees immer dicker wird, bis schließlich auch der letzte Tropfen davon aufgezehrt wird. Die Zeit drängt, und ihr Anführer ist unzufrieden.«

Noch einmal blickte Alberich zur erstarrten Oberfläche des Blutsees hinüber. Sie war fast kreisrund, mit einem Durchmesser von fünfzehn Menschenschritten. Was aber die Tiefe des Sees anging, so gab es auf sie keinen Hinweis. Da die Krieger versuchten, von unten zum Drachenblut vorzustoßen, war anzunehmen, daß das Becken etliche Schritte in den Boden reichte.

Plötzlich fiel Alberich etwas auf, und der Gedanke schürte neues Mißtrauen gegen seine Begleiterin in ihm. »Woher weißt du soviel über diese Männer? Du hast gesagt, du warst hier, als ich schlief. Aber als ich erwachte, war der Mond nur unmerklich weitergewandert. Du kannst also gar keine Zeit gehabt haben, dich so genau umzuschauen.« Instinktiv rückte er einen weiteren Schritt von ihr fort und faßte den Griff der Goldgeißel fester.

Ihre Augen musterten ihn voller Verwunderung. »Keine Zeit gehabt?« wiederholte sie irritiert. »Du hast einen ganzen Tag verschlafen, Alberich. Als du aufgewacht bist, war bereits die nächste Nacht angebrochen. Weißt du das denn nicht?«

»Ist das wahr?« fragte er voller Argwohn. Und zugleich dämmerte ihm, was das bedeuten mußte. »Heißt das, Mütterchen und Löwenzahn sind schon mehr als einen Tag in der Gewalt dieser Krieger?«

»Aber ja.«

Er sprang auf, jetzt wieder im Schutz des Findlings. »Ich muß sofort zu ihnen. Wer weiß, ob sie noch am Leben sind.«

Geist zuckte mit den Achseln. »So wie es aussieht, können wir hier ohnehin nichts tun als abzuwarten.«

Alberich wollte bereits loseilen, doch Geist rief ihn leise zurück. »Warte! Es gibt einen schnelleren Weg als den auf deinen kurzen Beinen.«

»Kurzen, kräftigen Beine«, verbesserte er beleidigt.

»Sieh mal zur Höhle hinüber.«

Der Zwerg kauerte sich wieder in einigem Abstand von Geist auf den Boden und folgte mit seinem Blick ihrer weißverhüllten Hand.

»Kannst du es sehen?« fragte sie.

Angestrengt starrte er zum Höhlenschlund. Das Innere war rabenschwarz. In der Finsternis regte sich etwas, ohne daß Alberich erkennen konnte, was es war.

»Was machen die da?«

»Sie plündern die Schätze des Drachen«, sagte Geist und sah sich vorsichtshalber nach dem Wächter um, der ihnen am nächsten stand. Er stützte sich schwer auf seine Lanze, blickte dabei zu Boden und hatte ihr Flüstern nicht bemerkt. Offenbar war er im Stehen eingeschlafen.

»In regelmäßigen Abständen fahren Pferdekarren in die Höhle und kommen mit Erdreich beladen wieder heraus«, fuhr das Mädchen fort. »Darunter versteckt liegt das Gold des Drachen. Sie bringen es von hier aus zum Turm, wo deine Freunde gefangengehalten werden.«

»Du glaubst, wenn wir freundlich fragen nehmen sie uns vielleicht mit?«

»Die Karren werden nicht bewacht. Es soll keiner auf den Einfall kommen, es könne sich etwas Wertvolles unter all dem Dreck verbergen. Wenn wir den nächsten Wagen irgendwo am Weg erwarten und es uns gelingt, aufzuspringen, dann sind wir in einem Viertel der Zeit am Turm, besser noch, im Turm.«

»Narretei!« fuhr er sie an. »Man wird uns sofort auf dem Karren entdecken. Oder willst du dich in die Erde graben?«

Wieder verschoben sich die Binden vor ihrem Gesicht, als sie leise lachte. »Das laß nur meine Sorge sein.«

Er blickte sie ohne rechtes Zutrauen an. »Das ist ein ziemlich vager Plan, Kindchen.«

»Verlaß dich nur auf mich.«

»Du machst es einem nicht leicht.«

»Das weiß ich.«

Er verkniff sich ein zwergisches »Hmpf!«, dann nickte er zögerlich. »Na, schön«, sagte er leise. »Ich bin neugierig.«

Sie kicherte nur und lief lautlos zurück ins Gebüsch.



Wenig später hockten sie unweit eines Waldweges in dornigem Dickicht. Ein besonders scheußlicher Stachel, so lang wie ein Finger, ragte unweit von Alberichs Gesicht aus den Büschen. Bei jeder Bewegung drohte er sich in seine Nasenknolle zu bohren. Der Zwerg fluchte leise.

»Psst!« flüsterte Geist und hob einen umwickelten Finger vors Gesicht. »Mach nicht so einen Krach.«

»Du hast gut reden«, zeterte er. »Es ist ja auch nicht deine Nase, die fast aufgespießt wird.«

»Wenn du weiter so schreist, wird es nicht nur deine Nase sein, die man aufspießt.«

Geist hatte ihn in einem weiten Bogen um die Drachenheide zu dieser Stelle im Wald geführt, mehrere Steinwürfe vom Höhleneingang entfernt. Das Unterholz war hier außerordentlich dicht und verwachsen, ein Hinweis darauf, daß der Drache seine Klippe selten verlassen hatte. Noch immer hatte das Mädchen Alberich nicht verraten, wie es sie beide ungesehen auf den Karren bekommen wollte.

»Hörst du schon etwas?« fragte sie.

»Nur meinen Magen. Ich habe seit anderthalb Tagen nichts gegessen.«

Sie deutete auf ein paar rote Beeren, die vor ihm im Dornbusch baumelten. »Iß die. Ein paar davon werden dich nicht umbringen.«

»Klingt wie ein guter Ratschlag«, erwiderte er verbissen.

Geist kicherte wieder, dann schob sie sich rückwärts aus dem Buschwerk in die Finsternis des Waldes.

»Was tust du?«

»Meine Vorbereitungen treffen.« Sie stand jetzt so weit im Dunkel, daß sie nur noch als bleicher Schimmer zu erkennen war. Sie tat irgend etwas mit ihren Verbänden.

Es dauerte nicht lange, da hörte Alberich aus östlicher Richtung das Knirschen und Rattern von Karrenrädern, durchsetzt von leisem Pferdewiehern. »Es ist soweit«, zischte er nach hinten.

Geist antwortete nicht.

Als Alberich sich umschaute, wurde ihm mulmig. Das Mädchen war verschwunden. Hatte sie ihn im Stich gelassen? Oder gehörte das gar zu ihrem Plan?

»Hier bin ich«, flüsterte eine Stimme. Zu seinem Schrecken kam sie aus der entgegengesetzten Richtung - direkt vom Weg!

Er wirbelte herum, und da war sie. Oder auch nicht.

Sie war nicht unsichtbar, keineswegs, aber das, was sie getan hatte, kam sehr nah an Unsichtbarkeit heran. Erst glaubte er, sie hätte sich mit Erde und Grünzeug beschmiert, doch dann schienen ihm die Farben und Muster zu perfekt, zu vollkommen die Anordnung der unterschiedlichen Töne, die sie fast völlig mit dem Hintergrund verschmelzen ließen. Er verstand nicht, was sie getan hatte, aber es war zweifellos keine natürliche, keine menschliche Angelegenheit.

»Wie machst du das?« fragte er staunend durch die Dornenzweige hindurch.

Statt einer Antwort sagte sie tonlos: »Glaubst du mir jetzt, daß ich krank bin?«

»Wie man’s nimmt.«

»Es ist eine Krankheit. Wenn du dein ganzes Leben so zubringst, ist es die schlimmste Seuche von allen.«

»Auf alle Fälle ist es keine Lepra.«

»Es löst mich genauso auf, zumindest in den Augen anderer.«

»Aber du bist noch da. Ich meine, ich könnte dich doch anfassen, oder?«

Ihre blauen Augen - tatsächlich waren das die beiden einzigen Punkte ihres Körpers, die nicht die Farbe des Hintergrundes angenommen hatten - ruckten herum. »Keine Zeit!« wisperte sie, denn im gleichen Augenblick ratterte der Karren um die Wegkehre.

Alberich sah, daß sie unrecht gehabt hatte. Der Wagen war bewacht - von einem halben Dutzend schwerbewaffneter Krieger. Wahrscheinlich eine Folge seiner Flucht. Einen Augenblick später aber begriff er, daß nicht er selbst es war, den sie fürchteten. Es war der Drachenzahn an seinem Hals.

Jeder der sechs Krieger besaß ebenfalls einen. Damit schied der Versuch aus, sie durch einen Hornstoß von ihren Rössern zu werfen, denn Alberich wagte noch immer nicht, die Magie der Hörner zu kreuzen.

Der Weg war in fahles Mondlicht getaucht, und das verstärkte noch die Wirkung von Geists Chamäleonzauber. Alberich blickte sich um und entdeckte die schmutzigen Verbände des Mädchens hinter sich am Boden. Ohne zu überlegen, knüllte er sie zusammen und steckte sie unter sein Wams. Dann sah er zu, was auf dem Weg geschah.

Vier Männer ritten in Zweiergruppen vor dem Karren, die beiden anderen dahinter. Der Wagen selbst, ein Zweispänner, wurde von einem Mann mit Drachenwappen, aber ohne Rüstzeug gelenkt. Hinter ihm auf der großen Ladefläche lag ein hoher, unregelmäßiger Berg aus Erdreich.

Als die beiden ersten Reiter die Stelle erreichten, wo Geist mitten auf dem Weg stand, machten ihre Pferde plötzlich einen Satz nach vorne. Alberich glaubte schon, die Tiere hätten das Mädchen niedergetrampelt, doch einen Augenblick später sah er sie wieder, ein verschwommener Schemen, der bei jeder Bewegung die Schattierung seines Hintergrunds annahm. Hätte der Zwerg nicht genau gewußt, daß da jemand war, er hätte sie übersehen, genauso wie es die Krieger taten.

Auch die beiden nächsten Pferde scheuten, und ein Mann brüllte etwas von Schlangen auf dem Boden, woraufhin alle in noch größere Aufregung verfielen, denn nun fürchteten sich nicht nur die Tiere, sondern auch ihre Reiter. Über den Lärm hinweg glaubte Alberich das leise Kichern des Mädchens zu hören. Bei den Alben, er hatte sie wahrlich unterschätzt!

Die hintere Eskorte des Karrens sprengte an dem Wagen vorbei, wohl in der Hoffnung, daß die Schlangen durch ihre Kameraden abgelenkt waren - nicht gerade ein feiner Zug. Somit war die Rückseite des Karrens ungeschützt.

Während die Männer noch in Panik zu Boden starrten und das Gras auf dem Weg nach Schlangenleibern durchforschten, wurde Alberich plötzlich von einem schemenhaften Arm gepackt und mit einem Ruck aus dem Gestrüpp gezogen. Der Dorn blieb in seiner Nase stecken und brach ab. Mit unerhörter Kraft wurde Alberich auf die Ladefläche des Wagens geschleudert. Nur mühsam unterdrückte er einen Aufschrei, der teils vor Schreck und teils vor Schmerzen in ihm aufstieg, dann blieb er in einer Vertiefung zwischen zwei Erdwällen liegen.

Sapperlot, fluchte er im stillen, hatte Geist denn vergessen, daß er keineswegs so unsichtbar war wie sie selbst?

Im selben Moment landete der Körper des Chamäleonmädchens auf ihm. Sie war federleicht. »Beweg dich nicht!« wisperte ihre Stimme in sein Ohr, dann schlang sie Arme und Beine um ihn, bis sie ihn völlig bedeckte; da sie fast doppelt so groß war wie er selbst, bereitete ihr das keine Schwierigkeiten. Die Dunkelheit und die weiche Erde taten ein übriges, die Lücken zu schließen.

Er ahnte sehr wohl, was sie plante, zweifelte aber, ob ihr Vorhaben gelingen konnte. Wenn ihr Körper wirklich die Farbe jeden Hintergrunds annahm, würden dann nicht seine eigenen Umrisse deutlich auf ihr zu erkennen sein?

Alberich schloß ergeben die Augen und hoffte das Beste. Wie sehr er sich wünschte, den schmerzhaften Stachel aus der Nase zu ziehen! Aber er wußte, daß die Bewegung sie beide verraten hätte.

Nur wenig später kehrte der Troß zu seiner alten Ordnung zurück. Zwei Männer der Eskorte ließen sich zurückfallen, bis sie wieder hinter dem Wagen ritten. Keiner der beiden bemerkte die unerwünschten Mitreisenden. Geist klammerte sich geschmeidig an Alberich. Ihre Umarmung raubte ihm den Atem. Nicht weil das Mädchen nackt war - es gab keine körperliche Anziehung zwischen Zwergen und dem Großen Volk -, sondern weil die enge Klammer ihrer Arme und Beine ihm die Brust zuschnürte. Er spürte, wie ihr eigener Brustkorb sich über ihm hob und senkte, und ihr aufgeregter Atem an seinem Ohr erschien ihm laut und verräterisch. Die Krieger aber hatten andere Sorgen als die Erdwälle auf dem Karren im Auge zu behalten, und die Geräusche gingen im Rattern der Wagenräder unter.

Wenn Alberich die Augen aufschlug, blickte er genau auf Geists Schlüsselbein. Es war keineswegs schwarz wie der Nachthimmel hinter ihr, sondern hatte die Farbe dunkler Erde. Offenbar konnte das Mädchen nur die Farben der Wälder nachahmen.

Alberich hatte schon von Wesen wie ihr gehört, und es gab jetzt keinen Zweifel mehr, daß sie bei ihrer ersten Begegnung gelogen hatte.

»Du bist kein Mensch«, zischte er leise. »Ich kenne solche wie dich. Du bist ein Moosfräulein.«

Geist gab keine Antwort. Dennoch war er sicher, daß sie ihn trotz des Räderlärms verstanden hatte, denn sie zuckte leicht bei seinen letzten Worten.

Die Moosfräulein... Bislang hatte er angenommen, daß ihr Volk mit all den anderen Wald- und Berggeistern aus dieser Gegend verschwunden war. Seit die Magie im Sterben lag, sah man ihresgleichen nur noch selten.

War Geist, wie er selbst, die letzte ihrer Art? Wie er selbst - und wie der Drache?

Drache, Zwerg und Waldgeist - drei Relikte eines Zeitalters, als noch der Zauber die Welt regierte. Was hatte das Schicksal mit dieser Vereinigung im Sinn?

Und war es wirklich nur der Zufall, der sie an diesem Ort zusammenführte?



Mütterchen wurde aus leichtem Schlummer gerissen. Ein metallisches Rasseln an der Gittertür ihres Kerkers. Jemand löste die Ketten. Sofort waren ihre Augen offen und blinzelten in grelle Fackelglut. Da wußte sie: Nach einer Nacht und einem Tag war es soweit. Der Geweihte kam, um sich ihrer anzunehmen. Auf welche Art auch immer.

Der Tag war düster und kühl gewesen, ein graues Einerlei, in dem niemand ihnen Beachtung geschenkt hatte. Am frühen Abend waren zwei Krieger erschienen und hatten die arme Marret fortgeschleppt, zum Turm und zu Ugo. Was das Mädchen in seinen fetten Fingern zu erdulden hatte, vermochte Mütterchen sich vorzustellen, aber die Gedanken daran taten weh. Und doch war es in Wirklichkeit nicht der wahnsinnige Graf, den sie zu fürchten hatten. Ihr Gegner war ein anderer, der Meister der Drachenkrieger.

Zwei Männer traten ein und hielten Löwenzahn mit ihren Schwertern in Schach. Mütterchen ließen sie unbehelligt.

»Ihr seid alt geworden«, sagte der Geweihte, als er zwischen zwei weiteren Kriegern in den Kerker trat und die Räuberin eingehend musterte.

»Sollte ich Euch kennen?« fragte sie und erschrak, wie brüchig ihre Stimme klang. Sie war alt geworden, und der Aufenthalt in diesem Loch war nicht gerade ein Jungbrunnen für ihre Verfassung.

»Ich kenne Euch«, erwiderte der Geweihte, »so wie jeden hier in diesem Land. Macht Euch darüber keine Gedanken.«

Seinen Namen hatte er nicht aufgrund einer Weihe erhalten, wie Mütterchen zu Anfang vermutet hatte. Es hatte nichts mit seinem Glauben oder der alten oder neuen Religion zu tun.

Vielmehr trug der Herr der Drachenkrieger die merkwürdigste Rüstung, deren Mütterchen je angesichtig geworden war. Sie war aus den Enden von Hirschgeweihen gefertigt, ein enges, beinhartes Gitternetz, das seinen ganzen Körper umschloß wie ein Gewimmel aus warzigen Schlangen. Sie fragte sich, wie viele Hirsche er hatte erlegen müssen, um Geweihe zu finden, deren Spitzen so eng gewunden waren, daß sie um seine Arme und Beine paßten. Sogar sein Kopf war von einer schützenden Geweihmaske umschlossen; es sah aus, als hätte eine riesige Spinne vom Hinterkopf aus ihre Beine um sein Gesicht gelegt. Zwischen den Hornspitzen tanzte das Fackellicht über scharfe Wangenknochen und tiefliegende Augen. Sein Schädel war kahl und narbig.

»Was wollt Ihr von uns?« fragte Mütterchen. Ihre Stimme schwankte leicht. Es war eine dumme Frage, geeignet nur, um Zeit zu schinden. Aber wofür? Es gab keine Rettung aus diesem Verlies.

»Ihr wißt es, ich weiß es, deshalb laßt es uns kurzmachen. Wer ist Euer entflohener Gefährte?«

»Was liegt Euch an ihm?«

»Sagen wir, er besitzt etwas, das mir einiges wert ist.« Lächelte er, oder war es nur der flackernde Fackelschein, der die Geweihschatten auf seinem Gesicht erbeben ließ?

Er will das Horn zurück, dachte Mütterchen. Wir hätten das verfluchte Ding bei dem Toten lassen oder besser noch in den Fluß werfen sollen.

»Erwartet Ihr, daß ich einen Freund ans Messer liefere?« fragte sie und gab sich Mühe, abfällig zu klingen, so, als könne es gar keinen Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit geben. Aber insgeheim wußte sie, daß ihr greiser Körper einer Folter nicht standhalten würde.

Als sie ihm kühn in die Augen blickte, las sie darin zu ihrem Entsetzen, daß ihm dieselben Gedanken durch den Kopf gingen. Er wird mich auf jeden Fall foltern, schoß es ihr durch den Kopf. Auf einen Schlag vervielfachte sich ihre Furcht.

Doch dann sagte er zu ihrem Erstaunen: »Wer spricht von päkern

Päkern war ein Wort aus der Räubersprache und bedeutete ermorden. Mütterchen wunderte sich nicht, daß er die geheime Zunge der Wegelagerer beherrschte; wahrscheinlich war er selbst einst ein gewöhnlicher Räuber gewesen. Beinahe gegen ihren Willen erzeugte der Begriff, den sie so lange nicht mehr gehörte hatte, ein Gefühl von Wärme in ihr. Erinnerungen stiegen in ihr auf, an eine glorreiche, eine bessere Zeit.

»Wenn Ihr ein Kabber seid, warum verschüttet Ihr mich und werft mich in die Kitte?« fragte sie und appellierte an seine Räuberehre: Wenn Ihr ein Diebeskamerad seid, warum nehmt Ihr mich gefangen und werft mich ins Verlies? Sie empfand fast etwas wie Vergnügen daran. Plötzlich war alles wieder in ihr, die verschlüsselte Sprache von damals, ihre Kraft, die Freude am Leben. Vielleicht war der Geweihte kein so übler Kerl, wie es anfänglich scheinen mochte.

Er kam auf sie zu, bis sie einander fast berührten. Sein Blick bohrte sich in ihre Augen, brachte mit unsichtbaren Fühlern ganz bestimmte Saiten in ihrem Inneren zum Klingen. Sie spürte es und öffnete ihren Geist bereitwillig für sein Tasten. Wann hatte sie sich zum letzten Mal so wohl gefühlt?

»Alte Schicksel«, flüsterte er freundlich, »ich fühle, wie der Mohr Euch holt.« Altes Mädchen, ich fühle, daß Ihr Euch fürchtet. »Dabei war’s der Kaftling, der mein eigen gegampft, und nicht Ihr.« Dabei war’s das kleine Schwein, das mein Eigentum stahl, und nicht Ihr. »Wißt Ihr, wo der Schottenfeller sich verkabbert? Sagt’s und schrobbert frei davon.« Wißt Ihr, wo der Dieb sich versteckt? Sagt’s und zieht unbehelligt weiter.

Bilder flirrten durch Mütterchens Geist, von den Abenden im Kreise ihrer alten Kumpanen, alle längst tot, aber in ihrer Erinnerung lebendiger denn je. Sie sah ihre Triumphe, ihre Siege über Ritter und Krieger, sah reiche Händlerschweine im Pferdedung kriechen und sich selbst mit einem Jubellied auf den Lippen.

Weiter und weiter sprach der Geweihte auf sie ein, benutzte dabei die alte Sprache der Räuberhöhlen und Verliese, ein Kauderwelsch aus deutschen und hebräischen Worten, wie es sich einst unter ihresgleichen eingebürgert hatte.

Und obgleich sie nicht wußte, wohin Alberich geflohen war, so war sie doch drauf und dran, dem Geweihten alles über den Zwerg zu erzählen, über den Hohlen Berg und den schutzlosen Hort, über ihre Reise zum Drachen und ihr Ziel, in seinem Blut zu baden.

Schon öffneten sich ihre Lippen, dem neuen Freund den alten zu verraten, als plötzlich eine Stimme schrie: »Mütterchen, komm zu dir!«

Es war Löwenzahns Stimme, und sogleich brachte ihn ein Hagel aus Fußtritten zum Schweigen. Doch die wenigen Worte reichten aus, um Mütterchen zurück in die Wirklichkeit zu reißen. Erschrocken blickte sie den Geweihten an, sah, wie sein triumphierendes Lächeln in Zorn umschlug. Blitzschnell wich sie vor ihm zurück, drei, vier Schritte weit, bis ihr Rücken gegen die Kerkerwand stieß. Das war nicht ihr eigener Wille gewesen, der sich da in ihr breitgemacht hatte.

Es sind seine Augen! durchzuckte es sie. Seine verfluchten dunklen Augen!

Einen Moment lang sah es aus, als würde der Geweihte Befehl geben, sie zu töten. Lodernde Wut tobte über seine Züge, ein so verzehrender, mörderischer Haß, daß Mütterchen fast glaubte, ihn körperlich zu spüren. Doch dann, von einem Herzschlag zum nächsten, erlosch sein Zorn, und an seine Stelle trat der Anschein von Gleichgültigkeit.

»Gut«, sagte er sachlich. »Ihr wollt es so. Ich gebe Euch bis zum Morgengrauen. Solltet Ihr mir dann nicht sagen, was Ihr über den Zwerg wißt, wird sich mein Folterknecht Eurer annehmen. Und ich werde ihm mit größtem Vergnügen zur Seite stehen.«

Mütterchen starrte ihn in plötzlichem Begreifen an. »Es ist gar nicht das Horn, nicht wahr?«

»Wie meint Ihr das?« fragte er, obgleich er die Antwort doch kannte.

»Es geht Euch um den Zwerg, nicht um das Horn, das er trägt. Was wollt Ihr von ihm? Was macht ihn so wertvoll für Euch?«

Der Geweihte verzog die Mundwinkel zu einem sperrigen Lächeln, dann drehte er sich auf der Stelle um und verließ den Kerker. Seine vier Krieger folgten ihm und schlangen die Kette um das Gitter. Ein Vorhängeschloß, so groß wie Löwenzahns Schädel, schnappte ein.

Mütterchen sprang vor und krallte die knochigen Finger um die Eisenstäbe.

»Ihr werdet ihn niemals fangen!« schrie sie ihren Feinden nach. »Hört Ihr? Niemals!«



Aber das war Wunschdenken, und sie wußte es genau.

Mütterchen kümmerte sich um den angeschlagenen Löwenzahn, kühlte seine Schwellungen mit Wasser aus einem Napf, der in der Ecke stand, und betete insgeheim, daß sich seine Wunden nicht entzünden würden. Er selbst ließ sich kaum anmerken, welche Schmerzen ihn quälten. Er sprach klar, fast vergnügt, und er ließ sich nicht davon abhalten, ein weiteres Mal an dem Gitter zu rütteln, in der vergeblichen Hoffnung, es aus der Verankerung zu brechen. Danach saßen sie beide schweigend in der Ecke, dachten über diese und jene Fluchtmöglichkeit nach, nur um sie dann wieder zu verwerfen.

Durch das Gitter drang der Lärm vom Innenhof herein, das unermüdliche Klatschen der Peitschen auf Sklavenrücken, die Schmerzensschreie und groben Befehle. Spitzhacken krachten in den Tiefen der Schächte, und immer wieder wurden die Männer dort unten mit Wasser begossen. Mütterchen hatte längst aufgehört, sich über den Sinn Gedanken zu machen. Zum ersten Mal seit langer Zeit war sie nah daran, alle Hoffnung fahren zu lassen. Sie fühlte sich leer und nutzlos, und das Eindringen des Geweihten in ihren Geist hatte eine merkwürdige, unsichtbare Wunde in ihr hinterlassen. Nie in ihrem Leben hatte sie sich so gedemütigt, so hintergangen gefühlt.

Einige Stunden mochten vergangen sein, als ein weiteres Mal Gestalten vor der Gittertür erschienen. Im Gegenlicht der Feuerbecken waren es nur Silhouetten, zwei an der Zahl. Dennoch bereitete es keine Schwierigkeiten, die kleine fette Gestalt des Grafen Ugo zu erkennen. An seiner Seite führte er, an einer rasselnden Kette wie einen Hund, das Mädchen Marret. Sie schluchzte leise, folgte dem Fetten aber fügsam und treu.

Ugo, der von nahem kleiner und jünger wirkte als oben am Fenster, trug sein Nachtgewand. Einstmals war es wohl weiß gewesen, doch jetzt war der Stoff beschmutzt von Flecken alle Art, von Essensresten bis zu Körpersäften. Sein Gestank überlagerte sogar die fauligen Gerüche des Kerkers.

Wortlos, wenn auch leise vor sich hin kichernd, zog er einen großen Schlüssel hervor und steckte ihn in das Vorhängeschloß. Ehe er ihn drehen konnte, fiel Marret plötzlich auf die nackten Knie.

»Bitte, Herr Graf, laßt mich bei Euch bleiben. Ich war immer gut zu Euch und will es auch weiterhin sein.«

»Gut?« keifte der Fette. Mehrere Krieger drehten sich draußen auf dem Hof nach ihm um, verloren aber schnell ihre Neugier. Keiner kam näher. »Gut willst du gewesen sein? Ein Stück Fleisch bist du, rohes, grobgehauenes Fleisch. Dein Leiden bereitet mir kaum noch Freude.«

Marret mißverstand ihn. »Dann wollt Ihr bald schon freundlich zu mir sein, Herr Graf? Kein Leiden mehr? Werden wir wieder Freunde sein wie früher?« Und dann sang sie mit tränenerstickter Stimme:


Petersilje Suppenkraut

Wächst in unserm Garten.

Unser Annchen ist die Braut,

Soll nicht lang mehr warten.

Roter Wein, weißer Wein,

Morgen soll die Hochzeit sein.


Ugo holte mit seinem dicken, kurzen Bein aus und trat ihr mit aller Kraft in die Seite. Marret fiel in den Schmutz, krümmte sich keuchend zusammen. Der fette Junge setzt nach, trat ihr in den Magen und riß sie dann an den Haaren nach oben. Sie wehrte sich nicht, weinte nur bitterlich.

»Jetzt flennst du wieder, Miststück. Ich habe auch geweint in meinem Gefängnis, viele, viele Nächte lang. Aber hast du mich rausgelassen? Hast du mir geholfen?«

Marret brabbelte irgendeine Antwort. Das einzige, was Mütterchen verstehen konnte, war das unvermeidliche »gut zu Euch«.

Mütterchen unterdrückte mit aller Macht den Wunsch, dem widerwärtigen Kerl an die Kehle zu gehen. Das Gitter schützte ihn sicherer als jede Kriegereskorte.

Dabei wurde ihr zum ersten Mal bewußt, daß Ugo gar keine Krieger bei sich hatte. Konnte es sein, daß der Geweihte gar nicht wußte, daß seine Marionette auf eigene Faust hierhergekommen war?

Ganz langsam, unter aller gebotenen Ruhe, näherte sie sich der Gittertür. Der Schlüssel steckte noch immer im Schloß.

»Miststück! Miststück!« wetterte Ugo weiter und hatte dabei den Rücken zum Gitter gewandt. Mit wedelnden Armen blickte er auf Marret herab, die immer noch vor ihm im Dreck lag. »Rohes Fleisch bist du. Rohes, unbehauenes Fleisch. Mich ekelt davor, dich zu berühren.« Plötzlich stand er nur noch auf einem Bein und hatte alle Mühe, sein Gleichgewicht zu halten. »Siehst du? Mein Fuß, mit dem ich dich trat, er schmerzt vor Ekel! O wie er schmerzt!«

Mütterchen war bis auf zwei Schritte an die Gittertür herangekommen und streckte ganz langsam den Arm nach dem Vorhängeschloß aus. Noch ein Schritt.

Ugo hob die Hand, die das Ende von Marrets Kette hielt. »Ich werd’ dich lehren, mir Ekel zu bereiten!« schrie er und wollte die Kette in Marrets Gesicht schlagen.

Im selben Augenblick sprang Löwenzahn von seinem Lager auf, stieß Mütterchen beiseite, krachte gegen das Gitter und ließ seinen Arm hinausschießen. Es gelang ihm, Ugos nach hinten ausholende Hand zu packen. Der fette Junge schrie auf.

Mütterchen fluchte und rappelte sich vom Boden auf. Fast hatte sie den Schlüssel gehabt! Mußte der Riese ausgerechnet jetzt den Helden spielen? Bald schon würden zwanzig Krieger am Gitter sein, um dem Grafen beizustehen.

Vielleicht, wenn sie schnell genug war, mochte sie den Schlüssel vorher packen und -

Doch soweit kam sie nicht mehr.

Im selben Moment ging der erste der drei Seilzüge in Flammen auf. Einen Herzschlag später der zweite, fast gleichzeitig der dritte. Innerhalb eines Atemzugs brach Panik aus. Der Innenhof verwandelte sich in ein einziges Chaos aus Geschrei und trampelnden Menschen. Das lauteste Brüllen aber drang aus den drei Gruben empor. Flammenregen ergoß sich von den Seilzügen in die Löcher und verbrannte die Arbeiter bei lebendigem Leibe.

Vor Schreck entglitt Löwenzahn Ugos Arm.

»Der Drache!« schrie der Junge und schien die Attacke des Riesen noch im selben Augenblick zu vergessen. Er ließ Marrets Kette fallen und sprang in wildem Freudentaumel auf und ab. »Sie sind auf eine Feuerader gestoßen! Endlich! Endlich Feuer!«

Mütterchen verschwendete keine Zeit damit, sich über das Gestammel des Wahnsinnigen zu wundern. Sie sprang vor und streckte die Hand durchs Gitter nach dem Schlüssel aus.

Marret war schneller. In Windeseile war das Mädchen heran und zog den Schlüssel aus dem Vorhängeschloß.

»Marret, verdammt!« rief Mütterchen. »Gib ihn her!«

Aber das Mädchen, die Augen vom Irrsinn verschleiert, schwenkte den Schlüssel in der Hand und rief dem hüpfenden Ugo zu: »Herr Graf, Ihr habt Euren Schlüssel vergessen! Hier, Euer Schlüssel, Herr Graf!«

Mütterchen brüllte vor Wut, und auch Löwenzahn begann wie ein wildgewordenes Tier an den Stangen zu rütteln. Es war offensichtlich, daß Marret gar nicht wußte, was sie tat. Sie winkte nur weiter mit dem Schlüssel, ging aber in die Knie, weil die Schmerzen von Ugos Tritten sie abermals überkamen.

Der irre Graf beachtete sie nicht. Er hatte nur Augen für den Hexenkessel, in den sich der Hof der Festung in Windeseile verwandelte. Angst und Kreischen breiteten sich schneller aus als das Feuer rund um die Seilwinden. Die Flammen rasten an den Stricken entlang in die Tiefe, aber auch nach rechts und links zu den Verankerungen am Boden und in den Mauern. Die Drachenkrieger mühten sich vergeblich, die Sklaven unter ihre Knute zu zwingen. Schon erhoben sich die ersten Arbeiter gegen ihre Peiniger. Es war, als wäre ein Bann von den geknechteten Männern und Frauen gewichen. Einige standen umher, als wüßten sie gar nicht, wie sie an diesen Ort gekommen waren.

Mütterchen erinnerte sich schmerzlich an das, was der Geweihte ihr selbst angetan hatte, das tückische Tasten und Fühlen in ihrem Geist. War seine Macht groß genug, Hunderte von Sklaven in seine Gewalt zu zwingen?

»Marret, gib den Schlüssel her!« rief sie wieder und versuchte vergeblich, durch die Stäbe nach dem Mädchen zu greifen. Marret stand einen knappen Schritt zu weit entfernt. Der Glanz der Flammen brach sich auf der Oberfläche des Schlüssels. Das Mädchen hob ihn vors Gesicht und betrachtete ihn eingehend.

»Euer schöner Schlüssel, Herr Graf!« weinte sie und versuchte vergeblich, wieder auf die Beine zu kommen. »Laßt uns damit spielen, Herr Graf!«

Ugo aber taumelte von ihr fort in die Richtung der Seilwinden. Ein Krieger entdeckte ihn und wollte auf ihn zustürzen, doch ein anderer hielt ihn an der Schulter zurück, schüttelte den Kopf und deutete zum Wehrgang auf der Mauer, auf einen Punkt geradewegs über dem Kerker. Mütterchen konnte vom Gitter aus nichts erkennen; wohl aber bemerkte sie, daß auch von anderen Stellen des Hofes die Drachenkrieger auf eine Treppe zurannten, die hinauf zu den Zinnen führte.

»Marret!« schrie sie so laut sie nur konnte, denn der Lärm auf dem Hof war ohrenbetäubend.

Zum ersten Mal fruchteten ihre verzweifelten Mühen. Das Mädchen erkannte seinen Namen und wandte zögernd den Kopf zum Gitter.

»Ja, bitte?« fragte sie leise.

»Gib mir den Schlüssel!«

»Aber er gehört nicht dir.«

»Ich brauche ihn.«

»Er gehört Klein-Ugo.«

Mütterchen zwang sich zur Ruhe, was nicht leicht war in Anbetracht des Umstands, daß Löwenzahn neben ihr wie ein zorniger Stier gegen die Stäbe rannte. Sie erkannte jetzt auch den Grund: Funkenflug war durch das Gitter hereingeweht und hatte im hinteren Teil des Verlieses das Stroh in Brand gesetzt. Ein kleines, aber rasch anwachsendes Feuer züngelte über den Boden.

»Marret, noch einmal: Gib mir den Schlüssel, oder wir werden bei lebendigem Leibe verbrennen.«

Marret schlug die Augen nieder. »Ugo hat mich auch manchmal verbrannt. Das war nicht schön.«

»Den Schlüssel!«

»Und wenn Ugo ihn wiederhaben will?«

Die Feuersbrunst wuchs beständig an, fraß sich jetzt schon aufs Gitter zu.

»Ugo will ihn nicht mehr haben. Er hat ihn dir geschenkt.«

»Wirklich?«

»Aber ja doch. Sieh nur, da läuft er fort.« Mütterchen deutete mit zitternder Hand auf den Jungen, der zwischen den brennenden Seilwinden einhertaumelte, umgeben vom Gewimmel der Sklaven und Krieger.

»Das stimmt«, stellte Marret fest.

»Und wenn der Schlüssel dir gehört, kannst du damit tun, was du willst.« Mütterchen spürte die Hitze in ihrem Nacken. Die Flammen kamen immer näher. Löwenzahn sprang um sie herum und schabte mit dem Fuß das glimmende Stroh beiseite. Ein aussichtsloses Unterfangen.

»Gehört mir«, wiederholte Marret nachdenklich.

»Du willst doch nicht, daß mein Freund und ich verbrennen, nicht wahr? Also gib mir den Schlüssel, damit wir hier raus können.«

Noch hatten die Krieger anderes zu tun, als ihre Gefangenen zu beachten, aber jeden Augenblick mochte einer von ihnen erkennen, daß am Gitter ein Fluchtversuch im Gange war. Derweil ertönte von oberhalb der Mauer, fast genau über dem Kerker, das Klirren von Schwertern, die heftig aufeinanderprallten. Über eine Holztreppe, zwanzig Schritte weiter rechts, rannten immer mehr Krieger zum Wehrgang empor. Auf den Stufen entstand ein regelrechtes Gedränge. Eine ganze Heerschar von Feinden mußte die Mauer über dem Verlies erstürmt haben.

Ein blechernes Prasseln ertönte, als ein toter Krieger unweit des Gitters zu Boden krachte. Er war mit gespaltenem Helm vom Wehrgang gefallen. Zwei weitere folgten. Einer verfehlte die am Boden kauernde Marret nur um Armeslänge. Sein Kopf war durch einen Schwertstreich fast von den Schultern getrennt und glotzte Mütterchen aus glänzenden Augen an.

Die vorderen Flammen waren jetzt nur noch eine Handbreit von Mütterchens und Löwenzahns Füßen entfernt. Marret starrte abwechselnd den Schlüssel, das Feuer und den umherspringenden Ugo an. Dann traf sie ihre Entscheidung.

»Hier!«

Mütterchen nahm ihr den Schlüssel mit zittrigen Fingern ab und steckte ihn ins Schloß. Augenblicke später ließ sich die Kette lösen. Das Gittertor schwang auf, und die beiden Gefangenen taumelten ins Freie.

Einige Atemzüge vergingen, in denen sie sich orientierten. Als Mütterchen sich umsah, erreichten die Flammen das Gitter. Spätestens jetzt mußten die Krieger auf sie aufmerksam werden.

»Los, wir müssen weg von hier!« rief Mütterchen dem Riesen zu. Löwenzahn packte die verwirrte Marret, klemmte sie sich unter den Arm und rannte los. Das Mädchen leistete keinen Widerstand, ließ alles willig mit sich geschehen.

»He, ihr!« brüllte ein Krieger und wandte sich ihnen zu. Über eine Entfernung von zehn Schritten kam er auf sie zu, in jeder Hand ein Kurzschwert.

Löwenzahn sah sich verzweifelt nach einer Waffe um. Das Schicksal meinte es gut mit ihm, denn im gleichen Moment stürzte ein weiterer Toter von den Zinnen herab, landete unweit der Gefährten am Boden. Löwenzahn setzte Marret ab, sprang vor und packte das Schwert des Leichnams. Mütterchen suchte ebenfalls nach einer Waffe, fand aber nur das Horn am Hals des Mannes. Sie ließ es hängen und kratzte statt dessen eine Handvoll Schmutz vom Boden. Während sich Löwenzahn dem Angreifer entgegenwarf, formte sie vier Kügelchen aus feuchtem Schmutz. Zwei steckte sie sich selbst in die Ohren, zwei preßte sie der willenlosen Marret in die Ohrmuscheln.

Mit heftigen Attacken trieb der zornige Koloß den Drachenkrieger zurück zur Mauer. Einen Augenblick später hieb er ihm die Klinge durchs Schlüsselbein hinab in die Brust. Schweigend brach der Krieger zusammen und starb.

Die Schlacht im Hof zwischen Sklaven und Kriegern war in ihrem Gewimmel so unübersichtlich, daß nicht auszumachen war, welche Seite die Oberhand gewann. Zwar kämpften die Krieger unter voller Bewaffnung und waren durch Helme und Brünnen geschützt, doch die Sklaven waren ihnen an Zahl um ein Vielfaches überlegen. Immer wieder gingen einzelne Drachenkrieger unter dem bloßen Ansturm von Körpern zu Boden. Überall tobten Duelle zwischen den Männern des Geweihten und verzweifelten Sklaven, die die Waffen der Toten ergriffen hatten. Einige der Drachenkrieger trugen Hörner, doch niemand machte Anstalten, sie einzusetzen. Ihr Meister mußte klare Befehle gegeben haben.

Mütterchen rief Löwenzahn zu, sich ebenfalls feuchte Erde in die Ohren zu stopfen. Er tat es, wenn auch widerwillig, dann liefen sie gemeinsam in die Richtung des Haupttors. Der Riese zog die stolpernde Marret hinter sich her.

Plötzlich blieb Mütterchen stehen. Sie wußte noch immer nicht, wem sie das Chaos zu verdanken hatten. Neugierig fuhr sie herum und blickte hinauf zu den Zinnen, in der Erwartung, ein feindliches Heer zu erblicken, das über die Wehrgänge quoll.

Dort aber stand, einsam und grimmig im Ansturm der Drachenkrieger, ein einzelner Mann.

Mütterchen fuhr wie vom Blitz getroffen zusammen, als sie ihn erkannte.

»Der Rabengott!« entfuhr es ihr fassungslos.

Auch Löwenzahn starrte beeindruckt zur Mauer empor. Der Anblick verschlug ihm die Sprache.

Schwarz wehte der lange Mantel des Gottes im Wind, und grausam wütete sein Schwert unter den Kriegern des Geweihten. Der Langbogen, mit dem er die Seilwinden in Brand geschossen hatte, lag achtlos am Boden. Die langen Rabenfedern an seinen Schultern flatterten wie lebende Vogelschwingen. Aufgrund der Enge konnten ihm immer nur zwei zugleich entgegentreten. Vor ihm türmte sich bereits ein Wall aus Toten und Verwundeten auf, den er geschickt als Schutz für sich zu nutzen wußte. Und immer noch schlug und hackte seine Klinge, ließ Brustpanzer bersten und Helme zerspringen. Bereits ein gutes Dutzend Männer mußte seiner Wut zum Opfer gefallen sein, und immer noch kamen mehr und mehr die Stufen heraufgestürmt, kletterten über die Leichen ihrer Kameraden und drangen auf den Kämpfer ein.

In Mütterchens Kopf herrschte eine unheimliche Stille. Durch die Erdbrocken in ihren Ohren nahm sie nichts wahr; alles, was sie hörte, war das Rauschen ihres eigenen Blutes, ihr Pulsschlag und das aufgeregte Wummern ihres Herzens. Die Schlacht um sie herum erschien ihr immer unwirklicher, und das Auftauchen des Rabengottes verstärkte diesen Eindruck. Ihr war, als stolperte sie durch einen blutrünstigen Traum.

Unterhalb der Mauer hatte eine Reihe von Armbrustschützen Aufstellung bezogen. Sorgfältig legten sie auf den schwarzen Kämpen oben auf den Zinnen an. Dann zuckten die Bolzen empor.

Alle bis auf einen schlugen in einen verwundeten Drachenkrieger, den der Kämpfer im letzten Augenblick als Schutzschild vor den eigenen Körper riß. Eine Stahlspitze aber durchschlug das Bein des Toten und bohrte sich dahinter in den Oberschenkel des Rabengottes.

»Er ist kein Gott«, flüsterte Mütterchen gebannt. Ihrer Ehrfurcht aber tat das keinen Abbruch; was für ein Mensch nahm es freiwillig mit solch einer Übermacht auf?

Ihr blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Löwenzahn rannte plötzlich auf sie zu, stieß sie grob an und bedeutete ihr stumm, zum Tor zu laufen. Marret war noch immer hinter ihm, ihr Handgelenk in seiner Faust, mit unglücklicher Miene und dem Glanz der lodernden Feuer in den Augen.

Noch zwanzig Schritte mochten sie vom heißumkämpften Torbogen trennen, als die ersten Krieger und Sklaven ihre Waffen fallenließen und die Hände vor die Ohren schlugen.

Da wußte Mütterchen, daß der Zorn des Geweihten über sie kam.



Alberich lauschte wieder der Melodie, die nur in seinem Kopf ertönte, als ihn ein heftiger Ruck aus seinen Träumen riß. Er schlug die Augen auf, spürte schlagartig, daß ihn etwas zu Boden drückte und versuchte verzweifelt, sich freizukämpfen.

»Alberich!« zischte eine Stimme in sein Ohr. Und noch einmal: »Alberich, bleib ruhig!«

Er erkannte Geist und hielt augenblicklich inne. Er wußte wieder, wo er war und in welcher Gefahr sie schwebten. Das Waldfräulein hielt ihn immer noch engumschlungen. Er fürchtete schon, sein dummes Gestrampel hätte die Krieger auf sie aufmerksam gemacht.

Irgend etwas war passiert. Der Wagen hatte angehalten, und flackerndes Licht beschien die Erdwälle auf der Ladefläche. Feuerschein loderte. Lärm ertönte. Schwerterklirren.

»Was ist los?« flüsterte er aufgeregt.

Geist brauchte einen Moment für ihre Antwort, denn der Anblick, der sich ihr bot, hielt sie fest in ihrem Bann. »Wir sind da. Es brennt überall.«

»Es brennt?«

»Ja«, wisperte sie zurück. »Und es wird gekämpft. Die Sklaven... sie haben sich gegen die Krieger erhoben.«

Der Schlachtlärm, der an Alberichs Ohren drang, unterstrich ihre Worte. »Sind die Reiter noch bei uns? Sag schon, ich kann nichts sehen!«

»Sie sind vorausgeritten, durchs Tor in die Festung.«

»Und der Kutscher?«

»Sitzt noch vorne auf dem Wagen.«

Alberich wurde noch ungeduldiger. »Worauf wartest du dann noch?«

»Womit?«

»Zieh ihm eins über den Schädel, so lange er abgelenkt ist.«

»Ich bin kein Kämpfer«, gab sie schüchtern zurück.

Alberich versuchte, sich aus ihrer Klammer zu lösen. »Dann laß mich es tun.«

Zögernd zog sie sich von ihm zurück, schob sich ganz leise nach hinten. Vor dem Nachthimmel war ihr erdfarbener Leib kaum zu sehen.

Alberich rappelte sich auf und sah über die Erdhaufen nach vorne. Der Kutscher hockte etwa drei Armlängen vor ihm. Im Hintergrund stand der mächtige Turm, erleuchtet von zahlreichen Feuern, die im Inneren des Festungswalls brannten. Gleich neben dem Tor hatten mehrere Dutzend Pferde die Umzäunung einer Koppel gesprengt und preschten in Panik fort in die Nacht. Oben auf den Zinnen und am Tor wurde erbittert gekämpft. Auch die Sklavenkette zum Fluß hinunter, Hunderte von Menschen, hatte sich aufgelöst. Einige rangen mit ihren berittenen Wächtern, doch der Großteil war in die Wälder und zwischen die Felsen geflohen.

Der Kampflärm vom Torbogen übertönte die Geräusche, als Alberich sich nach vorne schob. Der Kutscher hatte ihm noch immer den Rücken zugewandt und hatte alle Mühe, seine beiden Pferde ruhig zu halten. Offenbar war er hin- und hergerissen zwischen dem Pflichtgefühl seinem Herrn gegenüber und der Möglichkeit, der Hölle der Schlacht zu entfliehen.

Alberich half ihm gern aus seinem Zwiespalt. Lautlos richtete er sich hinter dem Mann auf, verschränkte die Fäuste und lies sie mit aller Kraft auf den Schädel des Arglosen krachen. Leblos sackte der Kutscher zusammen. Alberich stieß ihn vom Bock.

Hastig wandte er sich zu dem Waldfräulein um. »Siehst du, so macht man das.«

»Ist er tot?« fragte sie zögernd und kletterte über die Erdwälle auf Alberich zu.

»Was weiß ich. Hauptsache, er ist uns nicht im Wege.«

Sie blickte mit großen Augen zu dem reglosen Mann hinunter. »Ich glaube nicht, daß er das sein wird.«

Alberich beugte sich weit vor, um die Zügel zu ergreifen, als ihm dabei das Horn vors Gesicht schwang. Er ließ die Zügel wieder sinken und wandte sich an Geist. »Schnell, nimm dir eine Handvoll Erde und steck dir etwas davon in die Ohren!«

Sie schaute ihn verwundert an, während er daranging, zwei Erdkugeln zu formen. »Wieso denn das?«

Er deutete auf das Horn an seinem Hals. »Die haben eine ganze Menge davon. Wer weiß, was geschieht, wenn sie alle hineinblasen...«

Geist schien sich an den Schmerz zu erinnern, den sie selbst durchlitten hatte, als Alberich ins Horn gestoßen hatte, denn nun ging sie eiligst daran, ihre Ohren mit Erde zu verstopfen. »So?« fragte sie danach, aber Alberich hörte sie schon nicht mehr; er drückte sich die Kügelchen mit den Zeigefingern in die Ohren.

Keinen Augenblick zu früh, denn plötzlich ließen die Kämpfenden am Tor ihre Waffen fallen, wälzten sich am Boden und versuchten verzweifelt, sich die Ohren zuzuhalten. Sogar der Kutscher erwachte von den Lauten, riß den Mund zu einem Schrei auf und wand sich vor Qual im Gras. Die Pferde wieherten aufgeregt und tänzelten auf den Hinterbeinen, so daß Alberich schon fürchtete, sie könnten den Wagen den Hang hinabreißen.

Geist stieß ihn an. Über die sich aufbäumenden Tiere hinweg deutete sie zum Tor. Zwischen den Männern und Frauen am Boden sprangen drei Gestalten ins Freie, drei schwarze Umrisse vor dem flammenden Hintergrund. Um sie herum begannen die gequälten Menschen im Gras zu erschlaffen. Im Feuerschein erkannte Alberich die dunklen Rinnsale, die aus ihren Ohren quollen.

»Sie sterben!« rief er aus, aber der einzige, der die Worte vernahm, war er selbst.

Die drei Silhouetten schauten sich nach der leeren Pferdekoppel um, dann entdeckten sie den Wagen und kamen näher.

Geist sprang nach hinten und zog Alberich mit sich. Mit der anderen Hand zerrte sie an der Decke, die auf der Sitzbank des Kutschbocks lag. Alberich wollte protestieren - noch waren seine Freunde in diesem Inferno -, aber dann zwang er sich einzugestehen, daß das Waldfräulein das Richtige tat.

Hastig schoben sie sich über die Erdwälle auf den hinteren Teil der Ladefläche. Dort blieben sie nebeneinander auf dem Bauch liegen. Geist zog die braune Decke über sich und den Zwerg. In der Dunkelheit mochte das als grobe Tarnung ausreichen.

Über den Erdhügel blinzelten sie unter der Decke hervor nach vorne. Die drei Gestalten kamen näher.

Es waren drei Männer, alle groß und massig. Der Mittlere trug eine fremdartige Rüstung aus Gitterwerk. Als er den Kutschbock erreichte, erkannte Alberich, daß sein Panzer aus Geweihenden gewirkt war. Ein eisiger Schauer überkam ihn bei diesem Anblick. Er konnte die Gefahr spüren, die von dem düsteren Geweihmann ausging.

Die Begleiter des Unheimlichen trugen gewöhnliche Kleidung aus Fell und Metallschuppen. Sie hatten keine Helme auf. Ihr Haar wehte lang und strähnig im Nachtwind, ihre Gesichter waren rußig und glänzten vor Schweiß.

Alle drei trugen Breitschwerter, die vom Blut ihrer Feinde glänzten. Auf ihrem Weg zum Tor mußten sie zahlreiche Sklaven erschlagen haben.

Alberich und Geist duckten sich tiefer hinter den letzten Erdwall, als die Männer auf den Wagen sprangen. Einer der Krieger ergriff die Zügel, der Geweihmann rückte neben ihn. Der dritte hockte sich unweit des Zwerges und des Waldfräuleins auf einen Dreckhügel. Wenn sie sich regten, würde er sie unweigerlich bemerken. Auch Abspringen schied aus.

Die beiden Pferde waren immer noch aufgeregt, doch schien der Klang des Hornes nicht dieselbe Wirkung auf sie zu haben wie auf Menschen. Gleich nach der Ankunft der Männer wurden sie ruhiger. Als der Krieger sie jetzt wenden ließ, gehorchten sie und zogen den Wagen vom Turm fort, zurück auf dem selben Weg, den das Gefährt eben erst gekommen war.

Das letzte, was Alberich vom brennenden Turm sah, waren drei weitere Umrisse, die durch das Feuermaul des Tores stolperten: eine schmale, leicht gebeugte Gestalt, ein breitschultriger Riese und ein abgemagertes Mädchen, das er an der Hand führte.

Das kann nicht sein, durchfuhr es Alberich aufgeregt. Oder doch?

Im selben Augenblick riß sich das Mädchen von dem Riesen los und stürmte zurück in die Flammen.



Im selben Augenblick riß Marret sich von Löwenzahn los und stürmte zurück in die Flammen. Ihre dünnen, nackten Beinen drohten über die Leichen zu stolpern, sie schwankte, stolperte, schleppte sich weiter. Ihr Gesicht erglühte im Feuerschein, ihr langes Haar wirbelte wild. Immer wieder öffnete sich ihr Mund, sie rief etwas, und obgleich weder Mütterchen noch Löwenzahn durch ihre Ohrstopfen einen Ton verstehen konnten, so gab es doch keinen Zweifel, wessen Namen sie brüllte.

Mütterchen blickte zurück in die Leichenhölle des Innenhofs, ein Meer aus leblosen Körpern, Sklaven wie Kriegern, die sich im Todeskampf ineinander verschlungen hatten, ungeachtet ihrer Feindschaft. Der Geweihte hatte keinen seiner eigenen Männer geschont, um der Rebellion ein Ende zu bereiten. Niemand, der nicht vor Ertönen des großen Hornes geflohen war oder seine Ohren geschützt hatte, hatte überlebt. Weit über hundert Tote waren es, die darauf warteten, von den Flammen verzehrt zu werden.

Eine besonders häßliche Leiche, die des Grafen Ugo, lag unweit der lodernden Seilwinden. Die erste der hölzernen Konstruktionen war bereits zusammengebrochen, die beiden anderen neigten sich unheilvoll zur Seite. Ihre Haltetaue brannten.

Ausgerechnet am Fuß der einen Winde machte Marret halt. Sie erreichte den toten Ugo im selben Moment, da Löwenzahn alle Vorsicht vergaß und ihr zurück ins Innere der Festung folgte. Mütterchen rief ihm hinterher, vergebens. Sie fluchte heftig und näherte sich abermals dem Tor. Anders als Löwenzahn blieb sie unter dem steinernen Bogen stehen und betrachtete sorgenvoll, wie ihr Freund über die Leichenberge sprang.

Marret beugte sich derweil über ihren einstigen Schützling und drückte sein Gesicht an ihre Brust. Tränen vermischten sich mit Schweiß und Ruß auf ihren Wangen. Die Hitze unweit der brennenden Seilwinden war kaum zu ertragen. Aber sie wollte nicht fort, wollte bei Ugo bleiben, mit ihm sterben, wenn es sein mußte. Er war es, der ihrem Leben Sinn gegeben hatte, die Sorge um ihn, ihre liebevolle Pflege, ungeachtet all seiner Schändlichkeiten. Er war doch nur ein Kind, wäre es immer geblieben, wenn nicht... ja, wenn nicht der Geweihte gekommen wäre. Ihr tränenverschleierter Blick glitt am Turm empor, zu einem Fenster hoch oben. Daraus ragte ein riesiges Horn hervor, fast so groß wie sie selbst. Sie fragte sich, ob daraus eine Trauermelodie für den Grafen ertönte, für ihren Freund, der tief im Herzen ein so guter Mensch gewesen war. Er hätte es verdient, gewiß. Marret hob die Hände und begann, an den Erdkrumen in ihren Ohren zu zupfen. Sie wollte teilhaben an der Trauer um Ugo, an dem Lied zu seinen Ehren.

Zwei gewaltige Pranken packten sie von hinten und rissen ihre Hände herunter, bevor sie die Pfropfen lösen konnte. Mit einem Aufschrei wirbelte sie herum. Ugos Schädel entglitt ihrem Schoß und sackte zurück auf den Boden.

Löwenzahn packte das strampelnde Mädchen und warf es sich über die Schulter. Sie kreischte und weinte, aber er hörte es nicht. Ihre Fingernägel gruben sich in seinen Hals und Nacken, rissen ihm die Haut auf, aber noch immer ließ er sie nicht los. Mit einem Satz sprang er vom Leichnam des wahnsinnigen Grafen fort.

Im selben Augenblick splitterte die nahe Seilwinde aus ihrer letzten Verankerung. Mütterchen schien es, als bliebe die Zeit stehen. Unendlich langsam knickte das lodernde Holzgerüst in sich zusammen, brach dabei zur Seite weg. Stürzte genau auf Löwenzahn und seine tobende Last zu. Brennende Balkensplitter flogen in alle Richtungen, sausten über den Riesen hinweg wie sirrende Schwerter. Näher und näher kam das kippende Gerüst, vier-, fünfmal so hoch wie Löwenzahn selbst. Es war fast, als folge es dem Verlauf seines Weges, beuge sich über ihn, fiel tiefer und tiefer, schien ihn zu streifen, ließ ihn stolpern, Marret verlieren und nach vorne krachen. Kaum zwei Schritte von der Spitze der Winde entfernt schlug Löwenzahn zu Boden. Hinter ihm fauchten die Flammen zum Himmel empor, eine haushohe Feuerwand, die die Seilwinde und alles, was unter ihr begraben war, verzehrte.

Als Löwenzahn sich schmerzerfüllt aufstemmte, war das Mädchen nicht bei ihm.

Der Riese heulte auf und taumelte auf das Feuer zu, doch da war Mütterchen schon bei ihm und hielt ihn am Arm zurück. Er wollte sich losreißen, wollte gar um sich schlagen, doch sei Blick fiel auf Mütterchens Gesicht, und neue Klarheit durchdrang sein Denken. Ein letztes Mal schaute er in die Flammen, Tränen strömten aus seinen Augen, die so gar nicht zu seinen ungeschlachten Zügen passen wollten. Er streckte die Hand nach der Stelle aus, wo Marret von den brennenden Balken erschlagen worden war, dann wandte er sich mit einem Ruck vom Feuer ab und stolperte über die Toten mit Mütterchen zum Tor.

Niemand hielt sie auf. Wer immer sich noch im Turm aufhielt und im Auftrag des Geweihten ins Horn gestoßen hatte, er wartete in der Sicherheit des Granitgemäuers, bis die Flammen im Hof von selbst erloschen.

Die Freunde waren kaum ins Freie getaumelt, als Mütterchen das Gleichgewicht verlor. Ihre Beine gaben nach, sie stürzte.

»Zu alt«, formten ihre Lippen, und sie wunderte sich, daß nicht einmal sie selbst es hörte. Sogar ihre Stimme ließ sie im Stich.

Löwenzahn wischte sich mit einer Pranke über die Augen, dann hob er die greise Räuberin kurzerhand vom Boden auf und trug sie den Hang hinunter zum Waldrand. Mehrfach stießen sie auf Leichen der berittenen Wächter. Sie waren von Sklaven aus den Sätteln gezerrt und erschlagen worden. Die Arbeiter selbst waren allesamt verschwunden. Die meisten waren zum Fluß gelaufen und durch die Fluten zur anderen Seite geschwommen.

Unter den vorderen Bäumen, unweit der Einmündung eines Weges nach Norden, legte Löwenzahn Mütterchen ins feuchte Gras. Er kniete neben ihr nieder und streichelte sanft ihr graues Haar. Er sagte etwas, als ihm die Erdklumpen in seinen Ohren einfielen. Eilig holte er sie hervor. Mütterchen schüttelte den Kopf, als er auch nach ihren Ohren langte; sie hatte noch Kraft genug, es selbst zu tun.

Schließlich fragte Löwenzahn: »Wirst du wieder laufen können?«

Mütterchen zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln. »Ich bin vielleicht schwach, Dummkopf, aber noch lange nicht tot.«

Er grinste unbeholfen in dem augenscheinlichen Versuch, die Trauer um Marret zu verdrängen.

Da fiel Mütterchens Blick auf etwas hinter seiner Schulter. »Sieh dir das an!«

Der Riese fuhr herum und wurde eines einzelnen Ponys gewahr, das verloren am Hang stand und graste.

»Warum ist es nicht mit den anderen Pferden fortgelaufen?« fragte Löwenzahn verblüfft.

»Ich hab dir doch gesagt, ich kann mit ihm sprechen.«

Mütterchen rief Rohlands Namen, das Tier schrak auf und erkannte die Räuberin. So schnell es konnte galoppierte es den Hang hinunter, trampelte fast über Löwenzahn hinweg und leckte voller Freude die Hand seiner Herrin.


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