28 FRIEDRICHS BÜRO, OLIVAER PLATZ 3, BERLIN, 1925

»Denn nicht Sie, meine Herren, sprechen das Urteil über uns, das Urteil spricht das ewige Gericht der Geschichte, das sich aussprechen wird über die Anklage, die gegen uns erhoben ist. … Mögen Sie uns tausendmal schuldig sprechen, die Göttin des ewigen Gerichts der Geschichte wird lächelnd den Antrag des Staatsanwaltes und das Urteil des Gerichtes zerreißen; denn sie spricht uns frei.«

Adolf Hitler, letzte Worte aus seiner Rede beim Prozess in München 1924

»Am 25. April 1925 war der VB wieder als Tageszeitung erschienen. Und wer wurde ungeachtet aller meiner Einwände und Argumente wieder als Hauptschriftleiter eingesetzt? –Rosenberg, der unerträgliche, engstirnige Möchtegernmythologe, der antisemitische Halbjude, der, und das behaupte ich bis heute, der Bewegung mehr Schaden zugefügt hat als irgendein anderer Mensch abgesehen von Goebbels.«

Ernst (Putzi) Hanfstaengl

»Hitlers Nachricht hat mich mehr als erstaunt. Hier, Friedrich, ich möchte, dass du dir das mit eigenen Augen ansiehst. Ich trage den Zettel immer in der Brieftasche bei mir. Ich habe ihn jetzt in ein Kuvert gesteckt – er fällt allmählich auseinander.«

Friedrich öffnete das Kuvert behutsam und las.

LIEBER ROSENBERG, VON JETZT AB WERDEN SIE DIE BEWEGUNG FÜHREN.

»Das hast du also nach dem fehlgeschlagenen Putsch bekommen – vor zwei Jahren?«

»Am Tag danach. Er schrieb es am zehnten November 1923.«

»Erzähl mir mehr über deine Reaktion.«

»Wie ich sagte, ich war mehr als erstaunt. Ich hatte nicht die blasseste Ahnung, weshalb er ausgerechnet mich zu seinem Nachfolger wählte.«

»Sprich weiter.«

Alfred schüttelte den Kopf. »Ich …« Er stockte einen Moment, fasste sich dann und platzte heraus: »Ich war fassungslos. Perplex. Wie konnte das sein? Vor dieser Nachricht hat Hitler niemals darüber gesprochen, dass ich die Partei führen sollte – und nachdem er sie geschrieben hat, ebenfalls nicht!«

Hitler sprach weder vorher noch nachher darüber. Friedrich versuchte, diesen seltsamen Gedanken zu verdauen, konzentrierte sich aber weiter auf Alfreds Gefühlsausbruch. Seine analytische Ausbildung hatte ihn in Geduld geübt. Er wusste, dass sich alles mit der Zeit auflösen würde. »Eine Menge Emotionen in deiner Stimme, Alfred. Es ist wichtig, seinen Gefühlen zu folgen. Was fällt dir dazu ein?«

»Mit dem Putsch fiel alles auseinander. Die Partei lag in Scherben. Die Führer waren entweder im Gefängnis wie Hitler oder außer Landes wie Göring oder untergetaucht wie ich. Die Regierung hat die Partei verboten und den Völkischen Beobachter für immer geschlossen. Erst vor ein paar Monaten wurde er wiedereröffnet, und jetzt habe ich meine frühere Stelle wieder.«

»Darüber möchte ich alles wissen, aber im Augenblick wollen wir deine Gefühle im Zusammenhang mit dieser Nachricht näher beleuchten. Versuch das Gleiche wie schon einmal: Stell dir die Situation vor, als du zum ersten Mal die Nachricht öffnetest, und sprich dann alles aus, was dir gerade in den Sinn kommt.«

Alfred schloss die Augen und konzentrierte sich. »Stolz. Großer Stolz – er hat mich auserwählt, mich vor allen anderen – er hat mir das Zepter übergeben. Es bedeutete alles für mich. Deshalb trage ich den Zettel immer bei mir. Ich hatte keine Ahnung, dass er mir so vertraute und mich so wertschätzte. Was noch? Große Freude. Es war vielleicht der stolzeste Augenblick in meinem Leben. Nein, nicht nur vielleicht, es war mein stolzester Augenblick. Wie habe ich ihn dafür geliebt! Und dann … und dann …«

»Und dann was, Alfred? Nicht aufhören.«

»Und hinterher war alles nur noch ein Haufen Scheiße! Diese Nachricht. Alles! Meine größte Freude wurde zur größten … zur größten Pestilenz meines Lebens.«

»Von Freude zu Pestilenz. Kläre mich über diese Verwandlung auf.« Friedrich wusste, dass er sich seine Kommentare hätte sparen können. Alfred war begierig darauf weiterzusprechen.

»Es ist so viel passiert, dass meine Zeit heute nicht reichen würde, dir alles im Einzelnen zu beantworten.« Alfred schaute auf seine Armbanduhr.

»Ich weiß, dass du mir nicht alles erzählen kannst, was in den letzten drei Jahren passiert ist, aber ich brauche wenigstens einen kurzen Überblick, wenn ich deine Verärgerung wirklich verstehen soll.«

Alfred schaute zur hohen Zimmerdecke in Friedrichs geräumigem Büro und sammelte seine Gedanken. »Wie soll ich es ausdrücken? Im Wesentlichen stellte mir diese Nachricht eine unmögliche Aufgabe. Ich wurde aufgefordert, einen traurigen Kader bösartiger Männer zu führen, die alle nach der Macht griffen, alle mit eigenen Vorstellungen, jeder Einzelne drauf und dran, mich zu vernichten. Jeder Einzelne seicht und dumm, jeder Einzelne von meiner überlegenen Intelligenz bedroht und vollkommen unfähig, meine Ausführungen zu verstehen. Und keiner von ihnen wusste über die Prinzipien Bescheid, für die die Partei stand.«

»Und Hitler? Er forderte dich auf, die Partei zu führen. Kam von ihm denn keine Unterstützung?«

»Hitler? Er macht mich vollkommen irre und macht mir das Leben noch schwerer. Hast du das Drama um unsere Partei nicht verfolgt?«

»Tut mir leid, aber ich bin über die politischen Vorgänge nicht mehr auf dem Laufenden. Ich werde noch immer von den neuen Entwicklungen in meinem Fachgebiet in Anspruch genommen und auch von den vielen Patienten, die mich aufsuchen – fast alles Ex-Soldaten. Abgesehen davon ist es am besten, wenn ich alles aus deiner Perspektive höre.«

»Dann werde ich dir eine Zusammenfassung geben. Wie du wahrscheinlich weißt, haben wir die Führer der bayerischen Regierung 1923 davon zu überzeugen versucht, sich uns auf einem Marsch nach Berlin anzuschließen, den wir uns von Mussolinis Marsch auf Rom abschauen wollten. Aber unser Putsch war ein absolutes Fiasko. Alle sind der Meinung, dass es nicht schlimmer hätte kommen können. Er war schlecht geplant und schlecht ausgeführt und fiel schon beim ersten Anzeichen von Widerstand in sich zusammen. Als Hitler mir diese Nachricht schrieb, versteckte er sich auf Putzi Hanfstaengls Dachboden und rechnete mit seiner sofortigen Festnahme und möglicher Ausweisung. Als Frau Hanfstaengl mir die Nachricht überbrachte, erzählte sie mir, was passiert war. Drei Polizeiautos waren vor dem Haus vorgefahren. Hitler ist ausgerastet, hat mit seiner Pistole herumgefuchtelt und geschrien, dass er sich lieber erschießen wolle, als sich von diesen Schweinen verhaften zu lassen. Glücklicherweise hatte Frau Hanfstaengls Gatte ihr Jiu-Jitsu beigebracht, und so war Hitler mit seiner lädierten Schulter kein ernstzunehmender Gegner für sie. Frau Hanfstaengl entwand ihm die Pistole und warf sie in ein großes, 200-Kilo-Fass Mehl. Nachdem er mir schnell eine Nachricht aufgeschrieben hatte, marschierte Hitler kleinlaut ins Gefängnis. Alle dachten, dass seine Karriere damit beendet wäre. Hitler war erledigt – er war eine nationale Lachnummer. Wenigstens schien es so. Aber genau an seinem Tiefpunkt zeigte sich sein wahres Genie. Er verwandelte das Fiasko in pures Gold. Ich will ehrlich sein: Er hat mich wie ein Stück Scheiße behandelt. Ich bin am Boden zerstört über das, was er mir angetan hat, aber in diesem Moment trotzdem überzeugter denn je, dass er unser aller Schicksal in der Hand hat.«

»Erklär mir das, Alfred.«

»Seine große Stunde schlug während der Verhandlung. Dort plädierten alle anderen Putschteilnehmer kleinlaut auf nicht schuldig im Sinne der Anklage, die auf Hochverrat lautete. Ein paar bekamen milde Strafen – Hess zum Beispiel sieben Monate. Ein paar andere, wie der unantastbare General Ludendorff, wurden für nicht schuldig erklärt und sofort auf freien Fuß gesetzt. Nur ganz allein Hitler beharrte darauf, sich des Hochverrats schuldig gemacht zu haben, und beeindruckte die Richter, die Zuschauer, die Reporter aller wichtigen deutschen Zeitungen mit einer wunderbaren vierstündigen Rede. Es war sein größter Moment – ein Moment, der ihn für alle Deutschen zum Helden machte. Du hast doch bestimmt davon gehört?«

»Ja. Alle Zeitungen haben vom Prozess berichtet, aber ich habe die eigentliche Rede nie gelesen.«

»Im Gegensatz zu den anderen Schwächlingen, die auf nicht schuldig plädierten, beharrte er immer wieder auf seiner Schuld. ›Wenn‹, sagte er, ›der Umsturz dieser Regierung von Novemberverbrechern, die der tapferen deutschen Armee den Dolch in den Rücken gestoßen haben, Hochverrat ist, dann bin ich schuldig. Wenn der Wunsch, die ruhmreiche Majestät unserer deutschen Nation wiederherzustellen, Hochverrat ist, dann bin ich schuldig. Wenn der Wunsch, die Ehre der deutschen Armee wiederherzustellen, Hochverrat ist, dann bin ich schuldig.‹ Die Richter waren so ergriffen, dass sie ihm gratulierten, ihm die Hand schüttelten und ihn am liebsten freigesprochen hätten, aber das konnten sie nicht: Er ließ es sich nicht nehmen, sich des Hochverrats schuldig zu bekennen. Schließlich verurteilten sie ihn zu fünf Jahren Festungshaft in Landsberg, sicherten ihm aber eine vorzeitige Entlassung zu. Und so wurde er an einem außergewöhnlichen Nachmittag von einem Schmalspurpolitiker und einer Lachnummer plötzlich zu einer allgemein bewunderten, nationalen Figur.«

»Ja, ich habe festgestellt, dass sein Name inzwischen allen bekannt ist. Danke, dass du mich auf den neuesten Stand gebracht hast. Aber etwas geht mir nicht aus dem Kopf, und darauf möchte ich gern zurückkommen – dein harter Begriff ›Pestilenz‹. Was ist zwischen dir und Adolf Hitler passiert?«

»Was ist vielmehr nicht passiert? Das Neueste – der eigentliche Grund, weshalb ich hier bin – ist, dass er mich öffentlich gedemütigt hat. Er hatte wieder einmal einen seiner größeren Anfälle, und dabei hat er mich wutschnaubend auf bösartigste Weise der Inkompetenz, Illoyalität und aller Verbrechen beschuldigt, die du dir nur vorstellen kannst. Frage mich nicht nach weiteren Einzelheiten. Ich habe sie verdrängt und erinnere mich nur bruchstückhaft, ungefähr so, wie jemand sich an einen flüchtigen Alptraum erinnert. Das ist jetzt zwei Wochen her, und ich habe mich noch immer nicht davon erholt.«

»Ich sehe ja, wie sehr dich das mitnimmt. Was war der Auslöser für diesen Wutanfall?«

»Parteipolitik. Ich beschloss, für die Wahlen zum Parlament 1924 ein paar Kandidaten aufzustellen. Unsere Zukunft liegt sonnenklar in dieser Richtung. Der katastrophale Putsch hat bewiesen, dass uns gar nichts anderes übrig bleibt, als uns in das parlamentarische System einzubinden. Unsere Partei lag in Scherben und wäre andernfalls ganz auseinandergefallen. Da die NSDAP gesetzlich verboten war, schlug ich vor, dass unsere Mitglieder die Kräfte mit einer anderen Partei bündeln sollten, die von Generalfeldmarschall Ludendorff angeführt wurde. Ich habe das bei einem meiner vielen Besuche in der Haftanstalt Landsberg lang und breit mit Hitler diskutiert. Wochenlang hat er sich geweigert, eine Entscheidung zu fällen, und mich schließlich autorisiert, die Entscheidung zu treffen. So ist er – er trifft sehr selten eine Entscheidung über die Strategie und überlässt es lieber seinen Untergebenen, sie auszufechten. Ich traf die Entscheidung, und wir schnitten bei der Wahl gut ab. Als Ludendorff aber später versuchte, ihn an den Rand zu drängen, widerrief Hitler meine Entscheidung öffentlich und verkündete, dass niemand für ihn sprechen dürfe – womit er mir jegliche Autorität entzogen hat.«

»Das hört sich so an, als sei sein Ausbruch dir gegenüber so etwas wie displaced anger gewesen, was bedeutet, dass sich seine Wut an die falsche Adresse richtete, aber von anderen Quellen genährt wurde, nämlich insbesondere von der Aussicht, er könnte seine Macht einbüßen.«

»Ja, ja, Friedrich. Genau. Hitler beschäftigt momentan nur ein Thema, und das ist seine Position als Führer. Nichts anderes und ganz gewiss nicht unsere Grundprinzipien haben eine ähnliche Bedeutung. Nachdem er nach dreizehn Monaten in Landsberg begnadigt wurde, ist er ein anderer geworden. Er hat sich einen entrückten Blick zugelegt, als ob er etwas sehen könnte, was andere nicht sehen, als stünde er über und außerhalb irdischer Angelegenheiten. Und er beharrt darauf, dass alle ihn nur noch ›Führer‹ nennen. Er hat sich unbeschreiblich deutlich von mir distanziert.«

»Ich erinnere mich, dass du bei unserem letzten Treffen davon gesprochen hast, du hättest den Eindruck, er verhielte sich dir gegenüber immer sehr distanziert, und wie du dich darüber geärgert hast, als du mit ansehen musstest, wie viel vertrauter er mit anderen umging – war es Göring, von dem du gesprochen hast?«

»Ja, genau. Aber mittlerweile ist es noch viel schlimmer geworden. In der Öffentlichkeit wahrt er zu allen Leuten Abstand. Und dieser Knilch Göring hat großen Anteil an diesem Problem. Er ist nicht nur schmierig, stiftet Unfrieden und beleidigt mich ständig, auch sein offen zur Schau getragener Medikamentenmissbrauch ist eine Schande. Man hat mir zugetragen, dass er bei öffentlichen Treffen stündlich sein Tablettenfläschchen zückt und eine Handvoll Pillen einwirft. Ich habe versucht, ihn aus der Partei zu werfen, konnte Hitler aber nicht dafür gewinnen. Eigentlich ist Göring der andere Hauptgrund, weshalb ich heute hier bin. Obwohl er noch immer außer Landes ist, habe ich aus verlässlichen Quellen gehört, dass er das bösartige Gerücht streut, Hitler hätte mich während seiner Abwesenheit absichtlich mit der Leitung der Partei betraut, weil er wusste, dass ich der denkbar unpassendste Kandidat war. Mit anderen Worten, ich sei so unfähig, dass Hitlers eigene Position und Macht nicht gefährdet wären. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich könnte aus der Haut fahren.« Alfred sank in seinen Stuhl zurück und hielt sich die Hände vor die Augen. »Ich brauche deine Hilfe. Ich stelle mir ständig vor, dass ich mit dir spreche.«

»Und was stellst du dir vor, dass ich sage oder mache?«

»Da muss ich passen. So weit kommt es nie.«

»Versuche, dir vorzustellen, dass ich etwas zu dir sage, was deine Verzweiflung lindert. Sag mir, was ich dir idealerweise sagen müsste?« Dies war einer von Friedrichs Lieblingstricks, da es immer eine tiefere Erforschung der Therapeut-Patient-Beziehung nach sich zog. An diesem Tag allerdings nicht.

»Ich kann nicht, ich kann das nicht. Ich muss es von dir hören.«

Friedrich sah, dass Alfred zu erregt war, um in der Lage zu sein, richtig zu reflektieren, und bemühte sich redlich, ihm Unterstützung zu geben. »Alfred, ich will dir sagen, was ich während deiner Schilderung dachte: Zuerst einmal spüre ich, wie sehr dich das belastet. Das ist ja eine Horrorgeschichte. Du kommst mir wie in einer Schlangengrube vor, in der alle unfair und bösartig auf dich losgehen. Und obwohl ich genau aufpasse, habe ich aus keiner Quelle irgendeine Zustimmung gehört.«

Alfred atmete hörbar aus. »Du hast es bereits jetzt verstanden. Ich wusste, du würdest es verstehen. Niemand weiß zu schätzen, was ich mache. Ich habe die richtige Entscheidung getroffen, und der Führer verfolgt jetzt haargenau die Strategie, die ich vorgeschlagen hatte. Aber ich höre kein einziges Mal, wirklich kein einziges Mal, irgendein Lob.«

»Von niemandem in deinem Leben?«

»Ja, meine Frau Hedwig lobt mich – ich habe kürzlich wieder geheiratet –, aber ihr Lob ist mir nicht wichtig. Nur Hitlers Worte zählen.«

»Darf ich dich etwas fragen, Alfred? Die Beleidigungen, die du einstecken musst, die bösartigen Gerüchte, Hitlers erniedrigende Tirade, das völlige Fehlen von Anerkennung – warum lässt du dir das gefallen? Was hält dich gefangen? Warum hältst du immer wieder den Kopf hin? Warum kümmerst du dich nicht besser um dich?«

Alfred schüttelte den Kopf, als habe er diese Frage erwartet: »Es klingt vielleicht banal, aber ich muss leben. Ich brauche das Geld. Was kann ich sonst schon tun? Ich bin als radikaler Journalist bekannt, und andere Arbeitsmöglichkeiten gibt es nicht. Mit meiner beruflichen Ausbildung als Architekt finde ich keine Arbeit. Habe ich dir je erzählt, dass ich meine Dissertation über den Bau eines Krematoriums geschrieben habe?«

Als Friedrich den Kopf schüttelte, fuhr Alfred fort: »Nun, ich fürchte, dass im katholischen Bayern niemand nach dem Bau weiterer Krematorien ruft. Nein, ich habe keine anderen Arbeitsmöglichkeiten.«

»Aber dich von Hitler vor den Karren spannen zu lassen, solche Beleidigungen zu ertragen und zuzulassen, dass dein Selbstwertgefühl abhängig von seinen Launen ist, ist kein gutes Rezept für Stabilität oder Wohlbefinden. Warum bedeutet dir seine Anerkennung so viel?«

»So sehe ich das nicht. Es ist nicht nur seine Anerkennung, nach der ich strebe; es ist sein großer Einfluss. Meine raison d’être ist die Säuberung der Rasse. Tief in meinem Herzen weiß ich, dass dies mein Lebenswerk ist. Wenn ich will, dass Deutschland sich wieder erhebt, wenn ich ein judenfreies Deutschland und ein judenfreies Europa will, dann muss ich bei Hitler bleiben. Nur durch ihn kann ich das alles verwirklichen.«

Friedrich warf einen Blick auf die Uhr. Sie hatten immer noch genügend Zeit, denn sie hatten eine Doppelsitzung vereinbart und eine weitere Doppelsitzung für den folgenden Tag. »Alfred, ich habe einen Gedanken zu Hitlers verändertem Verhalten dir gegenüber. Ich glaube, es ist im Zusammenhang mit seinem veränderten Auftreten zu sehen, mit dieser visionären Haltung, die er jetzt zur Schau trägt. Es scheint, als wollte er sich selbst neu erschaffen, überlebensgroß werden. Und ich glaube, er möchte sich von all jenen distanzieren, die ihn schon kannten, als er noch ein ganz gewöhnliches menschliches Wesen war. Vielleicht ist das der Grund, weshalb er sich von dir absondert.«

Alfred überdachte diesen Gedanken. »Ich hatte es nicht ganz so gesehen. Aber ich glaube, in deinen Worten liegt viel Wahres. Er hat eine neue Clique, und wir alle, die wir in der Ex-Clique sind, müssen uns sehr anstrengen, um bei ihm Gehör zu finden. Mit der einzigen Ausnahme Göring hat er die ganze alte Garde abserviert. Es gibt einen ganz besonders bösartigen Neuen, Joseph Goebbels, der vermutlich der Mephisto unserer einstmals geradlinigen Bewegung werden wird. Ich kann ihn nicht ausstehen, und das beruht durchaus auf Gegenseitigkeit. Im Moment ist Goebbels der Chefredakteur einer NS-Tageszeitung in Berlin, und bald wird er alle NS-Wahlen organisieren. Und es gibt noch einen anderen im inneren Zirkel: Rudolf Hess. Er ist schon eine ganze Weile dabei und hat beim Putsch eine Abteilung der SA befehligt. Aber er trat trotzdem viel später in Hitlers Leben als ich. Er saß in einer Nachbarzelle in Landsberg und besuchte Hitler täglich. Er ist ausgebildeter Stenograph, weil er ursprünglich in das Unternehmen seines Vaters eintreten wollte, und jetzt diktiert ihm Hitler sein Buch Mein Kampf. Ich gebe zu, dass ich Hess beneide. Ich wäre liebend gern ins Gefängnis gegangen, wenn ich Hitler nur täglich hätte sehen können. Sie haben den ersten Band im Gefängnis beendet, und ich glaube, dass Hess ziemlich viel redigiert hat – viel davon sehr schlecht. Also, weißt du, ich bin der führende Intellektuelle der Partei und bei weitem der beste Schreiber – da hätte man doch annehmen können, dass er mich bittet, es zu redigieren. Ich hätte es wirklich deutlich verbessern können. Mit Sicherheit hätte ich ihm mehrere Passagen herausgestrichen, von denen er jetzt öffentlich bedauert, sie geschrieben zu haben – bestimmt jedenfalls diese Schnapsidee mit der Syphilis. Aber er hat mich kein einziges Mal gefragt.«

»Warum hat er dich nicht gefragt?«

»Ich habe den einen oder anderen Verdacht, über den ich außer mit dir mit niemandem sprechen kann. Zum einen glaube ich, dass er wusste, dass ich kein unvoreingenommener Redakteur gewesen wäre. Allein schon wegen der ganzen Ideen, die er mir geklaut hat. Siehst du, bevor er ins Gefängnis ging, war ich nämlich der offizielle Parteiphilosoph. Immerhin schrieben ein paar der linken Blätter regelmäßig so etwas wie: ›Hitler ist Rosenbergs Sprachrohr‹ oder ›Hitler befiehlt, was Rosenberg will.‹ Das hat ihn unglaublich gewurmt, und nun will er in aller Deutlichkeit klarstellen, dass er der einzige Urheber der Parteiideologie ist und ich nichts damit zu tun habe. In Mein Kampf drückt er das explizit aus. Ich habe mir den folgenden Satz gemerkt: ›Innerhalb langer Perioden der Menschheit kann es einmal vorkommen, daß sich der Politiker mit dem Programmatiker vermählt.‹ Er möchte als diese seltene Art von Führer angesehen werden.«

Alfred lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss einen Moment lang die Augen.

»Du wirkst entspannter, Alfred.«

»Es ist hilfreich, mit dir zu sprechen.«

»Sollen wir dem auf den Grund gehen? Inwieweit bin ich hilfreich?«

»Du gibst mir eine neue Perspektive, das, was mir passiert ist, mit anderen Augen zu betrachten. Es ist eine Erleichterung, mit einem intelligenten Mitmenschen zu sprechen. Ich bin von einer derartigen Mittelmäßigkeit umgeben.«

»Es ist, als gäbe dir diese Umgebung hier, diese Art zu sprechen, eine Atempause von deiner Isolation. Richtig?«

Alfred nickte.

»Ja«, fuhr Friedrich fort, »und ich freue mich, dir das bieten zu können. Aber das ist nicht genug. Ich frage mich, ob es etwas gibt, womit ich dir etwas Substantielleres als Erleichterung bieten könnte. Etwas, das tiefer greift und länger anhält.«

»Da bin ich ganz dafür. Aber wie soll das gehen?«

»Lass es mich versuchen. Ich beginne mit einer Frage. Es gibt eine ganze Reihe negativer Gefühle, die von Hitler und vielen anderen auf dich zukommen. Meine Frage lautet: Welche Rolle spielst du dabei?«

»Das habe ich schon angesprochen. Ich spreche das ständig an. Ich werde wegen meiner überdurchschnittlichen Intelligenz abgelehnt. Ich habe einen komplexen Verstand, und die meisten Menschen können der Vielschichtigkeit meiner Gedanken nicht folgen. Es ist nicht meine Schuld, aber ich wirke auf die Leute einschüchternd. Weil sie meine Ideen nicht voll und ganz verstehen können, kommen sich viele dumm vor und schlagen dann auf mich ein, als sei es meine Schuld.«

»Nein, das ist nicht ganz das, worauf ich hinauswill. Ich versuche vielmehr, auf die Frage einzugehen: ›Was möchtest du an dir verändern?‹ Denn das ist es, was ich versuchen möchte – meinen Patienten zu helfen, sich zu ändern. Deine Antwort, dass dein Problem auf deinem überdurchschnittlichen Verstand gründet, führt uns in eine Sackgasse, weil du natürlich nichts von deinem überdurchschnittlichen Verstand opfern möchtest. Das möchte niemand.«

»Ich kann dir nicht mehr folgen, Friedrich.«

»Was ich meine, ist, dass eine Therapie aus Veränderung besteht, und ich möchte dir herausfinden helfen, was du an dir selbst verändern möchtest. Wenn du sagst, dass deine Probleme gänzlich von anderen Menschen hervorgerufen werden, habe ich keinen anderen therapeutischen Hebel, als dich nur zu beruhigen und dir zu helfen, Beleidigungen tolerieren zu lernen, oder dir vorzuschlagen, andere Weggefährten zu finden.« Friedrich versuchte es mit einer anderen Taktik, die fast immer Früchte trug: »Hör zu, lass es mich so versuchen: Zu welchem Prozentsatz, glaubst du, sind die Probleme, mit denen du dich konfrontiert siehst, von anderen verursacht? Sind es zwanzig, fünfzig oder neunzig Prozent?«

»Ich wüsste nicht, wie ich das berechnen sollte.«

»Natürlich, aber ich erwarte auch keine präzise Antwort. Ich möchte nur, dass du es ins Blaue hinein versuchst. Verrat es mir, Alfred.«

»Na gut, dann sagen wir neunzig Prozent.«

»Gut. Und das bedeutet demnach, dass du selbst zehn Prozent dieser ärgerlichen Vorfälle, die dir so zusetzen, zu verantworten hast. Damit hätten wir schon einmal eine Richtung. Du und ich müssen diese zehn Prozent erforschen und herausfinden, ob wir sie identifizieren und dann ändern können. Gehst du mit mir konform, Alfred?«

»Ich spüre jetzt wieder dieses leicht benommene Gefühl, das ich immer bekomme, wenn ich mich mit dir unterhalte.«

»Das ist nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen. Der Vorgang der Veränderung fühlt sich oft destabilisierend an. Nun aber zurück zur Arbeit. Untersuchen wir diese zehn Prozent doch einmal. Ich möchte wissen, welche Rolle du dabei spielst, dass dich andere so beleidigend behandeln.«

»Darüber sprach ich bereits. Ich sagte dir, dass es der Neid des gewöhnlichen Menschen auf Menschen mit überschäumender Vorstellungskraft und außergewöhnlichem Intellekt ist.«

»Dass dich Menschen wegen deiner Überlegenheit schlecht behandeln, gehört in die Neunzig-Prozent-Kategorie. Konzentrieren wir uns weiter auf die zehn Prozent – deinen Anteil daran. Du sagst, du fühlst dich ausgeschlossen, ungeliebt, als Opfer von Gerüchten. Was trägst du dazu bei, dass dies passiert?«

»Ich habe nichts unversucht gelassen, Hitler davon zu überzeugen, sich der Spreu, der Kleingeister, zu entledigen – der Görings, der Streichers, der Himmlers, der Röhms –, aber ohne Erfolg.«

»Aber Alfred, du sprichst von der Überlegenheit der arischen Blutlinie, und dennoch werden genau diese Männer, wenn Hitler sich durchsetzt, die arischen Machthaber sein. Wie ist das möglich, wenn sie Vertreter der arischen Blutlinie sind? Sie werden doch bestimmt irgendwelche Stärken, irgendwelche Tugenden haben?«

»Sie müssen ausgebildet und aufgeklärt werden. Das Buch, an dem ich gerade arbeite, wird die Ausbildung zur Verfügung stellen, die unsere zukünftigen arischen Führer brauchen werden. Wenn Hitler mir nur den Rücken stärken würde, könnte ich ihr Denken verbessern und läutern.«

Friedrich war wie benommen. Wie war es möglich, dass er die Macht von Alfreds Widerstand so sehr unterschätzt hatte? Er versuchte es noch einmal. »Letztes Mal, als wir uns trafen, sprachst du davon, dass andere in deinem Büro dich als ›Sphinx‹ bezeichneten und dass auch Dietrich Eckarts Kritik dich dazu bewogen hätte, dein Verhalten in wesentlichen Punkten ändern zu wollen. Weißt du noch?«

»Schnee von gestern. Diese Geschichte und der Einfluss von Dietrich Eckart sind vorbei. Er ist vor mehreren Monaten gestorben.«

»Das tut mir leid zu hören. Ein großer Verlust für dich?«

»Ja und nein. Ich verdanke ihm viel, aber unsere Beziehung verschlechterte sich, als Hitler befand, Eckart sei zu krank und zu schwach, um weiter als Herausgeber des VB zu arbeiten, und mich an seine Stelle setzte. Es war nicht meine Schuld, aber Eckart machte mich dafür verantwortlich. Obwohl ich alles versuchte, konnte ich ihn nicht davon überzeugen, dass ich nicht gegen ihn intrigiert hatte. Erst kurz vor seinem Tod schwächte sich sein Groll auf mich ab. Bei meinem letzten Besuch winkte er mich an sein Bett und flüsterte mir ins Ohr: ›Folge Hitler. Er wird der Tänzer sein. Aber vergiss nicht, dass ich derjenige bin, der die Musik spielt.‹ Nach seinem Tod hat Hitler ihn den ›Polarstern‹ der Nazi-Bewegung genannt. Aber genau wie bei mir hat Hitler ihm nie zugestanden, dass er ihm etwas Besonderes beigebracht hätte.«

Friedrichs Energie schwand zusehends, aber er versuchte es trotzdem weiter: »Gehen wir noch einmal zu dem Punkt zurück, den ich vorhin angesprochen habe: Als du für Eckart gearbeitet hast, sagtest du mir, dass du an dir selbst etwas ändern möchtest, dass du weniger Sphinx sein, ungezwungener plaudern möchtest …«

»Das war damals. Jetzt habe ich nicht die Absicht, mich selbst zu schwächen, um die Kleingeister zu hofieren, damit sie mich mögen. Tatsächlich halte ich diesen Gedanken inzwischen für widerlich. Genau diese Idee ist der Mikrokosmos des bedeutenden Themas, dem wir uns als Nation stellen müssen: Die Schwachen sind den Starken nicht gleichwertig. Wenn die Starken ihren Willen und ihre Macht verringern, wenn sie ihre Bestimmung als Führer aufgeben oder ihre Blutlinie durch eine Mischehe verschmutzen, dann unterminieren sie die wahre Größe des Volkes.«

»Alfred, für dich besteht die Welt nur aus Schwachen und Starken. Es gibt aber doch bestimmt andere Möglichkeiten, die Welt …«

»Unsere gesamte Geschichte«, unterbrach Alfred, und seine Stimme gewann an Kraft, »ist eine Geschichte der Starken und der Schwachen. Ich will offen mit dir reden. Die Aufgabe starker Männer wie Hitler, wie ich und wie du besteht darin, das Gedeihen der überlegenen arischen Rasse zu fördern. Du schlägst vor, die Geschichte ›anders‹ zu sehen. Du beziehst dich zweifellos auf die Art und Weise, wie die Kirche versucht, uns von Blutsbanden zu befreien und den unabhängigen Menschen zu erschaffen, der nichts als eine Abstraktion ist und dem Polarität oder Stärke fehlt? Alle Vorstellungen von Gleichheit sind Hirngespinste und wider die Natur.«

Friedrich erlebte an diesem Tag einen anderen Alfred – Alfred Rosenberg, den NS-Ideologen, den Propagandisten, den Redner bei Massenkundgebungen der Nazis. Ihm gefiel nicht, was er sah, doch er hielt reflexartig an seiner Rolle fest. »Ich weiß noch, als wir uns zum allerersten Mal als Erwachsene unterhielten, sagtest du, dass du größtes Vergnügen an einem philosophischen Gespräch hättest. Du sagtest mir, dass du über Jahre hinweg keine Gelegenheit dazu hattest.«

»Das ist bestimmt richtig. Es ist immer noch richtig.«

»Darf ich dir dann ein paar philosophische Fragen zu deinen Bemerkungen stellen?«

»Mit Vergnügen.«

»Alles, was du heute Morgen gesagt hast, beruht auf einer grundsätzlichen Annahme: dass die arische Rasse überlegen ist und dass große und drastische Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Reinheit dieser Rasse zu verbessern. Richtig?«

»Sprich weiter.«

»Meine Frage ist schlicht die: Was sind deine Beweise? Ich zweifle nicht daran, dass jede andere Rasse, sollte sie danach gefragt werden, ihre eigene Überlegenheit proklamieren würde.«

»Beweise? Du brauchst dich nur bei den großen Deutschen umzusehen. Benutze deine Augen, deine Ohren. Hör dir Beethoven, Bach, Brahms, Wagner an. Lies Goethe, Schiller, Schopenhauer, Nietzsche. Sieh dir unsere Städte an, unsere Architektur, und schau dir die großen Zivilisationen an, die unsere arischen Vorfahren ins Leben riefen und die irgendwann untergingen, nachdem sie von schlechtem, semitischem Blut verschmutzt wurden.«

»Ich glaube, du zitierst Houston Stewart Chamberlain. Ich habe inzwischen ein wenig in seinen Arbeiten gelesen, und, offen gestanden, bin ich von seiner Beweisführung nicht beeindruckt. Sie stützt sich auf kaum mehr als auf die Behauptung, dass in Malereien ägyptischer, indischer oder römischer Höflinge blauäugige, blonde Arier zu sehen sind. Das ist kein Beweis. Die Historiker, die ich befragte, sagen, dass Chamberlain sich die Geschichten einfach zusammenphantasiert hat, um seine ursprünglichen Behauptungen zu unterstützen. Bitte gib mir substantiellere Beweise für deine Annahmen. Gib mir den Beweis, den ein Kant oder Hegel oder Schopenhauer respektieren würde.«

»Beweise, sagst du? Meine Beweise sind mein Gefühl für unser Blut. Wir echten Arier vertrauen unseren Leidenschaften, und wir wissen, wie wir sie nutzen können, um wieder unseren rechtmäßigen Platz als Führer einzunehmen.«

»Ich höre Leidenschaft, aber ich höre noch immer keinen Beweis. Auf meinem Gebiet forschen wir nach den Ursachen starker Leidenschaften. Ich möchte dir von einer Theorie aus der Psychiatrie erzählen, die für unsere Diskussion höchst relevant sein dürfte. Alfred Adler, ein Wiener Arzt, hat viel über die allbekannten Gefühle von Minderwertigkeit geschrieben, die schlicht darauf zurückzuführen sind, dass wir als Menschen aufgewachsen sind und eine längere Periode erlebten, während derer wir uns hilflos, schwach und abhängig fühlten. Es gibt viele, die dieses Gefühl von Minderwertigkeit nicht akzeptieren können und es damit kompensieren, dass sie einen Überlegenheitskomplex entwickeln, der nichts anderes als die Kehrseite derselben Medaille ist. Alfred, ich glaube, dass diese Dynamik bei dir mit im Spiel sein könnte. Wir haben darüber gesprochen, wie unglücklich du als Kind warst und dass du dich nirgends zu Hause fühltest, dass du unbeliebt warst und dich darum bemühtest, zum Teil auch deshalb Erfolg zu haben, um ›es ihnen zu zeigen‹ – weißt du noch?«

Keine Antwort von Alfred, der nur dasaß und ihn anstarrte. Friedrich fuhr fort: »Ich glaube, du machst den gleichen Fehler wie die Juden, die sich selbst zweitausend Jahre lang für ein überlegenes Volk, für Gottes auserwähltes Volk, gehalten haben. Du und ich, wir waren uns darin einig, dass Spinoza dieses Argument zerpflückt hat, und ich zweifle nicht daran, dass die Macht seiner Logik, wäre er heute noch am Leben, dein arisches Argument ebenfalls zerpflücken würde.«

»Ich habe dich davor gewarnt, dich auf dieses jüdische Gebiet zu wagen. Was weiß die Psychoanalyse schon von Rasse, Blut und Seele? Ich habe dich gewarnt, und jetzt muss ich befürchten, dass du auch schon korrumpiert bist.«

»Und ich sagte dir, dass dieses Wissen und diese Methode zu gut und zu mächtig sind, um sie allein den Juden zu überlassen. Ich und meine Kollegen haben die Prinzipien dieses Fachgebiets eingesetzt, um Legionen verwundeter Arier eine enorme Hilfe zukommen zu lassen. Und du bist auch verwundet, Alfred, aber trotz deiner eigenen Wünsche erlaubst du mir nicht, dir zu helfen.«

»Und ich dachte, ich unterhalte mich mit einem Übermenschen. Wie sehr habe ich mich getäuscht!« Alfred stand auf, zog ein Kuvert mit Reichsmark-Banknoten aus der Tasche, legte es mit größter Akkuratesse auf die Ecke von Friedrichs Schreibtisch und marschierte zur Tür.

»Ich sehe dich dann morgen zur selben Zeit«, rief Friedrich ihm nach.

»Nicht morgen«, rief Alfred vom Flur aus, »und niemals wieder! Ich werde dafür sorgen, dass diese jüdischen Gedanken Europa zusammen mit den Juden verlassen.«

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