Erster Teil Das Zauberpulver


EINE UNGEWÖHNLICHE PFLANZE

Eines Abends tobte ein schreckliches Gewitter, und die Käuer meinten, der böse Urfin habe es heraufbeschworen. Ihre Zähne klapperten, es schien ihnen, als ob ihre Häuschen einstürzen würden.

Als Urfin am nächsten Morgen aufstand und durch den Garten ging, bemerkte er auf einem Salatbeet einige grellgrüne Keime von ungewöhnlichem Aussehen. Die Samen waren wohl vom Gewitter hierher verweht worden. Niemand hätte sagen können, aus welchem Teil des Landes sie kamen.

„Ich hab doch erst neulich gejätet, und schon wuchert wieder das Unkraut", knurrte Urfin. „Na warte, ich werd mit dir schon fertig werden!"

Er ging in den Wald, wo er Fallen aufgestellt hatte, und blieb dort den ganzen Tag. Guamoko wußte nicht, daß sein Herr eine Pfanne und Butter mitgenommen hatte. im Walde briet sich der Tischler ein fettes Kaninchen, das er mit großem Appetit verzehrte. Als er wieder nach Hause kam und das Salatbeet sah, machte er vor Staunen ganz große Augen. Das Beet war überwuchert von hohen grellgrünen Pflanzen mit länglichen fleischigen Blättern.

„Unerhört!" rief Urfin aus. „Dieses Unkraut war nicht müßig!" Er faßte einen Stengel an und wollte ihn mit der Wurzel ausreißen. Vergeblich! Die Pflanze gab nicht nach, und in Urfins Hände bohrten sich die Stacheln, die die Stengel und Blätter bedeckten.

Wutschnaubend entfernte Urfin die Stacheln aus seinen Händen, zog ein Paar

Lederfäustlinge an und begann wieder an den Pflanzen zu zerren. Als es nichts nutzte,

nahm er ein Beil und haute damit auf die Pflanzen ein.

Zischend durchschnitt das Beil die saftigen Stengel, und sie fielen zur Erde.

„Euch will ich's zeigen!" frohlockte Urfin, der mit dem Unkraut wie mit einem lebendigen

Feind verfuhr.

Am Abend lagen die Pflanzen auf der Erde verstreut, und der erschöpfte Urfin ging schlafen.

Als er am nächsten Morgen wieder in den Garten trat, sträubten sich ihm die Haare auf dem Kopf.

Auf dem Salatbeet, in dem die Wurzeln der Pflanze verblieben waren, und auf dem ausgetretenen Weg, auf den er die abgehauenen Stengel geworfen hatte, stand wie eine Mauer das hohe Unkraut mit den grellgrünen fleischigen Blättern. „Verdammt!" brüllte Urfin und stürzte sich erneut in den Kampf. Wieder haute er die Stengel ab, rodete die Wurzeln und zerhackte alles auf einem Hackklotz in kleine Stücke. Am Rande des Gartens, hinter den Bäumen, lag ein öder Platz. Dorthin trug Urfin den Pflanzenbrei, den er nach allen Seiten verstreute.

So arbeitete er den ganzen Tag. Schließlich war der Garten vom Unkraut gesäubert, und der müde Tischler ging zu Bett. Er schlief schlecht. Im Traum sah er sich vom Unkraut umgeben, dessen Stacheln ihm ins Fleisch drangen.

Bei Tagesanbruch ging Urfin auf den Ödplatz, um nachzuschauen, was dort über Nacht geschehen war.

Was er sah, erschütterte ihn derart, daß er nur einen Seufzer ausstieß und kraftlos zu Boden

sank. Die Lebenskraft der unbekannten Pflanze übertraf alles Dagewesene:

Der unfruchtbare Boden war über und über mit Keimen bedeckt. Als Urfin am Vorabend

den Häcksel über den Platz verstreute, fielen Safttropfen auch auf die Pfähle des Zauns

und die Baumstämme, und jetzt zeigten sich überall junge Triebe.

Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte den Tischler. Er zog seine Stiefel aus, kehrte die

Sohlen nach oben und sah, daß auch sie von winzigen Keimen bedeckt waren. Junge

Triebe lugten aus den Nähten seiner Kleider und sprossen auf dem Hackklotz.

In der Vorratskammer gewahrte er, daß auch der Stiel seines Beils von jungen Sprossen

bedeckt war.

Da setzte er sich auf die Treppe vor seiner Haustür und begann nachzudenken. Was sollte er nun anfangen? Sein Heim verlassen und fortziehen? Es tat ihm aber leid, sich von seinem großen Haus und dem Garten zu trennen.

Urfin ging zur Eule, die auf ihrer Stange saß und die gelben Augen wie immer am Tage zugekniffen hielt, und schilderte ihr sein Leid. Der Vogel wiegte sich lange auf der Stange und dachte angestrengt nach.

„Versuch doch, den Häcksel in der Sonne zu rösten", riet Guamoko ihrem Herrn. Urfin zerkleinerte ein paar Triebe, streute sie auf ein Blech mit umgebogenen Rändern und legte dieses unter die heißen Strahlen der Sonne.

„Wollen mal sehen, wie es euch hier ergehen wird!" brummte er. „Wenn ihr so weiter wachst, ziehe ich fort.

Die Pflanzen keimten nicht. Ihre Wurzeln hatten nicht die Kraft, das Blech zu durchstoßen. In wenigen Stunden verwandelte die heiße Sonne des Wunderlandes den grünen Häcksel in braunes Pulver.

„Nicht umsonst bekommt Guam ihr Futter", sagte Urfin zufrieden, „ein kluger Vogel ..." Urfin nahm einen Handkarren und begab sich nach Kogida, wo er sich von den Hausfrauen Bleche geben ließ, auf denen sie ihre Kuchen buken.

Als er mit einem Karren voller Bleche zurückkehrte, hob er drohend die Fäuste und zischte seine Feinde an:

„Jetzt werd ich euch's heimzahlen!"

Er arbeitete verbissen von früh bis spät, nur am Nachmittag machte er eine kleine Pause. Urfin ging methodisch zu Werke. Er merkte sich jedes Mal eine kleine Fläche vor, die er sorgfältig von den Pflanzen säuberte, daß keine einzige übrigblieb. Das mit der Wurzel ausgegrabene Unkraut zerkleinerte er in einer Blechschüssel und breitete es dann zum Trocknen auf die Bleche aus, die in langen Reihen in der Sonne lagen. Dann tat er das braune Pulver in Blechkübel, die er zudeckte. So arbeitete er zäh und unverdrossen vom Morgen bis zum Abend. Die mit dem Unkraut bewachsene Fläche schrumpfte zusehends. Schließlich kam der Tag, an dem die letzte Pflanze sich in braunes Pulver verwandelt hatte. In einer einzigen Woche hatte sich Urfin so abgerackert, dass er kaum noch auf den Beinen stehen konnte. Als er über die Schwelle seines Hauses trat, strauchelte er, wobei der Eimer in seiner Hand umkippte und ein Teil des braunen Pulvers auf das Bärenfell fiel, das dem Hausherrn als Fußmatte diente.

Urfin stellte den letzten Kübel beiseite, deckte ihn wie die anderen zu, wankte zum Bett und schlief sofort ein.

Im Schlaf fühlte er sich von jemandem an der Hand gezerrt und erwachte darüber. Als er

die Augen öffnete, erstarrte das Blut in seinen Adern:

Am Bett stand ein Bär, der den Ärmel von Urfins Rock in den Zähnen hielt.

„Ich bin verloren", durchzuckte es Urfin ... Jetzt wird er mich fressen .. . Wie ist dieses

Ungeheuer aber in mein Haus gekommen? Die Tür war doch verschlossen ..."

Minuten vergingen, der Bär aber schien nichts Böses im Sinne zu haben. Er zerrte lediglich

an Urfins Ärmel, tat dann den Rachen auf und sprach mit tiefer, heiserer Stimme:

„Herr! Es ist Zeit aufzustehen, du schläfst zu lange!"

Urfin war so verblüfft, daß er aus dem Bett fiel: Das Bärenfell, das früher an der Schwelle

gelegen hatte, stand jetzt auf vier Tatzen vor seinem Bett und schüttelte den Kopf.

„Das Fell meines toten Bären ist lebendig geworden, es geht umher, es spricht ... Wie ist

das möglich? Hat vielleicht das verschüttete Pulver ...?"

Um sich Klarheit zu verschaffen, wandte sich Urfin an die Eule.

„Guam . . . Guamoko !"

Die Eule schwieg.

„Hör mal, du frecher Vogel!" brüllte der Tischler. „Ich hab mir die Zunge schon genug verrenkt mit deinem verfluchten Namen! Willst du nicht antworten, so jag ich dich fort! Kannst dir dann selber das Futter im Walde suchen!" Da sagte die Eule versöhnend:

„Na schön, reg dich nicht auf. Meinetwegen nenn mich Guamoko, aber keine Silbe weniger. Was wolltest du mich fragen?"

„Ist die Lebenskraft der unbekannten Pflanze wirklich so groß, daß sogar ihr Pulver ein Fell lebendig machen kann?"

„ Ja, du hast's erraten. Von dieser Pflanze hat mir schon meine Urgroßmutter erzählt, . Karitofilaxi, die Weiseste aller Eulen . . ."

„Schweig!" brüllte Urfin, „schließ die Klappe! Und du, Bärenfell, marsch auf deinen Platz! Ich will jetzt mal nachdenken!"

Das Fell trottete zur Schwelle und legte sich auf seinem alten Platz nieder. „Wer hätte das für möglich gehalten?" brummte Urfin. Er setzte sich an den Tisch und stützte den Kopf mit dem wirren Haar in die Hände. „Ob mir das Pulver nutzen kann?" Nach langem Grübeln entschied der ehrgeizige Tischler, daß es ihm nutzen könne. Vorerst wollte er aber prüfen, wie groß die Kraft des lebenspendenden Pulvers sei. Auf dem Tisch stand ein ausgestopfter Papagei mit blauen, roten und grünen Federn. Urfin nahm etwas braunes Pulver und streute es über Kopf und Rücken des Vogels. Da ereignete sich etwas ganz Unbegreifliches. Das Pulver begann zu zischen und zu rauchen, die winzigen braunen Körnchen drangen durch die Federn in die Haut des Papageis und verschwanden. Der Vogel regte sich, reckte den Kopf, blickte um sich, hob die Schwingen und flog kreischend durch das offene Fenster ins Freie. „Es wirkt!" frohlockte Urfin. „Es wirkt! . . . Wie kann ich es noch anders ausprobieren?" An der Wand hing ein riesiges Hirschgeweih. Urfin bestreute es reichlich mit dem Pulver. „So, wollen doch mal sehen."

Er brauchte nicht lange zu warten. Wieder stieg Rauch auf, wieder schmolzen die Körnchen, dann knarrte es plötzlich, und die Nägel, mit denen das Geweih an die Wand

geschlagen war, flogen hinaus. Das Geweih fiel zu Boden, überschlug sich und sauste durch die Luft auf den verdutzten Urfin zu. „Auweh!" schrie er und floh.

Das Geweih verfolgte ihn mit ungeahnter Behendigkeit - auf das Bett, auf den Tisch und unter ihn . . . Das Bärenfell drückte sich ängstlich an die Tür. „Herr!" rief es. „Öffne!"

Den Stößen ausweichend, schob Urfin den Riegel zurück und sprang hinaus. Brüllend folgte ihm der Bär, und hinter den beiden in wilden Sätzen das Geweih. Bald war nur noch ein wirres Knäuel zu sehen, das die Stufen hinunterpolterte. Aus dem Hause drang das höhnische Gekicher der Eule. Das Geweih prallte gegen die Gartenpforte, die aus den Angeln flog, und raste dem Walde zu. Urfin erhob sich keuchend. „Verdammt!" stöhnte er, seine Rippen betastend. „Das war aber toll!" Der Bär jedoch sagte vorwurfsvoll:

„Weißt du denn nicht, Herr, daß die Hirsche gerade in dieser Jahreszeit besonders rauflustig sind? Du bist noch gut davongekommen . . . Aber die Hirsche im Walde, die beneid ich nicht - das Geweih wird's ihnen geben!" Der Bär ließ ein heiseres Kichern hören.

Urfin wußte nun, daß man mit dem Pulver vorsichtig umgehen müsse. Er beschloß, von

jetzt an nicht alles wahllos zu beleben, was ihm unter die Hände kam.

Im Zimmer sah es wüst aus: Tisch, Stühle und Geschirr lagen zerbrochen umher, in der

Luft wirbelten die Daunen eines aufgeschlitzten Kissens.

Wütend fuhr Urfin die Eule an:

„Warum hast du mich vor dem Geweih nicht gewarnt?"

Worauf der rachsüchtige Vogel erwiderte:

„Guamokolatokint hätte dich gewarnt, Guamoko konnte es nicht, weil sein Scharfsinn nicht ausreichte."

Urfin beschloß, mit der Eule ein andermal abzurechnen. Jetzt wollte er im Zimmer aufräumen. Sein Blick fiel auf einen hölzernen Clown, den er einmal geschnitzt hatte und den niemand kaufte, weil er eine schreckliche Fratze mit scharfen, gefletschten Zähnen hatte.

„Du wirst doch nicht so wild sein wie das Geweih?" sagte Urfin und streute etwas Pulver auf die Figur.

Dann stellte er das Spielzeug auf den Tisch, setzte sich auf einen Hocker und begann zu dösen. Ein heftiger Schmerz riß ihn hoch: Der Clown hatte Urfin in den Finger gebissen. „Auch du, Lump?!" brüllte der Tischler und schleuderte den Clown in die Ecke. Dieser erhob sich, kroch hinter eine Truhe und begann dort vergnügt die Hände und Beine zu bewegen und mit dem Kopf zu wackeln.


URFINS EHRGEIZIGE PLÄNE

Urfin saß vor seiner Tür und hörte, wie sich der Bär und Guamoko im Zimmer stritten. „Eule, du liebst unseren Herrn nicht", brummte der Bär. „Hast absichtlich geschwiegen, als er das Geweih lebendig machte, obwohl du wußtest, wie gefährlich das ist . . . Hinterlistig bist du, ich hab viele von deiner Sorte gesehen, als ich noch im Walde lebte. Aber wart, du sollst mich noch kennenlernen ...!"

„Tra-la-la?" höhnte die Eule auf ihrer hohen Stange. „Du denkst wohl, ich hab Angst vor dir, du hohler Schwätzer!"

„Ja, ich bin hohl, da hast du recht", gab das Fell zerknirscht zu. „Ich werd aber den Herrn bitten, mich mit Sägespänen auszustopfen, denn ich bin zu leicht und finde keinen Halt beim Gehen. Ein Hauch kann mich umwerfen ..."

,Eine gute Idee', dachte Urfin, ,ich werd's wohl tun müssen, der Bär hat recht!' Als es im Zimmer immer lauter wurde, herrschte Urfin die Zankenden an: „Jetzt schweigt aber, ihr Schreihälse!"

Eingeschüchtert, setzten die beiden ihren Streit nun im Flüsterton fort. Urfin schmiedete Zukunftspläne. Ihm gebühre jetzt eine höhere Stellung im Blauen Lande, sagte er sich. Er wußte aber, daß die Käuer nach Gingemas Tod einen ehrwürdigen Alten, Prem Kokus, zu ihrem Herrscher gewählt hatten, unter dessen Regierung das Volk froh und frei lebte.

Urfin trat ins Zimmer und begann auf und ab zu gehen. Die Eule und der Bär schwiegen, während der Tischler vor sich hin murmelte:

„Warum ist eigentlich Prem Kokus Herrscher der Käuer geworden? Ist er vielleicht klüger

als ich? Oder ein so geschickter Handwerker wie ich? Oder ist seine Haltung etwa so

majestätisch wie die meine?" Urfin reckte sich, schob die Brust heraus und blies die

Wangen auf. „Nein, dem Prem Kokus bin ich weit überlegen!"

Der Bär nickte beflissen.

„Richtig, Herr, du siehst majestätisch aus'."

„Dich hab ich nicht gefragt!" brüllte Urfin und fuhr fort: „Prem Kokus ist freilich viel reicher als ich: Er besitzt große Felder, auf denen viele Menschen arbeiten. Aber jetzt, wo ich das lebenspendende Pulver hab, kann ich mir so viele Arbeiter machen, wie ich will. Sie werden für mich Wälder roden, und dann werde auch ich Felder haben . . . Aber halt, mir fällt etwas ein! Wie, wenn ich mir anstelle von Arbeitern Soldaten mache . . .!" Ja, ja, ja! Ich mach mir grimmige, starke Soldaten, und dann sotten die Käuer es wagen, mich nicht als ihren Herrscher anzuerkennen!" Urfin rannte aufgeregt im Zimmer auf und ab.

„Selbst der jämmerliche kleine Clown hat so furchtbar gebissen, daß es mir noch jetzt wehtut', dachte er, ,wenn ich aber hölzerne, mannshohe Soldaten anfertige und ihnen zeige, wie man mit Waffen umgeht . . . Oh, dann werde ich mich selbst mit einem Goodwin messen können . . .'

Bei diesem Gedanken hielt er sich ängstlich den Mund zu, denn es schien ihm, als habe er die letzten Worte laut aus gesprochen.

„Wie, wenn der Große und Schreckliche es gehört hat?' Urfin zog den Kopf ein, als erwarte er den Schlag einer unsichtbaren Hand. Aber nichts geschah, und Urfin beruhigte sich.

„Man sollte immerhin vorsichtiger sein', dachte er. ,Für den Anfang kann ich mich ja mit dem Blauen Land begnügen. Aber später ..."

Er wagte jedoch nicht, den Gedanken zu Ende zu denken - zu sehr fürchtete er Goodwin . . . . .Urfin kannte die Pracht und den Reichtum der Smaragdenstadt. Er war in seiner Jugend dort gewesen und hatte die verlockenden Schätze dieser Stadt noch gut im Gedächtnis. Er hatte dort wunderbare Häuser gesehen, deren obere Stockwerke breiter waren als die unteren und deren Dächer sich über den Straßen fast berührten. In den Straßen war es deshalb immer dunkel und kühl. In diesem Halbdunkel wandelten gemächlich die Einwohner, die alle, grüne Brillen trugen, und Smaragden, die in den Wänden der Häuser und sogar zwischen den Pflastersteinen eingesprenkelt waren, strahlten ein geheimnis­volles Licht aus . . .

Zur Bewachung dieser ungeheuren Schätze hielt Goodwin, der Zauberer, kein großes Heer - seine Armee bestand aus nur einem einzigen Soldaten namens Din Gior. Goodwin brauchte ein Heer, denn ein Blick seiner Augen genügte, jeden feindlichen Heerhaufen zu versengen!

Din Gior widmete seine ganze Zeit der Pflege seines Bartes. Das war aber auch ein einmaliger Bart - er reichte bis zur Erde. Der Soldat kämmte ihn den ganzen lieben Tag mit einem Kamm aus Kristall, und manchmal flocht er ihn zu einem Zopf zusammen. Einmal führte Din Gior bei einem Palastfest zur Unterhaltung des Volkes Kunststücke mit Waffen vor. Er ging dabei mit Schwert, Lanze und Schild so geschickt um, daß die Menge über alle Maßen staunte.

Nach der Parade trat Urfin an Din Gior heran und sagte:

„Ehrenwertester Din Gior, gestattet mir, Euch meine Begeisterung auszusprechen! Wo habt Ihr denn diese Künste gelernt?"

Geschmeichelt erwiderte der Soldat: „In alten Zeiten wurden in unserem Land oft Kriege geführt, ich hab darüber in den Chroniken gelesen. Alte militärische Schriften erzählen davon, wie die Hauptleute ihre Soldaten abrichteten, welche militärischen Übungen es damals gab und wie die Befehle erteilt wurden. Das alles hab ich eifrig studiert und dann angewandt. Ihr seht, es war nicht vergeblich . . ."

Um die militärischen Übungen des Soldaten Din Gior in seinem Gedächtnis aufzufrischen, nahm sich Urfin den hölzernen Clown vor. „Hallo, Clown!" rief er, „wo steckst du?"

„Hier, mein Herr!" piepste es hinter der Truhe. „Willst du mich schon wieder prügeln?"

„Komm her, hab keine Angst, ich bin dir nicht mehr böse."

Der Clown kroch aus seinem Schlupfwinkel hervor.

„Laß mal sehen, wozu du taugst", sagte Urfin. „Kannst du marschieren?"

„Was ist das, marschieren, Herr?"

„Du sollst mich nicht Herr nennen, sondern Gebieter! Bär, auch du, merk dir diese Anrede!"

,.Zu Befehl, Gebieter!" erwiderten gleichzeitig der Clown und der Bär.

„Marschieren heißt zackig im Gleichschritt treten und auf Kommando Rechtsum, Links und Kehrt machen."

Der Clown war ziemlich aufgeweckt und eignete sich die soldatischen Weisheiten schnell

an. Den Säbel, den Urfin geschnitzt hatte, konnte er jedoch nicht halten, weil er keine

Finger hatte - seine Arme gingen nämlich in Fäuste über.

,Ich werde meinen künftigen Soldaten Finger machen müssen', beschloß Urfin.

Das Exerzieren dauerte den ganzen Tag. Urfin war schon ganz müde vom Kommandieren,

der hölzerne Clown aber blieb frisch und munter. Er konnte auch gar nicht müde werden,

denn er war ja aus Holz!

Während des Exerzierens blickte der Bär verzückt auf seinen Gebieter und wiederholte flüsternd alle seine Befehle. Guamoko hatte ihre gelben Augen geringschätzig zugekniffen. Urfin war begeistert. Plötzlich schlug jedoch seine Stimmung um. Er fürchtete, daß man ihm das lebenspendende Pulver stehlen könnte. Deshalb verschloß er die Tür mit drei Riegeln. Trotzdem schlief er unruhig und schreckte bei jedem Geräusch empor. Jetzt, wo er die Kuchenbleche nicht mehr brauchte, konnte er sie den Frauen der Käuer zurückgeben. Urfin beschloß, sein neuerliches Erscheinen in Kogida festlich zu gestalten. Er arbeitete seinen Handkarren in einen Wagen um, vor den er den Bären einspannen wollte. Da erinnerte er sich an den Streit zwischen dem Bären und der Eule. „Hör mal, Bär!" sagte er. „Mir scheint, daß du zu leicht bist und unsicher im Gehen. So hab ich denn beschlossen, dich mit Sägespänen auszustopfen." „Oh, wie weise du bist, Gebieter!" rief der Bär.

In Urfins Schuppen lagen Berge von Sägespänen, und das Ausstopfen des Fells ging

schnell vonstatten. Als Urfin fertig war, kam ihm ein neuer Gedanke.

„Hör, Bär, ich will dir einen Namen geben!" sagte er.

„Oh, mein Gebieter! Aber wird er auch so lang sein wie der der Eule?"

„Nein", erwiderte Urfin, „im Gegenteil, er soll ganz kurz sein. Du sollst Petz heißen,

Meister Petz!"

Dem gutmütigen Bär gefiel der Name.

„Ei, wie schön!" rief er. „Ich werde einen Namen haben, wie es keinen schöneren im ganzen Blauen Lande gibt. Meister Petz! Die Eule wird vor Neid platzen!" Schwerfällig stapfte er aus der Scheune, freudig vor sich hin murmelnd: „Jetzt fühle ich mich wie ein echter Bär!"

Urfin spannte ihn vor den Wagen, nahm Guamoko und den Clown und fuhr wie ein vornehmer Herr in Kogida ein. Die Kuchenbleche schepperten, als der Wagen über die Höcker der Straße fuhr, und die verblüfften Käuer eilten in Scharen herbei. „Urfin ist ein mächtiger Zauberer", flüsterten sie sich zu, „er hat den zahmen Bären, der voriges Jahr gestorben ist, wieder lebendig gemacht . . ."

Der Tischler hörte das, und die Brust schwoll ihm vor Stolz. Auf seinen Befehl nahmen die Hausfrauen ihre Bleche vom Wagen, wobei sie ängstlich zu dem Bären und zur Eule schielten.

„Ist's euch jetzt klar, wer Herr in Kogida ist?" fragte Urfin streng.

„Ja. es ist uns klar", antworteten demütig die Käuer und fingen zu weinen an.

Nach Hause zurückgekehrt, bestbloß Urfin, mit dem Pulver sparsam umzugehen. Er ließ sich von einem Blechschmied mehrere Kannen mit Schraubendeckel anfertigen, schüttete das Pulver aus den Eimern in die Kannen und vergrub diese im Garten unter einem Baum. Die Abstellkammer war ihm nämlich nicht sicher genug.

DIE GEBURT DER HOLZARMEE

Urfin wußte: Wenn er ganz allein an einer Holzarmee arbeiten wollte, selbst an einer kleinen, würde das sehr lange dauern.

Deshalb schickte er den Bären nach Kogida, der dort ein furchtbares Gebrüll erhob, auf das die Käuer erschrocken herbeieilten.

„Urfin, unser Herr und Gebieter", verkündete Meister Petz, „hat befohlen, daß ihr jeden Tag sechs Männer mit Äxten und Sägen zu ihm schickt, die im Walde Bäume fällen sollen."

Die Käuer dachten eine Weile nach, weinten und - gehorchten. Im Walde kennzeichnete Urfin die Bäume, die zu fällen waren, und erklärte den Käuern, wie sie sie zersägen sollten. Meister Petz schleppte die Klötzer in Urfins Hof. Dort stellte der Tischler sie zum Trocknen hin - nicht in die Sonne, sondern in den Schatten, damit sie keine Risse bekämen.

Nach einigen Wochen war das Holz trocken, und Urfin ging an die Arbeit. Zuerst bearbeitete er die Körper und bereitete das Material für Arme und Beine vor. Für den Anfang wollte er sich mit fünf Zügen von je zehn Mann begnügen. „Das wird wohl ausreichen, um das Blaue Land zu erobern", brummte er.

An die Spitze jedes Zuges wollte er einen Unteroffizier stellen, den Oberbefehl sollte ein General ausüben.

,Die Körper der Soldaten müssen aus Kiefernholz sein, weil sich dieses leichter bearbeiten läßt, die Köpfe aber aus Eiche, damit die Soldaten dem Feind auch mit den Köpfen zu Leibe gehen können. Für Soldaten, die nicht zu denken brauchen, sind Eichenholzköpfe überhaupt das beste', entschied der Tischler.

Für die Unteroffiziere bereitete Urfin Mahagoniholz vor, für den General aber suchte er im Walde einen Palisanderbaum aus. Die Kiefernholzsoldaten mit den Eichenholzköpfen sollten vor den Unteroffizieren aus Mahagoniholz strammstehen, und diese wiederum sollten dem schönen Palisandergeneral gehorchen.

Die Fertigung mannshoher Holzpuppen war für Urfin etwas ganz Neues. Deshalb schnitzte er zuerst einen Probesoldaten mit grimmigem Gesicht und Augen aus Glasknöpfen und bestreute Kopf und Brust der Puppe mit dem Zauberpulver. Als er einen Augenblick innehielt, streckte die Puppe plötzlich ihren hölzernen Arm aus und versetzte ihm einen so heftigen Schlag, daß er fünf Schritte zur Seite taumelte. Empört über diesen Mutwillen, ergriff der Tischler das Beil, um die am Boden liegende Figur zu zerschlagen, besann sich jedoch rechtzeitig.

,Hat keinen Sinn, eigene Arbeit zu zerstören. Wer hätte gedacht, daß der Kerl so kräftig ist? Mit solchen Soldaten werde ich unbesiegbar sein!' dachte Urfin.

Als er den zweiten Soldaten fertig hatte, war es Urfin klar, daß die Schaffung einer ganzen Armee viele Monate dauern würde. Er aber wollte möglichst schnell in den Krieg ziehen. Deshalb beschloß er, die zwei fertigen Soldaten zu Gehilfen zu machen. Es war nicht leicht, den Holzmännern das Tischlerhandwerk beizubringen. Sie kapierten so langsam, daß Urfin die Geduld riß und er wütend zu schimpfen begann. „Ihr Taugenichtse! Ihr Holzköpfe ...!"

Bei einem neuerlichen Wutanfall brüllte er einen der Lehrlinge an. „Du, du... wie soll ich dich nur nennen..." Da schlug sich dieser mit der Faust auf die hölzerne Brust, daß es dröhnte, und erwiderte: „Holzkopf!" Urfin lachte schallend:

„Gut, so will ich euch von jetzt an nennen - Holzköpfe, der Name paßt zu euch!" Als die Kerle schon ein wenig vom Handwerk verstanden, begannen sie ihrem Meister tatsächlich zu helfen. Sie behauten die Klötze für die Körper, Arme und Beine und hobelten die Finger der künftigen Soldaten.

Es gab natürlich auch komische Vorfälle. Einmal mußte Urfin für kurze Zeit das Haus verlassen. Vor dem Weggehen befahl er den Holzmännern, ein Dutzend Stämme zu zersägen. Bei seiner Rückkehr bot sich ihm aber ein so entsetzliches Bild, daß er wie ein Wilder zu toben anfing. Die Gehilfen hatten die Hölzer im Nu zersägt, und da sie nicht wußten, was sie weiter tun sollten, begannen sie andere hölzerne Gegenstände zu zersägen. Hobelbänke, Zaun und Tor mußten daran glauben . . . Auf dem Hof lagen bereits Berge von Abfällen, die nur noch als Brennholz verwendet werden konnten. Aber selbst das war den eifrigen Sägern nicht genug. Da der Meister noch immer nicht kam, begannen sie sich gegenseitig in die Beine zu sägen!

Ein andermal spaltete ein Holzkopf mit Hilfe von Keilen einen dicken Klotz. Während er den Keil mit dem Beil herausschlug, legte er aus Unerfahrenheit die Finger der Linken in den Spalt. Der Keil flog heraus, die Finger aber blieben im Holz stecken. Als er sie nicht freibekam, hackte er sie kurzerhand ab. Seither hütete sich Urfin, die Gehilfen allein zu lassen.

Die Herstellung der Soldaten war in vollem Gange, und Urfin nahm die Unteroffiziere in Arbeit.

Sie gerieten ihm großartig. Ihre Mahagonifiguren überragten die Soldaten, sie hatten noch kräftigere Arme und Beine als diese und grimmige rote Gesichter, die jedermann Angst einjagen konnten.

Die Soldaten durften aber nicht wissen, daß die Unteroffiziere auch aus Holz sind. Deshalb fertigte sie Urfin in einem anderen Raum an.

Der schlaue Tischler verwandte viel Zeit auf ihre Erziehung. Den Unteroffizieren mußte eingehämmert werden, daß sie vor ihrem Gebieter nichtige Geschöpfe sind und alle seine Befehle auszuführen haben. Den Soldaten gegenüber aber sollten sie anspruchsvolle und gestrenge Vorgesetzte sein, denen jeder Gemeine blinden Gehorsam schuldete. Als Zeichen ihrer Macht gab Urfin den Unteroffizieren Knüppel aus Eisenholz und erklärte ihnen, sie würden sich nicht zu verantworten haben, wenn sie diese an den Rücken ihrer Untergebenen zerbrächen.

Um die Unteroffiziere von den Gemeinen zu unterscheiden, gab Urfin ihnen Eigennamen: Arum, Befar, Watis, Giton und Daruk. Als die Ausbildung zu Ende war, traten sie mit wichtiger Miene vor die Soldaten hin und ließen die Knüppel auf deren Rücken tanzen. Wegen ungenügenden Eifers im Dienst, wie sie sagten.

Die Soldaten verspürten keinen Schmerz, schauten aber betrübt auf die Spuren, die die Hiebe auf ihren glattgehobelten Körpern hinterlassen hatten. Urfin übertrug Meister Petz die Aufsicht über die Holzarmee, nahm Material und Werkzeug zur Hand, schloß sich im Haus ein und begann an dem Palisandergeneral zu arbeiten. Er werkte mit großer Sorgfalt an der Gestalt des Befehlshabers, der Urfins Holzsoldaten in den Kampf führen sollte.

Für einen einfachen Soldaten hatte Urfin drei Tage gebraucht, die Arbeit am General dauerte volle zwei Wochen. Der war aber auch wirklich gelungen: Brust, Arme und Beine, Kopf und Gesicht waren mit schönen, bunten Mustern verziert, und der ganze Körper war auf Hochglanz poliert.

Urfin gab seinem General den Namen Lan Pirot.

Lan Pirot hatte ein grimmiges Gesicht und einen ungewöhnlich bösen und zänkischen Charakter. Einmal versuchte er sogar, seinem Meister zu trotzen, aber Urfin trieb ihm den Dünkel aus und zeigte ihm, wer von ihnen der Herr ist. Übrigens tröstete sich Lan Pirot, als er erfuhr, daß ihm fünf Unteroffiziere und zunächst fünfzig, später aber noch mehr Soldaten unterstehen würden.

Während Lan Pirot unter Urfins Anleitung das Waffenhandwerk meisterte und sich Generalsmanieren aneignete, arbeiteten die unermüdlichen hölzernen Gehilfen Tag und Nacht in der Werkstätte.

Eines Tages traten Urfin und der prunkvolle General vor die versammelte Mannschaft der

Holzköpfe, die vor dem stattlichen Befehlshaber in Ehrfurcht erbebten.

Der General inspizierte die Armee und schimpfte gewaltig über ihre mangelhafte Haltung.

„Ich werd euch militärischen Schneid noch beibringen!" brüllte er mit heiserer

Befehlsstimme. „Ihr sollt bei mir lernen, was Zucht und Ordnung ist!"

Dabei fuchtelte er mit seiner Keule, die dreimal so schwer war wie der Knüppel eines

Unteroffiziers und mit einem Hieb jeden Holzkopf zertrümmern konnte.

Lan Pirot ließ die Armee viele Stunden täglich exerzieren,

während Urfin ihre Stärke schnell vergrößerte.

Die Energie, mit der Urfin seine Holzarmee schuf, machte auf die Eule Eindruck.

Die Schlaue begriff, daß der Tischler auch ohne ihre Dienste auskommen würde. Da sie bei

ihm ein sattes und sorgenloses Leben führte und das zu schätzen wußte, hörte sie mit ihren

Sticheleien auf und nannte Urfin nun immer öfter „mein Gebieter". Das gefiel dem

Tischler, und bald stellte sich zwischen ihnen ein gutes Einvernehmen her.

Meister Petz' Begeisterung war grenzenlos, als er die Wunder seines Herrn sah. Er forderte,

daß alle Holzköpfe ihm die größte Ehre erweisen.

Einmal stand Lan Pirot bei Urfins Erscheinen nicht schnell genug auf und verneigte sich nicht tief genug. Dafür verpasste ihm der Bär mit seiner mächtigen Tatze eine solche Ohrfeige, daß der General sich mehrmals überschlug. Zum Glück sahen es die Soldaten nicht, so daß die Autorität des Generals nicht litt, was man allerdings von seinen Rippen

nicht sagen konnte. Von jenem Tag an bezeigte Lan Pirot nicht nur seinem Gebieter, sondern auch dessen treuem Bären den größten Respekt.

Schließlich kam der Tag, da die Armee, bestehend aus einem General, fünf Unteroffizieren und fünfzig Gemeinen, das Exerzieren erlernt hatte und die Waffen zu führen wußte. Die Soldaten hätten zwar keine Säbel, sondern nur die Knüppel, doch für den Anfang genügte das. Außerdem waren sie ja hieb und stichfest und brauchten sich vor Pfeilen und Lanzen nicht zu fürchten.

DIE HOLZKÖPFE ZIEHEN IN DEN KRIEG

An einem schicksalsschweren Morgen wurden die Einwohner von Kogida durch lautes Getrampel geweckt.

Durch die Straßen marschierte Urfins Holzarmee. Vornan schritt der Palisandergeneral mit seiner riesigen Keule, ihm folgten die Soldaten, ein Unteroffizier vor jedem Zug. „Eins, zwei, drei! Eins, zwei, drei!" kommandierten die Unteroffiziere, und die Holzfüße der Soldaten stampften im Takt.

An der Seite ritt Urfin auf seinem Bären und genoß den Anblick seiner Krieger. „Alles halt!" brüllte Lan Pirot. Die Absätze der Soldaten schlugen gegeneinander, und das Heer blieb wie angewurzelt stehen.

Die Dorfbewohner standen bestürzt vor den Türen ihrer Häuser.

,,Einwohnen von Kogida, herhören!" donnerte Urfin. „Ich rufe mich hiermit zum Herrscher des Blauen Landes aus! Hunderte Jahre haben die Käuer der Zauberin Gingema gedient. Sie ist jetzt tot, doch ihre Zauberkunst besteht weiter, sie ist auf mich übergegangen. Die wackeren Holzmänner, die ihr vor euch seht, hab ich gemacht und zum Leben erweckt. Ein Wort von mir genügt, und meine unverwundbare Holzarmee vernichtet euch allesamt und zerstört eure Häuser. Erkennt ihr mich als euren Herrscher an?" „O ja! O ja'" riefen die Käuer und brachen in Tränen aus.

Ihre Köpfe wackelten vom hemmungslosen Schluchzen, während die Schellen an ihren Hüten fröhlich läuteten. Dieses Geläute paßte aber wenig zu der traurigen Stimmung der Käuer. Deshalb nahmen sie ihre Hüte ab und hängten sie an Pfähle, die eigens zu diesem Zweck vor den Häusern eingerammt waren.

Urfin befahl allen, nach Hause zu gehen, mit Ausnahme der Schmiede, denen er den Auftrag gab, Säbel mit scharfen Klingen für die Unteroffiziere und den General anzufertigen.

Damit kein Einwohner von Kogida Prem Kokus warnen und zu Verteidigungsmaßnahmen veranlassen konnte, erteilte Urfin den Holzköpfen Order, das Dorf zu umstellen und niemanden hinauszulassen.

Dann ging er in das Haus des Dorfältesten, jagte alle Insassen fort und legte sich schlafen. Der Bär hielt vor der Tür Wache.

Urfin schlief bis zum Abend und ging dann die Wachen inspizieren. Ein ungewöhnlicher Anblick versetzte ihn in Staunen. Der General, die Unteroffiziere und die Soldaten standen auf ihren Posten, hatten sich aber mit großen grünen Blättern und Zweigen bedeckt.

„Was soll das heißen?" fragte Urfin streng. „Was ist los'?"

„Wir schämen uns . . .", erwiderte Lan Pirot verlegen, „wir sind ja nackt . . ."

„Quatsch!" schrie Urfin gereizt. „Ihr seid aus Holz!"

„Aber wir sind doch Menschen, Herr Gebieter, Ihr habt es ja selber gesagt", wandte Lan Pirot ein. „Menschen aber haben Kleider . . . Die Leute machen sich über uns lustig . . ." „Na, wenn's nichts weiter ist . . . Also gut, Ihr sollt Kleider bekommen'." Die Holzköpfe waren darüber so erfreut, daß sie in ein lautes „Hurra" ausbrachen. Urfin aber begann angestrengt nachzudenken: Es war natürlich leicht, den 56 Holzkriegern Kleider zu versprechen, aber woher sie nehmen? In dem kleinen Dorf würde er weder Stoff für die Monturen noch Leder für Stiefel und Koppel, noch Handwerker auftreiben können, die einen so großen Auftrag ausführen konnten.

Urfin teilte der Eule seine Sorgen mit. Guamoko rollte die großen gelben Augen und sagte nur ein Wort: „Farbe!"

,Der Tischler begriff sofort. Wozu die hölzernen Körper, die gegen Kälte doch völlig unempfindlich waren, in Kleider stecken, wo man sie einfach bemalen konnte? Urfin ließ den Bürgermeister kommen und verlangte, er solle alle Farben bringen, die es im Dorf gab.

Als dies geschehen war, stellte der Tischler die Farbtöpfe um sich, legte ein Paar Pinsel daneben und ging an die Arbeit. Zuerst wollte er probeweise einen Soldaten bemalen, um zu sehen, wie er ausschauen würde. Er malte auf den Holzkörper eine gelbe Montur mit weißen Knöpfen und Koppel und auf die Beine Hosen und Stiefel. Als er den Mann den anderen Soldaten zeigte, freuten sie sich sehr und wünschten, daß er sie ebenso bemale.

Allein wäre Urfin mit dieser Arbeit kaum fertig geworden, deshalb bestellte er alle Maler des Dorfes zu sich, damit sie ihm halfen.

Binnen zwei Tagen glänzte die ganze Armee von frischer Farbe, und eine Meile im Umkreis roch es nach Terpentin und Firnis.

Der erste Zug war gelb bemalt, der zweite blau, der dritte grün, der vierte orange und der fünfte violett.

Den Unteroffizieren hatte Urfin quer über die Schultern farbige Schärpen aufgemalt, worauf diese sehr stolz waren. Betrüblich war nur eins: Die dummen Soldaten konnten nicht abwarten, bis die Farbe trocken war, und stießen sich gegenseitig mit den Zeigefingern in Bauch, Brust und Schultern, so daß sie bald gescheckt wie Leoparden aussahen.

Es gelang Urfin, den General zu überzeugen, daß die schöne bunte Maserung auf seinem Körper besser sei als jede Kleidung.

Die ganze Armee freute sich über die neue Uniform. Doch unerwartet trat ein Umstand ein, an den niemand gedacht hatte. Die Holzköpfe glichen jetzt einander wie ein Ei dem anderen. Hatten die Unteroffiziere ihre Leute früher nach den Astlöchern unterschieden, so war das jetzt nicht mehr möglich, weil die Farbe alles zudeckte.

Urfin wußte sich jedoch zu helfen. Er malte den Soldaten auf Brust und Rücken Ordnungsnummern, und diese galten von jetzt an als die Namen der Soldaten. Früher wurde ein Soldat zum Beispiel so aufgerufen:

„He, du mit dem Astloch auf dem Bauch, einen Schritt vorwärts! Halt, halt, nicht dich mein ich . . . Ach so, auch du hast ein Astloch auf dem Bauch:' Aber nicht dich ruf ich, sondern den da, der noch zwei kleine Löcher auf der linken Schulter hat . . ." Jetzt war das viel einfacher:

„Nummer eins, grün, zwei Schritt vorwärts! Wie stehst du im Glied:' Wie stehst du im

Glied, frag ich dich? Na, ich will dir's beibringen!"

Und bum, bum, bum trommelte der Knüppel auf den Soldatenkörper . . .

Alles war für den Feldzug bereit. Die Säbel waren gewetzt, die gemalten Uniformen

trocken. Urfin hatte sich einen Sattel gemacht, um auf dem Rücken des Bären bequemer

sitzen zu können. An den Sattel hatte er zwei große Taschen angenäht, in die er die Kannen

mit dem kostbaren Zauberpulver steckte.

Der ganzen Armee, den General nicht ausgenommen, war strengstens verboten, die Taschen anzurühren.

Einige Soldaten trugen Urfins Tischlerwerkzeug: Sägen. Äxte, Hobel, Bohrer, auch einen Vorrat an hölzernen Köpfen, Armen und Beinen.

Urfin hängte vor die Tür des Dorfältesten große Schlösser an und verbot den Einwohnern von Kogida, sich dem Haus zu nähern. Den Clown nahm er unter seinen Rock und gebot ihm, artig zu sein: „Falls du zu beißen wagst, gibt's Prügel!" Die Eule setzte sich auf Urfins Schulter.

Am frühen Morgen brach die Armee auf. „Eins, zwei, drei! Links, rechts, links"

Es ging in Richtung des Gutes von Prem Kokus. Munter marschierten die Soldaten, und Urfin, der hinter ihnen auf dem Bären ritt, freute sich, die Ordnungsnummern nicht nur auf die Brust, sondern auch auf den Rücken eines jeden gemalt zu haben. Falls einer im Kampf Angst kriegen und davonlaufen sollte, würde er ihn später leicht erkennen und zu Brennholz zersägen.


BLICK IN DIE VERGANGENHEIT

Während Urfins Holzarmee auf dem Weg marschiert, der zum Gut von Prem Kokus führt, wollen wir uns zurückversetzen in die Zeit, als Ellis Häuschen Gingema tötete und das Mädchen in die Smaragdenstadt zog.

Elli erlebte viele lustige und schreckliche Abenteuer im Wunderland und fand dort drei treue Freunde.

Der erste war de r Scheuch, ein drolliger Strohmann, der auf einem Pfahl mitten in einem Weizenfeld steckte und die Vögel vertrieb. Von der geschwätzigen Krähe Kaggi-Karr hatte er erfahren, daß ihm nur das Gehirn fehle, um ein richtiger Mensch zu werden. Elli hob den Scheuch vom Pfahl, und er folgte ihr in die Smaragdenstadt, um sich bei Goodwin ein Gehirn auszubitten.

Der zweite Freund Ellis war der Eiserne Holzfäller. Elli hatte ihn vor dem Tod gerettet, als er einsam und verrostet im Walde stand. Der Eiserne Holzfäller sehnte sich nach einem liebenden Herzen, das er von Goodwin zu bekommen hoffte, und schloß sich Elli, Totoschka und dem Scheuch an.

Die Drei begegneten einem Löwen, der von Haus aus ein großer Feigling war. Was ihm vor allen Dingen fehlte, war Mut. Nur wenn er Mut besaß, konnte er tatsächlich König der Tiere sein. Der Löwe befreundete sich mit Elli, dem Scheuch und dem Holzfäller und trat der kleinen Schar bei, um sich f ür seinen Teil Mut bei Goodwin zu holen. Goodwin stellte Elli und ihren Gefährten eine Bedingung. Er werde ihre Wünsche erfüllen, sagte er, falls sie die Zwinkerer, die Bewohner des Violetten Landes, aus der Gewalt der bösen Zauberin Bastincia erlösen. Nun, der Kampf gegen Bastincia war nicht leicht gewesen, aber schließlich mußte sie daran glauben: Sie zerfloß, als Elli einen Eimer Wasser auf sie ausgoß.

Siegreich kehrten Elli und ihre Gefährten in die Smaragdenstadt zurück. Obwohl Goodwin sich als Schwindler erwies, der den Leuten Wunder vorgaukelte, vermochte er dennoch, die Wünsche des Scheuchs, des Eisernen Holzfällers und des Löwen zu efüllen. Bevor Goodwin mit einem Luftballon das Wunderland verließ, ernannte er den Scheuch zum Herrscher der Smaragdenstadt und verlieh ihm den Ehrentitel „Der Weise". Er hatte ihm ein ausgezeichnetes Gehirn gegeben, das, obwohl es nur aus Kleie, Näh- und Stecknadeln bestand, seinem Besitzer hervorragend diente. Dem Eisernen Holzfäller hatte Goodwin ein Herz eingesetzt, das aus roten Flicken zusammengenäht und mit Sägespänen ausgestopft war. Dieses Herz klopfte bei jedem Schritt an den eisernen Brustkorb des riesigen Holzfällers, der sich wie ein kleines Kind darüber freute. Er begab sich in das Violette Land der Zwinkerer, die ihn nach dem Tod der alten Bastinda zu ihrem Herrscher wählten.

Der Löwe, der eine große Portion Mut getrunken hatte (in Wirklichkeit war es bloß schäumender Most, in den Goodwin Baldriantropfen geträufelt hatte), ging in den Wald, wo die Tiere ihn als ihren König anerkannten.

Elli und Totoschka aber kehrten in die Steppe von Kansas zurück. Das verdankten sie den silbernen Schuhen Gingemas, in deren Geheimnis die gute Fee Stella, die Herrscherin des

Rosa Landes, das Mädchen eingeweiht hatte. Stella kannte übrigens auch das Geheimnis der ewigen Jugend.

EIN NEUER PLAN

Urfin eroberte das Blaue Land ohne jede Mühe. Prem Kokus und seine Leute wurden einfach überrumpelt. Sie versuchten auch gar nicht, den grimmigen Holzköpfen Widerstand zu leisten.

So wurde Urfin Herrscher des weiträumigen Landes der Käuer. Zwei Jahre vorher hatte ein Erdbeben das Wunderland heimgesucht und zwei tiefe Schluchten entstehen lassen, welche die Straße zur Smaragdenstadt unpassierbar machten. Der Verkehr zwischen der Stadt und dem Land der Käuer war unterbrochen. Auf dem Weg in die Smaragdenstadt überwanden Elli und ihre Gefährten die Schluchten, doch kostete sie das ungeheure Anstrengungen. Die ängstlichen Käuer hätten es nie geschafft. Sie zogen es vor, zu Hause zu bleiben, und begnügten sich mit den Neuigkeiten, die ihnen die Vögel überbrachten.

Die Käuer lauschten den Gesprächen der Vögel (unter denen die Elstern die best­informierten waren) und erfuhren so, dass Goodwin das Wundertand verlassen und den Weisen Scheuch zu seinem Nachfolger ernannt hatte. Die Käuer erfuhren auch, daß die Fee des Tötenden Häuschens, wie sie Elli nannten (sie hatten das Mädchen sehr lieb­gewonnen, weil es sie von der bösen Gingema befreit hatte), gleichfalls in ihre Heimat zurück gekehrt war.

Das wußte auch Urfin. Guamoko hatte es ihm mitgeteilt, die es von den Waldeulen und Uhus erfahren hatte.

Als der ehemalige Tischler und jetzige Herrscher des Blauen Landes der Käuer diese wichtigen Neuigkeiten hörte, wurde er nachdenklich. Er hielt die Zeit für gekommen, seinen alten Traum von der Eroberung der Smaragdenstadt in die Tat umzusetzen. Urfin hatte sich vor dem geheimnisvollen Goodwin und seiner erstaunlichen Fähigkeit, die Gestalten verschiedener Tiere und Vögel anzunehmen, gefürchtet. Vor dem jetzigen Herrscher der Stadt, Scheuch, hatte er jedoch keine Angst.

Freilich stimmte ihn der Titel „Der Weise", den Goodwin dem Scheuch verliehen hatte, etwas bedenklich.

„Nehmen wir an, der Scheuch ist ein weiser Mann. Dafür besitze ich aber Kraft. Was kann ihm die Weisheit nützen, wenn ich über eine mächtige Armee verfüge, er aber nur einen Soldaten besitzt, den Langbart. Zwar ist ihm der Eiserne Holzfäller ein verläßlicher Bundesgenosse, aber er wird ja gar nicht dazukommen, ihm zu helfen ... Mein Beschluß steht fest: Ich ziehe aus, die Smaragdenstadt zu erobern."

Guamoko billigte den Plan ihres Herrn, und bald setzte sich Urfins Armee in Bewegung. In wenigen Tagen erreichte sie die erste Schlucht, die den gelben Backsteinweg unterbrach. Hier ereignete sich folgendes.

Die Holzsoldaten waren gewöhnt, auf ebener Erde zu gehen, und hatten keine Ahnung, was eine Schlucht ist. Als die erste Reihe mit Unteroffizier Arum an der Spitze an den Rand des Abgrunds kam, beachtete sie diesen nicht und stürzte in die Tiefe. Sekunden

später kündete ein Dröhnen an, daß die tapferen Krieger auf dem Grunde gelandet waren. Das war für die anderen jedoch keine Lehre. Die zweite Reihe folgte der ersten. Da schrie Urfin mit angstverzerrtem Gesicht: „General! Laßt die Armee halten!" Lan Pirot kommandierte: „Alles halt!"

Es hatte nicht viel gefehlt, und die ganze Holzarmee wäre umgekommen. Nun mußten die Gestürzten aus der Schlucht herausgeholt und repariert werden. Diese Arbeit und der Bau einer verläßlichen Holzbrücke nahmen fünf Tage in Anspruch.

Als die Armee die erste Schlucht überwunden hatte, trat sie in einen Wald, von dem man sich im Lande grausige Dinge erzählte. Dort hausten riesige Tiger, von ungeheurer Kraft und schrecklichem Aussehen. Scharfe Hauer, so lang wie Säbel, ragten ihnen aus dem Rachen. Deshalb wurden sie Säbelzahntiger genannt. Die Käuen erzählten sich viele schreckliche Geschichten vom Tigerwald. Urfin blickte ängstlich nach allen Seiten.

Unheimliche Stille herrschte ringsum. Riesige Bäume, an denen graue Moosgirlanden herabhingen, bildeten ein grünes Gewölbe, unter dem es dunkel und feucht war. We lkes Laub bedeckte den gelben Backsteinweg und dämpfte die schweren Schritte der Holzköpfe.

Eine Weile ereignete sich nichts. Plötzlich aber stürzte Lan Pirot auf Urfin zu. „Gebieter!" schrie er, „in den Büschen lauern wilde Tiere. Sie haben gelbe Augen und weiße Säbel im Rachen... " „Die Säbelzahntiger", rief Urfin entsetzt.

Hinter den Bäumen funkelten zahllose Lichter: die Augen der Bestien. „General! Macht die Armee kampfbereit!" „Zu Befehl, Gebieter!"

Holzsoldaten mit Knüppeln und Säbeln bildeten einen Ring um Urfin. Die Säbelzahntiger knurrten und fauchten im Dickicht, wagten aber nicht, anzugreifen, denn das ungewöhnliche Aussehen der Fremden verwirrte sie. Außerdem witterten sie keine Menschen, die ihr liebster Leckerbissen waren. Plötzlich brachte jedoch ein Windhauch Urfins Geruch an sie heran. Zwei Tiger, die hungriger und ungeduldiger waren als die anderen, faßten sich ein Herz, duckten sich und schnellten aus dem Dickicht. Aber noch ehe ihre gebäumten Körper auf die Mitte des schützenden Kreises um Urfin niedergingen, zückten die Unteroffiziere auf Lan Pirots Befehl blitzschnell ihre Säbel, und diese bohrten sich in die Leiber der aufheulenden Bestien. Im nächsten Augenblick trafen die Knüppel der Soldaten die Köpfe und Flanken der Tiger, die tot zu Boden fielen. Die Holzköpfe zerrten ihre zerschundenen Leiber an den Rand des Weges, während Urfin vor Freude hüpfte und der Armee sein Lob aussprach.

Die anderen Tiger waren über den Vorfall so entsetzt, daß sie keinen neuen Angriff wagten. Sie kauerten eine Weile in den Büschen, funkelten mit den Augen, knurrten noch anstandshalber und verkrochen sich dann beschämt im Gehölz. Urfin dachte zuerst, die Felle der toten Tiere zu beleben. Er würde dann Diener haben, sagte er sich, wie es keine stärkeren im ganzen Wunderland gab. Schon hatte er befohlen, den Tigern die Felle abzuziehen, als er sich eines Besseren besann, und den Befehl

widerrief. Er befürchtete nämlich, die Bestien würden sich nach ihrer Wiederbelebung

gegen ihn erheben und ihm Scherereien bereiten, denen er nicht gewachsen wäre.

Vor der zweiten Schlucht blieben die Holzköpfe selber stehen.

Eine Brücke wurde gebaut, und die Armee setzte ihren Weg fort. Dann kam sie auf ein

weites Feld, das Urfin wieder Ärgernisse brachte, die er weder ahnen noch voraussehen

konnte.

Die Holzköpfe hatten in ihrem kurzen Leben sehr wenig Erfahrungen gemacht, und wenn sie etwas Neues sahen, waren sie verwirrt und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Wären sie an eine dritte Schlucht gekommen, so hätten sie gewiß Vorsicht walten lassen. Zum Unglück kamen sie aber an einen großen Fluß, den man überqueren mußte, um aus dem Land der Käuer in die Smaragdenstadt zu gelangen. Bisher hatten die Holzköpf e aber nur kleine Rinnsale gesehen, über die sie einfach hinwegschritten. General Lan Pirot glaubte, die glatte Fläche des Flusses sei eine nein Art von Straße, über die es sich bequem gehen ließe. Noch ehe Urfin einen Gedanken fassen konnte, brüllte der General: „Mir nach, meine tapferen Soldaten!" und raste, von den gehorsamen Holzköpfen gefolgt, die Böschung hinunter zum Fluß.

Das Wasser am Ufer war tief, die Strömung reißend. Sie erfaßte den General, die Unteroffiziere und Soldaten, wirbelte sie herum und warf sie gegeneinander. Vergeblich rannte Urfin in heller Verzweiflung am Ufer entlang und schrie gellend: „Halt, Holzköpfe! Halt!"

Die Soldaten gehorchten aber nur den Befehlen ihres Generals, außerdem begriffen sie nicht, was geschehen war, und stürzten, ein Zug nach dem anderen, ins Wasser. Nach drei Minuten stand der Eroberer ohne Armee da. Der Fluß hatte alle Soldaten fortgetragen.

Urfin raufte sich die Haare vor Wut und Verzweiflung. Da sagte die Eule zu ihm:

„Gräm dich nicht, Gebieter! Ich war in meinen jungen Jahren in dieser Gegend und kann mich erinnern, daß der Fluß einige Meilen von hier mit Schilf bewachsen ist. Dort werden unsere Krieger bestimmt steckenbleiben . . ."

Urfin beruhigte sich ein wenig. Er lud das unversehrt gebliebene Tischlerwerkzeug auf

Meister Petz' Rücken und ging das Ufer entlang flußabwärts. Nach anderthalbstündigem

schnellem Marsch kam er an eine Stelle, wo der Fluß breiter und seichter wurde. Im

Wasser zeigte sich Schilfdickicht, in dem sich bunte Punkte bewegten. Urfin atmete

erleichtert auf. Er hatte in den Punkten seine Holzsoldaten erkannt.

Als er Lan Pirot unter ihnen gewahrte, schrie er:

„Hallo, General! Befehlt den Holzköpfen, ans Ufer zu schwimmen!"

„Was bedeutet das, schwimmen?" fragte Lan Pirot.

„Na, meinetwegen könnt ihr waten, wenn's seicht ist."

„Was ist das, waten?"

Urfin spuckte wütend aus und beschloß, ein Floß zu bauen. Die Rettung der Armee nahm mehr als 24 Stunden in Anspruch. Die Holzsoldaten sahen aber jämmerlich aus: Ihre Farbe blätterte ab, die vom Wasser gequollenen Arme und Beine bewegten sich kaum. Eine längere Rast war notwendig. Die Soldaten lagen zugweise, vornean die Unteroffiziere, am Ufer und trockneten, während Urfin sein großes Floß zimmerte.

Der gelbe Backsteinweg führte von da aus nach Norden weiter. Man konnte leicht

erkennen, daß sich schon lange niemand um ihn gekümmert hatte: Er war von Gestrüpp

überwuchert, und nur in der Mitte lag ein schmaler Streifen frei.

Der Zug bewegte sich im Gänsemarsch, als erster Unteroffizier Befar, als Schlußglied in

der langen Kette General Lan Pirot. Hinter ihnen ritt Urfin auf dem Rücken von Meister

Petz.

Nur ein Mann in diesem seltsamen Zug verspürte Müdigkeit und Hunger: Urfin, der Begründer und Gebieter der Armee.

Es war schon Mittag und an der Zeit, Rast zu machen. Unteroffizier Befar aber stapfte

unbeirrt vorwärts, gefolgt von den zackig marschierenden, unermüdlichen Soldaten. Urfin,

aber hielt es nicht länger aus und befahl Lan Pirot:

„General, die Armee soll halten. Gebt den Befehl nach vorn weiter."

Lan Pirot stieß mit seiner Keule den letzten Soldaten in den Rücken und schrie:

,,Weitergeben . . ."

Der Holzkopf wartete das Ende des Befehls gar nicht ab. Er glaubte, daß sein Vorgesetzter aus irgendeinem Grunde, der ihn, den Mann Gelb Nr. 10, nichts angehe, es für notwendig hielt, daß der Stoß nach vorn weitergegeben werde. Er rief „weitergeben" und stieß seinen Knüppel in den Rücken des Vordermannes, Gelb Nr. 9. Der Stoß war aber kräftiger ausgefallen als der, den er empfangen hatte.

„Weitergeben!" schrie Gelb Nr. 9 und hieb seinen Knüppel mit solcher Wucht gegen den Rücken von Gelb Nr. 8, daß dieser fast umfiel.

„Weitergeben! Weitergeben! Weitergeben!" ging der Ruf durch die Kolonne, und die Hiebe wurden immer zahlreicher und stärker.

Die Holzköpfe waren in Eifer geraten, die Knüppel hämmerten wütend gegen die bemalten Körper, einige Soldaten stürzten . . .

Erst nach geraumer Zeit gelang es Urfin, die Ordnung wiederherzustellen und seine arg zugerichtete Holzarmee auf eine Lichtung hinauszuführen, wo Rast gemacht wurde. Dann ging es weiter nach Norden.

Bald zeigten sich zu beiden Seiten des Weges die reichen Farmen des Smaragdenlandes. Alles war hier grün: die Häuser, die Zäune, die Kleider der Leute und ihre spitzen Hüte, an deren breiten Krempen jedoch keine Silberschellen hingen.

Die auf den Feldern arbeitenden Einwohner des Smaragdenlandes flohen beim Anblick der Holzköpfe, die dröhnend den Backsteinweg daherstampften. Die Leute versteckten sich hinter ihren grünen Zäunen und blickten ängstlich auf die ungebetenen grimmigen Gäste, doch keiner wagte es, sich ihnen zu nähern und zu fragen, wer sie seien und was sie hier begehrten.


DIE GESCHICHTE DER KRÄHE KAGGI-KARR

Kaggi-Karr, eine geschwätzige und zänkische, im Grunde aber gutmütige Krähe, hatte dem Scheuch den Gedanken eingegeben, sich ein Gehirn zu besorgen. Wir wollen erzählen, was aus ihr geworden ist, nachdem Elli den Scheuch vom Pfahl heruntergeholt und in die Smaragdenstadt mitgenommen hatte.

Die Krähe war Elli und dem Scheuch nicht gefolgt. Sie betrachtete das Weizenfeld als ihr rechtmäßiges Besitztum und blieb dort in Gesellschaft zahlloser anderer Krähen, Dohlen und Elstern. Sie fraßen dermaßen, daß der Farmer, als er die Ernte einbringen wollte, nichts als leeres Stroh vorfand.

„Da hat selbst die Vogelscheuche nichts geholfen", seufzte der Farmer. Er kümmerte sich aber nicht weiter um den verschwundenen Scheuch und ging mit leeren Händen nach Hause.

Später erfuhr Kaggi-Karr durch die Vogelpost, daß irgendein Scheuch als Nachfolger des großen Zauberers Goodwin Herrscher in der Smaragdenstadt geworden sei. Im ganzen Wunderland könne es keine andere lebende Vogelscheuche geben, überlegte Kaggi-Karr, als die, der sie einst geraten hatte, sich ein Gehirn zu verschaffen. Für diese großartige Idee gebühre ihr eine Belohnung, folgerte die Krähe und flog schnurstracks in die Smaragdenstadt. Es war aber nicht leicht, zum Weisen Scheuch vorzudringen. Din Gior lehnte es ab, eine gewöhnliche Krähe, wie er sagte, zum Herrscher vorzulassen.

Kaggi-Karr war empört.

„Eine gewöhnliche Krähe, sagst du? So höre denn, Langbart: Ich bin eine alte Freundin deines Herrn, sozusagen seine Erzieherin und Lehrmeisterin. Ohne mich wäre er niemals zu seiner hohen Stellung gekommen! Und meldest du mich nicht augenblicklich dem Weisen Scheuch, so wird es dir schlimm ergehen!"

Der Langbart meldete die Krähe seinem Herrn und war nicht wenig erstaunt, als dieser

befahl, sie sofort einzulassen und ihr alle höfischen Ehren zu erweisen.

Der Scheuch hatte die Krähe f ür immer in dankbarer Erinnerung behalten. Er empfing sie

strahlenden Angesichts in Anwesenheit der Höflinge, stieg von seinem Thron und machte

mit seinen weichen, schwachen Beinen drei Schritte auf sie zu.

Das ging in die Annalen des Hofes als größte Ehrung ein, die jemals einem Gast zuteil

wurde.

Auf Befehl des Scheuchs wurde Kaggi-Karr in den Rang einer Hofdame erhoben und erhielt den Titel Erste Abschmeckerin. Der Scheuch selber brauchte zwar kein Essen, doch er führte einen guten Tisch für seine Höflinge. Unter Goodwin hatte es einen solchen Brauch nicht gegeben, und die Höflinge priesen und lobten die Freigebigkeit ihres neuen Herrschers.

Der Krähe wurde ein herrliches Weizenfeld unweit der Stadtmauer zugewiesen, das von nun an als ihr Besitztum galt.

DIE BELAGERUNG DER SMARAGDENSTADT

Als Urfins Holzarmee anrückte, war Kaggi-Karr gerade dabei, eine zahlreiche Vogelgesellschaft auf ihrem Feld zu bewirten. Beim Anblick der bunt bemalten grimmigen Holzmänner auf dem Backsteinweg erriet sie, daß es Feinde waren. Sie befahl ihren Gästen, diese aufzuhalten, und flog eiligst in die Stadt.

Das Amt des Torhüters der Smaragdenstadt versah Faramant. Seine oberste Pflicht bestand darin, zahlreiche grüne Brillen aller Größen aufzubewahren, die auf Goodwins Befehl ein jeder beim Betreten der Stadt aufsetzen mußte. Damit die Leute die Brillen nicht abnahmen, waren diese hinten mit kleinen Schlössern versehen. Der Weise Scheuch, der Goodwins Gesetze achtete, änderte nichts an diesem Brauch.

Kaggi-Karr schrie dem Hüter des Tores zu, daß Feinde im Anzug seien, und flog in das Schloß.

Die unzähligen Dohlen, Elstern und Spatzen, die auf dem Felde zurückgeblieben waren, stürzten sich auf Urfins Holzarmee, um ihren Vormarsch aufzuhalten. Die Vögel flatterten vor den Gesichtern der Soldaten, stießen ihnen die Schnäbel in die Rücken, gingen auf ihre Köpfe nieder und versuchten, ihnen die Glasaugen herauszupicken. Eine flinke Elster riß dem General sogar den Hut vom Kopf und flog mit ihm davon.

Die Holzsoldaten fuchtelten mit ihren Säbeln und Knüppeln, doch die Vögel wichen ihnen geschickt aus. Ein blauer Soldat traf aus Versehen den Arm eines grünen, der sich, vom Gefecht benommen, auf ihn stürzte. Es kam zu einem wüsten Handgemenge. Als Unteroffizier Giton sich zwischen die beiden warf, traf ihn zufällig der Knüppel eines orangefarbenen Holzkopfs (der Schlag hatte einer Elster gegolten) und riß ihm das Ohr ab. Es entstand ein schrecklicher Tumult. Urfin brüllte und stampfte mit den Füßen, General Lan Pirot wußte nicht, was er eher tun sollte: dem diebischen Vogel nachrennen oder das Heer wieder ausrichten. Die militärische Disziplin gewann jedoch die Oberhand: Der General gab seinen Hut auf (die Elster baute aus ihm später ein prächtiges Nest) und begann mit seiner schweren Keule die Holzköpfe zu bearbeiten. Es gelang ihm, die Ordnung notdürftig wiederherzustellen. Die Armee hatte indessen die Vögel abgewehrt und trampelte nun auf das Tor zu. Wegen des Getümmels hatte sie aber viel Zeit verloren, und Kaggi-Karr schaffte es gerade noch, die Stadt vom Anzug des Feindes zu benachrichtigen.

Din Gior lief zum Tor. Er hatte sich den langen Bart über die Schulter geschlagen, und während er durch die Straßen fegte, schrie er: „Hilfe! Hilfe! Feinde im Anzug!"

Die Einwohner folgten aber nicht dem Ruf, sondern verkrochen sich in ihren Häusern. Din Gior erreichte das Tor, das Faramant fest verschloß. Die beiden begnügten sich aber nicht damit, sondern brachen Steine und Kristalle aus dem Pflaster heraus und türmten sie hinter dem Tor auf.

Dieses war bereits bis zur Hälfte verrammt, als draußen heftig geklopft wurde.

„Aufmachen, aufmachen!" schrie jemand.

„Wer ist da?" fragte Faramant.

„Urfin, der mächtige Herrscher des Blauen Landes!" „Was wünscht Ihr?"

„Die Smaragdenstadt soll sich ergeben und mich als ihren Gebieter anerkennen!"

„Niemals!" entgegnete Din Gior.

„Dann werden wir eure Stadt im Sturm nehmen!"

„Versucht es doch!" erwiderte der Langbart.

Din Gior und Faramant hoben ein paar große Steine und Kristalle auf, stiegen auf die Mauer und verbargen sich hinter einem Vorsprung.

Die Soldaten hämmerten mit Fäusten, Füßen und Stirnen gegen das Tor. Dann gingen sie in den nahen Wald und fällten dort einen hohen Baum, schleppten ihn herbei, stellten sich, von den rotbemalten Unteroffizieren angetrieben, in zwei Reihen auf, hoben den Stamm an und rammten ihn krachend gegen das Tor.

Din Gior schleuderte einen mächtigen Kristall hinab, der Urfins Schulter traf und ihn umwarf. Ein zweiter Stein sauste auf Lan Pirots Kopf nieder, der ein Loch bekam, von dem nach allen Seiten hin Risse gingen.

Urfin sprang auf und stürzte davon, der Palisandergeneral folgte ihm auf dem Fuße. Als die Holzköpfe ihre Führer Reißaus nehmen sahen, taten sie das gleiche. Es war eine panische Flucht. Unteroffiziere und Soldaten stolperten übereinander, fielen und rafften sich wieder auf, warfen im Lauf Knüppel und Säbel fort, und ganz hinten lief, vor Angst brüllend, Meister Petz. Oben auf der Mauer lachte schallend der Langbart. Weit draußen vor der Stadt kam das Heer zum Stehen. Urfin rieb sich die Schulter und schimpfte den General einen Feigling.

Dieser rechtfertigte sich mit seiner schweren Verwundung und betastete seinen zerschlagenen Kopf.

„Ihr seid ja auch geflohen, Gebieter", sagte Lan Pirot.

„Holzkopf!" schrie Urfin empört. „Euren Schädel werd ich schon flicken, und wenn er wieder aufpoliert ist, sieht er wie neu aus. Wenn aber mein Kopf ein Loch bekommt, bin ich mausetot!" „Was bedeutet tot?"

„Blödian!" entgegnete Urfin wütend und brach das Gespräch ab.

Der Vorfall endete damit, daß die Soldaten für alles verantwortlich gemacht und mit

Knüppeln gezüchtigt wurden.

Die Armee wagte keinen neuen Angriff und schlug nicht weit vom Tore ihr Lager auf. Die Belagerung der Stadt begann. Zwei- oder dreimal zeigten sich die Holzsoldaten vor dem Tor, aber von den Mauern flogen ihnen Steine entgegen, und sie zogen jedesmal wieder ab.

Es schien, als ob die Stadt uneinnehmbar sei. In der Verteidigung gab es aber schwache Stellen. Ersteres bestand die Möglichkeit, daß die Lebensmittelzufuhr aufhört. Die Einwohner würden dann wohl einige Tage von ihren Vorräten leben, doch wenn diese zu Ende sind und der Hunger beginnt, würden sie aufbegehren und die Übergabe der Stadt an den Feind fordern. Zweitens könnten Din Gior und Faramant, die einzigen Verteidiger des Tores, einmal von Müdigkeit übermannt werden, und das konnte sich der Feind zunutze machen, um die Stadt zu überrumpeln.

All das bedachte der Scheuch mit seinem klugen Gehirn und traf die notwendigen Maßnahmen. Unter den Höflingen und der Bürgerschaft fanden sich keine verläßlichen Leute, und so siedelte er denn selber in das Wächterhäuschen Faramants über, was sich schon in der ersten Nacht als sehr vernünftig erwies.

Der Scheuch hieß Faramant und Din Gior, die furchtbar müde waren, schlafen gehen, nahm ihren Platz auf der Mauer ein und blickte mit seinen stets offenen, aufgemalten Augen auf das weite Feld hinaus. Da sah er, daß Urfin zum Sturm rüstete. Die Belagerer hatten abgewartet, bis es hinter der Mauer still wurde, und schlichen sich nun leise an das Tor heran. Sie trugen Brecheisen und Äxte, die sie in den umliegenden Farmen erbeutet hatten. Der Scheuch weckte Din Gior und Faramant, die die Angreifer mit einem Steinhagel empfingen und in die Flucht schlugen.

Da umschlang der Strohmann die treuen Helfer mit seinen weichen Armen und sprach: „An Urfins Stelle hätte ich meinen Soldaten befohlen, ihre Köpfe mit Holzschilden zu schützen. Und ich bin überzeugt, daß der Feind gerade so verfahren wird. Im Schutz der Schilde wird er dann ohne Angst das Tor einrennen." „Und was sollen wir tun, Gebieter?" fragte Din Gior.

„Diese Holzmenschen müssen sich genau wie ich vor Feuer fürchten", sagte der Scheuch nachdenklich. „Daraus folgt, daß wir auf der Mauer möglichst viel Stroh bereit halten und Streichhöher bei der Hand haben müssen."

Die Vermutung des Weisen Scheuchs sollte sich bestätigen. Bald begann in stockfinsterer Nacht ein neuer Angriff. Urfins Soldaten hielten über ihren Köpfen Torflügel, die sie sich auf den Farmen besorgt hatten, und gingen so die Mauer an. Als sie nahe genug waren, warfen die Verteidiger brennende Strohbündel auf sie hinab. Die Holzsoldaten hatten schon einmal durch Wasser gelitten, weil sie nicht wußten, was Wasser ist. Sie hatten aber auch von Feuer keine Ahnung. Als Urfin sie erschuf, fürchtete er, daß ein Brand ausbrechen könnte, und hatte deshalb zu Hause nicht einmal den Ofen geheizt. Jetzt sollte ihm diese Vorsicht teuer zu stehen kommen.

Das brennende Stroh fiel auf den Boden und auf die Schilde der Holzköpfe, die über das ungewohnte Schauspiel staunten. Die züngelnden Flammen kamen ihnen in der nächtlichen Dunkelheit wie wunderbare Blumen vor, die sich schnell entfalteten, und sie dachten gar nicht daran, sich vor dem Feuer in acht zu nehmen. Manche schoben sogar ihre Hände in die Flammen, spürten aber keinen Schmerz und schauten törichten Angesichts zu, wie ihre Fingerspitzen Feuer fingen. Schon hatte das Feuer mehrere Holzmänner erfaßt und verbreitete einen brenzligen Geruch von verbrannter Farbe .. .

Urfin begriff, daß seiner Armee diesmal etwas viel Schlimmeres drohte, als seinerzeit das Abenteuer am Fluß. Aber was sollte er tun? In der Nähe war kein Wasser. Da gab ihm Guamoko einen Rat.

„Überschütte sie mit Erde!" schrie sie dem verwirrten Urfin zu.

Meister Petz folgte dem Rat als erster. Er stieß einen Unteroffizier um, der mit brennendem Kopf dastand, und begann mit seinen mächtigen Tatzen Erde in die Flamme zu schaufeln. Nun erkannten auch die Holzköpfe die Gefahr und wichen dem brennenden Stroh aus.

Mit schweren Verlusten zog sich die Armee vom Stadttor zurück. Manche Soldaten hatten

angekohlte Köpfe, die durch neue ersetzt werden mußten. Anderen waren die Augen

herausgefallen oder die Ohren verbrannt, viele hatten die Finger verloren . . .

„Ach, ihr Holzköpfe!" seufzte Urfin. „Es wäre ja alles schön und gut, wo ihr doch so stark,

tapfer und unermüdlich seid . . . hättet ihr nur etwas mehr Verstand!"

Aber den hatten sie eben nicht!

Es war Urfin klar, daß die Smaragdenstadt nur durch Hunger bezwungen werden konnte - ein anderes Mittel gab es nicht. Das wußte aber auch der Scheuch, der einen Kriegsrat einberief, an dem auch Kaggi-Karr teilnahm.

Man äußerte verschiedene Ansichten. Din Gior und Faramant meinten, man müsse die Einwohner überreden, für ihre Freiheit zu kämpfen. Kaggi-Karr aber behauptete, es sei zwecklos, wußte aber auch keinen Rat.

Der Scheuch dachte so angestrengt nach, daß die Gehirnnadeln ihm aus dem Kopf traten,

der plötzlich wie ein eiserner Igel aussah. Schließlich sagte er:

„Urfin hat viele Männer mitgebracht, aber die sind alle aus Holz. Mein Freund, der

Holzfäller, der im Land der Zwinkerer herrscht, ist nur ein Mann, daf ür aber aus Eisen.

Eisen kann mit Holz nicht spalten, wohl aber. Holz mit Eisen. Also ist Eisen stärker als

Holz. Kommt uns der Eiserne Holzfäller rechtzeitig zu Hilfe, so wird er Urfins Holzarmee

zerschlagen."

„Richtig!" krächzte die Krähe beifällig.

Niemand hätte so schnell und sicher das Violette Land erreichen können wie Kaggi-Karr, die nach Hilfe ausgesandt wurde. Die Krähe machte sich auf den Weg und versprach, sich nirgends aufzuhalten und so schnell wie möglich mit dem Eisernen Holzfäller zurückzukehren.


DER VERRAT

Ein Tag verging und noch einer.

Die Verteidiger hüteten wachsam das Tor, und Urf m begann schon die Geduld zu verlieren, als ihm ein tückischer Gedanke kam, den selbst der Weise Scheuch nicht hatte voraussehen können.

Nachts trat Urfin ein paar Schritte seitlich vom Tor an die Mauer heran und warf seinen Liebling, den scharfzähnigen Holzclown, hinüber. Dabei gab er ihm folgenden Auftrag: „Du mußt unter den Bürgern einen Verräter finden, der uns das Tor öffnet. Zum Lohn versprich ihm in meinem Namen das Amt des Obersten Zeremonienmeisters, einen Haufen Gold und ... kurz, versprich, was du willst, später werden wir's uns ja überlegen können." Der Clown flog also über die Mauer und fiel auf ein weiches Blumenbeet. Er war aber sogleich wieder auf den Beinen und huschte wie eine Ratte durch die dunklen Straßen der Stadt.

Im ersten Haus, in das er sich durch die angelehnte Tür geschlichen hatte, saß ein zittriger Greis mit seiner Frau.

Die beiden interessierten den Kundschafter nicht, und er ging weiter.

In einem anderen Haus stand ein Fenster offen, aas dem Gesprächsfetzen drangen:

„'ne Schande ... wir hätten ... zu Hilfe ... Waffen da wären . .."

Der Clown begriff, daß er auch hier nichts zu suchen hatte.

Er kam an vielen Häusern vorbei, bis er schließlich eines sah, das größer und schöner war als die anderen. Zwei Männer traten aus der Tür und blieben auf der Treppe stehen. Der erste sagte:

„Du bist, verehrter Ruf Bilan, dem Scheuch also immer noch böse?"

Der zweite, ein kleiner, feister Mann mit rotem Gesicht, erwiderte zornig:

„Soll ich mich vielleicht mit der Strohpuppe aussöhnen, die ohne jedes Recht auf dem

Herrscherthron unserer Stadt sitzt?

Hätte mir dieser Thronräuber wenigstens ein Amt gegeben, das meinem Geist und meinen Verdiensten angemessen wäre! Er hat es aber nicht getan! Soll ich, ein Ruf Bilan, mich mit dem nichtigen Titel eines Aufsehers des Schloßbades zufriedengeben? Eine Schande!" Der Gast hatte sich verabschiedet, und der Hausherr wollte schon die Tür schließen, als er unten jemanden piepsen hörte:

„Verzeihung, verehrter Ruf Bilan! Ich hab dir etwas zu sagen!" Der erstaunte Dicke ließ den Clown ins Haus eintreten.

Drinnen sprang die Puppe auf den Tisch, blickte sich nach allen Seiten um und flüsterte dem Hausherrn ins Ohr:

„Ich komme vom mächtigen Zauberer Urfin. Was er kann, das siehst du an mir. Er hat mich, eine Holzpuppe, zum Leben erweckt. Das haben selbst die Zauberschwestern Gingema und Bastinda nicht vermocht." „Was wünschst du von mir?" stammelte Ruf Bilan.

„Daß du in den Dienst meines Herrn trittst. Er wird dich reich und mächtig machen und alle deine Wünsche erfüllen . . ."

Ruf Bilan versprach, jeden Befehl des neuen Zauberers auszuführen. Dann warf er den Clown zurück über die Mauer, und dieser meldete Urfin, daß der Auftrag erfüllt sei. Am nächsten Morgen trat Ruf Bilan vor den Scheuch und erklärte, er wolle die Stadt verteidigen helfen. Dann stand er den ganzen Tag auf der Mauer, warf Steine hinab und brachte sogar einen Feindsoldaten zu Fall. Der Scheuch lobte Ruf Bilan für seine Tapferkeit und Ausdauer.

Spätabends kam Rufs Diener mit einem Korb Proviant und einem Fäßchen Wein, und Ruf teilte alles großzügig mit seinen Kampfgefährten. Din Gior und Faramant tranken den wein, ohne auf seinen sonderbaren Beigeschmack zu achten, und fielen sofort in einen tiefen Schlaf, denn Ruf hatte ein Schlafpulver in den Wein geschüttet. Er und sein Diener fesselten den Scheuch, räumten die Steine vom Tor weg. und die Holzarmee zog in die Smaragdenstadt ein.

Am Morgen wurden die Einwohner von Trompetenschall geweckt. Ein Herold, in dem sie Bilans Diener erkannten, verkündete, daß von heute an der mächtige Urfin Herrscher der Smaragdenstadt sei, dem ein jeder widerspruchslos gehorchen müsse. Widrigenfalls würden schwere Strafen verhängt werden.

Der Weise Scheuch wurde in den Schloßkeller geworfen. Nun saß er zerknirscht da, es war ihm elend zumute. Nicht, daß er der verlorenen Macht nachgetrauert hätte - das konnte er leicht überwinden, - ihn plagte vielmehr der Gedanke, daß dem Eisernen Holzfäller, der ihm zu Hilfe eilte, Unheil drohte. Und er wußte nicht, wie er ihr warnen sollte. Faramant und Din Gior, die in dem gleichen Keller eingesperrt waren, bemühten sich vergeblich, den gestürzten Herrscher zu trösten.


DIE GEFANGENNAHME DES EISERNEN HOLZFÄLLERS

Am nächsten Tag zog der Herold wieder durch die Straßen. Er verkündete, daß die Einwohner der Smaragdenstadt, die dem mächtigen Urfin dienen wollen, bei ihm gnädige Aufnahme finden und Ämter am Hof bekommen würden.

Außer Ruf Bilan fanden sich aber nur wenige, übel beleumdete Bürger, die der Lockung folgten.

Ruf erhielt das Amt des Obersten Zeremonienmeisters. Als er aber den Herrscher an die Belohnung erinnerte, die ihm in Gold versprochen worden war, tat Urfin sehr erstaunt. Der Clown, sagte er, habe ihn falsch verstanden, er hätte ihn zu solchen Versprechungen nicht ermächtigt.

Auch die anderen Überläufer bekamen hohe Posten. Urfin ernannte sie zu Ordnern und Aufsehern . . .

Ihre Zahl reichte jedoch nicht für einen üppigen Hof, wie ihn Urfin erträumte. Vergeblich sandte er Boten zu den ehemaligen Höflingen des Scheuchs. Obwohl diese es gewohnt waren, den ganzen lieben Tag mit Schwatzen und Kichern am Hofe zu verbringen, und sich dabei einbildeten, wichtige Staatsgeschäfte zu versehen, schlugen sie Urfins Angebot aus.

Jedermann verachtete die neuen Höflinge. Besondere Verachtung und Haß aber empfanden die Leute gegen Ruf Bilan, den Verräter.

Jetzt zeigte er sich nur noch in Begleitung zweier Holzköpfe in der Stadt. Auch die anderen Räte wagten sich nicht ohne Eskorte auf die Straße.

Urfin hatte von Ruf Bilan erfahren, daß der Scheuch die Krähe nach dem Eisernen Holzfäller geschickt hatte. Er rechnete sich aus, wann dieser zu erwarten sei, und bereitete ihm eine Falle.

Bilan vertauschte seine vornehme Hoftracht gegen einen einfachen Rock und nahm den Platz Faramants im Wächterhäuschen vor dem Tor ein.

Unter dem Torbogen lauerte ein Zug Holzsoldaten unter Unteroffizier Arum mit Stricken in den Händen dem Holzfäller auf ...

Unterdessen flog Kaggi-Karr unangefochten in das Land der Zwinkerer, wo sie den eisernen Mann, einen großen Schmiedehammer in den Händen, auf der Straße antraf. Als die Zwinkerer dem Holzfäller vor wenigen Monaten die Herrschaft über ihr Land angeboten hatten, sagten sie zu ihm:

„Ein Herrscher, wie Ihr es seid, ist gerade der richtige für uns: Ihr eßt nicht, Ihr trinkt nicht, also werdet Ihr uns auch keine Steuern auferlegen .. ."

Die Zwinkerer bekamen mehr, als sie erwartet hatten. Der Eiserne Holzfäller trieb nicht nur keine Steuern ein, sondern arbeitete sogar für seine Untertanen. Er sehnte sich nach Elli, dem Scheuch und dem Tapferen Löwen, und da er Faulenzen nicht gewöhnt war, zog er am frühen Morgen aufs Feld hinaus, wo er mächtige Steine zerkleinerte, mit denen er dann die Straßen pflasterte, was den Zwinkerern in zweierlei Hinsicht zustatten kam. Erstens wurden die Felder von Steinen gesäubert, und zweitens entstanden erstklassige Straßen, die in alle Teile des Landes führten.

Bei der Nachricht, der Scheuch sei in Gefahr, warf der Holzfäller den Hammer fort, lief in das Schloß nach der Axt und machte sich sofort auf den Weg. Die Krähe, die sich auf seine Schulter gesetzt hatte, schilderte ihm ausführlich die traurigen Neuigkeiten. Die Zwinkerer rieben sich die Augen und zwinkerten wehmütig dem davonziehenden Herrscher nach .

. . . Der eiserne Holzfäller näherte sich der Smaragdenstadt. Ringsum war alles still. Urfins

Lager gab es nicht mehr, das Tor war wie gewöhnlich verschlossen.

Der Holzfäller klopfte. Im Fensterchen zeigte sich das rote Gesicht Ruf Bilans.

„Wo ist Faramant?" fragte der Holzfäller verwundert.

„Er ist krank. Ich hab ihn abgelöst."

„Was ist eigentlich los bei euch?"

„Ach, nicht der Rede wert. Feinde hatten uns überfallen, wir haben sie zurückgeschlagen, und dann sind sie mit großen Verlusten abgezogen." „Und wie geht's dem Scheuch?"

„Er ist wohlauf und guter Dinge und erwartet Sie schon, verehrter Herr Holzfäller! Bitte sehr, kommen Sie herein", sagte Ruf Bilan und öffnete die Pforte. Kaum war der eiserne Mann unter den dunklen Torbogen getreten, da wurde ihm die Axt entrissen, und er fühlte, wie Stricke seine Brust umschnürten. Nach einem kurzen verzweifelten Kampf lag er gefesselt am Boden. „Verrat!" schrie Kaggi-Karr, der es gelungen war, vor dem Zugriff der Holzköpfe auf die Mauer zu flüchten.

Die Krähe sah, wie der entwaffnete und gefesselte Holzfäller in das Schloß geschleppt wurde, gefolgt von den traurigen Blicken der Bürger, die hinter ihren halbgeöffneten Fenstern standen.

Die Krähe beobachtete den Zug von weitem. Dann flog sie ihm nach und setzte sich schließlich auf einen Mauersims neben dem offenen Fenster des Thronsaals, von wo sie alles sah und hörte, was drinnen vorging.

Urfin saß in prächtigem Gewand auf dem smaragdengeschmückten Thron. In seinen finsteren Augen unter den zusammengewachsenen schwarzen Brauen spiegelte sich Triumph. Die wenigen Hofleute drängten sich um den Thron. An den Wänden standen, Statuen gleich, gelbe und grüne Holzsoldaten.

Der Eiserne Holzfäller wurde in den Saal geführt. Ruhig ging er über das gemusterte Parkett, das unter seinen schweren Schritten erzitterte. Hinter ihm trugen zwei Soldaten die blitzende riesige Axt.

Schaudernd dachte Urfin daran, was aus seinem Heer geworden wäre, hätte er diesen Recken nicht überlistet. Der Eiserne Holzfäller schaute furchtlos in das prüfende Auge des Diktators, der Ruf Bilan ein Zeichen gab, worauf dieser im Laufschritt den Saal verließ.

Nach ein paar Minuten wurde der Scheuch hereingeführt. Der Eiserne Holzfäller sah dessen zerrissenes Kleid, aus dem das Stroh hervorkam, und die schlaffen Arme, und es ergriff ihn tiefes Mitleid mit seinem Freund, der noch unlängst über die Smaragdenstadt geherrscht und stolz gewesen war auf sein prächtiges Gehirn. Tränen rannen aus den Augen des Eisernen Holzfällers.

„Gib acht, du hast die Ölkanne nicht bei dir!" schrie entsetzt der Scheuch. „Du wirst ja verrosten!"

„Verzeih, mein Freund!" sagte der eiserne Mann. „Man hat mich schändlich überlistet, und ich hab dir nicht helfen können."

„Nein, du mußt mir verzeihen, daß ich dich so voreilig rufen ließ", entgegnete der Scheuch. „Genug der Zärtlichkeiten!" fuhr Urfin sie grob an. „Es geht jetzt nicht darum, wer wem zu verzeihen hat, sondern um euer Schicksal. Werdet ihr mir dienen oder nicht? Ich will euch hohe Ämter geben, zu Statthaltern machen, ihr sollt wie früher eure Länder regieren, aber nur unter meiner Oberherrschaft."

Der Scheuch und der Eiserne Holzfäller wechselten einen Blick und erwiderten: „Nein!"

„Ihr seid von eurer Niederlage noch ganz benommen und wißt gar nicht, was ihr redet", sagte Urfin grimmig. „Denkt daran, daß ihr in meiner Hand seid, bevor ihr antwortet!" „Nein", wiederholten der Holzfäller und der Scheuch.

„Überlegt euch eure Lage, ich will euch Zeit lassen. Morgen zur selben Stunde werdet ihr

wieder vor mir stehen. Hallo, Wache! In den Keller mit den Beiden!",

Ein paar Soldaten mit einem rotbemalten Unteroffizier führten die Gefangenen ab.

Kaggi-Karr aber flog auf das Weizenfeld, um sich zu stärken. Doch dieses Feld gehörte

jetzt nicht mehr ihr. Schon von weitem erblickte sie etwa zwei Dutzend Männer und

Frauen, die unter Aufsicht violetter Soldaten den Weizen abmähten.

Mißgelaunt flog Kaggi-Karr in den Wald, wo sie einigermaßen ihren Hunger stillte. Am

nächsten Morgen saß sie wieder auf dem Fenstersims und wartete, daß die Gefangenen in

den Thronsaal geführt würden.

Der Holzfäller und der Scheuch schlugen Urfins Angebot abermals aus. Am dritten Tag standen sie wieder vor dein wütenden Diktator. „Nein, nein und abermals nein!" war ihre Antwort, und dabei blieb es. „R-r-richtig! Urr-ffin! Kan-nail-le!" ließ sich eine jauchzende Stimme vom Fenster vernehmen.

Kaggi-Karr hatte sich nicht beherrschen können, sie mußte ihre Meinung äußern. Urfin befahl den Höflingen, die Krähe zu fangen. Ihre Mühe war jedoch umsonst. Als sie herausgestürzt kamen, flog Kaggi-Karr mit höhnischem Gekrächze auf den oberen Fenstersims.

„Hört meinen Spruch!" sagte Urfin. Alle Anwesenden hielten den Atem an. „Ich könnte den Scheuch verbrennen und aus dem Eisernen Holzfäller Nägel schmieden, ich tue es aber nicht, sondern laß sie am Leben . . . ."

Die Höflinge begannen den Großmut ihres Herrschers zu preisen. Urfin fuhr fort:

„Jawohl, ihr frechen Starrköpfe, ich laß euch am Leben, aber nur für ein halbes Jahr. Werdet ihr euch nach Ablauf dieser Frist meinem Willen nicht fügen, so hat eure Stunde

geschlagen. Fis dahin bleibt ihr in Haft, und nicht im Keller, sondern auf einem hohen Turm, damit euch jeder sehen und sich von Urfins Macht überzeugen kann. Hallo, führt sie ab!" rief er der Wache zu.

Stampfend führten die Holzköpfe die Gefangenen ab.

Unweit von der Smaragdenstadt stand ein Turm, den ein König oder ein Zauberer - man wußte es nicht mehr genau vor vielen Jahren errichtet hatte. Als Goodwin die Stadt baute, diente ihm der Turm als Beobachtungsstand. Immer standen Wachen da und paßten auf, daß sich keine böse Zauberin unbemerkt an die Stadt heranschleiche. Nun aber, da Elli die bösen Zauberinnen vernichtet hatte und Goodwin fortgezogen war, stand der Turm unbenutzt und düster auf weiter Flur.

Unten befand sich eine Tür, von der aus eine schmale, verstaubte Wendeltreppe auf die obere Wehrplatte führte. Diese wurde nun auf Befehl des Herrschers mit Dachziegeln überdeckt, denn Urfin wollte nicht, daß der Holzfäller im Regen einroste und des Scheuchs Gesichtsbemalung zerfließe, denn das hätte sie ja hindern können, in seinen Dienst zu treten!

Die Holzköpfe brachten den Scheuch und den Eisernen Holzfäller in den Turm. Die Arme des eisernen Mannes waren immer noch gefesselt - die Büttel fürchteten ihn, selbst wenn er unbewaffnet war!

Allein gelassen, blickten sich die beiden Freunde um. Im Süden waren die grünen Häuschen der Farmer zu sehen, umgeben von Gärten und Feldern, zwischen die sich der gelbe Backsteinweg, ein stummer Zeuge unzähliger Geschichten und Abenteuer, bis zum Stadttor hin wand.

Im Norden breitete sich die Smaragdenstadt aus. Da ihre Mauern niedriger waren als der

Kerkerturm, konnte man gut die Häuser unterscheiden, deren Dächer sich über den

schmalen Straßen fast berührten, den Platz, auf dem einmal Springbrunnen plätscherten,

und die mit riesigen Smaragden geschmückten Turmspitzen des Schlosses.

Der Scheuch und der Holzfäller sahen etliche winzige Gestalten, die an den Turmspitzen

zu den Smaragden hin krochen.

„Schöner Ausblick?" ertönte eine schrille Stimme.

Der Scheuch und der Holzfäller wandten sich um und erblickten - Kaggi-Karr. „Was geschieht denn dort?" fragte der Scheuch.

„Nichts Außergewöhnliches", erwiderte die Krähe. „Auf Befehl des neuen Herrschers werden alle Smaragden von den Türmen und Mauern entfernt und in die Schatzkammer Urfins gelegt. Unsere Smaragdenstadt hört auf, eine Smaragdenstadt zu sein. Jetzt wißt Ihr, was geschieht!"

„Verdammt!" entfuhr es dem Eisernen Holzfäller. „Ich möchte mal diesem Urfin und seinen Holzmannen mit der Axt in den Händen gegenüberstehen. Glaubt mir, ich würde bei dieser Gelegenheit bestimmt vergessen, daß ich ein weiches Herz habe!" „Dazu muß man aber etwas tun und nicht mit gebundenen Händen herumsitzen!" bemerkte die Krähe bissig.

„Ich hab versucht, die Arme des Holzfällers freizubekommen, aber mir reicht die Kraft nicht", gestand der Scheuch verlegen. „Ach du! Schau, wie man's macht!"

Kaggi-Karr hackte mit ihrem Schnabel los, und in wenigen 3 Minuten fielen die Fesseln vom Holzfäller ab.

„Au, wie fein!" - der eiserne Mann reckte sich wohlig. „Ich war wie eingerostet ... Wollen wir jetzt hinuntergehen? Ich werde die Tür schon aufbrechen ..."

„Hat keinen Zweck", sagte die Krähe. „Vorne stehen Holzsoldaten mit Knüppeln. Laßt uns

nachdenken, vielleicht finden wir einen Ausweg."

„Denken ist Sache des Scheuchs", sagte der Eiserne Holzfäller.

„Jetzt siehst du, daß ich recht hatte, als ich dir sagte, ein Gehirn sei besser als ein Herz",

rief der Scheuch geschmeichelt.

„Ja, aber ein Herz ist auch was wert", entgegnete der

Holzfäller. „Ohne Herz wäre ich zu nichts nutz und könnte auch nicht meine Braut lieben, die im Blauen Lande lebt."

„Aber das Gehirn . . .", begann der Scheuch wieder.

„Gehirn, Herz, Herz, Gehirn!" fuhr ärgerlich die Krähe dazwischen. „Laßt doch den Streit, es ist Zeit, etwas zu unternehmen."

Kaggi-Karr war zwar eine griesgrämige Krähe, aber ein treuer Freund. Die beiden mußten zugeben, daß sie recht hatte, und der Scheuch begann eifrig nachzudenken. Er dachte gut drei Stunden nach. Vor lauter Anstrengung krochen ihm die Nadeln aus dem Kopf, und der Holzfäller befürchtete schon, das könnte für seinen Freund schlimme Folgen haben.

„Ich hab's!" rief plötzlich der Scheuch und schlug sich so heftig mit der Hand gegen die Stirn, daß ein Dutzend Nadeln in seiner Handfläche steckenblieben. Die Krähe, die eingeschlummert war, fuhr aus dem Schlaf und sagte: „Sprich!"

„Wir müssen einen Brief an Elli schreiben. Sie ist ein kluges Mädchen, ihr wird schon was einfallen."

„Eine gute Idee", sagte Kaggi-Karr spöttisch. „Nur möcht ich wissen, wer ihr den Brief überbringen wird."

„Wer? Natürlich du!" entgegnete der Scheuch.

„Ich ?" wunderte sich Kaggi-Karr. „Ich soll über Berg und Wüste in ein unbekanntes Land Biegen, wo die Vögel nicht einmal sprechen können? Das hast du dir aber schön ausgedacht. Besten Dank!

„Nun, wir werden nicht darauf bestehen", sagte der Scheuch. „Wir können ja eine jüngere Krähe nach Kansas schicken." Kaggi-Karr entrüstete sich:

„Eine jüngere? Ich bin aber erst hundertzwei Jahre alt! Ihr haltet mich wohl für eine Greisin, was? Damit ihr's aber wißt: Bei uns Krähen ist man mit hundertzwei Jahren noch ein junges Ding! Und was würde eine andere Krähe ausrichten? Erstens würde sie sich verirren und niemals nach Kansas kommen! Zweitens würde sie Elli in Kansas nicht finden, denn sie hat das Mädelchen nie gesehen. Drittens . . . Kurz, ich werde den Brief bestellen."

Der Eiserne Holzfäller aber sagte:

„Für einen Brief brauchen wir ein weiches zähes Blatt von einem Baum, das wir um dein Bein wickeln könnten, und außerdem eine Nadel." „Eine Nadel kann ich mir aus dem Kopf herausziehen", sagte der Scheuch. „Ich hab dort genug davon."

Die Krähe flog fort und kehrte bald mit einem großen glatten Blatt zurück. Der Scheuch nahm es in die Hand, zupfte sich eine Nadel aus dem Kopf und reichte beides dem Eisernen Holzfäller: „Da, schreib!"

„Nein, du sollst den Brief schreiben. Es war ja deine Idee!" sagte der Holzfäller. „Aber ich dachte, du wirst es tun. Ich hab ja das Schreiben noch gar nicht erlernt." „Und ich hab wegen der Staatsgeschäfte keine Zeit dazu gehabt", gestand der Holzfäller. „Was fangen wir jetzt an?"

„Wir müssen den Brief nicht unbedingt schreiben, wir können ihn ja zeichnen!" erwiderte der Scheuch.

„Ich versteh nicht, wie man einen Brief zeichnen kann", sagte der Holzfäller. „Nun, wir zeichnen uns beide hinter einem Gitter. Elli ein kluges Mädchen ist, wird sogleich erraten, daß wir in Not sind und ihre Hilfe erbitten." „Richtig!" freute sich der Holzfäller. „Also, fang an!"

Doch vergeblich bemühte sich der Scheuch. Die Nadel entglitt seinen weichen Fingern, und er konnte nicht einmal eine einfache Linie zeichnen. Da versuchte es der Eiserne Holzfäller, und siehe, es gelang! Er hatte gar nicht erwartet, daß er's so gut machen würde. Offenbar hatte er ein Talent zum Zeichnen.

Der Scheuch zog einen langen Faden aus seinem Rockschoß heraus, wickelte das Blatt mit der Zeichnung um das Bein der Krähe und befestigte es mit dem Faden. Kaggi-Karr nahm Abschied von ihren Freunden, schlüpfte durch das Gitter hinaus, lüftete die Flügel und verschwand in blauer Ferne.


DER NEUE HERRSCHER DES SMARAGDENLANDES

Nachdem Urfin die Smaragdenstadt erobert hatte, sann er lange nach, welchen Titel er sich

zulegen solle. Er entschloß sich für folgenden: Urfin der Erste, mächtiger König der

Smaragdenstadt und der anstoßenden Länder, Herr der Stiefel, die das Weltall treten.

Als erste vernahmen Meister Petz und Guamoko den neuen Titel. Der einfältige Bär brach

in Begeisterung aus, während die Eule ihre gelben Augen zukniff und nur kurz bemerkte:

„Laß uns vorerst hören, wie die Hofleute den Titel aussprechen."

Urfin folgte dem Rat. Er rief Ruf Bilan und andere Höflinge des höchsten Ranges in den

Thronsaal und sagte voller Stolz den Titel auf. Dann befahl er Bilan:

„Wiederholt jetzt, Herr Oberster Zeremonienmeister, meine Worte!"

Der Dickwanst bekam unter dem strengen Blick seines Herrschers einen roten Kopf und

murmelte:

„Urfin der Erste, mächtiger König der Smaragdenstadt und der angestoßenen Länder, Herr der Stiefel, die ins Weltall treten . . ." „Schlecht, sehr schlecht!" sagte Urfin streng und wandte sich an den nächsten. „Sagen Sie's, Herr Aufseher der Läden, der städtischen Händler und der Bauchläden der Marktweiber!" Stotternd sprach der Höfling:

„Ihr Name ist Urfin der Erste, Herrschaftskönig der Smaragdenstadt und der umgestoßenen Länder, Herr der Stiefel, die aus dem Weltall treten . . ."

Da hörte man ein ersticktes Husten der Eule, die vor verhaltenem Lachen zu bersten drohte.

Zornrot jagte Urfin die Höflinge aus dem Saal.

Wieder sann er mehrere Stunden und entschied sich schließlich für folgenden Titel: „Urfin der Erste, der mächtige König der Smaragdenstadt und des ganzen Wunderlandes." Er ließ die Hofleute rufen, die die Prüfung diesmal gut bestanden. Der neue Titel wurde dem Volk verkündet mit der Warnung, jede Entstellung werde als Landesverrat angesehen und streng geahndet.

Aus Anlaß der Titelverleihung sollte ein grandioses Volksfest stattfinden. Ruf Bilan und General Lan Pirot wußten, daß kein Einwohner der Stadt und Umgebung freiwillig zu diesem Fest kommen würde, und trafen daher Maßnahmen. Nachts vor dem Fest, als alle Bürger noch schliefen, gingen die Holzköpfe in die Häuser, rissen die Leute aus dem Schlaf und schleppten sie auf den Schloßplatz. Dort konnten sie ganz nach Belieben weiterschlafen oder wach bleiben, aber den Platz durfte niemand verlassen. Als Urfin in prächtiger Königstracht auf dem Balkon des, Schlosses erschien, stand eine Menge Volk auf dem Platz. Man hörte aber nur ein schwaches „Hurra", das Urfins Kumpane und seine Holzsoldaten anstimmten.

In diesem Augenblick setzte das Orchester ein. Es war aber nicht das Orchester, dessen liebliches Spiel das ganze Land bewundert hatte. Die Musikanten hatten sich trotz aller Drohungen geweigert zu spielen, und Urfin ließ ihre Instrumente unter die Hofleute und Holzsoldaten verteilen. Die letzteren erhielten Schlaginstrumente - Trommeln und Pauken - und die Hofleute Blasinstrumente - Trompeten, Flöten und Klarinetten. Aber wie kläglich spielte dieses auf Befehl der Obrigkeit zusammengewürfelte Orchester! Die Trompeten krächzten, die Klarinetten heulten, die Flöten fauchten wie wilde Katzen, und die Trommeln und Pauken kamen jedesmal aus dem Takt. Die Holzköpfe hämmerten so beflissen auf die Trommeln ein, daß die Felle platzten, und bald gaben sie keinen Laut mehr von sich. Die bronzenen Becken zerbrachen und schepperten heiser. Heiterkeit bemächtigte sich des Volkes. Die Leute preßten die Hände vor den Mund, konnten aber das Lachen nicht unterdrücken, das schallend aus ihnen hervorbrach. Manche fielen sogar um und wanden sich wie in Krämpfen.

Der Hofchronist schrieb später, daß diese Heiterkeit von der Freude herrührte, die das ganze Volk über die Thronbesteigung des mächtigen Königs Urfin des Ersten empfunden hatte.

Nach der Zeremonie wurden alle Anwesenden zu einem Schmaus in das Königsschloß geladen.

Gingema hatte seinerzeit mit Vergnügen die üblichen Gerichte der Zauberer - Mäuse und Blutegel - gegessen, Urfin aber konnte es trotz des Zuredens der Eule nicht über sich bringen, auch nur einen Blutegel oder eine Maus zu verzehren. Er hatte sich statt dessen aber einen Trick ausgedacht:

Noch vor dem Schmaus bestellte er den Koch Baluol zu einer längeren Unterredung unter vier Augen. Als der Dicke fortging, schnitt er schreckliche Grimassen, und es kostete ihn ungeheure Anstrengung, ein Lachen zu unterdrücken. Er hätte viel darum gegeben, jemanden in das Geheimnis einweihen zu dürfen, das ihm Urfin anvertraut hatte. Er hütete sich aber, es auszuplaudern, denn Urfin hatte ihm das unter Todesstrafe verboten. Baluol schickte die Küchenjungen fort, verschloß die Türen und bereitete die Speisen, die der Herrscher gefordert hatte.

Der Schmaus ging seinem Ende entgegen, die Hofleute hatten schon unzählige Gläser auf die Gesundheit ihres Herrschers geleert.

Urfin saß zu Häupten des Tisches auf Goodwins Thron, der aus dem Thronsaal herbeigeschafft worden war, damit jedermann die Größe des Eroberers sehe. Die Smaragden waren

längst überall herausgebrochen worden, nur die im Thron eingefaßten hatte man nicht angerührt, und jetzt ließ ihr Gefunkel das finstere Gesicht des Diktators noch abstoßender erscheinen.

Auf der Lehne des Throns hockte mit schläfrig zusammengekniffenen Augen die Eule. Daneben stand Meister Petz, der die Anwesenden scharf im Auge behielt. Er war bereit, sich aufjeden zu stürzen, der es dem Herrscher gegenüber an Respekt fehlen lassen sollte. Plötzlich tat sich die Tür auf, und herein trat der Koch mit zwei Tellern auf einem goldenen Tablett.

„Die Lieblingsspeisen Eurer Majestät!" meldete er laut und stellte das Tablett vor den König hin.

Den Hofleuten drehte sich der Magen um, als sie die Speisen sahen. Auf einem Teller türmten sich geräucherte Mäuse mit geringelten Schwänzchen, auf dem anderen lagen schwarze schlüpfrige Blutegel. Urfin sagte:

„Wir Zauberer haben einen besonderen Geschmack, und er wird euch einfachen Menschen vielleicht etwas merkwürdig vorkommen . . ." Meister Petz brummte:

„Ich möchte den Kerl sehen, dem der Geschmack unseres Herrschers merkwürdig vorkommet!"

Grabesstille herrschte im Saal, als Urfin mehrere geräucherte Mäuse hintereinander verzehrte und dann einen Blutegel, der sich unter seinen Fingern wand, an den Mund führte.

Alle Anwesenden blickten zu Boden, ausgenommen den Obersten Zeremonienmeister Ruf Bilan, der den Herrscher unterwürfig anstarrte.

Wie würden sich die Zuschauer dieses Schauspiels gewundert haben, hätten sie das Geheimnis des Königs und seines Kochs gekannt! Die Zauberspeisen waren nämlich nur eine geschickte Fälschung: Baluol hatte die Mäuse aus zartem Kaninchenfleisch zubereitet und die Blutegel aus süßem Schokoladeteig gebacken, und wenn diese sich wanden, so nur dank den flinken Fingern Urfins.

Urfin wollte durch dieses Schauspiel zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Erstens der Eule vortäuschen, daß er jetzt ein echter Zauberer sei, und zweitens seine Untertanen in Angst und Staunen versetzen.

Beides gelang ihm. Die Eule, die bei Kerzenlicht schlecht sah, fiel auf den Schwindel herein und nickte beifällig. Auch auf die Hofleute und Räte verfehlte das Schauspiel seine Wirkung nicht.

Nach dem Schmaus erzählten sie zu Hause ihren Angehörigen, was sie gesehen und gehört

hatten, und dabei fehlte es, natürlich nicht an Übertreibungen.

Bald verbreitete sich das Gerücht im Lande, der Zauberer Urfin habe beim Festmahl

lebende Eidechsen und Schlangen gegessen, und das erfüllte die Bürger mit Abscheu und

Entsetzen.

Drei Tage nach dem Schmaus legte der Hofchronist eine große Abhandlung vor, in der er unumstößlich bewies, daß Urfin ein direkter Nachfahre der alten Könige sei, die einst über das ganze Wunderland geherrscht hatten.

Daraus zog der Chronist zwei wichtige Schlüsse. Erstens, daß Urfin nach verbrieftem Recht das Erbe der alten Herrscher angetreten habe, und zweitens, daß die Zauberinnen Stella und Willina rechtswidrig Urfins Erblande an sich gerissen hätten, aus welchem Grunde die dreisten Landräuberinnen mit Krieg überzogen und vertrieben werden müßten. Als Lohn für sein Werk erhielt der Chronist einen silbernen Becher, der einem Kaufmann weggenommen und noch nicht an die Schatzkammer des Schlosses abgeliefert worden war.

Urfin beschloß, eine Polizeitruppe aufzustellen, die die Leute bespitzeln und die Unzufriedenen festnehmen sollte. Die Soldaten waren ihm für dieses Amt zu ungeschickt. Er fertigte den ersten Polizisten an und beauftragte seine Gehilfen, ihn bei der weiteren Arbeit als Modell zu benutzen. Binnen kurzer Zeit überschwemmte die Polizei Stadt und Land.

Die Polizisten waren dünner und schwächer als die Soldaten, hatten aber lange, flinke Beine und riesige Ohren zum Horchen. Ihre Arme bestanden aus Baumwurzeln, deren Endverästelungen die Finger bildeten. Manche Polizisten hatten ihrer sieben bis zehn an jeder Hand, was Urfin für einen großen Vorteil hielt, da sie so ihre Opfer besser packen konnten. Er bewaffnete die Polizisten mit Schleudern, in deren Handhabung sie es bald zu großer Fertigkeit brachten.

Der Polizeichef hatte längere Beine und Arme und mehr Finger an den Händen als seine Untergebenen und durfte, wie der Oberste Zeremonienmeister, jederzeit bei Urfin zur Berichterstattung erscheinen.

Im Keller des Schlosses arbeiteten Tag und Nacht zwei ehemalige Soldaten, ein grüner und ein blauer, die zu Gefreiten befördert worden waren. Die Tischlerarbeit ging ihnen flott von der Hand, und bald hatten sie in einer Ecke der Werkstatt ganze Stapel hölzerner Soldatenrümpfe aufgeschichtet. Daneben lagen Haufen von Holzkugeln für die Köpfe. Für jeden Zug wurde ein Unteroffizier aus Mahagoniholz angefertigt. Abends schloß sich Urfin in einem besonderen Zimmer ein, wo er die Gesichter in die Kugeln schnitt und ihnen Augen aus grünen, roten und lila Glasknöpfen einsetzte. Er befestigte die Köpfe auf den Rümpfen und bestreute die Soldaten mit dem Zauberpulver. Dann wurden die neuen Mannschaften bemalt und nach dem Trocknen der

Farben auf den Hof gebracht, wo die Unteroffiziere und der Palisandergeneral (dessen Kopf Urfin inzwischen repariert und blankpoliert hatte) sie zu drillen begannen. Zug auf Zug marschierten die Soldaten unter Anführung der Unteroffiziere im Paradeschritt zum Tor hinaus . . .

Urfins Armee war jetzt fast 120 Mann stark. Soldatenpatrouillierten ständig in der Stadt und ihrer Umgebung. Mehrere Züge wurden in das Blaue Land der Käuer und das Violette Land der Zwinkerer ausgesandt, damit die Statthalter das Volk in Zucht und Ordnung halten konnten.


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