Dritter Teil Der Sieg

GEGEN DEN FEIND

Enkin Fled, Urfins Statthalter im Lande der Zwinkerer, war ein kleiner dicker Mann mit rotem struppigem Haar. Er war mit einem Zug violetter Soldaten unter Führung von Unteroffizier Elved in das Land eingefallen und hatte es leicht erobert, denn die Zwinkerer waren zwar großartige Schmiede und Schlosser, besaßen aber noch weniger Kampfgeist als die Käuer.

Nach der Einnahme des Violetten Schlosses jagte Enkin die Dienerschaft fort, die schon zu Bastindas Zeiten dort gewesen war, und behielt nur die Köchin Fregosa, die schmackhafte Speisen zu bereiten verstand, was dem Statthalter sehr gefiel, da er gern viel und gut aß. Im Lande der Zwinkerer überkam Fled plötzlich eine unbezwingbare Gier nach Waffen. Wenn er einen Dolch oder einen Degen sah, begannen seine Augen fiebrig zu glänzen. Nachdem Einzug in das Violette Schloß befahl er den Landesbewohnern, alle Schwerter, Dolche und Messer, selbst die Küchenmesser, bei ihm abzugeben. Zu diesem Befehl veranlaßte ihn auch der Umstand, daß er einen Auf stand befürchtete und das Volk daher entwaffnen wollte.

Die Zwinkerer besaßen keine Schwerter. Unter den abgelieferten Gegenständen fand Enkin Fled aber zwei alte Dolche, die ihn durch den Glanz der Klingen und die kunstreich geschnitzten Griffe entzückten. Der Statthalter bestellte die besten Schmiede des Landes zu sich.

„Woher kommt das?" fragte er sie und zeigte auf die Dolche.

„Sie sind aus alten Zeiten, als noch in unserem Lande Kriege geführt wurden", erwiderte

der Älteste der Schmiede.

„Könnt ihr solche Dolche machen?"

„Wir sind schon mit viel schwierigeren Arbeiten fertig geworden", erwiderte der Meister. „Wir haben unseren Herrscher, den Herrn Holzfäller, repariert, obwohl er einen sehr komplizierten Mechanismus hat. Aber wozu braucht Ihr denn Dolche, Fleisch läßt sich ja viel besser mit einem Küchenmesser schneiden?" Enkin Fled duldete jedoch keinen Widerspruch.

„Mund halten!" schrie er und trampelte mit den Füßen, worüber die erschrockenen Zwinkerer noch schneller mit den Lidern zwinkerten. „Ihr macht mir fünf, nein, zehn solcher Dolche, und daß mir jeder ein anderes Schnitzmuster hat! Ich geb euch eine Woche Frist. Wenn ihr's bis dahin nicht schafft, sollt ihr mich kennenlernen!" Die Schmiede legten alle anderen Arbeiten beiseite und brachten zum Termin die Dolche ins Schloß. Fled hing sie an die Wand in der großen Schloßhalle auf einen Teppich und ergötzte sich an dem Anblick. Dann sagte er sich aber, daß mehr Dolche das Bild noch viel eindrucksvoller machen würden.

Von jenem Tag an gab er den Schmieden keine Ruhe. Sie durften nichts anderes tun, als Dolche, Schwerter, Säbel und Degen herstellen . . .

Der Statthalter verbrachte ganze Tage in der Halle, wo er seine Waffensammlung ständig neu ordnete . . .

Bald nahm er ein Schwert, bald einen Dolch in die Hand und begann, die kurzen Beine gespreizt, in der Luft herumzufuchteln. Dabei stellte er sich vor, daß er mit einem Zauberer oder einem schrecklichen Ungeheuer kämpfe.

In Wirklichkeit fürchtete er sich aber selbst vor einem Schaf, und nur unter dem Schutz der grimmigen Holzköpfe fühlte er sich sicher.

Elli und ihre Gefährten zogen auf dem gleichen Weg nach Osten, der sie im vorigen Jahr zu Bastinda geführt hatte. Jetzt sollten sie sich jedoch mit einem anderen Feind messen, mit Enkin Fled und seinen Holzköpfen.

Ellis Befreiungsarmee bestand aus nur zwei Kämpfern: dem Eisernen Holzfäller und dem Tapferen Löwen. Freilich wogen deren Mut und Kraft viele einfache Soldaten auf. Die Schar überwand schnell das steinige Hochland, das zwischen dem Smaragdenland und dem Land der Zwinkerer lag.

Freudig lauschte der Eiserne Holzfäller den Schlägen seines Herzens, während der Scheuch Rechenexempel im Kopf löste, die Elli ihm aufgeben musste. Schließlich kamen sie an den Ort, wo der Eiserne Holzfäller vor einigen Monaten bei der Arbeit unterbrochen worden war, als er eine Straße zur Smaragdenstadt anlegte. An dieser Stelle hatte Kaggi-Karr dem Holzfäller die Botschaft des Scheuchs überbracht, hier lag auch noch der Hammer, den der eiserne Mann weggeworfen hatte, als er seinem Freund zu Hilfe eilte. Niemand brauchte den Hammer, auch hätte ihn niemand außer dem Eisernen Holzfäller aufheben können.

Jetzt ergriff er ihn wieder und schwang ihn in der Luft, daß es nur so pfiff. Die Gefährten schauten dem Holzfäller bewundernd zu. „Dafür langt meine Kraft noch", sagte der eiserne Mann schlicht. „Die Holzköpfe sollen sich aber in acht nehmen?" rief drohend der Scheuch.


ULTIMATUM

Dort, wo die gute Straße zum Violetten Schloß begann, wollte die Schar vor dem Kampf ausruhen. Kaggi-Karr schickte sich an, einen kleinen Spatzen, der im Gras Körner pickte, auf Kundschaft auszusenden, überlegte sich's aber, weil ihr die Aufgabe für einen Spatzen zu verantwortlich schien.

„Ich fliege lieber selber hin", sagte sie, „und schaue mal nach, wieviel Soldaten Urfin hergeschickt hat." Die Krähe lüftete bereits die Flügel, als Din Gior, den der Scheuch zum Feldmarschall befördert hatte, ihr zu warten gebot.

„Wir müssen dem Feind eine Herausforderung schicken", sagte er, seinen wallenden Bart kämmend.

„Es ist besser, wenn wir ihn unerwartet überfallen", entgegnete Kaggi-Karr. „Überraschung entscheidet oft den Ausgang des Kampfes."

„Was der Feldmarschall sagt, ist richtig", mischte sich der Scheuch ein. „Wir tun besser daran, den Feind auf offenem Feld zu begegnen, sonst könnte er sich in seinem Schloß verrammeln und wir müßten es belagern, was gar nicht so einfach ist. Ich weißes aus eigener Erfahrung."

„Und wenn sich Enkin Fled nicht auf offenem Felde schlagen will?" fragte Charlie Black, der zum Stabschef ernannt worden war.

„Wir werden ein Schreiben an ihn richten, das wird ihn dazu veranlassen", versicherte der Feldmarschall „Ich kenne Fled, er ist schrecklich eitel." Der Oberbefehlshaber und seine Gehilfen setzten sich hin, die Herausforderung abzufassen. Sie stritten lange über den Wortlaut, doch schließlich einigten sie sich und schrieben ihn auf ein Blatt Papier, das sich bei Charlie Black gefunden hatte. Kaggi-Karr brach, den Brief im Schnabel, zum Violetten Schloß auf.

Zum hundertsten Male wohl hängte Enkin Fled seine Waffen um, als die Köchin Fregosa eintrat.

„Herr Statthalter", sagte sie, „ein Perla . . . Parlai . . . Perlaturmar wünscht Euch zu sprechen."

„Wer?" brüllte Fled, ungehalten über die Störung.

„Ich hab's nicht verstanden", sagte Fregosa zurückweichend. „Aber jemand will Euch sprechen."

„Laß ihn rein!" befahl der Statthalter und nahm vorsichtshalber einen scharfen Dolch in die Hand.

Die Tür öffnete sich, und in den Saal stelzte mit wichtiger Miene die Krähe. Fled begann zu lachen.

„Ha-ha-ha, du bist also der Perlamantur?"

„Verzeihung", entgegnete Kaggi-Karr eisig, flog auf den Tisch und legte den Brief neben sich. „Ich bin der Parlamentär des Oberbefehlshabers Din Gior." Enkin war über die klare Sprache der Krähe so verblüfft, daß er den Vogel mit „Sie" anzureden begann.

„Aber hören Sie mal, wer ist denn dieser Oberbefehlshaber Din Gior? Ich kenne nur eine Armee, die meines Herrschers, des mächtigen Königs Urfin I., deren Befehlshaber General Lan Pirot ist."

„Lest dieses Ultimatum, und Ihr werdet alles verstehen", erwiderte Kaggi-Karr kurz und flog auf den Schrank, wo sie sich sicherer fühlte.

Enkin entfaltete das Blatt, und als er zu lesen begann, bekam er einen roten Kopf. Das Schreiben lautete:


ULTIMATUM"

Wir, die Unterzeichner, der Weise Scheuch, Herrscher der Smaragdenstadt, und Feldmarschall Din Gior, der Oberbefehlshaber der Befreiungsarmee, stellen Euch, Enkin Fled, Statthalter des sogenannten Königs Urfin I, anheim, Eure Soldaten zu entwaffnen und uns das Violette Schloß kampflos zu übergeben. Tut Ihr es, wird die Strafe für den von Euch begangenen Hochverrat lediglich darin bestehen, daß Ihr zehn Jahre lang Steine zerkleinern und die Straßen im Lande der Zwinkerer pflastern werdet. Lehnt Ihr aber dieses für Euch vorteilhafte Angebot ab, so fordern wir Euch auf, uns auf offenem Feld entgegenzutreten. Obwohl wir Euren Streitkräften nur einen einzigen Kämpfer entgegenzustellen haben, glauben wir fest an unseren Sieg, denn wir kämpfen für die Freiheit, gegen Euren Herrscher, den Thronräuber, der sich König Urfin nennt.

IM AUFTRAG DES WEISEN SCHEUCHS UND DES FELDMARSCHALLS DIN GIOR GEZEICHNET VON CHARLIE BLACK."

Enkin wand sich vor Lachen.

„Hört! Hört! Eine Armee! Aus einem einzigen Soldaten! Ein Soldat und ein Haufen von Befehlshabern! Und dabei bilden sie sich ein, mich, den Statthalter Seiner Majestät, des mächtigen Königs Urfin I, schlagen zu können! So eine Frechheit! Mir, Enkin Fled, anheimzustellen, ich soll mich ergeben und Straßen pflastern gehen. Ha-ha-ha! He, Sie! Parlamentär! Bestellen Sie Ihren Herren, daß ich ihnen auf offenem Feld entgegentreten, sie zerschmettern und gefangennehmen werde. Ja, sie sollen bei mir Steine zerkleinern und die Straßen pflastern!"

Darauf hatte Kaggi-Karr nur gewartet. Sie verließ augenblicklich das Schloß, während der Statthalter den Unteroffizier Elved zu sich rief und ihm befahl, seine Soldaten in Gefechtsordnung aufzustellen.

Der Eiserne Holzfäller erwartete den Feind auf offenem Feld, etwa eine Meile vor dem Violetten Schloß. Er stand ungezwungen da, den Hammer bei Fuß, und sah durchaus nicht wie ein gefährlicher Gegner aus. Elli, Totoschka, der Scheuch, Charlie Black, Din Gior und Faramant befanden sich unbewaffnet in einiger Entfernung. Allerdings hielt der Seemann sein Lasso wurfbereit.

Der Tapfere Löwe, dessen Fell vom gelben Sand nicht zu unterscheiden war, hatte sich hinter einem Felsen verborgen und war bereit einzugreifen, falls Enkin Fled List und Tücke anwenden sollte.

Die Erde erdröhnte unter dem Gestampfe der herannahenden Holzköpfe. Als sie den einsamen Gegner erblickten, verzogen sich ihre grimmigen Gesichter zu einem triumphierenden Grinsen, und die roten Glasaugen begannen blutrünstig zu funkeln. Dem Zug voran schritt der rotgesichtige Unteroffizier Elved, und als letzter Enkin Fled, der Statthalter, der in einer Hand ein Schwert und in der anderen einen Dolch schwang.

EINER GEGEN ELF

Rregosa hatte dem Gespräch zwischen dem Statthalter und der Krähe gelauscht, und die Kunde, daß Urfins Holzköpfe sic h mit einem Kämpfer der Befreiungsarmee schlagen würden, verbreitete sich schnell im ganzen Lande. Zwinkerer und Zwinkerinnen strömten in Scharen zur Kampfstätte und verbargen sich hinter den Felsen. Liebevoll schauten sie zum Holzfäller, ihrem ehemaligen Herrscher, hinüber.

Als Enkin Fled des eisernen Mannes ansichtig wurde, tief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Er wußte, wie stark der Gegner war, hoffte aber dennoch, ihn zu besiegen. Erstens, weil der Holzfäller seine Axt nicht bei sich hatte, und zweitens, weil er gegen eine Übermacht von elf Mann zu kämpfen haben würde.

Als sich die Gegner gegenüberstanden, befahl Elved seinen Soldaten, den Feind einzukreisen und ihn mit den Holzknüppeln niederzuschlagen, während er selbst im Hintergrund blieb.

Eine erbitterte Schlacht begann. Die Knüppel trafen den eisernen Körper des Holzfällers und beulten ihm Rücken, Brust und Arme ein, doch das waren keine lebensgefährlichen Verwundungen. Der riesige Hammer des Holzfällers hingegen zerschmetterte mit jedem Treffer einen Holzkopf. Nach zehn wohlgezielten Schlägen hatte sich der Zug der Soldaten in einen Haufen Kleinholz verwandelt, das nur noch zum Ofenheizen zu verwenden war. Der letzte Soldat jedoch konnte, bevor er zusammenbrach, einen so wuchtigen Schlag gegen die Brust des Holzfällers führen, daß das Blechstück herausflog, das von Goodwin seinerzeit an der Stelle angebracht worden war, wo er dem eisernen Mann das Herz eingesetzt hatte. Der Riese wankte, und jeder konnte sehen, wie in seiner Brust das rote seidene Herz zuckte. Ehe er seine Fassung wiedererlangte, hatte sich Unteroffizier Elved, der heil geblieben war, da er am Kampf doch nicht teilgenommen hatte, von hinten an ihn herangeschlichen, eine Keule aufgehoben, und dem Holzfäller einen furchtbaren Hieb in den Rücken versetzt. Das Herz löste sich und flog in den Sand, und der eiserne Mann stürzte zu Boden. Seine letzten, kaum hörbaren Worte waren: „Ach, mein armes Herz!" Unteroffizier Elved brüllte vor Freude, und Enkin Fled schrie ihm frohlockend zu: „Schlag ihn tot! Zerschmettre den Scheuch! Hau den Feldmarschall zusammen! Pack die kleine Fee, ihre Anführerin!"

Da eilten der Scheuch, Charlie Black und die anderen herbei, um das Mädchen mit ihren Leibern zu schützen. Hinter dem Stein sprang der Löwe hervor, doch da die Entfernung zu groß war, konnte er nicht rechtzeitig eingreifen. Mit erhobener Keule raste der wutschnaubende Unteroffizier auf das Mädchen zu, und Kaggi-Karr, die sich ihm mit flatternden Flügeln entgegenwarf, vermochte nichts auszurichten. In diesem Augenblick Schoß ein kleines Männchen, das sich hinter einem Stein verborgen hatte, wie ein Pfeil dem Unteroffizier entgegen. Dieses Männchen, das als der beste Schmied im Lande der Zwinkerer bekannt war, warf sich Elved vor die Füße, so daß deser hinfiel und sich ein paarmal überschlug. Er sprang aber sogleich wieder auf und holte zu einem furchtbaren Schlag gegen den kühnen Zwinkerer aus. Da schwirrte das Lasso durch die Luft, und die Schlinge umfing Elveds Arme. Charlie, Faramant und Din Gior zogen das Seil mit einem Ruck an, und der rotgesichtige Unteroffizier stürzte in den Sand.

Dutzende Zwinkerer und Zwinkerinnen, die gespannt den Kampf verfolgt hatten, strömten auf das Feld, fielen über den Unteroffizier her, entwaffneten und fesselten ihn. Andere stürzten sich auf Enkin Fled, entrissen ihm Schwert und Dolch, von denen er übrigens gar keinen Gebrauch zu machen versuchte.

Damit wurde Urfins Herrschaft im Violetten Lande ein Ende gemacht.

Schwere Steine in den erhobenen Händen, umstanden die Zwinkerer den Statthalter und

seinen Unteroffizier.

„Tötet sie nicht!" rief da der Scheuch. „Wir müssen Gericht über sie halten."

Enkin Fled, bleich und an allen Gliedern bebend, warf sich auf die Knie.

„Im ... Ul ... Uul-ti-ma-tum ... stand ...", stotterte er, „wenn ich mich er-ge-be . . . zehn

Jahre Stra ... Straßen pflastern ... Ich er-ge-be mich ... o ... bit-te!"

„Elender Lump!" herrschte ihn Din Gior an. „Zweifacher Verräter! Erst hast du dein Volk

verraten, indem du in den Dienst des Tyrannen tratest, und heute wolltest du unbewaffnete

Menschen, die ehrlich kämpften, auf niederträchtige Weise erschlagen lassen! Mit

Straßenpflastern kommst du nicht davon, das wäre zu milde für dich!" Dann gab er Befehl,

die Gefangenen wegzuschaffen.

Mit Tränen in den Augen bemühte sich Elli um den leblosen Holzfäller. Sie gab sich aber nicht der Verzweiflung hin, wußte sie doch, daß die Zwinkerer, die geschickte Schmiede waren, ihr helfen würden. Sie hatten ja den eisernen Mann schon einmal wiederhergestellt, als es um ihn noch schlimmer stand als heute. Sie nahm das seidene Herz behutsam in die Hand, pustete den Sand davon ab und beschloß, es vorläufig aufzubewahren. Charlie, der sich über den Holzfäller gebeugt hatte, sagte: „Bei den Menschenfressern von Kuru-Kusu und allen ihren

dreitausenddreihundertdreiunddreißig Göttern, der Mann hat sich wie ein wahrer Held geschlagen. So einer kann doch nicht einfach mausetot sein!" ,,O nein!" rief Lestar, der Schmied, der den Unteroffizier zu Fall gebracht hatte. „Wir haben ja schon Erfahrung in der Reparatur des Herrn Gebieters. Drei Tage Arbeit, und er wird wieder wie neu sein . .. Allerdings, wenn nicht irgendwelche Teile verlorengegangen sind", fügte er hinzu, „sonst wird die Reparatur länger dauern."

Die jubelnden Zwinkerer geleiteten die Fee des Rettenden Wassers, wie sie das Mädchen nannten, ins Schloß. Unterwegs zwinkerten die Leutchen so beflissen, daß die Tränen ihnen aus den Augen rannen und sie fast nichts mehr sahen. Dabei rühmten sie sich stolz, daß sie das der Fee gegebene Gelübde, sich dreimal am Tag zu waschen, mit größter Gewissenhaftigkeit selbst in der schweren Zeit der Herrschaft Enkin Fleds gehalten hatten. Das habe ihnen wohl auch zu dem Sieg über den Feind verholfen, sagten sie.


DIE WIEDERHERSTELLUNG DES EISERNEN HOLZFÄLLERS

Wie eine liebende Mutter nahm sich die gute Fregosa Ellis an. Zuerst führte sie sie in das Badezimmer und wusch sie in der großen Wanne, die weder Bastinda noch der Holzfäller je benutzt hatten, weil sie das Wasser fürchteten.

Dann wusch Fregosa das verstaubte Kleidchen des Mädchens und ihre Schleife. Totoschka, den die Köchin gleichfalls gewaschen hatte und dessen gekämmtes Fell jetzt seidig glänzte, bekam zum erstenmal, seitdem er das Land der Käuer verlassen hatte, wieder Milch zu trinken.

Elli erzählte der guten Frau von ihren Abenteuern, und Fregosa wunderte sich, wie sehr die Fee des Rettenden Wassers einem gewöhnlichen Mädelchen glich und wie gut es ihr tat, wenn man zärtlich zu ihr war.

„Ihr Zwinkerer seid ein braves Volk und lebt einträchtig miteinander", sagte das Mädchen. „Ja, wir leben einträchtig und helfen einander", erwiderte Fregosa. „Wir wollten auch den Leuten, die der Statthalter aus ihren Häusern vertrieben hatte, neue Häuser bauen. Aber jetzt werden sie gewiß in ihre früheren Häuser zurückkehren und wieder für ihren Herrscher sorgen. Obwohl", fügte die Köchin seufzend hinzu, „er unserer Sorge nicht bedarf. Er ißt ja nicht und trinkt nicht, und man braucht auch keine Wäsche für ihn zu waschen. Das einzige, worum er uns manchmal bittet, ist ein bißchen Öl zum Schmieren seiner Gelenke."

Die folgenden Tage vergingen in angespannter Erwartung der Wiederherstellung des Eisernen Holzfällers.

Dann kam der glückliche Tag, an dem er wieder strahlend vor seine Freunde trat. Die Zwinkerer hatten ihn so blank poliert, daß der Glanz seines Körpers die Augen der Menschen blendete. Er trug eine riesige Axt mit goldenem Stiel, und an seinem Gürtel hing eine kleine goldene Kanne, die mit dem besten Öl gefüllt war.

Die Handwerker hatten die goldene Axt. und die goldene Ölkanne nach dem Muster der alten angefertigt. Für den Scheuch hatten sie einen Spazierstock mit goldenem Knauf gemacht, der noch viel schöner war als jener, den der Strohmann im vorigen Jahr auf der Reise zur Zauberin Stella im Wasser verloren hatte. Der Scheuch wollte sich aber von dem Stock aus Mahagoniholz, den Charlie ihm geschenkt hatte, nicht trennen, und beschloß daher, sich beim Gehen auf beide Stücke gleichzeitig zu stützen. Dabei stolperte er jedoch oft und fiel sogar hin.

Elli riet ihm, die Stöcke jeden Tag zu wechseln.

„Daß ich selber auf diesen einfachen Gedanken nicht gekommen bin!" wunderte sich der Strohmann.

„Du hast eben keine Zeit dazu gehabt", versicherteElli.

„Für Totoschka hatten die Zwinkerer ein herrliches goldenes Halsband geschmiedet. Die schönsten Geschenke erhielt jedoch Elli: silberne Schuhe und einen goldenen Hut. Die Sachen sahen genauso aus wie die, welche sie im vorigen Jahr besaß, allerdings fehlte ihnen die Zauberkraft. Aber daran ließ sich nichts ändern.

Die Zwinkerer verstanden sich eben nicht aufs Zaubern.

Elli freute sich sehr über die Geschenke. Sie zog sogleich die Schuhe an und setzte das goldene Hütchen auf.

Die guten Zwinkerer hatten, wie wir wissen, eine große Schwäche für schöne und glänzende Dinge. Beim Verteilen der Geschenke übergingen sie natürlich auch Charlie Black nicht, den sie mit einem künstlichen Goldbein bedachten, das Holzbein war ja schon alt und abgenutzt! Din Gior erhielt einen goldenen Kamm für seinen Bart und einen Marschallstab mit Goldverzierung, Faramant einen goldenen Bleistift und ein Notizbuch in goldenem Einband, in das er seine Eintragungen über die Versorgung der Armee machen konnte. Kaggi-Karr erhielt niedliche goldene Reifen für ihre Beinchen. Der Seemann nahm das goldene Bein nicht an: Erstens, weil es zu schwer war, und zweitens, weil es sich an den Steinen rasch abwetzen würde. Gold ist ja ein weiches Metall. Statt dessen bat Charlie die Zwinkerer, ihm ein neues Bein aus sehr hartem Holz zu machen. Die Handwerker kamen seinem Wunsch nach und drechselten für ihn ein Bein aus Eisenholz, von dem sie behaupteten, es sei unverwüstlich. Din Gior und Faramant waren mit ihren Geschenken sehr zufrieden. Din Gior sagte, zu seinem hohen Feldmarschallamt habe ihm gerade so ein Stab gefehlt, denn einen Bart, wie er noch keinem Feldmarschall in der Welt gewachsen war, besitze er ja schon lange.

Der Scheuch aber tanzte um den wiederauferstandenen Holzfäller herum und sang dabei: „O-ho-ho-ho-ho! Der Eiserne Holzfäller ist wieder bei uns! O-ho-ho-ho!" Dabei befürchtete er gar nicht, sein Ansehen als Herrscher einzubüßen, denn die Zwinkerer waren ja nicht seine Untertanen.

Elli streichelte den blank polierten Rücken des Holzfällers.

Bei dieser Szene traten dem Löwen vor Rührung Tränen in die Augen. Als er sie mit seiner Schwanzquaste abwischte, wurde diese ganz naß, und der König der Tiere mußte sich auf den Hof begeben, um sie in der Sonne trocknen zu lassen.

Ein paar Tage später versammelten sich Elli, Charlie Black und die anderen, um Rat zu halten. Sie hatten auch mehrere Zwinkerer eingeladen. Man wollte überlegen, was zu unternehmen sei, um Urfins Holzarmee zu vernichten.

Die Zwinkerer, die Enkin Fleds Waffensammlung von der Wand genommen hatten, schlugen vor, die Hieb- und Stichwaffen - die Schwerter, Dolche und Lanzen - gegen Urfin einzusetzen.

„Ich glaube, sie werden uns gut zustatten kommen, wenn wir gegen Urfin ins Feld ziehen", sagte Din Gior, der sich mit dem goldenen Kamm bedächtig den Bart kämmte. „Man gestatte auch mir, meine bescheidene Meinung zu äußern", ließ sich da Lestar hören. „Schwerter und Dolche kann man brauchen, wenn richtige Menschen miteinander kämpfen. Doch was nützt es, wenn man das Schwert in einen Klotz aus Tannenholz stößt. Ich glaube, die besten Waffen gegen Urfins Armee wären Beile mit langen Stielen und harte Knüppel mit Eisenkugeln und Dornen am Ende. Gegen die Holzköpfe würden das sehr brauchbare Waffen sein." „Bravo! Bravo!" riefen alle Mitglieder des Kriegsrats.

Der Scheuch strengte wieder seinen klugen Kopf an und sagte mit wichtiger Miene: „Holz brennt im Feuer. Urfins Soldaten sind aus Holz. Also kann man sie verbrennen."

Alle staunten erneut über die Weisheit des Strohmannes, und Lestar erhielt den Auftrag, eine Vorrichtung zu bauen, mit der man Feuer gegen die Holzsoldaten schleudern könnte. Es sollte eine große, feuerspeiende Kanone sein. Vorerst aber wußte niemand, wie man mit Feuer schießen kann.

URFINS LETZTE SOLDATEN

Während Din Gior und Charlie Black die Zwinkerer für den Feldzug gegen Urfin ausbildeten, reifte auch im Smaragdenland ein Aufstand gegen ihn heran. Da aber in der Stadt und ihrer Umgebung ständig Holzsoldaten und Polizisten patrouillierten, versammelten sich die Leute nachts auf dem Felde oder in Hainen. Alle Vorbereitungen zum bewaffneten Aufstand wurden streng geheimgehalten.

Als Urfin von Ellis Auftauchen erfuhr, bestbloß er, möglichst viele neue Holzsoldaten zu machen, und zwar größere, stärkere und grimmigere als ihre Vorgänger. Urfins Gehilfen, die Gefreiten, brachten mehreren älteren Soldaten das Tischlerhandwerk bei, und in der Werkstätte wurde nun Tag und Nacht gearbeitet.

Urfin kümmerte sich jetzt wenig um das Äußere seiner Krieger. Es kam ihm einzig und allein darauf an, daß ihre Gelenke gut funktionierten, daß Arme und Beine sich leicht in den Scharnieren drehten und die Finger fest die Waffen umspannen konnten. Die Körper machte er aus ungehobelten Klötzen, und er nahm sich nicht einmal die Mühe, sie anzustreichen, denn die Zeit war knapp.

Die Ausarbeitung der Gesichter behielt Urfin sich selbst vor, denn die Tischler konnten ihnen beim besten Willen nicht das grimmige Aussehen geben, das er verlangte. Jeden Tag wurden drei bis vier Soldaten hergestellt, die Unteroffiziere nicht gerechnet, die einer feineren Bearbeitung bedurften, und das kostete Urfin so viel Mühe, daß er sich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten konnte.

Er ruhte nur 2-3 Stunden am Tag. Häufig schlief er an der Werkbank ein, und der Stichel entfiel seinen Händen. Sein Gesicht bekam tiefe Runzeln, die Wangen fielen ein, und die Augen unter den schwarzen, buschigen Brauen versanken noch tiefer in den Höhlen. Der Diktator sah furchtbar und jämmerlich aus. Seine Räte gingen ihm ängstlich aus dem Wege, wenn er für kurze Zeit die Werkstätte verließ und durch die Säle des Schlosses eilte. Die Zahl der Holzsoldaten betrug schon fast zweihundert, als sich etwas Schreckliches ereignete.

Urfin hatte gerade einen neuen Zug Holzsoldaten mit einem Unteroffizier aus Mahagoniholz angefertigt und wollte wie gewöhnlich eine Handvoll Zauberpulver aus der Büchse nehmen. Als er jedoch die Hand hineinsteckte, entdeckte er, daß nur eine dünne Schicht Pulver auf dem Boden der Büchse lag.

Schreckensbleich kippte Urfin die Büchse um - es war die letzte - und schüttete das Pulver auf die Werkbank. Der Inhalt reichte aber höchstens noch für die Belebung eines einzigen Soldaten. Urfin trommelte wie rasend auf den Boden des Gefäßes, bemüht, herauszuschlagen, was nicht mehr drinnen war. Dann stürzte er zu den anderen Büchsen, kippte und schüttelte auch sie, doch heraus kamen nur ein paar Körnchen.

Urfin war verzweifelt. Das Zaubermittel, das ihm solche Macht verliehen hatte, war

verbraucht. Jetzt besaß er nur, was er bisher geschaffen hatte . . .

Er hatte immer neue und neue Soldaten hergestellt, ohne daran zu denken, daß das Pulver

einmal ausgehen könnte, daß der Vorrat nicht ewig sei.

Nun erkannte er seinen entsetzlichen Irrtum.

Er wollte aber versuchen, mit dem Rest des Pulvers wenigstens die zehn Soldaten und den Unteroffizier, die letzten Reserven seiner Streitmacht, zu beleben. Sorgfältig teilte er das Pulver in elf Teile und bestreute damit die liegenden Figuren.

Wie gewöhnlich fing das Zaubermittel leise zu zischen und zu rauchen an und drang in das Holz ein. Urfin wartete. Es vergingen zehn Minuten, fünfzehn . . . Die Holzköpfe begannen sich zu rühren und ihre Glasaugen langsam zu drehen. Nach weiteren zehn Minuten versuchte der Unteroffizier, der etwas mehr vom Pulver bekommen hatte, aufzustehen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Urfin half ihm. Mit großer Mühe kam der Holzmann schließlich auf die Beine und stand schwankend da.

Das bißchen Pulver konnte solch großen Figuren nicht genügend Leben eingeben. Wieder vergingen fünfzehn Minuten, dann hatten sich auch die Soldaten mühsam erhoben. Urfin wollte sie in Reih und Glied ausrichten, es kam aber nur ein schwankender Haufen zustande, und die Soldaten mußten sich aneinander festhalten, um nicht umzufallen. Anderthalb Stunden brauchte der Zug, um bis zur Tür der Werkstätte zu gelangen. Um den Schloßhof zu überqueren, hätte er wahrscheinlich vierundzwanzig Stunden gebraucht. Urfin verzichtete jedoch darauf. Er rief einen Gefreiten herbei und befahl ihm, die sich kaum regenden Holzköpfe ins Feuer zu werfen.

DER SIEG

Unterdessen waren seit der Flucht der Gefangenen mehrere Wochen vergangen. Die schnellfüßigen Polizisten, die auf Kundschaft in das Violette Land ausgezogen waren, kehrten mit beunruhigenden Nachrichten zurück. In den Nächten hatten sie sich auf Schleichwegen den Versammlungsplätzen genähert und, in Schluchten und hinter Steinen verborgen, gelauscht, was die Leute sprachen. Auf diese Weise erfuhren sie, daß demnächst eine Armee aus mehreren Hundert Zwinkerern unter Führung des Scheuchs , des Eisernen Holzfällers, des Langbarts Din Gior und eines geheimnisvollen Riesen namens Holzfuß gegen Urfin antreten würde. Die Vorbereitungen seien in vollem Gange, erzählten sie, man arbeite an einer besonderen Waffe, die Zwinkerer würden unter Din Giors Leitung militärisch ausgebildet.

Urfin hielt die qualvolle Unruhe nicht länger aus und beschloß, eine Entscheidung herbeizuführen. Er ließ seinen Obersten Zeremonienmeister Ruf Bilan sowie den General Lan Pirot zu sich kommen und sagte zu ihnen:

„Ich habe beschlossen, meine Armee in den Kampf zu führen! Es ist an der Zeit, den Rebellen zu zeigen, wer der Herrscher im Wunderland ist."

Der Oberste Zeremonienmeister erbleichte. Er hatte als erster die Kundschafter ausgefragt und wußte über die Lage viel me hr, als er dem König mitzuteilen für ratsam hielt.

Bilan hatte begriffen, wie gefährlich es war, dem Feind auf offenem Felde entgegenzutreten, und hub vorsichtig an: „Mächtiger König, Herrscher . . ." „Ohne Titel'." fuhr ihn Urfin an.

„Zu Befehl! Der Feind ist sehr stark. Wäre es nicht besser, uns in der Stadt zu verbarrikadieren . . ."

„Elender Feigling!" brüllte Lan Pirot, die Augen rollend. „Meine tapfere Armee wird jeden Feind zerschlagen!"

„Richtig!" ermunterte ihn Urfin. „Lernt doch beim General, Herr Zeremonienmeister, was Tapferkeit ist!"

„Aber ich hab ermittelt, daß Din Gior . . ."

„Mund halten!! Wie sprecht Ihr zu mir? Wo sind meine Titel? Oder bin ich etwa nicht mehr König"?!"

Ruf Bilan schwieg verwirrt. Der Feldzug war beschlossen.

Eiligst wurde der Staub von den Holzköpfen abgebürstet, der General hielt eine markige Rede, und die Armee, bestehend aus hündertdreiundsechzig Soldaten, siebzehn Unteroffizieren und einem Palisandergeneral, brach in Richtung Osten auf. Die Soldaten stapften mit ihren Holzfüßen über das Backsteinpflaster, schwangen ihre Knüppel und schnitten entsetzliche Grimassen. Urfin ritt daneben auf deinem treuen Meister Petz. Die Armee übernachtete auf einem Feld. Soldaten und Unteroffiziere standen die ganze Nacht über in Reih und Glied und stierten in das Dunkel. Urfin wälzte sich unruhig auf seinem Lager. Am Morgen stand er völlig erschöpft auf. Er hatte schlimme Vorahnungen, doch ein Zurück gab es nicht.

Die Schlacht fand auf einem großen Feld des SmaragdenLandes statt. In der Ferne erblickte Urfin einen violetten Streifen, der immer größer und breiter wurde: Es war das Heer der Zwinkerer. An der Spitze hinkte der Riese Holzfuß, gefolgt von dem Mädchen, dem Scheuch, dem Eisernen Holzf älter, dem schwarzen Hündchen und dem Löwen, der sich mit dem Schweif grimmig die Flanken peitschte. An der Seite der Zwinkerer schritten der Langbart Din Gior und der Hüter des Tores.

Urfin erbleichte. Er wünschte jetzt, daß alles, was sich seit der Nacht zugetragen hatte, als der Sturm die Saat des unbekannten Unkrauts in seinen Garten geweht hatte, nur ein böser Traum wäre. Er hätte jetzt viel darum gegeben, in seinem friedlichen Häuschen aufzuwachen, von dessen Schwelle aus man die herrlichen schneebedeckten Gipfel sehen konnte . . .

„General! Gebt den Rückzugsbefehl!" schrie Urfin. „Wir werden uns in der Smaragdenstadt einschließen, mit unseren Kräften können wir einer langen Belagerung standhalten!"

„Kehrtmachen!" kommandierte Lan Pirot, und die Unteroffiziere wiederholten den Befehl. Die Holzarmee machte kehrt. Aber was war das? Urfin begann an allen Gliedern zu zittern: Hinter den grünen Häuschen traten, von Gras und Strauchwerk kaum zu unterscheiden, die aufständischen Einwohner des Smaragdenlandes hervor.

Städter und Farmer, mit Spaten, Heugabeln, Sensen, Zaunlatten und -pflöcken bewaffnet, überschwemmten das Feld. Urfins Armee war der Rückzug abgeschnitten. Die erste Reihe der Zwinkerer trat auseinander, und eine riesige Kanone wurde aufgefahren, die die tüchtigen Waffenschmiede Lestars aus einem dicken Baumstamm gefertigt hatten.

Die Holzköpfe erstarrten. General Lan Pirot sperrte den Mund auf, brachte aber kein Wort hervor.

Ein Zittern ging durch die Kanone, das immer stärker wurde, es folgte ein Schuß, das Rohr spie eine Rauchwolke aus, und auf die Köpfe der Holzsoldaten gingen brennende Fetzen, Stroh und Kehricht nieder.

Lestars Waffenschmiede warfen sich schreiend zu Boden. Das Pulver, das nach Charlies Rezept hergestellt worden war, erwies sich als zu stark für die Kanone, die gleich nach dem ersten Schuß auseinanderbarst. Aber dieser eine Schuß genügte, um Urfins Heer in heillose Verwirrung zu bringen. Entsetzt stoben die Soldaten auseinander. Schneller als alle anderen lief der General, der sich mit beiden Händen den polierten Kopf bedeckte, denn jetzt wußte er, was Feuer ist.

Die Zwinkerer nutzten die Panik des Gegners aus und stürzten den Holzköpfen nach, die ihre Waffen fortwarfen. Die gefangenen Soldaten Urfins wurden an Armen und Beinen gefesselt und zu einem Stapel geschichtet. Urfin wollte sich durch Flucht retten.

„Meister Petz, schnell zurück in die Smaragdenstadt!" schrie er seinem Getreuen zu. Aber in diesem Augenblick schwirrte Charlies Lasso durch die Luft und legte sich um die Brust des ehemaligen Herrschers.

Urfin stürzte zu Boden, und Meister Petz, dessen Kriegsrausch sich verflüchtigte, erhob sich auf die Hinterbeine und wartete demütig, daß die Zwinkerer ihn gefangennahmen. Charlie trat an Urfin heran und sprach:

„Freundchen! Du hättest ja so viel Gutes mit deinem Pulver tun können!" Urfin funkelte ihn aber nur böse an und sagte kein Wort.

Die Zwinkerer und die Bewohner des Smaragdenlandes aber umarmten sich, beglück­wünschten einander zu dem Sieg, tanzten und sangen frohe Lieder. Als die Bürger und Farmer des Scheuchs ansichtig wurden, stürzten sie auf ihn zu und hoben ihn auf die Schultern. Jubel durchbrauste die Luft:

„Es lebe der Weise Scheuch, unser Herrscher! Hoch der Herrscher der Smaragdenstadt!" Der Weise Scheuch, dessen Hände den Stock fest umklammert hielten, verbeugte sich stolz nach allen Seiten.

Er trug ein neues Kleid, und auf seinem Kopf saß ein breitkrempiger Hut mit goldenen Schellen, den die Zwinkerer eigens für ihn gemacht hatten. Jetzt strahlte der Herrscher der Srnaragdenstadt in seiner ganzen Pracht.

Ebenso stürmisch wie der Scheuch wurde auch der Eiserne Holzfäller geehrt. Man wußte, daß er ohne Zaudern seinem Freund zu Hilfe geeilt und mit ihm dann alle Qualen der Gefangenschaft geteilt, daß er sich heldenmütig mit Enkin Fleds Soldaten geschlagen und das Land der Zwinkerer befreit hatte.

Außerdem glänzte er ja so wunderbar, der Trichter auf seinem Kopf und die goldene Ölkanne am Gürtel funkelten, und die riesige Axt blitzte ...

Die Leute wollten auch ihn auf ihre Schultern heben, vermochten es aber nicht, weil er zu schwer war . . . Er schritt, lächelnd und sich verbeugend, zwischen den lärmenden Einwohnern des Smaragdenlandes, und ein jeder wollte sich an ihn herandrängen, um seinen strahlenden eisernen Körper wenigstens mit dem Finger zu berühren. Eine begeisterte Menge umringte Elli, die auf dem Rücken des Löwen saß. Alle wußten, daß dieses Mädchen eine Fee aus dem Land jenseits der hohen Berge und der Großen Wüste war und daß sie zum zweiten Male, diesmal nicht allein, sondern in Begleitung ihres Onkels Charlie Black, des Seemanns, in das Wunderland gekommen war. Die Bewohner des Wunderlandes hatten keine Ahnung, was Seeleute sind, denn sie besaßen keine Meere, aber sie hatten sich die beste Meinung von den Seeleuten gebildet, weil sie jetzt einen Vertreter dieser Zunft, nämlich Charlie Black, kannten, der so tapfer gegen den tückischen Urfin gekämpft hatte.

Alles gefiel ihnen an Charlie: seine riesige Gestalt, das von Wind und Wetter gebräunte Gesicht mit den kühnen, weit auseinanderstehenden Augen und dem gutmütigen Lächeln, ja selbst das Holzbein, das, nebenbei gesagt, die irrtümliche Vorstellung bei ihnen entstehen ließ, jeder Seemann müsse ein Bein aus Holz haben. Elli und Charlie wurden mit Blumen überschüttet, man drückte ihnen die Hände, und die Frauen umarmten und küssten das Mädchen, ohne die geringste Scheu vor dem Tapferen Löwen zu empfinden.

Natürlich erhielt auch dieser seinen Anteil an Lob und Glückwünschen, denn längst hatten alle erfahren, daß er auf Ellis Ruf aus seinem Waldreich ausgezogen und die lange Reise in das Land der Käuer unternommen hatte, wobei er nur wie durch ein Wunder den schrecklichen Säbelzahntigern entgangen war. Auch er hatte viel zur Befreiung des Scheuchs und des Holzfällers aus dem Kerkerturm beigetragen. Winzige Mädelchen gingen an der Seite des Tapferen Löwen, lösten die Schleifen aus ihren Zöpfen und flochten sie in seine Mähne ein, die bald von Tausenden Zäpfchen geschmückt war. Das Volk ehrte auch Din Gior, Faramant und Lestar. Man erinnerte sich, wie tapfer Din Gior und Faramant das Tor der Smaragdenstadt gegen Urfins Holzsoldaten verteidigt hatten, wie der kleine Lestar den Unteroffizier Elved zu Fall gebracht und dadurch Elli und ihre Gefährten vor dem Tod gerettet hatte . . .

Beinahe das größte Lob wurde jedoch Kaggi-Karr zuteil. Wer, wenn nicht sie hatte den Scheuch vor einem Jahr auf den Gedanken gebracht, sich nach einem Gehirn umzusehen, ohne das die Smaragdenstadt heute gewiß keinen so klugen, mit Stroh ausgestopften Herrscher besäße, den besten in der ganzen Welt? Wer, wenn nicht sie hatte unter schrecklichen Gefahren die Reise über Berge und Wüste in das unbekannte Kansas unternommen, um Elli und ihren Onkel herbeizuholen, die einzigen Menschen, die den Bösewicht Urfin zu besiegen imstande waren?

Geehrt wurde auch Totoschka, hatte er doch . . . Ja, eigentlich hatte er keine Heldentaten vollbracht, aber er war seiner kleinen Herrin so treu ergeben und stets bereit gewesen, sich für sie in jede Gefahr zu stürzen, daß er seinen Teil an Lob und Zärtlichkeit zweifellos verdiente. Die Leute nahmen ihn auf die Arme, streichelten sein weiches Fell, und die klugen schwarzen Äuglein des Hündchens strahlten vor Glück.

Dabei knurrte es in sich hinein:

„Jetzt sollte mich Hektor, der Prahlhans, sehen! . . . Ich bin überzeugt, solche Ehren wird der niemals erleben!"

Bis in den späten Abend hinein dauerte das Volksfest mit Liedern, Tänzen und Spielen. Als die Nacht hereinbrach, verabschiedeten sich die Zwinkerer und zogen in ihre Heimat. Der Eiserne Holzfäller ging aber nicht mit, denn er wollte bei Elli bleiben, solange sie sich im Wunderland aufhielt.

Die Bürger und Farmer des Smaragdenlandes übernachteten auf einer Wiese, und am Morgen traten sie in froher Stimmung den Heimweg an. Die entwaffneten Holzsoldaten und Polizisten nahmen sie in ihre Mitte.

Urfin ging allein, und niemand bewachte ihn. Die Leute mieden seine Nähe. Aber von düsteren Gesichtern und haßvollen Blicken umgeben, fühlte er sich jämmerlicher, als wenn man ihn in einen Kerker geworfen hätte.

Man hatte Urfin weder die Arme noch die Beine gefesselt, denn niemand befürchtete, daß er fliehen würde. Wer hätte ihn auch aufgenommen in einem Land, in dem ihn alle, selbst die Bäume und Steine, haßten?

WIEDER DIE GRÜNEN BRILLEN

Als sich die Schar der Smaragdenstadt näherte, erblickte Charlie Black dank seines hohen Wuchses als erster ein paar Leute in sonderbarer Haltung vor dem Tor. Bald konnte man erkennen, daß es die Aufseher des ehemaligen Königs waren, die dort knieten. Schon Tags zuvor hatten sie erfahren, daß Urfins Armee. zerschmettert worden sei, und beschlossen, sich freiwillig zu ergeben und Reue zu bezeigen, um die Sieger milder zu stimmen.

Nun demütigten sich die Verräter, in alten zerschlissenen Kleidern, die entblößten und mit Staub bestreuten Köpfe tief gebeugt. Ruf Bilan, der Lump, der seine Heimatstadt als erster an den Feind verraten hatte, war jedoch nicht unter ihnen.

Die Nachfragen ergaben, daß er schon gestern verschwunden war. Kleine Jungen, die am Tor spielten, hatten ihn in Richtung des Kerkerturms fliehen sehen, und es war anzunehmen, daß er sich dort verbarg.

Der Eiserne Holzfäller, Charlie und Lestar brachen, von einer neugierigen Menge begleitet, zum Turm auf.

Auf dem Vorplatz und im Turm war der ehemalige königliche Zeremonienmeister nicht zu

finden. Kleiderfetzen am Loch in der Tür deuteten aber darauf hin, daß er durchgeschlüpft

und in den unterirdischen Gangentkommen war, von dem er seinerzeit beider

Untersuchung der Fluchtdes Scheuchs und des Holzfällers erfahren hatte.

„Ich nehme die Verfolgung auf", sagte der Eiserne Holzfäller, mit dem Stiel seiner Axt auf

den Boden schlagend.

„Ich gehe mit!" rief Charlie Black.

„Ich auch", sagte Lestar.

Der Holzfäller lehnte jedoch ihre Hilfe ab.

Er ging den bekannten Weg, über den er mit dem Scheuch aus dem Kerkerturm geflohen war.

Aus dem langen Korridor trat er in die Höhle des Sechsfüßers. Laut hallte sein eiserner

Schritt im steinernen Gewölbe. Plötzlich gewahrte er, der im Dunkeln ebenso gut wie am

Tage sah, eine davoneilende kleine dicke Figur.

Es war Ruf Bilan, der, von Entsetzen gepackt, das Weite suchte.

Der Holzfäller schrie ihm nach:

„Bleib stehen, Wahnsinniger, du rennst ins Verderben!"

Der Flüchtling bog jedoch in einen Seitengang ein und verschwand im steinernen

Labyrinth. Lange suchte ihn der Holzfäller, konnte ihn aber nicht finden und kehrte um.

Von diesem Tag an blieb Ruf Bilan verschollen.

Mit dem Zeremonienmeister hatte auch die Eule das Schloß verlassen, denn sie erwartete für ihr Teil nichts Gutes von den Siegern. In der Stadt war man der Ansicht, Guamoko habe Urfin bei seinen bösen Zaubereien geholfen. In Wirklichkeit hatte sich dieser in den letzten Monaten aber kein einziges Mal an die Eule um Rat gewandt. Während sie auf Ruf Bilans Schulter saß, höhnte Guamoko:

„Ich hab mir schon immer gedacht, daß aus diesem Mann kein richtiger böser Zauberer wird. Hat er vielleicht jeden Tag Mäuse, Spinnen und Blutegel gegessen? Wovon sollte sich denn die Bosheit bei ihm ernähren? Ja, Gingema, die war eine richtige Zauberin! Urfin aber ist nur ein Schwätzer ..."

Guamoko verspürte keine Lust, Bilan in den Kerkerturm zu folgen. Als sie diesen erreicht hatten, erhob sich die Eule mit schwerem Flügelschlag und flog in den Nachbarwald. Dort nistete sie sich in der Höhlung einer riesigen Eiche ein und verlangte, daß die dortigen Eulen und Uhus ihr Tribut zollten. „Ich bin eine Schülerin Gingemas", verkündete sie, „und wenn ihr mir nicht gehorcht, werdet ihr es schwer zu büßen haben!" Die Drohung wirkte, und Guamoko wurde regelmäßig mit Mäusen und kleinen Vögeln versorgt. Wenn sie in guter Stimmung war, versammelte sie viele Zuhörer um sich und erzählte Geschichten aus dem abenteuerlichen Leben, das sie als Zauberin angeblich geführt hatte. Als der Eiserne Holzfäller mit seinen Gefährten zum Stadttor zurückkehrte, empfing sie der Glanz riesiger Smaragden, ein Gefunkel, das mit Ausnahme von Charlie Black alle von früher gekannt und beinahe vergessen hatten. Juweliere auf hohen Leitern und in Schwebekörben setzten in Tor und Mauern die Edelsteine wieder ein, die man aus den Schatzkammern des Schlosses geholt hatte. Die Smaragdenstadt erhielt ihr einstiges Aussehen zurück.

Unter dem Torbogen wurden die Ankömmlinge von Faramant empfangen, der seine grüne, mit Brillen gefüllte Tasche an der Seite trug.

„Bitte, setzt die grünen Brillen auf!" sagte der Hüter des Tores und öffnete die Tasche. „Ohne grüne Brillen ist das Betreten der Smaragdenstadt verboten - so lautete der Befehl Goodwins, des Großen und Schrecklichen! Als Goodwin sich zu seinem Freund, dem großen Zauberer Sonnenball, aufmachte, warnte er die Einwohner der Stadt davor, ihre grünen Brillen jemals abzunehmen. Ein Verstoß gegen dieses Gesetz werde schlimme Folgen für uns haben, sagte er damals. Wir haben sein Gebot verletzt, und schweres Unglück hat uns heimgesucht."

Ohne Widerrede setzten alle die Brillen auf. Wie wunderte sich aber Charlie Black, als ringsum alles zu funkeln und in den verschiedensten Schattierungen von Grün zu strahlen begann!

„Bei den Zähnen des Drachen!" rief der Seemann begeistert. „Elli hat recht gehabt, als sie sagte, die Smaragdenstadt sei die schönste in der ganzen Welt."

Der Eiserne Holzfäller und seine Freunde gingen die schattigen Straßen entlang durch das jubelnde Volk und kamen auf den Schloßplatz, wo die herrlichen Springbrunnen bereits sprudelten.

Der Graben um das Schloß war wie in alten Zeiten wieder mit Wasser gefüllt, die Brücke

hochgezogen. Wie einst stand wieder Din Gior auf der Mauer und kämmte mit goldenem

Kamm seinen wallenden Bart.

„Din Gior!" rief Lestar, „öffne das Tor!"

Keine Antwort.

Der Soldat blickte verzückt in den Handspiegel und kämmte liebevoll seinen Bart. „Din Gior!" riefen jetzt alle, und der Eiserne Holzfäller klopfte mit dem Stiel seiner Axt gegen die Pforte.

Din Gior hörte nichts. Vom Lärm angezogen, flatterte Kaggi-Karr aus dem Fenster, flog auf den Feldmarschall zu und schrie ihm ins Ohr: „Wach auf! Unsere Freunde warten unten!" Din Gior maßte sich einen Ruck geben.

„Ach, ihr seid es?" fragte er. „Ich hab mich, scheint mir, etwas abgelenkt . . ."

Jetzt, wo Urfins Armee zerschlagen und der Smaragdenstadt keine Gefahr mehr drohte,

war der langbärtige Soldat wieder der zerstreute Kauz von ehemals.

Die Brücke senkte sich, das Tor tat sich auf, und der Eiserne Holzfäller ging mit seinen

Gefährten in den Thronsaal des Schlosses, wo Goodwin der Große und Schreckliche ihm

das erste Mal als vielarmiges und vieläugiges Ungeheuer erschienen war.

Jetzt saß der Scheuch in würdiger Haltung auf dem Thron. Neben ihm stand Elli, die

silbernen Schuhe an den Füßen und das goldene Hütchen auf dem Kopf, etwas weiter

kauerten der Tapfere Löwe und Toto schka mit ihren funkelnden Goldketten um den Hals,

und auf der Lehne des Thrones saß Kaggi-Karr.

Im Saal drängten sich lachend und tuschelnd die Höflinge, die nicht in Urfins Dienst getreten waren. Jetzt waren sie furchtbar stolz darauf, protzten mit ihrer Treue für den Weisen Scheuch und warteten, dafür belohnt zu werden.

Der Scheuch erhob sich und machte fünf Schritte auf seine Gäste zu, was von den Höflingen als Zeichen höchster Gnade gedeutet wurde.

Dann wurden lange Tische mit zahllosen Getränken und Speisen in den Saal getragen. Es begann ein frohes Fest, das bis zum Abend dauerte. Die Einwohner der Stadt hatten ihre schönsten Kleider angezogen, und die schreckliche Zeit der Herrschaft Urfins kam ihnen jetzt nur noch wie ein schwerer Traum vor.

Wenige Tage später wurde über Urfin Gericht gehalten. Die Einwohner der Smaragdenstadt schlugen vor, ihn in ein Bergwerk zu verbannen.

Da erhob sich Charlie Black und sagte:

„Liebe Freunde! Täten wir nicht besser, diesen Mann sich selber zu überlassen?" „Richtig!" sagte Elli. „Das wird die schwerste Strafe für ihn sein. Stellt euch vor, er wird unter den Leuten leben, die er sich unterwerfen wollte, und alles wird ihn an seine scheußlichen Verbrechen erinnern!"

„Gut gesagt, Elli!" rief der Scheuch. „Ich bin ganz deiner Meinung!"

„Ich auch", pflichtete ihm der Eiserne Holzfäller bei.

„Ich auch, ich auch", riefen der Tapfere Löwe und Totoschka.

Kaggi-Karr wollte etwas einwenden, kam aber nicht dazu, denn die Einwohner der

Smaragdenstadt riefen wie aus einem Munde:

„Hurra! Hoch Elli und ihre Freunde!"

Urfin verließ den Saal, gefolgt von den Pfiffen und Schmährufen der Bürger und Farmer. Setzt sollte über das Schicksal der Holzsoldaten und der Polizisten entschieden werden. „Ins Feuer mit ihnen!" schrie Kaggi-Karr.

Der Scheuch aber legte den Finger an die Stirn und bat, ihn beim Nachdenken nicht zu

stören. Der Saal wartete gespannt.

Nach langem Sinnen sprach der Weise Scheuch:

„Wir werden sie nicht verbrennen, denn damit wäre uns wenig genützt. Lieber machen wir aus ihnen gute Arbeiter, damit sie dem allgemeinen Wohle dienen. In unserem Land gibt es viel zu tun. Da die Holzköpfe aus Holz sind, müssen sie sich doch auf Holz verstehen. Also mögen sie Gärtner und Waldheger sein! Wer könnte besser als sie die Bäume pflegen? Freilich wäre es gut, ihnen Gehirne einzusetzen, aber das wird leider nicht gehen, weil ihre Köpfe nicht hohl sind."

Der Scheuch hielt eine lange Rede, mit der er im stillen sehr zufrieden war.

Alle hörten ihm mit großer Aufmerksamkeit zu. Dann sagte der Eiserne Holzfäller:

„Wir sollten den Holzsoldaten neue gute Herzen einsetzen."

„Aber sie haben ja gar keine gehabt", entgegnete der Scheuch.

„Ja, dann weiß ich nicht, was wir mit ihnen tun sollen", erwiderte der Holzfäller betrübt.

Wieder bat der Scheuch, man solle ihm Zeit zum Überlegen lassen. Diesmal dachte er aber

mehr als eine Stunde nach, und zwar so angestrengt, daß ihm die Nadeln aus dem Kopf

krochen, der plötzlich wie ein Igel aussah. Das Volk schaute mit Ehrfurcht und Angst auf

seinen Herrscher.

Da schlug sich der Scheuch mit der Hand gegen die Stirn.

„Ich hab's!" rief er. Ein freudiges Raunen ging durch die Menge. „Die Holzsoldaten haben weder Hirne noch Herzen. Also liegt ihr ganzer Charakter in den Gesichtern. Nicht umsonst hat Urfin ihnen solche grimmigen Gesichter geschnitten. Wenn wir ihnen nun freundliche, lächelnde Gesichter machen, werden sie sich bestimmt ganz anders verhalten." Was der Scheuch sagte, leuchtete den Zuhörern ein. Jedenfalls lohnte es sich, seinen Vorschlag auszuprobieren.

Man beschloß, den Versuch an dem Palisandergeneral Lan Pirot vorzunehmen. Er wurde geholt und vor die Richter gestellt.

„Hören Sie, General!" sagte der Scheuch. „Bekennen Sie sich schuldig der Verbrechen, die Sie begangen haben?"

„Nein!" knurrte der General: „Es geschah auf Befehl meines Königs." „Was würden Sie tun, wenn man Sie freilassen und Ihnen Soldaten geben würde?" Der General schnitt eine solch schreckliche Grimasse, daß die Kinder, die von ihren Eltern mitgebracht worden waren, vor Angst zu weinen anfingen, während Totoschka ein ohrenbetäubendes Gebell anstimmte.

„Was ich tun würde?" erwiderte der General heiser. „Krieg würde ich führen, rauben und morden! Oh, das wäre eine Lust!" „Führt ihn ab!" befahl der Scheuch.

Der General wurde in die Schloßwerkstätte gebracht, wo der beste Drechsler der Smaragdenstadt bereits auf ihn wartete. Die Arbeit dauerte ganze drei Stunden. Aber niemand verließ den Platz, waren doch alle gespannt darauf, wie dieser ungewöhnliche Versuch enden würde.

Und siehe! Von der Brücke stieg ein gutgelaunter lächelnder Mann. Lan Pirot war nur noch an der Maserung des Palisanderholzkopfes zu erkennen. Tänzelnd ging er durch die auseinanderweichende Menge und blieb vor dem Tisch der Richter stehen.

„Sie wollen mich, glaube ich, sehen?" fragte er liebenswürdig.

„Ja", sagte der Scheuch. „Wer sind Sie, wenn ich fragen darf ?"

„Ja, wer bin ich eigentlich? Ehrenwort, ich weiß es selber nicht."

Mit dem verwandelten Gesicht hatte Lan Pirot auch seinen Charakter gewandelt und die

Vergangenheit völlig vergessen.

„Sie heißen Lan Pirot", sagte der Scheuch.

„Aber gewiß, ich heiße Lan Pirot, wie konnte ich es nur vergessen?!"

„Sie sind Tanzlehrer", mischte sich Elli ein, der die neuen feinen Manieren Lan Pirots

außerordentlich gefielen.

„Ach richtig! Natürlich bin ich Tanzlehrer! Wo bleiben nur meine Schüler und meine Schülerinnen? Ich kann es gar nicht erwarten, ihnen die erste Stunde zu erteilen!" Singend und tänzelnd verließ Lan Pirot den Platz, gefolgt von einer lustigen Schar Jungen und Mädchen.

Als sich die Begeisterung gelegt hatte, entschied das Volk einmütig, dem Scheuch den Titel „Dreimalkluger Herrscher der Smaragdenstadt" zu verleihen.

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