Hannibal vor den Toren

Feuer in den Bergen

Die Nacht versprach ruhig zu bleiben.

Die römischen Posten horchten zum Lager der Karthager hinüber. Dort war alles still. Anscheinend hatte Hannibal nicht die Absicht, Kampanien jemals wieder zu verlassen. Es gefiel ihm hier wohl zu gut. Wo würde er auch einen besseren Platz zum Überwintern finden? Allerdings hielt Capua seine Tore noch immer vor ihm verschlossen, aber es war bekannt, daß die capuanischen Bürger nur auf eine gute Gelegenheit warteten, um ihn in die Stadt zu lassen.

Doch was war das? Lichter leuchteten aus der Dunkelheit. Sie wurden immer größer und zahlreicher. Nein, Lagerfeuer waren es nicht. Sie bewegten sich vorwärts. Ein Lichtermeer. Es überflutete das Tal und näherte sich den Berghängen am Hohlweg, auf denen sich viertausend römische Legionäre verschanzt hatten. Sie sollten dem karthagischen Heer den Hohlweg versperren. Ihr Kommandeur sah das Lichtermeer und glaubte, die Feinde wären dabei, bei Fackellicht die Berghänge von hinten zu besetzen und den Römern in den Rücken zu fallen. Um das zu verhindern, teilte er seine Legionäre in zwei Gruppen auf und befahl ihnen, ihre festen Stellungen zu verlassen und zum Angriff vorzugehen.

„Vorwärts! Oder soll ich morgen früh dem Koch befehlen, euch zur Strafe für eure Feigheit Gerstenbrot statt Weizenbrot zu geben?"

Die Legionäre versuchten, an den Hängen hochzuklettern. Aber sie rutschten aus, zerschrammten sich an den Dornensträuchern Arme und Beine. Hier am Hohlweg waren die Hänge steiler als auf der Gegenseite, wo die Karthager aufstiegen. Schon waren sie heran. Die Römer zückten die Wurflanzen. Doch da erstarrten sie vor Verblüffung. Was ihnen entgegengerannt kam, waren keine Menschen, sondern Ochsen, die brennende Reisigbündel auf den Hörnern trugen. Der Wind blies in die Flammen, daß die Funken sprühten. Rasend vor Angst versuchten die Ochsen, das brennende Reisig abzuschütteln. Von hinten klangen die Rufe der Treiber, Peitschengeknall, Kriegsgeschrei. Die Ochsen wurden demnach von den Karthagern bergauf getrieben. Wie sollten die römischen Legionäre mit einem Feind kämpfen, der sich hinter Ochsen verschanzte? Hinter friedlichen Tieren, die es gewohnt waren, vor dem Pflug zu gehen oder Lasten zu ziehen?

Aus Angst vor einer neuen List ergriffen die Römer die Flucht. Aber auf halber Höhe des Berges stießen sie mit der leichten karthagischen Kavallerie zusammen, und nur die Dunkelheit rettete sie vor der gänzlichen Vernichtung.

Auch Quintus Fabius nahm die Feuer in den Bergen wahr, doch mit der ihm eigenen Besonnenheit befahl er seinen Legionären, das Lager nicht zu verlassen. Als es tagte, erkannte er, daß das karthagische Heer den Hohlweg besetzt hielt und seine mit Pferden und Maultieren bespannten Troßwagen in ununterbrochener Schlange hindurchfuhren. Die römischen Truppen dagegen waren spurlos von den Hängen am Hohlweg verschwunden.

Er ließ die flüchtigen Legionäre vor seinem Feldherrnzelt antreten. Mit gesenktem Kopf standen sie da. Ihre Kleidung war zerfetzt, ihre Arme und Beine zerschrammt.

Der Diktator trat vor sie hin, gefolgt von seinen Liktoren, die alle fast einen Kopf größer waren als er.

„Das römische Volk hat mich mit gewaltiger Macht ausgestattet", sagte er und wies auf die Liktoren, die wie immer ihre Rutenbündel mit den Beilen bei sich trugen. „Aber ich werde euch weder zum Tode noch zu demütigenden Strafen verurteilen. Euch kann ich diesen Fehler verzeihen, mir jedoch nicht. Die Götter sollen entscheiden, ob ich der Macht noch würdig bin, mit der mich der Senat und das römische Volk betrauten. Deshalb will ich mich nach Rom begeben und nach altem Brauch die Götter befragen. Minucius wird euch in meiner Abwesenheit befehligen!"

Er drehte sich um und ging langsam in sein Zelt zurück. Die Legionäre blickten ihm verwundert nach.

Unter ihnen stand auch Gnaeus Naevius. Aber er starrte abwesend vor sich hin. Die Einfälle drängten sich in seinem Hirn, die ersten Zeilen fügten sich zu rhythmischem Klang zusammen. Sie kündeten von den nächtlichen Sternen, die über dem Hohlweg standen, von brennenden Reisigbündeln auf den Hörnern brüllender Ochsen, vom Geklirr der Waffen und den leisen Worten des Diktators. Es waren die ersten Verse des großen Poems, das Gnaeus Naevius schreiben würde, falls die Götter ihn am Leben ließen. Denn er hatte erkannt, daß dieser Krieg ebenso bedeutsam war wie jener, den Homer einst in seiner , Ilias" beschrieb.

Die Nachfahren des trojanischen Helden Äneas, der aus dem brennenden Troja floh und nach langen Irrfahrten in Italien ansässig wurde, kämpfen nun gegen die Nachfahren der Königin Dido, die Karthago gründete und sich später aus Kummer über die Untreue des Äneas freiwillig auf dem Scheiterhaufen verbrannte! stellte Gnaeus Naevius fest. Aber was weiß ich eigentlich von den Nachfahren der Dido? grübelte er weiter. Daß sie schlau und rachsüchtig sind, mehr nicht. Obgleich Homer Grieche war, hat er die Trojaner, die Feinde der Griechen, nicht als Bösewichter geschildert, sondern als mutige, kluge, edle Männer, die ihre Väter, ihre Frauen und Kinder liebten. Auf welche Weise gelang es Homer, sich so tief in seine Feinde hineinzuversetzen? Hat er sich jahrelang bei ihnen aufgehalten, war er Augenzeuge, als der greise König Priamos weinte? All das ist mir unbekannt. Dagegen weiß ich genau, daß ich es nur dann mit Homers Gestaltungskunst aufnehmen kann, wenn ich die Karthager genauer kennenlerne, wenn ich von ihnen mehr sehe als Ochsen mit Feuern auf den Hörnern!

Der zweite Diktator

Der römische Erdgott Consus liebt es, wenn zur Erntezeit fröhliche Stimmen über die Felder schallen, die Sicheln blinken und die reifen Ähren rauschend zu Boden sinken, wenn in den Scheunen die goldenen Garben aufgetürmt werden und am Schluß die Fuhrwerke durch die Straßen rollen, bespannt mit bekränzten Maultieren und Pferden.

Aber in diesem Jahr konnte er sich an solchen Freuden nicht ergötzen. Eines Nachts verließen die Karthager ihr Lager, Sicheln und Stricke in den Händen. Sie schlichen zu fremden Feldern, um zu ernten, was sie nicht gesät hatten. Doch Consus bestrafte die Diebe.

Ein römischer Chronist müßte jene Nacht tatsächlich nach dem Brauch seines Volkes mit einem weißen Stein - dem Zeichen für ein glückliches Ereignis - vermerken. Als die Karthager, mit Garben schwer beladen, schon fast das Tor ihres Lagers erreicht hatten, blitzten Schwerter über ihren Köpfen. Die Krieger des Minucius, die im Hinterhalt gelegen hatten, fielen über sie her, nahmen ihnen die Beute ab und schlugen sie in die Flucht.

Die Nachricht von diesem Sieg erreichte Rom auf dem schnellsten Weg, und die Volkstribunen, wie man die Vertreter der Plebejer nannte, beriefen sofort eine Versammlung ein.

„Zum Forum! Zum Forum!" schrien die Ausrufer durch die Straßen der Schuster, Kuchenbäcker, Kupferschmiede, Vergolder und Töpfer, denn in Rom wohnten die Handwerker voneinander gesondert.

In ihrer Arbeitskleidung, der kurzen Tunika, noch mit Lehm oder Ruß, mit Kuchenteig oder Teer beschmiert, verließen die Männer ihre Werkstätten und strömten durch die engen, gewundenen Straßen zum Herzen der Stadt, dem römischen Forum.

„Bürger!" begann ein Volkstribun. „Ich beglückwünsche euch zum Siege des Minucius! Als Kommandeur der Reiterei überfiel er mit seinen Truppen die Feinde, die die Dörfer Apuliens verheerten. Dabei wurden über hundert Karthager getötet und ebenso viele gefangengenommen. Unsere Krieger haben bewiesen, daß sie nicht nur imstande sind, befestigte Lager zu bauen und sich verlustlos zurückzuziehen, was der Diktator Fabius offenbar für die wichtigste Aufgabe hält, sondern daß sie es auch verstehen, die Feinde in die Flucht zu schlagen."

Beifall rauschte über den Platz. Die Senatoren, die Fabius umringten, erschraken über diese Mißfallenskundgebung gegen den Diktator. Doch dieser zuckte nicht mit der Wimper.

„Jetzt wißt ihr", fuhr der Volkstribun fort, „wer die Schuld trägt an unserem Unglück und an den Menschenverlusten, die fast jede Familie zu beklagen hat. Es sind die Patrizier! Sie benutzen diesen Krieg, um das Volk seiner Rechte zu berauben, es einem Diktator zu überantworten! Und jetzt ziehen sie den Krieg absichtlich in die Länge, um ihm die Macht zu erhalten. Kaum hat Fabius für kurze Zeit die Truppen verlassen, da errangen sie schon einen Sieg! Wir müssen den Diktator absetzen und einen tüchtigeren Mann an die Spitze des Heeres stellen. Dann könnte sich der Feind keinen Tag länger in Italien halten!"

Beifällige Rufe dröhnten über den Platz.

„Richtig!" riefen die Plebejer. „Fort mit dem Zauderer Fabius!"

Trotz ihrer empörten Rufe erklomm Fabius die Rednertribüne. Die Plebejer ließen ihn nicht zu Wort kommen, beschimpften ihn als Feigling und Verräter. Eindeutig lehnten sie die Art seiner Kriegführung ab.

Nachdenklich blickte Fabius zu ihnen hinab. Daß ihre Geduld erschöpft war, konnte er durchaus verstehen. Hannibals Söldner hatten die Felder der Bauern verheert, deshalb litten die Städter unter der Teuerung, der unausbleiblichen Folge jedes Krieges, dehalb wollten sie eine Entscheidungsschlacht so schnell wie möglich herbeiführen. Aber Fabius wußte, daß dies unmöglich war, denn eine solche Schlacht würde im gegenwärtigen Augenblick nur mit einer weiteren Niederlage enden. Das hatten er und seine Freunde den Römern oft genug gesagt, aber sie glaubten es nicht.

„Ich werde auf diese Beschuldigungen keine Antwort geben", sagte er scharf, als er sich schließlich doch Gehör verschaffen konnte. „Ich habe Minucius das Heer anvertraut mit dem Befehl, sich nicht in eine Schlacht einzulassen. Er hat diesen Befehl nicht ausgeführt und wird dafür bestraft werden. Mehr habe ich nicht zu sagen."

Es erhob sich ein unbeschreiblicher Lärm. Alle wußten, daß ein Diktator die Macht hatte, jeden Bürger in Ketten zu schlagen und ihn ohne Gerichtsverfahren hinzurichten.

„Bürger, laßt Minucius nicht im Stich!" schrie der Volkstribun. „Nehmt Fabius die Macht und übergebt sie dem, der imstande ist, Rom zu retten!"

Daraufhin faßten die Plebejer einen Entschluß, der in der römischen Geschichte einmalig war: Sie wählten Minucius zum zweiten Diktator mit den gleichen Rechten, die Fabius besaß.

Als Fabius wieder bei den Truppen eintraf, platzte Minucius, sein ehemaliger Untergebener, fast vor Stolz.

„Laß uns abwechselnd kommandieren!" schlug er Fabius vor. „Einen Tag ich, einen Tag du." Fabius schüttelte den Kopf.

„Besser ist es, wenn wir die Legionen teilen", erwiderte er. „Ich behalte die erste und vierte, du nimmst die zweite und dritte."

„Wie du willst", stimmte Minucius bereitwillig zu. „Aber merke dir, daß ich mich den Feinden stellen und sie bei jeder Gelegenheit angreifen werde."

„Das ist deine Sache", versetzte Fabius kühl. „Dafür bist du Diktator. Aber vergiß nicht, daß du bisher nur einen Sieg über Fabius errungen hast, nicht aber über Hannibal."

Auf diese Weise gab es nun in der Provinz Apulien zwei römische Lager, aus je zwei Legionen bestehend und von Feldherren befehligt, die miteinander verfeindet waren. Das erfuhr Hannibal schnell. Er beobachtete die Römer ununterbrochen und wartete ungeduldig auf die beste Gelegenheit zur Schlacht.

Zwischen seinem und Minucius' Lager befand sich eine Anhöhe, die mühelos zu besetzen war und sich besonders gut als Standort für ein Lager eignete. Davor lag eine baumlose Ebene, die aber nur von weitem eben wirkte, in Wirklichkeit kleine Gräben und Senken hatte. Nachts befahl Hannibal einem Teil seines Heeres, in diesen Gräben und Senken Stellung zu beziehen, und als der Morgen graute, ließ er eine kleine Truppeneinheit offen die Anhöhe besetzen. Es war kennzeichnend für Hannibals Kriegskunst, daß er seinem Gegner falsche Vorstellungen von seinen Absichten vermittelte.

Als Minucius sah, wie gering die Anzahl der Feinde war, schickte er seine leichte Infanterie und anschließend seine Kavallerie gegen die Anhöhe vor. Dann bemerkte er, daß Hannibal seinen Truppen Verstärkung schickte, und marschierte mit seinem ganzen Heer in Schlachtordnung auf. Er war der festen Überzeugung, daß die Karthager die Anhöhe erstürmen wollten, um ein Feldlager darauf zu errichten.

Es entspann sich eine erbitterte Schlacht. Sie verlief mit wechselndem Erfolg, bis Hannibal den in den Gräben und Senken wartenden Kriegern das Signal zum Angriff gab. Sie sprangen hervor, stürzten sich mit lautem Kampfgeschrei von hinten auf den Feind und vernichteten die Nachhut des römischen Heeres. In den Legionen entstand eine unbeschreibliche Verwirrung.

Vom Wall seines Lagers aus beobachtete Fabius das Geschehen. Als er sah, daß die Römer umzingelt waren und sich ihre Reihen lichteten, schlug er sich wütend aufs Knie.

„Beim Herkules!" rief er. „Minucius stürzt sich schneller ins Verderben, als ich je angenommen hätte. He, Hornist! Blase Alarm!"

Kurz darauf marschierten Fabius' Legionen mit flatternden Feldzeichen aus dem Lager. Die Karthager, die Minucius in den Rücken gefallen waren, sahen sich nun auch von hinten bedroht und ergriffen die Flucht. Das römische Heer war gerettet.

Der Weg ins Verderben

Publius meldete dem Senat das Mißlingen seiner Mission und begab sich anschließend nach Apulien zum Heer. Es wurde nicht mehr von Fabius kommandiert, der sich nach Ablauf seiner sechsmonatigen Dienstzeit als Diktator wieder ins Privatleben zurückgezogen hatte, sondern von zwei neu gewählten Konsuln.

Der Weg nach Apulien führte durch die Provinz Samnien, die von den Karthagern verwüstet worden war. In den Dörfern herrschte die Stille des Todes. Kein Huhn gackerte, kein Schaf blökte, keine Kuh muhte. Vieh und Geflügel waren von den Karthagern weggeschleppt oder von den Dorfbewohnern geschlachtet worden, damit den Feinden kein Proviant in die Hände fiel. Die Frauen, die ihre Wirtschaft mit Hilfe von wenigen überlebenden Sklaven besorgten, betrachteten den Reisenden ängstlich und mißtrauisch. Wann kehren unsere Männer und Söhne zurück? fragten ihre Blicke. Wann wird Italien befreit sein? Im Morgengrauen traf Publius in dem bei Cannae gelegenen römischen Lager ein. Es war eine richtige Stadt. Nur wenige italische Städte hätten es an Bevölkerungszahl mit ihm aufnehmen können.

Viele Legionäre liefen zum Aufidus, um sich mit seinem eiskalten Wasser die Schlaftrunkenheit abzuspülen. Jenseits des Flusses bemerkte Publius den Wall und den Pfahlzaun des kleineren römischen Lagers. Auf der von Posten bewachten Pfahlbrücke, die beide Lager verband, herrschte lebhaftes Kommen und Gehen. Die beiden Lager machten sich kampfbereit.

Vor dem Gerichtsplatz wurde Publius vom Konsul Aemilius Paullus angerufen. Er war schon über vierzig, hatte aber ein faltenloses Gesicht mit sanften runden Augen. Man sah es ihm nicht an, daß er fast sein ganzes Leben dem Kriegsgott Mars geweiht und schon als Jüngling an der Schlacht bei den Aegatischen Inseln teilgenommen hatte.

„Welcher Wind weht dich her, Publius?" fragte er. „Wo ist die Kavallerie des Syphax?"

Über Publius' Bericht schüttelte er niedergeschlagen den Kopf.

„Das ist recht betrüblich", murmelte er. „Selbst tausend Reiter würden uns in der gegenwärtigen Lage einen unersetzlichen Dienst erweisen. Dir ist wohl auch bekannt, daß Hannibals Reiterei die unsrige an Zahl und an Ausbildung weit übertrifft. Die numidischen Reiter sind die besten der Welt." Er seufzte. „Ich bin es müde, mich mit meinem Kollegen Varro herumzustreiten. Er dürstet nach dem Kampf, genau wie seinerzeit Flaminius und Minucius. Hier aber sitzen wir mitten in einer Tiefebene, wo Kavallerieangriffe gefährlicher sind als etwa in den Bergen. Doch das ist Varro vollständig gleichgültig. Schon in Rom, auf dem Forum, als er noch keine Waffen trug, legte er das Datum der nächsten Schlacht fest. Ich habe das Konsulsamt nur auf Bitten des Fabius übernommen. Er hofft, daß es mir gelingen würde, Varro vor dem Abgrund zurückzuhalten, in den ihn die beiden Pferde Ruhmsucht und Dummheit unaufhaltsam ziehen. Aber ich würde wohl eher Hannibal besiegen können als einen Varro, und manchmal habe ich den Eindruck, daß mir hier nur noch meine Liktoren gehorchen!" Er sah Publius von der Seite an.

„Warst du schon bei Varro?"

„Nein", antwortete der junge Mann. „Genügt es nicht, daß ich mit dir gesprochen habe?"

„Aha, du weißt noch nicht, daß wir das Heer abwechselnd kommandieren - einen Tag ich, einen Tag er. Heute ist sein Tag. Deshalb mußt du ihm unbedingt vom Ergebnis deiner Reise berichten."


Publius war gezwungen, eine Weile vor dem Feldherrnzelt zu warten. Varro empfing gerade die Kommandeure, und seine scharfe Stimme drang wiederholt bis nach draußen. Als die Besprechung beendet war, kam er selbst aus dem Zelt.

Vor Publius stand ein hochgewachsener Mann mit harten, wie aus Stein gehauenen Zügen und zerfurchtem rotem Hals. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein Zenturio, der sein ganzes Leben beim Militär verbracht hatte. Aber Publius wußte, daß Varro noch nicht lange im Heeresdienst war. Die römischen Plebejer hatten ihn nur deshalb in sein hohes Amt gewählt, weil ihnen seine Schmähreden gegen die Patrizier so gut gefielen. Er hielt das Schlachtfeld für eine Art von Forum, auf dem er wie zu Hause war und wo der Sieg dem gehörte, der die Mehrheit hinter sich hatte. Deshalb verließ er sich darauf, daß sein Heer größer war als das von Hannibal.

„Wozu brauchen wir die Reiter des Syphax!" rief er. „In unseren beiden Feldlagern gibt es achtzigtausend Krieger. Hannibal dagegen hat nur vierzigtausend. Was hätten wir davon, unsere Kavallerie auf zweiundachtzig- oder dreiundachtzigtausend Mann zu erhöhen? Gar nichts!" Er fuchtelte mit den Fäusten. „Sieh dir an, was für ein ebenes Gelände wir hier haben! Trotzdem will Aemilius Paullus unbedingt ins Gebirge umziehen. Blindlings folgt er dem Beispiel des Zauderers, seines Freundes. Doch wie lange sollen wir noch warten! Wie lange sollen wir einer Schlacht ausweichen?"

Während Publius zuhörte, kamen ihm die verwüsteten Dörfer Samniens und die verstörten Blicke seiner Bewohner wieder ins Gedächtnis. Ja, Italien wollte wirklich nicht länger warten, viele tausend Menschen waren Varros Meinung. Alle sagten: Schluß mit dem Abwarten! Es wird Zeit, die Klingen zu kreuzen!

Aber aus welchem Grunde wirkten Varros grobe Stimme und seine Art, mit den Fäusten herumzufuchteln, so abstoßend? Weshalb stellte er Fragen und beantwortete sie selber, ohne seinem Partner Gelegenheit zu geben, auch nur den Mund aufzumachen? Und stand es einem Feldherrn nicht schlecht zu Gesicht, mit bloßen Zahlen zu argumentieren -achtzig, vierzig, dreiundachtzig? Er befand sich doch nicht mehr in der Kneipe seines Vaters, die am Forum lag!

„Morgen ist der Tag des Aemilius Paullus", schloß Varro. „Doch dann bin ich wieder an der Reihe. Merke auf, Jüngling! Bald werden die Hörner Alarm blasen!"

Cannae

Die Ebene, die Hannibal am Vortag von einer Anhöhe aus beobachtet hatte, war vollständig verändert: Das gesamte Gelände zwischen dem großen römischen Lager am diesseitigen Flußufer und dem kleinen Lager am jenseitigen Ufer war angefüllt mit Truppen, deren Waffen in den Strahlen der Morgensonne funkelten.

Im Mittelpunkt des großen römischen Lagers wehte über dem Feldherrnzelt eine flammendrote Fahne. Demnach hatten sich die Römer entschlossen, eine Schlacht zu schlagen, und sie forderten ihn, Hannibal, offen dazu heraus. Immer neue Truppeneinheiten marschierten über die Brücke, die beide Flußufer und auch beide Lager verband. Noch nie hatte Hannibal ein so großes Heer zu Gesicht bekommen. Am Fluß nahm die römische Kavallerie Aufstellung, rechts davon die Infanterie, mehr tief als breit gestaffelt. Der linke Flügel wurde von der Reiterei der römischen Verbündeten gebildet. Aus dem kleinen Lager marschierten leichtbewaffnete Einheiten und stellten sich vor der schweren Infanterie auf.

„Das ist ein Heer!" rief Magarbal entsetzt und verwundert. „Noch kein Sterblicher hat gegen eine so gewaltige Armee gekämpft."

„Aber es gibt etwas noch Erstaunlicheres, das du übersehen hast", bemerkte Hannibal gelassen.

„Was ist das?" Magarbal richtete sich in den Steigbügeln auf und folgte Hannibals Blicken.

„Daß es in diesen vielen Legionen keinen einzigen Menschen gibt, den man Magarbal nennen könnte", erwiderte Hannibal so ruhig wie zuvor.

Eine Lachsalve war die Antwort. Die Karthager freuten sich, daß ihr Feldherr der Gefahr gleichmütig ins Auge blickte.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als die karthagische Armee den Fluß überschritt und die von Hannibal sorgfältig durchdachte Schlachtordnung einnahm. Links am Ufer, gegenüber der römischen Kavallerie, stellten sich die gallischen und iberischen Reiter auf. Rechts davon schlossen sich die Kolonnen der Afrikaner an. Ihre Speerspitzen und Brustpanzer funkelten in der Sonne. Sie trugen die römischen Waffen, die Hannibal am Trasimenischen See erbeutet hatte, und ohne ihre bunten Kleider, die unter den Rüstungen hervorkamen, hätten sie wie Römer ausgesehen. Im Zentrum standen mit entblößtem Oberkörper die Gallier, in der Hand lange, oben abgerundete Schwerter, daneben die Iberer mit kurzen spitzen Schwertern und runden, aus Sehnen geflochtenen Schilden. Ihre weißen Gewänder leuchteten wie die schnee- und eisbedeckten Berggipfel ihrer heimatlichen Pyrenäen. An der rechten Flanke schlossen sich wieder afrikanische Kolonnen an, ganz am Rande standen die numidischen Reiter, von Magarbal kommandiert.

Zwischen den Afrikanern und Galliern war ein freier Raum für die Balearer gelassen worden. Die Steine und Bleistücke aus ihren Schleudern pfiffen durch die Luft und krachten gegen die Schilde, mit denen sich die Römer schützten.

Tirnes übereilte sich wie gewöhnlich nicht. Er zog sich die längste Schnur vom Hals und nahm einen Reiter aufs Korn, der mitten in der römischen Infanterie hielt und einen schimmernden Helm mit Federbusch trug - den gleichen Silberhelm, wie ihn Flaminius am Trasimenischen See auf dem Kopf gehabt hatte. Tirnes holte aus und ließ die Schnur zurückschnellen. Fast im selben Augenblick wankte der Mann mit dem Silberhelm im Sattel und sank zu Boden. Gemächlich hängte sich Tirnes die Schnur wieder um den Hals und kehrte zu seinen Leuten zurück.

„Tirnes, du hast einen Konsul getötet!" schrien die Afrikaner.

Der Baleare zeigte seine Freude nicht, obgleich er innerlich frohlockte; denn für einen getöteten Konsul zahlte Hannibal drei Barren Silber.

Die berittenen Einheiten auf dem linken Flügel des karthagischen und dem rechten Flügel des römischen Heeres prallten aufeinander. Aber ein echter Reiterkampf entwickelte sich nicht. Keine Partei konnte den Gegner rechts oder links überwinden und einkreisen, weil sie an der einen Seite vom Fluß und an der anderen von der eigenen Infanterie behindert wurden. Unter lautem Gebrüll versuchten die Gegner, sich gegenseitig vom Pferd zu zerren. Es kam zu einem erbitterten Handgemenge, in dem nur wenige römische Kavalleristen am Leben blieben. Sie wurden abgedrängt und wandten sich zur Flucht.

Einen anderen Verlauf nahmen die Ereignisse im Zentrum. Zuerst hielten die Iberer und Gallier dem Ansturm der Römer eisern stand. Dukarion kämpfte in der ersten Reihe. Sein entblößter Oberkörper ragte über einen Wall hinweg, der aus den Leibern der von ihm niedergemachten Feinde bestand. Sein langes Schwert sauste pausenlos nieder. Doch plötzlich merkte er, daß er allein stand. Neben und hinter ihm war niemand mehr. Alle anderen Gallier waren zurückgewichen. Gleichzeitig wurde er von einer frisch eingesetzten römischen Einheit angegriffen, die ein Mann mit blutigem Kopf befehligte. Nein, Tirnes hatte den Konsul nicht getötet, sondern nur verwundet. Es war Aemilius Paullus, der den Feind mit letzter Kraft zurückzudrängen suchte.

Tatsächlich wandten sich die Gallier und Iberer zur Flucht. Da sie sich mitten im Kampfgetümmel befanden, wußten sie nicht, was rechts und links von ihnen geschah, und glaubten, daß die ganze Armee den Rückzug angetreten hätte. Verfolgt wurden sie von Schwertspitzen, die sich unerbittlich auf sie richteten, und von Männern, die buchstäblich über Leichen gingen. Alles ist verloren! dachte Dukarion entsetzt. Unsere Todesstunde hat geschlagen!

Doch plötzlich stockte der römische Vormarsch. Die schnurgeraden Schwertreihen wurden unregelmäßig, lösten sich auf, wogten zurück.

Es geschah das, was nur Hannibal vorausgesehen hatte. Die fliehenden Gallier und Iberer hatten die Römer nach sich gezogen - mitten hinein in das karthagische Heer. Die Afrikaner, Hannibals Stolz und Zuversicht, hatten Schulter an Schulter eine halbe Wendung vollführt, so daß ihre Schwerter sich nun gegen die Flanken der angreifenden und von ihrem Sieg schon überzeugten Römer richteten. Die karthagische Schlachtordnung glich jetzt einem Halbmond, der mit den Spitzen zusammenstieß und die Römer in einer bedrohlichen eisernen Umklammerung einschloß.

Aber die Römer besaßen an der linken Flanke noch ihre Kavallerie. Sie hätte die Umklammerung an einer Stelle sprengen und sie mit kurzen, kraftvollen Schlägen in einzelne Teile zerhacken können. Doch statt dessen sprangen die Römer aus dem Sattel. Aus Pflichtgefühl und Kameradschaftsgeist wollten sie ihre Infanteristen nicht im Stich lassen und vergaßen dabei, daß sie in dieser Lage viel wirksamer zu Pferde hätten kämpfen können.

Als Hannibal sah, daß die Römer absaßen, hob er die Hände zur Sonne, die sich schon gen Westen neigte.

„O Melkart!" rief er. „Ich danke dir, daß du die Feinde ihres Verstandes beraubtest und sie mir mit gebundenen Händen und Füßen überlieferst!"

Kurz darauf war das römische Heer endgültig umzingelt. Es verwandelte sich in eine wehrlose Menge um ihr Leben bangender Menschen, die keinen Befehl mehr befolgten und nur dorthin strebten, wo sie dem Tode zu entrinnen hofften. Doch überall stießen sie auf die Lanzenspitzen und Schwerter der Feinde. Das römische Lager auf der rechten Seite des Flusses, wo der Troß und mehrere tausend Legionäre zurückgeblieben waren, hielten sie für die letzte Hoffnung. Aber das Lager lag jenseits des Flusses. Deshalb flohen sie zum Fluß.

Publius wurde von ihnen mitgerissen. Mit dem Schwert setzte er sich gegen die Kavalleristen seines eigenen Heeres zur Wehr, die sich rücksichtslos durch die Menschenmassen drängten und nicht darauf achteten, daß ihre Pferde auf die Verwundeten traten.

Am Fluß sah Publius den Konsul Aemilius Paullus auf einem Stein kauern, die Hände an den Kopf gepreßt. Das Blut sickerte ihm durch die Finger und tropfte auf seine Toga. Publius stürzte zu ihm hin und versuchte, ihn aufzurichten. Aber Aemilius schob ihn zurück.

„Laß das!" ächzte er. „Vergeude nicht deine Zeit mit mir! Melde den Senatoren, daß sie Rom befestigen sollen! Und richte Fabius aus, daß ich seine Ermahnungen getreulich befolgte!"

„Die Götter brauchen deinen Tod nicht, Aemilius", redete Publius ihm zu. „Du trägst als einziger an diesem Unglück keine Schuld. Gib mir die Hand, ich will dir aufs Pferd helfen!"

Aemilius schüttelte den Kopf.

„Laß mich als Konsul inmitten meiner Soldaten sterben. Das ist besser, als in der Rolle eines Angeklagten vor dem Senat zu stehen."

Die letzten Worte hörte Publius nicht mehr. Ein neuer Flüchtlingsstrom trieb ihn von dem Sterbenden weg.

In der Erkenntnis, daß die Rettung nicht am jenseitigen Ufer zu finden war, wo die feindliche Kavallerie schon auf die Flüchtlinge wartete, sondern im Fluß selber, sprang er in das eiskalte Wasser und schwamm so lange, wie seine Kräfte reichten.



Über das Schlachtfeld senkte sich die Nacht. Der Mond verschwand hinter den Wolken, als könnte er den entsetzlichen Anblick nicht länger ertragen. Seit er über die Erde wanderte, waren noch niemals so viele Menschen in einer Schlacht ums Leben gekommen.



Im Morgengrauen trat Hannibal aus seinem Zelt und blickte zum Schlachtfeld hinüber. Dort lagen die Römer zu Tausenden, Infanteristen neben Kavalleristen, durch den Tod vereint. Einige Verwundete erwachten durch die Morgenkälte aus ihrer Ohnmacht, richteten sich zwischen den Leichenhaufen auf und flehten mit entblößter Brust um den Tod.

Die Balearer und Gallier gingen einzeln oder in kleinen Gruppen über das Schlachtfeld. Sie gaben den Verwundeten den Gnadenstoß, nahmen den Toten den Goldschmuck und den Pferden das silberbeschlagene Zaumzeug ab. In der Nähe schachteten mehrere Gefangene, von Berittenen bewacht, eine lange tiefe Grube aus. In ihr sollten die achttausend gefallenen Krieger des karthagischen Heeres gemeinsam begraben werden.

Zu Hannibal gesellten sich mehrere Kommandeure, unter ihnen auch sein Bruder Magon.

„Freunde", sagte Hannibal, „von dieser Schlacht werden noch unsere Enkel und Urenkel berichten. Doch nun müssen wir ausruhen und neue Kräfte sammeln."

„Wie kannst du jetzt von Ruhe reden!" brauste Magarbal auf. „Wir dürfen keinen Augenblick verlieren! Ich will mich mit der Reiterei sofort in Marsch setzen. Du folgst mir mit dem übrigen Heer nach. In vier Tagen werden wir in Roms Mauern unseren Sieg feiern!"

Nachdenklich schüttelte Hannibal den Kopf.

„Das ist noch zu früh."

„Warum?" rief Magarbal. „Willst du etwa, daß auch dieser große Sieg den Krieg nicht beendet? Hast du die Absicht, Karthago aufzugeben und endgültig in Italien zu bleiben, ähnlich wie dein Vater, der seinen karthagischen Besitz verkaufte und sich in Iberien ansiedelte?"

„Nein, es ist noch zu früh", wiederholte Hannibal nachdrücklich. „Aber ich danke dir für deine Bereitwilligkeit, Rom zu erstürmen."

„Ich sehe, daß die Götter keinem Sterblichen restlos alle Begabungen schenken!" murmelte Magarbal bekümmert. „Du hast es gelernt zu siegen, Hannibal, aber du verstehst es nicht, deine Siege zu nützen."

Hannibal antwortete nicht. Er wandte sich ab und schlenderte ans Ufer des Aufidus, wo die Numidier die Gefangenen zusammentrieben. Magon holte ihn ein, und wortlos gingen die Brüder nebeneinanderher. Am Fluß blieben sie stehen, um die Gefangenen zu betrachten. Viele waren verwundet, und alle hatten erschöpfte, teilnahmslose Gesichter. Plötzlich löste sich ein etwa vierzigjähriger Mann mit hagerem, unrasiertem Gesicht aus ihrer Mitte. Er starrte Hannibal so selbstvergessen an, als hätte er einen Gott vor sich.

„Willst du etwas von mir?" fragte Hannibal in gebrochenem Lateinisch.

„Du kannst griechisch mit mir sprechen", antwortete der Gefangene.

„Bist du Grieche?" erkundigte sich Hannibal in dieser Sprache.

Der Gefangene antwortete nicht, ließ aber noch immer kein Auge von Hannibal.

„Warum schweigst du? Wenn du kein Römer bist, schenke ich dir die Freiheit."

„Ich heiße Gnaeus Naevius", erwiderte der Gefangene, „und habe drei Naturen. Wenn ich an die Römer denke, die mir mein kampanisches Landgut nahmen, verfluche ich sie in kampanischer Sprache. Wenn ich mich darüber freue, daß ich am Leben geblieben bin, bete ich in griechischer Sprache zu den Musen. Aber meine Gedichte schreibe ich auf lateinisch."

„Du bist also Dichter?"

„Ja, ich wurde als Dichter bezeichnet, solange ich nach den Sagen Homers Theaterstücke schrieb. Seitdem ich aber Spottgedichte über das Patriziergeschlecht der Meteller verfasse, nennt man mich nur noch Naevius und ergänzt zuweilen: der Naevius, der im Gefängnis gesessen hat."

„Was veranlaßte dich, Soldat zu werden, obgleich die Römer dich so schlecht behandelten?"

„Ich wollte dich zu Gesicht bekommen. Der Dichter muß die Helden seiner Werke kennen. Ich will ein Poem über diesen Krieg schreiben."

„Demnach habe ich schon einen eigenen Dichter!" lachte Hannibal.

„Erinnerst du dich an unseren Unterricht bei dem griechischen Lehrer Sosylos?" sagte er zu Magon. „Wer wüßte noch etwas von Alexander von Makedonien, hätte niemand seine Heldentaten schriftlich festgehalten. Vielleicht wird die Nachwelt auch über mich nur aus den Büchern dieses Römers, Griechen oder Kampaniers etwas Näheres erfahren. Führe ihn zum Troß und laß ihm dort drei Fladen Brot und drei Becher guten Wein geben."

„Ein Glück, daß er nur drei Sprachen spricht", lachte Magon. „Spräche er so viele Sprachen wie du, dann müßte er einen ganzen Weinschlauch austrinken."

„Und wenn du ihn abgeliefert hast, dann komm zu mir zurück", schloß Hannibal. „Ich muß mit dir sprechen."

Magon war klar, daß er wieder eine Reise nach Karthago machen sollte. Diesmal hatte er keine Lust, Italien zu verlassen; denn er war überzeugt, daß Hannibal nun bald in Rom einziehen würde, und wollte gern die Niederlage der Römer mit ansehen.

Tumult im Großen Rat

Am ersten Tage nach der Ankunft in Karthago begab sich Magon in den Großen Rat. Sein Bruder hatte ihn beauftragt, den letzten Sieg zu melden und um Verstärkung zu bitten.

Sein Bericht wurde von Beifall und freudigen Ausrufen der Stadträte unterbrochen. Alle schienen die Gefühle zu teilen, die er als Teilnehmer und Augenzeuge der großen Schlacht empfand. Aber das war nicht der Fall.

Hanno erstieg die Rednertribüne. Seine tiefliegenden Augen blickten hart und verächtlich, ein höhnisches Lächeln umspielte seinen Mund.

„Wiederholt hat man uns hier von den Siegen berichtet, die Hannibal errang", begann er. „Erst vor kurzem meldete man uns einen großen Sieg an einem See, dessen Namen ich vergessen habe. Dagegen erinnere ich mich noch genau, daß Hannibal uns damals um fünftausend Reiter bat und ich persönlich zu meinem Freund Syphax reisen mußte, um sie zu beschaffen. Nun erfahren wir wiederum von einem großen Sieg. Und diesmal werden doppelt so viele Reiter und doppelt so viele Silberbarren von uns gefordert. Noch ein Cannae, und unsere Stadt hat kein Geld und auch keine Soldaten mehr."

Die Zuhörer lachten.

„Richtig, Hanno!" rief eine Stimme.

Von dem Beifall beflügelt, fuhr Hanno fort: „Ich verstehe dich, Magon, ein Sieg macht blind. Schon dein Vater warf mir vor, daß ich die Zahl der Meuterer, die ich getötet oder gefangengenommen hatte, aufbausche. Gut möglich, daß das wahr ist. Aber habt ihr schon jemals gehört, daß an einem einzigen Tage fünfundvierzigtausend Soldaten vernichtet wurden? Und schließlich - willst du uns nicht erklären, wie dein Bruder es fertigbrachte, in einer so ungeheuren Menge von Toten die gefallenen Senatoren und Ritter zu zählen?"

Da warf Magon den Ratsherren wortlos einen kleinen Leinensack auf den Tisch. Im Saal wurde es still. Jeder glaubte, daß der Sack erbeutete Listen oder andere Beweisstücke enthielte.

Aber als Magon die Verschnürung aufriß, fielen goldene Ringe heraus, Hunderte, Tausende von Ringen. Sie bedeckten den Tisch, einige rollten zu Boden, und hastig sprangen die Ratsherren hinzu, um sie aufzulesen.

„Was soll das bedeuten?" riefen erstaunte Stimmen.

„Die Römer tragen Ringe an den Fingern, genau wie wir", erwiderte Magon sachlich. „Doch im Gegensatz zu uns sind bei ihnen die Ringe keine Belohnungen für siegreiche Feldzüge, sondern Zeichen der Senatoren- oder Ritterwürde. Kein Römer trägt mehr als einen Ring. Diese Ringe wurden auf dem Schlachtfeld von Cannae gesammelt. Zähle nach, Hanno, wie viele römische Senatoren und Ritter in dieser Schlacht fielen."

Die Ratsherren klatschten Beifall.

Hanno antwortete nicht. Das Blut war ihm ins Gesicht geschossen. Wieder war es den Söhnen Hamilkars gelungen, die Zustimmung des Großen Rates zu erlangen. Wieder hatten sie ihr Ziel erreicht.

„Zähle, Hanno!" rief Magon. „Was zögerst du? Du kannst doch so gut rechnen! Bist du so ungeduldig, deinen Anteil an der italischen Beute zu erhalten? Du kommst mir vor wie ein Wucherer, der Prozente haben will, ohne etwas verliehen zu haben."

Die Worte trafen Hanno wie Hammerschläge. Er konnte ihnen nicht ausweichen. Unter den spöttischen Blicken der Ratsherren verließ er den Saal.


Es war ein Sieg Hannibals und seiner Brüder, der scherzhaft als zweites Cannae bezeichnet wurde.

Mit großer Mehrheit beschloß der karthagische Rat, Hannibal viertausend numidische Reiter, vierzig Elefanten und tausend Barren Silber zu schicken. Magon erhielt den Auftrag, nach Iberien zu fahren und dort zwanzigtausend Infanteristen und viertausend Kavalleristen zu sammeln. Dieses Heer sollte ebenfalls nach Italien geschickt werden.

Freudig erregt verließ Magon den Großen Rat. Vor dem Ausgang wartete ein Reiter. Sein Schimmel scharrte ungeduldig mit den Hufen.

Bewundernd betrachtete Magon das herrliche Pferd. In den Jahren, die er in Hannibals Heer verbracht hatte, waren ihm viele schnellfüßige Renner vor Augen gekommen. Aber er konnte bei Melkart schwören, daß sich darunter kein so edles Pferd befunden hatte. Es war weiß wie Kreide; und kein anderes Pferd hatte wohl so starke, schlanke Beine.

Magon war dermaßen in die Betrachtung des Schimmels vertieft, daß er nicht auf den Reiter achtete, der einen Umhang aus Leopardenfell auf dem wohlgebauten, hageren Leib trug. Er mochte höchstens dreißig Jahre alt sein.

„Sei gegrüßt, Magon!" sagte er und sprang aus dem Sattel. „Ich habe dich sofort erkannt."

Magon warf ihm einen forschenden Blick zu. Nein, er sah dieses Gesicht zum erstenmal.

„Woher kennst du mich?" fragte er.

„Magon gleicht seinem Bruder", antwortete der Unbekannte ausweichend.

„Hast du unter Hannibal gedient? Aber weshalb erinnere ich mich nicht an dein Gesicht?"

„Weil ich deinen Bruder kennenlernte, als dein Vater noch lebte und

Hannibal noch kein Heer besaß. Ich heiße Masinissa."

Magon schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Mein Bruder spricht häufig von dir. Er hat mir aufgetragen, nach dir zu suchen. Aber in ganz Karthago konnte mir niemand sagen, wo du dich aufhältst. Es hieß, du seist verschwunden."

„Wo ich war, weiß nur Merges."

Bei seinem Namen wandte das Pferd den schönen Kopf mit den klugen Augen nach seinem Herrn, und als Masinissa ihm die Hand auf den Hals legte, trat es in freudiger Ungeduld von einem Fuß auf den anderen.

„Aber Merges kann nicht reden", fuhr Masinissa fort. „Wenn er auch die Menschen besser versteht als ich. Afrika ist groß. Noch kein Sterblicher hat seine Grenzen ausgemessen. Ich und Merges lebten dort, wohin bisher noch kein numidisches Pferd die Hufe setzte. Wir waren im Lande der Berge, wo die Felsen bedeckt sind mit den Bildern von jenen Menschen, die dort in grauer Vorzeit mit Jagdwagen, mit Speeren und Pfeilen auf Gazellen und Nashörner Jagd machten. Wir streiften durch unwegsame Wälder. Über unseren Köpfen funkelten fremde Sterne, die bisher noch kein Mensch des Mittelmeeres erblickte."

„Du hast unrecht, Masinissa. In jenem Lande, wo die fremden Sterne funkeln, weilte schon vor dreihundert Jahren Hanno, der Seefahrer."

Bei dem Namen Hanno fuhr Masinissa zusammen.

„Von diesem Hanno hörte ich noch nicht", erwiderte er dumpf. „Aber ich kenne einen anderen Hanno. Seinetwegen blieb ich fünf Jahre lang der Heimat fern. Jetzt bin ich nach Karthago zurückgekehrt, weil ich seine Tochter nicht vergessen kann."

„Weiß Hanno, daß du in Karthago bist?"

„Diesmal hat er mich nicht hinausgeworfen wie vor fünf Jahren. Er gestattete mir sogar, sie wiederzusehen."

„Meinen Glückwunsch, Masinissa! Ich freue mich, daß du dein Glück errungen hast. Falls ich noch länger in Karthago bleibe, will ich bei deiner Hochzeit zu Gast sein."

„Bei meiner Hochzeit", wiederholte Masinissa traurig. „Es ist noch zu früh, von Hochzeit zu sprechen. Hanno hat mir eine Bedingung gestellt. Ach, hätte er das doch vor fünf Jahren getan! Dann würde ich Hannibals ganzen Feldzug mitgemacht haben."

„Und wie lautet die Bedingung?"

„Hanno sagt, daß seine Tochter ihm zu schade zur Heirat mit einem Unbekannten sei. Er will mich nur dann mit ihr vermählen, wenn ich König oder ein berühmter Kriegsheld geworden bin. Bringe mich deshalb zu Hannibal. Das war seit jeher der Wunsch meines Vaters. Er wird sich freuen, wenn er erfährt, daß ich ein Krieger geworden bin. Möge er noch hundert Jahre leben! Ich will mein Glück nicht seinem Tode verdanken, sondern nur mir selbst!"

„Dein Entschluß ist richtig. Aber es wird noch eine Weile dauern, bis ich zu Hannibal zurückkehre. Ich habe den Befehl, mich nach Iberien zu begeben, wo mein Bruder Hasdrubal gegen die Römer kämpft, ihm beizustehen und dort ein Heer aufzustellen. Wenn du willst, mache ich dich zum Kommandeur der Reiterei. Mit diesem Heer wollen wir über die Pyrenäen und die Alpen nach Italien ziehen."

Masinissa nickte zustimmend.

Abschied

Offenbar hatte Masinissa einen langen Ritt hinter sich. Sein Umhang war staubbedeckt, sein Pferd glänzte vor Schweiß. Aber seine Augen strahlten Sophonisbe an.

Sie streichelte Merges den Hals.

„Vorsicht, daß er dich nicht beißt, er ist wild", sagte Masinissa hastig. Aber das Pferd stand unbeweglich, schielte Sophonisbe nur von der Seite an und schnaubte.

Sie lachte. Der verblüffte und etwas erschrockene Ausdruck in Merges' Augen erinnerte sie an ihre erste Begegnung mit Masinissa vor dem Tempel der Tanit. Er hatte damals ein ähnliches Gesicht gemacht, so als wäre nicht sie, Sophonisbe, sondern die Göttin selbst aus dem Tempel getreten. Und wie komisch er sich bei dem Streit mit dem Vater benommen hatte, dieser Jüngling mit dem langen Namen, der wie der Schrei eines Steppenvogels klang.


„Merges hat keine Angst vor dir", Masinissa strich dem Tier über die Mähne. „Er merkt, daß ich dein Freund bin. Dort aber" - er wies auf Hannos Palast - „weiß man das nicht. Dort glaubt man, ich würde dir etwas zuleide tun, und will, daß ich auf dich warten und erst einmal meine Tapferkeit im Kampf gegen eure Feinde, die Römer, beweisen soll. Das will ich tun. Doch danach werden wir immer beisammen sein."

„Immer?" wiederholte Sophonisbe.

„Ja. Ich werde mich niemals von dir trennen. Wir werden zusammen auf die Jagd reiten, nebeneinander im Gras liegen und in die Sterne schauen. Du weißt, jeder Mensch besitzt seinen Stern, den die Götter zur selben Zeit schufen wie ihn. Wenn der Stern fällt, stirbt der Mensch. Dein Stern ist wahrscheinlich schöner und leuchtender als jeder andere. Nachts betrachte ich häufig den Himmel und suche ihn. Ich habe das Gefühl, wenn ich ihn fände, würde ich dich niemals verlieren. Aber am Himmel stehen so viele Sterne! Sie funkeln auf, erlöschen, wechseln die Plätze, als wollten sie mich verspotten, und hüllen sich in einen blauen Vorhang, so daß ich sie nicht mehr sehen kann."

„Ich will dir meinen Stern zeigen", sagte Sophonisbe traurig. „Es ist ein ganz gewöhnlicher kleiner Stern. Am Tage, als ich zur Welt kam, stieg er am Himmel auf und brachte Sommerhitze mit. Die Priester sagen, es sei ein Unglücksstern. Komm heute nacht, dann wollen wir ihn zusammen betrachten."

„Heute nacht bin ich schon auf See", erwiderte Masinissa. „In wenigen Stunden fährt die Flotte nach Iberien. Magon, Hannibals Bruder, will mich mitnehmen. Dein Vater wird von mir hören. Im Kampfgetümmel Iberiens werde ich deinen Stern finden."

Die Verschwörung

Die Reste des von Hannibal besiegten römischen Heeres sammelten sich in Canusium, einer Stadt in der Nähe von Cannae, neun Meilen stromabwärts des Aufidus. Es war ein kleiner Ort, der aber dicke Mauern besaß und zu den stärksten Festungen Italiens gehörte. Hannibal war schon oft an Canusium vorübergezogen, hatte aber nie versucht, es einzunehmen.

Trotzdem fürchteten sich die Canusier vor den Karthagern, von deren Sieg schon ganz Italien erfahren hatte, und verschlossen vor den Römern ihre Häuser, um den Zorn der Karthager nicht herauszufordern.

Auf diese Weise erhielten die erschöpften römischen Legionäre nichts zu essen; sie wagten aber auch nicht, sich die Lebensmittel mit Gewalt zu nehmen, denn sie hatten Angst, daß die Canusier sich dann mit den Karthagern verbinden würden.

In der ganzen Stadt gab es nur eine einzige mitleidige Seele, eine alte Witwe, deren Mann im römischen Heer gedient hatte. Sie öffnete großzügig ihre Vorratshäuser in der Stadt und ließ durch ihre Sklaven außerdem Schafe und Schweine von ihrem Landgut holen und den Soldaten übergeben. Doch diese Lebensmittel würden höchstens für zwei bis drei Tage reichen. Was sollte dann geschehen?

Auf dem Stadtplatz sammelten sich die Flüchtlinge. Darunter befanden sich ganz alte Legionäre, deren Gesichter mit Narben bedeckt und deren Rücken durch die Last der Waffen gekrümmt waren. Daneben standen oder saßen halbe Kinder, deren Wangen das bronzene Rasiermesser noch nie berührt hatte. Sie hatten verstörte Augen und schmutzige, verweinte Gesichter. Cannae war ihre erste Schlacht gewesen; sie hatten das Grauen dieses Gemetzels erlebt, viele hatten sich totgestellt und waren so lange zwischen den Leichen liegengeblieben, bis sie unter dem Schutz der Dunkelheit entfliehen konnten. Andere, wie der junge Kommandeur Publius Scipio, waren durch die schnelle Strömung des Aufidus davongetrieben und gerettet worden. Sie hatten geschworen, der Gottheit dieses Flusses ein Dankopfer zu bringen.

Publius hatte den langen Aufenthalt im kalten Wasser nicht unbeschadet überstanden. Ihn schüttelte das Fieber. Seine Zähne klapperten. Aber er nahm sich zusammen und verteilte mit den anderen Kommandeuren Korn und Fleisch unter den Legionären. Plötzlich legte sich ihm eine Hand auf die Schulter.

„Du bist es, Philus?" sagte er zu einem jungen Mann. „Was ist?"

„Eine Verschwörung!" stieß Philus mit zitternder Stimme hervor. „In einem Hause der Meteller haben sich viele Kommandeure versammelt. Sie wollen mit dem Schiff aus Italien fliehen!"



Wieder die Meteller! dachte Publius. Ihm fiel die Begegnung mit Gnaeus Naevius ein, der die Ränke dieser Patrizierfamilie entlarvt hatte. Jetzt wollte ein Meteller die Krieger zum Verrat anstiften. Nein, das durfte nicht geschehen.

„Freunde!" rief er über den weiten Platz. „Wir haben den entsetzlichen Tag von Cannae überlebt, aber jetzt droht uns neues Unheil! Wem die Rettung des Vaterlandes am Herzen liegt, der folge mir!"

Die Verschwörer schickten sich gerade an, das Haus zu verlassen, als ihnen Publius mit mehreren Legionären in den Weg trat.

Unentschlossen prallten sie zurück. Was wollte dieser junge Kommandeur von ihnen?

„Besinnt euch!" rief Publius ihnen zu. „Ihr vergeßt eure Pflicht gegenüber dem Vaterland!"

„Unsere Pflicht?" wiederholte der nicht viel ältere Meteller spöttisch. „Erfüllt etwa das Vaterland seine Pflicht uns gegenüber? Wir wollen keine Sklaven der Karthager werden und auch nicht das Gnadenbrot einer alten Witwe essen. Ein Cannae genügt uns. Wir wollen frei sein!"

„Aber um welchen Preis willst du deine Freiheit bewahren, du Verräter!" versetzte Publius. „Um den Preis der Versklavung deiner Mutter und deiner Schwester? Um den Preis ihrer Demütigung und Schande? Nein, ein Römer kann nicht frei sein, solange Hannibal auf der italischen Erde weilt."

„Schluß mit dem Gefasel!" schrie der Meteller. „Wir haben keinen anderen Ausweg. In Rom wird man uns als Feiglinge zum Tode verurteilen, wenn dort bekannt wird, daß wir vor Hannibal geflohen sind. Und wenn Hannibal uns erwischt, wird er uns zu Sklaven machen, weil wir Römer sind. Und wenn wir in Canusium bleiben, verrecken wir vor Hunger!"

„Nein, wir haben noch einen anderen Ausweg!" widersprach Publius. „Wir dürfen die Waffen nicht wegwerfen! Zwar sind wir nur noch wenige und haben nicht die Kraft, Hannibal eine entscheidende Niederlage zuzufügen, aber wir sind imstande, seine Truppen des Nachts zu überfallen, ihm den Troß zu rauben, seine Vorratslager zu vernichten. -Möge der allmächtige Gott Jupiter mich und mein ganzes Geschlecht vernichten, wenn ich diese Waffe nicht im Blut des Feindes bade!" Er schwang sein Schwert über dem Kopf des Metellers. „Hört, ihr Verschwörer. Sprecht diesen Schwur nach, sonst seid ihr des Todes!"

„Möge der allmächtige Gott Jupiter mich und mein ganzes Geschlecht vernichten, wenn ich diese Waffe nicht im Blut des Feindes bade!" wiederholten viele Stimmen in dumpfem Chor.

Kampf der Gladiatoren

Hannibal hielt seinen Einzug in Capua. Tausende Einwohner standen auf Straßen und Plätzen, um den berühmten Feldherrn zu sehen. Die reichen Kaufleute hatten den Weg vom Stadttor bis zum Hause des Pacuvius, wo Hannibal wohnen würde, mit bunten Teppichläufern belegen und mit den berühmten kampanischen Rosen bestreuen lassen, deren köstlicher Duft von den Dichtern besungen wird. Die Willkommensrufe verschmolzen zu einem Brausen, das dem der Meeresbrandung glich.

Zwei Jahre lang war Hannibal nun schon in Italien, und während der ganzen Zeit hatte Capua den Römern die Treue gehalten. Zwei Jahre lang hatten die Senatoren Capuas, die mit den römischen Senatoren verschwägert waren, das Verlangen des Volkes nach einem Bündnis mit Hannibal gezügelt! Erst nach der Schlacht bei Cannae, als auch die Angst vor der Rache Roms geschwunden war, hatten sie sich zu einem solchen Bündnis bereit gefunden, zumal sie damit nun ehrgeizige Pläne verfolgten. Sie hofften, daß Capua mit Hannibals Hilfe in der Lage sein würde, sich die von Rom geraubten Ländereien zurückzuholen und zur ersten Stadt Italiens aufzusteigen. Sie versperrten sich jeden Rückweg, indem sie sämtliche römischen Bürger, die sich in geschäftlichen Angelegenheiten in Capua und Kampanien befanden, verhafteten und umbrachten. Anschließend schlössen sie mit Hannibal ein Bündnis unter der Bedingung, daß Capua seine Unabhängigkeit, Selbstverwaltung und Gerichtsbarkeit behielte.

Es war Hannibals Absicht, unmittelbar nach der Ankunft den Senat von Capua zusammenzurufen, um einen Plan des gemeinsamen Vorgehens gegen Rom auszuarbeiten, aber seine Gastgeber protestierten.

„Zunächst wollen wir dir ein Gastmahl geben, und dann zeigen wir dir die Stadt!" erklärte Pacuvius, einer der capuanischen Gastgeber.

Nach dem Essen befahl Hannibal Gnaeus Naevius zu sich.

„Du wirst mich bei meinem Rundgang durch die Stadt begleiten!" erklärte er. „Die Capuaner sollen sagen: ,Das ist Hannibal in Begleitung seines Dichters.'"

„Hast du keine Angst, daß sie denken werden: Das ist Gnaeus Naevius in Begleitung Hannibals?" lächelte der Dichter.

Pacuvius erschrak. Welche Frechheit, in diesem Ton mit dem allmächtigen Feldherrn zu reden!

Aber Hannibal lachte nur.

„Wirst du in deinem Poem auch den Jubel beschreiben, mit dem ich hier empfangen wurde?" erkundigte er sich.

„Mein Poem soll eine wahrheitsgetreue Chronik sein", antwortete Gnaeus Naevius. „In ihr wird sich das Leben Capuas, Roms und Karthagos widerspiegeln. Ja, ich werde nicht versäumen, von den kampanischen Rosen zu berichten, die dir beim Einzug gestreut wurden, aber ich werde auch den Mann erwähnen, den deine Krieger in den Kerker warfen, während du beim Gastmahl saßest!"

„Das war ein Verrückter!" rief Pacuvius entsetzt. „Er hatte seine Mitbürger offen aufgefordert, Capuas Tore Vor Hannibal zu verschließen."

„Siehst du!" sagte Hannibal gelassen. „In ganz Capua gab es nur einen einzigen Menschen, der mich und mein Heer nicht begrüßte. Und das war ein Verrückter. Ihn willst du in deinem Poem erwähnen? Ist das gerecht?"

„Wir haben ein Sprichwort", murmelte Gnaeus Naevius. „Es lautet: Die Wahrheit muß oft leiden, aber sie stirbt nie."

Hannibal schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Ach, ich verstehe! Auch du hast im Kerker gesessen, und deshalb hast du Mitleid mit diesem Manne! Gut, dann verspreche ich dir, ihm die Freiheit zu schenken, vorausgesetzt, daß er seine Schuld öffentlich bereut." Er blickte zu Pacuvius hinüber. „Und jetzt zeige mir eure Stadt. Was ist am sehenswertesten?"

„Das Amphitheater!" erwiderten Pacuvius und Gnaeus Naevius wie aus einem Munde.


Das Amphitheater war ein gewaltiger Bau von der Form einer runden Schale, deren Seitenwände aus den Zuschauerreihen bestanden. In der Mitte befand sich die mit weißem Sand bestreute Arena. Hannibal wurde in die erste Reihe geführt, auf den Ehrenplatz, wo die ausländischen Gesandten und capuanischen Senatoren zu sitzen pflegten.

Die Zuschauer erhoben sich und begrüßten den Verbündeten Capuas mit lautem Beifall. Dann wurde es still. In die Arena kamen zwei Kampfgruppen, die aus je dreißig Gladiatoren bestanden. Die eine Gruppe trug silberbeschlagene Schilde und weiße Kleidung, die andere goldbeschlagene Schilde und rote Kleidung. Die Federbüsche auf ihren Helmen wippten wie Zaubervögel.

Sie marschierten einmal rund um die Arena, stellten sich dann vor Hannibal auf und riefen einige Worte.

„Die Gladiatoren sagen: ,Die Todgeweihten grüßen dich!' Das ist bei ihnen üblich!" erklärte Pacuvius dem karthagischen Feldherrn.

Den Gladiatoren wurden die Waffen ausgehändigt, ein Trompetensignal erklang, und sie stürzten sich aufeinander. Ihre Schwerter sausten wie Blitze durch die Luft. In ihr Kampfgeschrei mischten sich die anfeuernden Rufe der Zuschauer.



Rings um die Arena standen Bedienstete mit Peitschen und Eisenstäben, bereit, jeden Gladiator zu verprügeln, der sich vor dem Kampf drücken wollte.

Nach erbittertem Handgemenge siegten die Gladiatoren mit den Goldschilden. Aber nur sechs von ihnen waren am Leben geblieben. Die Zuschauer applaudierten.

Nachdem die Sieger die Arena verlassen hatten, wurden die Toten hinausgebracht. Mehrere Sklaven harkten die Spuren des blutigen Kampfes weg.

„Halten sich auch die Römer Gladiatoren?" erkundigte sich Hannibal bei Pacuvius.

„Selbstverständlich! Nur haben sie zur Zeit andere Sorgen."

In die Arena kamen jetzt zwei Kämpfer, die Helme mit heruntergelassenem Visier trugen. Der eine hatte einen ebenholzschwarzen Körper, der andere eine weiße Haut.

„Der Äthiopier und der Gallier!" riefen die Zuschauer.

Nach ihrem Freudengeschrei zu urteilen, waren ihnen beide Gladiatoren genau bekannt. Aber sie kämpften nur lässig.

„Peitscht sie!" schrien die Zuschauer erbost.

Die Bediensteten gehorchten. Ihre Peitschen hinterließen auf den Rücken der Gladiatoren lange blutige Spuren.

Hannibal mußte an den Zweikampf denken, den er nach dem Alpenübergang vor seinem Heer veranstaltet hatte. Damals hatten die Kämpfer sich mit mehr Leidenschaft geschlagen, obgleich sie nicht mit Peitschenhieben angetrieben wurden.

„Und was erhält der Sieger?" fragte er Pacuvius.

Der Capuaner begriff nicht. „Du willst wissen, was der Besitzer der Gladiatorenschule erhält?" fragte er zurück.

„Nein, mich interessiert, welche Belohnung der Gladiator erhält, der als Sieger aus diesem Zweikampf hervorgeht."

Der Capuaner lachte. „Vielleicht werden ihm bei seinem nächsten Vergehen die Rutenstreiche erlassen, oder man setzt ihm ein üppiges Festmahl vor."

„Jetzt begreife ich, weshalb sie so lustlos kämpfen", meinte Hannibal.

„Wenn der Sieger die Freiheit erhielte, wären die Leute mit den Peitschen überflüssig."

„Aber ein guter Gladiator ist ein Vermögen wert", wandte Pacuvius ein. „Der Besitzer der Gladiatorenschule riskiert bei jedem Kampf, daß er seine Gladiatoren verliert, und ist heilfroh, wenn wenigstens einer am Leben bleibt. Was hätte er davon, wenn er den Sieger freilassen müßte?" Er besann sich. „Andererseits bist du unser Gast, und es ist mir ein Vergnügen, deine Wünsche zu erfüllen." Er winkte einem Bediensteten und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Kurz darauf wurde der Zweikampf unterbrochen, und der Ausrufer verkündete: „Der unter uns weilende große Feldherr Hannibal äußerte den Wunsch, dem Sieger dieses Zweikampfes die Freiheit zu schenken. Pacuvius wird alle Verluste bezahlen, die dem Besitzer der Gladiatorenschule daraus entstehen."

Der Kampf ging weiter. Der Gallier drang auf den Äthiopier ein. Dieser wehrte sich erbittert, wich aber langsam an die Barriere zurück.

Ebenso wie bei dem Gefecht zwischen den Goldschilden und den Silberschilden teilte sich das Amphitheater in zwei Parteien.

„Jag den Äthiopier!" schrien die einen.

„Laß den Gallier nicht so dicht ran!" brüllten die anderen.

Ja, das war ein Kampf, wie ihn weder die Capuaner noch Hannibal jemals gesehen hatten. Damals, am Fuß der Alpen, hatten zwei halbe Kinder miteinander gefochten, von Hunger und Ketten erschöpft. Hier dagegen schlugen sich Männer, die gleich viel Kampferfahrung und Siegeswillen besaßen. Jeder von beiden trug die Freiheit auf der Spitze seines Schwertes.

Allmählich war zu erkennen, daß der Gallier erlahmte. Sein Gesicht und seine Schultern bedeckten sich mit Schweiß, seine Bewegungen wurden unsicher. Er versuchte, dem Äthiopier so schnell wie möglich den entscheidenden Streich zu versetzen. Sein Gegner kämpfte viel ruhiger und kaltblütiger.

Doch was war das?

Das Schwert krachte gegen den Schild des Äthiopiers. Der rutschte aus. Nein, das war nur eine Finte. Von unten führte er einen kurzen, kraftvollen Schlag. Der Gallier brach zusammen.

Das Amphitheater tobte. Die Zuschauer sprangen von den Plätzen und jubelten dem Sieger zu. Viele warfen ihm Geldstücke und Blumen in die Arena.

Die Vorstellung war beendet.

Der Raub des Feldzeichens

Erst nach seiner Ankunft in Iberien erkannte Magon, daß die karthagischen Ratsherren ihn hereingelegt hatten, als sie ihn beauftragten, in Iberien ein Heer aufzustellen. Denn sie wußten, daß in Iberien keine Krieger aufzutreiben sein würden.

Kurz vor der denkwürdigen Sitzung im Großen Rat, in der Magon die goldenen Ringe auf den Tisch geschüttet hatte, war eine Botschaft von Hasdrubal eingetroffen, in der er einen Aufstand in Nordiberien meldete. Führer dieses Aufstandes war Alorkes, der Mann, den Hannibal seinerzeit als Sendboten in das belagerte Sagunt gesandt hatte. Alorkes hatte die iberischen Stammesfürsten und die Kapitäne der Schiffe, die in der Ebromündung lagen, gegen Karthago aufgewiegelt. Iberien konnte Hannibal demnach keinesfalls Krieger schicken, es brauchte selber Hilfe. Auch Karthago mußte ihm die Verstärkung versagen, denn kurz nach Magons Abreise zog Syphax gegen die Stadt zu Felde, entweder, weil er sein Bündnis mit Rom erneuert hatte, oder auch, um Hanno zu zwingen, ihm seine Tochter Sophonisbe zur Frau zu geben. Auf jeden Fall hatte er sich wieder in einen Feind Karthagos verwandelt.

Die Römer nutzten Karthagos schwierige Lage aus, um ihre Angriffe in Iberien zu verstärken. Zu den Truppen des Gnaeus Scipio, der sich seit Beginn des Krieges in Iberien aufhielt, stießen die Legionen seines Bruders Publius Scipio, des ehemaligen Konsuls. Offenbar hielten die Römer Iberien für kriegsentscheidend, denn sonst hätten sie sich wohl nicht entschlossen, ihren besten Feldherrn nach Iberien zu schicken, obgleich sie in Italien eine Niederlage nach der anderen erlitten.

Die Römer hatten ihr Lager am Ebro aufgeschlagen, die Karthager fünf Meilen davon entfernt. In den ersten Tagen lieferten sich die Feinde nur kleine, vorbereitende Gefechte. Dann aber entschloß sich Hannibals Bruder Hasdrubal, der das karthagische Heer führte, zur Entscheidungsschlacht. Mittags verließ sein Heer das Lager und marschierte auf den Ebro zu.

Es war die erste Schlacht, an der Masinissa teilnahm. Seine numidischen Krieger besaßen je zwei Pferde. Auf dem einen ritten sie, das andere führten sie am Zügel, und während der Schlacht wechselten sie von dem erschöpften Pferd auf das frische über. Nur Masinissa hatte kein Reservepferd bei sich. Er ritt wie immer seinen Merges.

Fürchterlich war der Angriff der römischen Legionäre. Sie wußten, daß ihre Rückkehr ins Vaterland vom Ausgang dieser Schlacht abhing, und waren entschlossen, zu siegen oder zu sterben. Anders verhielt es sich bei den Iberern in Hasdrubals Heer. Falls sie siegten, würden sie nach Italien geschickt werden, um Hannibals Heer zu verstärken. Das wollten sie vermeiden und waren bereit, sogar eine Niederlage dafür in Kauf zu nehmen. Aus diesem Grunde wich das aus Iberern bestehende Zentrum des karthagischen Heeres schon gleich nach Eröffnung der Schlacht zurück. An den beiden Flanken, wo Hasdrubal die Afrikaner aufgestellt hatte, wurde mehr Widerstand geleistet. Trotz aller Anstrengung gelang es den Römern nicht, die Flanken aufzureißen, aber auch Hasdrubal brachte es nicht fertig, sie zu einer Umzingelung zu schließen und in Iberien ein Cannae zu wiederholen.


Daraufhin führten die Römer ihre große, hauptsächlich aus Iberern bestehende Reiterei ins Feld. Aber Masinissas Reiter deckten das karthagische Heer zuverlässig ab, obgleich sie den Römern an Zahl unterlegen waren. Jeder Numidier kämpfte für zwei. Ihre Pferde kannten keine Erschöpfung.

Gegen Abend zogen sich die Karthager allmählich zu ihrem Lager zurück. Die numidischen Reiter bildeten die Nachhut. Plötzlich löste sich aus ihren Reihen ein Reiter auf einem Schimmel -Masinissa. Er sprengte mitten hinein in die verfolgenden Römer, erreichte den Fahnenträger - ehe die Römer recht wußten, was geschah -, entriß ihm das Feldzeichen, in das ein Specht, das Wappentier der Truppe, eingestickt war, und jagte davon. Die Legionäre waren verwirrt. Der Verlust der Fahne war eine große Schande, für die alle bestraft würden. Mehrere römische Kavalleristen setzten dem Verwegenen nach. Masinissa duckte sich auf Merges' Hals. Der Wind pfiff ihm um die Ohren und riß am Tuch des römischen Feldzeichens, das er in der Eile nicht zusammenrollen konnte. Er bedauerte jetzt, daß ihm in der Schlacht nicht zwei Pferde zur Verfügung gestanden hatten. Nun war Merges erschöpft und keuchte, während die Römer über ausgeruhte Pferde verfügten. Sie kamen immer näher, das Tuch, das er in der Hand hielt, zog sie unwiderstehlich an. Schon hätten sie ihn oder Merges mit dem Wurfspieß erreichen können. Warum taten sie das nicht? Masinissa spähte voraus. In einiger Entfernung versperrte ihm der Ebro mit seinen Steilufern den Weg. Sie wollen mich lebendig fangen! dachte er und trieb Merges zu schnellerem Lauf an.

Leichtfüßig schwang sich der Schimmel in die Luft und setzte über den Fluß. Die Römer zügelten ihre Pferde mühsam am Rande des Uferhangs. Masinissa blickte zurück. Die Feinde sandten ihm nur kraftlose Flüche nach.

Er ritt noch eine Strecke, sprang dann aus dem Sattel, warf das Feldzeichen mit dem Spechtbild zu Boden und streichelte Merges dankbar den schweißnassen Hals.

„Sophonisbe weiß nicht, welcher Gefahr wir entgangen sind", sagte Masinissa leise. „Diesen römischen Vogel werde ich Hanno schicken. Soll ihn der Alte sich übers Bett hängen, und wenn ihm ein Vogel nicht genügt, werden wir beide ihm einen zweiten beschaffen. Nicht wahr, Merges?" Merges wieherte ungeduldig, als wollte er Masinissa zum Aufbruch drängen.

„Ja, du hast recht", sagte Masinissa, „es wird Zeit für uns. Hasdrubal und Magon fürchten sicherlich schon, daß uns die Götter des Todes geholt haben. Doch wir werden ihnen dies hier vorweisen." Er hob das römische Feldzeichen von der Erde auf und sprang in den Sattel.

Die beiden Brüder

Das Schiff erhielt einen Stoß und legte sich auf die Seite. Magon, der am Heck saß, mußte sich festhalten, um nicht über Bord zu fallen. Bevor er an Land ging, warf er einen bewundernden Blick auf das mit Bauten, Gärten und Hainen geschmückte Ufer; hier wetteiferte die Kunst der Menschen mit der Natur. Schade, daß sein Bruder nur einen kleinen Abschnitt dieses Uferstreifens besetzen konnte! Nola, Neapel und die anderen malerisch gelegenen Städte waren Rom treu geblieben. Magon hatte gehört, daß Hannibal bei der Belagerung von Nola zweieinhalbtausend Krieger und - was noch schlimmer war - einen ganzen Sommer verloren hatte. Und das kleine Nest, in dem das Schiff vor Anker ging, war von seinen Bewohnern verlassen und schon halbzerstört von Hannibal übernommen worden.

Die Straße nach Capua führte an Weinbergen vorbei. Es war die Zeit der Lese. Die mit bernsteingelben oder purpurroten Trauben gefüllten Körbe wurden von den Sklaven zur Straße hinuntergetragen und kleinen Eseln auf die Rücken gebunden.

Hannibal hatte sein Lager nicht in Capua aufgeschlagen, sondern fünf Meilen davon entfernt, am Ufer des Volturno. Auf dem Weg dahin traf Magon wiederholt Söldner, die zu zweit oder zu dritt gingen und in ihrer Muttersprache Lieder grölten. Einige wurden von halbnackten, stark geschminkten Frauen begleitet.

Im Gras lagen einige Soldaten, an ihrer Kleidung als Iberer erkennbar. Im Vorübergehen hörte Magon ein paar Fetzen ihres betrunkenen Geschwätzes.

„Als ich aus dem Amphitheater komme, steht sie an der Ecke. Solche Augen! Na, und auch das übrige..."

„Und hast du sie da stehengelassen?"

Dröhnendes Gelächter.

Nein, die betrunkenen Soldaten rühmten sich nicht ihrer kriegerischen Heldentaten. Wenn man sie so ansah, konnte man kaum glauben, daß sie sich in Feindesland befanden. Magon wurde vieles klar. Sein Bruder Hannibal hatte neue gefährliche Feinde erhalten - Ausschweifung und Luxus. Sie drangen ins Heer ein und zerstörten es von innen, wie der Wurm den Apfel. Nach den entsetzlichen Strapazen in den Alpen, nach blutigen Schlachten, Dreck und Entbehrung waren Hannibals Krieger in dieses gesegnete Land gekommen, das die Belohnung für alles war, was sie ertragen hatten. Eine durchaus verdiente Belohnung! Sie den Soldaten zu rauben, ihnen das zu nehmen, was ihnen greifbar war und was sie verdient hatten - dazu hatte auch Hannibal nicht die Macht.


Hannibal schloß seinen Bruder in die Arme und führte ihn und seine Begleiter an die reich gedeckte Tafel. Und während Magon aus einem Silberbecher Falernerwein trank und an einem Hühnerbein knabberte, überlegte er: Ja, die Männer, die am Trasimenischen See und bei Cannae kämpften und siegten, haben ein Recht auf ein weiches Lager, auf einen guten Wein und auf schmackhaftes Essen. Dennoch ist all das Luxus und wird das Heer zugrunde richten.

„Nun erzähle, was du erreicht hast, Bruder", sagte Hannibal, nachdem Magon seinen Hunger gestillt hatte.

Und Magon gab einen Bericht von den Nackenschlägen, die die Karthager in Iberien erlebt hatten, von der Meuterei der Schiffsführer, dem Abfall der iberischen Bundesgenossen und der Schlacht am Ebro, wo sich nur Masinissa hervorgetan hatte.

„Ja, Masinissa verdient die Belohnung, nach der er sich sehnt", sagte

Hannibal nachdenklich.

„Sprichst du von der Heirat mit Sophonisbe?"

Hannibal nickte.

„Ich fürchte, daß Hanno ein doppeltes Spiel treibt", seufzte Magon bekümmert. „Es geht das Gerücht, daß Hanno Verhandlungen mit Syphax aufnahm, nachdem dieser seine Reiterei gegen Karthago gesandt hatte. Er soll ihm Sophonisbe angeboten und zum Lohn dafür einen Friedensvertrag und ein Bündnis gegen Rom verlangt haben."

„Ja, Hanno ist ein Krämer", bestätigte Hannibal verächtlich. „Der reiche König Syphax kann ihm mehr bieten als Masinissa, der bisher nur Thronfolger ist und nichts besitzt als sein Pferd."

„Aber was ist das für ein herrliches Tier! Ich würde alle Reichtümer der Welt dafür hergeben ..."

„... wenn du sie hättest", fiel Hannibal ihm trocken ins Wort. „Denn soviel ich weiß, hat dich der Krieg nicht reicher gemacht als mich. Alles, was man uns aus Karthago schickt und was wir hier durch Gewalt oder gutes Zureden erhalten, geht an die Söldner. Und der Krieg wird noch lange dauern."

„Nein, bald wird er zu Ende gehen", widersprach Magon überzeugt.

„Hasdrubal rüstet sein Heer für einen Übergang über die Alpen nach deinem Vorbild aus. Und Masinissa wird ihn begleiten. Wenn wir drei

Brüder zusammen in Italien kämpfen, wird sich Rom nicht halten können."

Casilinum

Diesen kleinen Ort am Volturno kannte vor dem Krieg mit den Karthagern kaum jemand. Seine Mauern waren weniger hoch und fest als die vieler anderer italischer Städte.

Kurz vor der Schlacht bei Cannae lag hier eine kleine Einheit von römischen Legionären, die den Anschluß an das Hauptheer verpaßt hatten. Als sie von der Niederlage bei Cannae erfuhren, blieben sie weiterhin in der Stadt und warteten auf Befehle aus Rom. Solche Befehle trafen aber nicht ein, die Legionäre hörten nur, daß das unweit gelegene Capua zu Hannibal überging. Zweifellos würden die Einwohner von Casilinum diesem Beispiel folgen. Deshalb drangen die Römer in ihre Häuser ein, metzelten sie nieder und verrammelten die Stadttore.

Es mißfiel Hannibal, eine feindliche Festung in seiner Nähe zu wissen, deshalb sandte er eine kleine afrikanische Einheit nach Casilinum mit dem Befehl, die Römer durch Verhandlungen zur Übergabe zu bewegen. Als sich die Afrikaner der Stadt näherten, wunderten sie sich über die völlige Stille, die darin herrschte, nahmen an, die Römer hätten Casilinum bereits geräumt, und versuchten, das Stadttor zu öffnen. Doch da sprang es auf, zwei römische Zenturien stürzten sich auf die verdutzten Afrikaner und machten sie nieder.

Daraufhin sandte Hannibal eine größere Einheit unter Magarbais Befehl gegen die Festung, aber auch sie mußte ergebnislos abziehen. So blieb Hannibal nichts anderes übrig, als sein ganzes Heer gegen Casilinum einzusetzen und die Stadt zu belagern. Und weil sie so klein war, baute er keine Wandeltürme, sondern beschränkte sich auf Sturmleitern und Laufgräben.


Außerdem gruben die Karthager unterirdische Gänge in die Stadt. Tag und Nacht arbeiteten sie daran. Die ausgeschachtete Erde wurde nachts heimlich auf Tragbahren weggeschafft. Aber die Römer ließen sich nicht täuschen. Sie fanden jeden Ausgang, versperrten ihn und schütteten Fässer mit brennenden Hühnerfedern hinein, deren Rauch den karthagischen Kriegern den Atem nahm.

Der gleiche Mißerfolg erwartete die Belagerer, als sie versuchten, mit Sturmböcken und Sturmleitern vorzugehen. Die Römer überschütteten sie mit Pfeilen und Wurflanzen. Bei dieser Gelegenheit wurde der Inder Richad tödlich verwundet. Sur, sein Elefant, trauerte so tief um ihn, daß er jede Nahrung verweigerte und keinen anderen Treiber an sich heranließ.

Die Regenzeit setzte ein. Das Wasser überschwemmte die unterirdischen Gänge. Viele Krieger bekamen Fieber. Hannibal blieb nichts anderes übrig, als mit dem größten Teil seines Heeres abzuziehen. Er ließ nur die afrikanischen Truppen zurück in der Hoffnung, daß sie die römischen Legionäre aushungern würden.

Als er im Vorfrühling nach Casilinum zurückkam, versicherten ihm die Afrikaner, daß nur noch etwa zweihundert Legionäre am Leben wären; die übrigen hätten sich inzwischen vor Hunger von der Stadtmauer gestürzt oder sich waffenlos auf die Mauer gestellt und die Brust den Pfeilen und Speeren dargeboten. Ein Überläufer berichtete, daß die Belagerten schon längst sämtliche Mäuse und Ratten verzehrt hätten und jetzt nur noch mit den Lederriemen und Lederbezügen ihrer Schilde, die sie in Wasser einweichten und dann kochten, ihr Leben fristeten.

Einmal verfing sich ein Holzfaß mit Mehl in den überhängenden Zweigen der Weiden, die am Ufer des Volturno standen. Offenbar hatte die Stadt geheime Helfer, die sie auf dem Wasserwege mit Lebensmitteln zu versorgen suchten.

Hannibal stellte Wachen auf, die den Fluß beobachteten und feststellten, daß keine größeren Gegenstände den Fluß heruntertrieben, nur unzählige Nüsse, die von den Belagerten sicherlich mit Sieben und Netzen aufgefischt wurden.

Verblüfft erfuhr er, daß die Römer von der Stadtmauer aus Rübensamen auf die Erde warfen, die seine Krieger ausgeschachtet hatten. Soll ich etwa noch so lange hier liegen, bis diese Samen aufgegangen sind? fragte er sich besorgt und willigte ein, mit den Belagerten zu verhandeln.

Die Belagerung von Casilinum hatte ihn fast ein Jahr gekostet. Und wie viele solcher Städte gab es noch in Italien!

Ihn bekümmerte auch, daß Gnaeus Naevius geflohen war. Er hatte im karthagischen Lager völlige Freiheit genossen. Hannibal unterhielt sich oft mit ihm und glaubte, das Interesse des Dichters für ihn bände ihn fester an die Karthager als jede Fessel. Aber noch kränkender als seine Flucht war der Brief, den er hinterlassen hatte. Er enthielt nur wenige Worte: „Wer Hannibal bei Cannae sah, findet Hannibal bei Casilinum unerheblich."

Er ist ausgezogen, um sich einen anderen Helden zu suchen! dachte Hannibal niedergeschlagen.

Hannibal vor den Toren

„Hannibal vor den Toren! Hannibal vor den Toren!" Überall in Rom erklang dieser Schreckensruf.

Jammernd reckten die Greisinnen die Arme gen Himmel und wischten mit dem eigenen Haar die Tempelstufen und Opferaltäre, um die Götter anzuflehen, sich Roms zu erbarmen.

„Hannibal vor den Toren!"

Schon seit acht Jahren klang dieser Name durch Italien. Wie oft hatten die Römer ihn nach den entsetzlichen Niederlagen ihrer Legionen genannt und ohnmächtig die Fäuste geschüttelt! Wieviel Angst und Tränen hatte er Rom gebracht! Selbst wenn Hannibal Hunderte von Meilen entfernt war, flößte er den Römern Entsetzen ein.

Und jetzt stand er vor den Toren!

Hannibal betrachtete die große Stadt. Rom war sein Ziel gewesen, als er den Oberbefehl über das Heer übernahm. In den eisigen, schneeverwehten Schluchten der Alpen hatte er an Rom gedacht. Mit jedem Sieg rückte ihm Rom näher. Als er am Trasimenischen See die Legionen des Konsuls Flaminius vernichtet hatte, glaubten die Römer in ihrer Angst, nun würde er in ihre Stadt einziehen. Aber das konnte er nicht, weil seine Krieger zu jener Zeit allzu erschöpft gewesen waren. Dann warteten die Römer nach ihrer Niederlage bei Cannae jeden Augenblick auf sein Erscheinen. Zu diesem Zeitpunkt wäre er auch stark genug gewesen, um Rom zu überwältigen.

Aber es genügte Hannibal nicht, Rom zu erobern und zu zerstören. Er träumte von mehr. Er glaubte, daß es ihm gelingen würde, alle italischen Stämme unter seiner Herrschaft zu vereinen, daß die Römer dann von selber die Waffen niederlegen würden und er Rom zur Hauptstadt seines Reiches machen könnte. Doch die Standhaftigkeit der Römer und die Angst, die sie auch in ihrer schwierigen Lage den Italikern einflößten, machten seine Pläne zunichte. Außer Capua ging keine einzige Stadt freiwillig zu ihm über.

So blieb Hannibal nichts anderes übrig, als die Widerspenstigen durch viele Feldzüge und Belagerungen nacheinander zu zwingen, sich ihm zu unterwerfen. Bei einem dieser Feldzüge, der ihn quer durch Italien führte, machten sich römische Truppen seine Abwesenheit zunutze und begannen mit einer Belagerung von Capua.

Hannibal kam der Stadt sogleich zu Hilfe. Er zwang die Römer, die Belagerung abzubrechen, war jedoch nicht imstande, sich lange in Capua aufzuhalten, weil ihm der Proviant für seine Truppen ausging. Nach seinem Abzug schlossen die Römer erneut einen eisernen Belagerungsring um Capua. Wieder kehrte Hannibal zurück. Diesmal versuchte er, die Römer in einer offenen Feldschlacht zu stellen. Die aber verschanzten sich in ihrem uneinnehmbaren Lager. Die Römer darin zu belagern, war Hannibal nicht imstande, weil sie vorher sämtliche Lebensmittelvorräte und alles Futter für die Pferde in der Umgebung von Capua vernichtet hatten. Deshalb beschloß er, gegen Rom zu ziehen in der Hoffnung, die römische Armee würde die Belagerung Capuas abbrechen, um ihre Vaterstadt zu retten.

In Eilmärschen war er nach Rom gezogen. Nun stand er vor den Toren und betrachtete die Stadt. Sie sah ganz anders aus, als er sie sich vorgestellt hatte. Da er die Ordnungsliebe der Römer und ihre strenge Disziplin kannte, hatte er geglaubt, ein großes Feldlager zu erblicken - schnurgerade Straßen, quadratische Stadtviertel. Doch statt dessen nahm er schmale krumme Gassen wahr, ein- und zweigeschossige Häuser, die inmitten grüner Gärten lagen und mit Brettern oder Ziegeln gedeckt waren. Kein römischer Tempel konnte sich mit den karthagischen Tempeln der Tanit und des Baal-Ammon messen, was Größe und Pracht betraf. Auch mit dem reichen, schönen Capua ließ sich Rom nicht vergleichen. Und diese Stadt hatte er zur Hauptstadt seines Reiches machen wollen?

Ein Melder sprengte herbei.

„Herr!" rief er. „Die Römer geben die Belagerung Capuas nicht auf!"

Hannibal war ungeduldig. Hatte Cannae den Römern nicht bewiesen, daß sie außerstande waren, zu siegen? Jede andere Stadt hätte schon längst die Waffen gestreckt und um Gnade gebeten, doch Rom setzte den Kampf fort, verschanzte sich hinter Mauern, Gräben und Pfahlzäunen und führte von dort aus seine Schläge.

Hannibal stand der Form der Kriegführung, die ihm von Rom aufgezwungen wurde, ohnmächtig gegenüber. Er war an offene Feldschlachten gewohnt, doch Rom zwang ihn zum Warten. Die Zeit war nun sein schlimmster Feind. Sie nahm ihm die Verbündeten, leerte seine Kassen, verdarb seine Krieger.

Zwei Tage später zog Hannibals Heer nach Süden, nachdem es Roms Umgebung geplündert und verheert hatte. Den Römern erschien sein Abzug wie ein Wunder - wie ein Alptraum, den das Morgenlicht verscheucht. Sie verließen die Stadt und wanderten zum zweiten Meilenstein der Appischen Straße, dorthin, wo Hannibal gestanden hatte. Dieser Ort wurde für heilig erklärt, und inmitten der dort befindlichen weißen Marmorgrabsteine wurden Altäre für die Götter errichtet, die Rom beschützt hatten.

Hannibals mißlungener Angriff auf Rom öffnete den römischen Truppen die Tore der wehrlosen Stadt Capua. Roms Rache war fürchterlich. Alle Einwohner der Stadt wurden auf den Stadtplatz geführt, wo sie mit ansehen mußten, wie ihre Senatoren, die man für die Hauptschuldigen am Abfall Capuas von Rom hielt, nacheinander ausgepeitscht und geköpft wurden. Nachdem diese Prozedur zu Ende war und die Liktoren ihre Äxte in die Rutenbündel zurückgeschoben hatten, erhielten die Legionäre den Befehl, sämtliche Capuaner aus ihrer Vaterstadt hinauszuführen und sie in die Sklaverei zu verkaufen.

Da löste sich ein Capuaner mit hartem zerfurchtem Gesicht aus der Menge und ging auf den Konsul zu, der die Legionäre befehligte.

„Ich will dir Gelegenheit geben, dich späterhin rühmen zu können, du habest einen Mann getötet, der tapferer war als du. Die Menschen, die du bisher umgebracht hast, waren waffenlos. Ich aber bin ein Krieger. Töte mich."

„Du bist von Sinnen!" rief der Konsul. „Ich könnte dich wegen deiner Dreistigkeit hinrichten lassen, aber ich schenke dir ebenso wie deinen Landsleuten das Leben."

„Was soll mir noch das Leben", versetzte der Capuaner, „wenn sich meine Vaterstadt in Feindeshand befindet, wenn meine Brüder und Freunde nicht mehr am Leben sind, wenn ich mit eigener Hand Weib und Kinder töten mußte, um sie vor der Sklaverei zu bewahren! Du versagst mir den Tod? Gut, dann gebe ich ihn mir selbst!" Er riß einen Dolch aus der Toga, stieß ihn sich in die Brust und sank zu Boden.


Загрузка...