V Wechselndes Kriegsglück

Von Deck zu Deck wurde der Feuerbefehl weitergegeben. Jeder Geschützführer stieß seine Lunte ins Zündloch und sprang zur Seite. Nur ein Sekundenbruchteil, aber Bolitho, der zwischen zwei Zweiunddreißigpfündern stand, kam es wie eine Ewigkeit vor. Nur einen Augenblick — aber der wollte kein Ende nehmen sah er das alles wie ein Gemälde, kristallklar, wie inmitten der Bewegung erstarrt: die nackten Rücken der Seeleute, die gebückt an den Taljen standen oder mit Handspeichen arbeiteten; die einzelnen Geschützführer, den Blick in grimmiger Konzentration nur auf die eigene Stückpforte und das Ziel gerichtet. Und durch jede der quadratischen Stückpforten sah man die Festung in der Sonne liegen, unter dem bleichen Himmel, über den auch nicht das kleinste Federwölkchen zog.

Und dann auf einmal war alles anders. Das untere Geschützdeck schien zu bersten, der Schiffsrumpf bockte, als hätte ihn eine Lawine gestreift. Ein Geschütz nach dem anderen rannte donnernd auf seiner Lagerung zurück, die Mannschaft stürzte sich darauf, um das Rohr mit dem Schwamm auszuputzen, die neue Pulverkartusche und die nächste mattglänzende Kugel hineinzurammen. Der Wind erfaßte den dicken Pulverqualm, trieb ihn in Wolken am Schiff vorbei, bis er die Festung einhüllte und den klaren Himmel mit braunem Nebel bedeckte.

«Entlüftungen stopfen! Ausputzen! Laden!«brüllte Tergorren. Aber seine Stimme klang, als käme sie durch einen Vorhang, denn die erste Salve hatte alle Trommelfelle bis fast zur Taubheit gelähmt.

Doch war deutlich zu sehen, wie das Abfeuern der Steuerbordbatterie auf die Männer wirkte. Die Nervosität der ersten Minuten war verflogen; statt dessen lag so etwas wie grimmige Wildheit in der Luft. Triumphierend grinsten sich die Geschützbedienungen an und schwenkten die Arme wie Kinder, die einander durch Gesten und Handzeichen aufregende Dinge mitzuteilen haben. Das war kein bloßes Geschützexerzieren wie sonst, das war Wirklicheit, ernsthaftes Schießen.

«Ausrennen!»

Aufs neue knarrten und quietschten die Haltegiens an beiden Decks, wütend stürzten sich die Mannschaften an die Taljen, jede wollte ihr Geschütz als erstes draußen haben.

«Jetzt werden sie eine andere Melodie pfeifen, beim Himmel!«rief Wellesley aufgeregt. Und Tergorren ergänzte knurrend:»Wer sie auch immer sein mögen, verdammt!»

Während die Mannschaften in Erwartung des Feuerbefehls über die elevierten Rohre starrten, hörte Bolitho oben das Trampeln der Matrosen beim Segelmanöver. Die Gorgon mußte einen großartigen Anblick bieten, aber dafür hatte wohl im Moment kaum jemand Sinn. Zweifellos mußte sie unter verkürzten Segeln und mit ihren in der Morgensonne blitzenden Kanonen schon dicht unter der Küste sein. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wer das Schiff beschossen hatte, oder warum — aber das war ihm, wie er zu seiner eigenen Überraschung feststellte, auch ganz gleichgültig. In diesen kurzen Minuten war das ganze Schiff mit allen Männern darin zu einer Einheit geworden.

«Klar zum Feuern! Dasselbe Ziel!«Die Spannung war atemberaubend.»Feuer!»

Wieder schüttelte sich das Schiff wie im Fieberschauer, die Planken knirschten unter den Füßen im Rückstoß der Geschütze, deren auspuffender Qualm wie ein Vorhang an den Stückpforten hängenblieb.

Dancer rief:»Hoffentlich können sie auf dem Achterdeck sehen, was wir hier machen! Unsere Geschütze tragen bis zum Himmel!«Er hatte kaum ausgesprochen, da fuhr er zusammen: etwas schlug donnernd gegen den Schiffsrumpf; unmittelbar darauf ertönte von oben wildes Geschrei.

Bolitho nickte Dancer besorgt zu. Ein Treffer. Der Gegner, wer er auch sein mochte, erwiderte das Feuer.

Irgendwo begann eine Pumpe zu klappern. Vermutlich hatte eine erhitzte Kugel das Plankenwerk durchschlagen, und man brauchte Löschwasser, damit das Holz nicht Feuer fing.

Neben Bolitho hob ein Matrose die Hand zum Oberdeck hin.»Da kriegen die faulen Hunde auch mal was zu tun, eh?»

Aber keiner lachte; und Bolitho beobachtete, wie Wellesley sich mit hastigen, nervösen Bewegungen das Kinn rieb — als könne er überhaupt nicht glauben, daß jemand so vermessen sei, auf ein Schiff des Königs zu schießen.

«Alles geladen, Sir!»

Ein Melder tauchte am Niedergang auf und rief mit schriller Stimme.»Wir gehen über Stag, Sir! Backbordgeschütze feuerbereit machen!»

Fairweather spähte zu Bolitho herüber. Weiß blitzten seine Zähne in dem wirbelnden Pulverdampf.»Denen haben wir ordentlich eins verpaßt, Sir jetzt kriegen die Backbordgeschütze auch mal 'ne Chance!»

Der Geschützführer warf einen raschen Blick auf das Verschlußstück und knurrte:»Quatsch — die haben uns geschlagen. Wir machen, daß wir wegkommen, du blöder Narr!»

Bolitho sah die Verwirrung in Fairweathers Miene und spürte, wie die unverblümten Worte des Geschützführers die Männer in seiner Hörweite beeindruckten.

Tergorren stapfte vorbei; sein Kopf senkte und hob sich beim Passieren der massiven Decksbalken.

«Klar bei den Geschützen! Fertigmachen zum Ausrennen!«Er hielt inne und blickte Bolitho an.»Was, zur Hölle, haben Sie hier zu glotzen?»

«Wir gehen über Stag, Sir!«Bolitho bemühte sich, ruhig zu sprechen, obwohl von Land aus weiter gefeuert wurde. Der geheimnisvolle Festungskommandant mußte reichlich Munition haben.

«Das haben Sie ja geradezu meisterhaft erkannt, Mr. Bolitho!«Tergorren mußte sich an einem Decksbalken festhalten, denn die Gorgon drehte sich eben schwerfällig in den Wind und krängte so steil, daß die See bis an die Stückpforten kam.»Der Schlachtenlärm war wohl zuviel für Sie?»

«Nein, Sir. «Ohne sich von Tergorrens Feindseligkeit beeindrucken zu lassen, fuhr Bolitho fort:»Wir segeln zu dicht unter Land, glaube ich. Wir sind genau in Reichweite der Festung.»

Die Männer, die zur Gegenseite hasteten, verhielten einen Moment und blickten zu den beiden hin. Der massige Leutnant und der schlanke Midshipman standen sich spreizbeinig gegenüber, Arme an den Seiten, wie zwei Duellanten.

Nervös sagte Wellesley:»Der Kapitän wird schon wissen, was am besten ist.»

Tergorren blitzte ihn wütend an.»Haben Sie es nötig, einem Midshipman Erklärungen zu geben?«Er blickte von einem zum andern.»An die Geschütze!»

Aber der Feuerbefehl für die Backbordseite kam nicht. Statt dessen gab es eine lange Ungewisse Stille, nur gelegentlich von dem Getrampel der Matrosen auf dem Oberdeck unterbrochen, und vom Trillern der Signalpfeifen, das die Männer an die Brassen und Fallen rief, um das Schiff auf anderen Kurs zu bringen.

«Wie ich sagte«, murmelte der Geschützführer neben Bolitho düster.»Der Käpt'n nimmt Kurs auf See. Ist auch besser so, wenn Sie mich fragen.»

Während des langen, anstrengenden Geschützexerzierens hatte Bolitho nie Zeit gehabt zu merken, wie abgeschnitten man im unteren Batteriedeck war. Jetzt, als er die Matrosen und Offiziere unentschlossen und tatenlos an den Stückpforten stehen sah, wurde er von Minute zu Minute unsicherer und nervöser. Am Einfallswinkel der Sonnenstrahlen sah er, daß das Schiff sich vom Land entfernte, aber abgesehen davon hatte er keine Ahnung, was vor sich ging. Man war von der Oberwelt völlig isoliert — ein erniedrigendes Gefühl.

«Geschütze belegen!«Das Sonnenlicht fing sich an der weißen Kniehose des Läufers im Niedergang.»Und alle Offiziere zum Achterdeck, Sir.»

Bolitho sagte leise zu Dancer:»Ich glaube, das hat der Kapitän von Anfang an befürchtet, Martyn.»

Dancer blickte finster.»Aber daß er vor so einem verdammten Piraten ausreißt, hätte ich nicht gedacht!»

«Immer noch besser, als wenn man kein Schiff mehr hat und schwimmen muß, nicht wahr?«versuchte Bolitho ihn aufzuheitern.»Ich für meine Person weiß jedenfalls, was mir lieber wäre.»

Das untere Geschützdeck war der direkten Feindeinwirkung nicht ausgesetzt gewesen und unversehrt geblieben; aber oben auf dem Achterdeck sah es wüst aus. Bolitho blinzelte in das grelle Sonnenlicht. Zwei große Löcher klafften im Kreuzbramsegel. Blutige Streifen auf den Decksplanken gaben Kunde von Verwundung und Tod. Er starrte über das Schanzkleid und sah das Land im schimmernden Dunst versinken. Schon waren die Insel und das Fort nicht mehr vom Festland zu unterscheiden, und die ankernden Schiffe waren an der Landspitze, welche die Gorgon ein paar Stunden vorher so zuversichtlich umrundet hatte, ebenfalls nicht mehr auszumachen. Von der Barkentine war überhaupt nichts zu sehen.

Besorgt fragte Dancer:»Wo ist die Athen, was meinst du?»

«Sie liegt auf ablaufendem Kurs und b-behält die K-Kerls im Auge«, vermutete der kleine Eden.

Dancer nickte:»War schon ein Glück, daß wir die erwischt haben. «Sie unterbrachen ihr Gespräch, als Verling die Matrosen von den Neunpfündern wegtreten ließ und die Offiziere näher heranwinkte. Seine Schnabelnase kontrollierte, wer da war und wer noch kommen mußte; und dabei sah er nicht gereizter aus als sonst auch, fand Bolitho.

Kapitän Conway kam von Luv herüber, nahm an der Achterdeckreling Aufstellung und blickte hinunter zu den Achtzehnpfündern, wo die Mannschaften ihr Gerät überprüften und die Kugelfender nachfüllten. In der Luft lag der beißende Geruch von Pulver, heißem Metall und verbranntem Holz.

«Alles da, Sir«, meldete Verling. Der Kapitän wandte sich um und sah sie nachdenklich an. Er stand mit dem Rücken an der Reling und stützte die Hände auf das polierte Holz.

«Wir halten Kurs landab und werden etwas weiter unten vor der Küste Anker werfen. Wie Sie wissen, sind wir beschossen worden, und zwar mit einer Selbstsicherheit, die mir nicht gefällt. «Er sprach ruhig und gelassen; damals bei der Verkündung der Prügelstrafe hatte er mehr Bewegung gezeigt.»Der Feind ist gut ausgerüstet, und unsere Artillerie, soweit sie eingesetzt wurde, hat ihn nicht sonderlich beeindruckt. Aber ich wollte sichergehen. Ich mußte Bescheid wissen, mit was für einem Gegner wir es zu tun haben.»

Die Gesichter derjenigen, die während des kurzen Gefechts auf dem Oberdeck gewesen waren, verrieten Bolitho, daß noch etwas nachkommen würde.

Im gleichen gelassenen Ton fuhr Kapitän Conway fort:

«Vor ein paar Monaten wurde gemeldet, daß eine Brigg unserer Kriegsflotte, die in diesen Gewässern operierte, überfällig und vermutlich in Verlust geraten war. Zu der betreffenden Zeit herrschten hier sehr schlimme Wetterverhältnisse, und mehrere Kauffahrer hatten ebenfalls Schiffbruch erlitten. «Er blickte zum Wimpel am Mastknopf hoch, und seine Augen glänzten in der hellen Sonne.»Als wir heute früh die Landspitze umrundeten, war die Athen uns erheblich voraus. Die Ausguckposten meldeten zwei Schiffe vor Anker. Und in Lee der Insel können durchaus noch weitere Schiffe liegen. «Jetzt erst wurde seine Stimme hart.»Aber das eine Schiff war die Sandpiper, Brigg Seiner Majestät, vierzehn Geschütze. Ihretwegen muß der Kapitän der Athen angenommen haben, daß alles klar ging und daß der Kapitän der Sandpiper bereits getan hatte, was unser Auftrag war.»

Dancer hielt den Atem an, als der Kapitän fortfuhr:»Die Brigg war der Köder, und den hätten auch wir geschluckt, wenn wir nicht auf die Athen gestoßen wären. Wir wären direkt unter die Kanonen des Forts gesegelt, und da wir weder schnell noch wendig genug sind, um rasch wieder klarzukommen, wären wir vernichtet worden. Wie die Dinge liegen, muß die Athen mehrere Volltreffer bekommen haben. Ich bezweifle, daß von ihrer Besatzung noch jemand am Leben ist.»

Tiefe Stille ringsum. Bolitho dachte an den Gefechtslärm im Unterdeck; und daran, wie aufgeregt sie gewesen und wie wichtig sie sich vorgekommen waren. Er dachte an Midshipman Grenfells verschlossenes Gesicht, hinter dem ein wärmeres und freundlicheres Gemüt verborgen war, als viele annahmen. Und all das war geschehen, ohne daß vom Achterdeck her auch nur ein Wort nach unten gedrungen war. Gewiß, es hätte nichts genutzt, niemand hätte helfen können. Und doch. .

Gemessen redete der Kapitän weiter.»Als wir die Athen übernahmen, vermutete Mr. Tergorren, daß die Piraten flohen, weil sie ein anderes Schiff gesichtet hatten. Jetzt kann man sagen, daß dieses Schiff höchstwahrscheinlich die Gorgon war und das Piratenschiff deshalb verschwand, weil es nicht als das erkannt werden sollte, was es ist: ein gekapertes britisches Kriegsschiff. Stellen Sie sich vor, meine Herren, was für Unheil dieses Schiff im Namen unseres Landes angerichtet haben mag!«Er spie diese Worte aus, als wären sie Gift.»Kein Kapitän eines friedlichen Schiffes würde einem Fahrzeug gegenüber Mißtrauen hegen, das so offensichtlich britisch ist und im Dienste des Königs steht. Das ist nicht mehr Seeräuberei, das ist hinterlistiger Mord!»

Mr. Verling nickte.»Einfache Sache, Sir. Wer dieses Geschmeiß auch kommandiert, er muß sich eines sehr scharfen Verstandes erfreuen.»

Der Kapitän schien ihn gar nicht zu hören.»Vielleicht ist doch noch jemand von unserem Prisenkommando am Leben. «Er blickte auf das geronnene Blut zu seinen Füßen.»Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren. Wie dem auch sei, unsere nächste Aufgabe ist, ihnen die Brigg wieder wegzunehmen, und möglichst genau festzustellen, was da vor sich geht.»

Bolitho warf einen verstohlenen Blick auf die anderen. Die Brigg wieder wegzunehmen. Einfach so.

«Heute nacht muß ein Überfall unternommen werden. Wir haben Neumond, und das Wetter ist im Moment günstig für uns. Die Marine-Infanterie wird für Ablenkung sorgen. Ich wünsche unbedingt, daß das Fahrzeug wieder in unsere Hände kommt, damit die Schande, die es erlitten und verursacht hat, ausgelöscht wird!»

Im Niedergang erschien der Schiffsarzt, und der Kapitän wandte sich zu ihm um.»Nun?»

«Der Ausguckposten ist tot, Sir. «Laidlaws Augen unter den überhängenden Brauen waren ausdruckslos.»Hat sich das Rückgrat gebrochen.»

«Aha. «Der Kapitän wandte sich wieder den schweigenden Offizieren zu.»Das war der Mann, der die Sandpiper zuerst gesichtet hat. Die ersten Geschosse der Festungsartillerie, die dicht über uns hinweggingen, müssen ihn vom Mast gefegt haben. «Das war auch derselbe Mann gewesen, der neulich ausgepeitscht worden war. Der Schiffsarzt mußte das wissen. Bolitho blickte gespannt zu ihm hinüber — würde er das erwähnen? Anscheinend hatte der Kapitän einen trockenen Mund — er leckte sich die Lippen.

Es war sehr heiß auf dem Achterdeck, aber im Lauf des Tages würde es noch schlimmer werden.»Mr. Verling wird Sie instruieren«, fuhr er fort.»Zwei Boote werden die Operation ausführen. Mit dreien oder mehr hätten wir weniger Chancen. «Er verließ das Achterdeck mit den Worten:»Machen Sie weiter.»

Verling wartete, bis er weg war. Dann sagte er:»Zwei Leutnants und drei Midshipmen. «Er warf Tergorren einen kalten Blick zu.»Sie übernehmen das Kommando. Suchen Sie sich die richtigen Männer aus. Nur erfahrene Seeleute. Das ist keine Arbeit für Kuhbauern.»

Eden flüsterte:»Was b-bedeutet das, Dick?«Neben den anderen sah er besonders winzig aus. Der brummige Midshipman namens Pearce sagte:»Wir entern die Brigg im Dunkeln und schneiden denen die Hälse ab, ehe sie uns dieselbe Freundlichkeit erweisen. «Mit rauher Stimme fügte er hinzu:»Der arme John Grenfell! Wir sind miteinander aufgewachsen, in derselben Stadt.»

«Gehen Sie wieder an Ihren Dienst«, sagte Verling.»Die Männer können vom Achterdeck abtreten und alles aufklaren und belegen. Geben Sie ihnen ordentlich zu tun. Ich wünsche kein Gejammer und Geheul über das, was passiert ist.»

Sie wandten sich zum Gehen, und jeder hatte seine eigenen Gedanken darüber, wie schnell man tot sein konnte.

Tergorren sagte:»Dreißig Mann werden gebraucht. «Er hielt ein, als Midshipman Pearce dazwischenrief:»Melde mich freiwillig, Sir!»

Tergorren betrachtete ihn unbewegt.»Mr. Grenfell war ja Ihr Freund. Das hatte ich vergessen. Wie schade.»

Es wurde Bolitho fast übel bei seinem Anblick. Trotz allem, was geschehen war, sogar angesichts der Möglichkeit, selbst verwundet zu werden oder zu fallen, fand Tergorren noch Spaß daran, den grimmig blickenden Pearce zu verhöhnen.

«Abgelehnt!«, sagte er kurz. Sein Blick haftete auf Eden. »Sie sind einer der Midshipmen, die das Glück haben, mitmachen zu dürfen. «Er lächelte, als Eden erbleichte.»Eine echte Chance, sich zu bewähren.»

«Er ist der jüngste, Sir«, wandte Bolitho ein.»Andere haben mehr Erfahrung, und. . «Er sah die Falle, die sich vor ihm öffnete, und brach ab.

Tergorren drohte ihm mit dem Finger.»Ach ja, das habe ich auch vergessen. Daß unser Mr. Bolitho ständig Angst hat, jemand könnte ihn an die Wand drücken, ihm Ruhm und Ehre stehlen, so daß er vor seiner hochedlen Familie nicht ganz so groß dasteht!»

«Das ist eine Lüge, Sir, und unfair obendrein!»

Tergorren hob die Schultern.»Finden Sie? Spielt keine Rolle. Sie kommen auch mit, und der kluge Mr. Dancer ebenfalls. «Er stemmte seine riesigen Hände in die Hüften und blickte vom einen zum anderen.»Der Erste Leutnant hat gesagt, nur erfahrene Seeleute sollen eingeteilt werden. Aber wir brauchen auch erfahrene Midshipmen für die Führung des Schiffes. Bei so einer Enteraktion darf man nicht zu viel und nicht zu wenig Leute mitnehmen.»

Er zog seine Taschenuhr.»In einer Stunde Musterung des ganzen Kommandos. Mr. Hope ist mein Stellvertreter. Melden Sie sich bei ihm, wenn Sie fertig sind.»

Als sie abtraten, murmelte Dancer bitter:»Besser Hope als Wellesley. Der ist ja ein richtiger Schlappschwanz.»

Sie schlenderten zum Luvdecksgang und dachten dabei an Grenfell und die anderen, die in der zerstörten Barkentine den Tod gefunden hatten.

Heftig sagte Eden:»Ich. . Ich habe k-keine Angst! W-wirklich nicht!«Er sah sie jammervoll an, mit Augen, die fast so groß waren wie sein Gesicht.»Es ist n-nur, daß ich nicht mit Mr. T-tergorren fahren möchte. D-der jagt uns alle in den T-tod!»

Dancer blickte auf ihn hinunter und versuchte zu lächeln.»Wir sind ja bei dir, Tom. Und vielleicht wird es auch gar nicht so schlimm. «Er wandte sich rasch zu Bolitho um.»Du hast doch so etwas schon mal mitgemacht. Wie geht das vor sich?»

«Blitzschnell. Überraschung ist die Hauptsache. «Bolitho starrte durch die Netze über die glitzernde Weite des Wassers und auf den im Dunst liegenden Landrücken. Seine Kameraden sah er nicht an. Wovon sollte er ihnen schon erzählen? Von den furchtbaren Schreien und Flüchen der Männer, die sich mit Entersäbeln und Messern, mit Beilen und Piken schlugen? Wie es war, wenn man so dicht am Feind kämpfte, daß man seinen Atem und seinen Haß fühlte? Das war kein Seegefecht, bei dem der Feind einfach aus einem anderen Schiff bestand. Hier kämpften Menschen aus Fleisch und Blut.

«Ich versteh' dich schon, auch wenn du nichts sagst«, warf Dancer hin. Seine Stimme klang ruhig.»Hoffen wir, daß wir Glück haben.»

Unten im Orlopdeck waren Pearce und zwei andere Midshipmen dabei, die Seekisten und die schäbigen Stühle wieder an ihren Ort zu schaffen, nachdem der Arzt mit seinen Sanitätsgasten Instrumente und Arzneien weggebracht hatte.

An einem der großen Schotten der Gorgon stand immer noch Grenfells Kiste, und darüber hingen sein Paradehut und sein Dolch.

«Er hat immer gesagt, daß er es nicht bis zum Leutnant schaffen wird«, sagte Pearce.»Jetzt bestimmt nicht mehr.»

Bolitho dreht sich um, als Midshipman Marrack ins Logis kam, makellos wie stets im frischen Hemd.

«Laßt sein Zeug in Ruhe«, sagte Marrack kurz.»Vielleicht lebt er doch noch. «Er warf seinen Rock über einen Stuhl und fuhr fort:»Wenn ihr das gesehen hättet! Die Athen hatte überhaupt keine Chance. Sie war gerade am Segelkürzen, um längsseits der Brigg zu gehen, da fing die Festungsartillerie an zu feuern. «Er starrte ins Leere.»Sie bekam ein paar Treffer und machte 'ne Schildkröte. Ich sah noch ein paar Männer schwimmen. Dann kamen die Haie. «Er konnte nicht mehr weitersprechen.

«Ich habe mal was über die Sandpiper gelesen«, sagte Dancer zu Bolitho.

«Eins ist sicher«, fuhr Marrack fort,»der Kapitän wird nie zulassen, daß ein Schiff des Königs in Feindeshand bleibt, ganz egal, was es kostet, es rauszuhauen.»

Er wühlte in seiner Kiste und brachte ein Lederetui zum Vorschein.

«Nimm meine Pistolen, Dick. Sie sind besser als jede anderen an Bord. Mein Vater hat sie mir geschenkt. «Er wandte sich ab, als ob er ärgerlich wäre, daß seine bessere Natur die Oberhand bekommen hatte.»Da kannst du mal sehen, was ich für Vertrauen in dein Überleben habe!»

Der kleine Schiffsjunge kam ins Logis gestolpert.»Entschuldigung die Herren, aber der Vierte Leutnant sucht Sie und schreit Mord und Brand!»

«Dieser Tergorren«, sagte Dancer mit noch mehr Bitterkeit als sonst.»Der kleine Tom hat völlig recht. Dieser verdammte Schinder ist viel zu voll von sich selbst für meinen Geschmack!»

Sie eilten zum Niedergang und merkten erst oben, daß der kleine Eden nicht bei ihnen war. Er stand noch vor Grenfells Kiste und starrte auf den Dolch, der im Takt der Schiffsbewegung leicht hin und her schwang.

«Na los, Tom«, sagte Bolitho freundschaftlich.»Wir haben vor Sonnenuntergang noch eine Menge zu tun!»

Und nach Sonnenuntergang erst recht, fügte er in Gedanken hinzu.

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