13

Am Tag des Heiligen Abends ereignete sich der erste der Unglücksfälle, die später als die Dreizehn Katastrophen bezeichnet wurden. (Man beachte, daß Astinus sie in den »Chroniken« die Dreizehn Warnungen nennt.)

Der Tag brach heiß und windstill an. Es war der heißeste Heilige Abend, an den sich alle – selbst die Elfen – erinnern konnten. Im Tempel ließen die Heiligabendrosen die Köpfe hängen und verwelkten, der Schnee, der den Wein in den silbernen Gefäßen kühlen sollte, schmolz so schnell, daß die Diener den ganzen Tag nichts anderes zu tun hatten, als von den Steinkellern zu den Gesellschaftsräumen zu eilen und eimerweise Schnee zu schleppen.

Raistlin erwachte an diesem Tag in der dunklen Stunde vor der Morgendämmerung so krank, daß er nicht aufstehen konnte. Er lag im Schweiß gebadet nackt da, ein Opfer der fieberhaften Halluzinationen, die ihn veranlaßt hatten, seine Roben von sich zu reißen. Die Götter waren wirklich in der Nähe, aber es war die Nähe eines bestimmten Gottes – seiner Göttin, der Königin der Finsternis —, die ihn in Mitleidenschaft zog. Er konnte ihren Zorn spüren, so wie er den Zorn aller Götter über den Versuch des Königspriesters spüren konnte, das Gleichgewicht zu zerstören, das sie in der Welt aufrechtzuerhalten versuchten.

Folglich träumte er von seiner Königin, aber sie hatte in ihrem Zorn entschieden, nicht zu erscheinen. Er hatte nicht von einem entsetzlichen fünfköpfigen Drachen geträumt, dem Vielfarbenen Drachen, der versuchen würde, die Welt im Krieg der Lanze zu versklaven. Er hatte sie nicht als die Finstere Kriegerin gesehen, die ihre Legionen in den Tod und die Zerstörung führte. Nein, sie war ihm als die Schwarze Verführerin der Nacht erschienen, die schönste aller Frauen, und so hatte sie die Nacht bei ihm verbracht und ihn mit der Verzückung des Fleisches gequält.

Er schloß die Augen, zitterte in dem Raum, der trotz der Hitze draußen kalt war. Er stellte sich wieder das duftende dunkle Haar vor, das über ihn strich; er spürte ihre Wärme. Er streckte die Hände aus, ließ sich in ihren Zauber fallen, teilte das Haar – und sah in Crysanias Gesicht!

Der Traum endete, sowie sein Geist wieder die Kontrolle übernahm. Und jetzt lag er wach, jubelte über seinen Sieg, obwohl er wußte, welchen Preis er bezahlt hatte.

»Ich werde nicht nachgeben«, murmelte er. »So einfach wirst du nicht den Sieg über mich davontragen, meine Königin.« Er taumelte aus dem Bett, zog seine schwarzen Roben über und ging zu seinem Schreibtisch. Dort las er einen uralten Text über magische Utensilien und begann seine mühsame Suche.

Auch Crysania hatte schlecht geschlafen. Wie Raistlin spürte sie die Nähe der Götter, aber ihren Gott – Paladin – am stärksten. Sie spürte seinen Zorn, aber er war mit so tiefem Kummer vermischt, daß Crysania es nicht ertragen konnte. Von Schuldgefühlen überwältigt, wandte sie sich von dem gütigen Gesicht ab und begann zu laufen. Sie lief und lief, weinte, unfähig zu sehen, wohin sie ging. Sie stolperte und fiel ins Nichts, ihre Seele war von Angst zerrissen. Dann fingen starke Arme sie auf. Sie war von weichen schwarzen Roben umgeben, wurde an einen muskulösen Körper gedrückt. Schlanke Finger streichelten ihr Haar, beruhigten sie. Sie sah in ein Gesicht...

Glocken. Glocken durchbrachen die Stille. Erschreckt richtete sich Crysania im Bett auf und sah sich verstört um. Dann erinnerte sie sich an das Gesicht, das sie gesehen hatte, erinnerte sich an die Wärme seines Körpers und den Trost, den sie gefunden hatte. Sie legte ihren schmerzenden Kopf in ihre Hände und weinte.

Tolpan verspürte beim Erwachen zuerst Enttäuschung. Heute war der Heilige Abend, erinnerte er sich, und es war ebenfalls der Tag, an dem laut Raistlin die Unheilvollen Geschehnisse einsetzen sollten. Er sah sich in dem grauen Licht um, das durch das Fenster drang, und das einzige Unheilvolle Geschehnis, das Tolpan bemerkte, war Caramon, der sich auf dem Fußboden durch seine morgendlichen Übungen pustete.

Obgleich Caramons Tage mit Waffenübungen ausgefüllt waren, kämpfte der große Mann in einer niemals endenden Schlacht mit seinem Gewicht. Man hatte ihn von der Diät erlöst und ihm erlaubt, das Gleiche wie die anderen zu essen. Aber der scharfäugige Zwerg bemerkte bald, daß Caramon ungefähr fünfmal so viel aß wie jeder andere!

Einst hatte der große Mann aus Vergnügen gegessen. Jetzt, nervös und unglücklich und von Gedanken an seinen Bruder besessen, suchte Caramon Trost im Essen, so wie andere Trost im Trinken suchen.

Arak hatte folglich angeordnet, daß Caramon nur essen durfte, wenn er täglich eine Reihe von anstrengenden Übungen ausführte. Caramon fragte sich oft, wie der Zwerg es herausbekommen würde, wenn er einen Tag ausfallen ließ, da er die Übungen früh am Morgen vor dem Aufwachen der anderen machte. Aber Arak wußte es irgendwie. An einem Morgen hatte Caramon die Übungen ausgelassen, und der Zutritt in den Speisesaal wurde ihm von einem grinsenden, keulenschwingenden Raag verwehrt.

Tolpan kletterte auf einen Stuhl und lugte aus dem Fenster, um zu sehen, ob draußen etwas Unheilvolles passieren würde. Unverzüglich war er überglücklich. »Caramon! Guck mal!« rief er aufgeregt. »Hast du jemals einen Himmel von dieser besonderen Schattierung gesehen?«

»Neunundneunzig, hundert«, prustete der große Mann. Er ging zu dem vergitterten Fenster, um einen Blick hinauszuwerfen. Plötzlich blinzelte er und riß dann die Augen weit auf. »Nein«, murmelte er, »habe ich noch nicht. Und ich habe in meinem Leben schon viele seltsame Dinge gesehen.«

»O Caramon«, rief Tolpan, »Raistlin hatte recht. Er sagte...«

»Raistlin!«

Tolpan schluckte. Er wollte das Thema eigentlich nicht aufbringen.

»Wo hast du Raistlin gesehen?« herrschte Caramon ihn an. Seine Stimme klang tief und streng.

»Im Tempel natürlich«, antwortete Tolpan, als wäre es das Normalste von der Welt. »Habe ich nicht erwähnt, daß ich gestern dort war?«

»Ja, aber du...«

»Nun, warum sollte ich sonst gehen, wenn nicht, um unsere Freunde zu sehen?«

»Du hast niemals...«

»Ich habe Crysania und Raistlin gesehen. Ich bin sicher, daß ich das erwähnt habe. Du hörst mir aber nie zu«, beklagte sich Tolpan. »Du sitzt jede Nacht auf deinem Bett, brütest und schmollst und sprichst mit dir selbst. ›Caramon‹, könnte ich sagen, ›das Dach stürzt ein‹, und du würdest sagen: ›Das ist aber nett, Tolpan.‹«

»Hör mal, Kender. Ich weiß genau, daß ich es gehört hätte, wenn du...«

»Crysania, Raistlin und ich hielten einen wundervollen kleinen Schwatz über den Heiligen Abend«, fuhr Tolpan hastig fort. »Nebenbei, Caramon, du solltest mal sehen, wie wunderschön sie den Tempel geschmückt haben! Er ist voll von Rosen – sag mal, habe ich daran gedacht, dir die Süßigkeiten zu geben? Warte, dort in meinem Beutel.« Der Kender versuchte vom Stuhl zu springen, aber Caramon hinderte ihn daran. »Nun, vermutlich kann das warten. Wo war ich stehengeblieben? O ja, Raistlin, Crysania und ich haben uns unterhalten. Caramon, es war so aufregend. Tika hatte recht, Crysania ist in deinen Bruder verliebt. Es war wirklich lustig. Ich lehnte an Raistlins verschlossener Tür, ruhte mich aus, wartete auf das Ende ihrer Unterhaltung und sah zufällig durchs Schlüsselloch. Er hat sie fast geküßt, Caramon! Dein Bruder! Kannst du dir das vorstellen? Aber er hat es dann doch nicht getan.« Der Kender seufzte. »Er hat sie praktisch angeschrien, daß sie gehen solle. Das hat sie getan, aber sie wollte nicht, das kann ich dir versichern. Sie hatte sich richtig fein gemacht und sah sehr hübsch aus.«

»In ihn verliebt?« brummte Caramon. Stirnrunzelnd drehte er sich um.

»Unverkennbar«, gab der Kender schlagfertig zurück, eilte zu seinem Beutel und wühlte ihn durch, bis er die Plätzchen gefunden hatte. Sie waren halb geschmolzen und hingen in einer klebrigen Masse zusammen. Aber Tolpan war sich sicher, daß Caramon das nicht auffallen würde. Er hatte recht. Der große Mann nahm die klebrige Masse an und begann zu essen, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

»Wird Raistlin seinen Plan durchführen?« fragte Caramon. »Soll ich versuchen, ihn aufzuhalten? Habe ich das Recht, ihn aufzuhalten? Wenn Crysania sich entscheidet, mit ihm zu gehen, ist das nicht ihre Entscheidung? Vielleicht wäre es das Beste für ihn.« Er leckte seine klebrigen Finger ab. »Vielleicht, wenn sie ihn genug liebt...«

Tolpan seufzte erleichtert auf und sank auf sein Bett zurück, um auf den Ruf zum Frühstück zu warten. Caramon hatte nicht daran gedacht, den Kender zu fragen, warum er Raistlin aufgesucht hatte. Sein Geheimnis war sicher...

Der Himmel am Heiligen Abend war klar, so klar, daß es schien, als könnte man die hinter der riesigen Kuppel liegenden Reiche erkennen. Obwohl jeder hochsah, machten sich nur wenige die Mühe, ihre Blicke lang genug nach oben gerichtet zu halten, um etwas zu erkennen. Denn der Himmel hatte in der Tat »eine besondere Farbe«, wie Tolpan sagte – er war grün.

Es war ein seltsames, ungesundes Grün. Die Farbe nahm einem zusammen mit der Hitze und der schweren Luft, bei der man kaum atmen konnte, die Freude und das Vergnügen am Heiligen Abend. Jene, die gezwungen waren, an Gesellschaften teilzunehmen, eilten durch schwüle Straßen, sprachen verärgert über das seltsame Wetter, betrachteten es als persönliche Beleidigung. Aber sie redeten im Flüsterton, und jeder verspürte einen Hauch von Angst.

Die Gesellschaft im Tempel war etwas freudiger gestimmt. Sie war in den Gemächern des Königspriesters versammelt, die von der Außenwelt abgeschlossen waren. Niemand konnte den seltsamen Himmel sehen, und alle, die mit der Gegenwart des Königspriesters in Berührung kamen, lühlten ihre Angst schwinden. Crysania stand wieder unter dem Zauber des Königspriesters und saß lange Zeit neben ihm. Sie war schweigsam, ließ sich von seiner strahlenden Anwesenheit trösten und verbannte die dunklen, alptraumhaften Gedanken. Aber auch sie hatte den grünen Himmel gesehen. An Raistlins Worte denkend, versuchte sie sich an das zu erinnern, was sie über die Dreizehn Tage gehört hatte.

Aber es waren nur Kindergeschichten, die sich mit ihren Träumen der vergangenen Nacht vermischten. Er wird die Warnungen beachten... Sie zwang sich zu denken, daß noch Zeit zur Veränderung bestand, und wenn sich das als unmöglich erweisen sollte, dann war der Königspriester trotzdem unschuldig. In seinem Licht sitzend, verbannte sie das Bild des verängstigten Sterblichen mit seinen blaßblauen Augen, die nervös in alle Richtungen huschten, aus ihrem Geist. Sie sah einen starken Mann, der die Minister, die ihn getäuscht hatten, verurteilte, der das unschuldige Opfer ihres Verrates war...

Die Menge in der Arena war an diesem Tage gering; die meisten wagten nicht, draußen unter dem grünen Himmel zu sitzen, dessen Farbe sich im Lauf des Tages beängstigend vertiefte.

Die Gladiatoren waren unruhig, nervös und vollführten ihre Schaustücke nur halbherzig. Die Zuschauer weigerten sich, ihnen Beifall zu klatschen, sie auszupfeifen oder ihnen höhnische Bemerkungen zuzuwerfen.

»Habt ihr häufig so einen Himmel?« fragte Kiiri und sah mit einem Schauder hoch, während sie mit Caramon und Pheragas im Korridor stand und auf ihren Auftritt in der Arena wartete. »Wenn das der Fall ist, dann ist mir klar, warum mein Volk sich entschieden hat, unter dem Wasser zu leben!«

»Mein Vater hat die Meere bereist«, knurrte Pheragas, »so wie mein Großvater vor ihm und auch ich, bevor ich versuchte, mit einem Eisenbolzen ein wenig Verstand in den Kopf des Ersten Schiffsoffiziers zu hämmern, und für meine Bemühungen hierhergeschickt wurde. Und ich habe niemals einen Himmel von dieser Farbe gesehen. Oder davon gehört. Vermutlich kündigt er Unheil an.«

»Zweifellos«, stimmte Caramon unbehaglich zu. Plötzlich war dem großen Mann klar geworden, daß die Umwälzung in dreizehn Tagen stattfinden würde! Dreizehn Tage, und diese zwei Freunde, die ihm so teuer wie Sturm und Tanis geworden waren, diese zwei Freunde würden umkommen! Die restliche Bevölkerung Istars bedeutete ihm wenig. So wie er sie erlebt hatte, war es ein egoistisches Volk, das sich nur für Vergnügungen und Geld interessierte. Aber diese zwei... Er mußte sie irgendwie warnen. Wenn sie die Stadt verließen, konnten sie vielleicht entkommen.

Gedankenverloren schenkte er dem Kampf in der Arena wenig Beachtung. Er fand zwischen dem Roten Minotaurus, so genannt wegen seines rötlichbraunen Felles, das sein Tiergesicht bedeckte, und einem jungen Kämpfer statt. Dieser Mann war erst seit wenigen Wochen in der Schule, und Caramon hatte die Ausbildung des jungen Mannes mit väterlichem Vergnügen beobachtet.

Aber dann merkte er, wie Pheragas sich neben ihm versteifte. Caramons Blick ging zum Ring. »Was ist los?«

»Der Dreizack«, sagte Pheragas ruhig. »Hast du in der Requisitenkammer je so einen gesehen?«

Caramon starrte angestrengt auf die Waffe des Roten Minotaurus und blinzelte gegen die unerbittliche Sonne, die im grünglänzenden Himmel brannte. Langsam schüttelte er den Kopf, fühlte Zorn in sich aufsteigen. Der Minotaurus war dem jungen Mann überlegen, hatte seit Monaten in der Arena gekämpft und würde mit Caramons Mannschaft um die Meisterschaft rivalisieren. Der einzige Grund, warum der junge Mann sich so lange behaupten konnte, war die geübte Schauspielerei des Minotaurus, der in vorgeblicher Wut Schnitzer machte, was jedoch bei den Zuschauern nur ein wenig Gelächter hervorrief.

»Ein echter Dreizack. Arak beabsichtigt zweifellos, den jungen Mann eine Feuertaufe erleben zu lassen«, murmelte Caramon. »Schau mal, ich hatte recht.« Er zeigte auf drei blutende Wunden, die plötzlich auf der Brust des jungen Mannes erschienen waren.

Pheragas sagte nichts, sondern warf Kiiri einen Blick zu, die darauf die Schultern zuckte.

»Was ist los?« schrie Caramon über dem Aufbrüllen der Menge. Der Rote Minotaurus hatte gerade gewonnen, indem er seinem Gegner ein Bein stellte und ihn dann auf der Matte festhielt; die Spitzen des Dreizacks lagen an seinem Hals.

Der junge Mann taumelte auf die Füße und heuchelte Scham, Zorn und Demütigung, wie er es gelernt hatte. Er schüttelte die Faust gegen seinen siegreichen Gegner, bevor er aus der Arena stolzierte. Aber anstatt zu grinsen, als er an Caramon und seiner Mannschaft vorbeiging, wirkte der junge Mann seltsam besorgt und sah sie nicht an. Er war blaß, und Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, und er hielt eine Hand auf seine blutigen Wunden gedrückt.

»Onigons Mann«, erklärte Pheragas ruhig und legte eine Hand auf Caramons Arm. »Preise dich glücklich, mein Freund. Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen.«

»Was?« Caramon starrte ihn verwirrt an. Dann hörte er einen schrillen Schrei. Er wirbelte herum und sah den jungen Mann zusammengekrümmt auf den Boden stürzen.

»Los!« befahl Kiiri und hielt Caramon fest. »Wir sind jetzt dran. Sieh, der Rote Minotaurus tritt ab.«

Der Minotaurus schlenderte an ihnen vorbei; er übersah sie als Rasse, die man übersieht, da sie minderwertig ist. Er ging auch an dem sterbenden jungen Mann vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Arak kam aus dem Tunnel hervorgehastet, gefolgt von Raag. Mit einer Geste befahl der Zwerg dem Oger, den jetzt leblosen Körper beiseite zu schaffen.

Caramon zögerte, aber Kiiri grub ihre Nägel in seinen Arm, zog ihn hinaus in das entsetzliche Sonnenlicht. »Die Rechnung für den Barbaren ist beglichen«, zischte sie aus einem Mundwinkel. »Dein Herr hatte offensichtlich nichts damit zu tun. Jetzt sind Onigon und Quarat quitt.«

Die Menge begann zu jubeln. Aber Caramon hörte sie nicht. Raistlin hatte ihm die Wahrheit gesagt! Er hatte nichts mit dem Tod des Barbaren zu tun! Caramon wurde von einem Gefühl der Erleichterung überflutet.

Er konnte nach Hause gehen! Schließlich begriff er. Raistlin hatte versucht, es ihm zu erklären. Ihre Wege trennten sich, aber sein Bruder hatte das Recht, den Weg einzuschlagen, für den er sich entschieden hatte. Caramon hatte sich geirrt, die Zauberkundigen hatten sich geirrt, Crysania hatte sich geirrt. Raistlin wollte niemandem schaden, er stellte keine Bedrohung dar. Er wollte einfach nur in Frieden seinen Studien nachgehen.

In der Arena winkte Caramon der jubelnden Menge zu. Er genoß sogar den heutigen Kampf. Dieser war natürlich manipuliert, damit seine Mannschaft gewann. Aber Caramon brauchte sich darüber keine Gedanken zu machen. Er würde dann schon zurück sein, zu Hause bei Tika. Er würde natürlich zuvor seine zwei Freunde warnen und sie drängen, diese zum Untergang geweihte Stadt zu verlassen. Dann würde er sich bei seinem Bruder entschuldigen, ihm sagen, daß er ihn verstehe, und er würde Crysania und Tolpan zurück in die Zeit nehmen und ein neues Leben anfangen. Er würde morgen aufbrechen oder vielleicht einen Tag später.

Aber in dem Augenblick, als Caramon und seine Mannschaft nach einer gut gespielten Schlacht ihre Bogen ergriffen, schlug der Zyklon in den Tempel von Istar ein.

Der grüne Himmel hatte sich zu einer Farbe verdichtet, die wie dunkles Sumpfwasser aussah, als die wirbelnden Wolken erschienen, ihre Arme um einen der sieben Türme des Tempels hüllten und ihn aus seinem Fundament rissen. Der Zyklon hob ihn in die Lüfte, zerbrach den Marmor in Teilchen, die feiner als Hagel waren, und ließ sie wie einen Regen niederprasseln.

Niemand wurde schwer verletzt, viele erhielten jedoch Schnittwunden, als sie von den scharfen Steinsplittern getroffen wurden. Der zerstörte Turm war das Zentrum des Studiums und der Arbeit der Kirche gewesen. Glücklicherweise hatte sich wegen der Festlichkeiten dort niemand aufgehalten. Aber die Bewohner des Tempels und der Stadt wurden in helle Panik versetzt.

Die Zuschauer in der Arena flohen und verstopften die Straßen im panischen Versuch, ihre Häuser zu erreichen. Im Tempel verstummte die melodische Stimme des Königspriesters, sein Licht flackerte. Nach der Besichtigung der Trümmer suchten er und seine Minister, die Verehrten Söhne und Töchter Paladins, einen verborgenen Zufluchtsort auf, um den Vorfall zu erörtern. Alle anderen eilten umher und versuchten wieder Ordnung zu schaffen, denn der Wind hatte Möbel umgeworfen und Bilder von den Wänden gerissen und wirbelte Staubwolken auf, die in alle Richtungen trieben.

Das ist der Anfang, dachte Crysania verängstigt, während sie versuchte, ihre zitternden Hände zu zwingen, zerbrochenes feines Porzellan im Speisezimmer aufzuheben. Das ist nur der Anfang...

Aber es sollte noch schlimmer kommen.

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