8

»Siehst du«, sagte Plenius und stieß mir ein Stück rohen Fisch in den Mund, »es gibt keine Gefahr.«

Der Knebel war um das Seil um meinen Hals gewickelt, das in einer Länge an den Pflock geknotet war, die mir erlaubte, aufrecht zu sitzen. Meine Füße waren noch immer auf die übliche Weise eng aneinandergebunden und an einem anderen Pflock befestigt. Die Hände waren auf den Rücken gefesselt. Wieder wußte ich nicht, wer den Schlüssel hatte. Aus Sicherheitsgründen erhielt ihn jeden Tag ein anderer.

»Lauscht nach Steinen, die sich unter Wasser bewegen«, erwiderte ich.

»Du bist verrückt.«

»Hast du meine Warnungen an den Hauptmann weitergeleitet?«

»Man hat eine Wache aufgestellt, so unnütz das auch sein mag.«

Auf der Sandbank befanden sich etwa fünfhundert Mann.

»Iß«, sagte Plenius. »Und schluck.«

Ich gehorchte. Es lag in meinem Interesse, soviel zu essen zu bekommen wie nur möglich. Es war sowieso kaum genug für alle da. Ar hatte meiner Schätzung nach etwa fünfzigtausend Soldaten ins Delta geschickt. Und das ohne ausreichende logistische Unterstützung.

»Das war’s«, verkündete Plenius.

Ich blickte ihn überrascht an.

»Mehr gibt es nicht.«

»Du bist ein harter Kerl«, sagte Hauptmann Labienus und schaute auf mich herunter. »Ich hätte gedacht, du würdest heute im Sumpf sterben.« Die Sonne hatte heiß vom Himmel gebrannt. Das Floß war sehr schwer gewesen, viele Männer hatten es benutzt. Plenius hatte nicht an Peitschenhieben gespart. »Und doch bist am Leben und hast Appetit.« Er wandte sich an meinen Hüter. »Laß den Knebel! Geh!«

Sobald Plenius ein paar Meter weit weg war, ging der Hauptmann in die Hocke und musterte mich mit eindringlichem Blick. Ich hatte ihn nicht herankommen gesehen.

»Du hast heute einen Fluchtversuch unternommen?«

Darauf gab ich ihm keine Antwort.

»Du kannst dich glücklich schätzen, daß du keine Sklavin bist.«

Ich zuckte mit den Schultern. Das entsprach zweifellos der Wahrheit. Auf Gor gibt es eine Doppelmoral, was die Behandlung von Männern und Frauen, insbesondere Sklavinnen, angeht. Denn bei Frauen und Männern handelt es sich nicht um dieselben Wesen. Daß Frauen und Männer gleich sind und auch dementsprechend behandelt werden sollten, halten die Goreaner für Wahnsinn. Ich hatte in der Tat Glück, keine Sklavin zu sein. Bei den meisten Sklavenherrn hört bei einem Fluchtversuch die Nachsicht auf. So etwas wird nicht geduldet.

»Du verstehst, warum du den Knebel trägst?«

»Ja«, sagte ich. »Damit ich nicht dafür sorge, daß Fragen gestellt werden, damit ich keine Unruhe schüre, nicht die Moral der Männer untergrabe.«

Labienus blickte zu Boden.

»Hast du Angst, du könntest die Geschehnisse der letzten Tage kritisch beleuchten?«

»Erkläre mir deine Meinung«, sagte er.

»Du scheinst ein intelligenter Offizier zu sein«, sagte ich. »Bestimmt hast du mittlerweile deine eigenen Schlüsse gezogen.«

»Sprich!«

»Ich glaube nicht, daß das noch eine Rolle spielt. Ihr seid bereits tief ins Delta vorgestoßen.«

In seinem Blick lag tiefer Ernst.

»Wenn du meine Meinung hören willst, ist Ar verraten worden, und zwar in der Angelegenheit mit Ar-Station, bei der Aufstellung des Heeres, und jetzt bei dem völlig überstürzten, schlecht vorbereiteten Vorstoß ins Vosk-Delta. Ihr wart nicht vorbereitet. Euch fehlen Vorräte und Unterstützung. Mittlerweile dürften die Nachschublinien, die ihr hattet, von den Rencebauern unterbrochen worden sein. Ihr habt keine Tarndeckung oder Tarnspäher. Ihr habt nicht einmal Führer, die sich im Rencegebiet auskennen. Offensichtlich wußtet ihr nicht einmal, daß eure Schiffe im Delta verrotten würden. Hältst du es wirklich für einen glücklichen Zufall, daß in so kurzer Zeit eine ganze Flottille kleiner Boote in Ven und Turmus besorgt werden konnten? So wie es jetzt einfach Pech ist, daß genau diese Boote innerhalb weniger Tage unter euren Füßen auseinanderbrechen und versinken?«

Er sah mich nur wütend an.

»Sie haben euch erwartet.«

Labienus schüttelte den Kopf.

»Zieht euch aus dem Delta zurück, solange ihr noch könnt.«

»Du hast Angst, hier zu sein.«

»Ja, das habe ich.«

»Wir alle haben es mit der Angst bekommen.«

»Tretet den Rückzug an.«

»Nein.«

»Befürchtest du, vors Kriegsgericht gestellt zu werden? Fürchtest du, dein Kommando zu verlieren, in Unehre zu fallen?«

»Das würde zweifellos geschehen, wenn ich den Befehl zum Rückzug geben würde.«

»Besonders wenn du der einzige bist.«

Er nickte.

»Und es gibt bei diesem Vorstoß keinen übergeordneten Kommandostab.«

»Nein.«

»Auch das ist merkwürdig.«

»Kommunikation ist schwierig«, sagte er. »Die Verbände operieren getrennt voneinander.«

»Was würdest du an Saphronicus’ Stelle tun?« fragte ich ihn.

»Ich hätte einen übergeordneten Kommandostab«, sagte er. »Ich würde alle Anstrengungen unternehmen, die Kommunikationswege aufrechtzuerhalten, besonders bei den Bedingungen hier im Delta.«

»Das würde jeder halbwegs fähige Kommandant tun.«

»Du stellst Saphronicus’ Fähigkeiten in Frage?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich. »Ich halte ihn für einen ausgesprochen kompetenten Kommandanten.«

»Ich verstehe nicht.«

»Das ist doch nicht schwer.«

»Du glaubst nicht, daß sich Saphronicus im Delta aufhält?«

»Nein. Er ist nicht im Delta.«

»Das kannst du nur von einem anderen Spion wissen, also bist du auch einer, du bist ein Agent von Cos.«

»Nein.«

»Bei wem liegt deine Loyalität dann?«

»Ich komme aus Port Kar.«

»Zwischen Ar und Port Kar herrscht keine Freundschaft.«

»Aber wir befinden uns mit Cos im Kriegszustand.«

Er schnaubte. »Wir marschieren weiter nach Westen.«

»Das ist ein Fehler.«

»Unsere Befehle sind klar.«

Wieder schüttelte ich den Kopf. »Und was ist mit den Rencebauern?«

»Ich begreife nicht, daß es so viele sind«, meinte er. »Ein Dorf wurde zerstört, ein Dorf.«

»Anscheinend haben sie sich schon seit einiger Zeit gesammelt.«

»Aber warum?«

»Ihr habt ihr Land betreten«, erinnerte ich ihn.

»Aber sie müssen doch begreifen, daß wir nur Cos einholen wollen.«

»Wie ich bereits sagte, werden sie das kaum glauben. Es sind keine Cosianer im Delta.«

»Das ist unmöglich!«

»Vielleicht sind ja ein paar von ihnen hier, das will ich dir gern zugestehen. Ich weiß es nicht. Vielleicht gerade genug, um Spuren zu hinterlassen, um Ar weiter nach Westen zu locken. Das wäre möglich.«

Er blickte mich an.

»Hast du, der Befehlshaber der Vorhut, bis jetzt auch nur den winzigsten Beweis selbst für nur ein paar gegnerische Soldaten gefunden?«

»Es gab niedergetrampeltes Schilf.«

»Das kann auch von Tharlarion stammen.«

»Das Expeditionsheer von Cos hat das Delta betreten«, sagte er. »Das wissen wir.«

»Das bezweifle ich ja auch gar nicht«, erwiderte ich. Bestimmt hatte auch Ar seine Informationsquellen. Sein Gold konnte genausogut Spione kaufen wie das von Cos. »Aber ich vermute, daß die cosischen Verbände nicht im Delta geblieben sind, sondern sich nach ein paar Tagen wieder daraus zurückzogen, nachdem sie aller Welt bewiesen haben, daß sie unterhalb von Turmus in das Gebiet eingedrungen sind.«

»Das ist absurd.«

»Glaubst du wirklich, Cos würde das Vosk-Delta auswählen?«

»Sie flohen vor uns, aus Angst um ihr Leben.« Seine Stimme klang wütend.

»Ich habe mich mehrere Tage bei dem Expeditionsheer aufgehalten, bis nördlich von Holmesk. Ich versichere dir, daß sie sich bei ihrem Marsch nicht beeilt haben.«

»Dann bist du ein Cosianer.«

»Ich war dort zusammen mit einem Freund, der Ar einen Dienst erweisen wollte.«

»Die Cosianer müssen uns entgegentreten«, beharrte er wütend.

»Das werden sie auch«, versicherte ich ihm. »Aber für den Zeitpunkt, den sie für richtig halten.«

»Ich verstehe nicht.«

»Sie werden euch in dem Augenblick gegenübertreten, in dem ihr versucht, das Delta zu verlassen.«

»Das Heer ist vor uns.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Das ist eine Lüge!« Er verstummte. »Stünden wir ihnen doch schon gegenüber!«

»In gewisser Weise tut ihr das doch.«

»Wieso?«

»Das Delta ist ihre Waffe, das Delta und die Rencebauern.«

Der Hauptmann stand auf. Er sah zu mir herab. »Deine Mutmaßungen sind die vergeblichen Lügen eines sich windenden Spions, der versucht, sich der gerechtfertigten Wut seiner erzürnten Gefangenenwärter zu entziehen. Deine Spekulationen sind absurd. Hättest du etwas länger nachgedacht, wäre dir bestimmt etwas Plausibleres eingefallen. Außerdem finde ich deine Bemühungen, die Integrität und Ehre von Saphronicus, dem General des Nordens, in den Dreck zu ziehen, widerlich und anstößig. Deine Andeutungen sind allesamt einfach lächerlich. Entsprächen sie der Wahrheit, würden sie einen Verrat eines fast unvorstellbaren Ausmaßes bedeuten.«

»In Ar gibt es Verrat, und zwar auf allerhöchster Ebene.«

»Mit welchem Ziel?«

»Damit Cos die Vorherrschaft erlangt!«

»Und Saphronicus ist darin verwickelt?«

»Ja.« Mehr wollte ich dazu nicht sagen. Unter den Verschwörern gab es eine Person, die ich schützen wollte.

»Das ist wirklich absurd.« Er hob die Hand und winkte Plenius heran. »Steck ihm den Knebel wieder in den Mund.«

Plenius wickelte den Knebel von meinem Halsseil. Ein Soldat kam heran. »Hauptmann, da ist ein Laut unter Wasser.«

»Hat er eine natürliche Ursache?« fragte Labienus.

»Das ist schwer zu sagen«, antwortete der Soldat. »Es hört sich wie ein Klicken an.«

»Das wird mit Steinen gemacht«, sagte ich.

Labienus runzelte finster die Stirn.

»Ist der Laut noch weit entfernt?« fragte ich.

Der Soldat sah Labienus an. Der Hauptmann nickte unmerklich. »Das ist schwer zu, sagen«, sagte der Mann. »Ich glaube schon.«

»Ist es ein rhythmischer Laut?«

»Er ertönt in regelmäßigen Abständen.«

Ich wandte mich an den Hauptmann. »Hol die Vorposten zurück.«

»Du scherzst!« schnaubte er.

»Die Rencebauern benutzen Steine und schlagen sie unterhalb der Wasseroberfläche aneinander. Das kann man nur hören, wenn man den Kopf unter Wasser hält. Sie übermitteln auf diese Weise Befehle. Allerdings kenne ich ihre Verschlüsselung nicht.«

»Wir sprechen hier von einfachen Fischern«, sagte Labienus. »Von Vogeljägern und Leuten, die das Rence abernten.«

»Aber die Geräusche sind nun rhythmisch«, erwiderte ich unbeeindruckt. »Also dienen sie im Augenblick nicht der schlichten Verständigung!«

»Die Rencebauern haben uns schon einige Ahn nicht mehr belästigt«, sagte Labienus. »Ich glaube, die Gefahr ist vorbei. Ich halte es sogar für möglich, daß wir sie durch unser Marschtempo hinter uns gelassen haben. Vermutlich sind sie auseinandergegangen, in ihre Dörfer zurückgekehrt. Sicher haben sie inzwischen begriffen, daß wir von ihnen nichts wollen.«

»Die Geräusche werden mittlerweile näher gekommen sein.«

»Ich will dir zugestehen, daß sie möglicherweise noch immer Beobachter im Sumpf haben.«

»Es sind regelmäßige Geräusche«, sagte ich. »Sie dienen nicht der Verständigung, sondern sollen nervös machen, etwas aufscheuchen.«

»Aber sie sind doch unter Wasser«, sagte ein Unteroffizier; mittlerweile hatte sich eine kleine Gruppe um uns versammelt.

»Man wird sie auf allen Seiten der Sandbank hören können«, sprach ich weiter. »Sie kommen näher, sie werden lauter werden. Hol die Posten zurück.«

»Der Spion will, daß wir unsere Vorposten zurückziehen«, sagte Plenius kopfschüttelnd zu einem der Soldaten.

»Wir sind doch keine Narren«, erwiderte der Mann.

Plötzlich spritzte nur wenige Meter entfernt lautstark Wasser auf.

»Was war das denn?« fragte der Unteroffizier.

»Zwei Tharlarion«, meinte Plenius.

»Nein, da war doch gar nichts«, sagte sein Kamerad.

»Ihr wißt doch sicher, wie Larls gejagt werden«, sagte ich. »Wie man das Wild vor sich hertreibt.«

»So ein Kreis kann Pasangs durchmessen«, sagte ein Soldat.

»Genau wie hier.« Bei derartigen Treibjagden wird der Kreis immer enger, man kann Hunderte von Tieren zu einer bestimmten Stelle treiben. Manchmal schließen sich Bauern aus verschiedenen Dörfern zu einer solchen Jagd zusammen. Für die Arena bestimmte Tiere werden ebenfalls auf diese Weise gejagt, man treibt sie dann mit Fackeln und Speeren in die Käfige und Netze.

»Das ist der Grund, warum ihr im Augenblick die Rencebauern nicht zu fürchten braucht«, fuhr ich fort. »Die sind nicht so dumm, um sich innerhalb des Kreises aufzuhalten. Wir sind diejenigen, die eingekreist sind! Sie werden später kommen. Und dann werdet ihr sie fürchten!«

Ein Soldat stolperte aus dem Wasser auf die Sandbank. »Aii!« rief er.

»Das ist doch einer der Posten!«

Nur ein paar Schritte zu seiner Rechten schoß plötzlich der langhalsige Kopf eines Tharlarions aus dem Sumpf. Links von ihm kam plötzlich ebenfalls ein kurzbeiniges Tharlarion heran. Dann durchbrachen weitere der Bestien die Wasseroberfläche.

»Holt die Posten zurück!« brüllte Labienus.

»Bringt Fackeln!« rief der Unteroffizier.

»Nein, kein Feuer!« rief ich.

Plenius rammte mir den Knebel in den Mund und band ihn fest. Er stieß mich zurück auf den Sand und kürzte die Leine. Ich versuchte mich zu befreien, aber das war unmöglich. Ich kämpfte gegen die Eisenmanschetten an, aber das war ein genauso vergeblicher, närrischer Versuch. Dann versuchte ich, wenigstens den Kopf ein Stück zu heben, damit ich zusehen konnte.

Soldaten eilten mit Speeren und Fackeln umher und schlugen auf die Tharlarion ein. Der Uferstreifen und der Sumpf wimmelten nur so von den riesigen Echsen. Überall auf der Sandbank ertönten Schreie. Ganz in der Nähe rammten Soldaten ihre Speere in den Körper eines gewaltigen Tharlarions. Weitere der Bestien stürmten aus dem Sumpf, von denen gehetzt, die hinter ihnen kamen. Sie schwärmten über die Sandbank. Nur die wenigsten griffen die Männer direkt an, abgesehen von ein paar, die instinktiv zuschnappten, wenn sich ihnen ein Hindernis in den Weg stellte. Die meisten Verletzungen erfolgten durch die schnellen, unberechenbaren Bewegungen ihrer gewaltigen Schwänze, die wild umherpeitschten, Schläge, die Beine brechen und einen Mann mehrere Meter weit fortschleudern konnten, und weniger durch einen Biß der weißen, gebogenen, hakenähnlichen Zähne oder das Zuschnappen der kräftigen Kiefer. Diese Tiere hatten die Sandbank nicht in aggressiver Absicht überschwemmt. Sie griffen nicht an, sie wollten nicht fressen. Sie rannten ziellos umher, erst in die eine Richtung, dann wieder in die andere, unsicher, völlig verwirrt. Keine Erfahrung hatte sie jemals auf diesen Tumult, dieses Chaos vorbereitet, genausowenig wie die Männer aus Ar. Falls das überhaupt möglich war, waren die Riesenechsen noch viel verstörter und aufgeregter als die Soldaten. Ich ließ mich flach zurückfallen, als plötzlich ein langer, schwerer, schuppiger Körper auf kurzen Beinen über meinen Körper krabbelte.

Wieder ertönte der Ruf nach mehr Fackeln.

Ich kämpfte gegen die Handschellen an, versuchte, mich von den Pflöcken zu befreien. Aber es war vergebens, ich blieb völlig hilflos liegen, genau wie es meine Häscher gewollt hatten.

»Mehr Fackeln!«

Ich wollte an dem Knebel vorbei einen Schrei ausstoßen, wollte den Stoff mit der Zunge aus dem Mund schieben, aber er saß zu tief und wurde von einem Band gehalten. Verzweifelt versuchte ich dann, das Halteband abzustreifen, indem ich die Seite meines Gesichts im Sand rieb. Auch dieses war vergeblich. Ich versuchte mit aller Gewalt, irgend jemandes Aufmerksamkeit zu erreichen, aber niemand schenkte mir auch nur einen Blick. Meine Zunge schmerzte. Meine Wange brannte. Sand und Schweiß bedeckten meinen Körper. Eine weitere Echse trabte vorbei, der lange Körper erhob sich nur wenige Zentimeter über den Boden.

»Entzündet mehr Fackeln!«

Erschöpft und elend ließ ich den Kopf auf den Sand sinken. Die Sandbank, eine Menagerie aus verwirrten Tieren und vielen wütenden, verängstigten Männern, war nun hell erleuchtet.

Ihr Narren, dachte ich und schluchzte still vor mich hin. Ihr verdammten Narren!

Dann versuchte ich, mich mit unbeholfenen Bewegungen tiefer in den Sand einzugraben.

Einen Augenblick später hörte ich den ersten Treffer, ein Geräusch wie ein Faust schlug gegen eine Brust, dann sah ich einen Soldaten zwischen den Tharlarion schwanken. Das Geräusch ertönte wieder und wieder. Ein Mann riß die Hände hoch, die Fackel in seinem Griff beschrieb ein seltsames Muster, dann verlor er sie und stürzte zu Boden.

Die Luft wurde lebendig, wie ein Sturmwind rasten von allen Seiten Pfeile aus der Dunkelheit des Sumpfes und bohrten sich in die Sandbank.

»Runter!« rief jemand. Ich erkannte die Stimme. Es war Labienus, der Hauptmann. »Runter! Schnell! In Deckung!«

Männer schrien.

»Die Fackeln löschen! Schnell!«

»Aber die Tharlarion!« protestierte ein Soldat. Dann wurde er getroffen und stürzte zwischen den Echsen zu Boden.

»Löscht die Fackeln!« schrie der Hauptmann. Er selbst hatte seine weggeworfen.

Pfeile flogen über die Sandbank. Tharlarion bäumten sich auf, nun ebenfalls getroffen. Soldaten schrien schmerzerfüllt auf, dann begannen die Fackeln zu verlöschen, eine nach der anderen.

»Runter mit euch! Runter!«

Ein Soldat warf den Kopf zurück und schrie seine Angst hinaus, die Fackel fest mit beiden Händen umklammert. Er hatte Angst, sie zu behalten, so wie er Angst hatte, sie fortzuwerfen. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper, und er fiel langsam nach vorn zwischen die Tharlarion; aus seinem Rücken ragte ein Pfeil aus Temholz, mit Voskmöwenfedern befiedert. Einer seiner Kameraden, der ebenfalls völlig verwirrt war, erlitt das gleiche Schicksal. Es wäre besser gewesen, er hätte dem Befehl ohne nachzudenken gehorcht.

»In Deckung!« rief der Hauptmann. »Tötet die Tharlarion. Geht hinter ihnen in Deckung!«

Ein gräßlicher Schrei ertönte.

Dann hörte der Beschuß auf. Die vergängliche Insel aus Sand lag in tiefer Dunkelheit. Ein paar der Echsen waren zu hören, wie sie herumliefen. Die meisten von ihnen rührten sich jedoch nicht mehr von der Stelle, jetzt, wo sie weder von den Männern noch von den Fackeln behelligt wurden. Einen Augenblick später ertönte ein Blöken; sie trampelten dem Wasser entgegen und verließen die Sandbank. Es regnete keine Pfeile mehr vom Himmel. Wie die Bogen aus Ka-la-na-Holz müssen auch die Pfeile aus Temholz ins Delta importiert werden und stellen für die Rencebauern einen kostbaren Besitz dar. Darum schießen sie nur selten ohne ein genaues Ziel vor Augen.

Zwei oder drei Ahn später brach die Morgendämmerung herein.

Die Rencebauern hatten sich zurückgezogen. Zumindest für den Augenblick.

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