Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza musterte mit strengem Blick den Mann, der am anderen Ende der riesigen Mahagonitafel Platz genommen hatte, und nach einer kalkulierten Pause begann er mit tadelnder Stimme zu sprechen:

»In den Sümpfen des Orinoco-Deltas wimmelt es im Augenblick von über fünfhundert entlaufenen Sklaven, die, wenn ich richtig informiert bin, Euch gehören. Jetzt fügen sie unseren Truppen unzählige Verluste zu.« Er räusperte sich und nahm eine Prise Schnupftabak aus einem schweren goldenen Kästchen. »Und Ihr wißt sehr gut, daß die strengen Vorschriften es den Mitgliedern der Casa ausdrücklich verbieten, mit Sklaven zu handeln…«Er machte eine neuerliche Pause. »Oder wußtet Ihr es vielleicht nicht?«

»Es war mir bekannt.«

»Dann dürfte Euch auch klar sein, daß dieser schwere Verstoß allein genügt hätte, Eure brillante Karriere zu ruinieren.« Seine Exzellenz Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza stieß einen tiefen Seufzer aus, als könne er das, was er nun hinzufügen mußte, gar nicht fassen, und eigentlich konnte er es wirklich nicht. »Doch als wäre dies alles noch nicht genug, kommt Ihr heute zu mir, um zu beichten, daß man Euch über zweitausend Perlen bester Qualität gestohlen hat, die Ihr in Eurer Dummheit in Eurem eigenen Haus aufbewahrt habt. Das erscheint mir nun wirklich unerhört.«

»Ich schwöre Euch, daß ich sie dort sicherer glaubte.«

»Ihr seht ja, wie sicher sie dort waren, wo Ihr es auch noch Eurer Geliebten erzählt habt.«

»Emiliana wußte nichts davon.«

»Ihre Tochter offensichtlich schon, was um so schändlicher ist, da diese Tatsache eine in jeder Hinsicht verabscheuungswürdige Beziehung zwischen einem reifen Mann und einem Kind nahelegt.«

»Celeste ist kein Kind mehr«, protestierte der andere. »Seit Ihr sie das letzte Mal gesehen habt…«

»Sagt lieber nichts, Don Hernando!« rief sein Gegenüber empört aus. »Sagt lieber nichts! Was Ihr getan habt, ist unverzeihlich. Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste: Das Schlimmste ist, daß Ihr den guten Namen der Casa de Contratación in den Schmutz gezogen habt. Gütiger Gott!« Don Caye-tano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza warf einen langen Blick auf das riesige Bildnis von Monsignore Rodrigo de Fonseca, der über das strenge Gemach wachte. »Was würde unser Gründer sagen, wenn er sähe, wie tief wir gesunken sind…? Und was wird man in Sevilla sagen, wenn die Flotte dort eintrifft und man feststellt, daß keine einzige Perle dabei ist, die auch nur eine elende Dublone wert ist?«

Schweigen war die Antwort, denn Don Hernando Pedrárias Gotarredona wußte auf keine einzige Frage eine Antwort und war so beschämt und niedergeschlagen, daß er fast in Tränen auszubrechen schien.

»Viele Irrtümer haben wir im Laufe der Jahre begangen!« fuhr schließlich Seine Exzellenz fort. »Leider viele, auch wenn ich felsenfest daran glaube, daß die meisten ohne böse Absicht geschahen. Aber daß einer unserer Beamten nicht nur des Sklavenhandels und der Verführung Minderjähriger anzuklagen, sondern darüber hinaus auch noch ein unfähiger Einfaltspinsel ist, das ist die Höhe. O Herr!« rief er aus und hob die Augen gen Himmel. »Ein Glück, daß Euer Vater, den ich so bewundert habe, das nicht mehr miterleben muß.«

»Ich bin hier, um für meine Taten Rede und Antwort zu stehen und öffentlich die Verantwortung dafür zu übernehmen, Exzellenz«, murmelte Don Hernando Pedrárias schließlich fast tonlos. »Was noch kann ich tun?«

»Verantwortung?« wiederholte sein Vorgesetzter mit knirschenden Zähnen und rang um Fassung. »Was hilft es mir, daß Ihr öffentlich Verantwortung übernehmt? Damit gießt Ihr nur mehr Öl ins Feuer und macht den Skandal noch größer, ohne daß wir unser Ansehen zurückerhalten, geschweige denn unsere Perlen.«

Der hochgewachsene, hagere, ja asketisch wirkende Mann, der geradewegs einem Gemälde El Grecos entstiegen zu sein schien, erhob sich, ging zum Fenster und blickte lange Zeit auf den ruhigen, dunklen Fluß hinaus, der nicht weit von hier in die kristallklare Karibische See mündete.

Schließlich und ohne sich zu dem Mann umzudrehen, der unentwegt auf seine Stiefelspitzen starrte, wies er mit einer leichten Kopfbewegung auf die massive Festung, die sich in der Ferne abzeichnete.

»Meine Pflicht wäre es, Euch für den Rest Eures Lebens in den tiefsten Kerker der Festung San Antonio werfen zu lassen, und ich gestehe, daß dies mein sehnlichster Wunsch ist, weil Ihr in mir nur Abscheu und Widerwillen erweckt.« Er blickte aus dem Fenster, bis ein schwerer Pelikan, der sich kopfüber ins Wasser gestürzt hatte, mit einem dicken Fisch im Schnabel wieder auftauchte und auf drollige Weise den Hals hin und her schüttelte, um den Fisch hinunterzuwürgen, ohne ihn dabei zu verlieren, und schließlich fügte er im gleichen Tonfall hinzu: »Dennoch ist es meine Pflicht, die Interessen der Casa vor alle anderen Überlegungen zu stellen. Im Augenblick verlangen es die Interessen der Casa, daß alle Welt erfährt, daß dieser Kapitän Jacare Jack und seine gesamte Besatzung schnell und streng bestraft worden sind. Aus diesem Grund werde ich Euch eine Gnadenfrist gewähren.«

Er kehrte zu seinem Sessel zurück und richtete seine bohrenden grauen Augen drohend auf den rötlichen schütteren Bart des wieder Hoffnung schöpfenden Don Hernando Pedrárias:

»Kehrt zurück nach Margarita. Versetzt alle Eure Habe und rüstet auf eigene Kosten ein Schiff aus, mit dem Ihr diese Elenden bis ans Ende der Welt verfolgen könnt. Wenn Ihr binnen Jahresfrist mit ihren an den Masten baumelnden Köpfen zurückkehrt, werdet Ihr begnadigt.« Wieder nahm er eine kleine Prise Schnupftabak. »Falls nicht, werden Euch meine eigenen Schiffe verfolgen, um mit Eurem Kopf zurückzukehren. Ist das klar?«

»Völlig klar, Exzellenz!«

»Dann macht Euch auf den Weg und denkt immer daran: Spätestens in einem Jahr möchte ich vor diesem Fenster Köpfe sehen, und ich versichere Euch, daß es mich wenig kümmert, ob Eurer dabei ist oder nicht.«

Der nunmehr Ex-Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla auf der Insel Margarita verließ tief beschämt das Gemach und ging langsam am Fluß entlang die anderthalb Meilen vom Palast Seiner Exzellenz Don Cayetano Miranda Portocarrero y Diaz de Mendoza in Cumaná zum Hafen zurück, ohne sich um die Sonne zu kümmern, die mörderisch auf sein Haupt brannte. Erst gegen Abend hatte er seine Sprache teilweise wiedergefunden und betrat die einsame Schenke, in der seit Stunden sein treuer Sekretär Lautario Espinosa auf ihn wartete.

»Du bleibst hier«, befahl er, als er ihm gegenüber Platz genommen hatte, »und schickst Boten in alle Häfen der Region, die dort verkünden sollen, daß ich für das bestbewaffnete Schiff dieser Meere bezahlen werde, was immer sie verlangen…« Er zeigte mit dem Finger auf ihn. »Was immer sie verlangen! Außerdem zahle ich für jegliche Information, die zur Auffindung der Jacare beiträgt. Ich will ihre Routen wissen, welche Häfen sie anläuft oder wo sie vor Anker geht, wenn sie nicht auf Beutefahrt ist…« Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas, das der andere vor sich hatte, um in höchster Erregung hinzuzufügen: »Und dann heuerst du eine Besatzung an, die es mit Tod und Teufel aufnehmen kann. Piraten, Banditen, Frauenschänder, Mörder! Was immer du auftreiben kannst!«

»Wißt Ihr eigentlich, Senor, was Ihr da verlangt?« protestierte der andere, den der Tonfall sichtlich mehr beeindruckt hatte als die Worte selbst.

»Natürlich weiß ich das!« tönte es brüsk zurück. »Ich bitte dich, mir dabei zu helfen, meinen Kopf zu retten und übrigens auch den deinen, denn wir beide wissen, wie hoch die Provision war, die dir für jeden Sklaven der Four Roses zustand.« Anklagend wies er mit dem Finger auf ihn. »Wir sitzen in einem Boot: Entweder kommen wir beide heil aus der Sache heraus, oder wir gehen gemeinsam unter… Ist das klar?«

Lautario Espinosa nickte und schluckte heftig.

»Völlig klar, Senor!«

»Dann spute dich, denn noch heute abend breche ich nach La Asunción auf.« Er sprang auf. »Gib aus, was notwendig ist, doch bei meiner Rückkehr möchte ich ein Schiff mit zweihundert Mann unter Deck im Golf von Paria sehen…« Er stieß einen Fluch aus: »So wahr meine Name Hernando Pedrárias ist, werde ich diesen verfluchten Schotten und seine verdammte Hure finden!«

Zwei Tage später betrat er das Herrenhaus auf Margarita und stieg eilends in den Weinkeller hinab, in den er Emiliana Matamoros hatte einsperren lassen. Als er vor der inzwischen schmutzigen, zerzausten und angetrunkenen Frau stand, für die er früher soviel Leidenschaft empfunden hatte, konnte er eine verächtliche Geste des Abscheus nicht unterdrücken:

»Du stinkst wie ein toter Hund, und heute kann ich mir nicht erklären, daß du mir einmal den Kopf verdrehen konntest! Aber das ist vorbei. Heute sollst du mir lediglich sagen, was dieser Pirat mit deiner Tochter zu tun hat.«

Sein Gegenüber musterte ihn mit geröteten Augen, berauscht von den Litern Sherry, mit dem sie versucht hatte, ihren Hunger zu betäuben, und nachdem sie ewig lang darüber nachgedacht hatte, grunzte sie schließlich:

»Ich hab verdammt noch mal keine Ahnung, wovon du redest.«

Als Antwort verpaßte ihr der Ex-Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla eine schallende Ohrfeige. Ihre Unterlippe riß auf, und eine Blutspur lief über ihr Kinn.

»So redest du nicht mit mir!« drohte er. »Und spiel mir nicht die Betrunkene vor. Das alles war viel zu gut geplant. Sie haben die Perlen mitgenommen und in der gleichen Nacht die Kutsche angezündet, um sich in Manzanillo einzuschiffen. Wie erklärst du dir das?«

»Ich habe wirklich keine Ahnung!« beharrte sie erschreckt. »Ich schwör’s dir. Ich wußte ja nicht einmal, daß die Perlen im Keller waren. Woher sollte ich es auch wissen?«

»Vielleicht hat es dir ja Celeste verraten.«

»Glaubst du nicht, daß ich dann mit ihr gegangen wäre, statt hier darauf zu warten, daß du mich einsperrst und mir das Gesicht zerschlägst?«

Don Hernando Pedrárias schwieg, denn genau das fragte er sich schon, seit er den Diebstahl entdeckt hatte. Wenn diese Frau, der schon seit geraumer Zeit klar war, daß sie an seiner Seite keine Zukunft mehr hatte, gewußt hätte, daß ein Vermögen an Perlen verschwunden war, hätte sie sich wahrscheinlich ihren Anteil an der Beute gesichert und sich für immer aus dem Staub gemacht.

»Ich versteh’s nicht!« rief er schließlich aus und genehmigte sich ein großes Glas Riojawein aus seinem Lieblingsfaß. »Ich versteh’s nicht! Seit Jahren überfällt dieser Pirat unsere Frachtschiffe, um deren Waren zu verschleudern. Dann fällt ihm die Four Roses in die Hände, und statt sich ein riesiges Lösegeld zu sichern, läßt er die Sklaven frei, zündet das Schiff an und klagt mich an, ein Sklavenhändler zu sein.« Er stieß einen Fluch aus. »Zu guter Letzt verschwindet er mit Celeste und den Perlen. Wie ist das möglich? Und was hat dieser verfluchte Kapitän bloß gegen mich?«

Er erhielt keine Antwort, denn Emiliana Matamdros hatte offensichtlich nicht den blassesten Schimmer, und nachdem er sie angesehen hatte, so am Boden zerstört, wie er selbst es hätte sein können, schnaubte er schließlich:

»Verschwinde! Mach dich aus dem Staub und komm nicht wieder!«

»Wohin soll ich denn nur gehen?«

»Was kümmert mich das?« lautete die brutale Antwort. »Von mir aus kannst du dich ins Meer stürzen, an einem Kapokbaum aufhängen oder in ein Bordell gehen, das fette stinkende Weiber aufnimmt. Hauptsache, du gehst mir aus den Augen, denn wenn ich dich im Umkreis von zehn Meilen antreffe, laß ich dich einsperren.«

Emiliana Matamoros sagte kein einziges Wort mehr. Sie wußte, daß es keinen Sinn machte, um Milde zu flehen. So richtete sie sich mühevoll auf, stolperte fast auf allen vieren die steile Treppe hinauf, wo zwei finster dreinblickende Diener auf sie warteten, die offensichtlich gelauscht hatten und verächtlich auf den Dienstboteneingang deuteten.

»Hinaus mit dir!« knirschte einer zwischen den Zähnen. »Hinaus mit dir, du verdammte Schlampe! Davon habe ich immer geträumt!«

Sie hatte das große Tor noch nicht erreicht, da erschien Don Hernando Pedrárias am oberen Ende der Treppe und befahl kurz angebunden:

»Schickt nach Kommandant Arismendi und dem Wucherer Don Samuel! Noch heute nachmittag will ich sie hier sehen!«

Anschließend stieg er in sein riesiges Schlafzimmer hinauf, ließ sich auf das Bett fallen und betrachtete den schweren Baldachin und die gedrechselten Säulen, an die sich Emiliana Matamoros während ihres leidenschaftlichen Liebesspiels vor Jahren so oft geklammert hatte, und dachte an die alten Zeiten, in denen er sich als Herr der reichsten Insel und der schönsten ihrer Frauen fühlen konnte, und er suchte nach dem ungerechten Grund dafür, warum sich plötzlich alles gegen ihn verschworen hatte.

Was war sein größter Fehler gewesen, und wann hatte er ihn begangen, zermarterte er sich das Hirn. Doch da er immer noch der gleiche Mann war, der die dogmatischen Prinzipien der Casa quasi mit der Muttermilch aufgesogen hatte, hielt er nach wie vor an der Überzeugung fest, daß nicht seine eigenen Irrtümer, sondern widrige Umstände für seine Misere verantwortlich zu machen waren.

Die Austern hatten sich entschlossen, keine Perlen mehr zu produzieren, die Perlentaucher hatten ihm den Gehorsam verweigert, die Piraten hatten sich an seinen Schiffen gemästet, und sogar die baumstarken und unterwürfigen Sklaven hatten sich entschlossen, einfach krank zu werden oder offen zu rebellieren.

Was konnte er für alle diese Dinge und dafür, daß ein undankbares Mädchen, das er wie eine Tochter behandelt hatte, plötzlich entschlossen war, ihn zu verraten?

Stundenlang blieb er in seinem Schlafzimmer, bis zur Erschöpfung in seine Grübelei versunken, bis man ihm die Ankunft von Oberst Arcadio Arismendi ankündigte, dem Militärkommandanten der Insel. Ihn hatte er als einen seiner besten Freunde betrachtet, bis man ihn als Sklavenhändler angeklagt hatte.

Er empfing ihn in der Bibliothek. Der schnurrbärtige Offizier blickte so abweisend drein, daß Don Hernando im letzten Augenblick verzichtete, die Hand auszustrecken.

»Ich bin dir dankbar, daß du gekommen bist. Ich brauche deine Hilfe.«

»Ehrlich gesagt habe ich lange gezögert, überhaupt zu kommen, doch Mariana hat mich überredet, die Angelegenheit lieber früher als später zu bereinigen. Es ist nicht meine Art, Menschen, die am Boden liegen, noch zu treten, doch du mußt einsehen, daß unsere Beziehung nicht mehr so sein kann wie früher.«

Der Ex-Gesandte der Casa nickte und lud seinen Gast ein, im Lehnstuhl Platz zu nehmen, in den er sich gewöhnlich selbst zu setzen pflegte, füllte zwei große Gläser mit Rum und bot ihm eines an:

»Ich verstehe. Die Anschuldigungen gegen mich wiegen sehr schwer, und ich will gar nicht erst versuchen, sie zurückzuweisen. Was ich dir sagen will, ist folgendes: Seine Exzellenz hat mir die Chance geboten, mich zu rehabilitieren, und ich werde alles daransetzen, auch wenn es mich das Leben kostet.« Er blickte ihm in die Augen. »Was weißt du von Kapitän Jacare Jack?«

»Nicht mehr als alle anderen«, tönte es verdrossen zurück. »Daß er ein schottischer Dickwanst und Trunkenbold ist, der harmlos aussieht, aber gelegentlich auch ganz andere Seiten aufzieht, wie man hört. Außerdem soll er die Piratengesetze respektieren.«

»Piratengesetze«, regte sich sein Gegenüber auf, »was soll denn dieser Unfug? Diese Halunken sollen irgendwelche Gesetze haben?«

»Die haben sie tatsächlich«, stellte Don Arcadio Arismendi etwas belustigt klar. »Ebenso wie wir die unsren haben, was Ehre, Moral oder Sklavenhandel betrifft. Und wie bei uns gibt es bei ihnen Leute, die sie befolgen, und andere, die sie nicht befolgen.«

»Schön!« gab Don Hernando Pedrárias zu, der um alles in der Welt Ruhe bewahren wollte. »Vergiß das! Ich will wissen, warum ein alter Pirat, der gewöhnlich Schiffe aus Spanien plündert, plötzlich Sklaven freiläßt.«

»Vielleicht ist er gegen die Sklaverei.«

»Ein schottischer Pirat? Daß ich nicht lache! Die Engländer, Holländer und Schotten haben doch den Sklavenhandel erfunden und würden sich keine derartige Beute entgehen lassen.«

»Offensichtlich doch«, lautete die fast spöttische Antwort.

Der Hausherr ging im Zimmer auf und ab, als würde das seine Probleme lösen, und fuhr schließlich ungeduldig fort:

»In der Tat! Aber warum? Wenn ich wüßte, warum ein Pirat sich plötzlich nicht mehr wie ein Pirat aufführt, könnte ich ihn vielleicht erwischen.«

»Ich glaube nicht, daß dir das viel hilft«, bemerkte der andere und leerte hastig sein Glas, als wollte er andeuten, daß er es eilig hatte. »Ich hatte noch nie mit Piraten zu tun…« Er deutete mit dem Finger auf ihn. »Vielleicht gibt es jemanden, der dir helfen kann. Er lebt schon viele Jahre auf der Insel und hat schon mehr als einmal gegen sie gekämpft. Ich rede von Hauptmann Mendana.«

»Der Kommandant der Festung La Galera?« Als sein Gegenüber nickte, schüttelte Don Hernando Pedrárias den Kopf. »Er haßt mich.«

»Zum Teufel, Hernando…!« lachte der andere. »Nicht so bescheiden! Du weißt gut, daß die meisten Leute auf der Insel dich hassen. Mendana sollte da keine Ausnahme machen.« In einem vorwurfsvolleren Ton, der sich fast mehr gegen seine eigene Person zu richten schien, fuhr er fort. »Anders als wir, die wir unsere Pflichten aus reiner Bequemlichkeit vergessen haben, ist er ein guter Offizier, der die Piraten verabscheut. Vielleicht hilft er dir.«

»Glaubst du?«

»Was riskierst du schon? Du hast ohnehin schon alles verloren!«

»Wohl wahr«, räumte sein Gegenüber ein und ließ sich in einen Sessel fallen, als hätte ihn sein Energieausbruch plötzlich erschöpft. »Ich habe alles verloren außer meiner Wut im Bauch. Ich werde ein Schiff ausrüsten. Das beste, das es gibt! Und ich werde diesen Hurensohn fangen.«

»Das beste Schiff, das es gibt, ist die Jacare«, erinnerte ihn Oberst Arismendi. »Wenn du es mit einem schweren Flottenschiff zu jagen versuchst, auch wenn es noch so gut bewaffnet ist, kannst du ebensogut versuchen, einen Delphin am Schwanz zu packen.«

»Ich werde schon eine Möglichkeit finden.«

Der Offizier stand mühevoll auf und ging zur Tür, als sähe er nicht nur das Gespräch, sondern auch die unbequeme Beziehung für beendet an.

»Das hoffe ich für dich, und ich sollte dir Glück wünschen. Allerdings weiß ich in diesem besonderen Fall nicht recht, ob ich auf der Seite eines ehrenwerten schottischen Piraten oder der eines unwürdigen spanischen Edelmanns stehen soll. Gute Nacht!«

Unter anderen Umständen hätte Don Hernando Pedrárias Gotarredona eine solche Behandlung niemals hingenommen, sondern die Person, die ihn derart beleidigt hatte, unverzüglich zum Duell gefordert. Aber das war nicht der Augenblick, mit einem vorzüglichen Fechter und sicheren Pistolenschützen die Waffen zu kreuzen. Daher schluckte er seinen Groll hinunter, denn es war ihm klar, daß die meisten Menschen ihn von nun an auf diese Weise behandeln würden.

Nachdem er sich vergewissert hatte, daß Oberst Arcadio Arismendi das Haus tatsächlich verlassen hatte, goß er sich ein weiteres Glas Rum ein, leerte es in einem Zuge und läutete mehrere Male ein Glöckchen, bis ein Diener auf der Türschwelle erschien.

»Wo bleibt Don Samuel? Warum ist er nicht gekommen?«

»Seine Frau versichert, daß er in Porlamar ist, Senor«, erwiderte der arme Mann, also fürchtete er, daß man ihm nicht glauben würde. »Er kommt erst übermorgen zurück.«

Sein ungeduldiger Herr wollte gerade eine ärgerliche Antwort geben, als er es sich anders überlegte und befahl:

»Sattle mein Pferd. Ich reite nach Juan Griego.«

»Um diese Zeit, Senor?« wollte der beunruhigte Diener wissen. »Es wird bald Nacht.«

»Wir haben Vollmond, und ich kenne den Weg. Um so kühler wird der Ritt sein.«

Es war tatsächlich ein kühler Ritt und in mancher Hinsicht wesentlich angenehmer als unter der brennenden Sonne Margaritas, doch während er auf dem engen Pfad zur Westküste hinuntergaloppierte, hatte Don Hernando Pedrárias ein bohrendes Gefühl im Magen, wenn er diesen fast verstohlenen Ritt mit der Fahrt verglich, die er vor Jahren mit seiner Kutsche und einem Dutzend Mann Begleitung gemacht hatte, die auf Schritt und Tritt für seine Sicherheit sorgte.

Weder der wirtschaftliche Ruin noch der Verrat Celestes oder die Aussicht, den Rest seines Lebens in der Festung des feuchtheißen Cumaná zu verbringen, machten dem Ex-Gesandten der Casa de Contratación von Sevilla so sehr zu schaffen wie die Tatsache, daß er all seine Macht verloren hatte. Bitter mußte er feststellen, daß nur noch zwei alte Diener seine Befehle ausführten und kein einziger Leibwächter mehr bereit war, sein Leben für ihn aufs Spiel zu setzen.

Don Hernando Pedrárias, Sohn eines geachteten Staatsanwalts der Casa de Contratación von Sevilla und Enkel eines ihrer tüchtigsten obersten Richter, war in der unerschütterlichen Überzeugung aufgewachsen, daß die Angehörigen seines Geschlechts dazu berufen waren, über die Geschicke der Neuen Welt zu schalten und zu walten. Ihre Autorität war ebenso unantastbar wie die der Personen königlichen Geblüts.

Über Jahre hinweg hatte er die Beamtenschule der Casa besucht, gemeinsam mit vielen anderen Söhnen und Enkeln hoher Würdenträger, und die gesamte Zeit über hatten weder Lehrer noch Schüler auch nur ein einziges Mal die Tatsache in Frage gestellt, daß nur sie wußten, und niemand sonst, was die fernen Länder jenseits der Meere benötigten und was gut für deren Einwohner war.

Die Pfarrer waren für die Religion, die Höflinge für die Politik und die Offiziere für die Schlachten zuständig, doch die Beamten der Casa kontrollierten die Wirtschaft des Landes, und das bedeutete, daß auf die eine oder andere Weise Pfarrer, Politiker und Militär von ihnen abhängig waren.

Und jetzt wagte es eine Marionette wie Oberst Arismendi, der jahrelang vor ihm gekatzbuckelt und von ihm profitiert hatte, ihn zu beleidigen, jetzt wo der Offizier wußte, daß Don Hernando keine Fäden mehr ziehen konnte, um ihn sofort in das übelste Urwaldkaff versetzen zu lassen.

Macht!

Macht war die sanfte Geliebte, mit der er jahrelang geschlafen hatte, und in jener Nacht, in der er allein den staubigen Weg nach Juan Griego entlangritt, kam Don Hernando Pedrárias zur schmerzlichen Erkenntnis, daß sie niemals mehr sein Bett teilen würde.

Der Morgen graute, als er in der Ferne die schwarzen Mauern des Forts erkennen konnte, und als die ersten Sonnenstrahlen über Cabo Negro blinzelten, stand er vor Hauptmann Sancho Mendana, der gerade sein Frühstück auf der riesigen Seeterrasse beendet hatte.

»Oberst Arismendi hat mir empfohlen, zu Euch zu kommen«, bog Don Hernando die Wahrheit zurecht. »Er hat mir versichert, daß ihr mir vielleicht die Information geben könnt, die ich benötige.«

»Über?«

»Kapitän Jacare Jack.«

»Und was soll ich dem Oberst nach über Kapitän Jacare Jack wissen?« lautete die mißmutige Antwort des Hauptmanns, die vermuten ließ, daß er tatsächlich eine Menge wußte. »Ein Pirat ist er, nichts weiter.«

»Der Oberst hält Euch für eine Autorität in Sachen Piraten. Ihr sollt gegen viele gekämpft haben.«

»Ich war bei einem gescheiterten Angriff auf Tortuga dabei, habe mit meinen Kanonen Mombars, den Todesengel, in die Flucht geschlagen, und einmal habe ich an einer Treibjagd teilgenommen, auf der wir achtzehn Freibeuter aufgehängt haben, aber deshalb sehe ich mich noch nicht als Autorität in dieser Angelegenheit.« Bedächtig zündete der phlegmatische Hauptmann seine Pfeife an und fügte mit gezwungener Natürlichkeit hinzu: »Jeder Offizier, der so lange wie ich in diesen Breiten gedient hat, dürfte ähnliche Erfahrungen haben.«

»Nichtsdestotrotz!« rief Don Hernando Pedrárias aus. »Ich weiß, daß die Jacare mehrere Male in der Bucht vor Anker gegangen ist.«

»Immer schön außer Reichweite meiner Kanonen«, stellte sein Gastgeber spöttisch klar. »Seit Jahren mache ich Eingaben, daß man diese alten Schrotthaufen austauscht und Munition schickt, doch keiner hat sich je darum geschert. O ja, die Jacare ist in der Bucht von Kap zu Kap gefahren, weil sie genau wußte, daß ich ihr mit meinen vier Fischerkähnen und einem halben Dutzend Reservisten nichts anhaben konnte.« Wütend blickte er sein Gegenüber an, als dächte er darüber nach, ob es sich lohnte, seine Spucke an ihn zu verschwenden: »Alle Piraten und Korsaren, Engländer, Franzosen, Holländer, Portugiesen, ja sogar Chinesen, falls es in China Korsaren gibt, wissen nur zu gut, daß sie uns ungestraft plündern, schänden und töten können, weil die Casa lieber ein Schiff mit Ölfässern schickt, um es gegen Perlen einzutauschen, statt ein Schiff mit Pulverfässern, die verhindern könnten, daß man uns diese Perlen raubt…« Er deutete auf die alte Kanone, deren schwarze Mündung fast direkt über ihren Köpfen schwebte: »Wißt Ihr, wie oft ich sie bei einem Angriff abfeuern kann? Einmal! Nur ein einziges Mal! Und der Schuß erreicht nicht einmal dieses gelbe Boot dort.«

»Ich hätte nie gedacht, daß die Situation so kritisch ist«, gab Don Hernando mit absoluter Ehrlichkeit zu.

»Als ob ich Euch nicht über die Jahre hinweg ein gutes Dutzend Berichte geschickt hätte«, tönte es fast zornig zurück. »Wir wollen das größte Reich sein, das jemals ein allmächtiger Souverän regiert hat, das Reich, in dem die Sonne niemals untergeht, doch anderthalb Jahrhunderte, nachdem wir dieses Reich erobert haben, lassen wir zu, daß man uns Stück um Stück entreißt. Hier in der Karibik haben wir schon Jamaika, Barbados, Guadeloupe, Aruba, Martinique und Curacao verloren. Was müssen wir noch alles verlieren, bis die Casa sich endlich entschließt, uns Waffen zu schicken, damit wir uns verteidigen können? Wenn die Piraten, die gerade im Hafen von Port-Royal liegen, ihre Kräfte vereinen würden, brauchten sie nicht einmal 24 Stunden, um Margarita einzunehmen.«

»Das ist doch ein Scherz…!«

»Was denn für ein Scherz…?« erregte sich der Offizier. »Im Augenblick dürften dort die Schiffe von Laurent de Graaf, Michel el Vasco und wahrscheinlich auch Moses van Klijn vor Anker liegen. Zusammen bringen es die drei auf über tausend gut bewaffnete Männer und über zweihundert Kanonen. Und wie viele, glaubt Ihr, haben wir?« Er sah ihn spöttisch an. »Wißt Ihr das nicht? Ich werde es Euch sagen: Auf der Insel gibt es genau 22 Kanonen und etwa achtzig Musketen, und die Hälfte von ihnen bringen eher den Schützen um als ihr Ziel.«

»Ich verstehe! Ist Jacare Jack vielleicht in Port-Royal?«

»Nur das ist Euch wichtig, nicht wahr? Jacare Jack.« Hauptmann Mendana schüttelte überzeugt den Kopf. »Ich bezweifle es. Er taucht nur selten dort auf, auch Tortuga läuft er gewöhnlich nicht an. Er soll seinen eigenen Ankerplatz zwischen den Jungferninseln haben, vielleicht auch im Jardin de la Reina, im Süden von Kuba.«

»Wer könnte es wissen?«

»Niemand, den ich kenne.«

»Ich habe eine großzügige Belohnung für Hinweise auf dieses Schiff ausgesetzt. Glaubt Ihr, das bringt etwas?«

»Aber sicher doch…!« entgegnete der Hauptmann mit sichtlicher Ironie. »Ein gutes Dutzend vorgeblicher Verräter wird Euch wie einen Hampelmann von einem Ort zum anderen führen. Aber ich versichere Euch, am Ende habt Ihr nur Zeit und Geld verschwendet.«

»Was ratet Ihr mir also?«

»Daß Ihr Euch Probleme erspart, wenn Ihr Euch in einen Teil der Welt verzieht, in dem Euch niemand kennt.«

»Das kann ich nicht tun.«

»Und warum nicht?«

»Man würde mich des Verrats anklagen.«

Hauptmann Mendana betrachtete ihn perplex:

»Nach allem, was mir zu Ohren gekommen ist, Don Hernando, klagt man Euch an, weil Ihr mit Sklaven handelt, ein Mädchen verdorben habt, illoyal, pflichtvergessen, unfähig, ja sogar ein Bandit seid. Welche Bedeutung hat da noch ein weiterer Vorwurf, wenn es um Euer Leben geht?« Er stand auf, ging ein wenig auf der Terrasse hin und her und setzte sich auf den Rand der massiven Mauer. »Wißt Ihr was? Ich habe Emiliana Matamoros geliebt. Für mich war sie wie eine Göttin, die ich stets wie ein Denkmal verehrt habe, ohne daß mir jemals ein unlauterer Gedanke gekommen wäre. Doch eines Tages tauchte der Gesandte der Casa de Contratación von Sevilla mit seiner riesigen goldenen Kutsche auf, verführte sie und zerstörte damit das einzige reine und edle Gefühl, das ich je hatte.« Er sah ihm herausfordernd in die Augen: »Wie könnt Ihr nur zu mir kommen, um mich um Hilfe zu bitten? Weder ich noch ein anderer auf dieser Insel, ja, ich hoffe auf der ganzen Welt, wird Euch zuliebe auch nur einen Finger rühren. Das sollte Euch so schnell wie möglich in Fleisch und Blut übergehen, wenn Ihr am Leben bleiben wollt.«


Загрузка...