Kapitel 36

Diane Verwoerd führte die Schar der Humphries-Mit-arbeiter aus dem Anhörungsraum, wobei sie ein zufriedenes Lächeln unterdrücken musste. Fuchs und seine zwei Freunde blieben konsterniert und frustriert zurück.

Draußen im Korridor machte sie höflichen Smalltalk mit Douglas Stavenger und Pancho Lane. Sie schickten sich an zu gehen und schienen enttäuscht vom Ausgang der Anhörung. Verwoerd wusste, dass Pancho Humphries’ größte Widersacherin im Vorstand der Astro Corporation war und dass Humphries erst dann zufrieden wäre, wenn er die volle Kontrolle über Astro erlangt hatte. Was bedeutet, sagte sie sich, dass, wenn wir Fuchs endlich abserviert haben, Pancho die Nächste ist.

Sie eilte zur Rolltreppe, die zu ihrem Büro hinunterführte. Außer ihr war niemand dort. Sie setzte sofort eine Bündellaser-Nachricht an Dorik Harbin ab. Sie wusste, dass er in ungefähr einer Stunde auf Ceres eintreffen musste.

Es dauerte beinahe zwanzig Minuten, bevor sein Gesicht auf ihrem Wandbildschirm erschien: Es sah geradezu unverschämt gut aus ohne den Bart; er hatte ein festes, markantes Kinn und eisblaue, wache Augen.

»Ich weiß, dass du erst nach der Landung auf diese Nachricht reagieren kannst«, sagte sie zu Harbins Bild. »Ich wollte dir auch nur viel Glück wünschen und dir sagen … nun, ich zähle schon die Minuten, bis du wieder hier bei mir bist.«

Sie holte tief Luft und ergänzte: »Ich habe die HSS-Leute auf Ceres verständigt. Die Medikamente, die du benötigst, warten dort auf dich.«

Verwoerd brach die Verbindung ab. Der Bildschirm wurde dunkel. Und dann lächelte sie. Du musst ihn an dich binden, sagte sie sich. Nutze seine Schwächen aus — und seine Stärken. Er wird dir noch sehr nützlich sein; vor allem, falls du dich vor Martin schützen musst.

Sie drehte sich um und betrachtete ihr Bild im Spiegel an der entgegengesetzten Wand des Büros. Delilah, sagte sie sich und lachte.


* * *

»Was sollen wir nun machen?«, fragte George, als er, Fuchs und Nodon die Rolltreppe hinunterfuhren.

Fuchs schüttelte resigniert den Kopf. »Ich weiß nicht. Diese Anhörung war eine Farce. Die IAA hat Humphries freie Hand gelassen.«

»Sieht so aus«, pflichtete George ihm bei und kratzte sich den Bart.

Nodon sagte nichts.

»Amanda«, sagte Fuchs. »Ich muss ihr sagen, was passiert ist. Ich muss ihr sagen, dass wir gescheitert sind.«


* * *

Harbin ließ den Blick über die acht Männer schweifen, die seinem Kommando unterstellt worden waren. Ein zusammengewürfelter Haufen, wohlwollend ausgedrückt. Draufgänger, Schlägertypen, Kleinkriminelle. Keiner von ihnen hatte auch nur eine militärische Grundausbildung genossen oder verfügte über militärische Disziplin.

Allerdings ist das hier auch keine Militäroperation, erinnerte er sich. Es handelt sich nur um einfachen Diebstahl.

Er hatte den Hochgeschwindigkeitsflug von Selene dazu genutzt, den Plan und die Hintergrundinformationen zu studieren, die Diane ihm gegeben hatte. Er hätte schon erwartet, mit zuverlässigen Leuten zusammenzuarbeiten und nicht mit einer Horde Hooligans. Dennoch bereitete Harbin sich seelisch-moralisch auf seine Aufgabe vor und leierte stumm das Mantra herunter, wonach der Arbeiter seinem Werkzeug keinen Vorwurf machte und dass der Krieger mit dem kämpfen musste, was er gerade zur Hand hatte. Zunächst einmal musste er diesen Halbaffen beibringen, dass man auch Geld machen konnte, ohne anderen Leuten gleich den Schädel einzuschlagen.

Harbin vermutete, dass keiner der ihm zugewiesenen Schläger sich im Geringsten dafür interessierte, was dem heißblütigen Trace Buchanan zugestoßen war. Die Maxime, auf die sein alter Feldwebel ihn gedrillt hatte, lautete, dass es dem Zusammenhalt und dem Teamgeist einer Einheit förderlich war, nach Möglichkeit Solidarität in der Gruppe aufzubauen.

Also sagte er zu ihnen: »Ihr erinnert euch doch noch daran, was dieser Fuchs Trace Buchanan angetan hat?« Das war eine rein rhetorische Frage.

Sie nickten ungerührt. Buchanan war ein primitiver Schläger gewesen; er hatte keine Freunde gehabt, nur Kollegen, die ängstlich darauf bedacht waren, ihn nicht zu reizen. Keiner von ihnen trauerte dem verstorbenen Mr. Buchanan nach.

Harbin hatte dennoch das Gefühl, seine acht Untergebenen irgendwie motivieren zu müssen. Er hatte sie im beengten, kleinen Büro des HSS-Lagerhauses versammelt: acht Männer, die eigens deshalb nach Ceres geflogen worden waren, weil sie in der Lage waren, Anweisungen Folge zu leisten und das Handwerk des Tötens beherrschten.

»Okay«, sagte Harbin zu ihnen. »Heute Nacht werden wir uns revanchieren. Heute Nacht werden wir in Fuchs’ Lagerhaus einbrechen und die Möbel gerade rücken.«

»Ich hätte eine bessere Idee«, sagte Santorini.

Harbin spürte die alte Wut in sich aufkeimen. Santorini hatte die Intelligenz eines Pavians. »Und was für eine?«

»Wenn du dich bei Fuchs revanchieren willst, wieso schnappen wir uns dann nicht seine Frau?«

Die anderen grinsten bei dieser Vorstellung.

Waren das wirklich die besten Leute, die Diane bekommen konnte, fragte Harbin sich. Oder hat jemand in ihrem Büro nur ein paar Kneipenböden abgekratzt und diese Figuren hier nach Ceres geschickt?

»Wir haben die strikte Anweisung, sie in Ruhe zu lassen«, sagte er scharf. »Diese Anweisung kommt von ganz oben. Kommt nicht einmal in ihre Nähe. Verstanden? Jeder, der auch nur in ihre Richtung schaut, steckt tief in der Scheiße. Ist das klar?«

»Jemand da oben liebt sie wohl«, sagte einer der Blödmänner.

»Jemand da oben ist scharf auf sie«, pflichtete der Halbaffe neben ihm bei.

»Dieser Jemand wird eure Eier rösten und sie euch scheibchenweise zu fressen geben«, knurrte Harbin, »wenn ihr die Anweisungen nicht befolgt. Wir haben den Auftrag, uns um das Lagerhaus zu kümmern. Wir gehen rein, räumen es aus und verschwinden wieder. Wenn wir es richtig machen, könnt ihr alle mit einem dicken, fetten Bonus auf dem Konto zur Erde zurückkehren.«

»Dann können wir zu Hause einen draufmachen.«

»Ja, vor allem wenn ihr Geld habt.«

Harbin überließ sie ihren Phantasien, was sie mit ihrem Bonus alles anstellen würden. Hauptsache, sie schlagen sich Fuchs’ Frau aus dem Kopf. Diane hatte sich in dieser Hinsicht ganz klar geäußert. Sie darf nicht angegriffen oder auch nur bedroht werden. Weder körperlich noch verbal oder sonst wie. Im Lagerhaus durften sie die Sau rauslassen.


* * *

»Wo, zum Teufel, sind Sie gewesen?«, blaffte Humphries.

Verwoerd gestattete sich ein verhaltenes Lächeln. »Ich habe ein ausgiebiges Mittagessen genossen. Eine Siegesfeier.«

»Den ganzen verdammten Nachmittag?«

Humphries befand sich im Esszimmer des Anwesens; er saß allein am Ende des langen Rosenholztischs und hatte die Reste seines Essens vor sich stehen. Er forderte seine Assistentin nicht auf, sich zu ihm zu setzen.

»Ich hatte eigentlich erwartet, dass Sie sofort nach dem Ende der Anhörung herkommen.«

»Sie haben doch auch ohne mich vom Ergebnis erfahren«, sagte sie cool. »Zumal Sie doch schon wussten, wie die Anhörung ausgehen würde, bevor sie überhaupt angefangen hatte, nicht wahr?«

Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. »Sie sind ziemlich unverschämt heute Abend.«

»Fuchs ist auf dem Rückflug nach Ceres«, sagte sie. »Wenn er dort ankommt, wird er kein Lagerhaus mehr haben. Seine Firma ist am Ende, er ist ruiniert, und Sie sind der König des Asteroidengürtels. Was wollen Sie noch mehr?«

Sie wusste freilich, was er noch wollte. Er wollte Amanda Cunningham-Fuchs. Deshalb wird es nicht reichen, Fuchs nur zu ruinieren, sagte sie sich. Wir werden den Mann töten müssen.

Humphries’ Stirnfalten glätteten sich langsam, und er setzte ein listiges Grinsen auf. »Wie ist es denn nun um Ihr Sexleben bestellt, wo Sie Ihren jungen Soldaten nach Ceres geschickt haben?«, fragte er.

Verwoerd versuchte, sich die Überraschung nicht anmerken zu lassen. Der neugierige Bastard lässt mich überwachen!

»Sie haben seine Unterkunft verwanzt«, sagte sie kalt.

»Möchten Sie eine Wiederholung sehen?«, fragte Humphries grinsend.

Sie vermochte nur mit Mühe die Contenance zu wahren. »Er ist ein interessanter Mann«, brachte sie schließlich hervor. »Er zitiert persische Poesie.«

»Beim Vögeln.«

Verwoerd, die noch immer stand, schaute für eine Weile auf ihn hinab. Dann pflichtete sie ihm mit einem knappen Kopfnicken bei und sagte sich, mein Apartment hat er wahrscheinlich auch verwanzen lassen! Ob er über Bandung Associates Bescheid weiß?

Humphries schien jedoch mehr amüsiert als verärgert. »Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«

»Was für einen Vorschlag?«, fragte sie reserviert.

»Ich möchte, dass Sie mein Kind austragen.«

Diane spürte, dass sie große Augen machte. »Was?«

Lachend lehnte Humphries sich auf dem gepolsterten Stuhl zurück und sagte: »Wenn Sie schon nicht mit mir ins Bett gehen wollen, dann können Sie wenigstens mein Kind für mich austragen.«

Sie zog den nächsten Stuhl unterm Tisch hervor und ließ sich langsam darauf sinken.

»Was sagen Sie da?«, fragte sie.

»Ich will ein Kind«, sagte Humphries fast beiläufig. »Einen Sohn. Meine medizinischen Experten suchen die besten Eizellen aus, die ich dann befruchten werde. Wir werden mich klonen. Mein Sohn wird mir so ähnlich sein, wie es in der Möglichkeit der modernen Biowissenschaften steht.«

»Das Klonen von Menschen ist aber verboten«, murmelte Verwoerd.

»In den meisten Nationen auf der Erde«, konzedierte Humphries ihr. »Doch selbst auf der Erde gibt es Orte, wo jemand mit den entsprechenden Mitteln sich klonen lassen kann. Und hier in Selene allemal — wieso eigentlich nicht?«

Ein kleiner Martin Humphries, sagte Verwoerd sich. Aber sie sagte es nicht laut.

»Der Vorgang des Klonens hat noch immer etwas von einem Glücksspiel«, sagte er so beiläufig wie jemand, der den Aktienmarkt erörterte, »aber meine Leute müssten in der Lage sein, ein paar lebensfähige befruchtete Eizellen zu produzieren und ein paar Frauen zu beschaffen, die sie austragen.«

»Wozu brauchen Sie mich dann noch?«

Er wedelte mit der Hand. »Sie sind ein sehr gutes physisches Exemplar; Sie müssten ein guter Wirt für meinen Klon sein. Zumal es auch eine poetische Seite hat, finden Sie nicht? Sie wollen keinen Sex mit mir, aber Sie werden meinen Sohn austragen. Ihr junges Spielzeug ist nicht der Einzige mit einer poetischen Seele.«

»Ich verstehe«, sagte Verwoerd; sie war perplex wegen seiner unbekümmerten Arroganz.

»Was ich brauche, sind ein paar Gebärmütter, in denen die Zygoten ausreifen. Ich habe beschlossen, dass Sie die perfekte Frau für den Job sind. Jung, gesund et cetera pe pe.«

»Ich.«

»Ich habe Ihre medizinischen Unterlagen und die Ihrer Familie studiert«, sagte Humphries. »Man könnte sagen, dass ich Sie auswendig kenne.«

Sie war nicht amüsiert.

»Sie tragen meinen Sohn aus«, sagte er. Sein Lächern verschwand, und sein Ton wurde fordernder. »Sie werden einen sehr beachtlichen Bonus bekommen. Ich werde sogar noch ein paar meiner Asteroiden an Ihre Bandung Associates übertragen.«

Sie glaubte ohnmächtig zu werden.

»Glauben Sie etwa, Sie könnten mir drei sehr profitable Asteroiden entwenden, ohne dass ich es bemerken würde?«, fragte Humphries mit einem zufriedenen Grinsen.

Verwoerd wusste, dass es hoffnungslos war. Sie war nur froh, dass sie Dorik auf ihrer Seite hatte.

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