Kapitel 39

Es vergingen zwei Tage.

Amanda versuchte in dieser Zeit herauszufinden, was ihr Mann vorhatte, doch ohne Erfolg. Fest stand nur, dass Lars irgendetwas plante; er heckte einen Plan aus, um es Humphries heimzuzahlen, aber erwähnte ihn ihr gegenüber mit keinem Wort.

Lars ist ein anderer Mensch geworden, sagte sie sich. Ich erkenne ihn kaum noch wieder. Er ist wie ein wildes Tier, das in einen Käfig eingesperrt ist, rastlos in ihm umherstreift und nur auf eine Möglichkeit zum Ausbruch wartet. Er ist felsenfest entschlossen, sich an den Leuten zu rächen, die sein Lagerhaus geplündert und Inga getötet haben, aber mir sagt er keinen Ton davon.

Im Bett entspannte er sich zwar etwas, aber er hielt sich trotzdem bedeckt. »Das einzige Gesetz da draußen ist das Gesetz, das wir selbst durchsetzen«, sagte er, als er in der Dunkelheit neben ihr lag. »Wenn wir uns nicht zur Wehr setzen, wird er uns alle zu seinen Sklaven machen.«

»Lars, er hat ausgebildete Söldner angeheuert. Profikiller«, sagte Amanda flehentlich.

»Abschaum«, antwortete ihr Mann. »Ich weiß, wie ich mit Abschaum umgehen muss.«

»Sie werden dich töten!«

Er drehte sich zu ihr um, und sie spürte die Wärme, die von seinem Körper ausstrahlte. »Amanda, mein Liebling, sie wollen mich sowieso töten. Das ist es, was er im Endeffekt will. Humphries will mich tot sehen, und er wird erst dann zufrieden sein, wenn ich getötet wurde und du ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert bist.«

»Aber wenn du doch nur …«

»Dann sollte ich wenigstens zuschlagen, wenn und wo er es nicht erwartet«, sagte Fuchs und griff nach ihr. »Sonst würden wir hier nur darauf warten, wie Schafe zur Schlachtbank geführt zu werden.«

»Aber was willst du überhaupt tun? Was hast du …?«

Er legte ihr den Finger auf die Lippen und brachte sie so zum Schweigen. »Es besser, wenn du von nichts weißt, mein Liebling. Ich darf dich da nicht mit hineinziehen.«

Dann liebte er sie wild und leidenschaftlich. Sie genoss seine Leidenschaft, aber sie spürte, dass nicht einmal der wildeste Sex ihn von seinem Ziel abzubringen vermochte. Er würde HSS angreifen, Humphries angreifen und Rache für die Morde üben, die sie begangen hatten. Und er würde sich dabei selbst umbringen, dessen war sie sicher.

Seine scheuklappenartige Fixierung auf dieses eine Ziel ängstigte Amanda bis in die Tiefen ihres Seins. Nichts wird ihn auch nur einen Zentimeter davon abbringen, wurde sie sich bewusst. Er stürzt sich in den Tod.


* * *

Am Morgen des dritten Tages sah sie, dass eine Nachricht vom IAA-Hauptquartier auf der Erde eingegangen war. Ein Schiff mit einer Abteilung Blauhelmsoldaten war nach Ceres geschickt worden. Ihr Auftrag bestand darin, Lars Fuchs festzunehmen und ihn zur Erde zu bringen, wo er wegen Piraterie angeklagt werden sollte.

Fuchs lächelte grimmig, als sie ihm die Nachricht zeigte.

»Piraterie.« Er spie das Wort förmlich aus. »Er zerstört Schiffe und plündert und mordet, und sie sagen, ich hätte keinen Beweis dafür. Und dann beschuldigen sie mich der Piraterie.«

»Geh mit ihnen«, riet Amanda ihm. »Ich werde mit dir kommen. Du kannst ihnen doch sagen, du wärst im Zustand äußerster Erregung gewesen. Das werden sie sicher verstehen …«

»Wenn Humphries die Strippen zieht?«, sagte er schroff. »Sie werden mich hängen.«

Amanda musste einsehen, dass es hoffnungslos war.


* * *

Fuchs saß im leeren Helvetia-Lagerhaus und ging mit Nodon seinen Plan durch.

»Es hängt nun alles von den Leuten ab, die du rekrutiert hast«, sagte er.

Nodon pflichtete ihm mit einem Kopfnicken bei.

Die beiden Männer saßen am Schreibtisch direkt neben dem Eingang des Lagerhauses in einem Lichtkegel der einzigen Deckenlampe, die in der ansonsten dunklen Höhle noch leuchtete. Die Regale waren leer, und es war sonst niemand hier. Vom Eingang führte der Tunnel leicht abschüssig zu den Wohnquartieren und der Lebenserhaltungsausrüstung; in der entgegengesetzten Richtung ging es zum HSS-Lagerhaus und dem Empfangsbereich, wo ankommende Personen und Fracht sowie abgehende Flüge abgefertigt wurden.

»Und du bist wirklich sicher, dass die Männer zuverlässig sind?«, fragte Fuchs nun schon zum zehnten Mal an diesem Abend.

»Ja«, erwiderte Nodon geduldig. »Es sind Männer und Frauen; die meisten von ihnen stammen aus Familien, die ich seit vielen Jahren kenne. Sie sind ehrwürdige Leute und werden tun, was du ihnen sagst.«

»Ehrwürdig«, murmelte Fuchs. Ehre bedeutete, dass eine Person dein Geld nahm und andere Menschen verletzte, ja sogar ermordete, um sich diese Löhnung zu verdienen. Ich habe Auftragskiller angeheuert, sagte er sich. Genauso wie Humphries es getan hat. Den Teufel kann man leider nur mit dem Beelzebub austreiben.

»Sie wissen, was sie zu tun haben?«

Nodon lächelte, was er nur selten tat. »Ich habe es ihnen oft genug erklärt. Sie mögen die europäischen Sprachen zwar nicht sehr gut beherrschen, aber sie haben durchaus verstanden, was ich ihnen gesagt habe.«

Fuchs nickte. Er war fast zufrieden. Über Nodon hatte er sechs Asiaten angeheuert, vier Männer und zwei Frauen. Pancho war damit einverstanden gewesen, dass sie in einem Asfro-Frachter nach Ceres flogen, und nun warteten sie im halbfertigen Habitat, das den Asteroiden umkreiste. Soweit es Pancho oder sonst jemanden betraf, waren sie angestellt worden, um den Bau des Habitats wieder aufzunehmen. Nur Fuchs und Nodon — und die sechs selbst — wussten Bescheid.

»In Ordnung«, sagte Fuchs und kämpfte gegen die Zweifel und Befürchtungen an, die gegen ihn anbrandeten. »Also um Mitternacht.«

»Mitternacht«, bestätigte Nodon.

»Wir müssen die Sache erledigen«, fügte Fuchs mit einem grimmigen Lächeln hinzu, »bevor die Friedenstruppen eintreffen.«

»Wir werden es schaffen«, sagte Nodon zuversichtlich.

Ja, sagte Fuchs sich, diese Angelegenheit wird in ein paar Stunden erledigt sein — auf die eine oder andere Art.


* * *

Das Restaurant war das, was einem Pub auf Ceres am nächsten kam: Verkaufsautomaten boten Snacks und sogar vollwertige, mikrowellengeeignete Mahlzeiten an.

Fuchs führte Amanda an diesem Abend zum Essen aus, was eher untypisch für ihn war. Im Pub herrschte normalerweise ein ziemlicher Lärm, doch an diesem Abend waren die Leute recht still; alle verharrten in gespannter Erwartung.

Das machte Fuchs Sorgen. War die Kunde von seinem geplanten Angriff etwa durchgesickert? Vielleicht warteten Humphries’ Leute schon auf ihn, und dann würde er seine Leute vielleicht in eine Falle führen. Ihm gingen all diese Möglichkeiten durch den Kopf, während er lustlos im Essen stocherte.

Amanda beobachte ihn mit sorgenvoller Miene. »Du hast nicht mehr richtig gegessen, seit du von Selene zurückkommen bist«, sagte sie in einem eher besorgten als vorwurfsvollen Ton.

»Ja, da hast du wohl Recht.« Er versuchte ein beiläufiges Achselzucken. »Dafür schlafe ich aber gut. Dank dir.«

Selbst im schummrigen Licht sah er, dass sie rote Wangen bekam. »Versuch nur nicht, das Thema zu wechseln, Lars.« Aber sie lächelte dabei.

»Überhaupt nicht. Ich wollte nur …«

»Hättet ihr etwas dagegen, wenn ich mich zu euch setze?«

Sie schauten auf und sahen Kris Cardenas mit einem Tablett in beiden Händen.

»Nein, natürlich nicht«, sagte Amanda. »Setz dich zu uns.«

Cardenas stellte das Tablett auf den Tisch. »Es ist ganz schön voll hier heute Abend«, sagte sie und nahm auf dem freien Stuhl zwischen ihnen Platz.

»Aber merkwürdig still«, sagte Amanda. »Als ob die Leute hier auf einem Begräbnis wären.«

»Die Friedenstruppen sollen morgen ankommen«, sagte Cardenas und stach mit der Gabel in den Salat. »Das ist für niemanden ein Grund zur Freude.«

»Ach so«, sagte Fuchs mit einem Gefühl der Erleichterung. »Deshalb sind alle so schlecht drauf.«

»Die Leute befürchten, dass das vielleicht die Ouvertüre für eine Übernahme ist«, sagte Cardenas.

»Übernahme?« Diese Vorstellung schien Amanda zu erschrecken. »Wer sollte wohl die Kontrolle über Ceres übernehmen? Etwa die IAA?«

»Oder die Weltregierung.«

»Die Weltregierung? Die hat doch gar keine Befugnisse jenseits des geosynchronen Erdorbits.«

Cardenas zuckte die Achseln. »Es sind jedenfalls ihre Friedenstruppen, die morgen hier eintreffen.«

»Sie haben es auf mich abgesehen«, sagte Fuchs missmutig.

»Was hast du nun vor?«, fragte Cardenas.

»Ich werde jedenfalls nicht gegen die Friedenstruppen kämpfen«, sagte Fuchs und schaute Amanda in die Augen.

Cardenas kaute für eine Weile nachdenklich, schluckte und sagte dann: »In Selene haben wir es getan.«

»Was willst du damit andeuten, Kris?«, fragte Amanda schockiert.

»Nichts. Überhaupt nichts. Ich wollte damit nur sagen, dass sechs Blauhelmsoldaten in ihren schmucken Uniformen nicht Manns genug sind, um dich zu zwingen, sie zur Erde zu begleiten, Lars. Nicht, wenn du nicht gehen willst.«

»Du meinst, wir sollten gegen sie kämpfen?«, sagte Amanda mit vor Furcht zitternder Stimme.

Cardenas beugte sich zu ihr hinüber und erwiderte: »Ich meine, dass ich die Namen von hundert, gar hundertfünfzig Felsenratten nennen könnte, die dich hier gegen die Friedenstruppen beschützen würden, Lars. Du musst nicht mit ihnen gehen, wenn du das nicht willst.«

»Aber sie sind bewaffnet! Sie sind ausgebildete Soldaten!«

»Sechs Soldaten gegen die halbe Bevölkerung von Ceres? Sogar mehr als die Hälfte? Glaubst du wirklich, dass sie auf uns schießen würden?«

Amanda schaute auf Fuchs und dann wieder auf Cardenas. »Würden sie nicht einfach weitere Truppen schicken, wenn diese sechs erfolglos zurückkehren?«

»Wenn sie das versuchten, würde ich darauf wetten, dass Selene uns zu Hilfe käme.«

»Wieso sollte Selene …?«

»Weil«, erklärte Cardenas, »falls die Weltregierung Ceres übernimmt, Selene annehmen müsste, dass sie die Nächsten wären. Bedenkt, dass die Weltregierung es schon einmal versucht hat.«

»Und gescheitert ist«, sagte Fuchs.

»Es gibt aber immer noch ein paar Spinner auf der Erde, die glauben, dass ihre Regierung auch Selene kontrollieren sollte. Überhaupt alle Menschen im ganzen Sonnensystem.«

Fuchs schloss die Augen; seine Gedanken jagten sich. Er hatte nicht einmal ansatzweise mit dem Gedanken gespielt, dass Selene in seine Auseinandersetzung verwickelt werden würde. Das könnte zu einem Krieg führen, erkannte er. Zu einem ausgewachsenen Krieg mit Blutvergießen und Zerstörung.

»Nein«, sagte er laut.

Beide Frauen wandten sich zu ihm um.

»Ich will nicht der Anlass für einen Krieg sein«, sagte Fuchs.

»Dann wirst du dich morgen also den Friedenstruppen stellen?«, fragte Cardenas.

»Ich will nicht der Auslöser für einen Krieg sein«, wiederholte er.


* * *

Nach dem Essen gingen Fuchs und Amanda wieder in ihre Unterkunft. Sie stützte sich schwer auf seinen Arm und gähnte herzhaft.

»Mein Gott, ich weiß gar nicht, wieso ich mich auf einmal so schlapp fühle«, nuschelte sie.

Fuchs wusste es aber. Als Cardenas sich zu ihnen setzte, hatte er schon befürchtet, dass es ihm nicht mehr gelänge, seiner Frau das Barbiturat in den Wein zu schütten. Aber er hatte es geschafft; Kris hatte nichts gesehen, und nun schlief Amanda praktisch in seinen Armen ein.

Sie war viel zu müde, um auch nur noch an Sex zu denken. Er half ihr beim Ausziehen, und als sie den Kopf aufs Kissen bettete, war sie schon eingeschlafen.

Für eine Weile schaute Fuchs auf seine schöne Frau, und ihm traten Tränen in die Augen.

»Auf Wiedersehen, mein Liebling«, flüsterte er. »Ich weiß nicht, ob ich dich jemals wiedersehen werde. Ich liebe dich viel zu sehr, als dass ich es zulassen würde, dass du dein Leben für mich riskierst. Schlaf, meine Liebste.«

Dann drehte er sich abrupt um und verließ ihr Apartment. Er schloss sorgfältig die Tür ab, trat hinaus in den Tunnel und ging zum Lagerhaus, wo seine Leute warteten.

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