Heinz Konsalik Bittersüßes 7. Jahr

ERSTES KAPITEL

Es begann eigentlich damit, daß Peter Sacher in seinem Beruf Er_folg hatte.

Erfolg ist etwas sehr Schönes. Er füllt die Kassen, deckt den Tisch, erfüllt die Sehnsucht nach englischen Maßanzügen und Saphirnerzcapes, läßt karätige Brillanten funkeln und Villen am Rhein bauen, lockt nie gekannte Freunde an, vermehrt die Verwandtschaft geradezu mathematisch potentiell und richtet einen Wall stiller Neider auf.

Das alles hatte Peter Sacher erreicht. Es war ein äußerer Glanz, von dem seine besonders guten Freunde sagten:»Es ist unverständlich, wie man als Architekt soviel verdienen kann! Seine Bauten sind nicht weltbewegend, seine Ideen nicht besonders originell, seine Auftraggeber keine Krösusse, und trotzdem lebt er wie ein Pascha!«

Alles schien also geregelt zu sein. Geld, Erfolg, liebwerte Freunde, nur Sabine Sacher, Peters Frau, wurde merkwürdig schweigsam, wenn die Rede auf Peter Sachers Erfolgsserie kam.

«Tja«, pflegte sie dann zu sagen,»er hat viel zu tun. Sehr viel. «Es klang fast traurig. Wehmut schwang in der Stimme mit, und mancher, der es vernahm, machte sich seine Gedanken.

Überraschende abendliche Besucher fanden Sabine allein in der flachdachigen Villa am Rhein vor. Sie saß am offenen Kamin, starrte in die prasselnden Flammen, trank einen Portwein und machte den Eindruck einer verwünschten Prinzessin, die auf den sie erlösenden Prinzen wartete.

«Peter, ach, der hat eine Besprechung in Duisburg«, sagte sie zu dem Besuch entschuldigend. Oder:»Peter ist nach Brüssel geflogen. Er soll einen Wohnblock bauen!«Oder:»Peter kommt in einer Woche erst wieder. Wißt ihr, in Kopenhagen will man ein Feriendorf bauen.«

Immer war Peter weg, mit dem Flugzeug, mit der Bahn, mit seinem schnellen Sportwagen, einmal sogar mit einem Hubschrauber, von dem aus er sich ein großes Terrain zur Bebauung von Bungalows ansehen wollte.

War er aber zu Hause — und Sabine sah diese Stunden wie Feiertage an —, dann lag er auf der Couch, las im >Fachblatt für Architekten oder im >Haus- und Grundbesitzer-Boten<, ärgerte sich über einen vom Bauamt umgezeichneten Bauplan oder sprach von den schönen Frauen, die er auf der Promenade von Scheveningen gesehen hatte.

Auch an diesem schicksalhaften Tage lag er auf der Couch, las die Zeitung und amüsierte sich über die neueste Affäre einer Filmdiva. Sabine, die im Hintergrund des Zimmers mit einigen Gläsern klapperte, hörte er gar nicht. Erst als sie sich kräftig räusperte, schrak er zusammen und merkte, daß er ja noch eine Frau hatte, die im tiefsten Inneren glücklich war, daß er heute nicht in München oder Ascona, sondern zu Hause auf der Couch lag.

Männer, die auf Couchen liegen, haben immer etwas Hilfloses an sich.

Peter Sacher stand deshalb auf. Was ihm gerade in den Kopf schoß, war durchaus nicht hilflos, sondern rechtfertigte eine aufrechte Haltung. Er trat an seinen Schreibtisch, stützte sich auf das Telefon, spielte mit dem Brieföffner und legte die Stirn in Falten.

«Findest du auch, daß die Abende so lang sind?«fragte er ein wenig unbeholfen.

«Ich?«Sabine sah zu ihm hinüber. Das Strickzeug, das sie gerade aufgenommen hatte, fiel in ihren Schoß. Dabei bemerkte sie, daß seine Hose wieder aufgebügelt werden mußte. Peter selbst sah so etwas nicht.»Na ja. Wir haben uns in der letzten Zeit reichlich wenig zu sagen.«

«Wenig zu sagen. «Peter schüttelte den Kopf.»Diese Formulierung ist zu allgemein. Unsere Interessen gehen auseinander, das ist es. Mit meinem Beruf will ich dich nicht belasten, vom Haushalt verstehe ich nichts, an Briefmarken hast du kein Interesse, dir beim Wickeln die Strickwolle zu halten, finde ich reichlich dumm, bei klassischer Musik gähnst du, ins Kino gehen«, er hob die Hand und machte ein saures Gesicht,»und das Theater? Operette ist mir zu flach, und du schläfst bei Faust ein. «Er hob beide Arme.»Ich weiß wirklich nicht, was wir beide besprechen sollten.«

«Leider. «Sabine legte ihre Strickarbeit zur Seite.»Was machen eigentlich die Männer, die zwanzig Jahre verheiratet sind?«

«Entweder haben sie ihren Stammtisch, oder sie sind Trottel!«

«Wie schön. «Sabine wandte sich ab. Bitterkeit stieg in ihr hoch. Schärfer, als sie es wollte, sagte sie:»Dann hast du ja noch dreizehn Jahre Zeit.«

«Sabine! Bitte!«Peter legte den Brieföffner hin.»Ich weiß, daß dich meine Gegenwart langweilt, aber wir wollen wenigstens den Schein einer guten Gemeinsamkeit aufrechterhalten! Ein Korsett der strammen Haltung.«

Er trat an das große Fenster hinter dem Schreibtisch, zog den Vorhang etwas zurück und blickte hinaus auf den Vorgarten und die abendliche stille Uferstraße.

Das Haus der Sachers lag etwas außerhalb der Stadt nach Kaiserswerth hin, unmittelbar an der Rheinpromenade, die von Düsseldorf den Strom hinabführt, bis sie sich in flachen Wiesen verläuft. Vom Vorgarten des weißen, flachen Hauses mit den großen Fensterflächen waren es nur wenige Schritte zum Ufer, und es roch herb nach Tang und Wasser.

Langsam, tief liegend, zogen am Tag die Schleppkähne über den Rhein, und abends, wenn Peter und Sabine auf ihrer Terrasse saßen unter dem bunten Schirm, dessen schwerer Betonfuß auf breiten, weißen Steinplatten stand, dröhnten die Sirenen der Dampfer durch das Sommerdunkel und klang das Plätschern der Brecher an das steingefaßte Ufer bis hinein ins Schlafzimmer.

Das Haus selbst lag in einem großen Garten, der sich parkähnlich bis zu einer Chaussee erstreckte und einen kleinen Pavillon verbarg. Er wurde an warmen Sommerabenden bei Gesellschaften benutzt und hatte daher den Namen >Kaffeeklatsch-Tempel< erhalten. Aber auch wenn Peter absolute Stille suchte, weil er an einem schwierigen Entwurf arbeitete, zog er sich hierhin zurück.

Sonst war der große Garten das Reich Sabines. Hier konnte sie den Blumen die Liebe geben, die Peter vor lauter Arbeit und Terminen nicht empfangen konnte oder wollte, wie es Sabine bald schien, wenn sie seine Gleichgültigkeit ihren zärtlichen Ansätzen gegenüber sah.

Nachdenklich blickte Peter aus dem Fenster auf den Strom; die Nacht war hell, und die Wellen blinkten.

«Ich habe mir gedacht, daß wir nächste Woche Ferien machen«, sagte Peter zögernd und nestelte an der Gardine. Aus den Fransen drehte er kleine Würstchen.»Wo sollen wir die Wochen verleben? See? Gebirge? Großstadt? Landluft? Einsamkeit? Gesellschaft? Mir ist alles gleich. Du kannst es dir aussuchen. Ich will nur Tapetenwechsel.«

«Mir wäre am liebsten die See.«

Natürlich, ihm ist es gleich, grübelte Sabine. Nur Tapetenwechsel will er haben. Nach einem Jahr Herumirren in der Welt! Ob See, Gebirge oder ewiges Eis. Er sieht mich sowieso nicht, wie er mich das ganze Jahr über nicht vermißt hat. Er wird mit mir durch die Dünen wandern, er klettert mit mir auf die Berge, sitzt in den Hotels oder fährt mit einem Boot über die Lagunen, und das alles mit der gleichen Miene, als gehe es ihn nichts an, als sei er weit von allen Dingen entfernt, als sei er auch jetzt nicht dort, wo er ist. Und nach diesen sechs Wochen >Erholung< fährt man dann wieder nach Hause, läßt die Fotos entwickeln (die man routinemäßig macht, weil sie eben zum anständigen Urlaub gehören), klebt sie in ein Album und zeigt sie später den neugierig anschwirrenden Bekannten und Verwandten.»O ja, es war schön. Es war herrlich. Unvergeßliche Tage.«

Dann legt man sie wieder weg, irgendwo in eine Ecke, und mit ihnen legt man die Verbindlichkeit der Erinnerung ab, gähnt und fühlt sich viel müder als vor der Ferienreise. Und vor allem viel langweiliger, weil man ja nichts anderes erlebt hat als sechs Wochen sich selbst.

Wir leben uns auseinander, dachte Sabine erschrocken und wandte sich wieder Peter zu. Sie sah seinen Rücken und die langen graumelierten Haare. Er war einmal ein netter Mann. Vor sieben Jahren. Er konnte tanzen, bis die Füße brannten, er konnte plaudern, daß allein der Klang seiner Stimme genügte, um glücklich zu werden.

Heute? Sabine lehnte sich an das große, offene Bücherregal und schüttelte den Kopf. Sie begriff es einfach nicht. Was von Peter geblieben war, war ein vorzüglicher Maßanzug, ein selbstsicheres Benehmen, ein vorbildliches Zurschaustellen ihrer glücklichen Ehe in der Gesellschaft, und ab und zu ein Kuß vor dem Schlafengehen, der soviel bedeutete wie:»Das hast du heute gut gemacht! Ich danke dir.«

Einem Pferd streichelt man die Nüstern und klopft ihm auf die Kruppe. Ehefrauen sollen sich mit einem Küßchen begnügen als Dank für das Abendessen, für die Ruhe, für den Kaffee, für irgend etwas, was >ihm< zusagte.

Und dann ging man in die Schlafzimmer, zog sich aus, betrachtete sich im großen Spiegel und sagte sich immer wieder, daß man doch noch nicht so alt sei, um ausschließlich nur den Erinnerungen zu leben, kroch dann ins Bett, wehmütig, Jugend und Schönheit zu verschlafen und immer wieder nach einer Antwort suchend, warum das alles so sei.

Manchmal weinte man auch ein bißchen, umfing die Kissen und drückte das nasse Gesicht hinein.»Warum bist du so geworden, Peter. Ich liebe dich doch. Sind denn sieben Jahre Ehe wie sieben Jahre Zuchthaus für dich? Oder mache ich etwas falsch? Dann mußt du mir das doch sagen, Peter. Soll ich zu dir kommen und dich einfach in die Arme nehmen? Sag es doch, gib mir doch einmal Antwort.«

Das alles aber hörte Peter nicht. Aus einer unerklärlichen Scheu heraus verbarg man voreinander alle Gedanken und Gefühle. Wenn der Morgen kam, traf man sich wieder zum Kaffeetrinken, war höflich, aber steif, lebte nebeneinander wie bisher und tat seine Pflicht.

Seit Peter das >Wirtschaftswunder< in die Ehe trug, kamen mit Geld und Erfolg auch Mißtrauen in Sabines Herz.

Einmal, sie erinnerte sich genau daran, war Peter nach München gefahren. Er wohnte in einem großen Hotel, wo auch die Besprechungen stattfanden.»Ich rufe gleich an, wenn ich in München bin«, hatte er versprochen. Und Sabine hatte gewartet, den ganzen Vormittag, den Nachmittag, bis zum Abend. Gegen 11 Uhr nachts rief sie an. Peter war auf seinem Zimmer, und als er sich meldete, hörte sie leise, im Hintergrund, eine helle Frauenstimme.

«Peter!«hatte Sabine gerufen.»Warum hast du nicht angerufen?!«

«Die Arbeit, die Konferenzen, mir brummte der Kopf.«

«Und wo bist du jetzt?«

«Auf meinem Zimmer. Endlich. Ich habe mich gerade ins Bett gelegt. «Und im Hintergrund, Sabine hörte es ganz deutlich, sprach leise eine Frauenstimme! Da hatte sie den Hörer umklammert, die Muschel ans Ohr gepreßt und den Atem angehalten. Ein wahnsinniger Schmerz durchzog ihr Herz.

«Wer, wer ist bei dir im Zimmer?«hatte sie mühsam gefragt.

Peters Stimme klang verwundert.

«Im Zimmer?«Er hatte gelacht.»Ich bin allein.«

«Und die Frau, die bei dir flüstert?«hatte sie in den Apparat ge-schrien.

«Das? Das ist das Radio. Gute Nacht!«

Und er hatte aufgelegt. Die ganze Nacht hatte Sabine daraufhin wach gelegen. Das Radio. Natürlich. Es konnte so sein. Sie nahm die Rundfunkzeitschrift und studierte alle Programme. In vier Sendern war an diesem Abend eine Hörspielsendung. Aber hört ein Mann, der so müde von Konferenzen ist, im Bett noch ein Hörspiel an?

Bis zum Morgen hatte Sabine geweint. Sie glaubte Peter nicht. Aber sie sprach, als er zurückkam aus München, auch nicht mehr mit ihm darüber. Sie mißtraute ihm nur von diesem Tage an. Es war ein Riß entstanden. Vielleicht war alles nur eine Einbildung, die Ausgeburt einer schon krankhaften Eifersucht. Es änderte nichts daran, daß Sabine begann, ihre Ehe als unerfüllt zu betrachten.

Und so ging es weiter, Jahr um Jahr. Wenn Peter arbeitete, war er ungenießbar. Er kam nicht zum Essen und brüllte durch die abgeschlossene Tür seines Ateliers, wenn Sabine klopfte und sagte:»Komm essen, Liebling!«mit beleidigender Schärfe:»Ruhe! Ich arbeite!«

Um drei Uhr kam er dann aus seinem Zimmer, müde, abgespannt, hohläugig und wollte sein Essen haben.

«Viermal wärmen kann ich die Kartoffeln nicht!«sagte Sabine dann giftig. Und Peter nahm seinen Hut und fuhr in die Stadt. Dort aß er in einer Wirtschaft, kam spät abends erst nach Hause und sagte das, was Sabine seit drei Jahren fast täglich hörte:»Du bist keine Künstlerfrau! Du hättest einen Beamten heiraten sollen! Bei dem ist alles geregelt, der lebt nach der Uhr!«

Dann ging er ins Bett und kümmerte sich nicht mehr um Sabine.

Manchmal glaubte sie, es nicht mehr ertragen zu können. Sie liebte Peter, mehr vielleicht als damals, als sie heirateten. Mit Mißtrauen und wilder Eifersucht las sie, wie er seine neuen Villenentwürfe nannte.

Villa Leonore. Haus Maria. Casa Julia. Villa Marianne. Landhaus Gisela.

Nur Frauennamen. Nur Namen, hinter denen ein Erlebnis stehen konnte. Häuser, die er aus Erinnerungen baute.

Es war etwas, was Sabine fast toll machte. Vielleicht grundlos. Sie gestand es sich heimlich ein. Aber es ärgerte sie, daß er seine Werke nach Frauen nannte. Nach allen Frauen, die Sabine nicht kannte. Nur ein >Haus Sabine< hatte er bisher noch nicht gebaut! Das kränkte sie am meisten.

So wurde es um Sabine immer einsamer. Der Erfolg Peters ging parallel mit der seelischen Vereinsamung Sabines. Er wurde zu einer Art Herrschernatur, sie zu einer stillen, nur manchmal aufmuckenden Dulderin. Er liebte den Erfolg und vergaß seine Liebe zu Sabine. Sie bekam einen Luxus geschenkt und fühlte sich inmitten des Wohlseins wie eine Waise.

Es war klar: So konnte es nicht weitergehen.

Sabine warf den Kopf in den Nacken und trat einen Schritt zum Fenster hin.

«Peter«, fragte sie leise.»Was hast du?«

«Ich? Oh, nichts!«

Er drehte sich herum und sah sie ganz groß an. Sie spricht mich an, wunderte er sich. Sie fragt mich etwas Persönliches. Ist sie unpäßlich? Oder hat sie in diesem Augenblick wirklich einmal Interesse für mich und meine Sorgen? Ein wehmütiges Lächeln glitt um seinen Mund. Es wird nicht lange anhalten, dachte er weiter. Gleich pfeift der Wasserkessel, oder die Milch kocht über, und dann ist alles wieder wie vorher. Ich habe sie damals aus Liebe geheiratet. Wirklich, sie war und ist auch noch hübsch. Sie ist eine herrliche Frau. Sie könnte unvergleichlich sein, aber diese sieben Jahre Ehe. Wo waren sie geblieben? Sie waren vorbeigegangen, und man kannte sich immer noch nicht. Man war sich irgendwie fremd geblieben.

Zugegeben, seine Arbeit fraß ihn auf. Aber wer nicht schneller war als der Konkurrent, wer nicht mehr bieten konnte als der Nebenmann, der schon darauf wartete, daß der Vordermann versagte, wer in dieser gehetzten Zeit nicht immer auf der Jagd war, nicht als Wild, sondern als Jäger, der ging unter wie ein ins Wasser geworfener Stein. Am Vormittag stritt man mit den Baubehörden um die oft unverständlichen Sonderwünsche, am Nachmittag stand man auf den Bauten und suchte Fehler, am Abend kamen die neuen Bauherren und mußten von unerfüllbaren Bauträumen erweckt werden, und in der Nacht stand man oft am Zeichenbrett und entwarf und verwarf.

Was lag da noch dazwischen in diesen sieben Jahren erfolgreicher Hetze nach Wohlstand und Ansehen?

Ein oder zwei Stunden für Sabine.

Dreimal Essen, eine kurze, abendliche, müde Plauderstunde, in der er sich die täglichen Sorgen Sabines mit halbem Ohr und keinem Verständnis anhörte, eine Zigarre, ein paar Worte zu Sabine, ab und zu einige gereizte Antworten, weil die Nerven überspannt waren und durchgingen wie zügellose Pferde.

Manchmal weinte Sabine dann leise vor sich hin, in der dunklen Kaminecke. Wie ein nasses Kaninchen hockte sie da. Das machte ihn doppelt wütend, weil er nicht helfen konnte, weil er am liebsten mitheulen wollte. Meistens stand er dann knurrend auf, verließ das Zimmer, warf die Tür krachend ins Schloß und ging in sein Atelier. Dort rauchte er eine Zigarette, trank Kognak und wußte mit sich, ohne Sabine, auch nichts anzufangen.

Manchmal war es aber auch furchtbar mit Sabine, dachte Peter. Manchmal hatte er wirklich Lust, zu sagen: Es geht nicht mehr. Laß uns einen Weg finden, daß jeder von uns auf seine Art glücklich wird. Gemeinsam geht es nicht mehr!

Da war die Sache mit dem Radio. Todmüde war er in München von langen Konferenzen im Wiederaufbauministerium ins Hotel zurückgekommen und gleich ins Bett gegangen. Da rief Sabine an, und er hatte das Radio angestellt, um noch etwas Musik zu hören. Es war ein Hörspiel im Sender, und bevor er einen anderen Sender suchen konnte, läutete das Telefon. So blieb der Sender stehen. Und Sabine schrie ihn an:»Was hast du für ein Weib in deinem Zimmer?!«So oder ähnlich sagte sie. Da hatte er tief beleidigt aufgelegt und lange nicht einschlafen können.

Oder die Sache mit dem Fernsehen. Von früh bis spät arbeitete er, um sich die Villa am Rhein zu erhalten, um Sabine ein sorgloses Leben zu bieten, um eben gut zu leben. Abends sah er dann gerne zum Ausgleich das Fernsehprogramm. Besonders gern Opern oder Kriminalfilme. Sabine saß dann beleidigt im Sessel oder ging schimpfend ins Bett.»Immer dieses Fernsehen!«rief sie erregt.»Den ganzen Tag sieht man dich nicht. Und abends, wenn wir uns unterhalten könnten, hockst du vor dem Kasten! Ich könnte das Ding zerschlagen! Du bist ja fernsehkrank! Wenn ich wegginge und wäre nicht im Zimmer, du würdest es gar nicht merken! Ich bin nur noch Luft für dich! Ich bin nichts anderes als ein gut bezahltes Dienstmädchen!«

Meistens gab er dann keine Antwort. Er verstand Sabine einfach nicht. Warum gönnte sie ihm am Abend nicht sein harmloses Fernsehvergnügen? Er schuftete doch nur für sie. Er ging zu keinem Skatabend, er war nicht in einem Kegelklub, er hatte keinen Stammtisch, alles Dinge, die andere Männer haben und mit denen sich andere Frauen abfinden müssen. Sabine hat ihn ja immer um sich, jeden Abend. War sie etwa auch auf das Fernsehen eifersüchtig?

«Du bist von einer pathologischen Eifersucht!«hatte er einmal gesagt. Das hatte sie ihm übelgenommen über drei Wochen hin.

Und so ging es Tag um Tag. Vorwürfe, Eifersüchteleien, kein Verständnis für seine Arbeit, Szenen, weil er dem Hausmädchen zu-gelächelt hatte und mit ihr zehn Minuten allein im Weinkeller war, Tiraden, weil er eine Rechnung von Sabine zu bezahlen vergessen hatte, neue Vorwürfe, weil er dem Hausmädchen unter den Rock geguckt haben sollte, als sie im Garten arbeitete und sich tief bücken mußte. Es war schrecklich, mit Sabine auszukommen. Es gab nichts, in dem sie nicht einen Fehler Peters entdeckte, und sie glaubte alles zu sehen und klar zu erkennen, weil sie so sehr an ihm hing und allen auch nur einen freundlichen Blick aus Peters Augen mißgönnte.

Und plötzlich waren sieben Jahre herum. Mein Gott, sieben Jahre sind eine unendlich lange Zeit, wenn man sie vor sich hat. Sind sie herum, waren es Gedankenflüge, weiter nichts. Peter Sacher hatte sein Ziel erreicht. Er war bekannt, geachtet, wohlhabend und, was am meisten wog, beneidet. Aber zwischen Sabine und ihm war eine Kluft aufgerissen, über die hinweg sie sich ansahen und ansprachen, kalt, fremd, oft voll Trotz, und doch liebten sie sich. Das war das Verrückteste.

Peter wischte sich über die Augen und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Er sah Sabine noch immer vor sich stehen. In ihren dunklen Augen las er neben der Frage die Angst, daß er wütend werden könnte.

«Warum fragst du mich?«sagte er betont gleichgültig.»Was soll denn mit mir sein?«

«Du bist immer so niedergedrückt. «Sabine war glücklich, daß er überhaupt geantwortet hatte.»Hast du Sorgen? Warum sagst du es mir nicht?«Sabine sah ihn bittend an. Peter wich diesem Blick aus.

Er war ihm fremd. Er konnte mit dieser stummen Frage nichts anfangen.

«Sorgen? Nein! Vielleicht bin ich etwas überarbeitet. Das wird es sein. Ich habe mich in letzter Zeit übernommen. Der Staat hat nun endlich größere Baukredite genehmigt. Und was drei Jahre lang ruhte, soll nun in drei Monaten fertig sein.«

«Die Ferien werden dir guttun. «Sabine fuhr die kleine Hausbar heran, nahm zwei Gläser heraus und goß Kognak ein.»Bitte«, sagte sie,»laß uns einen Kognak zusammen trinken.«

Erstaunt nahm Peter Sacher das Glas. Sie bietet mir Kognak an. Was soll das? Woher diese plötzliche Anteilnahme? Dabei sah er den schmalen goldenen Ring an ihrer Hand. Meine Frau, dachte er. Sie ist ja wirklich meine Frau. Manchmal habe ich ganz vergessen, daß ich verheiratet bin. Sie gehörte einfach zum Haus, wie etwa die gotische Madonna in der Dielennische oder die balinesische Tanzmaske im Atelier.

Sabine ließ sich Peter gegenüber in den Sessel sinken und schlug die Beine übereinander. Ihre dünnen Strümpfe glänzten im Licht. Daß Peter so etwas wieder bemerkte, machte ihn unsicher.

«Peter«, etwas wie eine ernste Entschlossenheit schwang in ihrer Stimme. Sie beugte sich vor und strich die Locken aus der Stirn.»Peter, sieben Jahre sind wir verheiratet. Seit fünf Jahren leben wir nebeneinander wie Gäste in einer Pension, die gezwungen sind, unter einem Dach zu wohnen. Ich glaube, du würdest es gar nicht merken, wenn ich eine Woche auf Reisen ginge.«

«Aber Sabine«, versuchte er einen schwachen Einwand. Aber er war eben nur schwach, nicht überzeugend.

«Doch, doch! Es ist so, Peter. Ich weiß es. Schon daß wir so nüchtern und leidenschaftslos über alle diese unschönen Dinge zwischen uns sprechen können, ist ein Alarmzeichen. Machen wir uns doch nichts vor! Noch einmal sieben Jahre halte ich es bei dir nicht aus. Vielleicht kannst du nichts dafür, vielleicht liegt die Schuld auch bei mir, vielleicht haben wir unsere Ehe von Anfang an falsch eingerichtet, vielleicht hatten wir beide zu große Ideale, vielleicht erwarteten wir zuviel voneinander. Nun stehen wir der Alltäglichkeit gegenüber. Was einst Sehnsucht war, ist jetzt Selbstverständlichkeit. Was Höhepunkt bedeutete, ist jetzt Mühe. Peter, wir zerbrechen an uns.«

Es war schockierend, was sie sagte. Und wie sie es sagte, war noch deprimierender. Peter hatte plötzlich das Gefühl, in eiskaltes Wasser getaucht worden zu sein. Er füllte mit leise bebender Hand die Kognakgläser noch einmal, schob eines Sabine zu und umschloß seins mit den Fingern beider Hände, als müßte er den goldbraunen Trank anwärmen.

«Ich habe meine Arbeit«, sagte er langsam.»Ich weiß, ich habe dich vernachlässigt. Aber können wir deshalb so unkompliziert und sicher sagen: Wir verstehen uns nicht mehr? Vielleicht wird es in den Ferien besser?«

«Vielleicht! Wieder ein Experiment!«Sabine schüttelte wild den Kopf.»Unsere ganze Ehe war bisher ein Experiment! Beruf gegen Frau! Existenz gegen Liebe! Nein, so geht es nicht weiter!«

Sie schob Peter eine Zeitung hin. Es war ein großformatiges, ausländisches Blatt. Peter schielte mißtrauisch auf die Zeitung und trank schnell seinen Kognak.

«Hier! Lies einmal!«sagte Sabine.»In der New York Times schreibt ein amerikanischer Psychologe, daß es bei Spannungen und Entfremdungen in der Ehe nur ein Mittel gäbe: Sich für eine mehr oder weniger kurze Zeit zu trennen, aus dem Wege zu gehen, nichts voneinander zu hören, um dann wieder zusammenzukommen. Das Zusammentreffen wird dann entscheiden, ob man noch innere Bindungen zu seinem Partner hat und ob das Wiedersehen wirklich eine Freude und ein neuer Beginn ist.«

«Verrückt!«sagte Peter Sacher ehrlich.

«Vielleicht. Aber ich halte viel von diesem Gedanken. Mir leuchtet der Sinn ein. Erst durch eine Trennung erkennt man den Wert des anderen. Erst an der Bahre weiß man, wieviel man falsch gemacht hat.«

«Bis dahin wollen wir es nicht kommen lassen«, sagte Peter sar-kastisch. Er glaubte, sich in Ironie retten zu können.»So gern ich dir jeden Wunsch erfülle, aber sterben, um unsere Ehe zu flicken, ist zuviel verlangt.«

Sabine stellte ihren Kognak mit einem Ruck auf den Tisch. Das Glas klirrte. Er nimmt mich nicht ernst, dachte sie bitter. Sieben Jahre lang hat er mich nicht ernst genommen. Ich bin für ihn ein Kätzchen, mit dem er spielt, wenn es seine Launen erlauben.

«Es ist leicht zu spotten, aber anscheinend schwer, den tieferen Sinn zu begreifen«, sagte sie böse.»Mir ist jedenfalls der Gedanke gekommen, daß die Idee des amerikanischen Psychologen uns sehr willkommen ist.«

«Uns?«Maßloses Erstaunen lag in seinem Blick, mit dem er Sabine anstarrte.»Wieso willkommen?«

«Weil ich dir einen Vorschlag machen will: Wir fahren in die Ferien, ja — aber wir fahren getrennt!«

«Ach nein.«

«Bitte, lies den Artikel. Auch wenn du solchen Dingen sarkastisch und subjektiv gegenüberstehst, wirst du merken, daß etwas Wahres daran ist. «Sie trank schnell ihren Kognak, um Mut zu bekommen für das, was sie sagen wollte. Sie hustete ein wenig, weil der Alkohol im Hals brannte. Aber dann sagte sie klar:

«Wir fahren fort, Peter! Für sechs Wochen! Sechs Jahre Ehe sind herum, und für jedes verflossene Jahr eine Woche Urlaub von der Ehe. Das ist eine gerechte Bitte und Chance. Wir werden nicht sagen, wo wir hinfahren; wir werden nie erfahren, wo wir waren. Am gleichen Tage fahren wir ab, und nach sechs Wochen treffen wir uns hier wieder. Hier auf der Terrasse. Das wird die Stunde sein, die über unser ganzes weiteres Leben entscheidet.«

Peter Sacher warf einen Blick auf die New York Times. Der Artikel des Psychologen lag nach oben gefaltet. Verdrossen schob er die Zeitung zur Seite. Sein Gesicht war finster, fast ärgerlich.

«Was du vorschlägst, ist ja auch nur ein Experiment.«

«Stimmt! Aber es hat einen großen Vorzug.«

«Und welchen?«»Es ist das letzte.«

Peter Sacher flüchtete sich in charmante Plaudereien. Er blinzelte Sabine an.»Einen Mann sechs Wochen allein zu lassen, ist gefährlich.«

«Mein Lieber — unterschätze die Frauen nicht!«

Peter spürte einen kleinen Stich in der Herzgegend. Was hat sie vor, grübelte er. So kenne ich sie ja gar nicht. So entschlossen, so wild um sich schlagend. Immer war sie ein Lamm. Mein Schäfchen, das war lange Zeit sein Kosename für sie gewesen.

Ruhelos schritt er im Zimmer hin und her. Draußen leuchteten die weißen Steinplatten der Terrasse im Mondlicht.

«Sechs Wochen. «Er dehnte die Silben.»Du fährst irgendwohin und ich auch, und wir werden uns nicht fragen, was in diesen sechs Wochen geschah, was wir erlebten und was wir erkannten. So denkst du dir das doch?«

«Ja«, sagte Sabine fest.

«Typisch amerikanisch!«Peter kreuzte die Hände auf dem Rücken und nahm seine Wanderung durch das dunkle Zimmer wieder auf. An seinen Schritten sah man, wie erregt er innerlich war. Er ging mit steifen Knien, wie im verhaltenen Paradeschritt. Haltung bewahren, hieß es. Immer Haltung! Dabei nagten seine Zähne an der Unterlippe.

«Und wenn einer von uns nach sechs Wochen nicht zurückkommt?«fragte er plötzlich so laut, daß Sabine zusammenzuckte.

«Das wäre die einfachste Lösung«, antwortete sie ebenso laut.

Sabine sah ihm bei diesen Worten voll ins Gesicht. Konnte man es noch deutlicher ausdrücken, daß ein Zusammenleben in der jetzigen Form unmöglich war?

Peter sagte zunächst kein Wort. Er begriff, daß Sabines Ausflug in die Psychologie keine Spielerei, sondern bitterer Ernst war. Sie schoß nicht mit Schreckschüssen, sondern sie hatte scharf geladen. Seine Gedanken jagten sich. Sie pendelten zwischen Verblüffung und Trotz, zwischen Hilflosigkeit und dem Gefühl der Beleidigung, daß man so mit einem siebenjährigen Ehemann nicht sprechen kann.

Dann schien er etwas Handfestes in seinen Gedanken entdeckt zu haben. Er wandte sich Sabine wieder zu, und über sein Gesicht zog der Schimmer von Befriedigung, der wiederum Sabine innerlich erschreckte.

«Gut«, sagte Peter Sacher, als habe er ein Geschäft erfolgreich abgeschlossen.»Du sollst deinen Willen haben. Wir werden uns sechs Wochen trennen.«

«Sechs Wochen Ferien voneinander? Wirklich?«

«Ja.«

«Und wann sehen wir uns wieder?«

Peter nahm einen großen Terminkalender vom Schreibtisch und blätterte in ihm herum. Dann legte er seinen Zeigefinger zwischen die Seiten.

«Heute haben wir den 6. Juli. Am 28. August also hier auf der Terrasse, falls es einer von uns noch will.«

Plötzlich hatte seine Stimme einen anderen Klang. Sabines Kopf fuhr hoch. Eine unerklärliche Angst überfiel sie. Sie zog die Schultern an und lehnte sich tief in den Sessel. Wie ein ängstliches Tier starrte sie Peter an, der mit einer beleidigenden Sachlichkeit den Termin im Kalender notierte. Neben Bauterminen und geplanten Richtfesten.

Auf einmal ist er einverstanden, durchzuckte es sie. Ob sein Sträuben nur ein gutes Spiel war? Ob er vielleicht froh ist, sechs Wochen einmal allein zu sein, außerhalb seines Berufes allein? Sanktionierte Freiheit, gewissermaßen. Und ob er vielleicht schon weiß, wohin er fahren wird? Vielleicht zu einer Frau, von der ich nichts ahne. Sein Gesicht ist so süffisant, als träume er schon von anderen weißen Armen und zerwühlten Locken.

Eine heiße Welle stieg in Sabine auf.

«Du bist also einverstanden?«wiederholte sie.

«Ja. «Trocken und sachlich kam seine Antwort.

«Mit allem einverstanden?«

«Ja, mit allem!«

«So plötzlich?«»Plötzlich? Du weißt, Sabine, wenn ich dir eine Freude machen kann, tue ich es gern und möglichst sofort.«

Er war ganz umschmeichelnde Höflichkeit, glatt wie nasses Wachstuch. Sabine war es ein körperlicher Schmerz, ihn so bereitwillig und fröhlich-unternehmungsfreudig zu sehen.

«Es ist aber eine gefährliche Freude, die du mir gewährst!«Sie sprang auf und stürzte fast auf Peter zu.»Weißt du etwa schon, wohin du fährst?«

«Allerdings.«

«Wohin?!«Ihr Atem stockte. Schuft, dachte sie unmotiviert.

Peter Sacher lächelte und hob wie ein milde strafender Lehrer den Zeigefinger.»Es ist doch nach deinen Satzungen verboten, das zu sagen.«

«Auch gut!«Sie drehte sich schroff um und ging zum Tisch zurück.»Ich werde schon am 8. Juli fahren«, sagte sie schnippisch.

«Um so besser.«

Sie fuhr herum, als habe er sie geboxt.»Was sagst du?«

«Ich sagte: um so besser. Dann bleiben mir noch zwei Tage mehr, um meine Paßangelegenheiten zu regeln.«

«Paß? Du willst also ins Ausland?«

«Natürlich. Da ist es am sichersten, dich nicht zu treffen.«

Oh, dachte Sabine, das muß er mir sagen! Er hat kein Schamgefühl mehr. Er ist glücklich, mich nicht zu sehen, und er sagt es mir sogar! Wie gemein! O wie gemein! Ich hasse ihn. Bei Gott, ich könnte ihn jetzt umbringen!

«Nun bist du plötzlich von meinem Vorschlag begeistert, nicht wahr?«sagte sie mühsam mit heiserer Stimme.»Ich bewundere deine Intelligenz und dein Einfühlungsvermögen in Dinge, die dir augenscheinlich sehr gelegen kommen.«

«Ich war immer ein Mensch, der bekannt war für sein Akklima-tionstalent.«

«Man kann's auch so nennen!«

«Man muß es so nennen, meine Liebe.«

Mit zusammengepreßten Lippen ging sie schnellen Schrittes zur

Tür. Aber bevor sie das Zimmer verließ, drehte sie sich noch einmal mit einem Schwung herum.

«Gute Nacht!«rief sie giftig.»Ich wünsche dir viel Spaß im Ausland. Und vergiß nicht, daß der Paß deinen vollen Namen und deine Anschrift trägt.«

Peter lächelte sie verbindlich an.»Ich werde sechs Wochen unter großzügigen Menschen verbringen…«Die Tür krachte zu. Peter schüttelte den Kopf. Das erst für blödsinnig gehaltene Spiel begann ernsthaft und wirklich seelisch entblößend zu werden. Eifersüchtige Anwandlungen bei Sabine waren ihm neu, jetzt entdeckte er sie. Und er entdeckte noch mehr: Er spürte, daß es ihm durchaus nicht gleichgültig war, wo Sabine die sechs Wochen verbrachte. Und gar nicht gefiel ihm der Gedanke, daß sie ihm nicht erzählen würde, was sie in diesen Wochen des Alleinseins erlebt hatte. Schon das Bewußtsein, daß sie etwas erleben konnte, was sie nicht erzählen würde, nagte an seinen Nerven wie eine Maus am Speck.

Man muß da etwas erfinden, dachte Peter Sacher und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er knipste die Tischlampe an und starrte auf die aufgeschlagene Briefmappe. Was kann so alles passieren, wenn eine Frau allein verreist. Und Sabine ist eine Frau, die man nicht übersieht.

Der Widersinn seiner Gedanken zu der Tatsache seiner Ehe wurde ihm nicht bewußt. Ein Zurück von Sabines Plan gab es nicht, aber dem Schicksal allein mißtraute Peter Sacher ebenso sehr wie der stillen eigenen Versicherung, daß es vielleicht ohne dieses amerikanische Experiment gehen würde, wenn man sich Mühe gab.

«Sei es also!«sagte er zu sich. Er nahm einen Bogen aus der Schreibmappe und begann zu schreiben:

Monsieur Heinz v. Kletow

Paris

23. Rue de Sevres.

Mein lieber Heinerich!

Nach siebenjähriger Ehe, zermürbt vom Lebenskampf, ergraut in den Schlachten um das tägliche Mischbrot, gebeugt unter der Last der Schulden und der Erkenntnis, daß Ruhe der Stein der Weisen im Leben eines Lebemannes ist, empfehle ich meinen armen Körper Deiner sorgenden Obhut.

Ich werde am 10. dieses heißen Monats an der Schwelle Deiner Bruchbude stehen und wie ein Clochard sagen:»Bitte gib mir ein paar Tage Sonnenschein.«

Wir haben uns jetzt drei Jahre nicht gesehen. Was mich mit Dir verbindet, ist die Erinnerung an eine fürchterlich durchsoffene Nacht, in der ich Dich wie einen Mehlsack auf der Schulter ins Hotel schleppte. Am nächsten Morgen mußte ich die Bettwäsche ersetzen.

Bereite Dich also vor: Stelle einen Kognak zurecht! Vergiß nicht die Hummermayonnaise, die frischen Artischocken, das Billett für die Folies-Ber-gere. Wirf Deine Geliebten für sechs Wochen hinaus. Kehre Dein Zimmer von den Überresten der Orgien frei und kaufDir einen neuen Kragen. Nur eines tue nicht: Sammle nicht die unbezahlten Rechnungen und lege sie mir vor.

Wie gesagt: Am 10. Juli — frisch, fromm, fröhlich, frei am Gare du Nord.

Erwarte mit Bangen immer Dein Peterchen.

Da die Möglichkeit, den Brief um diese späte Zeit aufzugeben, nicht mehr vorhanden war, schloß er ihn in den Wandtresor und stellte das Kombinationsschloß auf das Kennwort >Paris< ein. Zufrieden zündete er sich dann eine Zigarette an, setzte sich in einen Korbsessel auf der Terrasse, streckte die Beine von sich und sah auf den träge fließenden, nächtlichen Rhein mit seinen an die Ufer verankerten Schleppkähnen, deren Positionslichter aussahen wie riesige Glühwürmchen.

Peter Sacher träumte von Paris. Der Gedanke, zu Heinz v. Kle-tow zu fahren, war ihm so plötzlich gekommen wie der leise Schock, der Sabines Vorschlag von den getrennten sechs Wochen in ihm erzeugte. Bei Heinz konnte man sich einmal sechs Wochen ausspannen, nichts tun, an nichts denken, sich auf das besinnen, was man falsch gemacht hatte, und sich vornehmen, es richtig zu tun. Man konnte in guten Vorsätzen schwelgen, die man meistens vergessen würde, wenn man wieder in die altgewohnte Umgebung zurückkehrte.

Es war gut, wieder einmal zu träumen. Wie selten träumt der Mensch unserer Tage. Er hat es verlernt in der Automation seines Lebens. Die Maschine träumt für ihn.

Als er die Zigarette zu Ende geraucht hatte, trat er den Rest auf den Steinplatten aus (Sabine würde morgen wieder über den schwarzen Fleck schimpfen!) und ging ins Haus zurück. Vor Sabines Zimmer verhielt er einen Augenblick den Schritt und hob die Hand, um die Klinke herunterzudrücken. Aber dann schüttelte er leicht den Kopf und ging weiter in seinen eigenen Schlafraum.

Hinter der Tür stand Sabine und wartete. Sie hörte Peter kommen, sie vernahm sein Anhalten vor ihrer Tür. Wenn sie sich öffnet, können wir uns sechs Wochen Qual ersparen, dachte sie glücklich. Bitte, bitte, öffne die Tür. Und dann ging Peter vorbei, und die Tür seines Schlafzimmers schlug zu.

«Er betrügt mich«, sagte Sabine leise. Sie legte sich auf ihr Bett und starrte an die weiße Decke, auf die der Schein der Nachttischlampe durch den seidenen Schirm wunderliche Figuren warf.»Ich bin ihm nichts mehr, gar nichts. Ein Möbelstück in seinem Haus.«

Dann weinte sie leise, ganz hingegeben dem Schmerz, der sie erfüllte. Später stand sie vor dem Ankleidespiegel und betrachtete ihren Körper, der durch das Perlonnachthemd schimmerte.

Ich bin doch nicht zu alt für ihn, dachte sie. Ich bin doch noch jung. Ich bin doch noch hübsch.

Was ist Freude?

Eine Schwester des Glücks, dachte sie.

Was ist Glück?

Eine Tochter der Liebe.

Was ist Liebe?

Du!

Oh, ich dummes Schaf!

Der nächste Tag war für Peter und Sabine angefüllt mit Reisevorbereitungen.

Aber man sprach nicht mehr darüber. Das Thema war erledigt, man wollte sich nicht fragen, wohin es ging, jeder sollte nach seiner Art die Seligkeit suchen. Gut denn, wo keine Brücken sind, wird keiner über den Fluß schwimmen, sondern den Umweg bis zur nächsten Brücke auf sich nehmen. Und wenn er sechs Wochen dauert. Zwar rechnete Peter Sacher damit, daß Sabine nie sechs Wochen allein sein konnte. Das lag nicht in ihrem Wesen, so sah sie gar nicht aus, daß sie eine Eremitin spielen konnte. Sie würde schnell Anschluß finden. Und das war wieder etwas, was Peter mit tiefster Sorge erfüllte.

Am Morgen nach diesem schicksalhaften Abend trank man wie immer Kaffee auf der Terrasse, Peter las die Morgenzeitung, erzählte Sabine den Inhalt der interessanten Artikel, die sie viel lieber selbst gelesen hätte, aber das tat er seit sieben Jahren mit der Begründung: Was wirklich interessant ist, überschlägst du ja doch, deshalb muß ich dir die Dinge vorlesen! Es war also alles so wie immer, höflich, unverbindlich, chevaleresk, und nichts deutete daraufhin, daß so etwas wie ein Damoklesschwert über Sabine und Peter hing.

Nach dem Kaffeetrinken fuhren sie gemeinsam nach Düsseldorf. Peter setzte Sabine am Corneliusplatz ab, weil sie, wie sie sagte, noch eine Menge zu kaufen habe. Er selbst parkte den Wagen auf der Königsallee, der Prachtstraße, für deren Ruf sich ein Düsseldorfer vierteilen lassen würde, und ging dann, nach allen Seiten sich umsehend, ob ihn Sabine nicht beobachten könnte, hinüber zur Alleestraße und am Wilhelm-Marx-Haus vorbei zu einem anderen großen Gebäude, dessen nüchterne Fensterreihen es als Herberge unzähliger Büros auswies.

Ein großes Emailleschild leuchtete an einem der Eingänge in der Morgensonne.

Dr. Ernst Portz Rechtsanwalt und Notar

Peter Sacher kannte Dr. Portz schon als kleiner Junge. Sie hatten zusammen auf der Straße gespielt, im Sandkasten Burgen gebaut, und schon da zeigte sich, was einmal aus ihnen werden würde: Peter baute die Sandvillen, und Ernst zerstörte sie. Dementsprechend war Peter Architekt geworden, während Dr. Portz als Fachanwalt für Ehescheidungen einen weiten Ruf erlangt hatte.

Die Kinderfreundschaft wurde dann fortgeführt in der Volksschule, auf dem Gymnasium, wo man sich beim Abitur gegenseitig mit Mogelzetteln half. Schließlich studierten Peter und Ernst noch zusammen in Köln und München. Es war eine jener Freundschaften, für die es keine Krisen gibt und die nie auseinandergehen können, weil jeder den anderen viel zu gut verstand.

Dr. Ernst Portz hatte eine vorzüglich gehende Praxis. Er beschäftigte vier voll ausgelastete Tippmädchen, einen Bürovorstand mit dem Gesicht eines Gallenkranken, der als gut eingespielter Praktiker juristische Hausberatungen auf eigene Kosten erteilte, ein Buchhalter arbeitete acht Stunden am Tag für die Steuer, und ein Lehrling trug die Akten herum und pappte die Briefmarken auf die umfangreiche ausgehende Post.

Das Glanzstück der Praxis aber war ein etwas blasser, dürrer, farbloser, hochaufgeschossener Assessor mittleren Alters, der ewig Hunger hatte, unter Komplexen litt und froh war, bei Dr. Portz arbeiten zu können, weil er sich selbst nicht viel zutraute.

Kleine Fälle übernahm Assessor Hubert Bornemeyer allein. Meistens gewann er sie sogar. Er hatte vor Gericht eine umwerfende Art, Mitleid zu erzeugen, mit sich, mit seinem Klienten, mit seinem Plädoyer, mit seiner naiven Beweisführung. Es war fast, als könnten die Richter ihm nicht weh tun und ließen ihn deshalb gewinnen. Dr. Portz war jedesmal verblüfft, wenn Bornemeyer eine Akte als erledigt ins Archiv gab.

In den Pausen zwischen solchen Vorfällen sah man Bornemeyer meistens butterbrotkauend in der Kanzlei. Es ging die Sage durch das Büro, daß er seine besten Gedanken beim Abfassen eines Schriftsatzes empfing, wenn er ein Brot mit gut gelagertem Romadour aß.

Peter Sacher platzte in diese gut eingespielte Praxis wie ein Hurrikan. Er durchquerte Büro, Kanzlei und Vorzimmer, ohne sich aufhalten zu lassen, klopfte kurz an die Eichentür des Allerheiligsten und trat, ohne Antwort abzuwarten, ein.

Dr. Ernst Portz saß hinter seinem wuchtigen Renaissanceschreibtisch (Renaissance ist immer gut. Sie verbreitet das Fluidum zurückhaltender Bildung), las einen langen Brief und kaute einen Bonbon. Er war groß, wuchtig fast, hatte ein gerötetes Gesicht, wie es Rotspontrinker haben, das durch die Vielzahl dicker Mensurnarben wie eine zerklüftete Felsenlandschaft aussah, kleidete sich salopp, liebte offene Kragen und sprach mit dem Pathos eines alten Heldenvaters des Wiener Burgtheaters.

Als er Peter Sacher eintreten sah, schnaufte er tief und ehrlich und schluckte den Bonbon hinunter.

«Guten Tag, du Urviech!«sagte er dröhnend.»Die Hitze draußen bringt mich um! Begreife, was ich leide: Draußen Tropenglut, um mich herum Aktenstaub, nebenan Büromief, im Stenozimmer ein Parfümerieladen. Peter, wie ich dich beneide!«

«Ausgerechnet mich«, sagte Peter sauer.

Dr. Portz überhörte die Resignation. Er war im Begriff, sich zu bedauern. Welcher Mann läßt sich dabei durch andere Argumente stören?!

«Du bist allein!«sagte er.»Du kannst an die frische Luft, wenn und wann es dir paßt. Man sagt dann einfach: Muß 'nen Bau besichtigen! Du verdienst dein Geld, indem du ruckzuck ein paar Mauern aufs Papier wirfst, ein paar Fenster dazwischen malst und sagst: Da ist das Wohnzimmer, dort schläft man. Hier geht's rein, hier raus. Und das alles kostet 100.000 Mark! Dann kassierst du deine Prozente und rauchst zum Abschluß auch noch eine spendierte Importe. Aber ich?«Er holte tief Luft. Gequält knackte es in der Jacke. Es mußte ein guter Schneider gewesen sein, der sie machte. Vielleicht hatte er die Nähte auch mit Draht gefestigt.»Ich rackere mich ab«, klagte Dr. Portz.»Ich muß tobende Ehemänner beruhigen, weinende Frauen aus Ohnmächten erwecken, auf dem Gericht schmutzige Wäsche waschen, dem Staatsanwalt, er ist ein guter Freund, sagen, daß er dumm ist, ich muß Geschworene überzeugen und Zeugen der Anklage mürbe machen, ich muß aus schwarz weiß und aus weiß mittelgrau machen. Kurz: Ich befinde mich in einem ewigen Krieg gegen alle Welt! Und das alles für die lumpigen Gebühren. Ist das ein Leben?!«

Peter Sacher setzte sich in einen lederbezogenen Sessel und faltete die Hände. Er kannte die Klagen seines Freundes und hatte sich abgewöhnt, ihnen Beachtung zu schenken. Er kannte auch das Bankkonto Dr. Portz' und wußte, daß er gar nichts anderes sein wollte als Rechtsanwalt.

Noch während Portz seine Klagelieder sang, nahm er ein Magazin von dem runden Rauchtisch, blätterte in ihm herum und las eine Kurzgeschichte.

Als sie zu Ende war, war auch Dr. Portz die Luft ausgegangen. Peter Sacher legte das Magazin zurück.

«Fertig?«

«Ja«, keuchte Dr. Portz und rieb sich den Schweiß von der Stirn.

«Dann höre einmal genau zu: Ich werde verreisen.«

«Du Glücklicher.«

«Ich will Ferien machen.«

«Du Nabob!«

«Ich will sogar allein Ferien machen.«

«Ohne Sabine?!«

«Ja.«

«Du Genie!«

«Wie man's nimmt. «Peter nahm eine Zigarre aus dem Kistchen, das auf dem Tisch stand.

Dr. Portz sah es mit Mißbehagen. Die Zigarren waren für die guten Klienten, die Geld einbrachten.

«Kosten achtzig Pfennig«, meinte er.

«Riecht man. «Peter Sacher schnitt die Spitze ab und zündete sie an. Er blies den Rauch gegen die Decke, wie es im ungeschriebenen Ritus der Zigarrenraucher verbrieft ist.»Können wir ernst miteinander reden?«

«Bitte«, antwortete Dr. Portz pikiert.

«Der Vorschlag, getrennt zu verreisen, stammt von Sabine.«

«Du hast eine einmalige Frau«, sagte Dr. Portz ehrlich.

«Abwarten. «Peter hob die Hand.»Die Sache hat einen Haken. Wir werden sechs Wochen getrennt leben. Keiner soll vom anderen wissen, wo er war und was er dort erlebt hat. Am 28. August sollen wir dann wieder zusammenkommen. «Sacher räusperte sich; es war, als müsse er die Worte wie zu harte Knödel ausspucken.»Es kann sein, daß du dann meine Interessen vertreten mußt.«

«Verrückt. «Dr. Portz schüttelte den Kopf und wischte sich mit einem großen Taschentuch über die Stirn.»Nehmt es mir nicht übel, aber ihr benehmt euch wie die Kinder. Vielleicht fehlen euch die. Mit sechs Kindern im Stall hat man andere Sorgen als ihr! Du liebst doch Sabine?«

«Sehr!«

«Und Sabine liebt dich?!«

«Das nehme ich, mit Vorbehalten, an.«

«So! Mit Vorbehalten!«Dr. Portz rieb sich die dicke, rote Nase.»Das hast du in sieben Jahren Ehe noch nicht feststellen können?«

«Das ist es ja, was mir Sorgen macht!«

Peter Sacher starrte auf die weiße, spitze Asche der Zigarre. Vorsichtig schnippte er sie ab. Sie zerfiel in dem großen Aschenbecher in drei Teile. Peter nickte.

«Stimmt.«

«Was stimmt?«

«Es sind drei Dinge, die bei uns zu Asche geworden sind: Idealismus, gegenseitiges Verstehen, Entgegenkommen. Warum das alles so geworden ist? Lieber Ernst, wenn ich das erklären könnte, säße ich jetzt nicht hier. «Er hob hilflos die Hand.»Man sollte es nicht für möglich halten. Ich habe eine schöne Frau.«

«Die hast du wirklich.«»Und ich liebe sie. Das ist keine billige Redensart. Aber irgend etwas ist da zwischen uns, das wie eine Wand ist, wie eine gläserne Wand, durch die wir uns zwar sehen und hören, aber die verhindert, daß wir uns die Hände reichen. Wir haben uns einfach nichts mehr zu sagen.«

Dr. Portz schob ein paar Aktenstücke zur Seite, um Platz für seine breiten Ellenbogen zu bekommen. Auf ihnen lehnte er sich weit vor und starrte Peter Sacher ins Gesicht.

«Willst du einen Rat hören? Den honorarlosen Rat eines erfahrenen Scheidungsanwaltes?«

«Honorarlos ist bei dir immer kritisch.«

«Euch beiden fehlt nur eins: eine Wiege mit einem schreienden Bündel und zweimal täglich Windelwaschen.«

«Danke. «Peter schlug resignierend die Beine übereinander.»Erstens hast du das schon einmal gesagt.«

«Steter Tropfen, mein Lieber!«

«Und zweitens stehen solche Ratschläge in jeder Wochenzeitung unter >Sprich dich aus — Tante Emma antwortet.««

«Hör auf Tante Emma!«meinte Dr. Portz sarkastisch.

«Zu einem schreienden Bündel in der Wiege gehören immer zwei Menschen. Soviel solltest du von Biologie wissen.«

«Zahlenmäßig könntet ihr diese Bedingung erfüllen.«

«Aber auch nur zahlenmäßig!«

Dr. Portz schüttelte wieder den Kopf. Wie kompliziert, dachte er. Da sind nun zwei Menschen, nett, modern, liebenswert. Die Frau, man muß schon poetisch bei Vergleichen werden. Der Mann, ein Kerl, der etwas im Leben erreichte. Durch Können, durch Fleiß. Ein bißchen verrückt ist er ja, aber welcher künstlerische Mensch hat nicht seinen verzeihlichen Spleen? Zwei Menschen also, die sich wie nichts auf der Welt ergänzen müßten, die ein ideales Paar abgeben müßten. Und da kommt einer von ihnen nach sieben Jahren Ehe daher und sagt zerknirscht: Alles war nur eine schillernde, mühsam am Leuchten erhaltene Seifenblase. Nun ist sie zerplatzt, und von der ganzen Schönheit ist nichts zurückgeblieben.

«Du glaubst, daß diese sechs Wochen getrennte Ferien ein Heilmittel seien?«fragte er langsam. Man sah und hörte ihm an, daß er dies sehr bezweifelte.

«Sabine meint es. Sie hat diesen ganzen Quatsch in der New York Times gelesen. Von irgendeinem Psychologen, der etwas Propaganda für sich machte. Und sie glaubt daran wie an ein Wunderheilmittel.«

«Ferien vom Ich sind doch eine alte Sache.«

«Aber Ferien von der Ehe? Das dürfte nicht gebräuchlich sein. Nicht in unseren Breitengraden. Über diesen Ferien liegt wie eine unmoralische Wolke der Reiz des Nichtwissens, des Unbekannten, des Rätsels, der verborgenen Abenteuer, kurz: Man fühlt bei dem Gedanken an diese Ferien den Stachel der Eifersucht. Stell dir vor, diese Gedanken: Sie liegt irgendwo am Strand und flirtet mit einem anderen. Er ist hübsch, der Kerl, so ein Frauentyp mit gelacktem oder gewelltem Haar und einem Zahnpastagebiß. Und sie vergißt, daß sie Sacher heißt, sie findet das Leben schön, viel schöner als in Düsseldorf am Rhein, sie findet, daß…«Peter sprang auf. Es war ein Satz, als spränge er den Unbekannten an.»Teufel noch mal, Ernst, verstehst du das?! Man muß wissend beide Augen zudrücken, man darf nicht fragen, man soll nichts wissen, man soll alles wehrlos auf sich zukommen lassen. Ich halte das einfach nicht aus!«

Dr. Portz nickte ernst.

«Klarer Fall von Liebe!«

«Quatsch! Es geht um die Mannesehre!«wich Peter aus. Er schämte sich, die Wahrheit einzugestehen.

«Wenn Sabine auch so denkt wie du«, sagte Dr. Portz salomonisch,»ist es besser, ihr verlebt eure Eheferien sechs Wochen auf dem Balkon eures Schlafzimmers. Das ist billiger und überzeugender.«

«Nein!«Peter Sacher klopfte mit den Fingern auf den Rauchtisch.»Sabine soll ihren Wunsch erfüllt bekommen. Oder soll ich von dem Widersinn allein sprechen und die Schlacht um meine Vorrangstellung als Mann verlieren?«

«Von Gleichberechtigung hast du noch nichts gehört, was?«»Sie ist im siebten Jahr einer Ehe wie ein Infarkt.«

Dr. Portz legte den Kopf in beide Hände und sah Peter Sacher traurig an.»Mit billigen Bonmots rettet man keine Ehe.«

«Darum komme ich ja zu dir. Du mußt mir helfen.«

«Ich?«

«Du mußt Sabine beobachten!«

«Was soll ich?«Dr. Portz begriff nicht sofort. Er blinzelte mit den Augen, als starre er in grelles Sonnenlicht.

«Du sollst Sabine >beschatten<, wie man wohl in deiner Fachsprache sagt. Ich will wissen, wohin sie fährt, mit wem sie sich dort trifft, was sie die sechs Wochen treibt, was sie erlebt, kurz: Ich will Sabine auf gar keinen Fall durch dieses dumme Experiment verlieren.«

Dr. Portz nickte schwer und mitleidig. Er griff zum Telefon und drehte eine Hausnummer. Seine Kanzlei meldete sich. Hubert Bornemeyer war am Apparat.

«Bornemeyer? Gut!«rief Dr. Portz mit ernster Miene.»Rufen Sie bitte die nächste Schilderfabrik an. Wir bestellen ein neues Schild. Wir firmieren um. Groß! In Emaille. Zweifarbig. Eilauftrag! Text: Ernst Portz — Detektei verrückter Ehemänner. Haben Sie verstanden? Nein? Ich auch nicht! Ende. «Er legte den Hörer zurück und sah zu Peter, der wütend an dem breiten Bücherschrank stand.»Mein Assessor ist restlos erschüttert. Er begreift es einfach nicht.«

«Laß bitte die dummen Witze. «Sacher rauchte nervös und zerdrückte fast die Zigarre zwischen den Fingern.»Es muß doch nicht so schwer sein, Sabine bewachen zu lassen.«

«Auch noch bewachen! Es wird ja immer fröhlicher! Lege ihr doch einen Keuschheitsgürtel um.«

«Wenn du gemein wirst, sind wir geschiedene Leute!«Sacher tupfte die Zigarre im Aschenbecher aus.»Irgend etwas muß geschehen! Die Welt kennt keine moralischen Hemmungen mehr.«

«Wie erschütternd das gerade aus deinem Mund klingt!«

«Und ich lasse Sabine in diesen Sumpf nicht allein fahren. Es muß etwas geschehen!«wiederholte er erregt.

«Führt endlich eine vernünftige Ehe. Das ist alles! Habt Zeit für-einander. Lernt euch verstehen. Auch außerhalb des Schlafzimmers!«Dr. Portz schlug die Hände über dem Kopf zusammen.»Als ob man Säuglinge vor sich hätte, denen man das Windelnässen abgewöhnen will.«

«Hast du nichts anderes auf Lager als die Mottenkiste?! Ich brauche ehrlich deine Hilfe! Und wenn dir als Junggeselle auch alles noch so blöd vorkommt, es ist mir bitterer Ernst! Mit Sabine muß etwas geschehen. Sie kann nicht in diesem, diesem seelisch depressiven Zustand allein reisen oder gar allein gelassen werden.«

Dr. Portz sah das Problem ernster, als es nach außen hin den Anschein hatte. Er kratzte sich den Kopf. Männer, die sich beim Nachdenken den Kopf kratzen, brüten große Probleme aus. Als sich Caesar nachdenklich den Kopf gekratzt hatte, so sagt man, entschloß er sich, bei Cleopatra zu bleiben. Vielleicht wäre ein ganzer Teil Weltgeschichte anders verlaufen, wenn sich Caesar nicht gekratzt hätte.

«Gut«, sagte Dr. Portz nach einer Weile Kratzen, bei der ihn Peter Sacher nicht störte.»Ich werde Hubert Bornemeyer auf die Fährte deiner Frau setzen. Für gutes Essen wandert er bis Feuerland. «Er machte sich einige Notizen auf einem großen Block und blickte dann plötzlich hoch.»Übrigens — wohin willst du denn fahren?!«

«Nach Paris.«

«Mir scheint, es wird nötiger sein, dich beobachten zu lassen! Du nimmst die Eheferien aber ernst.«

«Bitte, dämme deine Fantasie ein. «Sacher hob abwehrend die Hand.»Ich will endlich einmal Heinz wieder besuchen.«

«Unseren Heinz v. Kletow?«

«Genau den.«

Dr. Portz legte den Bleistift hart auf den Block zurück.»Ist es nicht besser, ich reiche die Scheidung gleich ein? Schuldiger Teil: der Ehemann! Unkomplizierter Fall. Beweise werden in vier dicken Aktenbündeln geliefert.«

«Du bist heute ausgesprochen blöd!«Peter warf sich wieder in den Ledersessel.»Am 8. Juli fährt Sabine, am 10. fahre ich. Vorher komme ich noch einmal vorbei.«

«Hoffentlich geistig entrümpelt.«

«In spätestens drei Tagen möchte ich wissen, wo Sabine ihren Urlaub verbringt.«

«Auch die Kragenweite der Herren ihrer Begleitung?«

Ohne Antwort ergriff Peter seinen Hut, stülpte ihn auf den Kopf und verließ unter Zurücklassung einer zuknallenden Tür das Büro. Draußen in der Kanzlei winkte er dem Assessor Bornemeyer zu und zeigte zum Chefzimmer.»Herr Dr. Portz möchte ein Glas Milch haben.«

«Milch?«Hubert Bornemeyer sah entgeistert aus.»Wirklich Milch?«

«Ja. Ihm ist irgendwie unwohl.«

Eine völlig fassungslose Kanzlei verlassend, ging Peter Sacher die Treppen hinunter. Der Lehrling überholte ihn mit großen Sprüngen. Bornemeyer hatte ihn losgehetzt, eine Flasche Milch zu besorgen. Der Buchhalter mit dem Gallengesicht holte aus seinen Taschen einige Medikamentenschachteln und — rollen und baute sie auf seinem Tisch auf. Er war für alle inneren Gebrechen versorgt. Es war immerhin möglich, daß der Chef irgendeine Pille brauchte. Das ganze Anwaltsbüro wartete auf ein Zeichen von Dr. Portz. Als der Lehrling mit der Milch kam, wärmte eines der Tippfräuleins sie etwas in einem Kessel heißen Wassers an. Warme Milch ist für einen Magen immer besser.

Unterdessen ging Peter Sacher die Alleestraße entlang, bog in die Königsallee ein und traf dort Sabine. Sie stand vor einem Modegeschäft und betrachtete blumengemusterte Bademäntel. In der Hand trug sie einen neuen weißen Koffer.

Er stellte sich hinter sie, beugte sich ein wenig über ihre Schulter und flüsterte ihr mit verstellter Stimme ins Ohr.

«Entzückende Dame, darf ich Ihren Koffer tragen?!«

«Was erlauben Sie sich?!«Sabine schnellte herum. Ihre Augen sprühten vor Beleidigung.»Das ist…«Dann lächelte sie, als sie Peter erkannte, und hielt ihm den Koffer hin.»Aber bitte, mein Herr! Mich erschreckte nur das In-den-Nacken-Blasen Ihrer Stimme.«

Peter atmete tief auf.»Ich wollte dich nur an kommende, veränderte Situationen gewöhnen«, sagte er gepreßt.»In wenigen Tagen wird man dir ganz andere Dinge sagen. Mein Gott, wird man dich belügen! Du solltest dich in den richtigen Antworten üben. «Er nahm den weißen Koffer und schwenkte ihn betrachtend durch die Luft.»Du willst an die See fahren?«

«Wieso denn See?«Ihre großen, dunklen Augen waren voll Geheimnis.

Sie sind mir sechs Jahre lang nicht mehr so aufgefallen, dachte Peter Sacher. Damals waren es zuerst ihre Augen, die mir auffielen. Sie stand in der modernen Gemäldegalerie und betrachtete ein abstraktes Gemälde. Als er sich räusperte, hatte sie ihn kurz angeblickt, und dabei waren ihm ihre Augen aufgefallen.»Können Sie sich etwas dabei denken?«hatte sie gefragt und auf das abstrakte Bild gedeutet. Er hatte nur ihre Augen gesehen und ernsthaft genickt.»Jetzt ja«, hatte er geantwortet.»Es hat jetzt einen Sinn bekommen.«

Peter schüttelte die Gedanken ab. Jetzt standen sie auf der Königsallee, Sabine hatte einen weißen Koffer gekauft, sie wollte anscheinend an die See fahren, allein, weg von ihm. So wandeln sieben Jahre die Betrachtungsweise.

«Weiße Koffer sind doch für die See«, sagte Peter etwas unwirsch. Ihn ärgerte, daß er Sabines Augen wieder herrlich fand.

«Man kann auch im Gebirge weiß tragen.«

«Kann man. «Katze, dachte er. Ob sie einen Liebhaber hat? Vielleicht trifft sie ihn in diesen sechs Wochen. Ich bringe ihn um!

Er schwang den Koffer und trug ihn zu seinem Wagen. Sabine ging hinterher.

«Du fährst schon wieder?«

«Du nicht?«

«Nein. Ich bleibe noch in der Stadt.«

«Du willst noch einkaufen?«

«Auch.«

Peter fuhr herum.»Was heißt auch?«

«Auch heißt auch. «Sie hob die Schultern und hatte ein unschuldiges, fast schmollendes Gesicht.»Willst du auf mich warten?«

«Das gehört sich ja wohl so«, sagte Peter giftig.

«Es wird vielleicht zehn Minuten dauern.«

«Überhetze nichts. Es schadet dem Kreislauf.«

Er stieg in den Wagen und zog mit einem Ruck die Tür zu, ohne eine Entgegnung Sabines abzuwarten. Doch bevor sie ging, kurbelte er die Scheibe hinunter und rief ihr nach:»Bring mir bitte eine Schachtel Zigaretten mit.«

Sie nickte und ging mit schnellen Schritten Richtung Börse. Peter sah ihr nach. Sie fragt gar nicht, welche Zigarettenmarke, grübelte er. Sollte sie tatsächlich wissen, was ich rauche? Und schlanke, lange Beine hat sie auch. Und schöne Hüften. Wie der Kerl da im hellbraunen Anzug sie anstarrt. Stehen bleibt er auch noch, dieser Affe! Weitergehen, du Idiot. Diese Dame ist verheiratet. Mit mir! Und glücklich verheiratet.

Glücklich? Peter Sacher suchte im Handschuhfach nach einer Zigarette. Er fand einen alten, platt gequetschten Stengel, drückte ihn rund und zündete ihn an.

Sabine bog in die Alleestraße ein. Peter überlegte, was sie da wohl kaufen könnte. Einen Pelz? Ein Modellkleid? Zarte, hauchdünne Unterwäsche aus Perlon. Und dann sechs Wochen allein.

Er nahm wütend eine Illustrierte vom Sitz und blätterte unlustig darin herum, um sich abzulenken. Als der Herr im hellbraunen Anzug, der Sabines wegen stehengeblieben war, an seinem Wagen vorbeikam, sagte Peter Sacher noch einmal laut» Idiot!«Aber der Herr hörte es nicht.

Immerhin befreite es Peter von einem inneren Druck, als habe man an einem Dampfkessel das Ventil geöffnet.

Ein Glas warme Milch ist ein beliebtes Getränk bei denen, die Milch mögen. Es enthält Kalorien und Aufbaustoffe. Es soll vor Erkältungen der Atemwege schützen. Mit Honig vermischt, wird es zur echten Athletennahrung.

Auf dem Schreibtisch Dr. Portz' aber war es eine Beleidigung.

Als Assessor Hubert Bornemeyer mit dem Glas Milch in der Tür erschien, hatte ihn Dr. Portz entgeistert angestarrt und abgewinkt.»Bornemeyer«, hatte er gesagt.»Wenn Sie schon immer etwas zu sich nehmen müssen, dann kommen Sie meinetwegen mit Salamibrötchen herein, aber nie und nimmer mit Milch. Ich bekomme eine Gänsehaut.«

Assessor Bornemeyer stellte das Glas Milch auf den Schreibtisch. Dr. Portz verzog die Nase, als stänke es nach Kloake.

«Bitte«, sagte Bornemeyer unsicher.

«Was bitte?«

«Ihre Milch.«

«Meine.«

Dr. Portz starrte das Glas an. Es gibt zwei Möglichkeiten, dachte er rasend schnell. Entweder man wirft das Glas Bornemeyer an den Kopf und wird für jähzornig erklärt, oder man streichelt Bornemeyer über das schüttere Haar, denn er ist schwachsinnig geworden.

Auf Zehenspitzen verließ der Assessor das Chefzimmer. Draußen in der Kanzlei verkündete er dem atemlos lauschenden Personal, der Chef sei anscheinend trübsinnig geworden.

Der Gedanke, die Bestellung der Milch könne von Peter Sacher ausgehen, war mittlerweile in Dr. Portz zur Gewißheit geworden. Er nur allein kannte seine Abneigung gegen dieses Getränk. Es war die Rache eines Mannes, dem man die Wahrheit gesagt hatte. Dr. Portz schob das Glas Milch mit dem Handrücken in die hinterste Ecke des Schreibtisches. In diesem Augenblick führte Assessor Bornemeyer eine Dame ins Zimmer.

«Sie ließ sich nicht abhalten, Herr Portz«, sagte Bornemeyer entschuldigend.

Dr. Portz schnellte aus seinem Sessel hoch und rannte mit ausgestreckten Armen um den Schreibtisch herum auf Sabine Sacher zu.

«Gnädige Frau, Sie?!«Er ergriff ihre Hand und küßte sie innig.»Wenn ein Vormittag so endet, kann man den ganzen Tag loben.«

Sabine entzog ihm lächelnd ihre Hand. Ihr Blick fiel auf das Glas Milch.»Ach, Sie leben neuerdings diät?«fragte sie.»Milch ist gesund für die Nerven.«

«Wenn dem so ist, sollte man Milch zum Pflichtgetränk für Politiker und Ehemänner machen.«

«Ihr Wort in die richtigen Ohren. «Sabines Stimme war so bitter, daß Dr. Portz, Unheil witternd, ernst wurde und sie genau betrachtete. Sieht so eine Frau aus, die sechs Wochen Urlaub macht? Allein Urlaub?! Weg von einem Ekel von Ehemann, dachte Portz einen Augenblick gehässig.

«Ist etwas nicht in Ordnung, Sabine?«fragte er.

«Peter will sechs Wochen verreisen!«

«Peter? Soso!«Dr. Portz spürte, daß Verwicklungen nicht zu vermeiden waren.»Er hat Erholung nötig. So ein Arbeitstier wie Peter! Wenn er nicht einmal zwischendurch Urlaub macht, besteht die Welt nur noch aus Peter-Sacher-Bauten!«

Es sollte witzig klingen, aber es traf genau den neuralgischen Punkt Sabines. Sie sank in den Sessel, den vor wenigen Minuten noch Peter gewärmt hatte, und sah hilflos zu Dr. Portz empor.

«Er will allein fahren.«

«Ohne Sie?«tat Portz baß verwundert.

«Ja.«

«So ein Lümmel!«Dr. Portz fühlte einen leichten Schweißausbruch auf seiner Stirn und in seinem Nacken.»Ich spreche Ihnen mein Beileid aus, Sabine. Sie sind mit einem Flegel verheiratet. Wie konnten Sie so etwas tun, wo so viele stattliche Männer zur Verfügung stehen. «Dabei richtete er sich hoch auf. Er war wirklich eine Hüh-nengestalt, aber nicht der Typ, den man heiratet, sondern nur als Freund verehrt. Ein Gorilla mit Herz.

«Bleiben wir doch ernst, bitte«, sagte Sabine schwach. Sie war dem Weinen nahe.»Peter will Ferien von der Ehe machen. Als ob ich nicht sieben Jahre lang eine gute Ehefrau gewesen wäre.«

«Wer daran zweifelt, ist ein garstiger Gauch!«pflichtete Portz ehrlich zu.

«Nach Paris will er sogar.«

«Mir fehlen die empörten Worte!«Portz zog sich hinter seinen Schreibtisch zurück. Das weiß sie also schon. Woher bloß?! Peter sieht es ähnlich und hat es ihr gesagt. Garkochen im eigenen Saft, nennt er so etwas, der Sadist! Es fragt sich nur, was Sabine von mir will!

«Wie ist er eigentlich auf diesen Gedanken gekommen?«

«Er hat die New York Times gelesen.«

«Nicht das >Fachblatt für Sexual-Neurotiker

Sabine schloß die Augen bis zu einem schmalen Schlitz. Erregt nestelte sie an ihrer Kostümjacke.»Sie nehmen mich nicht ernst, Herr Dr. Portz.«

«So ernst wie nur möglich! Also in der New York Times stand es. Kann Peter überhaupt so gut Englisch? Vielleicht hat er den Marktbericht falsch übersetzt?«

«Wir sitzen an diesem Abend friedlich wie immer im Zimmer. Er liest, ich sitze im Sessel an der Terrassentür und stricke. Einen Pullover für mich, Angorawolle, orangenfarbig, seidenweich, ganz auf Figur.«

«Bezaubernd. Wie ich die Stricknadeln beneide — «

«Und während ich so stricke, springt er plötzlich auf. Ich bekomme einen Schrecken. >Peterlein, was ist dir?<, frage ich besorgt. >Ist dir unwohl?<, und was tut er?«

«Na, was tut er?«

«Er schiebt mir die New York Times zu und sagt: >Da, lies mal! Da steht was drin von sogenannten Stummen Ehen. Ganz interessant. Ein amerikanischer Psychologe schreibt, daß die Ehe im siebten Jahr beginnt, spröde zu werden. Um den Zerfall aufzuhalten, braucht man eine Art seelischer Zellularfrischbehandlung. In Form von einigen Wochen Auseinandergehen! Der Gedanke ist gut, was, Sabi-ne?< Und als ich nicht sogleich antworte, weil mir der Unterkiefer herabgefallen ist, fügt er hinzu: >Ich habe mich entschlossen, es auch so zu machen. Wir fahren sechs Wochen getrennt in die Ferien.<«

«Hat Peter das gesagt?«Dr. Portz schlug die Augen nieder und faltete ergeben die Hände.»Es ist unglaublich«, sagte er ehrlich.

«Ich sagte zu Peter: >Peterlein, das ist doch nicht dein Ernst?< Und da brüllt er los: >Mein vollster. Am 10. fahre ich weg! Und du auch! Und am 28. August sehen wir uns wieder! Keine Widerrede!««

Sabine zog ein Taschentuch aus ihrer kleinen Handtasche und tupfte damit gegen die Wimpern.

«Was sollte ich da noch machen?«klagte sie.

«Heroisch leiden.«

«Peter wird seinen wahnwitzigen Plan ausführen! Unsere Ehe ist in Gefahr. Nach sieben glücklichen Jahren kommt er mit so einer Idee. Ich kenne Peter nicht wieder.«

«Ich auch nicht«, sagte Dr. Portz seufzend.

Sabine zuckte hoch.»Sie haben ihn gesprochen?!«

«Nein! Nein! Ihre plastische Schilderung der geistigen Verwirrung und moralischen Verirrung Peters greift mir als seinem Freund vom Windelalter an ans Herz. Er muß den Verstand verloren haben. Überarbeitung wird es sein. Man sollte ihn in einen Heilschlaf versenken.«

«O, das wäre gut!«rief Sabine begeistert.»Dann kann er nicht wegfahren.«

«So etwas geht nur mit Einverständnis des Patienten. Wer will Peter dazu bewegen?«

«Niemand!«Sabine tupfte wieder gegen die Wimpern.»Es bleibt nur eines übrig: Sie müssen Peter beobachten lassen.«

«Was?!«Dr. Portz spürte elektrische Schläge durch seinen Körper zucken.

«Sie müssen erfahren, wo er in Paris wohnt, mit wem, was er dort treibt. Sie müssen alles erfahren. Ich, ich glaube. «Plötzlich weinte sie. Und es waren echte Tränen, die sie wegtupfte. Ihre großen Augen waren ganz blank wie frisch geputzte Scheiben.». daß Peter irgendwo eine andere Frau liebt.«

«Unmöglich!«sagte Dr. Portz fest.

«Das sagen Sie als Scheidungsanwalt?!«

«Gerade darum. Man bekommt einen Blick für Männer, die notorische Rockanbeter sind. Peter, beste Sabine, Peter ist für einen Seitensprung viel zu faul.«

«In der Ehe, ja!«Sie blickte zu Boden und schämte sich, darüber sprechen zu müssen. Welche Frau gesteht gern, vernachlässigt worden zu sein? Es geht gegen ihre Berufung, immer geliebt zu werden.»Ich denke nicht an einen Seitensprung«, sagte sie leise, stockend.»Es muß etwas Ernstes sein, etwas Zukünftiges.«

«Er kann sich doch nur verschlechtern«, sagte Dr. Portz.

Sabine lächelte unter Tränen.»Danke.«

«Ich glaube das nie und nimmer!«bekräftigte Dr. Portz, was er wirklich dachte.

«Aber warum will er dann begeistert sechs Wochen allein nach Paris?!«Sabine hatte ihre Tränen abgetrocknet. Ihr etwas vom Weinen gerötetes Gesicht zeigte wieder den Ausdruck von Kampfwillen und Wut, den Dr. Portz bei fast allen weiblichen Klienten feststellen konnte, wenn ihr Entschluß unabbiegbar geworden war.»Lieber Dr. Portz, können Sie nachforschen, was Peter in Paris tut?«

«Ihnen zuliebe sammele ich Steinchen aus den Mondkratern!«Ein wunderbarer Gedanke war ihm gekommen, als er schnell die Situation zwischen Peter und Sabine durchdachte. Bisher hatte er als Scheidungsanwalt Ehen auseinanderbringen müssen, mit allen juristischen Kniffen die Vorteile seiner Mandanten aushandelnd. Das war oft nicht schön, schmutzig fast, krämerhaft, als feilsche man um den Preis, endlich frei zu sein. Hier aber wuchs ihm eine völlig konträre Aufgabe zu: Zwei Menschen, die vom Leben überrollt waren, wollten zusammenkommen und konnten es nicht. Es galt hier, dem Schicksal etwas nachzuhelfen und denen, die auf das Schicksal warteten, einen Stoß in die Rippen zu geben und ihnen zu sagen: Geht nicht blind durchs Leben. Sehe jeder den anderen doch mit den richtigen Augen an und lernt euch begreifen. Auch der erwachsene Mensch, und sei er noch so erwachsen, ist irgendwo in einem Winkel seines Herzens ein Kind. Und das ist gut so, denn das Schrecklichste dieser Erde wäre der vollkommene Mensch!

«Wohin werden Sie fahren, gnädige Frau?«fragte Dr. Portz. Da-mit löste er Aufgabe Nummer 1 für Peter. Sabine zögerte ein wenig. Portz merkte es und wurde ernst.»Ich muß es ja wissen, um Ihnen Nachricht zukommen zu lassen.«

Sie nickte. Aus der Handtasche zog sie einen bunten Werbeprospekt und reichte ihn dem Anwalt über den Tisch.

«Ich fahre nach Borkum. Pension >Seeadler<.«

«Sie haben in der Saison noch ein Zimmer bekommen? Natürlich, wie könnte man Ihnen etwas abschlagen.«

«Es war reiner Zufall. Ein Gast erkrankte. Sonst wäre ich auf eine Insel nach Dänemark gefahren. Ich will Ruhe haben und über alles nachdenken.«

Dr. Portz nahm den Prospekt >zu den Akten<, wie es im herrlichen Juristendeutsch heißt. Er war sehr zufrieden. Paris und Borkum… das waren zwei Pole, zwischen denen man eine Leitung legen konnte. Mit Starkstrom!

Dr. Portz wuchs innerlich an seiner neuen Aufgabe. Paris und Borkum, das war genau das, was er brauchte. Diese Namen umschlossen feste Begriffe: Sommer, Wind, schöne Frauen, galante Männer, verbotene Küsse, Eifersucht.

Ich lasse sie beide ruhig fahren, dachte Dr. Portz. Ich mache erst gar nicht den Versuch, ihnen zur Vernunft zuzureden. Kinder wollen das neue Spielzeug mit ins Bett nehmen. Sollen diese beiden mit ihrem geistigen Spielzeug ruhig ein wenig klappern.

Und dann würde er von Düsseldorf aus die Fäden ziehen, an denen Peter und Sabine wie folgsame Marionetten hingen. Ein Spiel um vergrabene Herzen.

Dr. Portz rieb sich die Hände. Sogar den Anblick der Milch ertrug er dabei. Sabine hatte sich erhoben und tupfte etwas Makeup über die Nase und die Stirn.

«Ich kann mich auf Sie verlassen?«fragte sie und reichte die Hand hin. Dr. Portz küßte sie wieder.

«Es wird alles seinen Gang gehen«, sagte er weise.

«Ich muß schnell machen. Peter wartet im Wagen auf der Kö.«

«Grüßen lassen kann ich ihn ja wohl nicht«, meinte Dr. Portz heuchlerisch.»Aber ich wünsche Ihnen sechs Wochen Freude auf den Tag, an dem Sie wieder zusammenkommen.«

Dann war Sabine gegangen. Dr. Portz wartete ein paar Minuten, meldete dann ein Eilgespräch nach Borkum, Pension >Seeadler< an und rief Assessor Hubert Bornemeyer ins Zimmer.

«Ich habe etwas für Sie, Bornemeyer«, sagte er fröhlich.»Es ist nicht nur mit Essen, sondern auch mit Trinken und sogar etwas Scharfsinn verbunden. Setzen Sie sich mal hin und hören Sie genau zu.«

Zwei Tage später erhielt Peter Sacher per Eilpost einen Brief aus Paris.

Es war ein Glücksumstand, daß Sabine beim Friseur saß und sich die Haare vor der morgen stattfindenden Abreise noch einmal besonders schön legen ließ. Peter hatte mit tiefem Mißfallen diese Neuerung bemerkt.

«Warum eigentlich?«fragte er hinterhältig.»See, oder Gebirgsluft, wo du auch hinfährst, zerstört doch die Frisur. Oder was hast du sonst noch vor?«

«Allerhand. «Sabine hatte ein luftiges Kleid an. Etwas zu luftig, fand Peter plötzlich, der nie darauf geachtet hatte.»Wo ich hinfahre, kann man tanzen. Es gibt dort Bälle, Feste, Partys, Mondscheinpartien.«

«Mondscheinpartien!«äffte ihr Peter wütend nach.»Als wenn man noch siebzehn wäre.«

«Aber wenn man sich noch so fühlt. «Sabine drehte sich wie eine Ballerina auf den Spitzen ihrer Schuhe und lief dann wie ein kleines Mädchen aus dem Haus. Zähneknirschend blieb Peter zurück und starrte ihr durch die Gardine nach.

Ernst wird mir alles berichten, dachte er. Wie Simson mit der Eselskinnlade oder Odysseus mit dem Bogen werde ich unter ihren Freiern aufräumen!

Ihm war trotzdem gottserbärmlich zumute, bis der Eilbrief aus

Paris kam. Peter riß ihn mit zitternden Fingern auf.

Paris, am Abend nach Eintreffen Deines Briefes.

Liebes Peterlein!

Die Nachricht von Deinem Kommen hat in Paris eitel Freude und Jubel ausgelöst. Die Betten der Midinetten werden neu bezogen. In den Ateliers waschen die Modelle sich ihre entzückenden Füße. Lou, Joujou, Li-sette, Jeanette, Tinni, La petite Coucou, Toine, alle, alle warten auf Dich. Im Moulin rouge wird gefegt, und Dein Platz wird mit Männertreu umkränzt — im Quartier Latin nehmen die Bäder in Eselsmilch kein Ende mehr. Soviel Esel sind hier noch nie gemolken worden! — Paris, dieMut-ter der Freude, erwartet Dich.

Bringe viel Geld mit!

Immer Dein Heinz.

Peter Sacher las den Brief bedächtig durch. Dann hielt er sein Feuerzeug unter das Papier, ließ es verbrennen, zerrieb die Asche zwischen den Händen und warf sie in den offenen Kamin.

Zur gleichen Zeit hielt Sabine beim Friseur die Nachricht der Pension Seeadler< aus Borkum in den Händen. Sie hatte das Schreiben postlagernd senden lassen und es auf dem Weg zum Friseur abgeholt. Der >Seeadler< schrieb, daß man ein Zimmer wegen Krankheitsfall, wie telefonisch schon gesagt, frei habe, aber das sei ein Doppelzimmer. Gegen einen Aufschlag für ein normales Bett (Saisonpreis und fünfzehn Prozent Service) wäre man bereit, dieses Doppelzimmer für Frau Sacher freizuhalten. Man erwarte die telegrafische Nachricht. Die Zimmersuchenden ständen Schlange.

Sabine ließ über das Friseurtelefon sofort ein >Einverstanden< kabeln. Ein Doppelzimmer, dachte sie mit einem Schuß Schadenfreude. Wenn Peter jemals erfahren sollte, daß ich in den Ferien allein ein Doppelzimmer bewohnte. Es war nicht auszudenken, wie sehr er die sichere Haltung verlieren würde. Man sollte es ihm direkt sagen, oder durch andere vertraulich mitteilen lassen. Weißt du schon, deine Frau, in Borkum, ein Doppelzimmer hat sie! Jawohl, man hat so hintenherum gehört, daß jeden Morgen beide Betten gemacht werden müssen! Nicht auszudenken!

Während Sabine in diesen verworrenen Gedanken schwelgte, ordnete Peter nüchtern wie immer seine Sachen. Der Paß war gültig. Devisen brauchte er nicht. Er besaß in Paris ein Bankkonto für die Beträge, die er für Villenbauten an der Kanalküste bekommen hatte. Er hängte die Anzüge aus dem Schrank, die er mitnehmen wollte. Auch den weißen Smoking und den Frack. Wenn Sabine sie sehen würde, fragte sie bestimmt, ob er zum Amüsieren nach Paris fuhr. Dann wollte er genüßlich schweigen und mit einem gepfiffenen Liedchen aus dem Zimmer gehen. Und wenn sie explodierte: Mit einem Mann springt man so nicht um! Sechs Wochen Eheferien!

Beide wurden enttäuscht. Peter schien dem Zettel, den Sabine absichtlich im Zimmer verlor und auf den sie geschrieben hatte >Dop-pelzimmer bestellt<, keine Bedeutung beizumessen. Sabine verlor kein Wort über weißen Smoking und Frack. Nur Dr. Portz wurde zweimal von sehr erregten Leuten angerufen.

«Bienchen hat ein Doppelzimmer!«schrie ihm Peter zu.

«Wer ist Bienchen?«fragte Dr. Portz im ersten Augenblick verblüfft.

«Sabine, natürlich! Irgendwo ein Doppelzimmer! Was will sie mit einem Doppelzimmer?«

«Frag sie doch! Sag: Bienchen, warum?«

Peter hängte ein und ging in den Garten, hinunter zum Rhein, und ließ sich den Wind um das Gehirn wehen. Meine Frau, grübelte er. Das zurückhaltende, gute, scheue, liebe, schüchterne Sa-binchen! Kann man sich so irren?

Peters Weggang zum Rhein benutzte Sabine, um ebenfalls ans Telefon zu stürzen.

«Er nimmt weißen Smoking und Frack mit!«keuchte sie. Dr. Portz fragte nicht mehr, wer >er< sei.

«Paris ist eine galante Stadt, Gnädigste. Für galante Männer wie Peter.«

Klick machte es, und das Gespräch war zu Ende. Sabine entfloh in ihr Schlafzimmer, setzte sich auf ihr Bett und hieb mit der Faust in die Kopfkissen.»Schuft! Schuft! Schuft!«schrie sie dabei.»Ich werde das Doppelzimmer ausnützen! Ich werde, werde, oh, wie hasse ich dich!«

Bis zum nächsten Tag blieb alles, wie es war. Peter und Sabine verbissen ihre Entdeckungen und stopften mit verlogener Freundlichkeit den schwelenden Krater ihrer Vulkane zu. Sie waren nett wie nie zueinander, bedienten sich beim Abendessen gegenseitig und tranken sogar eine Flasche Wein.

Wie du dich auf das Alleinsein freust, dachte Sabine giftig, während sie Peter lächelnd zuprostete. Kaum erwarten kannst du's!

Wie du heucheln kannst, dachte Peter und schenkte mit ruhiger Hand das Glas Sabines noch einmal voll. Im Doppelzimmer wartet er ja schon auf dich! Irgend so ein Lackaffe. Man sollte mit der Flasche um sich schlagen!

Am Morgen saß Peter im Liegestuhl unter dem Sonnendach der Terrasse und zeichnete einen Rohentwurf für ein Einfamilienhaus. Er hatte eine fast schlaflose Nacht hinter sich. Wenn er tatsächlich für wenige Minuten eingeschlafen war, träumte er von Doppelzimmern, in denen Frauen in durchsichtigen Nachtgewändern mit einem Manne Walzer tanzten. Und alle Frauen hatten das Gesicht von Sabine. Da fuhr er jedesmal empor und sah, daß er im Traum beide Fäuste geballt hatte.

Sabine trat hinaus auf die Terrasse. Sie war reisefertig. Die Koffer standen draußen in der Diele. Ihr orangefarbenes Reisekostüm war bezaubernd. Peter kniff die Lippen zusammen.

«Fahren wir?«fragte sie lässig.»Oder soll ich mir eine Taxe bestellen, die mich zum Bahnhof bringt?«

Peter sprang auf und legte den Skizzenblock zur Seite.

«Natürlich bringe ich dich zum Bahnhof. Ich lasse es mir doch nicht nehmen, dich in die Freiheit zu fahren!«

«Es macht dir unbändige Freude, was?!«

«Alles Neue belebt mich!«

Sabine biß sich auf die Unterlippe. Ihr Gesicht war wie verstei-nert. Das ist ein Abschied, dachte sie. Jetzt wäre es die letzte Gelegenheit gewesen. Ich habe ihm die Hand gereicht, und er stößt sie zurück mit billigen Bonmots.

«Was würdest du sagen, wenn ich überhaupt nicht wiederkäme?«zischte sie.

Aha, dachte Peter. Sie läßt die Katze aus dem Sack. Tausche Villa am Rhein gegen Doppelzimmer! Er atmete scharf durch die Nase und gab sich betont gleichgültig.

«Nichts«, antwortete er. Er nahm den Skizzenblock vom Tischchen und betrachtete ihn, als sei der Hausentwurf wichtiger. Er zwang sich sogar, dabei zu denken: Wird ungefähr 70.000 Mark kosten. Laut sagte er:»Damit muß gerechnet werden. «Es konnte sich auch um die Hauskosten handeln.

«Auch von deiner Seite?«knirschte Sabine.

«Unfehlbar sind allein die Götter. Aber selbst Zeus hatte laut Homer über hundert außereheliche Kinder.«

«Du wirst geschmacklos!«Sie wandte sich ab, zur Tür der Diele. Welch ein Ekel ist er doch, durchzitterte es sie. Wenn man sich doch rächen könnte! So richtig rächen, daß die Tünche seiner Männlichkeit abfällt wie von einem schwammigen Gemäuer. Aber Dr. Portz wird mir ja alles melden. Auf ihn kann ich mich verlassen.

Sie ging aus dem Zimmer und ließ die Tür zur Diele auf. Peter schielte von seinem Skizzenblock ihr nach. Seine Hand, die einen Balkon zeichnete, zitterte.

Ernst wird mir ja alles mitteilen, dachte er. Und wehe, wenn sie mich betrügt! Wehe!

«Kommst du endlich?«rief Sabine von der Diele her schnippisch.»Wenn mir der Zug wegfährt — «

Peter warf den Skizzenblock auf die Erde. Sie kann's nicht erwarten, würgte es in seinem Hals. Sie zittert schon vor Erwartung. Über die Terrasse verließ er das Haus, fuhr den Wagen aus der Garage und lehnte sich dann gegen die geöffnete Tür, während Sabine das Haus verschloß.

Grell schien die Morgensonne. Der Rhein gleißte im Sonnenlicht, die Blumen im Vorgarten glitzerten. Der Morgentau hing noch unverdunstet in den Blütenkelchen. Welch ein schöner Tag, dachte Peter Sacher. Und wie fängt er für uns an?!

Sabine kam über den Kiesweg des Vorgartens. Ihre Koffer standen oben an der Tür. Sie setzte sich in den Wagen.»Wir könnten endlich fahren.«

Das >wenn< blieb unausgesprochen. Peter wußte, was Sabine sagen wollte. Zähneknirschend ging er zum Haus zurück, nahm die Koffer auf und schleppte sie zum Auto. Er warf sie auf die Hintersitze. Sabine zog die Stirne kraus.

«Die Kleider verknittern.«

«Es wird ja wohl Büglereien geben.«

«Außerdem ist Zerbrechliches drin.«

«Zerbrechliches?«

«Geschenke.«

«Ach!«

«Ja! Fahren wir nun endlich?«

Das mit den Geschenken war nicht wahr, aber sie sah, wie sich Peter Gedanken darüber machte und vor allem, wie wütend die Gedanken ihn werden ließen.

Die andere Tür krachte zu. Peter ließ den Wagen an und raste dann auf die Chaussee Düsseldorf entgegen. Er hatte das Kinn vorgeschoben, die Finger um das Steuerrad verkrampft, den Blick starr auf die Straße gerichtet.

Sabine wurde es angst, wenn sie zur Seite auf die wegrasenden Bäume blickte.

«Der Weltrekord liegt bei ungefähr 600 km in der Stunde«, sagte sie burschikos. Es kostete sie eine ungeheure Anstrengung. Peter nickte. Er trat das Gaspedal bis zum Anschlag und ließ den Fuß so stehen. Der Motor heulte. Sabine umklammerte die Fensterkurbel.

«Gleich kommt eine Kurve, Peter.«

Ehe sie weitersprechen konnten, waren sie schon hindurch, schleudernd, pfeifend, heulend, aber es war gelungen.

Von da ab sprachen sie nicht mehr. Um zu zeigen, wie gleichgültig ihr die Raserei sei, stellte sie das Radio an. Tanzmusik. Mit zitternden Lippen pfiff sie mit. Sie sah hinaus auf die Straße, sie schloß die Augen, wenn eine Kurve kam oder ein anderer Wagen ihnen entgegenflog wie eine Granate. Jetzt, dachte sie, jetzt. Aber es krachte nicht. Der Wagen fuhr weiter, Peter starrte weiter geradeaus, mit einem Gesicht, das wie Stein war.

Als sie vor dem Düsseldorfer Hauptbahnhof hielten, sah Sabine auf die Uhr. Sie wollte nicht den Rekord messen, sondern sehen, wieviel Zeit ihr bis zum Abgang des Zuges blieb. Noch 17 Minuten. Da blieb sie sitzen. Fünf Minuten ausruhen, dachte sie. Wenn ich jetzt aussteige, schwanke ich wie eine Betrunkene. Meine Beine sind wie Pudding. Vielleicht kann ich gar nicht gehen, so sitzt mir der Schreck in den Gelenken.

Peter Sacher sah sie von der Seite an. Er hatte sich eine Zigarette angesteckt.

«Na? Wollen wir nicht?«

«Doch!«

«Wir sind da!«

«Ich sehe es mit Beglückung.«

Das war wieder eine Frechheit. Peter rauchte hastig. Selbst die Raserei kriegt sie nicht klein. So gewaltig ist der Trieb, von mir weg in dieses Doppelzimmer zu kommen, daß nichts mehr sie erschüttern kann!

Er stieg aus und riß auf ihrer Seite die Tür auf.

«Bitte!«sagte er steif wie ein Herrschaftschauffeur. Es fehlte nur noch die kleine Verbeugung und das Ziehen der Mütze. Sabine kletterte aus dem Wagen. Es ging besser, als sie geglaubt hatte. Die Beine zitterten nicht. Sie nahm ihre Koffer vom Rücksitz, stellte sie auf den Bürgersteig und reichte Peter die Hand entgegen.

«Also denn — bis zum 28. August!«

«Bis zum 28. August!«Er nahm ihre Hand und führte sie an die Lippen. Plötzlich kam er sich wie verlassen vor. Wie ausgestoßen. Das Pfeifen der Züge in der Bahnhofshalle gellte in seinen Ohren, als zerplatze mit ihm sein Kopf.»Erhole dich gut, Bienchen«, sag-te er stockend.»Werde schön braun, aber lieg nicht zuviel in der Sonne. Und viel, viel Freude. Ich, ich gönne sie dir. Du hast in der letzten Zeit so wenig gelacht.«

Sabine schluckte. Mein Gott, sprach sie sich zu. Nicht weich werden, nicht zeigen, daß man losheulen könnte. Mach das Kreuz hohl und sieh an ihm vorbei.

«Du auch, Peter!«sagte sie grober, als sie wollte.

«Ich werde in Paris in die Schule gehen.«

Biest! Er ist wirklich nicht wert, daß man ihn liebt!

«Wenn das Lehrgeld nicht zu teuer ist«, sagte sie giftig.»Ich werde mich auch nach Rezepten umsehen.«

Welch ein Luder, dachte Peter. Sein Gesicht wurde steinern.»Adieu!«Er stieg wieder in seinen Wagen und ließ Sabine neben den Koffern stehen. Überall standen ja Dienstmänner herum. Vielleicht wartete in der Halle schon der gelackte Affe, der das Doppelzimmer. Er wollte wieder aus dem Wagen springen, aber dann beherrschte er sich und ließ den Motor an. Sabine klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers an die Scheibe.

«Du«, sagte sie.»Wenn du mich sprechen willst, wenn du mir etwas schreiben willst, es ist ja möglich, daß du etwas sagen willst, nicht wahr, Düsseldorf, postlagernd. Postauftragsdienst. Sie haben meine Adresse. Hörst du, Peter. Vergiß es nicht, wenn du etwas zu sagen hast.«

Er nickte und fuhr an. Im Rückspiegel sah er, wie Sabine ihm nachwinkte. Inmitten der weißen Koffer stand sie, allein am Straßenrand. Das orangefarbene Kostüm leuchtete in der Sonne. Sie sah hübsch aus, schlank, sogar jung.

Die Vorfreude verjüngt sie, dachte Peter gehässig. Bei mir war sie immer ein welkes Mauerblümchen. Das war nicht wahr und auch ungerecht, aber welcher Wütende hat dafür ein Gefühl?

Er fuhr um die Straßenbahnhalbinsel herum und auf der anderen Seite zurück, am Bahnhof vorbei. Ganz langsam. Er sah, wie Sabine einen Gepäckträger herangewinkt hatte, wie sie ihm folgte, mit kleinen, schnellen Schritten. Auf hohen Absätzen mit weißer

Tasche und wippenden Hüften. Einige Männer blieben stehen, drehten sich um und sahen ihr wohlgefällig nach.

«Ihr Böcke!«brüllte Peter in seinem Wagen.

Dann trat er auf das Gas und raste die Graf-Adolf-Straße hinunter. Es war wie eine Flucht, denn er hatte in diesen Augenblicken das dringende Bedürfnis, Sabine aus dem Bahnhof zurückzuholen, in seinen Wagen zu reißen und zu sagen:

«Bleib! Bitte, bitte bleib! Ich bin ein Esel.«

Die Flucht kostete Peter Sacher drei Strafmandate wegen Überfahren der Höchstgeschwindigkeit.

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