Die Nacht lag fahl über dem Meer, als vor dem Kurhaus die blitzenden Wagen des Reichtums vorfuhren und Herren im Frack oder bizarren Kostümen und Damen in wundervollen, aus wenig Stoffen bestehenden Fantasiemaskeraden sich den Blicken der die Auffahrt säumenden Neugierigen freigaben. Für eine halbe Stunde wehte mit den süßlichen Parfums auch ein Hauch der ganz großen Welt über die Gaffenden. Die Ansammlung von Brillanten war atemberaubend.
Peter und Heinz kamen zu Fuß. Sie hatten das Geld für eine Taxe gespart, als sie erfuhren, daß der Tarif für diese Nacht um das Dreifache erhöht worden war.
Peter Sacher hatte sich bei einem Kostümverleiher das Gewand eines Seeräubers geliehen. Da es nur aus zusammengesetzten Lumpen bestand, war es billig gewesen. Das teuerste war die Gesichtsmaske. Sie mußte groß sein, um keinen Anhaltspunkt zu geben. Heinz v. Kletow nahm ein Spanierkostüm. Es stand ihm blendend und kostete 50 Francs.
So ausstaffiert gingen sie die Treppen zum Kursaal hinauf, lösten eine Karte, 20 Francs pro Person, erwarben eine Tischkarte mit Sektzwang, 100 Francs pro Person, und betraten den Saal als arme, aber um so besser aussehende Männer.
Ein Gewimmel von Masken und Kostümen empfing sie. Musik schlug ihnen wie eine heiße Sturmwelle entgegen. Die ersten Frauen himmelten sie an. Heinz v. Kletow schob seinen Spanierhut in den Nacken.»Wenn ich darüber nachdenke, daß ich noch 30 Francs in der Tasche habe, könnte ich weinen«, flüsterte er Peter ins Ohr.»Man müßte 10.000 haben. Die Frauen hier sind es wert!«
In diesem Augenblick ging eine herrliche Frau an ihnen vorbei. Sie trug eine silberne Maske, die ihr ganzes Gesicht bedeckte, das Kostüm einer Zigeunerin und schwarze Haare, in denen Mohnblüten wie riesige Blutstropfen leuchteten.
Ganz kurz sah sie zu den beiden Männern hinüber und wandte sich dann ab.
Heinz v. Kletow schnaufte durch die Nase.
«Hast du das gesehen?«fragte er leise.
«Sie hat mich angesehen!«nickte Peter Sacher. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um die silberne Maske zu verfolgen.
«Dich? Du Affe! Mich! Für den Rest des Abends mußt du mich jetzt entschuldigen!«
Kletow wollte davonrennen, aber Peter hielt ihn fest.
«Diese Zigeunerin ist für mich«, sagte er bestimmt.»Ich überlasse dir alle hundert Frauen, die hier noch einen Mann suchen. Nur die Zigeunerin nicht!«
«Wie großzügig! Gerade die Zigeunerin ist.«
«Ich gebe dir 50 Francs!«
Heinz v. Kletow zuckte hoch.»Bin ich ein Altwarenhändler?«
«75 Francs! Mach schnell, sonst ist sie weg!«
«100 Francs!«
«Hier!«Peter Sacher drückte Heinz den Geldschein in die Hand.»Mädchenhändler! Und ich will dich bis morgen früh nicht mehr sehen!«
Sie gingen in verschiedenen Richtungen auseinander. Peter Sacher rannte durch das Gewühl der herrlichen Zigeunerin nach, Heinz v. Kletow ging auf die Suche nach seinem Typ.
Vor dem Ausgang in den Park gelang es Peter, in ihre Nähe zu kommen. Er umkreiste sie, bis er vor ihr stand und ihr den Weg versperrte.
«Seeräuber verlangen Brückenzoll!«sagte er auf deutsch. Vielleicht versteht sie's, dachte er. Wenn nicht, weiß sie auch so, was ich will.
Die Zigeunerin zuckte zusammen, als sei sie wirklich überfallen worden. Sie drückte die Maske näher an das schmale Gesicht und lehnte sich an eine der Säulen.
Er erkennt mich nicht, dachte sie. So also spricht er fremde Frauen an. Wild, überwältigend, voll jungenhaftem Übermut.
«Was verlangen Sie?«fragte sie.
Peter Sacher war es, als habe man ihn in ein Becken mit Eiswasser getaucht. Sabine, durchfuhr es ihn. Ihre Stimme, die Betonung der Worte, die Haltung des Kopfes, und sie erkennt mich nicht. So also läßt sie sich von fremden Männern ansprechen: keck, ohne Zögern, mit einer Frage, was es kostet!
Er betrachtete sie genauer. Wie jung sie aussah! Und wie herrlich schön und verführerisch. Warum hatte sie sich früher für ihn nie so angezogen? Warum war sie immer das Hausmütterchen, das unter der Lampe saß und stopfte? Oder Kreuzworträtsel löste. Schimpfwort mit vier Buchstaben: doof. Das hatte ihn immer maßlos aufgeregt. Daß es nur eine Flucht vor ihm war, hatte er nie begriffen. Die Flucht aus der Eintönigkeit in die etwas anregendere Welt des Geistesspieles.
«Sie sprechen deutsch?«sagte er stockend.»Wie herrlich. Finden Sie nicht auch, daß eigentlich Seeräuber und Zigeunerin gut zusammenpassen?«
«Das ist Ansichtssache.«
«Sie könnten mir die Zukunft aus der Hand lesen. «Er streckte sie ihr hin. Sabine nahm seine Hand. Sie bezwang sich, nicht zu
zittern.
«Ich sehe Schlimmes«, sagte sie mit letzter Keckheit.»In Ihrem Leben wird es bald eine Explosion geben.«
«Ich explodiere vor Ihnen, silberne Maske! Ich bin schon jetzt ein Vulkan!«
Sabine ließ seine Hand fallen. Schuft, dachte sie. So also sprichst du mit fremden Frauen! Ein Vulkan bist du, und zu Hause gähnst du, suchst deine Filzpantoffeln und schläfst beim Lesen ein! Wie gemein du bist, wie unbeschreiblich gemein!
Sie hakte sich bei Peter unter und rieb ihr Gesicht an seiner Schulter.
«Vulkane kann man löschen! Verrate mir, womit!«
Peter nahm es den Atem. Oh, dachte er, Sabine! So wirfst du dich also fremden Männern an den Hals! Locken kannst du, girren wie eine Taube, Versprechen geben, vor denen Eisberge schmelzen, und zu Hause läufst du ab 8 Uhr abends im Morgenrock herum, blätterst in der Lesemappe und amüsierst dich damit, daß der Hund bellt, wenn du mit deinen Zehen wackelst! Ich bin für dich Luft! Das einzige, was du sagst, wenn du schlafen gehst, ist: Komm nicht zu spät! Morgens kannst du dann wieder nicht aus dem Bett! Nur Vorwürfe, nur Sticheleien, und hier fragst du einen fremden Mann: Womit kann ich Ihren Vulkan löschen? Und sofort duzen tust du ihn auch noch! Oh, Sabine!
Er zog sie mit sich fort, zu einem Blumenstand. Dort suchte er eine dicke, rote Rose aus und steckte sie ihr ins Haar.
«Der allerschönsten Frau«, sagte er dazu. Er meinte es ehrlich, und doch wollte er damit sehen, wie sich Sabine benehmen würde.»Wäre sie aus Gold, sie würde trotzdem nie deiner Schönheit gleichen.«
Sabine lächelte gequält. Sieh einmal an, dachte sie. So lieb und charmant kannst du zu anderen Frauen sprechen! In den letzten fünf Jahren hieß es immer: Ach, ich bin abgespannt und müde. Geh allein ins Kino. Laß mich in Ruhe! Was du nur immer hast mit deinem: Das Geschäft frißt dich auf. Ich arbeite ja, damit wir was zu essen haben! So hast du fünf Jahre lang auf meine Bitten geantwortet!
Dann hattest du Magenschmerzen oder Fußschmerzen oder geschäftliche Besprechungen. Aber nie hast du mich so fest in den Arm genommen und getanzt. Seit vier Jahren nicht mehr! Du bist ja so gemein, Peter!
«Eine Zigeunerin kann zaubern«, sagte sie leise.»Auch ein Seeräuberherz kann sie verzaubern und stehlen! Du weißt doch: Zigeunerinnen stehlen.«
Peter Sacher atmete hastig. Wie sie rangeht, durchfuhr es ihn glühend. Als wenn sie die ganzen Jahre hindurch nur mit Männern gespielt hätte! Zu Hause hatte sie immer Migräne, wenn ich sie zu einem wichtigen Herrenabend mitnehmen wollte. Und wenn ich dann todmüde nach Hause kam, schimpfte sie noch und nannte mich einen rücksichtslosen Burschen.
«Tanzen wir!«schrie er, um seinen inneren Druck loszuwerden.»Da, ein Tango! Das ist der Tanz verliebter Seeräuber und stehlender Zigeunerinnen!«
Sie tanzten. Peter gab sich alle Mühe, diesen Tango durchzustehen. Er mochte keinen Tango. Aber er zählte innerlich alle Takte mit, rekapitulierte die Schritte und Figuren und brachte es fertig, Sabine fehlerfrei durch den Tanz zu bringen. Sie war aber auch eine herrliche Partnerin, federleicht, schwebend, sich im Takte wiegend, mit einem Siegeslächeln auf den Lippen. Einfach betörend.
Wie gut er tanzen kann, wütete Sabine dabei innerlich. Nie hat er einen Tango mit mir getanzt. Ich kann das nicht, hatte er immer gesagt. Gerade Tango! Da komme ich aus dem Rhythmus. Davon war keine Spur mehr, er tanzte wie ein Turniermeister. Er tanzte blendend. Dieser Wolf im Schafspelz!
Beide schwiegen während des Tangos. Ihre Gedanken fraßen die Worte auf. Erst am Ende des Tanzes sagte Sabine heiser:
«Du bist so ernst, Seeräuber.«
Peter zuckte aus seinen Gedanken hoch. Er lächelte gequält.»Vor soviel Schönheit in meinen Armen versagt die Stimme.«
Deshalb bist du zu Hause so einsilbig, was, dachte sie giftig. Vor soviel Schönheit! Oh, du Lump!
Sie legte den Kopf an seine Wange und hauchte ihm einen Kuß auf die Maske. So, dachte sie. Mal sehen, was er jetzt tut!
Peter Sacher erstarrte, als Sabine ihn küßte. Einen fremden Mann küßt sie einfach. Sie wirft sich ihm an den Hals, nach zehn Minuten Bekanntschaft. Wie mag das erst mit dem langen Genueser sein?! Wie kann eine Frau, meine Frau, so schamlos sein?!
Er umarmte sie stürmisch, drückte sie an sich und küßte sie wild, fast verzweifelt, auf die herrlichen Lippen. Sie sträubte sich nicht, sie trank den glühenden Kuß wie eine Ertrinkende, sie umklammerte seinen Rücken, drückte sich an ihn und war für wenige Sekunden glücklich. Bis die Erkenntnis kam: Er küßt ja eine Fremde! Er weiß ja nicht, daß ich. Da wurde sie steif und riß sich von ihm los.
«Noch nicht so wild«, sagte sie schweratmend.»Die Nacht ist noch lang!«
Peter Sacher glaubte zu verbrennen. Einen fremden Mann hat sie wiedergeküßt. Und wie sie küssen kann! Wie! Er meinte, sich nicht erinnern zu können, jemals so von Sabine umarmt worden zu sein. So wild, so völlig hingegeben, so hemmungslos, wie er es jetzt bösartig nannte.
Das koste ich aus, dachte er grimmig. Ich will sehen, wie weit sie gehen kann! Ich werde sie verführen. Und wenn sie in meinem Zimmer steht, werde ich mir die Maske herunterreißen und ihr entgegenschreien: So, ich bin es! Wir sind für immer auseinander, du, du. Er wagte nicht, das Wort zu denken, was er sagen wollte. Es war ein unschönes Wort, aber sie hatte es dann verdient!
«Du küßt wunderbar«, sagte er stockend.
«Mich haben schon viele geküßt«, antwortete sie.
So, dachte sie. Das saß, mein Lieber! Das ist ein Köder an meiner Angel. Wenn du mich jetzt verführen willst, bitte, tue es! Aber wenn ich dann in deinem Zimmer stehe, werde ich mir die Maske vom Gesicht reißen und sagen: Ich bin es! Deine eigene Frau hast du verführt. Aber für dich war ich ja eine Fremde! Du hast mich betrogen! Ich lasse mich scheiden! Endgültig! Sie war gewillt, es wirklich zu tun.
An ihnen vorbei tanzte ein Spanier. Er hatte ein hellblondes, üppiges, ziemlich offenherziges Mädchen in den Armen und winkte Peter zu. Dann flüsterte er dem Mädchen etwas ins Ohr. Es kreischte auf und dehnte sich in seinen Armen wie eine Raubkatze.
«Wer ist das?«fragte Sabine. Sie wußte es.
«Ein Freund von mir. Aber du sollst keine anderen Männer haben neben mir, das oberste Gebot der Liebe. «Er küßte sie wieder und zog sie hinaus in den hell erleuchteten, von Lampions durchzogenen Park.»Die Nacht!«sagte er jünglinghaft.»Was wäre die Nacht ohne eine Orchidee. Ich halte sie im Arm! Ich bin der Glücklichste der Erde! Gehen wir in den Park. Ich bin ein guter Gärtner, unter dessen Händen sich die Blüten öffnen.«
Zu Hause kannst du dich nicht bücken, weil du Ischias hast, dachte Sabine. Da muß ich das Unkraut rupfen und die Rosenbeete harken!
Sie ließ sich mitziehen, und sie hatte plötzlich Angst vor dem, was kommen würde. Schließlich ist es ja nicht alltäglich, sich von dem eigenen Mann verführt zu sehen.
Sie ließ sich mitziehen. Dabei hob sie seine rechte Hand empor. Ein schmaler, goldener Reif glänzte an seinem Ringfinger. Er hat ihn nicht abgetan, frohlockte sie einen Augenblick. Ruckartig blieb sie stehen und spielte die Verblüffte.
«Du bist verheiratet, Seeräuber?«
Peter betrachtete seine Hand und hob dann die Schultern. Jetzt werde ich es ihr sagen, dachte er gehässig.
«Ja! Stört es dich?! Ich kann den Ring abziehen! Seeräuber rauben nicht nur Waren, sondern auch Frauen.«
«Du liebst deine Frau nicht mehr?«fragte sie. Ihr Atem stockte. Peter starrte in den Nachthimmel. Es war ihm jetzt unmöglich, Sabine anzusehen.
«Sie liebt mich nicht mehr, das ist es! Seeräuber sind unbequeme Menschen, gewiß, aber wenn man ihr Wesen ein wenig verstehen lernt, wenn man einen Mann nicht nur nach dem bewertet, was er tut, sondern sich die Mühe machen würde, in seine Seele ein-zudringen, doch wozu sage ich dir das?! Du bist eine Zigeunerin, die Nacht Nizzas ist um uns! Wir wollen diese Nacht glücklich sein, ohne zu denken!«
«Ich glaube, du hältst deine Frau für dumm.«
«Sie ist es!«
Sabine biß die Zähne zusammen. Es war ein hartes Urteil. Ein ungerechtes Urteil. Wenn sich Peter nur einmal in den vergangenen fünf Jahren so benommen hätte wie heute, nur ein einziges Mal, wäre vielleicht alles anders geworden. Aber immer war er brummig, mißgelaunt und völlig ungenießbar, wenn er einen neuen Hausplan entwarf und durchdachte.
Von dieser Antwort wird sie sich nicht erholen, dachte Peter. Sie wird innerlich platzen vor Wut. Für sie bin ich ja ein Fremder, und notgedrungen muß sie jetzt an ihren Mann denken. Wenn sie jetzt noch mit mir geht, weiß ich, daß sie mich nicht liebt.
Sabine nahm die Rose aus dem Haar und küßte sie. Es war eine fürchterliche Waffe gegen Peter. Wenn er so ein Urteil über seine Frau zu einer anderen Frau sagt, kann er mich gar nicht lieben. Für ihn bin ich ja eine Fremde, die er seit einer Stunde erst kennt!
Sie steckte die Rose an Peters Piratenbrust.
«Komm«, sagte sie.»Hier sind zu viele Menschen um uns.«
Sie gingen in den Park. Der süßliche Duft von Tausenden Blüten umwehte sie. Schweigend gingen sie Arm in Arm durch die Palmenallee und über enge, von Zypressen gesäumte Wege. Vor einem kleinen Weiher, der versteckt zwischen Mandelbüschen und Jasmin schimmerte, blieben sie stehen. Das Mondlicht lag wie ein bleicher Überzug über dem stillen, unbewegten Wasser.
«Ein See aus Silber«, sagte Sabine. Ihre Stimme war nicht mehr ganz fest.
«Der See hat einen Namen«, erwiderte Peter Sacher.
«Das Auge des Mondes?«
«Nein. Der >See des Vergessens<.«
«Welch ein gelegen kommender Name.«
Er legte den Arm um Sabines Schulter und zog sie an sich. Sie schmiegte sich an seine Seite und zitterte. Jetzt betrügt er mich mit mir, durchfuhr es sie. Jetzt lerne ich kennen, wie er andere Frauen erobert.
Peters Gesicht war hart. Jetzt läßt sie sich verführen, dachte er grimmig. Jetzt werde ich erleben, wie sie sich benimmt, wenn andere Männer ihre Gunst erringen. Das Herz schlug ihm bis zum Kehlkopf. Er war unbändig eifersüchtig auf sich selbst.
«Jeder, der von dem Wasser dieses Sees trinkt«, sprach Peter stockend weiter,»wird für eine Nacht alles vergessen. Er wird nicht an morgen denken, und das Gestern ist weit, weit weg. Jeder, der die Hand in den See taucht und damit sein Gesicht wäscht, wird willenlos sein vor der Liebe.«
Du Verführer, dachte Sabine bitter. Nie hast du zu mir so gesprochen! Selbst nicht in der Zeit, als wir verliebt waren. Jetzt kann ich verstehen, was Heinz v. Kletow mir vor sieben Jahren sagte, als Peter und ich heiraten wollten.»Passen Sie gut auf den auf«, hatte Kletow gesagt.»Dem fallen die Frauen zu wie Äpfel, die man vom Baum schüttelt. «Damals hatte sie es als Witz aufgefaßt. Jetzt spürte sie, wie seine Stimme und sein Wesen selbst sie, nach sieben Jahren Ehe, zu betören begannen. Sie stemmte sich gegen dieses Gefühl, sie wollte nüchtern bleiben. Wer einen Mann überführen will, darf nicht von ihm gebannt sein.
Sabine tat etwas, was Peter Sacher den letzten Rest seiner nur noch mühsam aufrecht stehenden Beherrschung raubte. Sie beugte sich zu dem See hinab, tauchte die Hand in das Wasser und fuhr sich mit der nassen Handfläche über die Lippen. Dann wandte sie den Kopf zu ihm, schloß die Augen und hob die Lippen zu ihm empor.
«Küß mich«, flüsterte sie.
Das ist meine Frau, durchzuckte es ihn heiß. So betrügt sie mich!
Was tut er jetzt, zitterte Sabine. Wie betrügt man seine Frau? Er wird's jetzt zeigen!
Peter Sacher tat, was alle Männer in dieser beneidenswerten Lage getan hätten. Er riß Sabine an sich und küßte sie mit einer Wild-heit, die ihr den Atem nahm. Er war besonders wild, weil er wütend und voll Rachsucht war. Er preßte sie an sich, er küßte sie mit einer Verzweiflung, die sie als Leidenschaft empfand. Sie öffnete die Lippen und biß ihn. Das machte ihn rasend. Oh, schrie es in ihm. Wie grenzenlos leidenschaftlich kann sie sein bei anderen Männern! Er dachte plötzlich an den langen Genueser und an die Möglichkeit, daß auch er die Trunkenheit ihrer Liebe genossen haben könnte.
Da hob er sie hoch, wie leicht sie ist, stolperte mit seiner Last vom See weg in die Dunkelheit und wollte sie auf ein teppichdichtes Rasenstück legen.
Sabine wehrte sich. Sie wand sich in seinen Armen, sie stemmte die Beine gegen die Erde und riß sich los, als Peter fester zugriff. Zwei, drei Schritte wich sie zurück, ballte die Fäuste und stieß sie vor, als Peter sich ihr wieder nähern wollte.
«Bleib stehen!«sagte sie hart.»Du betrügst deine Frau!«
Peter Sacher lachte.»Die ist weit! Sie liegt auf Borkum im Sand und läßt sich von anderen Männern küssen.«
«Weißt du das so genau?«
«Ja!«
«Und du bist gar nicht eifersüchtig?«
«Aber nein! Ich werde nicht fragen, was sie auf Borkum gemacht hat. Ebensowenig, wie sie mich fragen wird, was ich in Paris oder Nizza getan habe.«
«So gleichgültig seid ihr euch geworden?«
«So gleichgültig!«
«Dann darfst du mich küssen!«Sabine kam auf Peter zu.»Auch ich bin verheiratet! Mein Mann ist ein Ekel! Er ist es wert, betrogen zu werden!«
Peter Sacher schnaufte durch die Nase. Er ballte die Fäuste hinter dem Rücken und war bereit, Sabine die Maske von den Augen zu reißen und. Ja, was und? Er wußte es im Augenblick nicht und verhielt sich deshalb so, als überwältigte ihn die Leidenschaft der fremden Frau mit der silbernen Maske.
«Komm«, sagte er leise und zog Sabine wieder an sich.»Tiefer in den Park hinein.«
«Komm auf mein Zimmer«, flüsterte sie an seinem Ohr.
Peter Sacher fror es über den Rücken. Sein Herz setzte eine Sekunde aus vor Erbitterung.
«Wo ist es?«fragte er tonlos.
«Im Majestic. Sie lassen dich nicht hinein. Die Kontrolle ist genau. Aber du kannst vom Garten aus über einen Balkon kommen. Es ist der vierte Balkon von links, in der ersten Etage. Ich warte. In einer halben Stunde.«
Sie riß sich los aus seiner Umklammerung, küßte ihn noch einmal flüchtig und rannte dann durch die Dunkelheit des Parkes davon, um den kleinen See herum, dem Kurhaus zu, schnell, atemlos, als werde sie von einem Untier verfolgt.
Mit geballten Fäusten blieb Peter Sacher zurück. Er starrte hinauf in den sternenübersäten Himmel und befand sich in einer Stimmung, in der man Amok laufen könnte.
Eine Hure ist sie, dachte er und verzehrte sich in diesem Gedanken. Einem Mann, den sie eine Stunde kennt, sagt sie ihr Zimmer, läßt ihn zu sich einsteigen und wartet dort auf ihn. Im Dunkeln, vielleicht schon im Bett liegend, heiß vor Sehnsucht. Meine Frau!
Als er ein Taschentuch aus der Hose nehmen wollte, stieß er mit den Fingern an den Kasten mit dem Rubincollier. Er trug es immer bei sich. Er nahm den Kasten aus der Tasche, klappte ihn auf und starrte auf das herrliche Schmuckstück. Dann sah er hinüber zu dem kleinen See und hob die Hand, um den Kasten ins Wasser zu werfen. Aber noch im ausholenden Schwung hielt er ein und steckte ihn wieder in die Tasche.
Das wird meine letzte Rache sein, dachte er, bevor wir uns scheiden lassen. Es wird der merkwürdigste Prozeß sein, der jemals über das Düsseldorfer Landgericht lief. Scheidung wegen Ehebruchs mit dem eigenen Mann!
Wenn die ganze Welt verrückt ist, warum soll es nicht diese Ehe sein?
Langsam ging er zurück zum Kurhaus. Unterwegs traf er Heinz v. Kletow. Er saß mit der üppigen Blonden unter einer Riesenagave auf einer weißen Bank und war intensiv und angenehm beschäftigt.
Peter Sacher machte einen Bogen um das Paar. Er war nicht in der Stimmung, den Anblick glücklicher Menschen zu ertragen.
Ferro-Bornemeyer irrte zwei Stunden durch die Säle des Kurhauses und suchte Sabine. Dann gab er die Suche auf, setzte sich in eine Ecke des großen Saales, ließ die Paare an sich vorbeitanzen und trank so lange, bis die Musik wie in Watte gepackt klang und die Paare vor seinen Augen den Boden nicht mehr berührten.
Da ging er nach Hause. Die Unmöglichkeit des eigenen Gehens einsehend, ließ er sich von einem Saaldiener bis zu einer Taxe bringen. Vor dem Hotel nahm ihn der Portier in Empfang, in der Halle ein Boy, der ihn aufs Zimmer brachte und aufs Bett legte.
Bornemeyer schlief sogleich ein, noch bevor er richtig lag. Er träumte sehr unruhig von Dr. Portz.»Sie Schwein!«schrie ihn Dr. Portz an. Und dann erschlug er Bornemeyer mit dessen Rechtfertigung.
Sabine wartete auf ihrem Zimmer. Sie hatte sich nicht umgezogen. Mit der silbernen Maske vor dem Gesicht saß sie in der Dunkelheit des Zimmers. Die Balkontür hatte sie einen Spalt offengelassen. Der leichte Nachtwind bewegte die Gardine, stieß sie ins Zimmer. Wie ein Hochzeitsschleier wehte sie. Ab und zu sah Sabine auf die Uhr. Die halbe Stunde war gleich vorüber. Gleich würde Peter in das Zimmer einer ihm fremden Frau steigen und Sabine betrügen. Seine Ernüchterung würde grausam sein, und dann würde sie die Scheidung einreichen. Sofort!
Sie saß in der Ecke des Zimmers in einem kleinen Sessel und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Wie die Statue einer Rachegöttin saß sie da, unbeweglich, starr, aus Stein gehauen. Sie lauschte, sie starrte auf die geöffnete Balkontür, sie wartete auf den Schatten, der hinter der Gardine über die Balkonbrüstung hervorgleiten mußte.
Sie wartete auf ihre Rache.
Hinter dem Hotel schlich wie ein Einbrecher Peter Sacher herum. Er stand im Garten des Hauses und war der Verzweiflung nahe.
Der vierte Balkon von links in der ersten Etage, hatte Sabine angegeben. Aber es gab zwei vierte Balkons von links! Zum Garten hinaus hatte das Hotel zwei Flügel, die im rechten Winkel an den Hauptbau angebaut worden waren. Es konnte also der linke Flügel sein, oder der rechte. Auf jeder Seite gab es sieben Balkons! Peter Sacher schlich die beiden Flügel ab. Der Balkon, wo die Tür offensteht
— der mußte es sein! Aber sowohl beim vierten Balkon des linken Flügels als auch bei dem des rechten Flügels standen die Türen offen.
Er schaute auf seine Uhr. Die Zeit war abgelaufen. Irgendwo hinter diesen vielen Fenstern wartete Sabine auf einen Mann, den sie gerade eine Stunde kannte! Sie wollte ihren Mann betrügen! Mein Mann ist ein Ekel, hatte sie sogar gesagt.
Peter Sacher gab der Verzweiflung nach. Er nahm den linken Flügel und dort den vierten Balkon von links. An einem dichten Rankenwerk von wildem Wein kletterte er auf den Balkon, zögerte einen Augenblick, lauschte in das Zimmer hinein, schob leise die Tür weiter auf und schlüpfte, die Gardine zur Seite wehend, in das völlig dunkle Zimmer.
Sie macht es spannend, dachte er gemein. Vielleicht liegt sie schon nackt im Bett.
«Silberne Maske?«flüsterte er in die Dunkelheit hinein.
Aus dem Hintergrund des Zimmers hörte er ein fast asthmatisches Pfeifen. Dann ging, nach der Dunkelheit fast blendend, die Nachttischlampe an. Im Bett, das hinten an der Wand stand, saß kerzengerade ein weißhaariger, bärtiger Mann und starrte den Mann in der Balkontür an.
Wenn jemand mitten in der Nacht über den Balkon Besuch bekommt und dieser Besuch steckt in der Kluft eines wilden Seeräubers, zerrissen, bloßbrüstig, blutrünstig, der wird naturgemäß aufschreien und sich diesen Besuch nicht gefallen lassen.
Der alte, bärtige Mann tat denn auch das, was jeder getan hätte:
Er quietschte auf wie eine getretene Maus, hieb mit den Fäusten gegen die Wand und schrie dann gellend:
«Help! Help! Help!«
Das alles ging so sekundenschnell, daß Peter Sacher erst nach dem englischen Notruf begriff, wo er sich befand. Nämlich im falschen Zimmer.
«Beg your pardon!«sagte er schnell.»A good night to you!«
Dann rannte er aus dem Zimmer, schwang sich über den Balkon in die Tiefe, sprang in den Garten und hetzte durch die Dunkelheit davon. Hinter sich hörte er noch immer den Schrei des bärtigen Mannes:»Help! Help! Help!«
Als er aus dem Garten auf die Promenade rannte, gingen hinter ihm die Gartenleuchten an. Einige Kellner und Boys durchsuchten den Garten. Da sie nichts fanden, gaben sie die Suche bald auf. Der Hotelarzt gab dem Engländer ein Schlafmittel.»Sie haben sicherlich intensiv geträumt«, tröstete er den Alten.»Eingestiegen wird nur bei Damen mit Brillanten.«
Zwei Stunden wartete Peter Sacher. Dann schlich er in den Garten zurück.
Er umkreiste die Blocks und stand dann unter dem Balkon des rechten Flügels, der vierte von links. Sabine hatte seine Schritte gehört. Sie stand hinter der Gardine, in einem kurzen Shorti-Nacht-hemd, und hielt den Atem an. Der Lärm, der vor zwei Stunden durch das Hotel zog, hatte ihren gesamten Plan durchkreuzt. Typisch Peter, hatte sie halb wütend, halb wehmütig lächelnd gedacht. So war er immer. Er stellt sich an wie ein großer Junge. Wie ein Tolpatsch. Selbst seine Frau betrügen mißlingt ihm.
«Silberne Maske!«rief Peter Sacher leise. Er stand unmittelbar unter dem Balkon. Noch einmal hinaufzuklettern wagte er nicht. Wenn es wieder ein falsches Zimmer war.
Sabine schob die Gardine zur Seite und trat hinaus auf den Balkon. Sie sah Peter ein wenig kläglich auf dem Rasen stehen und zu ihr emporblicken.
«Mein Held«, sagte sie spöttisch.
Peter duckte sich, als sei er geschlagen worden.
«Du hast mir das falsche Zimmer gesagt. Wie glücklich bin ich, jetzt unter dem richtigen zu stehen. Ich komme sofort hinauf!«
«Nein!«Sabine hob die Hand. Sie hatte die silberne Maske wieder umgebunden.»Jetzt ist es zu spät. Feuer glüht nur eine Weile, bekommt es keine Nahrung, sinkt die Glut zusammen. Aus heißer Asche aber kommen keine Funken mehr.«
«Ich werde dich an meinem Feuer entzünden!«
Sabine schüttelte den Kopf.»Denk an deine Frau.«
«Verlange das nicht von mir!«sagte er gehässig.»Wenn ich wieder in Düsseldorf bin, wird sie wieder unter der Stehlampe sitzen und stricken. Pullover, die nie fertig werden. Es macht mich rasend. Wie ein Aschenputtel läuft sie im Hause herum, mit Wicklern in den Haaren, im Bademantel, in Pantoffeln. Dabei ist sie schön, sehr schön! Aber sie achtet nicht mehr darauf. Wenn sie so wäre wie du, so frei, so lustig, so voller Glut. Aber nein, wenn ich ins Theater will (selten genug ist das, dachte Sabine), muß das erst wochenlang vorher besprochen werden. Wenn ich verreisen will mit ihr, muß es genau geplant werden. Nie geht es schnell, sofort, nie kann sie improvisieren. Sie ist eben langweilig! Das bringt mich um!«
Sabine umklammerte das eiserne Balkongeländer. Ihre Knöchel waren weiß, so sehr preßte sie die Hände gegen den Stein. So also sieht er mich, durchfuhr es sie. So soll ich sein? Aber ist er anders? Ist er so, wie er sich hier gibt, einer fremden Frau gegenüber? O nein, nein!
«So sind alle Eheleute«, sagte sie stockend.»Mein Mann ist nicht anders. Immer liegt er abends auf der Couch, mit schmutzigen Schuhen auf dem schönen Bezug. Er liegt da stundenlang und liest, die Zeitung, ein Buch, einen Kalender, einen Prospekt, das Telefonbuch. Und wenn alles weg ist, liest er die Aufschrift seiner Whiskyflasche, nur um etwas zu lesen. Es gibt für ihn nichts anderes als lesen. Und dazu raucht er. Zigarren, Zigaretten, Zigarillos. Nur priemen, das fehlt noch! Und er schweigt. Bis wir zu Bett gehen. Da sagt er: >Schlaf gut!< gähnt ausgiebig und wälzt sich in sein Bett. Drei Minuten später schnarcht er. Und so geht es Tag um Tag. Ich kann es einfach nicht mehr aushalten, dieses Nebeneinanderherleben! Und darum sollte ich dich lieben, Seeräuber! Du bist so, wie ich mir einen Mann wünsche! Frech, charmant, erobernd, fröhlich und temperamentvoll! Du bist ein Mann, keine lesende Mumie!«
«Dann laß mich hinauf!«schrie Peter. So sieht sie mich, dachte er bitter. Das also soll ich sein? Benehme ich mich so unmöglich? Er griff in das Rankenwerk des wilden Weines, aber Sabine winkte ab.
«Ich lasse dich nicht ins Zimmer! Wir haben die Stunde verpaßt, Seeräuber! Vielleicht morgen.«
«Ich will zu dir!«schrie Peter laut.
Irgendwo klappte ein Fenster. Eine schlaftrunkene Stimme rief:»Ruhe!«Lampen gingen an. Peter duckte sich eng an die Wand in den wilden Wein.
«Geh jetzt«, sagte Sabine.»Wenn sie wieder den Garten absuchen und dich finden.«
«Ich liebe dich!«rief Peter leise. Er meinte es ehrlich, Sabine tat es weh.
Ihn wird nichts nachdenklich machen, dachte sie.
«Leb wohl!«sagte sie laut.
«Nimm das!«Peter hatte den Kasten mit dem Collier genommen und warf ihn auf den Balkon. Sabine starrte auf das Etui.»Nur allein du sollst es haben!«sagte Peter.»Nur du! Du sollst immer an mich denken.«
Mit schnellen, weit ausgreifenden Schritten lief er aus dem Park des Hotels.
Sabine blickte ihm nach, bis er hinter den Büschen verschwand. Dann bückte sie sich, nahm das Etui vom Balkonboden und ging langsam ins Zimmer. Auf dem Bett sitzend, knipste sie die Nachttischlampe an und öffnete langsam die Schachtel.
Sprachlos, dann entsetzt, schließlich aufschluchzend starrte sie auf das herrliche Rubincollier. Dann warf sie es weit weg ins Zimmer und stürzte sich in die Kissen, preßte den Mund gegen die Federn und erstickte ihren lauten Aufschrei.
So etwas schenkt er fremden Frauen. So etwas!
Es war die unglücklichste Stunde ihres Lebens.
Am frühen Morgen kündigte Sabine Sacher ihr Zimmer und nahm den ersten Zug nach Paris.
Als Ferro-Bornemeyer nachdem Genuß einiger Tabletten imstande war, zum Morgenkaffee zu erscheinen und nach Frau Sabine schicken ließ, war sie längst in der provengalischen Ebene und starrte weinend aus dem Fenster auf die riesigen, wie verbrannt aussehenden Felder.
Auch Peter Sacher kam zu spät. Er hatte die ganze Nacht über wach in seiner Strandburg gelegen. Heinz v. Kletow kam erst gegen Morgen, allein und schwankend, lallend und von der Blondine schwärmend.
Er schlief sofort ein und röchelte im Schlaf.
Als es dämmerte, sprang Peter ins Meer, badete, rasierte sich, zog seinen weißen Anzug an und machte sich auf den Weg zum Hotel Majestic. Er hatte in den langen Stunden des Grübelns sich durchgerungen, zu Sabine zu gehen und um ihre Hand anzuhalten.»Wir wollen es zum zweitenmal versuchen«, wollte er sagen.»Aber dieses Mal richtig. Wir haben uns benommen wie Kinder! Laß uns alles vergessen. Fangen wir von vorne an!«
Der Geschäftsführer hob die Schultern, als Peter bat, ihn bei Frau Sacher zu melden.
«Die gnädige Frau ist abgereist«, sagte der Mann vor dem Schlüsselbrett.
«Das dürfte unmöglich sein. «Peter lächelte.»Ich habe mit der Dame heute morgen um zwei Uhr noch gesprochen.«
«Und um sieben Uhr ist sie abgereist.«
«Unmöglich!«rief Peter entsetzt.
«Ich bitte Sie, mein Herr!«Der Geschäftsführer war konsterniert.»Es ist so!«
«Und wohin ist sie gefahren?«
«Was geht das Sie an?«»Ich bin ihr Mann!«
«Wer sind Sie?«
«Peter Sacher! Aus Düsseldorf. Bitte. «Er legte seinen Paß auf die Theke. Der Geschäftsführer warf einen flüchtigen Blick darauf und wurde etwas blaß.
«Die gnädige Frau ist nach Düsseldorf gefahren«, sagte er und musterte Peter kritisch und nachdenklich. Im allgemeinen wissen Ehemänner, wohin ihre Frauen fahren.
«Nach Düsseldorf?«rief Peter. Er machte fast einen Luftsprung, klopfte dem Geschäftsführer auf die Schultern, umarmte den Boy, der neben ihm stand und rannte dann aus der Hotelhalle. Er lief wie ein Besessener zur Nationalbank, erfuhr, daß die Überweisung angekommen sei, hob das Geld ab, raste zurück zum Strand und traf dort Heinz v. Kletow, der mit einem rot angelaufenen Brummschädel in der Zeltburg saß und Selterswasser trank.
«Addio!«schrie Peter und küßte den verblüfften Kletow auf die Stirn.»Ich fahre! Ich fahre!«
«Noch ein Irrer!«Heinz goß den Rest der Seltersflasche über seinen Kopf.»Wohin denn? In die Pußta, zu deiner Zigeunerin?«
«Genau! Genau! Ich fahre zurück nach Düsseldorf!«
«Und deine Frau?«
«Was kümmern mich die Weiber denn?«sang Peter. Er war außer Rand und Band.
«Und der Genueser?«
«Soll Spaghetti essen! Was kümmert's mich?!«
«Die Zigeunerin hat dich verhext!«
«Hat sie. Hat sie! Ich platze vor Glück!«
«Ich werde es Sabine nicht vorenthalten, wie schamlos du dich benimmst.«
«Sie wird sich riesig freuen!«
«Wüstling!«
«Ich bin's! Neidisch, mein Freund?«
«Mich dauert Bienchen.«
«Welcher Edelmut auf einmal!«Peter packte seine Koffer. Heinz v. Kletow sah ihm düster zu.
«Hast du dein Geld bekommen?«
«Auch.«
«Dann fahre ich mit!«
«Nach Düsseldorf?«
«Nach Paris! Und Sabine nehme ich mit! Ich werde sie trösten und sie bei mir behalten, bis sie von dir Scheusal befreit ist!«
«Du warst immer ein rührender Freund!«Peter drückte Heinz gerührt die Hand. Kletow riß sich los, sprang ins Meer, schwamm und packte dann ebenfalls seine Sachen.
«Willst du Bienchen gleich holen?«fragte Peter. Er stand reisefertig im Sand, während sich Heinz noch mit einem alten Koffer mühte.»Erst müßtest du aber den Genueser ausräumen!«
«Den Haien zum Fraß!«schrie Kletow.»Ich mache es anders als du. Ich jammere nicht, ich handle! Und Bienchen bekommst du nicht wieder, wenn sie einmal bei mir ist!«
«Hole sie dir, Freund.«
«Schamloser! Du hast sie nie geliebt!«
«Ich fahre jedenfalls zurück nach Düsseldorf!«Peter nahm seine Koffer aus dem Sand und sah sich nach Kletow um.»Du holst also erst Sabine vom Hotel ab?! Bitte, fahrt nicht mit mir in einem Abteil. Es würde zu lustig werden.«
«Ich will dich nie mehr sehen, du ehrloser Bursche! Wer eine Frau wie Sabine betrügt, ist ein Schuft! Jetzt weißt du's! Und deine Zigeunerin ist eine.«
«Sprich es nicht aus!«schrie Peter und stellte die Koffer ab.»Ich müßte dich zum Abschied noch zusammenschlagen!«
«Bitte! Wenn dir soviel daran gelegen ist!«Kletow hatte seinen Koffer geschlossen.»Was ich denke, kannst du nicht verwehren. Für mich ist Sabine wie ein Engel!«
«Das ehrt dich und erfreut den Ehemann!«
«Du bist's die längste Zeit gewesen!«Heinz nahm seinen Koffer unter den Arm. Er hatte keinen Henkel mehr.»Und nun gehen wir.«
«Ich geh voraus. Du holst Bienchen ab. Vielleicht sehen wir uns zufällig im Gang des Zuges! Grüß Bienchen von mir.«
«Gern!«Heinz zögerte und rieb sich die Nase.
«Nur.«
«Was nur?«
«Das Fahrgeld mußt du schon auslegen!«
«Ich?«Peter lachte schallend und gemein.»Leih es dir von Bienchen! So bekommt sie einen Vorgeschmack!«
«Hund, gemeiner!«
Sie gingen weiter und trennten sich auf der Promenade. Peter ließ sich zum Bahnhof fahren. Heinz v. Kletow ging zum Hotel Majestic.
Eine Stunde später fuhr der Zug ab. Peter wartete, bis er aus Nizza hinausgefahren war, dann ging er alle Wagen ab und suchte Heinz.
Er fand ihn, allein in einem Abteil zweiter Klasse sitzend, grollend und verbissen. Als er Peter breit lächelnd durch die Türscheibe sah, zog er mit einem Ruck die Gardine vor und blickte wütend aus dem Fenster.
Erst in Paris trafen sie wieder aufeinander.
«Schuft!«sagte Heinz, als sie auf dem Bahnsteig standen.
«Wollte Bienchen nicht mit?«
«Man sollte dich ohrfeigen! Habt ihr euch versöhnt?«
«Aber nein! Wir haben uns gegenseitig betrogen.«
«Einer von uns ist ein Idiot!«
«Es wird nicht schwerfallen, dies festzustellen. Kommst du mit zum Gare du Nord?«
«Natürlich. Ich werde die Stunde nie vergessen, in der du Paris verlassen hast! Hoffentlich für lange Zeit!«
Im Gare du Nord stand der Zug nach Köln bereits abfahrbereit. Peter fand noch ein leeres Abteil 1. Klasse und ließ sich von Heinz die Koffer durchs Fenster angeben. Dann beugte er sich hinaus und ergriff die Hand des Freundes.
«Im Grunde bist du ein guter Kerl, Heinz«, sagte er.»Und nun wein' nicht gleich, wenn ich es sage! Wenn es dir bis zum Hals steht und du nicht mehr aus und ein weißt, dann komm zu uns nach
Düsseldorf. Du kannst jederzeit kommen. Auch in der Nacht. In irgendeiner Ecke ist immer Platz für einen nichtsnutzigen Menschen.«
«Das soll ein Wort sein. «Heinz grinste breit.»Aber das ist nur möglich, wenn du das Fahrgeld schickst.«
«Wie kann ein Mann wie du nur ständig pleite sein?«Die Zugschaffner eilten die Wagen entlang und schlossen die Türen. Heinz streckte Peter die Hand empor. Peter Sacher drückte sie und hielt sie fest.»Versprich mir eins!«
«Wenn's zu halten ist.«
«Paß auf Coucou auf!Sie ist ein gutes Mädchen. Sie liebt dich wirklich! Du hast sie gar nicht verdient.«
«Ich bringe sie mit nach Düsseldorf.«
«Einverstanden! Aber um Coucous willen, arbeite mal etwas Vernünftiges und verdiene selbst Geld!«
«Wie sich unsere Gedanken gleichen. «Lachend griff Heinz v. Kle-tow in die Rocktasche und holte einen Zettel hervor. Es war ein Bankauszug der Nationalbank Paris, neuesten Datums, ausgestellt auf Monsieur v. Kletow. Eine hohe runde Summe stand am Ende des Kontenauszuges.
436.000 Francs.
Peter starrte auf die Zahl und dann in das breit lachende Gesicht Heinz v. Kletows. Er riß ihm den Auszug aus der Hand, zerknüllte ihn und warf ihm den Papierball ins Gesicht.
«Du Kanaille!«rief Peter.»Und warum das ganze Theater in Nizza? Zeltburg, Geldpumpen, jeden Tag Thunfisch?«
Heinz lachte noch immer. Der Zug ruckte sachte an und fuhr langsam aus der riesigen Halle. Heinz lief neben dem Fenster her.
«Das Leben ist langweilig!«rief er.»Man muß es ab und zu aufpulvern! Eigentlich erlebt nur der arme Mann wirklich etwas. Der Reiche sitzt im Sessel und schreibt Ansichtskarten! Leb wohl, Peterlein! Und gute Fahrt!«
«Ersticken sollst du!«schrie Peter.
Der Zug fuhr schneller. Sie winkten sich gegenseitig zu, bis eine Biegung der Schienen sie trennte.
Peter Sacher ließ sich wie erlöst in das Polster fallen. Er kurbelte die Scheibe hoch und starrte hinaus auf die schmutzigen Hinterhöfe von Paris.
«Nie mehr allein!«sagte er laut.»Die nächste Reise nur noch mit Sabine.«
Die Ile de France flog vorüber. Dann rollte der Zug in den rotgoldenen Abend hinein.
An der belgischen Grenze gab es einen kleinen Aufenthalt. Peter verschlief ihn. Niemand weckte ihn auf. Vor Aachen kamen Zollbeamte und sahen seinen Paß nach. Sie fragten nicht, sondern verschwanden schnell. Auf deutscher Seite wurde Peter Sacher aus dem Schlaf gebrüllt.
«Papiere bitte!«kommandierte eine geschulte Feldwebelstimme.»Was zu verzollen?!«
«Ja«, sagte Peter blinzelnd.
«Was?«
«Drei Zentner Schlaf aus Paris.«
«Wenn Sie blöde Witze machen, kommen Sie mit!«brüllte jemand.»Ich habe meine Zeit nicht gestohlen!«
Eine Tür krachte. Peter schlief sofort wieder ein. Er war beruhigt. Er war wieder in Deutschland.
In Köln weckte ihn der Schaffner. Peter Sacher stieg aus und taumelte über die Treppen und Bahnsteige zu seinem Düsseldorfer Zug.
Gewaltsam hielt er sich wach, trank vor der Abfahrt an einem fahrbaren Erfrischungswagen eine Cola und kam gegen ein Uhr nachts in Düsseldorf an.
Sabine wird längst im Bett liegen, dachte er. Sie ist vier Stunden früher angekommen als ich. Und sie weiß nicht, daß ich auch komme.
Er überlegte, wie er sie überraschen konnte. Ins Schlafzimmer kommen und sagen: Da bin ich, konnte zu einem Schock führen. Sie im Schlaf küssen, konnte ebenso fatal werden. Am besten war, man kam ins Haus, machte Lärm, stellte das Radio an, sang dazu und wartete ab, was Sabine tun würde.
Zunächst rief er von einer Telefonzelle des Hauptbahnhofes seinen Anwalt und Freund Dr. Portz an. Die Uhrzeit beachtete Peter dabei nicht. Freunde haben immer zur Stelle zu sein.
Dr. Portz meldete sich nach einigem Klingelkonzert. Er war verschlafen, wütend und ungenießbar, aber als er Peters Stimme hörte, bekam er ein flaues Gefühl in der Magengegend und setzte sich gerade ins Bett.
«Peter! Mensch!«stammelte er.»Wo steckst du denn? Ich habe versucht, dich zu erreichen. Seit Tagen! Aus Paris warst du verschwunden.«
«Über Nacht gewissermaßen«, lachte Peter.
«Sag, von wo aus rufst du an?«fragte Dr. Portz todernst.
«Vom Bahnhof«, antwortete Peter wahrheitsgemäß.
«Das ist gut! Gare du Nord, ja? Setz dich sofort auf den nächsten Zug und komm zurück nach Düsseldorf!Sofort! Ohne Gepäck!«
«Aber warum denn?«Peter begann das Spiel großen Spaß zu machen.
«Das erkläre ich dir später. Warum bist du denn aus Paris verschwunden?«
«Weil ich nach Nizza fuhr.«
«Nach Nizza?! Was wolltest du denn dort?«
«Eine herrliche Frau lieben lernen.«
«Mein Gott!«Dr. Portz schlug die Hände zusammen. Er lehnte den Kopf gegen die Rückwand des Bettes und seufzte.»Hätte ich euch zwei Dickköpfe doch nie fahren lassen! Jetzt haben wir den Salat! Sabine.«
«Ist etwas mit Sabine?«fragte Peter Sacher schnell.
«Ja, Peterchen.«
«Ist sie verunglückt?«schrie Peter.
«Wie man's nimmt. Sie ist ausgerutscht.«
«Hat sie sich was gebrochen?!«
«Weder Arme noch Beine. Aber vielleicht das Herz!«
Peter schüttelte den Kopf.»Laß den Unsinn, Ernst«, sagte er feierlich.»Um ein Uhr nachts solche faden Witze zu machen.«
Dr. Portz nahm allen Mut zusammen. Er drückte den Hörer eng an den Mund und sagte deutlich artikulierend:
«Sabine ist weg aus Borkum!«
«Sieh an!«Peters Stimme war fröhlich.»Was du nicht sagst.«
«Sie ist in Kopenhagen.«
«Welch ein tolles Reisetempo.«
«Bist du besoffen?«brüllte Dr. Portz.»Begreif es doch: Wegen eines Mannes ist sie fort!«
«Igittegitt! Wegen eines Mannes. Nach Kopenhagen! Hat der Mann einen guten Geschmack!«
«Du blöder Hund!«Dr. Portz hieb auf das Oberbett und keuchte.»Sie ist mit einem Mann auf und davon, der sie eigentlich bewachen sollte! In deinem Auftrag! Sie ist mit meinem Assessor Bornemeyer durchgebrannt!«
«Laß dir diese Filmidee patentieren!«schrie Peter fröhlich.
«Bornemeyer reist mit deiner Sabine durch die Welt und nennt sich Ermano Ferro.«
«Wie nennt er sich?«Peter Sacher wurde plötzlich ernst. Ferro! So hieß doch der lange Genuese! Ferro, das war doch.»Du bist verrückt«, sagte er kleinlaut.
«Ich weiß nicht mehr, wie ich die Situation retten soll! Komm morgen zu mir. Wir wollen alles in Ruhe überlegen. Fahr auf jeden Fall sofort von Paris ab.«
Peter nickte.»Einen Augenblick«, sagte er. Dann machte er laut:»Rrrrrrr!«und sagte wieder:»So, jetzt bin ich schon in Düsseldorf! Ging schnell, was?«
Dr. Portz starrte seinen Telefonhörer an.»Ich lege auf«, sagte er steif.»Du bist stockbesoffen!«
«Ich stehe hier in einer Telefonzelle des Düsseldorfer Hauptbahnhofes und rief dich an, um dir mitzuteilen, daß ich gleich nach Hause gehe, dort Sabine in die Arme nehme und für die nächsten Tage wegen Flitterwochen nicht zu sprechen bin.«
«Aber Sabine ist doch.«
«Zu Hause! Sie war nie in Kopenhagen. Sie war in Nizza!«»Mit dir?«
«Mit Ferro!«
«Du hast Bornemeyer gesehen?«brüllte Dr. Portz.
«Aber nicht erkannt! Ich hätte ihn vor Eifersucht erwürgen können!«
«Hättest du's doch getan!«
«Und dann habe ich Sabine betrogen!«
«Vor ihren Augen? Hat sie's gesehen?«
«Gespürt.«
«Ge.«
«Ich habe sie mit ihr betrogen.«
Dr. Portz knallte den Hörer auf die Gabel, legte sich zurück, deckte sich bis zum Kinn zu und schloß die Augen.
«Besoffener Affe!«sagte er laut.»Wenn er nüchtern ist, sieht's anders aus.«
Doppelt beschwingt ließ sich Peter mit einer Taxe hinaus zu seiner Villa am Rhein fahren.
Ferro war kein anderer als der zur Bewachung abgesandte Bornemeyer. Das war eine Tatsache, die ihn fast zum Jubeln anregte. Bisher war dieser Ferro der einzige dunkle Punkt in Sabines Gegenwartsgeschichte gewesen. Daß er sich so erhellen würde, übertraf alles, was Peter heimlich zur Entschuldigung seiner Frau sich selbst vorgetragen hatte.
Schon von weitem sah er sein Haus. Es war hell erleuchtet. Die Lampen an der Einfahrt brannten, die Leuchten auf der Terrasse, sogar die versteckten Lampen im Garten. In allen Räumen war Licht, es war, als gebe Sabine ein Fest.
Peter Sacher blickte auf die Uhr. Fast 2 Uhr morgens.
Er ließ vor der Einfahrt halten, bezahlte den Fahrer und ging langsam über den breiten Weg dem Eingang zu.
Kurz vor der Tür machte er einen Bogen. Ein Gedanke war ihm gekommen. Er umschlich das Haus, kletterte über die geschlossene Gartenpforte, die den Vorgarten vom hinteren Park trennte, und pirschte sich an die Terrasse heran.
Auch hier vollste Beleuchtung. Sogar Musik klang aus dem Kaminzimmer. Das ist doch unmöglich, dachte Peter. Sie muß vor vier Stunden angekommen sein, und schon gibt sie eine Party? Irgend etwas stimmt da nicht im Zeitablauf und in der Logik des Geschehens.
Er schlich auf die Terrasse, blickte ins Zimmer. Es war leer. Nur das Radio spielte. Tanzmusik. Auf dem Tisch vor dem Kamin sah er in einem Sektkühler eine Flasche Sekt stehen und davor zwei Gläser. Eine Gebäckschale. Rosen in einer schlanken Vase. Von Sabine war nichts zu sehen.
Peter drückte die Klinke der Terrassentür hinunter. Sie war nicht verschlossen. Leise trat er ins Zimmer, ging schnell zu den Gläsern, schnupperte an ihnen. Sie waren noch ungebraucht.
Zwei Gläser nachts bei einer sich allein und unbeobachtet dünkenden schönen Frau sind immer ein Verdachtsmoment von großer Durchschlagskraft. Auch in Peter klomm wieder ein häßlicher Gedanke hoch. Die Eifersucht fraß wieder an ihm. Er war zu ängstlich, ins Schlafzimmer zu gehen. Wenn wirklich ein Mann bei Sabine ist? Der Anblick würde mich wahnsinnig machen, dachte er. Eiskalt durchzog es ihn. Daß jemand hier sein mußte, war unwiderruflich. Die Sektflasche war geöffnet! Zwar hatte noch keiner etwas in die Gläser geschüttet, aber man entkorkt nur dann eine Flasche, wenn man sie trinken will. Vielleicht zur Abkühlung, dachte er gehässig und ballte die Fäuste.
Er sah sich um. In der Tür zum Herrenzimmer stand Sabine. Schlank, herrlich, in einem weißen Abendkleid. Um den Hals trug sie das Rubincollier. Es funkelte im Licht, als strahle es selbst Helle aus.
«Du«, sagte Sabine gedehnt.»Sieh an!«
«Ich dachte, du wärst in Borkum«, sagte Peter mühsam. Dabei starrte er unauffällig auf das Collier. Sabine sah den Blick und legte die Hand auf den gleißenden Schmuck.»Welch ein Collier«, sagte er hart.
«Ein Narr hat es mir geschenkt.«»Und du hast diesen Narren am >See des Vergessens< geküßt und ihm deine Zimmernummer genannt.«
Sabine senkte den Kopf. Sie lächelte.»Noch nicht einmal einsteigen konnte er, dieser Depp.«
«Und wenn er es getan hätte?«schrie Peter.
«Dann hätte ich gesagt: Guten Abend, Peterlein. Wie gelenkig bist du geworden.«
Peter rang nach Atem. Er wich zum Radio zurück und hielt sich an ihm fest.»Du, du hast gewußt, wer ich bin?«
Sabine nickte.»Glaubst du, eine Maske könnte dich verbergen? Ich erkenne dich aus Millionen heraus, am Schritt, an deiner Kopfbewegung, an den Händen, am Klang der Stimme, an allem. Ich kenne dich so genau.«
«Sabine!«Peter würgte es im Hals. Er wollte zu ihr stürzen, aber sie hob abwehrend beide Arme. Ihr Gesicht war steinern.
«Aber du hast einen Schmuck wie diesen, der ein Vermögen kostet, einer fremden Frau geschenkt. Einer Frau, die du eine Stunde lang kanntest und die du dir mit diesen Rubinen erobern wolltest!«
Peter nickte. Wie schön sie ist, wenn sie wütend ist. Er hatte es bisher nie bemerkt.
«Es war eine ganz fremde Frau«, sagte er leise.»Sie wohnte im Hotel Majestic in Begleitung eines Herrn Ferro. «Sabine wurde blaß und wollte etwas sagen. Aber Peter hob abwehrend seine Hand.»…hatte sich als Frau Sacher eingetragen und wurde von zwei Männern hinter der Scheibe eines Cafes beobachtet, wie sie auf der Promenade von Nizza spazierenging.«
«Du weißt alles?«fragte Sabine leise.
«Fast alles.«
«Und warum, warum dieses Spiel im Park. Am >See des Verges-sens<, dieser Schmuck?«
«Ab und zu sollen gute Ehemänner ihre Frauen überraschen.«
Er ging zu dem Sektkühler, hob die Flasche aus dem Eis und goß die beiden Gläser voll.
Mit den gefüllten Gläsern in den Händen kam er zu Sabine zurück.
«Warum hast du die Flasche kaltgestellt und zwei Gläser dazugesetzt? Für wen?«
«Für dich«, sagte sie kaum hörbar.
«Für mich?«
«Ich wußte, daß du kommst. Ich habe vorher den Fahrplan studiert.«
Er hielt die beiden Gläser fest. Nirgendwo konnte er sie in der Mitte des Zimmers absetzen.
«Küß mich!«sagte er laut.»Komm sofort her und küß mich, oder ich werfe die Gläser an die Wand!«
«Aber nein! Die guten Tapeten!«sagte sie.
Sie nahm Peters Kopf in beide Hände und küßte ihn. Innig, lange. Er hielt die Sektgläser zur Seite, steif, damit nichts überschwappte.
Wenig später gingen im ganzen Haus und auch draußen die Lichter aus.
Dr. Portz wartete zwei Tage auf den Besuch Peter Sachers. Sooft er anrief, hörte er das Besetztzeichen. Die Leitung muß gestört sein, dachte er. Oder Peter hat Selbstmord begangen vor Gram.
Am dritten Tag machte er sich auf den Weg und fuhr zu Sacher hinaus. Es war ein herrlicher Sonnentag. Warm, wolkenlos. Sogar der Rhein schimmerte blau.
Dr. Portz sah vor dem Haus Peters völlige Öde. Kein Wagen, kein Hausmädchen, kein Gärtner. Nichts. Auch als er an der Außentür des Vorgartens schellte, rührte sich nichts in der Villa.
Er drückte das Tor auf und eilte über den Zufahrtsweg zur Haustür. Genau hatte Dr. Portz alles durchdacht. Er kam mit einem fertigen Schriftsatz: Sacher kontra Sacher wegen Scheidung. Beiderseitiges Verschulden. Eine glatte Sache.
Dr. Portz wollte gerade auf die Klingel drücken, als er ein Schild bemerkte. Es war an die Tür geklebt und mit Rotstift geschrieben.
Bis auf weiteres verreist.<
Unmöglich, dachte Dr. Portz. Ich müßte es wissen.
Er klingelte trotzdem. Dreimal, fünfmal, zehnmal. Er drückte den Daumen einige Minuten lang auf den Knopf. Der schrille Ton im Haus mußte Scheintote wecken.
Aber es blieb still.
Eine unheimliche Ahnung schlich in Dr. Portz empor. Ein Drama entstand vor seinen Augen.»Mein Gott!«murmelte er.»Mein Gott. Das sieht dem Jungen doch nicht ähnlich.«
Mit weichen Beinen schwankte er zum Gartentor. Noch einmal las er das Schild: >Bis auf weiteres verreist.<
Der Park war leer. Nur dort, wo die Terrasse überging in die Rosenbeete, standen zwei Liegestühle unter einem bunten Schirm in der Sonne.
Sabine und Peter lagen in ihnen, und als Dr. Portz sie bemerkte, hatten sie sich gerade umschlungen und küßten sich.
«O Gott!«sagte Dr. Portz noch einmal.
Er klappte seine Aktentasche auf, nahm den Schriftsatz Sacher kontra Sacher wegen Ehescheidung, zerriß ihn in kleine Stücke und streute die Schnipsel in eine leere Regentonne. Dann nahm er einen Bleistift und schrieb unter das Schild
Bis auf weiteres verreist
kurz und knapp:
Viel Glück Dr. Portz und Bornemeyer
Als er wieder abfuhr, wandte Peter Sacher den Kopf und sah dem Wagen nach, der über die Rheinstraße zurück nach Düsseldorf raste.
«Dort fährt Ernst«, sagte er.»Er glaubt auch, daß wir verreist sind.«
Sabine legte den Arm um seinen Kopf.
«Wir sind ja verreist, Peter.«»Und wo sind wir?«
«Im siebenten Himmel unseres siebten Jahres. «Peter Sacher nickte. Er konnte nicht sprechen. Warum nicht, das mag der Leser bitte erraten.