Das Schicksal ist ein Komödiant. Manchmal spielt es Tragödie, aber sein Herz hängt an der Komödie, denn unser kurzes Leben sollte ein fröhliches Spiel sein. Nur so ist es zu ertragen. Wer immer nur das Traurige unseres Daseins sieht, weiß am Ende gar nicht, warum er überhaupt gelebt hat. Sagte Shakespeare nicht:»Der Mittelpunkt des Lebens ist der Narr?«Geben wir ihm recht, nur so verstehen wir vieles, was sonst unverständlich ist.
Peter Sacher verlebte in Paris einige sehr unbeschwerte Tage. Von Sabines Misere hatte er gar keine Ahnung. Dr. Portz hatte nicht geschrieben, also schien alles in Ordnung zu sein.
Peters Tageslauf war gesund und primitiv. Man kann auch sagen: primitiv und deshalb gesund. Morgens schlief er bis weit in den Vormittag hinein, frühstückte dann, ging in der Sonne spazieren, kaufte Gemüse, Fleisch und anderes Eßbares und stellte sich gegen Mittag bei Yvonne ein.
Gemeinsam kochten sie dann das Mittagessen, diskutierten über neue Arbeiten Yvonnes, fuhren am Nachmittag in die Umgebung von Paris, das herrliche Seinetal hinab, auch einmal nach Versailles, aßen außerhalb der Stadt zu Abend, fuhren zurück und gingen brav jeder in sein Bett.
Man kann nicht sagen, daß dies ein durchaus moralischer Lebenslauf ist.
Fünf Tage lang genoß Peter Sacher die Vorzüge Yvonnescher Gastfreundlichkeit. Am Abend des fünften Tages, als er zurück in die Rue de Sevres kam, lag ein Brief unter der Tür. Der Stempel zeigte >Nizza<. Ein Absender war nicht angegeben.
Es war ein Brief von Heinz v. Kletow.
Liebes Peterlein!
Wenn Du das Erwachen Coucous überlebt hast und nicht an dem Zorn, Dich in eine so impertinente Lage versetzt zu sehen, geplatzt bist, wäre
es schön, wenn Du mich in Nizza besuchen würdest. Ich habe hier eine kleine weiße Villa gemietet und dabei entdeckt, daß die Abende ohne Deine Gegenwart einer gewissen demoralisierenden Note entbehren.
Sollte Coucou sich in Dich verliebt haben und Dich in Paris halten wollen, so setze sie einfach vor die Tür. Das ist eine Geste, die zu ihr gehört, wie zu uns ein Schluck Whisky. Ich erwarte Dich also in Nizza am Bahnhof. Komm mit der Bahn und lasse Deinen Wagen — falls Du ihn mithast — in Paris stehen. Mit einem Wagen kannst Du in Nizza wenig anfangen, denn die Winkel, die wir hier durchstöbern, sind nicht mit Autos befahrbar.
Ich bin gespannt auf unser Wiedersehen. Laß mich bloß nicht sitzen!
Dein Heinz.
Peter steckte den Brief in die Tasche und fuhr sofort zu Yvonne. Sie saß noch vor der Staffelei und malte im Licht einiger Scheinwerfer Ecken, Kreise, Winkel und bunte Punkte.
«Mein neues Bild«, sagte sie, ohne sich umzuwenden.»Titel: >Son-nenreigen<.«
Peter warf einen Blick auf die bunt beschmierte Leinwand und setzte sich auf die Couch.
«Immerhin, der Titel ist schön. Mir will nur nicht in den Sinn, wieso geometrische Figuren im Sommer tanzen können.«
Yvonne blickte böse zur Seite. Ihre Augen waren dunkel.
«Das sind Kinder!«
«Kinder?«Er betrachtete die Winkel und Kreise noch einmal.»Ich danke Gott, daß du nicht meine Frau bist, Yvonne.«
«Oh!«Sie sprang auf und warf die Palette auf den Boden.»Warum, mon Cher?«
«Ich würde in der ständigen Angst leben, unsere Kinder müßten so aussehen wie deine Gemälde.«
«Du bist gemein!«
«Ehrlich.«
«Das ist oft dasselbe! Picasso bekam für solche Bilder 500.000 Francs!«Sie warf den Pinsel, den sie noch in der Hand hielt, auf
den Tisch. Ein großer, knallroter Fleck entstand auf der Platte.»500.000 Francs!«wiederholte sie böse.
Peter nickte.»Das ist eines der Rätsel, vor denen auch Philosophen verzweifeln.«
Sie verzog den Mund, es sollte echt wirken, ein Spott für den Kulturbanausen, bedeckte die Staffelei mit einem Nesseltuch und wandte sich dann zu Peter.
«Was willst du?«fragte sie knapp.»Bist du zurückgekommen, um mich zu ärgern?«
«Ich fürchte es fast, Yvonne.«
«Frechheit!«
«Nein, Yvonne, es ist eine große Traurigkeit. «Peter Sacher sah zu Boden. Das Mondlicht, das über die Dächer von Montmartre glitt und durch die große Glaswand fiel, verwandelte den Staub auf den Dielen zu Silberflocken. Yvonne hatte die Scheinwerfer ausgeknipst, nur das Mondlicht erhellte fahl das Atelier.
Yvonne lehnte sich an die Staffelei. Ihr Mund zuckte, aber es war so dunkel, daß Peter es nicht sah.
«Du willst weggehen«, sagte sie leise.
«Ich muß morgen früh Paris verlassen.«
«Für immer verlassen? Mich verlassen.«
«Nicht dich. Paris!«
«Das ist doch dasselbe.«
«Nein. Ich verlasse eine Stadt. Aber ich lasse mein Herz bei dir zurück.«
«Wie du lügen kannst.«
«Yvonne!«
Er sprang auf, aber die Hand Yvonnes, die aus der Dunkelheit abwehrend ihm entgegenfuhr, hielt ihn zurück.
«Warum lügt ihr Männer alle, wenn ihr weggeht? Warum 'abt ihr nicht den Mut, zu sagen: Es geht nicht mehr! Ich gehe zu meiner Frau zurück, oder ich 'abe dich satt, oder du langweilst mich, oder ich 'abe eine andere Geliebte. Es gibt doch so viele Gründe und Worte, die einer Frau so weh tun, daß man aus Trotz sagt: Nun geh doch schon! Ich 'abe dich auch über! Man geht am besten auseinander, wenn man sich abtötet. Eine Lüge ist so billig, und es ist schrecklich für eine Frau, wenn sie die Lüge glaubt.«
«Du weißt, was diese fünf Tage für mich bedeutet haben«, sagte Peter Sacher rauh. Die Worte Yvonnes brannten in seiner Seele.
«Warum bist du nicht einfach gefahren?«Yvonne blieb im Schatten ihrer Staffelei. Ihr Gesicht war leer.»Einfach verschwinden, das ist doch so bequem. Wie viele Männer, die Paris genossen 'aben, sind plötzlich verschwunden? Wenn ich dann in die Rue de Sevres gekommen wäre, um zu sehen, ob du vielleicht krank geworden bist, hätte mir der Concierge gesagt: >Monsieur Pierre? Der ist weg! Ja, schon seit drei Tagen. Wohin? Nach Deutschland natürliche Dann 'ätte ich vielleicht geweint, wie viele Mädchen in Paris, eine ganze Nacht 'indurch, vielleicht auch nur eine Stunde, und wenn dann der Morgen wieder über die Dächer von Montmartre geglitten wäre und die Kuppel der Sacre-Creur hätte in der Morgensonne geleuchtet, 'ätte ich gesagt: C'est la vie! Und ich 'ätte dich vergessen, wie so viele Mädchen in Paris einen Mann vergessen müssen, der am Morgen gegangen ist und nicht mehr wiederkommt. Ich 'ätte nur eine Erinnerung be'alten, ganz schwach. Aber es wäre ein Schnitt gewesen, der alles ablöst. Jetzt ist es ein Abschied geworden. Weißt du, wie schrecklich ein Abschied ist? Man sieht immer wieder die Augen beim letzten Kuß, von dem man weiß, daß er der letzte ist. Man 'ört immer wieder die Worte, die trösten sollen und keinen Trost 'aben, weil sie lügen. Man 'at immer das >andere< in sich und kann es nicht abschütteln. Ein Abschied ist wie ein langsamer Mord.«
Peter Sacher erhob sich von der Couch. Langsam ging er zur Tür. Erst, als er die Klinke schon heruntergedrückt hatte, sah er noch einmal zurück. Yvonne stand im milchigen Mondlicht. In ihren Augen lag maßlose Traurigkeit.
«Ich bin mit einem Irrtum nach Paris gefahren, Yvonne«, sagte Peter Sacher leise.»Ich habe geglaubt, man könne sechs Wochen Eheferien absitzen wie der Buchhalter Schmidt sein Büroschläfchen. Es war eine Dummheit. Ein Dichter sagte einmal: >Es gibt keine Er-holung von der Moral.< Ebensowenig gibt es eine Erholung von der Ehe. Es gibt nur ein Wegfahren für immer, oder ein Bleiben. Liebe kennt keine Kompromisse, die von Dauer sind. Sie will bedingungslos sein.«
«Warum wirst du sentimental, wenn du die Klinke der Tür schon in der 'and 'ast?«Yvonnes Kopf sank nieder.»Wir Frauen vom Montmartre 'aben die Resignation gelernt. Wir brauchen keine Erklärungen. Wir verstehen immer.«
«Yvonne!«
«Geh! Bitte, geh.«
Sie ergriff einen Pinsel, knipste die starken Scheinwerfer wieder an und malte grelle Farben auf das Bild.
«Nicht so, Yvonne. Es war eine schöne Zeit in Paris. Wir haben uns gut benommen. Es wird uns zwar keiner glauben, und jeder wird sagen: Dieser Peter Sacher ist ein Idiot, ein Übermensch, ein anormaler Träumer, aber.«
«Aber! Aber!«Yvonne fuhr nervös mit dem Pinsel über die Leinwand.»Was ist dieses Aber?! Ich liebe dich, mein Gott, 'ast du das nie gemerkt?! Ich 'abe Papillon auf dich gehetzt, aus einer Laune 'eraus, um ein Erlebnis zu 'aben. Aber jetzt liebe ich dich.«
Sie sah, daß Peter ins Zimmer zurückkam und streckte ihm wie eine Waffe den tropfenden Pinsel entgegen:»Nein! Bleib stehen! Geh! Du siehst doch: Ich löse die Welt in Quadrate, Kreise und Rechtecke auf. Ich analysiere sie, wie meine Gefühle! Und was bleibt übrig? Nichts! Gar nichts! Geh!«
«Du bist ungerecht, Yvonne. «Er nahm ihr den Pinsel aus der Hand. Sie ließ es geschehen, ihre Finger waren schlaff, als seien sie Glieder einer Stoffpuppe.»Du weißt, daß ich eine Frau habe.«
«Warum bist du dann 'ier?«schrie sie wild.
«Ich habe es dir erzählt. Wir lebten uns auseinander, seit Jahren verstehen wir uns nicht mehr, ich habe Erfolg im Leben gehabt, ich habe geschuftet. Ich habe eigentlich alles nur für meine Frau getan. Und jetzt wird mir gesagt: >Du hast meine Seele getötet. Du bist eine lebende Rechenmaschine.< Es ist eine Kluft aufgerissen, und ich weiß nicht, woher sie kommt. Darum haben wir uns getrennt, um zu sehen, ob wir uns brauchen.«
«Und du liebst deine Frau?«
«Ja.«
«Warum gehst du nicht zu ihr?«
«Soll ich mich auslachen lassen? Soll ich zu Kreuze kriechen?! Ich habe ein sorgloses, reiches Leben geschaffen und soll mich beschimpfen lassen und Reue zeigen? Reue worüber? Daß ich erfolgreich bin?«
«Der 'err der Welt! Der Mann, der Mittelpunkt der Erde! Wir Frauen 'aben eine Seele, mein Freund! Du 'ast, wie sagt man bei euch, durch dein Wirtschaftswunder das 'erz deiner Frau zerstört. Sie ist allein geblieben. Sie ist einsam. Sie friert in der Pracht, die du geschaffen hast! Denn du fehlst ihr, du!«
«Ich bin immer bei ihr! Jeden Tag!«
«Ja! Ja! Als angezogener, schwatzender Körper! Aber ist deine Seele bei ihr? Verstehst du, daß sie allein ist, auch wenn du da bist?«
«Nein. Ich liebe sie, und sie hat alles, was sie sich wünscht. Eine Villa, Kleider, Pelze, Schmuck.«
«Sie würde alles, alles wegwerfen, wenn sie dich wieder hätte!«Yvonne strich sich über die Haare.»Ich kann sie so gut verstehen«, sagte sie leise und wandte sich ab.»Und nun geh endlich, Pierre!«
Peter Sacher nickte.»Gut. Ich gehe. Ich sehe, daß alle Frauen mich wegstoßen.«
«Weil du sie nicht verstehst. Würdest du sie verstehen, wie könntest du gehen.«
«Yvonne!«Er ergriff ihren Arm und riß sie an sich.
«Geh!«schrie sie.»Geh!«Mit beiden Fäusten trommelte sie gegen seine Brust.»Du 'ast eine Frau! Eine Frau! Eine Frau!«
«Ich habe nichts mehr!«sagte Peter dumpf.»Ich bin wie ausgehöhlt. Was morgen ist, ob ich Sabine liebe, ob sie mich liebt, ob du mich liebst, ich weiß gar nichts mehr. Ich bin wie ausgesetzt, ich kenne mich in mir selbst nicht mehr aus.«
Er hielt ihre trommelnden Fäuste fest und zog ihren Kopf zu sich.
Sie wandte ihn ab, aber er drehte ihn zu sich hin und küßte leidenschaftlich ihre fest zusammengepreßten Lippen.
«Yvonne, es geht über meine Kraft«, sagte er leise.
Sie lächelte mit geschlossenen Augen und schob die Arme um seinen Hals.
«Es würde auch niemand verstehen, wenn du jetzt gingst«, flüsterte sie.
Mit dem linken Arm tastete sie zur Seite und löschte das Licht.
Sabine wußte nicht, wie lange sie geschlafen hatte. Ihre Erinnerung setzte da aus, wo sie das Gesicht eines älteren Herrn sah, der zu ihr sagte, er sei ein Arzt. Er hatte ihr väterlich-gütig zugesprochen, dann hatte sie einen kleinen Stich in der Armbeuge gespürt, und von da ab kam ein Dämmern über sie, das überfloß in einen herrlichen Traum.
Zwei fröhliche Menschen tollten am Meer. Sie warfen sich jauchzend in die schäumenden Wellen, ihre braunen Körper glänzten in der Sonne. Es war ein herrlicher Traum, denn beide glücklichen Menschen waren Peter und Sabine.
Geweckt wurde Sabine durch ein eintöniges Schaukeln und das Klatschen von Wasser gegen eine Wand. Als sie die Augen aufschlug, nahm sie erst nur ein fremdes Zimmer wahr. Die Erinnerung kam langsam zurück, aber dann, als sie ihre Umgebung erkannte, sprang sie mit einem spitzen Schrei auf.
Eine Kajüte, ein auf hoher See fahrendes Schiff, Nacht!
«Hilfe!«schrie sie.»Hilfe!«
Ferro-Bornemeyer, der unter dem Bullauge eingenickt war, schoß empor. Er erreichte Sabine gerade noch, bevor sie die Tür der Kajüte aufgerissen hatte, und hielt sie zurück.
«Favorita!«rief er.
Sabine wirbelte herum.»Ha!«schrie sie.»Wo sind wir? Was soll das? Sind Sie total verrückt geworden?«
Ferro führte sie zu einem Sessel zurück und drückte sie hinein.
«Es ist gar nichts passiert«, sagte er beruhigend.»Bitte, schreien Sie nicht, Madonna. Ich habe Sie bloß entführt.«
«Was, was haben Sie?«stammelte Sabine.»Sind Sie völlig übergeschnappt?«
«Wir mußten an diesem Abend noch die Insel verlassen! Ich mußte fort nach Nizza! Aber ohne Sie, Favorita! Nie! Sie schliefen so fest nach der Injektion, da habe ich Sie, wie einst Cleopatra, in eine Decke gehüllt aus dem Hotel und aufs Schiff geschmuggelt. «Er griff in die Tasche und holte zwei Fahrkarten heraus.»Es ist für alles gesorgt, auch für den eingetretenen Fall, daß Sie vorzeitig aufwachen.«
«Sie Wahnsinniger!«Sabine begrub das Gesicht in beide Hände. Dann sprang sie wieder auf und rannte in der kleinen Kajüte hin und her.»Das gibt einen Skandal! Oh, welch einen Skandal gibt das! Ich bin doch verheiratet! Was soll man in Borkum von mir denken? Wenn mein Mann das erfährt! Oh, Gott!«
«Er wird es nie erfahren! Er ist in Paris, wie Sie sagen, wir fahren nach Nizza! In Nizza wird alles anders sein. Dort treffen wir keinen Bekannten. Dort sind wir ganz allein, mit uns und unserer Liebe.«
«Liebe?«Sabine fuhr sich durch die zerwühlten Haare.»Was bilden Sie sich eigentlich ein, Herr Ferro? Ich liebe meinen Mann!«
«Du hast ihn verlassen — oder nicht?«
«Wir machen Ferien. Getrennte Ferien, weiter nichts!«
«Du hast gesagt, daß eure Ehe auseinanderbricht!«
«Das habe ich geglaubt. Mein Gott, von dem Augenblick an, in dem ich allein war, habe ich ihn vermißt. Überall fehlt er mir! Ich wollte, er wäre jetzt hier.«
«Ich bin doch da.«
«Sie? Ja, Sie sind da! Sie Irrer! Sie waren bis jetzt ein lieber, guter Freund. Ein Ferienabenteuer, weiter nichts. Gut, wir haben uns geküßt! An einem Kuß stirbt man nicht, auch unsere Ehe nicht! Ich habe mir nichts dabei gedacht, ich wollte fröhlich sein, weiter nichts. «Sie wich zurück, weil Ferro auf sie zukam.»Bleiben Sie stehen!«sagte sie scharf.»Ich weiß, es hat keinen Sinn, jetzt zu schreien und einen neuen Skandal heraufzubeschwören. Ob ich mit nach Nizza fahre, wird sich zeigen, zuerst werden wir ja in Emden ankommen.«
«Ich habe alle Fahrkarten für uns.«
«Die kann man zurückgeben!«Sabine setzte sich. Ihre Beine wurden plötzlich weich. Peter, dachte sie. Wenn er jemals erfährt, was hier vorgefallen ist. Es war ein Gedanke, der nicht weitergedacht werden durfte. Er war zu schrecklich.»Wie wollen Sie meinem Mann erklären, daß Sie mich entführt haben?«
«Ich bin wahnsinnig in Sie verliebt, Madonna.«
«Schrecklich, schrecklich! Sie erreichen genau das, was ich verhindern wollte: Sie zerstören meine Ehe.«
«Da ist nichts mehr zu zerstören«, sagte Ferro-Bornemeyer frech.»Ein Doppelzimmer mit einem Mann, die spanische Wand ist dabei unwichtig, unsere Küsse unter Zeugen, das alles reicht schon für eine Scheidung! Und im übrigen reden Sie sich jetzt nur ein, daß Sie Ihren Mann noch lieben.«
«Nein! Es stimmt, daß wir uns wenig zu sagen hatten. Ich war eifersüchtig, auf seinen Beruf, weil er keine Zeit für mich übrig ließ, auf seine Erfolge, weil sie ihn mir entfremdeten, auf seine Reisen, weil ich vor Eifersucht platzte. Wenn er dann zurückkam, wenn er im Bett lag und schlief, bin ich wieder aufgestanden und habe seine Taschen kontrolliert. Ich habe Hotelrechnungen gesucht, Kellnerbelege, Adressen und Telefonnummern von Frauen. Ich habe an seinem Anzug herumgeschnuppert wie ein Hund, ob nicht ein fremdes Parfüm an ihm klebte. Ich habe neben ihm gelegen und sein Gesicht angesehen: Was denkst du jetzt, habe ich gegrübelt. Was geht hinter dieser Stirn vor? Welche anderen Lippen hat dieser Mund geküßt? Welche Geheimnisse liegen hinter diesen Haaren? Vergangen bin ich vor Eifersucht. Und am Morgen war ich einsilbig, knurrig, böse, aber ich war zu stolz, ihm zu sagen, warum ich so war. Einmal habe ich es getan, da hat er mich schallend ausgelacht und mich ein Schaf genannt. Von da ab habe ich alles in mich hineingefressen, um nicht wieder ausgelacht zu werden. Ich habe alles, alles falsch gemacht! Und jetzt sind Sie Wahnsinniger da und entführen mich auch noch!«
«Ich würde dich auf Händen tragen, wenn du meine Frau wärst«, sagte Ferro kühn. Wie er das machen wollte, darüber dachte er nicht nach. Das Gehalt eines kleinen Assessors ist nicht in der Lage, eine Frau wie Sabine Sacher zu verwöhnen.»Ich werde zu deinem Mann fahren.«
«Nichts werden Sie! Ich werde versuchen, ihm alles zu erklären. Ich werde reumütig nach Düsseldorf zurückkehren und nichts mehr sagen, gar nichts, wenn ich wieder nur ein Einrichtungsgegenstand seiner Villa bin, ein lebendes Inventar, ein Prellbock seiner Launen und nach außen hin ein Renommierpüppchen seines Wirtschaftswunders. «Sie fuhr zu Ferro herum, der wie geschlagen neben der Tür stand.»Ich liebe meinen Mann! Und von Emden aus fahre ich zurück nach Düsseldorf!«
Ferro-Bornemeyer nickte.»Dort werden Sie fünfWochen ganz allein sein. Denn Ihr Mann vergnügt sich sechs Wochen lang in Paris! Er wird keine Stunde davon abziehen, oder glauben Sie das?«
«Wenn ich ihm schreibe: Peter, komm.«
«Machen Sie den Versuch!«
Sabine Sacher wandte sich ab. Würde Peter kommen, wenn sie ihm schrieb? Sie wußte es nicht. Vielleicht lachte er wieder und schrieb zurück: Unsere sechs Wochen wollen wir durchstehen! Du hast es so gewollt! Wieder überfiel sie die Ungewißheit und die Angst vor der Scham, von ihm ausgelacht zu werden. Wie wenig kennt man seinen Mann, dachte sie.
«Ich werde es tun«, sagte sie. Sie wußte, daß sie ihm nicht schreiben würde. Er ist ein Dickkopf. Ich kann es auch sein. Wenn man nur einmal sehen würde, daß ihm alles leid tut. Es wäre ja alles so einfach und herrlich.
Was Ferro-Bornemeyer nie geglaubt hatte, geschah in Emden.
Sabine erklärte sich bereit, mit nach Nizza zu fahren.
«Aber zwischen uns ist eine Distanz wie unter guten Freunden!«stellte sie fest.»Wir vergessen, daß wir uns jemals geküßt haben! Ich fahre nur deshalb nach Nizza, um meinen Mann von Paris nachkommen zu lassen!«
«Natürlich!«
Bornemeyer war bereit, alles zu akzeptieren. Die Gegenwart Sabines allein genügte ihm, dazu Nizza, das Mittelmeer, die Palmen und die Illusion, reich zu sein.
Der kleine Mann Bornemeyer erlebte ein Märchen, das ein anderer bezahlte. Und er war bereit, für dieses kurze Märchen alles zu opfern und alle Konsequenzen zu tragen.
Im Gare d'Orleans stauten sich die Menschen vor den Fahrkartenschaltern. Zeitungsjungen riefen die Morgenblätter aus. Irgendwo hatte ein Politiker gesagt, die Lage sei noch nie so ernst gewesen. Die zu den Zügen hastenden Menschen hörten kaum hin. Es vergeht keine Woche, in der ein Politiker nicht so etwas sagt. Vielleicht gehört es zur Berechtigung ihrer Gehälter, so etwas zu sagen. Wer weiß es?
Auf einer Bank des Bahnsteigs 1 saß Peter Sacher und wartete auf seinen Zug nach dem Süden. Nach Nizza.
Er kam sich schlecht vor, und er hatte allen Grund, einen seelischen Kater mit sich herumzuführen.
Als er am Morgen das Haus Rue Championnet 25 verließ, hatte er nur einen Gedanken gehabt: Sofort zurück nach Düsseldorf!Er hatte Yvonne verlassen, so, wie sie es wollte. Während sie schlief, hatte er sich weggeschlichen, war in die Rue de Sevres gefahren, hatte seinen Koffer gepackt und war hinausgefahren zum Gare d'Or-leans.
Aber er kam nicht weit. Schon zwei Straßen von der Rue de Sevres entfernt stieß er mit einem Milchwagen zusammen, weil er von Sabine träumte.
Drei Stunden dauerte das Polizeiverhör, das Abschleppen in die Werkstatt, dann endlich fuhr er mit einer Taxe zum Bahnhof, etwas verstört, nun auch noch ohne Wagen, denn die Reparatur, ein neuer Kühler samt zwei Kotflügeln, würde mindestens vier Wochen dauern.
Peter Sacher war in diesem Augenblick alles gleichgültig. Er kam sich von Kopf bis Fuß elend vor.
Das Erlebnis mit Yvonne bedrückte ihn. So oft er sich auch sagte, daß es hunderttausend Ehemänner gibt, die mit weniger oder gar keinen Skrupeln ihre Frauen betrügen — für sich nahm er diese billige Entschuldigung nicht an.
Er hatte in den vergangenen Tagen in seltener Klarheit erkannt, daß ihm trotz Paris, trotz Coucou, trotz Yvonne Sandou seine Frau Sabine fehlte. Überall. Beim Morgenkaffee schon fing es an. Niemand war da, der sich aufregte, weil er die Zeitung las, und der zu ihm sagte: >Morgens liest du, am Tage bist du weg, am Abend liest du oder siehst fern, im Bett liest du, bis dir die Augen zufallen und dann schnarchst du! Ist das eine Ehe?< Es war überhaupt niemand da, der ihn ansprach. Es war schrecklich.
Das Mittagessen ging reibungslos vonstatten. Yvonne kochte, und man aß pünktlich um 12 V2 Uhr. In Düsseldorf war das anders. Da rief er aus seinem Büro an: >Du, ich komme heute erst um 2 Uhr.< Sabine rief dann wütend: >Ich habe heute Reibekuchen gemacht! Die kann ich nicht warm halten!< >Gut<, sagte er dann. >Ich komme pünktlich!< Und er kam weder um 2 Uhr noch um 2 V2 Uhr, es wurde 3 Uhr. Sabine saß wortlos im Sessel und stopfte, und er ging in die Küche und sah einen Berg kalter Reibekuchen. >Saue-rei!< hatte er dann gebrüllt und war in eine Wirtschaft essen gegangen. Kam er abends nach Hause, hatte Sabine rotgeweinte Augen, sprach immer noch nicht mit ihm, ging ins Bett, weil er wieder am Fernsehapparat hockte. Das alles war hier nicht. Hier verlief der Tag reibungslos, unpersönlich.
Ihm fehlte Sabine, wo er hinsah und was er tat.
Hatte er deshalb Yvonnes Nähe gesucht, um die Gedanken und seine Einsamkeit zu betäuben? Wenn er sich ehrlich darauf eine Antwort gab, mußte sie nein lauten. Er war einfach nicht stark genug gewesen, Yvonne auszuweichen. Er war ihr erlegen. Er war kein Über-mensch gewesen, und niemand konnte es auch von ihm verlangen. Trotzdem aber kam er sich Sabine gegenüber schäbig vor. Sie hatte es nicht verdient, hintergangen zu werden. In diesen Tagen hatte er es erkannt! Er brauchte sie. Er liebte sie. Sonst wäre er auch nie auf den verrückten Gedanken gekommen, Sabine aus einer unerhörten Eifersucht heraus beobachten zu lassen.
Das war der Augenblick, in dem Peter Sacher vom Gare d'Orle-ans wegfahren wollte, um am Gare du Nord in den Zug nach Düsseldorf zu steigen. Aber schon auf dem Wege zum Taxenstand überlegte er.
Bis heute hatte Sabine nicht aus Borkum geschrieben. Dr. Portz würde es berichtet haben. In Borkum bewohnte sie ein Doppelzimmer! Sie war eine schöne, lebenslustige Frau, die bestimmt nicht allein in einer Ecke saß und voll Heimweh an Düsseldorf dachte. Wenn es ihr Ernst mit einem Zurückfinden in der Ehe gewesen wäre, hätte sie längst geschrieben: Peter, komm zurück. Wir waren ja verrückt! Wir benehmen uns wie Kinder, nicht wie erwachsene, reife Menschen. Sie hatte überhaupt nichts geschrieben. Also ging es ihr gut! Sie amüsierte sich. Es brauchte nicht so weit zu gehen wie zwischen ihm und Yvonne, aber.
Bei diesem >aber< wurde Peter Sacher blaß vor Eifersucht. Es verletzt die männliche Würde, in einem Ehekonflikt als erster beizugeben. Männer werden immer wie trotzige, kleine Jungen, wenn sie keinen Ausweg mehr wissen. Peter Sacher machte da keine Ausnahme.
Er ging an dem Taxenstand vorbei, stand an der Straßenecke und kam sich in der Riesenstadt verloren vor. Zunächst fahre ich nach Nizza, dachte er. Das ist klar. Und wenn ich zurückkomme nach Düsseldorf, werde ich ja sehen, was aus Sabine in diesen sechs Wochen geworden ist. Wenn sie mir nur ein klein wenig entgegenkommt, nur ein ganz klein wenig, wird es werden wie in den Flitterwochen. Verdammt, das schwöre ich! Ein Leben ohne Sabine ist doch Unsinn. Wir gehören einfach zusammen.
Er rief doch eine Taxe heran und ließ sich über die Seine zum Boulevard Haussmann fahren. Was schon viele Ehemänner vor ihm getan hatten, tat auch Peter Sacher: Er suchte für Sabine ein Geschenk aus. Auch das ist eine merkwürdige Ansicht der Ehemänner: Mit einem Geschenk an die eigene Frau besänftigen sie ihre Reue. Seht, wie lieb ich zu ihr bin, denken sie dann. Was ich ihr alles mitbringe, das da aus Paris oder Hamburg oder Köln, na ja, das Leben ist manchmal wie Glatteis, und man rutscht aus. Und das Geschenk wäscht einen seelisch rein. Je größer, um so gründlicher. Denken die Ehemänner.
Peter Sacher ging über den Boulevard Haussmann und sah sich die Schaufensterauslagen an. Vor einem Juwelierladen blieb er stehen und starrte fasziniert auf ein Collier aus Gold und blutroten Rubinen. Es lag auf einer schwarzen Samtpuppe und funkelte. Wie untergehende Sonnen leuchteten die Rubine. Der Preis, in diskret kleinen Ziffern, war wahnsinnig.
Schon immer hatte sich Sabine ein Collier gewünscht, dachte Peter Sacher. Zwar nicht solch ein wertvolles, aber wenn sie ihr Abendkleid trug, fehlte wirklich etwas um ihren weißen, schönen Hals.
Lange stand er vor dem Schaufenster. Ihm gegenüber, hinter der seidenen Gardine, die die Fenster vom Laden trennte, stand der Juwelier und beobachtete ihn. Er schätzte ihn ab, kein Franzose, das war sicher. Auch kein Engländer oder Amerikaner. Vielleicht ein Schwede, ein Schweizer, ein Holländer, schlimmstenfalls ein Deutscher. Man würde auf Barzahlung bestehen müssen.
Ein Mann, der seine Frau betrogen hat, obgleich er sie liebt, ist für weitere Torheiten prädestiniert. Das muß irgendwie mit einem seelischen Schock zusammenhängen. Hier hätten die Psychologen noch ein reiches Forschungsgebiet! Peter Sacher folgte jedenfalls dem uralten Drang der Wiedergutmachung und betrat den Laden. Vorher hatte er seine Reisekasse durchgerechnet. Ihm blieb noch so viel, daß er nach Nizza fahren konnte.
Der Kauf war schnell getätigt. Die Barzahlung verscheuchte alle unangenehmen Gedanken des Juweliers. Er packte das Collier in einen roten Samtkasten, verschnürte und versiegelte das Paket im Beisein Peters, zählte dreimal die Geldscheine, sah, daß es keine Fäl-schungen waren, und geleitete Peter zufrieden bis vor die Tür.
Etwas benommen stieg Peter Sacher wieder in eine Taxe und ließ sich zurück zum Gare d'Orleans fahren. Auf den Knien lag ein Vermögen. Für Sabine, die er mit Yvonne, für seine Frau, die er wegen eines dummen Experimentes, obgleich er sie liebte, sechs Wochen lang. Er wischte sich über das Gesicht. Wie idiotisch wir uns benehmen, dachte er zum ungezählten Male. Wenn ich wüßte, daß Sabine mich nicht für einen Schwächling hält, würde ich zu ihr nach Borkum fahren, statt nach Nizza. Ich würde sie in die Arme nehmen und — Aber ebensogut kann sie mich ansehen, als sei sie tief beleidigt, und fragen:»Was machst du denn hier? Nicht einmal in den Ferien hat man Ruhe vor dir! Übrigens, in der Halle des Hotels steht ein Fernsehgerät. Heute abend gibt's eine Revue. Viel Vergnügen.«
Mit einem Rubincollier in der Tasche und wahnsinniger Sehnsucht nach Sabine fuhr Peter Sacher nach Nizza.
Durch seinen Juwelenkauf hatte er den Frühzug verpaßt. Der Mittagszug war von der Sonne ausgeglüht. Peter zog seine Jacke aus, krempelte die Hemdsärmel hoch und las in einigen Buntprospekten der Riviera, bis der Zug anruckte und aus dem Backofen der Bahnhofshalle rauschte.
Die herrliche Provence erlebte er im Abendrot. Die Weingärten sahen aus, als habe man sie mit Rotwein übergossen. In Avignon wurde der Zug auf ein totes Gleis geschoben und blieb die Nacht über stehen.
Peter kaufte von einem Bahnhofshändler einige Kekse, Käse und eine kleine Flasche Wein, aß dies als Abendmahlzeit und zog dann die Sitze heraus, um zu schlafen.
Mit dem rechten Arm als Kopfkissen schlief er ein. Unter seinem Kopf lag die Aktentasche mit dem Rubinschmuck. Vorher hatte er die Abteiltür verriegelt und das Fenster kontrolliert. Es konnte von außen nicht geöffnet werden.
Er träumte schrecklich. Sabine, im Traum, nahm das Collier, wog es in der Hand und sagte:»Du Schuft! Um mir das zu schenken, mußt du mich tausendmal betrogen haben!«und warf es ihm an den Kopf.
Schweißgebadet wachte er auf. Der Zug fuhr durch das morgenhelle Südfrankreich, der Küste des Mittelmeeres entgegen. Zerschlagen ruckte Peter das Fenster hinunter und steckte den brummenden Schädel in die kalte Morgenluft. Der Zugwind blies ihm ins Gesicht, riß an seinen Haaren. Die ersten Pinien und Zypressen tauchten auf. Ab und zu schon eine Palme, windzerzaust. Ein Dichter würde sagen: Er roch schon das Meer.
Durch Tunnel und Felsen ratterte der Zug. Peter wusch sich auf dem Zug-WC, rasierte sich elektrisch, ließ sich ein Kännchen Kaffee bringen und starrte hinaus auf die schon subtropisch werdende Landschaft.
Dunst hing über den Weingärten und Felsendörfern. Plötzlich, als ob man einen Schleier wegzieht, zerriß der Dunst, und in strahlendster Sonne lag wie eine blaue, riesige Scheibe das Mittelmeer vor seinen Augen. Ein Zypressenwald wiegte sich im Meerwind. Weiße Villen klebten wie bizarre Vogelnester an den Felsen, zu deren Füßen die See emporschäumte. Auf dem unwahrscheinlichen Blau des Wassers schwebten die weißen Segel der Boote oder schaukelten die Jachten, mit bunten Fahnen und Girlanden umkränzt.
Dann sah er Nizza. Eine weiße Stadt an einem goldenen Strand, so schien es. Hotels mit Riesenterrassen reihten sich wie Perlen an der weißen Schnur der Uferpromenade. Palmen wogten im Wind, Luxusautos glitten langsam über das in der Sonne flimmernde Pflaster.
Langsam, als stocke er vor soviel Schönheit auf einem kleinen Fleck Erde, fuhr der Zug in die Glashalle des Bahnhofes ein. Ein Heer von Gepäckträgern und Hotelboys bevölkerte den Bahnsteig und belagerte die Ausgänge.
Auf einer weißen Bank saß ein langer, schmaler, englisch wirkender Herr in einem weißen Tennisanzug, rauchte eine lange, gebogene Virginiazigarre, hatte ein hochmütiges, schon snobistisches Gesicht, trug seine Tennisschuhe an nackten Füßen und hatte die Hosen so
hochgezogen, daß jeder sah: Er trägt keine Strümpfe.
Heinz v. Kletow.
Peter sah ihn schon von weitem, als der Zug langsam in die Halle rollte. Man konnte ihn nicht übersehen. Er fiel auf, und er lebte davon. So war es schon vor drei Jahren gewesen, als Heinz v. Kle-tow zum letztenmal mit Peter Sacher zusammen war. Was Frankreich und vor allem Paris in diesen drei Jahren aus Heinz gemacht hatten, war im Augenblick noch nicht zu übersehen. Eines war aber sicher: Geändert hatte er sich nicht.
Wenn Männer nach langen Jahren sich wiedertreffen, brüllen und schreien sie sich an, als wollten sie sich an den Kragen. Sie hauen sich auf die Schulter, schlagen sich den Hut vom Kopf, boxen sich in die Rippen, benehmen sich wie ausgebrochene Irre und lassen im Umkreis von hundert Metern alle wissen, wie herrlich es ist, den Fritz oder Franz oder Willi endlich wiederzusehen.
Es ist, als seien sie allein auf der Welt. Die staunenden Mitmenschen erfahren, daß sie gut verdienen, daß es ihnen blendend geht, daß man eine süße Frau habe, oder eine verdammt feurige Geliebte, und daß die siebte gerade dabei sei, einen Tee zum Empfang zu kochen.
Dann faßt man sich unter, entschuldigt sich nicht, wenn man andere anrempelt, weil man es gar nicht merkt, rennt aus der Bahnhofshalle und brüllt sich weiter an. Was man in Jahren erlebte, teilt man in fünf Minuten mit. Selbst auf anwesende Jugendliche nimmt man keine Rücksicht.
Das alles gehört, ein Geheimnis, warum, zu einer echten männlichen Begrüßung.
Heinz v. Kletow verfeinerte die Begrüßung nach dem ersten Sturm durch eine kleine Schau. Er stellte Peter Sacher mitten auf den Bahnhofsvorplatz und zeigte mit großer Gebärde um sich.
«Weißt du, was das ist?«
«Nizza, du Idiot!«
Der Umgangston zwischen Freunden bedarf noch einer gründlichen moraltheoretischen und sprachwissenschaftlichen Untersuchung.
Er gehört zu den ungelösten Phänomenen.
«Nein!«Heinz v. Kletow stand wie eine Säule.»Mein Untergang!«
Peter Sacher winkte ab und lachte.»Heinz, mach dir keine Illusionen! Ich bin völlig abgebrannt!«
«Geld!«Kletow zeigte ein verächtliches Gesicht. So muß er aussehen, dachte Peter, wenn Frauen zu ihm von Liebe sprechen.»Wer spricht vom Mammon? Wer wird beim Anblick der Palmen, des weißen Strandes und des braungebrannten Mädchenfleisches so prosaisch sein? Nein! Nizza bedeutet für mich den Untergang meiner Moral!«
«Oh!«Peter Sacher lockerte den Schlipsknoten.»Es kann sich da höchstens um ein Wrack handeln, das endlich untergeht. «Er stieß Heinz in die Seite.»Nun los, quatsch nicht so kariert. Wo ist dein Wagen? Wo liegt deine weiße Villa?«
«Sofort!«Heinz streckte den Arm aus und zeigte auf einen Felsen, der an der Autostraße fast unmittelbar in das tintenblaue Meer abfiel. Um seinen Fuß tummelten sich Segler und Jachten.»Siehst du das steinerne Wunder, Freund?«
«Den Klotz? Allerdings.«
«Und auf ihm das bescheidene Häuschen?«
Peter Sacher sah Heinz von der Seite an. Was soll's, dachte er.
«Ein Märchenpalast«, sagte er.
Heinz v. Kletow zog Peter ein Stück des Weges fort und blieb dann wieder stehen. Wie im Anblick des herrlichen weißen Hauses versunken, starrte er zu dem jetzt nahen Felsen hinüber.
«Das Ganze ist eine äußerst solide und lebensnahe Geschichte«, meinte er.»Es gehört einem Grafen Fiorini.«
«Die Geschichte?«
«Das Haus, du Depp!«
«Graf Fiorini? Kein Begriff.«
«Mir auch nicht. Ich habe ihn nie gesehen. Der Graf ist dauernd auf Reisen. Um sein Haus nicht verkommen zu lassen, hat er einen Verwalter eingesetzt. Dieser Verwalter hat eine dicke, häßliche Frau, kannst du mir folgen?«»Schwer. Ich verstehe noch gar nichts. Häßliche, dicke Frauen waren nie mein Typ!«
«Dieser Verwalter ist immer genau über die Reiseroute seines Herrn orientiert, weil er ihm die Post nachschicken muß. So hat er Gelegenheit, sich eine dicke Nebeneinnahme zu verschaffen: Er vermietet das Haus!«
«Gauner!«
«Der Mietpreis ist nicht sehr hoch. Dafür bekommen das Haus aber auch nur Eingeweihte. Grundbedingung ist Verschwiegenheit.«
Peter Sacher betrachtete seinen Freund kritisch. Irgend etwas stimmte hier nicht. Mit solch langen Vorreden hatte sich Heinz v. Kle-tow nie aufgehalten.
«Was soll das?«fragte er.»Wozu erzählst du hier die traurige Moritat vom Grafen Fiorini und seinem dickbeweibten Verwalter?«
«Ich habe das Haus gemietet!«
«Du? Bist du wahnsinnig?«
Peter Sacher sah noch einmal hinüber zu dem von der Brandung umspülten Felsen. Eine riesige Villa mit großen Terrassen und einem künstlich angelegten Zypressenpark, mit Wasserspielen und Brunnenkaskaden, Springbrunnen, Rosenbeeten und weißen Kieswegen. Sitz eines unermeßlich Reichen. Ein Traumschloß. Und Heinz v. Kletow bewohnte es?
«Wie willst du denn das bezahlen?«stammelte Peter.
«Sprich nicht von Geld!«Kletow hob die Hand. Er wischte die Worte Peters weg.»Es gibt zwei Worte, die mich rasend machen: Geld und Frauen! Jedes Wort auf seine Art.«
«Also pleite!«
«Dummheit! Pleite kann nur der sein, der etwas hatte. Wer nichts gehabt hat, kann nie pleite sein. Das ist das Gute an der ganzen Sache: Man kommt sich nie ratlos vor. Ich leide lediglich an chronischer Zahl Vergeßlichkeit.«
«Das ist ja wohl dasselbe!«
«Nicht ganz. Es gibt da dialektische Unterschiede. Du wirst es als überkorrekter Mensch nie verstehen. Warum bist du eigentlich nicht
Beamter geworden?«
«Heinz! Ich — «
«Reden wir nicht davon! Zurück zum Grafen Fiorini. Ich habe die Villa gemietet. Ich habe sie sogar bis heute bewohnt!«
«Unglaublich. In der Tat.«
«Aber nun, gerade heute, will der Verwalter einen Gegendienst.«
«Ohne Dialektik: Geld!«
Heinz v. Kletow verzog das Gesicht.
«Ich sagte klar: Gegendienst! Das Wort Geld macht mich übel! Der Verwalter und ich hatten ein Abkommen getroffen: Da wir uns auf eine Barsumme nicht einigen konnten.«
«Deine Dialektik ist bezwingend«, lachte Peter.
«.vereinbarten wir, daß Leistungen meinerseits in Naturalien zu erfolgen hätten.«
«Du willst einen Gemüseladen aufmachen?«
Heinz v. Kletow sah Peter strafend an.»Warum nennst du Cou-cou Gemüse?«
«Was hat denn Coucou mit Gemüse zu tun?«
«Eben!«
«Der Verwalter, sagtest du, verlangt statt Miete Naturalien.«
«Genau!«Heinz steckte die Hände in die Hosentaschen und sah wieder hinüber zu dem weißen Schloß.»Willst du bestreiten, daß Coucou keine Naturalie ist?«
«Heinz!«Peter Sacher riß seinen Freund am Arm zu sich herum.»Das ist Kuppelei!«
«Welch ein ordinärer Mensch du doch bist! Wie kann man so ausfällig werden? Die Lieferung von Naturalien fällt unter den Begriff der Ernährung.«
«Du willst doch nicht im Ernst behaupten, daß Coucou zur Ernährung des Verwalters beiträgt?«
«In erster Linie zu seinem körperlichen Wohlbefinden.«
«Unerhört!«
«Unerhört ist nur die Sucht der Moralisten, dort Moral zu lesen, wo keine ist! Schon im Altertum war es üblich, Mietrückstände durch
Austausch netter Sklavinnen zu begleichen.«
«Wir leben nicht zur Zeit Trajans, sondern im 20. Jahrhundert!«
«Deswegen sind die Sklavinnen doch nicht häßlicher geworden? Nur die Namen haben sich geändert. Früher hießen sie Hetären, heute heißen sie.«
«Schon gut! Schon gut!«Peter Sacher sah sich um. Es war ihm peinlich, daß Heinz so laut und ungeniert sprach. Auch wenn es Deutsch war, so gab es auch in Nizza genug Leute, die die deutsche Sprache verstanden.»Wir werden also Coucou dort oben bei dem Verwalter wiedersehen.«
«Nein!«
«Aber du hast doch gesagt?«
«Du wirst nie meine Gedankengänge verstehen!«
«Wie dem auch sei, fahren wir erst einmal hinauf zu deinem Traumschloß. «Peter Sacher sah sich um. Kleine, bunte, leichte Eselskarren warteten am Straßenrand. Es war eine neue Attraktion Nizzas, mit der die Reisenden zu den Hotels und Pensionen gefahren wurden.»Nehmen wir solch einen Karren, was?«
Heinz v. Kletow hielt den Arm Peters fest, bevor dieser einen der Eselskarren herbeiwinken konnte.
«Noch einen Augenblick. Ich habe noch eine Fortsetzung meiner Moritat: Der Verwalter wiegt 210 Pfund. In seiner Jugend war er Halbschwergewichtsmeister von Nizza. Er schlägt heute noch eine schnelle und knallharte Rechte. Außerdem frönt er der niedrigen Eigenschaft, nicht mit sich feilschen zu lassen.«
«Ich habe mit ihm nichts zu feilschen. Wir nehmen einen Karren und fahren hinauf.«
«Auf deine Verantwortung!«
Peter winkte einen der Eselskarren heran und stieg in das wackelige Gefährt. Heinz blieb auf der Straße stehen. Nachdenklich sah er hinüber zu der weißen Villa.
«An mich denkst du wohl nicht?«fragte er.»Er wird mit mir nicht handeln wollen.«
«Was sollte er auch? Du hast ihm Coucou als leckeren Blumen-kohl geliefert.«
«Einen Dreck habe ich!«
«Was?«Peter sprang aus dem Eselskarren und drückte dem verblüfften Kutscher zwanzig Francs in die Hand. Dann zog er Heinz in eine Türnische.»Coucou ist nicht oben im Schloß?«
«Wie sollte sie das wohl? Glaubst du, sie gibt sich zu solch einem Handel her? Sie liebt mich!«Heinz tupfte sich die Stirn mit einem nach Rosen duftenden Seidentaschentuch ab.»Ich habe dem Verwalter Naturalien versprochen, geliefert habe ich noch nichts! Woher auch? Bin ich ein Mädchenhändler? Er hat das Bild Coucous gesehen, sie liegt auf einer Couch und hat nur eine Perlenkette an, und war so begeistert, daß er mir die Miete für drei Monate erlassen wollte, wenn ich Coucou heranschaffte. Ich sagte ja. Wer weiß, was in drei Monaten ist, dachte ich. Nun will der dicke Kerl aber einen Vorschuß haben und hat seine Frau weggeschickt. Was soll ich tun? Es gibt nur eins: Aus der Reichweite der 210 Pfund kommen!«
«Dafür läßt du mich nach Nizza kommen? Lockst mich aus Paris. Verhinderst meine Rückkehr nach Düsseldorf!«
«Was willst du in Düsseldorf?«
«Ich will zurück zu Sabine. Ich liebe sie, du Trottel! Jetzt weiß ich es!«
«Nach fünf Tagen Eheferien! Oh, es gibt keine richtigen markigen Männer mehr! Nur Waschlappen!«
«Vor sieben Jahren hast du vor Sabine auf den Knien gelegen und sie angefleht, nicht mich, sondern dich zu heiraten! Gewinselt hast du!«
«Jugendsünden! Wenn ich sehe, wie du unterm Pantoffel stehst.«
«Wir fahren aufs Schloß!«schrie Peter Sacher.»Ich gönne dir eine Tracht Prügel!«
Heinz v. Kletow kratzte sich den Kopf.»Die Sache hat noch einen Haken. Du wirst mit verprügelt.«
«Ich?«
«Ja. Ich habe gesagt, daß du die süße Coucou hierherbringst.«
«Du gemeiner Hund!«
«Freundesdienst, Peter. Geteiltes Leid unter Gleichgesinnten. Außerdem kannst du den Reiz der Mittäterschaft genießen.«
«Danke! Gehen wir! Aber ich schwöre dir: Morgen fahre ich zurück nach Düsseldorf. Das heißt. «Peter Sacher dachte an seine paar Francs, die ihm geblieben waren. Er mußte seine Bank telegrafisch beauftragen, neues Geld an die Nationalbank Nizza zu überweisen. Das würde sicherlich drei Tage dauern.»Ich werde drei Tage bei dir bleiben! Und dann hoffe ich, dich wiederum drei Jahre nicht mehr zu sehen.«
Er sah sich um. Hotel reihte sich an Hotel. Die Uferpromenade war eingefaßt mit großen Villen inmitten von Palmengärten. Eine glühende Hitze lag über der Stadt. Selbst der Wind war heiß. Er kam übers Meer, aus den endlosen Wüsten Nordafrikas.
«Also denn, gehen wir!«sagte Peter noch einmal.
«Sofort! Aber wohin, edler Charakter?«
«Ein Hotel suchen.«
«Welch ein Luxusschwein! Die billigste Übernachtung in der Herberge >Zur fröhlichen Wanze< kostet 25 neue Francs! Allerdings sind in diesen Preis mit einbegriffen: Salmiakwaschungen gegen Flohstiche und Honorar heißer Kellnerinnen. Freiwillige Spenden ausgeschlossen! Ein Zimmerlein zum Hinterhof einer Villa am Meer: 40 neue Francs! Dafür atmest du Seeluft und hörst das Meer rauschen. Es kann aber auch der daneben liegende Lokus sein. Einrichtung des Luxuszimmers: Ein Bett mit vier wackeligen Pfosten und Ausblick auf einen Haufen Küchenabfälle. An mehr zu denken, wäre vermessen, es sei, du stellst Dosenfleisch in Chikago oder Nylonwäsche in New Orleans her!«
Peter Sacher sah die lange Reihe der weißen Villen entlang. Breite Fenster mit Jalousien, Palmen, hinter Markisen sich leise summend drehende Ventilatoren. Es mußte herrlich sein, in einem solchen Haus zu wohnen.
Er dachte an seine eigene Villa am Rhein, und es wurde ihm wehmütig ums Herz.
«Irgendwo müssen wir ja schlafen!«
«Das werden wir auch!«Heinz v. Kletow sah hochmütig auf ein paar Amerikaner, die an ihnen vorbeigingen.»Zunächst, wieviel Geld kannst du ausgeben?«
«Nichts!«
«Du witzelst, Freund.«
«Ich bin blank.«
«Aber du hast doch einen gutgehenden Beruf. Du hast am Rhein.«
«Zähle nichts auf. Ich habe im Augenblick kein Geld. Bis es kommt, können drei Tage vergehen. In diesen drei Tagen aber können wir doch nicht auf einer Bank schlafen!«
«Dir fehlt das wahre Genie! Wir werden nicht nur schlafen, sondern sogar ruhen! Was Millionäre mit Scheckbüchern erkaufen, bekommen wir für 3 Francs: fließendes Wasser, Nachtmusik, Klimaanlage, Meeresrauschen, kostenlose Vorführungen von Liebespaaren bis zur jugendgefährdenden Darbietung. Es ist doch kein Bonner Staatsanwalt hier?«
«Nein«, sagte Peter Sacher verwundert.
«Alles für 3 Francs!«
«Blödsinn!«
«Tja, da staunte selbst der Krebs, bevor er ins kochende Wasser fiel und rot wurde. Wir werden in Nizzas bester Gesellschaft schlafen! Ein Luxusschlaf für drei Francs!«
«Und wo ist das Hotel?«
«Am Strand.«
Peter Sacher setzte sich auf eine der weißen Holzbänke an der Promenade und streckte die Beine von sich. Heinz v. Kletow blieb stehen. Er hatte zwei Mädchen kommen sehen.
«Also ein Strandhotel?«fragte Peter.»Muß ja ein Wunderhotel sein! Für 3 Francs! Oder hast du dem Geschäftsführer etwa auch Cou-cou avisiert?«
«Mitnichten! Du greifst nur wieder zu hoch in deinen Erwartungen. Unser Hotel wird ein Strandkorb sein!«
Als sei die Bank durch einen elektrischen Strom geladen worden, zuckte Peter empor.
«Du bist wohl völlig geistig ausgerutscht? Ein Strandkorb?«
«Bitte, ereifere dich nicht! Wer es nicht kennt, sollte sich überraschen lassen. Eine Nacht im Strandkorb am Strand von Nizza ersetzt sieben Sittenfilme.«
«Schlafen will ich!«rief Peter.
«Auch das kann man. Eingewiegt vom Gemurmel der Wellen und dem Schmatzen küssender Mädchen.«
«Mein Gott, hast du nichts anderes im Sinn?!«
Heinz v. Kletow hob die breiten Schultern.»Ein Lebenskünstler hält sich immer am Mittelpunkt des Lebens.«
«Ich kenne Erstrebenswerteres: ein eigenes Heim, eine liebe Frau.«
«Wie Sabine!«sagte Heinz gehässig.
«Genau! Das Leben, das du führst, ist ekelhaft!«
«Peter, der Moralist! Nach >Peter und der Wolf< ein neues Märchen! Wie sieben Jahre Ehe einen Menschen wie dich verändern!«Er winkte ab, als Peter Sacher erneut auffuhr und etwas dazwischenrufen wollte.»Lassen wir das Thema. Wärest du Schriftsteller, würdest du in einem nächtlichen Strandkorb den Stoff von zehn Romanen bekommen! Alle die reichen, vornehmen Herren und die hochgeschlossenen sittsamen Damen des Nachts allein im Mondschein, man erkennt sie kaum wieder! Es gibt da soziologische Studien.«
«Du kannst sagen, was du willst: Ich schlafe nicht wie ein Landstreicher in einem Strandkorb!«
«Es wird uns nichts anderes übrigbleiben.«
«Ich will ein richtiges Bett!«
«Der biedere Muffelbürger! Oben ein Daunendeckchen, unten ein Daunendeckchen. «Heinz v. Kletow hieb Peter auf die Schulter.»Verhätschelt die Ehe einen Mann so sehr, daß er wie ein Baby nach seinem Bettchen schreit? Kerl, wo ist der Peter Sacher geblieben, der in München auf der Universität dem Germanistikprofessor beweisen wollte, daß das Wort Mist eng mit dem Wort Most verwandt sei, weil beides in Gärung übergehe? Was ist davon geblieben?«
«Wir sind immerhin fünfzehn Jahre älter geworden!«
«Körperlich. Jedes Jauchefaß nutzt sich ab. Aber unser Herz ist doch jung, verdammt noch mal! Komm mit in den Strandkorb! Vielleicht lernst du heute nacht schon einen nackten Millionär kennen, dem du ein Schloß für 2 Millionen bauen darfst! Von unserer >Vil-la< kann man die besten Beziehungen knüpfen. Man sieht dann die Menschen ohne die Maske, die sie tagsüber tragen.«
Peter Sacher hob resignierend die Schultern.»Es wird uns nichts anderes übrigbleiben. «Er griff in seine Gesäßtasche und holte das Portemonnaie hervor. Heinz v. Kletow zählte mit, als Peter die wenigen Francs durch die Finger gleiten ließ.
«87 Francs und 33 Centimes«, sagte Kletow.»Du bist zwar reich, mein Freund, aber für ein gutes Bett drei Nächte lang reicht es nicht. Komm, gehen wir!«
«In drei Tagen bin ich weg! Das verspreche ich dir!«Peter Sacher steckte das Geld wieder ein. Er nahm seine beiden Koffer von der Straße und ging Heinz v. Kletow nach, der elegant, die Blicke auf sich ziehend, vorausschritt wie ein Millionär oder Meistergauner.
Später, nachdem sie Peters Koffer in einem großen Strandzelt, das sie mieteten, abgestellt hatten, gingen sie wieder über die Promenade, Arm in Arm, durch die Sonne, das Meer und die Landschaft versöhnt. Die herrlichste Uferstraße Europas ist die von Nizza. Palmen wiegen sich im warmen Meerwind, über die Terrassen der Hotels klingt leise Musik, die Fassaden und der Sand des Strandes blenden mit ihrem Weiß. Schöne Frauen sitzen in Korbsesseln oder weißlackierten Boulevardstühlchen unter bunten Sonnendächern und lassen sich bewundern.
Heinz v. Kletow nickte, als Peter einige begeisterte Blicke auf sie warf.
«Unter südlicher Sonne gedeiht eine gute Rasse«, sagte er weise.»Orchideen, die du mit Goldwasser begießen mußt. Nimmt man einfaches Leitungswasser, fangen sie an zu stinken.«
«Wie witzig du bist«, sagte Peter gereizt.
«Ein guter Ehemann wie du wird das nie verstehen! Junge, Jun-ge, was hat unsere Sabine bloß aus dir gemacht!«
Es gibt Menschen, die werden vom Alltag erschlagen. Sie sitzen dann herum, stieren Löcher in die Tapete, essen die Suppe mit der Gabel, sehen einen, wenn man sie anspricht, mit den Augen eines sterbenden Tieres an, als wollten sie sagen: Seht, es geht zu Ende! Sie sind eben in einem Zustand völliger geistiger Verstörtheit.
Daß solche Symptome bei einem Riesen wie Dr. Ernst Portz auftraten, war unheimlich. Der Buchhalter und der Bürovorsteher, die Tippmädchen und der Postbote sahen ihn wie ein Wrack hinter seinem Schreibtisch sitzen. Er hing auf seinem Stuhl wie ein hingeworfenes Handtuch, schlief nachts nur unter Hilfe von Brom, ja, es schien fast, als sei er plötzlich abgemagert und der Talar ihm zu weit geworden.
Das Leben hatte es bisher gut mit ihm gemeint, bis zu jenem Tag, an dem der eingeschriebene Brief an E. Ferro, Borkum, Pension >See-adler<, als unbestellbar zurückkam mit dem Vermerk: >Adressat nach Kopenhagen verreist<.
Was Dr. Portz flehentlich als >unmöglich< herbeisehnte, bestätigte die Mittagspost: Auch der Brief an Sabine Sacher kam zurück. Verreist nach Kopenhagen!
«Sie sind zusammen gefahren«, sagte Dr. Portz dumpf. Dann vernichtete er die Schreiben, gab telefonisch ein Telegramm an Mai-tre Emile Caravecchi in Paris durch mit der dringenden Bitte, alles zu versuchen, Peter Sacher zu einer Rückkehr nach Düsseldorf zu bewegen. Sofort! Mit dem Flugzeug!
Maitre Caravecchi antwortete prompt nach vier Stunden. Das Telegramm, das der Bürovorsteher hereintrug, als käme er zu einem Schwerkranken, lautete:
>peter sacher ausparis verschwunden — stop — neues ziel unbekannt — stop
— nach ermittlungen festgestellt daß sacher auf dem boulevard haussmann ein collier im werte von 27.000 neuen francs gekauft hat — stop — abreise nach kauf — stop — vermuten abschiedsgeschenk fürfreundin — stop — ver-
mute daß auch reise nicht allein erfolgte — stop — caravecchi<
Das Leben war für Dr. Portz wirklich traurig geworden.
Eine zersprungene Ehe zu flicken, ist schlimmer, als 30 Esel zu überreden, einen Karren zu ziehen. Bei den Eseln hat man immerhin noch die Hoffnung, daß sie gehorchen. Aufgescheuchte Eheleute sind störrischer. Es gibt deshalb auch mehr Scheidungsanwälte als Standesämter.
Was Bornemeyer in Kopenhagen wollte, war Dr. Portz völlig rätselhaft. Eine ganz leise Hoffnung hatte er, daß sich alles als harmlos herausstellen würde. Vielleicht hatte Sabine ihren Plan geändert und war nach Dänemark weitergefahren. Bornemeyer, getreu seinem Auftrag, war hinterhergefahren. So konnte es sein. Es gab aber auch noch andere Möglichkeiten. An sie wagte Dr. Portz nicht zu denken, ohne vor sich selbst rot zu werden.
Das Verhalten Peters war absolut ehewidrig. Der enthusiastische Brief aus Paris hatte es bewiesen, das Collier und das Verschwinden aus Paris waren nur eine Folge davon. Er hatte sich diese Yvonne zugelegt und war im Augenblick moralischen oder gar ehelichen Zusprüchen völlig abhold. Sabine durfte davon nie etwas erfahren. So etwas regelt man unter Männern und Freunden hinter der vorgehaltenen Hand. Aber wenn Sabine und Bornemeyer.
Dr. Portz begriff es nicht. Es war auch zu schwer zu verstehen, daß eine so elegante und verwöhnte Frau wie Sabine plötzlich an einer so faden Nudel wie diesem Bornemeyer Gefallen finden konnte. Das alles war so absurd, daß Dr. Portz zum erstenmal in seinem Leben vor der Frage stand, ob der Mensch im Grunde genommen doch nicht ganz fertig von der Schöpfung geliefert worden war.
Was man zunächst tun konnte, war nichts. Man mußte warten. Irgendwie löst sich alles auf. Und dieses untätige Warten war es, was Dr. Portz die Nerven raubte. Wissend um die Dinge mußte er zusehen, wie sich Unglücke zusammenbrauten, deren Verhinderung ihm aus der Hand genommen worden war.
Gegen Mittag brachte die Sekretärin einen Stapel Zeitungen ins
Büro. Meistens überflog Dr. Portz nur die Überschriften der Artikel und die Schlagzeilen, um dann den Wirtschaftsteil und die Gerichtsberichte genauer zu studieren. Widerwillig nahm er deshalb die erste Zeitung und blickte über die erste Seite. Eine Überschrift sprang ihn an und schüttelte ihn durch.
Ein Hochstapler auf Borkum?
Dr. Portz bekam einen steifen Nacken. Wie Blei lag es ihm im Genick. Das ist nicht wahr, sagte er immer wieder. Das ist nicht wahr.
Aber es war so. Der Artikel wurde nicht anders, auch wenn Dr. Portz schweratmend bei jeder Zeile sagte:»Das ist Wahnsinn!«
Wie uns aus Borkum von einem Kurgast, dem Baron B., berichtet wird, hat dort seit einigen Tagen ein übler Hochstapler sein Unwesen getrieben. Als italienischer Millionär und Autohändler Ermano Ferro auftretend, in der besten Pension wohnend, versuchte er, die Kurgäste zu betrügen. Er bot Luxusautos einer nicht existierenden italienischen Autofirma >Pneu-mastica< an und versuchte, hohe Anzahlungen zu kassieren. Nur der Wachsamkeit des Barons B. war es zu verdanken, den Betrüger, der mit ei-nerKomplicin auftrat, zu entlarven. Leider waren die Galgenvögel schon ausgeflogen, als die Polizei sie verhaften wollte. Nach Aussagen des Portiers der Pension sollen sie in Richtung Kopenhagen geflohen sein. Man nimmt aber an, daß diese Adresse falsch ist und nur zur Täuschung gegeben wurde. Das Paar, dem es nicht gelang, einen Kurgast zu schädigen, muß noch in Deutschland sein. Beschreibung der Betrüger: Der Mann
— 1,85 bis 1,90groß (!), überschlank…
«Bornemeyer! O Bornemeyer!«stöhnte Dr. Portz und warf die Zeitung weg. Er vergrub sein Gesicht in beide Hände und saß eine Zeitlang wie versteinert. Der Bürovorsteher, der nach mehrmaligem Klopfen den Kopf ins Chefzimmer steckte, schloß schnell wieder die Tür. Der Anblick war erschreckend.
Es muß etwas geschehen, dachte Dr. Portz. Es ist unmöglich, untätig herumzusitzen und abzuwarten. Aber was soll man machen?
Bornemeyer ist niemals in Kopenhagen. Peter Sacher amüsiert sich irgendwo in Frankreich mit einer anderen Frau. Das alles ist kein Grund, über den Rundfunk Peter zu erreichen oder die Kriminalpolizei einzuschalten. Was die Zeitung da von Bornemeyer erzählte, war absoluter Unsinn. Die Zeitung! Dr. Portz sah einen Lichtblick.
Er rief die Redaktion an. Er stellte sich als Anwalt des beschuldigten >Hochstaplers< vor und bat um genaue Auskunft, wie dieser irrsinnige Artikel erscheinen konnte.
Die Auskunft war klar und doch verworren: Der Bericht war von einem Reporter durchgegeben worden, der ebenfalls zur Erholung auf Borkum weilte. Als Zeugen wurden angegeben: Baron v. Ber-genfeldt, der Portier vom >Seeadler<, die Direktion und einige Herren der Kurverwaltung. Nur der Boy sagte gut aus… er hatte fünf Mark Trinkgeld bekommen. Er schied als befangen aus.
Dr. Portz rief Borkum an. Die Direktion des >Seeadlers< war noch immer konsterniert. Sie berichtete kurz: Herr Ferro sei bei ihnen abgestiegen, habe mit Frau Sacher ein Doppelzimmer bewohnt, mit Einverständnis der Dame übrigens, was man heute verstehen könne, denn es handelte sich um ein Gauner-Duo! Alles andere sei durch die Presse bekannt.
Dr. Portz legte auf.»Es ist wahnsinnig!«sagte er. Dann rief er die Reederei an. Die Verwaltung sah die Liste der Vorbestellungen durch und bestätigte folgendes:
Telefonisch hatte ein Herr Ermano Ferro einen Platz für den letzten Dampfer bestellt und bekommen.
«Einen Platz?«rief Dr. Portz hoffnungsvoll ins Telefon.
«Ja. Ferner eine Gepäckfracht für eine große, wertvolle Porzellanstatue.«
«Was?«schrie Dr. Portz.»Eine Porzellanstatue?! Das ist doch unmöglich!«
«Herr Ferro hat sie sogar mit 2.000,- DM transportversichert.«
«Das muß ein Irrtum sein«, keuchte Dr. Portz. Eine schreckliche Ahnung quoll in ihm auf wie ein Hefekuchen und drückte seine Stimme ab.
«Herr Ferro kam wirklich mit einer Statue. Der zweite Offizier half sogar noch beim Tragen. Er wunderte sich, wie schwer sie war.«
«Und die Dame?«stammelte Dr. Portz.
«Welche Dame?«
«Herr Ferro reiste doch in Begleitung einer Dame.«
«Davon wissen wir nichts. Herr Ferro hat nur eine Fahrkarte gelöst. Eine zweite, bestellte Fahrkarte ließ er als Frachtschein für die Porzellanfigur umbuchen.«
«Da…danke«, stotterte Dr. Portz.
Als gebrochener Mann hockte er hinter dem Telefon. Es gab gar keine Fragen mehr. Ganz klar stand ihm vor Augen, was in Borkum geschehen war. Bornemeyer hatte Sabine Sacher gewaltsam entführt! Als Porzellanfigur verpackt, hatte er sie auf das Schiff gebracht. Wie er sie betäubt hatte, wie er überhaupt auf diesen irrsinnigen Gedanken gekommen war, das waren Dinge, die später geklärt werden konnten. Allein die Tatsache, daß Bornemeyer die Frau eines Mandanten entführte, war genug, um Dr. Portz zusammenbrechen zu lassen.
Er wußte, daß es nur einen Weg gab: die Fahndung!
Noch einmal trank er einige Gläser Kognak, zog dann seinen Mantel an und verließ durch den Hintereingang sein Büro.
Er fuhr zu einem guten Bekannten. Zum Ersten Staatsanwalt.
Das Unabänderliche mußte seinen Lauf nehmen. Es gab jetzt kein Zurück und keine Rücksichten mehr.
Der Strand war weißsandig, breit, flach und übersät mit bunten Schirmen, Zelten, Körben, langhaarigen Mädchen und dicklichen Genießern. Ab und zu sah man auch langjährige Ehepaare — man erkannte sie daran, daß der Mann mißmutig auf die schönen jungen Mädchen blickte und innerlich Vergleiche anstellte.
Heinz v. Kletow und Peter Sacher blickten von der Strandpromenade auf das bunte Treiben. Etwas außerhalb des Badestrandes, zum Felsen hin, auf dem die herrliche weiße Villa in der Sonne strahlte, standen vier buntgestreifte Strandzelte. Sie waren wie eine Burg zusammengerückt. Die Sonne prallte auf sie herab. Kletow wies mit ausgestrecktem Arm auf sie hin.
«Unsere Strandvilla!«
«Luxuriös! Dort braten wir wie Thunfisch im Öl.«
«Tagsüber liegen wir im Wasser. Und nachts wird dir heiß von den Vorführungen um dich herum.«
Sie tapsten durch den Sand zu den vier Zelten. Als sie die >Burg< betraten, dampfte ihnen die Hitze entgegen. Sie zogen sich aus, schlüpften in die Badehosen, stellten die Koffer Peters in eine Ecke des Zeltes und traten dann wieder hinaus in die Sonne. Peter Sacher dehnte sich. Weit ab lag der Lärm des Badestrandes, hier war Ruhe. Nur ein paar Reiter trabten am Meer entlang.
«Trotz allem, es ist wirklich herrlich«, sagte Peter Sacher.»Endlich ist man allein!«
«Denkste!«Kletow grinste.»Das hier ist der schönste Platz von ganz Nizza. Man muß nur Augen haben, Freund! Sieh einmal hinüber zu den Felsen. Weder von der Promenade noch von den Hotels, sondern nur aus diesem Winkel heraus hast du einen solchen märchenhaften Anblick!«
Von den Felsen ragte auf halber Höhe eine Felsnase ins Meer hinaus. Die Brandung schäumte an ihr empor und sprühte den Gischt über die Steine. Oben auf dem Felsen schimmerte etwas Weißes. Ab und zu bewegte es sich, schnellte auf, drehte sich, streckte sich.
«Hm«, sagte Peter Sacher.»Man kann es schlecht erkennen! Was ist's?«
«Die Confessa Maria della Sacraterra. Sie liegt auf einem weißen Badetuch und sonnt sich.«
«Allein?«
«Stets!«
«Wie alt?«
«24 Jahre. Schwarzlockig, kurvenreich, ein Traum von einem Weib!«
«Und sie liegt da ohne etwas an?!«
«Immer! Es sieht sie ja keiner!«»Wir zum Beispiel.«
Heinz v. Kletow winkte ab.»Dieser kurze Blickwinkel ist meine Entdeckung. Übrigens kennt sie mich, und dich wird sie nie kennenlernen.«
«Du wirst mich ihr natürlich vorstellen.«
«Natürlich nicht. Das wäre Kuppelei.«
«Ach, und die Sache mit Coucou, was war das?«
«Notwehr!«
Peter Sacher starrte zu der Felsnase hinüber. Der weiße Fleck bewegte sich. Der Gischt sprühte über ihn. Jetzt sprang der Fleck auf. Mit etwas Fantasie konnte man eine nackte, schlanke Frauengestalt erkennen.
«Hast du kein Fernglas hier?«fragte Peter Sacher.
«Nein. «Kletow grinste.»Daß Ehemänner immer so ungeduldig sind.«
«Sie wird sich in der prallen Sonne einen Sonnenstich holen! Das muß man ihr doch sagen!«
«Wie besorgt. Ich werde es ihr bestellen! Es wäre nicht gut, wenn du ihr den Schatten liefern würdest!«
«Eifersüchtig?«
«Vorsichtig.«
Peter wandte sich ab, stapfte durch den tiefen, weißen Sand zurück zur Zeltburg, zog seine Badehose aus und legte sich nackt in den Sand. Heinz v. Kletow sah verwundert auf ihn hinab.
«Du hast dich ja schnell hier eingelebt!«
«Wenn die Contessa das kann! Vielleicht hat sie ein Fernglas!«
«Sie wird aber nicht von ihrem Felsen steigen wie Circe zu Odysseus! Im übrigen hat sie ein Erbteil von ca. 2 Millionen zu erwarten. Ich habe mich entschlossen, mit ihr darauf zu warten.«
«Gratuliere. «Peter dehnte sich wohlig im heißen Sand.»Es ist merkwürdig, daß die größten Nichtstuer die größten Chancen haben. Mit was beschäftigst du dich jetzt eigentlich?«
«Mit Frauen.«
Sie lachten. Und es war, als drehe sich die Zeit zurück. Irgendwie fühlten sie in sich noch die Jugend, die langsam von ihnen wegglitt. Wenn Männer allein unter sich sind, werden sie wieder zu Jungen. Ihr Übermut kennt keine Grenzen, und ihre Streiche unterscheiden sich von ihren Jugendsünden nur durch die Intelligenz der Ausführung. Ansonsten sind es doch nur Varianten einer aus der Tiefe der Vergangenheit wieder auftauchenden Jugend.
Der erste Tag in Nizza verlief für Peter und Heinz wie der erste Ferientag übermütiger Schuljungen. Nur, ihrer Reife entsprechend, war er genüßlicher.
Sie brieten in der Sonne, schwammen nackend hinaus in das warme, blaue, salzige und an den Felsen tobende Meer, umkreisten die Felsnase, auf der die Contessa lag und sahen, daß man auch vom Wasser aus nichts sehen konnte, schwammen bis zu den Riffen und schaukelten sich auf den Bojen, tauchten, bespritzten sich, machten ein Wettschwimmen, überlegten, ob sie nicht die Felsnase erklettern sollten und die Contessa wegen ihres Aufzuges mit der Begründung um Verzeihen bitten sollten, daß auf dem Festlande die Spinnstoffe knapp geworden wären. Es war eben herrlich, so ungebunden zu sein.
Dann lagen sie wieder im Sand; ihre Körper dampften.
Gegen Mittag dehnten sie ihre Ausflüge in die Flegeljahre aus. Sie gingen in die Stadt, aßen Thunfisch mit gerösteten Maiskolben, weil es billig war, nahmen am gesellschaftlichen Leben Nizzas teil, indem sie die elegante Promenade dreimal hinauf und hinabschlen-derten, sich auf die Bänke setzten, die Blicke schöner Frauen erwiderten, jedoch in Ermangelung eines geldlichen Rückhaltes nicht das durch diese Blicke freigiebig verteilte Kapital in Anspruch nahmen. Sie besuchten sogar die teuersten und exklusivsten Hotels unter dem Vorwand, einen Herrn zu suchen, der sich >Carambolage< nannte. Allein dies beweist die infantile Stimmung, in der sie waren. Saßen in den Foyers unter Kristallüstern und vor marmornen Wänden an parfümierten Springbrunnen, gingen wie Millionäre durch die Dachgärten und lehnten an den Sonnenterrassen des Monbijou. Sie flirteten mit verführerischen Frauen, deren Lebensaufgabe die Verführung war, erzählten nie erlebte Abenteuer aus dem Dschungel Bengalens und verlebten einen Nachmittag in der Sonne eines künstlichen Luxus'. Zwei Vagabunden, vor denen die Kellner dienernd die Türen aufrissen.
Gegen Abend setzte Heinz v. Kletow seinen Freund in einer rauchigen, nach Fisch stinkenden Kneipe am Hafen ab.
«Hier bleibst du, bis ich wiederkomme«, sagte er.»Ich werde für unser weiteres Wohl sorgen.«
Peter sah sich um. Präparierte Fische hingen von der Decke, der Wirt stand hinter der Theke und priemte, die Wirtin war angetrunken und sang mit einem quietschenden Radio um die Wette, an einem runden Tisch hockten einige finstere Gestalten, tranken Anisschnaps und spielten Karten. In ihren Gürteln trugen sie lange, feststehende Messer.
«Gibt es keinen anderen Ort?«fragte Peter Sacher leise.
«Das schon. Aber keinen, wo du für 5 °Centimes einen Pernod bekommst und drei Stunden sitzen bleiben kannst.«
«Und wo willst du hin?«
«Geld beschaffen.«
«Warum darf ich da nicht mit?«
«Weil wir es nie bekommen würden, wenn du dabei wärst. Ich bin in einer Stunde wieder da!«
Unwillig, ein wenig ängstlich, blieb Peter in der Hafenkneipe zurück. Die singende Wirtin knallte ihm ein Glas Pernod auf den Tisch und schrie:»Soixante Centimes!«Das waren zehn Centimes mehr, als Heinz gesagt hatte. Aber nach einem Blick auf den priemenden Wirt, die präparierten Fische und die mit feststehenden Messern spielenden Männer am Nebentisch wagte er nicht zu reklamieren und zahlte 6 °Centimes.
Dann starrte er hinaus auf den Hafen und dachte an Sabine. Noch zwei Tage, dachte er. Dann fahre ich zurück nach Düsseldorf. Dann ist mein Geld da! Dann hole ich Sabine zurück, und wenn sie am Nordpol ist! Und dann gebe ich ihr das Rubincollier. Gott, was sind wir doch für Schafe gewesen, sieben Jahre lang aneinander vorbei-gegangen zu sein.
Unterdessen hatte Heinz v. Kletow einen seiner unverschämten und doch genialen Gänge unternommen. Er traf sich mit der sonnenhungrigen Contessa auf der Promenade. Neunzehn einviertel Minuten brauchte er, bis er nach einigen Küssen dazu kam, ihr zu erklären, daß er vergessen habe, seine Bank zu besuchen, die jetzt geschlossen hatte, und daß er ohne einen Pfennig Geld bis morgen früh da säße. Die Contessa half ihm aus und gab ihm fünfhundert neue Francs. Er steckte sie in die Tasche seines Anzuges, als sei es schmutziges Papier, das man nicht auf den Boden einer so vornehmen Promenade wirft, verbrachte nochmals siebzehn einviertel Minuten mit der Contessa, entschuldigte sich dann und rannte zurück zum Hafen. Dort löste er Peter aus, der leichtsinnigerweise einen zweiten Pernod trank (er mochte ihn gar nicht), aber die Wirtin hatte, als er das Glas leer hatte, ohne zu fragen ein zweites hingestellt. Peter wagte auch dieses Mal nicht, dagegen zu rebellieren. An der Theke schnitt der Wirt mit einem riesigen Messer Knoblauch in Würfel.
«Komm«, sagte Heinz v. Kletow gutgelaunt.»Wir haben fünfhundert Francs! Die Welt gehört uns wieder!«
«Dann können wir ja in ein richtiges Hotel einziehen!«
«Du Wahnsinniger!«Kletow bezahlte 5 °Centimes, und die Wirtin nahm sie ohne Gegenrede an. Der Wirt unterbrach sogar sein Knoblauchschneiden und rief:»Bon soir, Messieurs!«
«Mit diesen 500 Francs müssen wir auf unbestimmte Zeit leben! Wer weiß, wann ich wieder Geld bekomme?«
«Du solltest eine reiche Frau heiraten«, sagte Peter, als sie vom Hafen zum Strand gingen.
«Heiraten?«Kletow fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.»Peter, da muß ich aber schon ganz am Ende aller Weisheiten angekommen sein.«
Es wurde schon dunkel, als sie vor ihren vier Strandzelten standen. Das Meer strahlte Kühle aus. Noch war der Sand warm, und der Wind, der von Afrika herüberkam, war samtweich. Peter sah sich um.
«Am Tage sieht es entschieden besser aus.«
«Man gewöhnt sich an alles. Wie denkst du dir das Schlafen eigentlich?«
«Wir rücken die Zelte aneinander, schieben die Sitze nebeneinander, pumpen uns mit Schnaps voll und schlafen. Wir bauen eine Burg aus Strandzelten, eine Igelstellung, vorn eins, hinten eins, links eins.«
«Und rechts eins!«schrie Peter Sacher wütend.»Und wenn es zufällig regnen sollte?«
«Die Sonnendächer sind wasserdicht.«
Sie rückten die über ein festes Holzgestell gespannten Zelte zusammen, legten sich auf die zusammengeschobenen Sitze, deckten sich mit ihren Mänteln zu, tranken aus einer Flasche, die Kletow aus der Tasche zog, einige Schluck Kognak und nahmen sich vor, zu schlafen. Plötzlich zuckte Peter empor.
«Bist du gestochen worden?«murmelte Heinz.
«Wo hast du eigentlich dein Gepäck?«
«Himmel! Deswegen erschreckst du mich?«Heinz dehnte sich.»Das hat der Verwalter der Villa beschlagnahmt, bis ich ihm Coucou bringe. Erst nach Lieferung bekomme ich meine Sachen wieder. Der Mann ist stur. Er pocht mehr auf Vertragserfüllung als ein Verleger.«
Leise rauschte das Meer. Irgendwo kreischten ein paar Möwen. Ganz, ganz weit war Musik. Sie kam mit dem Wind und strich über die Zelte hinweg.
Die beiden Freunde fröstelten und krochen näher zusammen. Hundegebell geisterte durch die Nacht. Auf dem Meer heulte fern die Sirene eines Schiffes. Nicht weit von ihrer Burg entfernt erklang plötzlich ein unterdrücktes, kicherndes Lachen. Peter Sacher fuhr kerzengerade empor und rüttelte Heinz.
«Es geht los!«flüsterte er.
«Warte ab und laß dich weiter verwöhnen«, knurrte Kletow.»Es geht erst los, wenn die Bars schließen.«
Sie verschliefen die erste Nacht und wachten auf, als die Sonne schon auf die Zeltdächer brannte. Laut gähnend reckte sich Heinz v. Kletow. Peter Sacher saß wütend auf der Bank und kämmte sich die Haare.
«Dein verdammter Kognak«, sagte er.»Jetzt haben wir tatsächlich geschlafen!«
Für Bornemeyer kamen Stunden tiefster Erniedrigung.
Die Ankunft in Nizza ließ ihn noch von Abenteuern träumen. Aber schon in der Halle des Hotels, in dem sie abstiegen, bekam er einen Vorgeschmack dessen, was ihn erwartete. Sabine Sacher bestellte zwei Zimmer, die möglichst weit auseinanderliegen mußten. So bekam Bornemeyer Zimmer 145 im fünften Stock, während Sabine mit Zimmer 12 auf der ersten Etage einen herrlichen Seeblick genoß. Ihr Fenster lag einem ins Meer ragenden Felsen gegenüber. Die Brandung schäumte empor. Weiß leuchtete eine märchenhafte Villa in der Sonne.
«Unvergleichlich«, sagte Sabine und sah hinüber zu dem Haus.»Wer mag da wohnen?«
«Im Augenblick niemand. «Das Zimmermädchen sah sich um. Sie waren allein im Zimmer. Der Hoteldiener hatte die Koffer abgestellt und war gegangen.»Wenn man erfährt, was ich Ihnen verrate, fliege ich.«
«Ein Geheimnis?«Sabine lächelte.»Ich verrate Sie bestimmt nicht.«
«Das Haus kann gemietet werden. Es ist frei geworden. Ich kenne den Verwalter.«
«Es muß ja wahnsinnig teuer sein.«
«Das weiß ich nicht. «Das Mädchen machte einen Knicks und lief aus dem Zimmer.
Fasziniert stand Sabine am Fenster und starrte hinüber zu der weißen Villa. Es war, als lockte dieses Haus. Man kann es mieten, dachte sie. Angenommen, ich ziehe in die Villa ein und schreibe nach Paris: >Komm nach Nizza, Liebster, ich habe für uns ein Traumschloß am Meer.< Ob er kommen würde? Ob wir dort oben, ganz allein unter der Sonne, so glücklich werden könnten, daß wir nie mehr auseinandergehen?
Der Gedanke setzte sich fest. Er war so stark, daß Sabine sogar Bornemeyer verzieh, ohne anzuklopfen ins Zimmer gekommen zu sein.
«Wir werden morgen viele Wanderungen machen«, sagte sie.»Und noch diese Woche wird mein Mann kommen.«
«Sie machen mich unglücklich«, sagte Ferro-Bornemeyer ehrlich.»Ich bin ein von der Natur benachteiligtes Kind! Ich werde immer vernachlässigt.«
«Sie haben Ihre Millionen.«
«Geld ist mir nichts wert!«
«Ich wünschte, ich hätte soviel wie Sie.«
«Wünschen Sie sich das nicht, Signora!«Bornemeyer wischte sich den Schweiß von der Stirn.»Alles ist relativ.«
Er war in diesem Augenblick versucht, ihr alles zu gestehen. Die Fahrt über nach Nizza hatte er Zeit genug gehabt, sich die Konsequenzen, die auf ihn in Düsseldorf warteten, auszumalen. Was er getan hatte, er war ehrlich genug, es einzusehen, war ohne Beispiel und das Ende seiner Karriere. Für einige Tage Traum vom großen Leben hatte er sein ganzes weiteres Leben verpfuscht. Das war ein zu hoher Einsatz gewesen, gewiß, aber die Sehnsucht der borne-meyerschen Seele, einmal in der Sonne des Glücks zu stehen, war zu übermächtig gewesen.
«Ich möchte mich umziehen«, sagte Sabine. Ferro sah sie an wie ein Verhungernder.
«Ich gehe, Favorita. Wann sehen wir uns?«
«Am Abend. Beim Essen.«
«Erst am Abend?«
«Ich habe noch etwas zu besorgen.«
«In Nizza? Aber du kennst doch Nizza gar nicht.«
«Was ich suche, habe ich schon gesehen. Also, bis zum Abendessen!«
Sie schob den unglücklichen Bornemeyer aus dem Zimmer und
schloß hinter ihm ab.
Eine Stunde später klomm Sabine Sacher den etwas steilen Felsweg zur weißen Villa hinauf. Ab und zu blieb sie stehen und blickte über den weißen Strand, die Stadt Nizza, über das tiefblaue Meer mit den weißen Segelbooten und Jachten, den Wasserskifahrern und den Schwimmern, die sich auf Gummiflößen treiben ließen. An einer Biegung des Weges blieb sie plötzlich stehen. Ein Mann stieg unterhalb des Felsens aus dem Wasser. Er tauchte aus der Brandung wie ein großer, leuchtender Fisch auf und legte sich auf die Steine einer Felsenspitze in die Sonne. Der Mann war nackt, das sah Sabine. Sonst war die Entfernung zu weit, um zu erkennen, wie er aussah.
Der muß gut schwimmen können, dachte sie und ging weiter. Bei dieser Brandung durch die Klippen zu schwimmen. Schnell ging sie weiter. Vielleicht beobachtete man sie, und es wäre peinlich gewesen, sie bei der Betrachtung eines nackten Mannes zu überraschen.
Das Schicksal hatte einen Witz gemacht. Der Mann, der unten auf der Klippe lag, schwer atmend und doch vergnügt wie ein Junge, war Peter Sacher.
Heinz v. Kletow umschwamm die Felsnase, auf der die Contessa liegen mußte. Heute lag sie nicht da. Es war noch zu früh. Erst wenn die Sonne voll auf das Meer schien, kam sie mit ihrem großen, weißen Badetuch.
Nach einer halben Stunde stand Sabine Sacher vor einem großen, schmiedeeisernen Tor. Es bildete den Eingang zur Villa. Ein weißer Kiesweg führte durch einen kleinen, fast tropischen Park. Im Hintergrund sah man das Haus. Marmorterrasse zum Meer, bunte Sonnendächer vor den Fenstern, Palmen und Riesenagaven.
Sabine suchte nach einer Klingel. Sie fand keine und drückte vorsichtig das große Tor auf. Langsam ging sie über den Kiesweg dem Hause zu. Unter hohen, schmalen Säulen lag eine breite Glastür mit einem weißen Gitter. Durch die Tür blickte man durch das Haus hindurch, durch eine große Halle, deren Rückwand nur aus Glas bestand und die Bläue des Meeres ins Haus holte. Es war, als bran-dete das tintenblaue Wasser in die Halle und schwämmen die Palmen und weißen Jalousien darin wie bizarre Fische.
Das ist nichts für uns, dachte Sabine. Das ist unerschwinglich, auch gemietet. Darüber würde Peter nicht glücklich sein, sondern schimpfen. Es wäre Verschwendung, hier zu wohnen.
Sie wollte sich abwenden und wieder zur Felsenstraße gehen, als ein großer, breitschultriger Mann um die Ecke des Hauses bog. Er trug einen riesigen, aus Stroh geflochtenen Sonnenhut auf dem dicken Schädel und hielt eine Gartenharke in den behaarten Händen. Wie ein Gorilla sah er aus. Er grinste auch so, als er die junge Frau an der gläsernen Tür stehen sah, verlegen, nach Worten suchend.
Mit ausgestreckten Armen kam der Gorilla auf Sabine zu. Sein breites Gesicht war ein niederwerfendes Leuchten.
«Oh, du bist gekommen, Coucou?!«rief er auf französisch.»Oh, quel bonheur!«
Er verwechselt mich, dachte Sabine. Sicherlich tut er das! Sie schüttelte den Kopf und wich zurück, als der Koloß auf sie zukam.
«Sie irren sich!«rief sie auf deutsch.»Ich bin kein Fräulein mit Namen Coucou!«
«Nix Coucou?!«Der Verwalter der Villa nahm den Hut ab, warf seine Harke weit weg und schnaufte wie ein gereizter Stier.»Wer Sie dann?!«
«Ich bin Frau Sabine Sacher.«
«Nix gehört davon. Warum schickt Sie? Warum nix Coucou, wie Monsieur Kletow versprochen?«
Sabine hob die Schultern und wollte sich abwenden. In diesem Augenblick zündete der Name Kletow in ihrem Gehirn wie ein einschlagender Blitz. Sie wirbelte herum und starrte den verblüfften Verwalter an.
«Sagten Sie eben Kletow?«
«Oui, madame!«Der Gorilla zerknüllte den Strohhut in den Pranken.»O — quel filou! Isch ihn umbringe!«
«Recht so!«In Sabine stieg eine Enttäuschung empor, die wie eine alles ergreifende Übelkeit durch ihren Körper zog.»Er ist hier in
Nizza?«
«Oui! Seit sechs Tagen!«Der Verwalter ballte die Fäuste.»Ein Gauner! Ein Schuft! Ein Verbrecher!«
«Seit sechs Tagen. «Sabine sah auf den weißen Kiesweg. Vor ihren Augen flimmerte es. Seit sechs Tagen war Peter in Paris, angeblich bei seinem Freund! Er hatte sie belogen. Er war allein in Paris, allein in einer Wohnung, allein mit, mit…
Sie brach den Gedanken ab. Er tat ihr weh. Ihr Herz stockte. Es war, als risse es mittendurch.
«Hat er Sie betrogen?«fragte sie mühsam.
«Um ganze Miete, oui!«schrie der Gorilla.»Isch erwürge ihn!«
«Er hatte dieses herrliche Haus hier gemietet?«
«Oui! Madame. Sie kennen Kletow?!«
«Nein, nein«, sagte Sabine schnell.»War er allein hier?«
«Ganz allein!«Der Verwalter grinste breit.»Tagsüber, Madame. C'est la vie.«
«Und es war kein anderer Herr dabei?«
«Ein Monsieur? O non! Was soll Kletow machen mit Messieurs?! Er nur, olala!«Der Verwalter schnalzte mit der Zunge. Schon der Gedanke an schöne Frauen verscheuchte in ihm alle Wut. Man beneide darum die Franzosen.
Für Sabine war alles klar. Sie brauchte keine weiteren Erklärungen. Was hatte Dr. Portz geschrieben: >Peter ist in Paris bei seinem Freund v. Kletow. Rue de Sevres. Sie brauchen gar keine Sorgen zu haben.<
Alles war Lüge. Alles! Peter hatte gewußt, daß v. Kletow nicht in Paris war. Allein war er in der Wohnung, und wenn ein Mann allein in Paris ist.
In ihr brach alles zusammen, was sie an Sanftmut und Versöhnung in den vergangenen Tagen gesammelt hatte. Das Ende ihrer Ehe sah sie vor sich, das Experiment war mißlungen, oder gelungen, wie man's betrachtet. Es hatte keinen Sinn mehr, zusammenzubleiben und sich vorzulügen, der andere sei notwendig für das weitere Leben.
«Wo ist Monsieur v. Kletow jetzt?«fragte sie. Ihre Stimme war hart.
Sie spürte es. Sie war kühl bis ins Herz hinein.
«Oh, wenn isch wüßte das! Isch zermalme ihn! Isch werde Mörder!«
Sabine atmete tief.»Ermorden Sie bitte zwei!«sagte sie hart.»Der andere heißt Peter!«
Sie wandte sich ab und rannte den Weg hinunter, aus dem Tor hinaus, als werde sie gehetzt. Auf der Felsenstraße blieb sie stehen und sah schaudernd den steilen Abhang hinab in die tosende Brandung. Der nackte Mann auf den Klippen war fort. Er schwamm wieder außerhalb der kleinen Klippen zum Strand hin. Sein Kopf tauchte ins blaue Meer.
Hinabspringen und Schluß machen, dachte Sabine einen Augenblick. Wer hier auf die Klippen springt, vierzig oder mehr Meter tief, hat keine Probleme mehr, wenn er unten aufschlägt.
Sie lehnte an einem Felsvorsprung und sah hinab. Schwindel ergriff sie. Sie drückte den Kopf an den kalten Stein und schloß die Augen. Nein, sagte sie sich. Nein, nein! Warum das Leben wegwerfen wegen eines Mannes? Auch wenn man ihn so liebt wie ich und so grausam enttäuscht wird. Es lohnt sich nicht, mit allem abzuschließen, nur weil ein Lebensabschnitt eine Verblendung war.
Sie stieß sich von dem Felsen ab und trat mitten auf die Straße.»Nein!«sagte sie laut.»So einfach mache ich es dir nicht!«
Schnell ging sie zur Küste zurück, gesenkten Kopfes. Sie hatte keinen Blick mehr für die Schönheit des Strandes und der weißen Stadt. Sie weinte still vor sich hin.
Kurz bevor die Felsenstraße in einem weiten Schwung und breiter werdend in die Promenade mündet, hat man noch einmal einen schönen Blick auf den Badestrand. Er liegt weiter ab und bildet mit der Stadt und dem Hafen im Hintergrund ein herrliches Panorama.
Sabine Sacher wandte den Kopf zur Seite, nicht um das Bild zu sehen, sondern weil ihr ein Sandkorn ins Auge geblasen worden war. Dabei bemerkte sie zwei Männer, die in hellblauen Badehosen aus dem Wasser kamen und in schnellem Lauf auf vier Strandzelte zu-liefen. Plötzlich erstarrte sie und sprang zurück hinter eine Felsnase.»Das ist doch nicht möglich«, stammelte sie.»Das, das. «Sie schaute vorsichtig um den Felsen herum. Die beiden Männer hatten Handtücher genommen und trockneten sich ab. Sie sprachen, sie lachten laut. Es war sein Lachen, wirklich. Es waren seine Bewegungen beim Abtrocknen, es war sein Gang. Jetzt drehte er das Gesicht zum Felsen. Er war es! Peter! Peter!!
Sabine Sacher spürte, wie es heiß in ihr emporstieg. Sie bezwang sich, nicht mit einem Schrei an den Strand zu laufen und Peter um den Hals zu fallen. Einen Augenblick war sie auch versucht, ihm alles zu verzeihen. Seine Lüge, in Paris zu sein, die Sorglosigkeit, mit der er hier lebte, alles, was in den sechs Tagen geschehen sein mochte.
Als sie wieder um die Ecke des Felsens sah, war ein junges Mädchen in knappem Bikini auf die Zeltburg zugekommen. Der eine der Männer, es mußte Heinz v. Kletow sein, sprach auf sie ein. Das Mädchen lachte. Es war hübsch, biegsam, braungebrannt. Sabine beobachtete, wie Peter aus den Zelten kam. Er sprach mit dem Mädchen, jetzt streckte er die Hand aus und faßte die langen, schwarzen Haare des Mädchens an. Das Mädchen tänzelte vor ihm herum, jetzt legte Peter den Arm um ihre schöne Schulter.
«Schuft!«sagte Sabine. Sie preßte die Lippen aufeinander.»Aas!«Damit meinte sie das Mädchen. Sie kannte den Charme Peters, seit fünf Jahren allerdings war er nicht mehr in ihrer Gegenwart ausgestrahlt worden, sie wußte, wie seine Worte auf Frauen wirkten. Mit geballten Fäusten sah sie, wie das Mädchen mit Peter und Heinz in der Zeltburg verschwand.
Ihre Freude war wieder verflogen. Wut und Eifersucht beherrschten sie mit Urgewalt. Man müßte jetzt hingehen, dachte sie, dem Mädchen ein paar Ohrfeigen geben, und ihm natürlich auch, und sagen: Das ist mein Mann, allerdings ab jetzt muß ich sagen >gewe-sen<. Vielleicht heißt es sogar Coucou?! Das wäre zwar geschmacklos, wenn zwei Männer an demselben Mädchen, aber was ist bei Männern nicht alles möglich!
Sie wartete, bis ein größerer Schwarm Badegäste über den Strand ging. Ihnen gliederte sie sich ein und erreichte die Promenade. Im nächsten Andenkengeschäft kaufte sie sich ein Fernglas und rannte zurück zum Strand, setzte sich in ein leeres Zelt und richtete das Fernglas auf die vier zusammengeschobenen Zelte.
Sie sah nichts. Das ärgerte sie maßlos. Einmal sah sie einen nackten Arm… aber es war nicht zu erkennen, ob es ein Männer- oder Frauenarm war.
Das Gift der Eifersucht zerfraß sie. Sie war bleich, zitterte aus einem innerlichen Frieren heraus und fauchte Ferro-Bornemeyer, der sie seit Stunden suchte, wie eine Katze an, als er sie auf die Schulter tippte und sagte:»Ich halte es bis zum Abendessen ohne dich nicht aus.«
«Lassen Sie mich in Ruhe!«zischte sie und riß das Fernglas wieder an die Augen. In den Zelten bewegte sich etwas.
Ferro suchte den Strand ab. Er bemerkte nichts Sehenswertes und ließ sein Monokel aus dem Auge fallen.
«Was beobachtest du, Favorita?«
«Einen Haifisch!«fauchte Sabine.
«Wo?«
«In der Luft.«
«In der. «Bornemeyer war beleidigt. Er nagte an der Unterlippe und setzte sich neben Sabine in das Zelt.
«Sie sollen gehen, Signore Ferro! Ich habe Wichtigeres zu tun, als Ihre Tiraden von Favorita und Madonna anzuhören.«
«Was ist denn da hinten so interessant?«Bornemeyer tastete mit Blicken den Strand ab. Außer einigen netten Mädchen und ein paar kräftigen Männern war nichts zu sehen. Es war nicht anzunehmen, daß Sabine Sacher ein solch reges Interesse für wohlgebaute Männer entwickelte.
«Ich habe ein wildes Schaf entdeckt!«
«Ein was?«
«Sie werden es nie verstehen, Ferro! Was ich immer annahm und dafür ausgelacht wurde, sehe ich jetzt endlich! Ich bin dabei, mich
seelisch zu zerfleischen.«
«Grausam!«Bornemeyer rätselte.»Darf ich auch mal durch das Glas sehen? Vielleicht verstehe ich Sie dann.«
«Ich werde Ihnen vielleicht heute abend alles erklären, Signore Ferro.«
«Heute abend ist im Kurhaus ein Maskenball. Ich wollte dich dazu einladen, Madonna.«
Sabine schüttelte den Kopf. Das Mädchen kam aus der Zeltburg. Heinz v. Kletow folgte ihr. Peters Kopf kam hervor, seine Arme. Er winkte ihnen zu. Er rief etwas. Sabine war es, als könne sie es verstehen.»Auf Wiedersehen!«
Ihr Kopf fuhr zu Ferro herum.»Wir gehen zum Maskenball!«
«Favorita!«schrie Bornemeyer. Er wollte sie in den Nacken küssen, aber Sabine wehrte ihn ab.
«Und nun gehen Sie!«sagte sie.»Ich will allein sein. Fragen Sie nicht länger. «Gehorsam entfernte sich Ferro.
Peter Sacher zog sich an, als Heinz v. Kletow mit seiner neuen Strandbekanntschaft gegangen war. Er wollte zur Nationalbank gehen, um nachzufragen, ob das Geld noch nicht eingetroffen sei. Das war zwar schlecht möglich. Aber die Düsseldorfer Bank konnte das Geld auch telegrafisch überweisen. Dann war es bereits in Nizza. Und dann würde Peter Sacher spätestens übermorgen zurück nach Düsseldorf fahren und zu Sabine sagen:»Es ist alles Blödsinn, was wir jahrelang gesagt und gedacht haben. Es gibt nur eins!«
In einem hellgrauen Anzug, elegant und sportlich, ging er über die Promenade. Sabine verfolgte ihn mit dem Fernglas, bis er im Gewühl der anderen Spaziergänger verschwand. Da rannte sie durch Seitenstraßen zu ihrem Hotel zurück auf ihr Zimmer und stand einen Augenblick vor dem Telefon. Sollte sie Dr. Portz anrufen? Oder sollte sie mit Peter allein alles regeln?
Sie zog ein neues, in Borkum gekauftes Kleid an, das Peter noch nicht kannte, kaufte sich in der Halle des Hotels, beim Hotelfriseur, eine große, ganz dunkle Sonnenbrille und band sich einen weißen Perlonschal um die Haare. Als sie in den Spiegel sah, erkann-te sie sich selbst nicht mehr.
So verkleidet eilte sie zurück auf die Promenade. Es war ein Glücksumstand, wenn sie Peter wiederfand. Ruhelos wanderte sie hin und her, immer am Strand entlang, zwei Stunden lang, die Füße schmerzten ihr, in den Waden zuckte es. Sie biß die Zähne zusammen und ging weiter.
Vier Meter von ihr entfernt, hinter der Scheibe eines Cafes, saßen Peter Sacher und Heinz v. Kletow und starrten auf die Promenade. Immer wieder wischte sich Peter mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Er war bleich und ernst.
«Sie ist's!«sagte er leise, als könnte man es draußen hören.»Es ist Sabine.«
«Du spinnst!«Kletow drückte die Nase an der Scheibe platt.»Schließlich kenne ich Sabine auch! Das ist eine Französin reinsten Wassers. Und sie geht auf Männerfang. Sabine sieht ganz anders aus.«
«Ich wollte, du hättest recht. Da, wie sie stehenbleibt und den Kopf zurückwirft. Das ist Sabine! So steht sie immer da, wenn ich abends später nach Hause komme und sie zu mir sagt: Jetzt ist das Essen kalt. Dreimal habe ich es gewärmt! Ich bin nicht deine Sklavin!«
«Recht hat sie!«
«Und da, wie sie sich herumdreht, jetzt macht sie die Tasche auf. Sie muß ein weißes Taschentuch mit rotem Stickrand haben. Hah! Das ist's! Es ist Sabine!«Peter sprang auf, aber Kletow riß ihn am Rock auf den Stuhl zurück.
«Benimm dich! Ändern kannst du's doch nicht!«
«Was macht Bienchen in Nizza?«
«Summsumm.«
«Ich erschlage dich!«keuchte Peter.»Sie soll auf Borkum sein. Wie kommt sie nach Nizza?! Allein fährt sie nicht nach Nizza! Das war gar nicht geplant.«
«Du bist ja auch nicht in Paris.«
«Das ist etwas anderes.«
«Ach nee!«
«Außerdem liegt Nizza in Frankreich. Ich bin also im Land geblieben. Aber von Borkum nach Nizza — das ist ein sehr verdächtiger Sprung! Da steckt ein Mann hinter! Heinz — wenn das wahr ist, es gibt einen Skandal!«
«Ruhe! Nur Ruhe!«Kletow sah Sabine nach. Sie trippelte weiter. Plötzlich blieb sie stehen. Ein großer, überschlanker Mann, Typ Italiener, blieb bei ihr stehen und küßte ihr länger als schicklich die Hand. Er trug ein Monokel, war braungebrannt und hakte jetzt Sabine unter.»Alles da!«sagte Heinz v. Kletow dumpf.»Willst du ein Messer oder einen Revolver benutzen?«
Peter Sacher starrte durch die Scheibe auf das ungeheuerliche Bild. Er war noch bleicher geworden. Sein Gesicht war kantig. Seine Finger zerknitterten die Speisekarte des Cafes. >Trinken Sie L'amour, den herzhaften Likör!< stand darauf.
«Wer ist das?«keuchte Peter.
«Geh raus und frag ihn.«
«Und sie guckt ihn an, als ob sie ihn auffressen wollte.«
«Kannibalismus bei Frauen ist immer sexueller Natur.«
«Er streichelt ihren Arm! Sie läßt es sich sogar gefallen.«
«Es wird das mindeste sein, was sich Frauen gefallen lassen.«
«Sie lacht!«
«Soll sie weinen? Bei solch einem strammen und eleganten Kavalier.«
Peter Sacher hieb mit beiden Fäusten auf den Tisch. Er sprang auf und stieß mit dem Kopf gegen die Scheibe. Wenn Sabine nicht weitergegangen wäre, hätte sie den Bums hören müssen. So ging er unter im Stimmengewirr und Autosummen auf der Promenade.
«Wo gehen sie jetzt hin?«
«Geh ihnen nach.«
«Ich blamiere mich doch nicht! Wenn meine Frau mit fremden Männern nach Nizza fährt, soll ich den Bajazzo spielen? Ich lasse mich scheiden. Sofort! Ich rufe Ernst an! Er soll in Düsseldorf alles vorbereiten! Du bist mein Zeuge!«
«Ich habe nichts gesehen!«
Peter fuhr herum und packte Heinz an der Schulter.»Was? Du stehst mir nicht bei? Bei solch einem eindeutigen Fall?! Sabine bricht die Ehe und du, du.«
«Es kann sich alles als harmlos herausstellen. Im Moment bist du nicht zurechnungsfähig! Frage sie erst, wie alles gekommen ist.«
«Fragen? Ich sehe doch! Ein Mann, per Arm in aller Öffentlichkeit, weil sie sich in Nizza sicher fühlt, Handkuß auf der Promenade. Ich wette: Sie haben auch das gleiche Hotel!«
«Wenn der Mann kein Idiot ist, sollte das als sicher gelten.«
«Und da stehst du ihr noch bei? Bist du mein Freund oder ihr ehemaliger Bewerber?«
«Beides!«
Peter rannte an die Tür des Cafes. Er konnte Sabine noch sehen. Im Arm Ferros ging sie über die Straße. Dann bogen sie nach links ab und verschwanden im Eingang eines Hotels. Peter keuchte.
«Sie wohnen im >Majestic<.«
«Geschmackvoller Laden. «Heinz v. Kletow zahlte den Kaffee und das Stück Kuchen, das sie gegessen hatten.
«Du mußt herausbekommen, in welchem Zimmer sie wohnt.«
«Willst du fensterln?«
«Ich werde Wache halten. Wenn ich hinter ihrem Fenster zwei Schatten sehe, stürme ich das Hotel.«
«Anfänger!«Heinz v. Kletow zog Peter aus dem Cafe.»Eine kluge Frau löscht vorher das Licht.«
Sie warteten noch ein wenig. Dann gingen sie über die Promenade. Ehe Heinz es verhindern konnte, hatte sich Peter losgerissen und stürmte in das Hotel. Der Portier sah ihn verblüfft an. Peter Sacher eilte bis zum Empfangschef. Er schob den Anmeldeblock weg und beugte sich über die Theke vor.
«War das eben die bekannte Filmschauspielerin Rita Boleri?«fragte er.»Die, die gerade hereingekommen ist. Mit der Sonnenbrille und dem Kopftuch.«
«Nein. Das war Frau Sacher.«
«Und der Herr, das war aber Baron v. Pulten.«
«Nein. Das war Herr Ferro aus Genua.«»Danke. Wie man sich irren kann. Danke.«
Mit geballten Fäusten kam Peter aus dem Hotel heraus. Heinz v. Kletow vertrieb sich die Wartezeit mit dem Zulächeln schöner Pas-santinnen.
«Aus Genua stammt er!«schrie Peter. Er war außer sich. Er zitterte am ganzen Körper.»Sie wohnen zusammen!«
«In einem Zimmer?«
«Das habe ich vergessen zu fragen! Ich platze!«
«Anfänger!«sagte Heinz geringschätzig.»Warum soll Bienchen nicht mit einem Genueser Spazierengehen?«
«Nenn meine Frau nicht Bienchen!«
«Hast du nicht auch mit Yvonne.«
«Das ist etwas anderes. Ich bin ein Mann!«
Heinz nickte.»Hier hört allerdings jede Philosophie auf! Was soll also geschehen?«
«Ich warte hier, bis sie wieder herauskommen!«
«Einfacher wäre es, hinauf in ihr Zimmer zu gehen.«
«Und den langen Italiener bei ihr zu finden! Es gäbe einen Doppelmord! Himmel, ich bin jetzt zu allem fähig.«
Heinz v. Kletow faßte Peter Sacher unter und zog ihn vom Hotel fort.»Komm«, sagte er.»Gehen wir zurück an den Strand. Geh ins Wasser und kühl dich ab! Sabine ist in Nizza. Ist das nicht wundervoll?«
«Wundervoll nennst du sarkastischer Bursche das?!«
«Sie ist, so denkt sie, weit weg von dir und in Wahrheit doch so nah. Jeden Schritt kannst du überwachen! Ist das nicht ein Heidenspaß?!«
«Ich warte nur auf mein Geld, und dann hole ich sie aus dem Zimmer heraus und schleppe sie zum Zug!«Peter Sacher riß sich von seinem Freund los.»Ich mache das jetzt schon. Ich gehe zu ihr! Ich halte das nicht aus!«
Heinz ergriff Peters Ärmel und zog ihn zurück.»Das wäre grundfalsch. Welcher Ehemann kommt jemals in die Lage, seine Frau zu beobachten, wenn sie sich unbeobachtet fühlt? Man lernt ganz neue
Wesenszüge an ihr kennen. Man wird erstaunt sein, wie wenig man sie kannte! Und man erkennt vor allem, was man selbst falsch gemacht hat und andere Männer richtig machen.«
Es war vielleicht das erste Mal, daß etwas, was Heinz v. Kletow sagte, einen wirklichen Sinn hatte und sich praktisch verwerten ließ. Peter Sacher wurde nach den Worten seines Freundes nachdenklich.
«Zwei Tage spiele ich diese Komödie, nein, einen Tag! Dann fahre ich mit Sabine zurück nach Düsseldorf.«
Er blieb stehen und sah zu dem Hotelpalast zurück.»Ist denn nicht alles sinnlos, was wir getan haben?! Da ist doch überall keine Logik drin!«
«Wo im Leben ist Logik? Und bei verliebten Menschen schaltet der Verstand überhaupt aus. Übrigens ist heute abend ein Maskenfest im Kurhaus. Um ganz logisch zu denken: Ich vermute, daß der Genueser unser Bienchen zu diesem Fest schleppen wird.«
«Wir gehen auch hin!«schrie Peter.»Ich werde mich als Othello maskieren.«
«Höchstens als Bettler. Bei unseren Finanzen!«
Wenn einem das Wasser bis zum Halse steht, nicht nur geldlich, sondern auch seelisch, ist man zu ungeheuren Energieleistungen fähig. Peter Sacher unternahm einen Vorstoß zur Nationalbank. Nachdem sie als Mittagessen wieder Thunfisch verspeist hatten, weil er das billigste Nahrungsmittel war, das Kletow auftreiben konnte, außerdem sei Eiweißkost besonders gesund, sagte er, ließ sich Peter beim Direktor der Bank melden, legte seinen Paß vor, seinen letzten Kontoauszug der Düsseldorfer Bank und bat um einen Vorschuß auf das zu erwartende Geld.
Die Direktion der französischen Nationalbank hat Erfahrung mit zeitweiligen Geldknappheiten, vor allem in Nizza. Es ging alles schneller, als es Peter Sacher erwartet hatte. Während er noch mit dem Direktor sprach und sich über moderne Bauten im Rheinland unterhielt, rief im Nebenzimmer eine Sekretärin in Düsseldorf an. Nach zehn Minuten kam sie ins Chefzimmer, legte einen Zettel auf den Tisch des Direktors und wartete. Der Direktor blickte kurz auf die hingelegte Notiz und nickte Peter Sacher freundlich zu.
«Es ist alles in Ordnung, Monsieur Sacher. Sie können über jeden Betrag verfügen. Wieviel dürfen wir Ihnen auszahlen?«
«5.000 Francs, wenn's möglich ist.«
«Selbstverständlich. «Er wandte den Kopf zu der wartenden Sekretärin.»Lassen Sie der Kasse eine Anweisung geben und bringen Sie das Geld hierher.«
Während Heinz v. Kletow vor der Bank hin und her ging, unterhielt sich Peter Sacher noch eine halbe Stunde sehr angeregt mit dem Direktor. Dann kam er aus dem großen Gebäude. Heinz stürzte auf ihn zu.
«Geklappt?«
«500 Francs!«Peter machte ein saures Gesicht.»Man ist hier ungeheuer vorsichtig!«
«Immerhin etwas! Wir teilen uns den Betrag — «
«Ich gebe dir 200 Francs und keinen Sou mehr!«antwortete Peter.
«Das reicht gerade fürs Händewaschen auf der Kurhaustoilette!«
Peter griff in die Tasche. Er hatte im Treppenhaus der Bank 500 Francs von seinen 5.000 abgezählt und in die Rocktasche gesteckt. Er nahm das Geld jetzt heraus und zählte 200 Francs ab.»Willst du also?«
«Für den Durstenden ist ein Schweißtröpfchen schon eine Labung.«
Heinz v. Kletow steckte das Geld ein. Dann gingen sie zurück über die Promenade zu ihrer Zeltburg. Seitlich des Hotels, in dem Sabine wohnte, blieb Peter Sacher wieder stehen und starrte auf das Portal. Heinz zerrte an seinem Arm.
«Komm!«
«Man sollte sie herausholen!«
«Morgen!«
«Was mag sie jetzt machen?«
«Sie nimmt vielleicht italienischen Sprachunterricht.«
Wütend rannte Peter weiter.
Hinter der Gardine stand Sabine am Fenster und sah hinunter auf die Straße. Sie hatte Peter und Heinz gesehen, zufällig, weil sie das Fenster öffnen wollte. Sie sah, wie Peter stehenblieb und zurückblickte. Er guckt wieder einem Mädchen nach, dachte Sabine und fühlte einen Stich im Herzen. Er benimmt sich wie ein Jüngling, wenn er allein ist. Zu Hause war er immer müde und sagte:»Huh, war der Tag anstrengend. Ich falle gleich ins Bett!«Hier fiel er nicht ins Bett, sondern in die Arme der Mädchen. Er benahm sich, gelinde gesagt, ekelhaft.
Wütend wandte sie sich ab und rief über das Haustelefon Ferro an.
Bornemeyer saß in seinem Zimmer und schrieb an seiner Rechtfertigung. Es war ein langer Schriftsatz, den er Dr. Portz einreichen wollte. Es war eine Beichte, vollgestopft mit Komplexen und seelischen Enthüllungen. Wer die Rechtfertigung Bornemeyers las, mußte ihm verzeihen, ihm über den Kopf streicheln und sagen: Nun weine nicht, armer Junge.
«Wann fängt der Maskenball an?«rief Sabine ihm durchs Telefon zu. Ferro seufzte tief. Er war bereit gewesen, sein Spiel aufzugeben. Nun gingen die Verstrickungen weiter.
«Um 22 Uhr.«
«Haben Sie einen Tisch bestellt?«
«Alles, Madonna. «Es tat ihm jetzt fast weh, so zu sprechen. Der kleine, arme, schüchterne, blasse Bornemeyer war mit dem Schriftsatz wiedergeboren worden.
«Wir werden tanzen, bis uns die Füße brennen! Ich freue mich so, Ermano.«
«Ja, Madonna.«
Er legte den Hörer auf und zerwühlte verzweifelt seine Haare. Er kam sich wie in einen Teufelskreis eingeschlossen vor. Es gab kein Entrinnen. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn Sabine Sacher erfuhr, daß der Genueser Ferro ein kleiner Assessor aus Düsseldorf war, der zur Bewachung ihrer Moral an sie herangeführt worden war. Es gab überhaupt keine Bilder, die nur annähernd die Folgen schildern konnten.
Er schrieb mit zitternden Fingern seine Rechtfertigung zu Ende. Der letzte Satz war ein Aufschrei:»Helfen Sie, Herr Dr. Portz! Ich weiß, ich habe mich schuldig gemacht, aber der Aufgabe, die Sie mir anvertraut haben, war ich einfach nicht gewachsen. Was soll ich tun?«
Sabine Sacher stand wieder am Fenster und sah hinaus auf die Promenade.
Heinz und Peter waren weitergegangen. Wenn man nur wüßte, wo sie wohnen, grübelte Sabine. Und ob sie allein wohnen?
Es war ein häßlicher Gedanke, aber Sabine nährte ihn, weil er weh tat und sie dadurch spürte, wie lieb sie Peter hatte.